Investitionsschutz in Gefahr
Die Rolle Deutschlands als Garant des Völkerrechts im Allgemeinen und des Investitionsschutzes im Besonderen ist in Gefahr.
Noch im Sommer des vergangenen Jahres stand eine Reform des Schutzes von Investitionen im Energiesektor vor einem Durchbruch: Die Vertragsparteien des Vertrags über die Energiecharta (Energy Charter Treaty, ECT) hatten jahrelange Verhandlungen zur Modernisierung des ECT abgeschlossen und ein “Agreement in Principle” erzielt, mit dem der ECT in Einklang mit den Anforderungen des Paris Agreement gebracht werden sollte, indem neue Technologien wie Wasserstoff, Biomasse, Biogas oder synthetische Kraftstoffe in die durch den ECT geschützten Investitionen aufgenommen werden sollten. Ferner sollte den Vertragsstaaten das Recht eingeräumt werden, Investitionen in fossile Energien auf ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet vom Investitionsschutz des ECT auszunehmen. Auch die Bundesregierung hatte im Sommer 2022 eine neue Handelspolitik verabschiedet, in der sie sich zur Reform des ECT bekannt hatte.
Nur ein Jahr später haben sich die Vorzeichen umgekehrt: Bereits im November 2022 hat die Bundesregierung eine beachtliche Kehrtwendung vollzogen und in einer “Weiterentwicklung” ihrer neuen Handelspolitik den Austritt aus dem ECT angekündigt, den sie im März 2023 mit Wirkung zum 21.12.2023 erklärt hat, wobei der Investitionsschutz aufgrund der sog. “Sunset Clause” in Art. 47 Abs. 3 ECT für Investitionen, die vor dem Austritt getätigt wurden, noch für weitere 20 Jahre gelten wird. Gemeinsam mit Frankreich, Spanien und den Niederlanden hat die Bundesregierung gleichzeitig im Europäischen Rat die Reform des ECT blockiert. Auf den Druck dieser Mitgliedstaaten hin hat die Europäische Kommission nun am 7.7.2023 einen koordinierten Austritt aller Mitgliedstaaten vorgeschlagen.
Als Ersatz für den bewährten multilateralen Investitionsschutz des ECT sollen nach dem Willen der Bundesregierung neue Investitionsabkommen dienen. In diesen Abkommen soll der Investitionsschutz allerdings auf den Schutz vor direkter Enteignung und auf Inländergleichbehandlung beschränkt werden, außerdem soll das “right to regulate” der Staaten gestärkt werden. Damit wird der Schutzstandart für Investoren im Vergleich zu dem etablierten Investitionsschutz im ECT erheblich abgesenkt und Investorenrechte beschnitten.
Gleichzeitig gibt es eine zweite aktuelle Entwicklung, die die Rechte von Investoren im Energiesektor gefährdet: Am 27.7.2023 hat der BGH in drei parallelen Verfahren entschieden (I ZB 75/22, I ZB 74/22, BB 2023, 1857, Ls., I ZB 43/22, BB 2023, 1857, Ls.), dass Mitgliedstaaten der EU vorgelagerten Rechtsschutz gegen Intra-EU Schiedsverfahren in Anspruch nehmen können, den Investoren aus anderen EU-Mitgliedstaaten auf Grundlage des ECT vor dem International Centre for Settlement of Investment Disputes (ICSID) nach der ICSID-Convention eingeleitet haben. Der BGH hat in diesem Zuge entschieden, dass solche Schiedsverfahren nach § 1032 Abs. 2 ZPO unzulässig sind, da sie angeblich gegen EU-Recht verstoßen. Damit will der BGH der stark umstrittenen Rechtsprechung des EuGH folgen, der in den Rechtssachen Achmea (EuGH, 6.3.2018 – C-284/16, RIW 2018, 200) und Komstroy (EuGH, 2.9.2021 – C-741/19, RIW 2021, 661, entschieden hatte, dass sowohl Schiedsklauseln in bilateralen Investitionsschutzabkommen zwischen EU-Mitgliedstaaten als auch die Schiedsklausel in Art. 26 ECT im Rahmen von Intra-EU Schiedsverfahren gegen Unionsrecht verstoßen.
Diese Entscheidungen des BGH, die vordergründig Europarecht umsetzen sollen, stellen einen bemerkenswerten Bruch mit der völkerrechtsfreundlichen Rechtsprechungstradition deutscher Gerichte dar. Denn der Investitionsschutz im ECT und nach der ICSID-Convention ist so ausgestaltet, dass nationale Gerichte gerade nicht Schiedssprüche von ICSID-Schiedsgerichten überprüfen können. Vielmehr haben sich die Vertragsstaaten des ECT verpflichtet, solche Schiedssprüche unmittelbar und ohne erneute Überprüfung durch nationale Gerichte anzuerkennen und wie innerstaatliche Urteile zu vollstrecken. Dies ist ein tragender Grundpfeiler des Investitionsschutzes, der bewusst umfassend auf die völkerrechtliche Ebene verlagert wurde. Mit einer verfassungsrechtlich zweifelhaften Begründung hat der BGH nun über eine analoge Anwendung von § 1025 Abs. 2 ZPO seine Zuständigkeit gegen den klaren Wortlaut der ZPO, des ECT und der ICSID-Convention begründet.
Damit hat Deutschland innerhalb nur eines Jahres seine Rolle als Garant des Völkerrechts im Allgemeinen und des Investitionsschutzes im Besonderen in Gefahr gebracht. Dies ist gerade in der aktuellen weltpolitischen Lage, in der Deutschland nach der von der Bundesregierung aufgrund des völkerrechtswidrigen Überfalls der Russischen Föderation auf die Ukraine ausgerufenen “Zeitenwende” zu Recht die Verbindlichkeit und Verlässlichkeit internationalen Rechts betont, eine höchst beunruhigende Entwicklung.
Gerade der in den letzten zwölf Monaten beschlossene beschleunigte grundlegende Umbau der deutschen Energieversorgung erfordert erhebliche Investitionen: So haben beispielsweise die im Sommer 2023 von der Bundesnetzagentur durchgeführten Ausschreibungsverfahren für den Bau neuer Offshore-Windparks Zuschläge mit Gebotswerten von insgesamt über 13 Mrd. Euro erbracht. Dabei handelt es sich wohlgemerkt nur um Zahlungsverpflichtungen der Investoren an die Übertragungsnetzbetreiber und an den Bundeshaushalt; für den Bau und die Inbetriebnahme dieser Windparks sind weitere Investitionen in ähnlicher Höhe notwendig. Die Ausschreibungsergebnisse zeigen auch, dass diese Investitionen überwiegend von internationalen Investoren getätigt werden. Dieser Befund unterstreicht, dass für ein Gelingen der Energiewende nicht weniger, sondern mehr Investitionsschutz erforderlich ist. Denn Deutschland und Europa stehen im Wettbewerb um Investitionen in die Energieinfrastruktur.
Die Bundesregierung und die Gerichte sind daher nun aufgerufen, diesen Investitionsschutz auch nach dem Austritt Deutschlands aus dem ECT wirksam zu gewährleisten.
Sebastian Lutz-Bachmann, LL.M., Maître en droit, RA, bei Posser Spieth Wolfers & Partners und Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er berät zum Verwaltungs-, Verfassungs-, Europa- und Völkerrecht und vertritt nationale und internationale Mandanten in komplexen Prozessen vor sämtlichen nationalen Gerichten, dem Europäischen Gerichtshof sowie in Schiedsverfahren.