Im Telegrammstil nach Dubai
RA Dr. Jonas Kahl, LL.M.
Der Begriff “Telegramm” kommt ursprünglich aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie “Fernschrift”. Wer hätte ahnen können, dass diese Bedeutung noch einmal so passend wird, als sich 2013 in Russland ein Messenger-Dienst so benannte und fortan unter “Telegram” firmierte. Heute hat das Unternehmen seinen Sitz nicht mehr im fernen Russland, sondern im noch ferneren Dubai – und ist selbst schwer zu erreichen.
Denn wie weit entfernt Dubai selbst in Zeiten allumfassender Vernetzung über Messenger-Dienste sein kann, musste zuletzt schmerzlich das Bundesamt für Justiz erfahren: Seit Mitte vergangenen Jahres will es Telegram Dokumente zustellen, mit denen der Dienst auf verschiedene Verstöße nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) hingewiesen werden soll. Anfang dieses Jahres lag noch immer kein Zustellnachweis aus Dubai vor. Eine Übermittlung per gutem alten Fernschreiber wäre wohl zuverlässiger, aber letztlich auch nicht rechtskonformer gewesen.
Rechtskonformität und Telegram scheinen ohnehin das Yin und Yang der diesjährigen medienrechtlichen Diskussion zu sein. Schon die Frage, ob sich Telegram überhaupt an die NetzDG-Regeln halten muss, entzweit den Diskurs: Ursprünglich war Telegram lediglich ein Messenger-Dienst. Erst im Laufe der Zeit kamen Funktionen hinzu, die eher einem Sozialen Netzwerk zuzuordnen sind. Das NetzDG soll per definitionem aber nur für Plattformen gelten, die “dazu bestimmt” sind, soziale Netzwerke zu sein. Ist das bei Telegram der Fall und ist die Plattform heutzutage mehr als ein reiner Messenger-Dienst? Denn als solcher würde die App durch das Telekommunikationsrecht reguliert bzw. würde sie die Freiheiten eines Telekommunikationsdienstes genießen. Das NetzDG und diesbezüglich das Bundesamt für Justiz kämen nicht zum Zuge.
Derzeit scheint es aber ohnehin wenig gangbar, Telegram unmittelbar zu verpflichten: Zustellung und Anwendbarkeit des NetzDG vorausgesetzt, müsste sich Telegram den Regeln auch beugen wollen oder sanktioniert werden können. Liegt eine praktikablere und schnellere Lösung darin, die App-Stores einzubeziehen? Diese könnten Telegram grundsätzlich anmahnen, sanktionieren, befristet sperren, dauerhaft sperren etc. – die Möglichkeiten, hier Druck auszuüben, sind vielfältig.
Womit wir bei Apple und Google wären. Einig zu sein scheinen sich Politik und Rechtswissenschaft noch in dem Punkt, dass die App-Store-Betreiber eine wichtige Mittlerrolle zwischen Staat und Telegram einnehmen können, wenn es darum geht, die Plattform wissen zu lassen, nach welchen Regeln sie in Deutschland spielen soll. Uneinigkeit besteht hingegen darin, wie man dies an Google und Apple adressiert und welche Maßnahmen die App-Stores anschließend ergreifen sollen. Während aus der Politik zuletzt des Öfteren der Wunsch zu vernehmen war, sich mit Google und Apple an einen Tisch zu setzen, um schließlich zu erreichen, dass Telegram aus den App-Stores gelöscht wird, wäre der formaljuristische Weg ein anderer: Nach den Regelungen des Medienstaatsvertrages (MStV) unterliegen “Medienintermediäre”, zu denen auch App-Stores zählen, gewissen Diskriminierungsverboten und Transparenzpflichten. Das heißt, sie müssen möglichst alle Apps gleichbehandeln, dürfen keine App-Anbieter diskriminieren und müssen über die Behandlung der App-Anbieter sogar transparent Rechenschaft ablegen. Beaufsichtigt wird das Ganze von den jeweils zuständigen Landesmedienanstalten. Diese wären es, die Google und Apple an den Tisch bitten könnten, um sich erklären zu lassen, warum die App-Stores es zulassen, dass Telegram in steter Regelmäßigkeit gegen die Nutzungsbedingungen der Stores verstößt und so wenig gegen Hass, Hetze und Desinformation unternimmt. Es gibt für die Gespräche mit Apple und Google also durchaus auch einen offiziellen Dienstweg.
Welcher Weg auch immer als der erfolgversprechendere anzusehen sein mag: Zuletzt war zu vernehmen, dass Telegram wohl erste besonders radikale Kanäle gelöscht hat. Der Druck und der informelle Austausch scheinen also zu wirken.
Dennoch ist nicht zu erwarten, dass dieses Katz- und Mausspiel kurzfristig beendet werden wird. Übrigens auch nicht durch den Digital Services Act (DSA). Dieser wird zwar dabei helfen, die Regelungen für Plattformen und Soziale Netzwerke europaweit zu harmonisieren und die europarechtlichen Bedenken gegen das NetzDG und den MStV auszuräumen. Aber auch nach den dann geltenden neuen Regelungen wird ein Brief nach Dubai in Dubai erst einmal ankommen müssen, um Rechtsfolgen – welcher Art auch immer – auszulösen.
RA Dr. Jonas Kahl, LL.M.*
* | Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht in der Kanzlei SPIRIT LEGAL in Leipzig. Studium der Rechtswissenschaften in Leipzig, Rom und Mainz. Promotion bei Prof. Dr. Degenhart zu “Elektronischer Presse und Bürgerjournalismus”. Wiss. Mitarbeiter der Humboldt Law Clinic Internetrecht und von Prof. Dr. de la Durantaye. Referendariat in Berlin und Melbourne. Seit 2014 als Rechtsanwalt tätig. |