Der Brexit aus steuerlicher Sicht
Am 29. 3. 2017 unterrichtete das Vereinigte Königreich den Europäischen Rat über sein Vorhaben, die Europäische Union zu verlassen. Damit wurde das Verfahren nach Art. 50 des Vertrages über die Europäische Union (EUV) eingeleitet. Art. 50 Abs. 3 EUV statuiert, dass die Mitgliedschaft in der Europäischen Union zwei Jahre später endet. Nach derzeitigem Stand ist dies am 30. 3. 2019. Mögliche Übergangsregelungen werden derzeit noch verhandelt, das Ergebnis ist offen.
Bisher herrschte die Auffassung, dass diese Frist nur durch einen einvernehmlichen Beschluss der EU-Mitgliedstaaten verlängert werden kann. Der EuGH bestätigte jedoch am 10. 12. 2018 in dem vom Court of Session, Inner House, First Division (Scotland) eingeleiteten Vorabentscheidungsverfahren die Ansicht von Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona vom 4. 12. 2018 – Rs. C-621/18. Danach kann Großbritannien den Austrittsantrag einseitig und ohne Zustimmung der übrigen EU-Staaten zurückziehen. Ob Großbritannien davon Gebrauch machen wird, ist unklar. Sicher ist nur, dass Premierministerin Theresa May die Abstimmung über den Brexit-Vertrag im britischen Unterhaus vom 11. 12. 2018 auf unbestimmte Zeit verschoben hat.
Mit Eintreten des Brexit wird Großbritannien aus steuerlicher Sicht ein Drittstaat sein. EU-Grundfreiheiten und Steuervergünstigungen fallen weg.
In der Praxis ergibt sich zunächst das Problem der britischen Kapitalgesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland. Hierbei handelt es sich primär um die Rechtsformen der private limited company by shares und der public limited company. Zurzeit sind diese – basierend auf der Niederlassungsfreiheit – sowohl gesellschafts- als auch steuerrechtlich in Deutschland als Kapitalgesellschaften anerkannt. Kommt es nun zum Brexit, fällt die Niederlassungsfreiheit jedoch weg und es greift das rein nationale Recht in Form der modifizierten Sitztheorie: Aus deutscher Sicht sind die englischen Kapitalgesellschaften somit als deutsche Personengesellschaften zu behandeln.
Folglich besteht bis zum Austritt Handlungsbedarf, um die entstehenden Konsequenzen für Gesellschaft und Gesellschafter zu vermeiden. Neben der Umwandlung in eine SE mit Sitzverlegung nach Deutschland oder der Geschäftsübertragung auf eine deutsche Kapitalgesellschaft wird der grenzüberschreitende Formwechsel in eine deutsche Kapitalgesellschaft die Maßnahme der Wahl sein. Hierbei werden regelmäßig keine Ertrag_steuern und für den Fall von inländischem Grundbesitz auch keine Grunderwerbsteuer anfallen. Darüber hinaus sind steuerliche Verlustvorträge weiterhin nutzbar. Nichtsdestotrotz wird es stets einer genauen Prüfung im Einzelfall bedürfen, weil sich die dargestellten Lösungen bei der Governance unterscheiden.
Der Brexit wird auch zu Konsequenzen bei Erb- und Schenkungsfällen führen. Beispielhaft ist hier die Begünstigung von Betriebsvermögen anzuführen, weil es nach dem ErbStG einer Verbindung zur EU bzw. zum EWR bedarf. Ist Großbritannien jedoch als Drittstaat zu behandeln, so fehlt es an dieser Voraussetzung; es kommt zum Verlust der Begünstigungsfähigkeit. Auch auf den Lohnsummentest könnte es negative Auswirkungen geben, da die Beschäftigten und Lohnsummen von Beteiligungen an Personengesellschaften bzw. Anteilen an Kapitalgesellschaften in der EU bzw. im EWR berücksichtigt werden (§ 13a Abs. 3 Satz 10 ff. ErbStG). Dies kann zu Fällen führen, in denen die britischen Vergütungen zwar noch in die Ausgangssumme eingeflossen sind, bei der Mindestlohnsumme jedoch nicht mehr berücksichtigt werden. Diese Diskrepanz ist vom Unternehmen wirtschaftlich nicht zu verantworten. Hier besteht Handlungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers.
Untätigkeit kann man dem Gesetzgeber nicht vorwerfen. Am 9. 10. 2018 hat das BMF den Referentenentwurf eines Gesetzes über steuerliche Begleitregelungen zum Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU (Brexit-Steuerbegleitgesetz) veröffentlicht. Darin wird klargestellt, dass Großbritannien nach dem Austrittsstichtag wie ein Drittstaat behandelt werden wird und Sonderregelungen für spätere Sachverhalte nicht vorgesehen sind. Lediglich bereits realisierte Sachverhalte sollen besonderen Übergangsregeln unterworfen werden, um so negative Rechtsfolgen für die Steuerpflichtigen zu vermeiden, welche ohne deren Zutun entstehen würden. Ziel ist also, den Status quo zu _erhalten. Der Referen_tenentwurf sieht hierzu Ergänzungen bei § 4g EStG (Verhinderung der zwingenden Auflösung eines Ausgleichspostens) sowie bei § 22 UmwStG (keine Unterbrechung der Sperrfrist durch den Brexit) vor. Die Zusätze sollen dazu führen, dass allein der Austritt nicht ausreicht, um die jeweiligen Tatbestands_voraussetzungen eines steuerpflichtigen Vorgangs zu erfüllen. Bezüglich der Regelungen aus § 6 Abs. 5 AStG (Stundung der Wegzugsteuer) und § 12 Abs. 3 KStG _(Liquidationsbesteuerung) sieht das BMF jedoch keinen Handlungsbedarf. Eine Feststellung dahingehend, dass negative Rechtsfolgen nur ausgelöst werden, wenn der Steuerpflichtige aktiv tätig wird, wird hier als genügend angesehen.
Dem Thema “Brexit” kann momentan niemand entkommen. Egal ob Unternehmen oder Berater, es besteht ein Bedürfnis danach, endlich Klarheit zu erlangen, wie die Rechtswelt ab dem 30. 3. 2019 aussehen wird. Mit Blick auf die vor allem politische Unsicherheit bleibt Aufmerksamkeit das Gebot der Stunde.
Dr. Andreas RichterLL.M. (Yale), Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Berlin