Sanierung, Restrukturierung und Steuern: Ende gut, alles gut?
Am 28. März 2019 hat das Europäische Parlament die Richtlinie über präventive Restrukturierungsrahmen, die zweite Chance und Maßnahmen zur Steigerung der Effizienz von Insolvenzverfahren (COM (2016) 723 final) beschlossen (vgl. Lange/Swierczok, BB 2019, 514 ff.), der der Rat am 6. Juni 2019 zugestimmt hat (https://www.consilium.europa.eu/de/press/press-releases/2019/06/06/giving-entrepreneurs-a-second-chance-new-rules-on-business-insolvency-adopted/). In dieser Richtlinie, die nunmehr von den Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren umzusetzen ist, finden sich steuerrechtliche Regelungen in Bezug auf die Erträge aus der Sanierung und Restrukturierungen nicht. Gleichwohl tauchen die Finanzbehörden in der Richtlinie auf. So sollen die Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 Restrukturierungsrichtlinie Frühwarnsysteme einrichten, die Anreize nach nationalem Recht für Dritte, die über relevante Information über den Schuldner verfügen, schaffen, ihn auf negative Entwicklungen aufmerksam zu machen. Hier sind insbesondere die Steuerbehörden und Sozialversicherungsträger genannt, was auf den ersten Blick an die außer Mode gekommenen Liquiditätsprüfungen durch die Finanzverwaltung erinnert, die regelmäßig kontraproduktiv – zumindest aus der Sicht der Finanzverwaltung – zur erleichterten Geltendmachung von insolvenzanfechtungsrechtlichen Rückgewähransprüchen geführt haben. Darüber hinaus soll nach Erwägungsgrund 33 der Restrukturierungsrichtlinie eine Verweigerung der Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen erfolgen können, wenn der Schuldner für zahlungsunfähige Schuldner typische Verhaltensweisen an den Tag legt, worunter der Richtliniengeber erhebliche Zahlungsrückstände gegenüber Finanzbehörden oder Sozialversicherungsträgern vermutet.
Der Rechtsanwender könnte nunmehr auf die Idee kommen, dass es einer Regelung der durch Sanierung und Restrukturierung entstehenden Buchgewinne nicht bedarf. In Deutschland sind nach dem spektakulären Schlagabtausch zwischen BMF und BFH (vgl. Lenger, NZI 2018, 347 ff.; Schüppen, ZIP 2017, 752 ff.; Uhländer, DB 2017, 923 ff.; Uhländer, DB 2017, 1224 ff.; Schmittmann, StuB 2018, 515 f.) die Regelungen über die Steuerfreiheit von Sanierungserträgen in Kraft getreten. Damit hat der Gesetzgeber praktisch den alten, vom BFH als verfassungswidrig bezeichneten Sanierungserlass aus dem Jahre 2003 in Gesetzesform gegossen. Voraussetzungen für die Steuerfreiheit gemäß § 3a Abs. 1 S. 1 EStG ist das Vorliegen eines Sanierungsertrags. Die dafür erforderliche unternehmensbezogene Sanierung liegt gemäß § 3a Abs. 2 EStG vor, wenn der Steuerpflichtige für den Zeitpunkt des Schuldenerlasses die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des betrieblich begründeten Schuldenerlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger nachweist. Dies dürfte auch in einem Verfahren, wie es die Restrukturierungsrichtlinie anstrebt, gegeben sein.
Problematisch sind freilich zwei unterschiedliche Fallgestaltungen, die bislang in Deutschland nicht geregelt sind. Zwar stellt § 3a Abs. 5 S. 1 EStG Erträge aus einer nach den §§ 286 ff. InsO erteilten Restschuldbefreiung, einem Schuldenerlass aufgrund eines außergerichtlichen Schuldenbereinigungsplans zur Vermeidung eines Verbraucherinsolvenzverfahrens oder aufgrund eines gerichtlichen Schuldenbereinigungsplans der unternehmensbezogenen Sanierung dahin gleich, dass auch hier Steuerfreiheit gewährt wird, obgleich es sich nicht um eine unternehmensbezogene Sanierung handelt, weil schon kein Unternehmen mehr vorliegt oder auch nie vorgelegen hat. Nicht geregelt hat der deutsche Gesetzgeber die Konstellation, in der ein Insolvenzplan beschlossen und durchgeführt wird, der die Liquidation des Unternehmens zum Gegenstand hat und es somit am Merkmal der unternehmensbezogenen Sanierung gemäß § 3a Abs. 2 EStG fehlt.
Zudem ist eine betriebliche Veranlassung des Schuldenerlasses erforderlich, was fraglich ist, wenn Gesellschafter einen erfolgswirksamen Sanierungsbeitrag leisten. Es wird allgemein angenommen, dass § 3a EStG nicht anwendbar ist, wenn der Schuldenerlass durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist (so Blümich/Krumm, EStG, 146. Aufl., 2019, § 3a EStG Rn. 26).
Der Gesetzgeber, der nunmehr zügig mit der Umsetzung der Richtlinie beginnen muss, sollte die Chance nutzen und zugleich – neben allen anderen erforderlichen Änderungen im deutschen Recht – auch bei der Regelung des § 3a EStG nachbessern. Dies betrifft zum einen die Einbeziehung von Insolvenzplänen, die nicht zu einer unternehmensbezogenen Sanierung führen, und zum anderen die Einbeziehung von Gesellschafterdarlehen.
Nicht zu verkennen ist, dass es sich – sofern es eine Neuregelung geben sollte – wieder nur um einen Tropfen auf den heißen Stein handeln wird, da es nach wie vor an einer gesetzlichen Regelung des Insolvenzsteuerrechts fehlt. Die Rufe aus der Literatur nach einer legislativen Verzahnung von Insolvenz- und Steuerrecht (vgl. Graf-Schlicker, FR 2014, 744, 746; Anzinger, EWiR 2015, 777, 778, Rendels, INDat Report 3/2016, 64, 66) sind bislang ungehört verhallt.
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.