Modernisierung des Schiedsverfahrensrechts auf dem Weg
Deutschland als Schiedsstandort ist besser als sein Ruf; eine Reform ist gleichwohl sinnvoll.
Deutschland ist ein attraktiver Schiedsort, auch für ausländische Unternehmen. Hiesige Schiedsrechtler – einschließlich des Verfassers – sind sich da einig. Bekanntlich muss aber der Köder nicht dem Angler schmecken. Und im Wettbewerb um grenzüberstreitende Schiedsverfahren beißen die Fische an Standorten wie London, Paris, New York, Genf und zunehmend Singapur einfach besser. Ausländische Unternehmen kommen selten auf die Idee, in ihren Verträgen – wenn schon ein heimischer Gerichtsstand nicht durchsetzbar ist – einen deutschen Schiedsort zu vereinbaren. Auf der internationalen Bühne der Schiedsgerichtsbarkeit spielt Deutschland daher nur eine kleine Rolle.
An der Qualität des deutschen Schiedsverfahrensrechts liegt dies eher nicht. Denn dieses entspricht grosso modo den internationalen Standards. Auch steht es der Führung eines dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Verfahrens zumindest nicht im Wege. Freilich wird bislang die Feinjustierung an neue technische Möglichkeiten den Schiedsvereinbarungen und den Regulativen der Schiedsinstitutionen überlassen.
Ein Teil dieser Feinjustierungen könnte nun bald in die Zivilprozessordnung (ZPO) überführt werden. Denn das Bundesjustizministerium (BMJ) hat ein Eckpunktepapier zur Reform des Schiedsverfahrensrecht vorgelegt mit dem Ziel, es durch Modernisierung an die Bedürfnisse der heutigen Zeit anzupassen und zugleich die Attraktivität Deutschlands als Schiedsstandort zu stärken. Die Initiative ist sinnvoll. Denn zum einen gilt: Das Bessere ist der Feind des Guten. Zum anderen verhindern klarstellende Regelungen Rechtsunsicherheit, die bei Schiedsverfahren oft verbunden sind mit der Sorge vor einer etwaigen späteren Aufhebung des Schiedsspruchs und daher lähmend wirken können. Aus der Sicht des Rechtsdienstleistungsmarktes hat die Reform auch Marketingwert. Viele Staaten haben ihr Schiedsverfahrensrecht in den letzten Jahren modernisiert. Da will – und sollte – Deutschland nicht zurückstehen.
Bei der Erarbeitung eines entsprechenden Gesetzesentwurfs will das BMJ zwölf Eckpunkte zugrunde legen, von denen man die nachstehenden als besonders interessant einordnen kann:
-
Für Schiedsverfahren, an denen mehr als zwei Parteien teilnehmen, soll eine gesetzliche Regelung für die Bestellung der Schiedsrichter eingeführt werden.
-
Befindet sich ein Schiedsgericht durch Zwischenentscheid für unzuständig, soll dies zukünftig durch das Oberlandesgericht überprüft und die entsprechende Entscheidung gegebenenfalls gerichtlich aufgehoben werden können.
-
Mündliche Verhandlungen vor Schiedsgerichten sollen per Videokonferenz durchgeführt werden können, wenn die Parteien nichts anderes vereinbart haben. Das ist an sich nichts Neues, sofern sich die Parteien einig sind. Ungeklärt ist aber, wie die Rechtslage bei Uneinigkeit ist. Nach einer 2022 erschienenen ICCA-Studie gibt es in 78 untersuchten Jurisdiktionen nur zwei, in denen das Schiedsgericht ausdrücklich ermächtigt wird, eine virtuelle Verhandlung anzuordnen. Hier wäre Deutschland also Vorreiter; zugleich wäre eine solche Regelung ein Beitrag zur Effizienzsteigerung bei gleichzeitiger Rechtssicherheit.
-
Es soll zulässig sein, dass bei Anträgen auf Vollstreckbarerklärung oder Aufhebung von Schiedssprüchen sowohl der Schiedsspruch selbst als auch die begleitenden Schriftstücke in englischer Sprache vorgelegt werden können.
-
Sofern Bundesländer Commercial Courts einführen, sollen diese für Anträge auf Vollstreckbarerklärung oder Aufhebung von Schiedssprüchen für zuständig erklärt werden können. Das Verfahren soll – im Einverständnis mit den Parteien – in englischer Sprache möglich sein.
-
Es soll ein außerordentlicher Rechtsbehelf zur Beseitigung bereits bestandskräftiger inländischer Schiedssprüche eingeführt werden, die an sehr erheblichen Mängeln leiden.
Über diese Eckpunkte hinaus spricht das Papier des BMJ einige Punkte an, die noch ergebnisoffen diskutiert werden sollen. Dazu zählt etwa, dass geprüft werden soll, ob ein Eilschiedsrichter (emergency arbitrator), wie ihn manche institutionelle Schiedsordnungen (z. B. Art. 29 ICC Rules) bereits kennen, auch in der ZPO verankert werden soll. Weiter soll geprüft werden, ob dort auch eine Regelung zur Zulässigkeit von Sondervoten (dissenting opinions) aufgenommen werden soll. Solche Sondervoten sind in der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit nicht unüblich. Insbesondere aufgrund eines obiter dictum in einer jüngeren Entscheidung des OLG Frankfurt a. M. (16.1.2020 – 26 Sch 14/18, IWRZ 2020, 233, GWR 2020, 301 mit Besprechung Korte) ist aber fraglich, ob diese nach deutschem Zivilprozessrecht zulässig sind oder gegebenenfalls sogar einen Aufhebungsgrund darstellen können.
Das Eckpunktepapier lässt auf eine sinnvolle Reform hoffen. Hätte der Verfasser einen Wunsch frei, wäre dies zusätzlich eine Klarstellung in § 1051 Abs. 1 ZPO, dass die Parteien frei sind, in Kombination mit einer Schiedsvereinbarung die Anwendbarkeit von deutschem materiellen Recht zu regeln, nicht aber des für B2B-Konstellationen zu strengen AGB-Rechts der §§ 305 ff. BGB (hierzu s. vor allem Pfeiffer, NJW 2012, 1169 ff.; jüngst Westphal/Korte, Vertriebsrecht, 2. Aufl. 2023, Kap. 3 Rn. 44 ff.). Denn das deutsche AGB-Recht engt die Vertragsfreiheit zu sehr ein und ist auch einer der Gründe, die ausländische Unternehmen davon abhält, sich für eine Verständigung auf die Anwendung deutschen Rechts zu entscheiden.
Oliver Korte, RA, FA für Handels- und Gesellschaftsrecht, ist Partner bei SKW Schwarz. Er berät und vertritt Unternehmen im nationalen und internationalen Handels- und Vertriebsrecht und wird in entsprechenden Streitigkeiten regelmäßig auch als Schiedsrichter tätig.