Im Blickpunkt
Das unten mit dem Entscheidungstenor dokumentierte EuGH-Urteil vom 11.2.2021 (Rs. C-760/18) beschäftigt sich wieder einmal mit dem “immergrünen” Thema des Anwendungsvorrangs von EU-Recht (in umfassendem Sinne) gegenüber dem nationalen Recht (ebenfalls in umfassendem Sinne). Auch Deutschland hat schon manche “cause celebre” in dieser Hinsicht erlebt. Man erinnere sich in diesem Zusammenhang nur an die Reaktionen, als der EuGH Teile des deutschen Urlaubsübertragungsrechts im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung in neue Formen goss (beginnend mit EuGH, BB 2009, 213; wenig begeistert damals u. a.: Gaul/Josten/Strauf, BB 2009, 497). Im vorliegenden Fall traf es die griechische Verfassung. Die Kläger des Ausgangsverfahrens waren von der griechischen Gemeinde A. mit befristeten Arbeitsverträgen als Reinigungskräfte eingestellt worden. Die Verträge wurden mehrfach befristet verlängert. Die Kläger machen eine missbräuchliche Kettenbefristung geltend und verlangen die Entfristung ihrer Verträge, wobei sie sich auf die einschlägigen EU-Vorschriften zur Befristung berufen. Der Knackpunkt: Die griechische Verfassung verbietet ausdrücklich die Entfristung im öffentlichen Sektor. Der EuGH stellt klar, dass die unionsrechtskonforme Auslegung auch nicht vor Verfassungsnormen Halt macht. Dies ist an sich keine Neuigkeit, sondern entspricht langjähriger EuGH-Rechtsprechung. Daher betrifft diese Rechtsprechung auch das deutsche Verfassungsrecht. Eine andere Frage ist dann, wie das BVerfG damit umgehen wird; man denke nur an den Streit um das Anleihe-Kaufprogramm der EZB (zuletzt BVerfG, BB 2020, 1089, RIW 2020, 430).
Dr. Roland Abele