Big Tech-Akquisitionen und EU-Fusionskontrolle . . .
. . . Quo vadis?
Am 27. 1. 2022 gab die Europäische Kommission die Übernahme von Kustomer durch Meta (vormals Facebook) frei (M.10262). Kustomer bietet CRM-Software an, mit der Unternehmen verschiedene Kanäle, über die sie mit ihren Endkunden kommunizieren, integrieren können. Dies betrifft neben Telefonie, E-Mail, SMS und Twitter auch Metas Messaging-Kanäle (WhatsApp, Messenger und Instagram Messaging). Wettbewerbliche Bedenken betrafen vorrangig eine mögliche Abschottung des Marktes für CRM-Software: Der Zugang zu Anwendungsprogrammierschnittstellen (APIs) für Metas Messaging-Kanäle könnte zulasten von Wettbewerbern beschränkt werden. Metas Zusage, für zehn Jahre einen freien Zugang zu den relevanten APIs sowie eine Gleichbehandlung hinsichtlich der Funktionalitäten der Meta-Messaging-Kanäle zu gewährleisten, stellte die Kommission allerdings zufrieden.
Die Kommission hat untersucht, geprüft, abgewogen, verhandelt und entschieden. Die Fusionskontrolle geht ihren normalen Gang: Business as usual? Stéphanie Yon-Courtin, MdEP und Berichterstatterin des ECON-Ausschusses für den Digital Markets Act (DMA), twitterte: “More and more data to digital giants . . . How many more will we need to address #killeracquisitions? [. . .] Right time to react #DMA!” Allerdings hatte die Kommission betont, Meta würde sich mit dieser Übernahme keine neuen Datenreservoirs erschließen. Die Grundsatzfrage aber bleibt: Genügt uns der geltende EU-Rechtsrahmen für Big Tech-Akquisitionen?
Nach Art. 12 des DMA-Vorschlags vom 15. 12. 2020 sollen designierte Gatekeeper verpflichtet werden, die Kommission über beabsichtigte Akquisitionen zu informieren. Das trifft sich mit der am 26. 3. 2021 von der Kommission veröffentlichten Handreichung zu Art. 22 FKVO, über den sie sich Zugriff auf diese Akquisitionen verschaffen möchte, die sich regelmäßig unterhalb des Radars der FKVO-Aufgreifschwellen vollziehen: Die Mitgliedstaaten mögen diese Zusammenschlüsse bitte nach Brüssel verweisen; dies unabhängig davon, ob sie nach nationalem Recht kontrollfähig sind. Im Mai 2021 kritisierten die französische, deutsche und niederländische Regierung (“Friends of an Effective DMA”) Art. 12 des DMA-Vorschlags als ambitionslos. Im Raume stand, die Pflicht zur Notifizierung nach der FKVO auszudehnen und die Beweisregeln für den SIEC-Test zu modifizieren. Wie die Position des Rates vom November 2021 zeigt, konnte sich diese Initiative dort nicht durchsetzen.
Die vom Europäischen Parlament am 15. 12. 2021 vorgeschlagenen Änderungen betreffen einmal Art. 12 des DMA-Vorschlags. Informationen über geplante Übernahmen soll die Kommissison an die nationalen Behörden weitergeben, damit diese eine Verweisung gemäß Art. 22 FKVO erwägen können. Interessanter ist ein anderer Vorstoß: Verletzt ein designierter Gatekeeper systematisch den DMA, soll ein (zeitlich begrenztes) Akquisitionsverbot verhängt werden können. Dies scheint vom Gedanken getragen, dass ein Gatekeeper, der die DMA-Regeln nicht respektiert, rigoros an einem weiteren Ausbau seiner Gatekeeper-Position gehindert werden müsse. Denn, so kann man fortdenken, ihm könne auch nicht vertraut werden, sollte er im Rahmen einer Fusionskontrolle verhaltensorientierte Abhilfemaßnahmen vorschlagen.
Die Aussichten dieser Vorschläge im Trilog sind unsicher. Ohnehin würden sie eine Reform der FKVO nicht ersetzen. Kaum mehr bestritten ist, dass Big Tech-Akquisitionen den Schutz offener und innovationsgetriebener Märkte besonders herausfordern. Ob es deshalb notwendig oder zumindest nützlich ist, den Maßstab der Fusionskontrolle zu modifizieren, mag im Auge des Betrachters liegen. Die Kommission wird jedenfalls ihren Blick auf diese Fälle weiter schärfen, aus Erfahrungen lernen und Einsichten in ihren Leitlinien zu konsolidieren haben. Dafür müssen diese Fälle aber auf dem Tisch der Kommission landen. Dies gewährleistet die “Art. 22-Route” nicht. Ob das von der Kommission propagierte Verständnis der Norm Bestand haben kann, wird das EuG im “Illumina”-Verfahren zu bewerten haben (Rs. T-227/21). Fragil bleibt die Route allemal: Eine binnenmarktweite Kontrollbefugnis setzt eine Verweisung durch die Wettbewerbsbehörden aller betroffener Mitgliedstaaten voraus. Hier schließt sich der Kreis zu “Meta/Kustomer”: Dem Verweisungsantrag Österreichs hatten sich neun Mitgliedstaaten angeschlossen – nicht jedoch in Deutschland, wo das Bundeskartellamt die Übername eigenständig geprüft und am 11. 2. 2022 freigegeben hat (B6-37/21).
Kommissarin Vestager und der Führungsstab der GD Wettbewerb scheinen sich darauf festgelegt zu haben, jede Reformdiskussion um die FKVO zu vermeiden. Erkennbar steckt den Akteuren die im Zuge der Untersagung der Fusion der Zugsparten von Alstom und Siemens (M.8677) von den Ministern Altmaier und Le Maire (“Friends of Industry”) ventilierte Präferenz für eine Lockerung und Politisierung der EU-Fusionskontrolle noch in den Knochen.
Allerdings haben sich seither Rahmenbedingungen geändert und Akzente verschoben. Die Kommission hat den Vorschlag für eine Verordnung “über den Binnenmarkt verzerrende drittstaatliche Subventionen” (COM(2021) 223 final) auf den Weg gebracht. Damit könnte einem Motiv für eine Abschwächung der Fusionskontrolle Wind aus den Segeln genommen werden. Der französischen Nationalversammlung liegt ein vom Senat verabschiedeter Gesetzesvorschlag vor, der die Fusionskontrolle für digitale Gatekeeper verschärfen würde. Die Beteiligten scheinen sich aber einig darin, dass den damit adressierten Herausforderungen besser auf EU-Ebene entgegengetreten werden sollte. Dem hat sich auch die Bundesregierung im Koalitionsvertrag verschrieben.
Ist es Frankreich und Deutschland damit ernst, täten sie gut daran, deutlich zu signalisieren, dass sich der Wind gedreht hat: Wer von der Kommission eine Initiative zur Erweiterung und Verschärfung der EU-Fusionskontrolle für Big Tech-Akquisitionen erwartet, sollte ihr den Rücken freihalten von Debatten um “European Champions”.
Prof. Dr. Jens-Uwe Franck, Universit_t Mannheim