Die Regulierung des Internets
RA Dr. Nils Rauer, MJI
Das World Wide Web ist einst als Raum ohne territoriale Grenzen und damit ohne nationale oder regionale Regulierung gestartet. Dass diese Zeiten lange vorüber sind, bedarf kaum der Erwähnung. Gleichwohl bemerkenswert sind jedoch die “Siebenmeilenstiefel”, die Charles Perrault dereinst seinem kleinen Däumling anzog und die derzeit augenscheinlich auch der europäische Gesetzgeber an den Füßen trägt, wenn es um die Regulierung des digitalen Binnenmarkts innerhalb der EU geht. Erst am 24. 3. 2022 einigten sich Kommission, Rat und Parlament auf die finalen Inhalte des Digital Markets Act (DMA). Kaum einen Monat später folgte nun die Einigung zum Digital Services Act (DSA).
Beide Gesetzesinitiativen gehören – neben weiteren Vorhaben – zu einer umfassenden Strategie, die unter der Vorgängerkommission mit dem Ziel der “Errichtung eines Digitalen Binnenmarktes” ihren Ausgang genommen hat und heute seinen Niederschlag in dem Digitalkompass 2030 findet. Es geht um ein Internet, welches den demokratischen Grundprinzipien entspricht, in dem Rechte anderer respektiert werden und in sicherem Umfeld Handel getrieben werden kann. Sog. Hate Speech oder auch Fake News sollen ebenso effektiv bekämpft werden wie der Upload und das Zirkulieren illegalen Contents.
Eine zentrale Rolle hierbei sollen nach dem Willen des Gesetzgebers die Service Provider einnehmen. Dies explizit auch dann, wenn die eigentliche Verletzungshandlung vom einzelnen Nutzer ausgeht. Gerade große Diensteanbieter werden bewusst zum “Gatekeeper” (DMA), die Dienste selbst zum Objekt der Regulierung (DSA) und deren Anbieter zum haftungsrechtlich Verantwortlichen gemacht. So sollen Strukturen geschaffen werden, die einen prosperierenden eCommerce über alle Mitgliedstaaten hinweg ermöglichen und beflügeln. Es geht mithin nicht allein um die Wahrung gesellschaftlicher Grundprinzipien, sondern nicht zuletzt auch um den digitalen Wirtschaftsraum Europa.
Kann der DSA dies leisten? Bei isolierter Betrachtung wohl kaum. Es bedarf vielmehr einer holistischen Bewertung nicht nur der Marktgegebenheiten, sondern auch der individuellen (Gesetzes-)Initiativen, welche in den vergangenen Jahren gestartet und in Teilen bereits umgesetzt wurden. Zu nennen gibt es dabei einiges, angefangen von der DSGVO über die wiederbelebte E-Privacy-Verordnung, den Data Governance Act und den Data Act bis hin zur DSM-Copyright-Richtlinie. Die Liste der regulativen Vorstöße, die allesamt unser Handeln im Netz betreffen und lenken (sollen), ist dabei keineswegs abschließend. Problematisch bei der Fülle der Initiativen ist, dass der Gesetzgeber zwar stets peinlich genau darauf achtet zu betonen, dass die jeweilige Verordnung oder Richtlinie den bestehenden Anwendungsbereich anderer Rechtsakte nicht schmälert, wirklich aufeinander abgestimmt ist aber wenig. Ein nahtloses Ineinandergreifen sieht anders aus.
Grundsätzlich zu begrüßen ist, dass der europäische Gesetzgeber bei den neuen Verpflichtungen, welche auf Service Provider mit dem DSA zukommen, versucht hat, eine möglichst angemessene Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Kategorien von Diensten vorzunehmen. Online-Marktplätze unterliegen anderen Pflichten als Suchmaschinen oder reinen Repositories. Sog. “Dark Pattern”, also irreführende Benutzerschnittstellen, werden hingegen gänzlich verboten. Außerdem wird der Größe des Diensteanbieters Rechnung getragen. Die Marke von 45 Millionen monatlich aktiven Nutzenden in der Europäischen Union soll hier die Weichenstellung vorgeben.
In letzter Minute Eingang in den DSA gefunden hat ein sog. Krisenmechanismus, dies als Reaktion auf die aktuellen Kriegshandlungen in der Ukraine. Vieles ist hier noch im Unklaren, doch soll der besagte Mechanismus von der Kommission auf Empfehlung eines Rates nationaler Koordinatoren für digitale Dienste aktiviert werden können. Ziel ist es, die möglichen Auswirkungen analysieren zu können, welche gerade größere Dienste auf derartige Krisen haben. Im Zweifel sollen Maßnahmen ergriffen werden können, um eine den Grundprinzipien des DSA zuwiderlaufende Einflussnahme zu verhindern respektive zu unterbinden.
Letztlich entscheidend wird sein, wie die diversen Hinweisgeber-, Melde- und Beschwerdeverfahren, die der DSA vorsieht, in die Praxis umgesetzt werden. Es wäre nichts gewonnen, wenn Service Provider viel Geld in Strukturen investieren müssten, die am Ende von den Nutzern nicht in Anspruch genommen werden. Dies etwa, weil die Mechanismen zu kompliziert, zu intransparent oder schlicht zu langwierig ausgestaltet sind. Anwenderfreundliche Lösungen werden benötigt. Gerade diese sind aber keineswegs trivial. Die rechtliche Bewertung, ob ein rechtsverletzender Inhalt vorliegt oder nicht, erfordert – abgesehen von ein paar “glasklaren” Fällen – oftmals eine komplexe Abwägung der wechselseitig betroffenen Interessen. Verlangt ist also nicht weniger als die Quadratur des Kreises.
RA Dr. Nils Rauer, MJI*
* | Jahrgang 1975. Studierte in Gießen und Warwick. Promotion zum europäischen Warenverkehr. Rechtsanwalt seit 2004. Partner der international beratenden Kanzlei Pinsent Masons. Regelmäßige Gastvorlesungen in Mainz, Frankfurt a. M., München, Warwick, Seoul, Berkeley. Beratungsschwerpunkte: Digitalisierung und Urheberrecht sowie Plattformstrukturierung und Entwicklung von Datenkonzepten. |