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BB 2020, I
Reuter/Redenius-Hövermann/Strenger 

Verbandssanktionen: Ein falscher Aufschlag!

Die Bundesregierung hat am 16.6.2020 den vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gemäß Koalitionsvereinbarung vorgelegten Entwurf des Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft beschlossen. Wesentlicher Bestandteil des Entwurfs ist das in Art. 1 geregelte Verbandssanktionengesetz (VerSanG). Darin werden juristische Personen u. a. mit drastischen Geldbußen für Straftaten belegt, die Manager aus dem Unternehmen heraus begehen (s. dazu Nolte/Michaelis, BB 2020, 1154). Betrachtet man das Vorhaben aus der Perspektive des Gesellschafts- und des zivilen Haftungsrechts, so stellt sich allerdings die Frage, ob die Sanktionen nicht nur wirkungslos sind, sondern genau die Falschen treffen.

Der Hintergrund: Unternehmen können für Straftaten ihrer Manager bisher nur per Ordnungswidrigkeit mit begrenztem Bußgeldrahmen geahndet werden. Jetzt soll der Sanktionsrahmen für größere Unternehmen auf bis zu 10 % des Konzernumsatzes angehoben werden. Ferner sollen Unternehmen für derartige Straftaten ihrer Manager grundsätzlich immer verfolgt werden, nicht mehr nur, wenn dies angemessen erscheint.

Vorrangiger Zweck von Bußen ist es, menschliches Verhalten zu steuern (Abschreckung). Nun ist ein Verband (AG, GmbH, KG etc.) nur ein Stapel Papier beim Notar. Weil Bewusstseinsbildung und -veränderung in Köpfen und nicht in Bilanzen stattfinden, müssen Gesetzgeber und Strafverfolger sich auf die Verursacher konzentrieren, da sonst die Falschen – Anteilseigner und auch Mitarbeiter – getroffen werden. Dass es realitätsfern ist, die Anteilseigner durch Verbandssanktionen steuern zu wollen, zeigt sich in der AG am deutlichsten: Das Gesetz schneidet sie von der Geschäftsführung ab. Dennoch sind die Aktionäre die wirklich Betroffenen, da Gerichte keinen wirksamen Regress gegen die Verantwortlichen ermöglichen; sie können sich gegen die Bußen auch nicht versichern. Hieran ändert der Gesetzentwurf nichts. Der Entwurf berücksichtigt auch nicht die mannigfachen Prinzipal-Agent-Konflikte bei Rechtsverstößen. In der Tat trifft der Entwurf daher die Falschen, verfehlt sein Ziel und verletzt auch die Grundrechte der Anteilseigner. Wir meinen (s. dazu ausführlich den Beitrag der Verf., ZIP 2020, 1160 ff., oder https://goerg-compliance.de/):

  • Die Grundannahme des Gesetzes, dass die Täter keinen persönlichen Vorteil verfolgen, sondern dies nur für das Unternehmen tun, ist nicht haltbar.

  • Das VerSanG vernachlässigt die gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten, insbesondere das Delegationsprinzip, das Haftungs- und das Versicherungsrecht. Strafen können verhaltenssteuernde Wirkung nur bei denen entfalten, die das Verhalten steuern.

  • Es leuchtet nicht ein, dass Unternehmenssanktionen selbst dann nicht sicher ausgeschlossen sind, wenn die zuständigen Gesellschaftsorgane eine angemessene Compliance-Organisation eingerichtet haben.

  • Das erklärte Ziel des Gesetzes, die Integrität der Wirtschaft zu stärken, wird durch die fehlende Einbeziehung der Verantwortlichen verfehlt. All dies bestätigen auch neuere empirische Untersuchungen; das BMJV arbeitet mit überholten Prämissen.

  • Das geplante Gesetz verletzt wesentliche Grundrechte der Anteilseigner. Der Staat durchbricht bei der Sanktionshöhe das juristische Trennungsprinzip, um effektive Rechtsdurchsetzung zu betreiben. Effektive Rechtsdurchsetzung verlangt dann aber nach effektivem Grundrechtsschutz.

  • Das Gesetz sollte die Frage der Regressansprüche gegen die verantwortlichen Personen regeln, einschließlich sinnvoller Begrenzung der maximalen Haftung.

  • Der Gesetzesentwurf erlaubt der Staatsanwaltschaft, sich der erforderlichen Aufklärungsarbeit der Organe gegen das Unternehmen zu bedienen. Dies untergräbt die Wahlfreiheit des Unternehmens, entweder zu kooperieren oder sich zu verteidigen.

  • Es widerspricht dem Rechtsempfinden, Unternehmen keine Sicherheit zu geben, sanktionsfrei auszugehen, wenn sie bei der Aufklärung gutgläubig und nach Kräften mitgewirkt haben. Auch dies unterminiert die Wahlfreiheit des Unternehmens, sich nach Kräften gegen Vorwürfe zu verteidigen.

  • Ein mit dem Legalitätsprinzip versehenes, um sinnvolle Strafzumessungen erweitertes OWiG mit Anerkennung von nachhaltig wirkenden Complianceverbesserungen würde den Gesetzesintentionen weit besser entsprechen.

Fazit: Falls das VerSanG wirklich gemäß Koalitionsvereinbarung umgesetzt werden soll, bedarf es erheblicher Korrekturen, um ernsthafte Verhaltensänderungen zu erreichen und nicht die Falschen zu treffen!

Prof. Dr. iur. Alexander Reuter, Attorney-at-Law (New York), Rechtsanwalt in Köln und Partner bei GÖRG Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB.

Prof. Dr. iur. habil. Julia Redenius-Hövermann, LL.M., Professorin für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Frankfurt School of Finance and Management.

Prof. Christian Strenger, akademischer Direktor des Center for Corporate Governance an der HHL Leipzig Graduate School of Management und Gründungs­mitglied der Regierungskommission Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK).

 
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