Zufallsgewinnsteuer – Übergewinnsteuer?
Übergewinnsteuer weder rechtlich noch wirtschaftlich sinnvoll.
Erst war die Rede von der sogenannten Übergewinnsteuer für Mineralölkonzerne und andere Unternehmen, die überproportional von der Krise profitieren. Die Formel war recht einfach: Wer von der Energiekrise profitiert, soll auch mehr Steuern zahlen. Aus der Übergewinnsteuer wurde dann die sogenannte Zufallsgewinn-Abgabe. Lars Klingbeil formulierte: “Zufallsgewinne von großen Unternehmen können wir an die Menschen mit 1 500, 2 000 oder 3 000 Euro Einkommen umverteilen. Das ist auch eine Frage des sozialen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft. Alle müssen ihren Anteil leisten, damit wir gut durch diese herausfordernde Zeit kommen.” Gleich ob als Steuer oder Abgabe bezeichnet, die rechtssichere Ausgestaltung dürfte schwierig sein, so nachvollziehbar der Ansatz auch ist.
Zunächst wäre zu klären, was unter dem “Übergewinn” zu verstehen sein soll. Die Gewinndefinition enthält § 4 Abs. 1 EStG: Gewinn ist danach die Differenz zwischen dem Betriebsvermögen am Ende des Wirtschaftsjahrs und dem am Anfang des Wirtschaftsjahrs (Ende des vorhergehenden Wirtschaftsjahrs). Hier stellt sich das erste Problem: Wie soll der sog. “Übergewinn” vom “Normalgewinn” abgegrenzt werden? Der Rückgriff auf Erlös- bzw. Preisvergleiche mit Vorperioden ist methodisch fragwürdig, da der Vergleich stark von der Wahl der Referenzperioden abhängt. Mit Verweis auf Brümmerhoff (1975) kommt der Wissenschaftliche Dienst beim Bundesfinanzministerium zu der Auffassung, dass die Abgrenzung des “Übergewinns” rein willkürlich ist. Als weiteres Argument gegen die Einführung einer “Übergewinnsteuer” wird die Unsicherheit eines Marktein- und Marktaustritts genannt. Unternehmerisches Handeln orientiere sich am Gewinn. Da Perioden mit “Übergewinn” und “Untergewinn” anzutreffen seien, stelle sich die Frage, wie mit “Untergewinnen” umgegangen werden solle. Werde nur der “Übergewinn” abgeschöpft, habe dies unmittelbare Auswirkungen auf das unternehmerische Kalkül. Auch könnten bestimmte “Übergewinne” entstehen, weil viele Unternehmer beim Markteintritt scheitern, einige aber zu “unicorns” oder sogar Unternehmensgiganten werden. Dies könne am Beispiel der Pharmaunternehmen im Verlauf der Pandemie illustriert werden. Mehrere Unternehmen beteiligten sich an einem internationalen Wettlauf an der Entwicklung eines Impfstoffs gegen SARS-CoV-2. Innerhalb kürzester Zeit seien mehrere Impfstoffe entwickelt, zugelassen, produziert und verimpft worden. Aus der ex ante Sicht stellt sich für jedes Pharmaunternehmen die Frage, ob es in den Wettlauf eintreten soll. Aus ökonomischer Sicht sei dafür erforderlich, eine hohe Innovationsfähigkeit und Geschwindigkeit gegenüber den Konkurrenten aufzuweisen. Rechtlich dürfe kein Patentrennen vorliegen, da ein solches nur wenige Sieger produziert.
Eine weitere große Befürchtung ist die Nicht-Planbarkeit der Steuer und der Vertrauensverlust. Selbst bei Ausblendung sämtlicher Schwierigkeiten wie der Anreizprobleme und Definition führt die Besteuerung des “Übergewinns” zu einer “gewissen Willkür im politischen Prozess”. Auslöser der jetzigen Überlegungen ist eine nicht-antizipierbare Krise. Bei einem neuen Sachverhalt stellt sich dann die Frage, ob wieder eine nicht-antizipierbare Krise vorliegt. Damit wird der Willkür Tür und Tor geöffnet und die Problematik nur auf einen anderen Begriff verlagert. Zudem stellt sich in jeder Krise, die den Einsatz von finanziellen Mitteln erfordert, immer wieder die Frage der Einführung der “Übergewinnsteuer”, weil politischer Druck entsteht.
In steuerlicher Hinsicht darf nicht vergessen werden, dass auch der “Übergewinn” der Ertragsteuer unterfällt. Entweder der Körperschaftsteuer oder der Einkommensteuer und in jedem Falle auch der Gewerbesteuer. Der Staat ist mithin mit ca. 40 % Ertragsteuern am “Übergewinn” beteiligt. Hinzu kommt das ohne zusätzliche Leistung gestiegene Umsatzsteueraufkommen durch die Erhöhung der Umsätze wegen der gestiegenen Preise.
Die Besteuerung des “Übergewinns” führt zusätzlich zur Verstärkung der asymmetrischen Besteuerung von Gewinnen und Verlusten. Verluste lassen sich, möglicherweise je nach Einzelfall, nur begrenzt zurück- und vortragen. Investitions- und Innovationsanreize könnten so verringert werden.
Es lässt sich zusammenfassen, dass sich echte ökonomische Übergewinne nur sehr schwer ermitteln lassen, der Vergleich mit Zeitreihen rein willkürlich ist, wirtschaftliche Schwankungen asymmetrisch besteuert, unerwünschte Lenkungseffekte erzeugt werden, negative Auswirkungen auf die Innovationskraft zu befürchten sind, das Vertrauen in das Steuersystem – basierend auf Regelungsgebundenheit – leidet, Versprechen auf einmalige Einführung unglaubwürdig erscheinen und die Pläne zur Weiterentwicklung der Unternehmensbesteuerung konterkarieren.
Die EU hat nun unter großer medialer Betrachtung bekanntgegeben, dass eine Einigung auf eine Gewinnabschöpfung erzielt wurde. Nach ersten Mitteilungen sollen nicht nur Energieunternehmen sondern auch Öl-, Kohle-, Gasunternehmen und Raffinerien einen Teil der “Krisengewinne” an den Staat abgeben. Die “Solidarabgabe” soll 33 % auf den Gewinn betragen, der 20 % über dem Durchschnitt der vergangenen vier Jahre lag. Dies soll sich entweder auf Profite dieses oder des kommenden Jahres oder beider Jahre beziehen. Die EU-Kommission geht von einem Volumen von 140 Mrd. Euro aus, genaue Zahlen gibt es nicht. Das Geld, so die Verordnung, wird an die Haushalte und Betriebe als Entlastung gezahlt. Zur rechtlichen Bewertung dieser Ankündigung ist es sicher zu früh. Ob die EU-Regelung die oben angeführten Probleme löst, darf bezweifelt werden. Hinzu kommt: Wie verhält es sich mit der Zuständigkeit der EU?
Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen, Controlling und Compliance und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater.