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BB 2018, I
Velte 

Vorlagebeschluss des FG Köln an das BVerfG: Verfassungswidrige Abzinsung von Pensionsrückstellungen gem. § 6a Abs. 3 S. 3 EStG?

Abbildung 1

Bei Pensionsrückstellungen sowie anderen langfristigen Rückstellungen muss der Zeitwert des Gelds durch Barwerte berücksichtigt werden. Nach welchen Referenzpunkten der Barwert ermittelt werden und wie hoch der Zinssatz sein soll, ist Gegenstand einer schon lang anhaltenden Diskussion. Ein am 19.12.2017 veröffentlichter Vorlagebeschluss des FG Köln vom 12.10.2017 zum Klageverfahren 10 K 977/17 hat sie nun neu entfacht. Seit dem Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) 2009 gibt es im Handels- und Steuerrecht zwei gegensätzliche Modelle: durchschnittlicher bzw. “atmender” Marktzins (HGB) versus Festzins von 6 % (EStG). Ein Maßgeblichkeitsprinzip gibt es hier nicht. Nach § 253 Abs. 2 S. 1 HGB 2009 war zunächst für Pensionsrückstellungen eine Durchschnittsbildung bei der Zinssatzermittlung über sieben Jahre vorgesehen. Maßgeblich sind seither die von der Deutschen Bundesbank ermittelten und monatlich publizierten Marktzinssätze (nach Rückstellungsabzinsungsverordnung, s. dazu Stapf/Elgg, BB 2009, 2134 ff.). Aufgrund der Niedrigzinsphase wurde mit dem Gesetz zur Umsetzung der Wohnimmobilienkreditrichtlinie 2016 eine Ausdehnung auf zehn Jahre beschlossen. Ferner gibt es in § 253 Abs. 2 S. 2 HGB eine Vereinfachungsregel, mit der pauschal der Rechnungszins bei unterstellter Restlaufzeit von 15 Jahren angewendet werden kann. Die handelsrechtlichen Zinssätze sind – im Gegensatz zu IAS 19, der die Heranziehung laufzeitadäquater Zinssätze für erstrangige Industrieanleihen (unternehmensindividueller Marktzins) einfordert – standardisiert und geglättet. Aufgrund dieser geringeren Manipulationsanfälligkeit verdient das HGB-Modell uneingeschränkte Zustimmung.

Steuerrechtlich wurde die Bewertung von Pensionsrückstellungen seit dem Steuerneuordnungsgesetz 1954 als Durchbrechung der Maßgeblichkeit in § 6a EStG geregelt. Dieser sah zunächst einen “Mindestzins” von 3,5 % bzw. ab dem Steueränderungsgesetz 1960 von 5,5 % vor. Nachdem der Mindestzins seit 1974 zu einem Festzins “mutierte”, wurde er mit dem Zweiten Haushaltsstrukturgesetz vom 22.12.1981 für Wirtschaftsjahre ab dem 1.1.1982 auf 6 % angehoben. Die damalige Anhebung war rein fiskalpolitischer Natur, um Vergünstigungen im Rahmen der Unternehmensbesteuerung abzubauen. Die Typisierung von 6 % würde, so der damalige Gesetzgeber, in der Regel im Rahmen der Renditeerwartungen liegen, die pensionspflichtige Unternehmen auf längere Sicht mit dem durch die Pensionsrückstellungen gebundenen Kapital erwirtschaften könnten. Dieser Festzins in § 6a Abs. 3 S. 3 EStG ist bis heute unverändert geblieben!

Das Fachschrifttum stellt seit vielen Jahren die Vereinbarkeit von § 6a EStG mit dem steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzip in Frage. Hierbei wird aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Überprüfung und Anpassung der Zinssatztypisierung nach § 6a Abs. 3 Satz 3 EStG unterstellt. Der aktuelle Vorlagebeschluss des FG Köln sieht eine Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des 6 %-Festzins für das Streitjahr 2015 vor. Im vorliegenden Fall betrug die Differenz zwischen der handels- und steuerrechtlichen Bewertung der Pensionsrückstellung ca. 2,4 Mio. Euro (bei einem HGB-Zins von ca. 3,89 % im Streitjahr 2015). Typisierte Zinssätze müssten sich, so das FG unter Verweis auf die BVerfG-Entscheidung vom 28.11.1984 (1 BvR 1157/82, BVerfGE 68, 287) in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenem Rahmen befinden. Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase habe sich der Festzins nach § 6a EStG weit von der Realität entfernt, sodass sich eine gesetzgeberische Überprüfungs- und Anpassungspflicht ergebe. Da der Gesetzgeber dies bislang versäumt habe, verstoße die Regelung gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Zudem hat der Senat grundsätzliche Bedenken gegen die Aufrechterhaltung des Festzinsmodells. Für eine zeitnahe Abbildung der wirtschaftlichen Realitäten spreche vielmehr das “atmende” Marktzinsmodell nach HGB.

Fazit: Der Gesetzgeber hatte bereits im Zuge des BilMoG die Chance vertan, das steuerrechtliche Festzinsmodell an das durchschnittliche Marktzinsmodell nach HGB anzugleichen. In der dauerhaften Niedrigzinsphase führt das Festzinsmodell nach § 6a EStG zu einer systematischen Unterbewertung von Pensionsrückstellungen, die rein fiskalpolitisch motiviert ist. Der damit verbundene Anstieg des steuerpflichtigen Einkommens steht im Widerspruch zum steuerlichen Leistungsfähigkeitsprinzip. Die Verfassungswidrigkeit des § 6a Abs. 3 S. 3 EStG hat der 10. Senat des FG Köln vollkommen zu Recht herausgestellt. Es bleibt mit Spannung abzuwarten, wie das BVerfG entscheiden wird. Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens sollte der Gesetzgeber zeitnah das steuerrechtliche Festzinsmodell zugunsten der HGB-Verfahrensweise aufgeben und eine Renaissance des Maßgeblichkeitsprinzips für die Bewertung von Pensionsrückstellungen einläuten. Ein analoges Vorgehen bietet sich im Übrigen auch für den derzeitigen 5,5 %-Festzins von Rückstellungen für langfristige Verbindlichkeiten (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 EStG) und sonstige Rückstellungen (§ 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG) an, der im Kern auf das Reichsbewertungsgesetz 1934 zurückgeht! Eine Anpassung ist auch da dringend geboten.

Prof. Dr. Patrick Velte hat die Professur für Accounting & Auditing an der Leuphana Universität Lüneburg inne. Seine Forschungs- und Lehrtätigkeit umfasst die (inter)nationale Rechnungslegung, Abschlussprüfung und die Sustainable Corporate Governance. Zudem ist er Mitglied der “Forschungsgruppe anwendungsorientierte Steuerlehre” (FAST).

 
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