Wieder einmal gutgegangen! – Entscheidung des BVerfG zur Europäischen Bankenunion
Sechs Jahre hat es gedauert, bis die Europäische Union 2014 endlich eine gemeinsame Antwort auf die Finanzkrise gefunden hat und diese heißt Europäische Bankenunion. Sofort nachdem die entsprechenden Verordnungen (Single Supervisory Mechanism und Single Resolution Mechanism) sowie das deutsche Zustimmungsgesetz verabschiedet waren, wurden dagegen – wie bisher gegen fast jede substanzielle integrationsfördernde Maßnahme der EU bzw. EZB – Klagen beim BVerfG eingereicht. Dieses hat nunmehr in seinen beiden Urteilen vom 30.7.2019 (BVerfG, 30.7.2019 – 2 BvR 1685/14, 2 BvR 2631/14, abrufbar unter www.betriebs-berater.de, BBL2019-1793-2) beide Säulen, d. h. die Beaufsichtigung der systemrelevanten Banken durch die EZB wie auch die Schaffung eines einheitlichen Bankenabwicklungsfonds als mit dem Grundgesetz – sowie en passant mit den EU-Verträgen – vereinbar bestätigt.
Dabei fragt man sich zunächst, warum deutsche Kläger es für notwendig halten, eine europäische Struktur anzugreifen, die mit dem erkennbaren Zweck geschaffen wurde, künftige Finanzkrisen, in denen die (deutschen und europäischen) Steuerzahler erneut “in Geiselhaft” für systemrelevante Bankinstitute genommen werden könnten, zu verhindern. Doch nichtsdestotrotz hat die “Ultra-vires-Doktrin”, die im Kern eine Überprüfung europäischer Rechtsakte am Maßstab des deutschen Grundgesetzes unter bestimmten (engen) Voraussetzungen zulässt, dazu geführt, dass die Gegner einer weiteren Integration sich dies – wenn immer möglich – zunutze machen. Das größte Problem für die im Fokus stehende Bankenaufsicht ist die damit verbundene latente Beeinträchtigung der erforderlichen Rechtssicherheit. Die Aufsicht durch die EZB hat inzwischen Fahrt aufgenommen und wird – nicht zuletzt in vielen der betroffenen Häuser – sowohl hinsichtlich Regulierungsintensität und Regulierungsstil kritisiert. Entgegen der deutschen Praxis des eher konsensorientierten Aufsichtsdialogs ist die Folge, dass inzwischen gegen zahlreiche Maßnahmen der EZB Klagen anhängig sind, und dies ist auch gut so, denn die Rechtsprechung von EuG und EuGH wird helfen, die (noch immer) neuen Vorschriften sowie das Zusammenwirken zwischen nationalen und europäischen Regulierern rechtssicher und transparent zu gestalten. Wie würde aber der Regulierungsrahmen der europäischen Finanzaufsicht aussehen, wenn im größten Mitgliedsland die Rechtsgrundlage verfassungswidrig wäre?
Unter diesen Rahmenbedingungen haben die Entscheidungen vom 30.7.2019 zu großer Erleichterung geführt. Auf der anderen Seite stand aber seit der OMT/Gauweiler-Entscheidung (BVerfG, 21.6.2016 – 2 BvR 2728/13, 1 BvR 2729/13, 2 BvR 2730/13, 2 BvR 2731/13, 2 BvE 13/13, BVerfGE 142, 123; dazu Schalast, BB 2016, 1667 ff.) fest, dass das BVerfG ohne ein Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH keine Verwerfungskompetenz in Anspruch nimmt. Dem EuGH wird somit die Möglichkeit eingeräumt, durch seine Interpretation des europäischen Rechts einen Verstoß gegen die Ultra-vires-Doktrin oder die Verfassungsidentität zu verhindern. Konsequent hat das BVerfG in der Entscheidung zur Bankenunion seinen inzwischen ausdifferenzierten Prüfkatalog konsequent durchsubsumiert. Zunächst verlangt es eine offensichtliche Kompetenzüberschreitung, und diese hat es bei den Verordnungen, die die Europäische Bankenunion begründet haben, und dem deutschen Zustimmungsgesetz nicht gesehen (BVerfG, 30.7.2019, a. a. O., Rn. 233 ff.). Darüber hinaus wurden eine Verletzung der Verfassungsidentität sowie ein Ultra-vires-Akt abgelehnt. Die neuen Aufsichtskompetenzen stärken eine effektive Bankenaufsicht im Binnenmarkt und – wohl noch wichtiger aus Sicht des Gerichts – belassen ausreichend Befugnisse, die auf nationalen Kompetenzzuweisungen beruhen, bei BaFin und Bundesbank. Dieses Zusammenwirken zwischen europäischer Aufsicht durch die EZB und nationalen Aufsichtsbehörden – weiterhin wird die weit überwiegende Anzahl von Banken national beaufsichtigt – war wohl das entscheidende Argument für die Zulässigkeit der Bankenunion. Doch an dieser Stelle fragt man sich, ob diese eher formale Betrachtungsweise der gelebten Bankenaufsicht noch entspricht.
Auch wenn das BVerfG damit insgesamt die Bankenunion und ihre Rechtsgrundlagen gestärkt hat, hat es aber in Leitsatz 4 noch einmal ausdrücklich das Grundprinzip der Ultra-vires-Rechtsprechung bestärkt: “Bundesregierung und Bundestag dürfen am Zustandekommen und einer Umsetzung von Sekundärrecht, das die Grenzen des Integrationsprogramms überschreitet, nicht mitwirken.” Damit werden auch in Zukunft weitere Integrationsschritte – wie gesagt nicht nur im Bereich der Bank- und Finanzaufsicht, sondern auch weit darüber hinaus – unter einen Prüfvorbehalt gestellt, den man als Solange III-Doktrin bezeichnen könnte.
Und die nächste Entscheidung steht schon ante portas, zeitgleich mit der Verkündung des Urteils zur Bankenunion wurde in Karlsruhe über das QE-Anleihekaufprogramm der EZB sowie das dazu ergangene Urteil des EuGH im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens höchst kritisch diskutiert. Insoweit steht jetzt die Möglichkeit im Raum, dass die EZB durch eine Verwerfung des Anleihekaufprogramms zu einem “zahnlosen Tiger” werden und insgesamt der Integrationsprozess geschädigt werden könnte. Doch auf der anderen Seite ist die Hürde hoch. Das BVerfG hat sich in seiner OMT-Entscheidung (BVerfG, 21.6.2016, a. a. O., Rn. 149) insofern selbst gebunden, als es ein Urteil des EuGH nur insoweit seiner Kontrolle unterwirft, wie es sich um eine “offensichtlich schlechterdings nicht mehr nachvollziehbare(n) und daher objektiv willkürliche(n) Auslegung der Verträge handelt”.
Prof. Dr. Christoph Schalast, RA, Notar, ist Managing Partner der Kanzlei Schalast Rechtsanwälte Notare in Frankfurt a. M. Schwerpunkte seiner Tätigkeit als Anwalt und Notar sind M&A, Real Estate sowie das Bank- und Finanzmarktrecht. An der Frankfurt School of Finance & Management leitet er den M&A Master-Studiengang (Abschluss LL.M.).