Im Blickpunkt
Das BAG entschied laut PM Nr. 44/2022 darüber, ob auch genommene Urlaubstage für das Erreichen des Schwellenwertes zu berücksichtigen sind, ab dem nach den Bestimmungen des Manteltarifvertrags für die Zeitarbeit ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Mehrarbeitszuschläge besteht oder nur die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden (Urteil v. 16.11.2022 – 10 AZR 210/19). Der Kläger war bei der Beklagten als Leiharbeitnehmer in Vollzeit mit einem Bruttostundenlohn im Jahr 2017 von 12,18 Euro beschäftigt. Für das Arbeitsverhältnis der Parteien galt aufgrund beiderseitiger Organisationszugehörigkeit der Manteltarifvertrag für die Zeitarbeit in der Fassung vom 17.9.2013 (MTV). § 4.1.2. MTV bestimmt, dass Mehrarbeitszuschläge in Höhe von 25 % für Zeiten gezahlt werden, die im jeweiligen Kalendermonat über eine bestimmte Zahl geleisteter Stunden hinausgehen. Im Monat August 2017, auf den 23 Arbeitstage entfielen, arbeitete der Kläger 121,75 Stunden und nahm 10 Tage Urlaub in Anspruch, welche die Beklagte mit 84,7 Stunden abrechnete. Mehrarbeitszuschläge leistete sie für diesen Monat nicht. Der Kläger verlangt mit seiner Klage Mehrarbeitszuschläge für die über 184 Stunden hinausgehenden (Urlaubs-)Stunden. Die Vorinstanzen, zuletzt das LAG Hamm (Urteil v. 14.12.2018 – 13 Sa 589/18), haben die Klage abgewiesen. Auf ein Vorabentscheidungsersuchen des Zehnten Senats des BAG (Beschluss v. 17.6.2020 – 10 AZR 210/19 (A) – PM Nr. 16/2022) hat der EuGH mit Urteil v. 13.1.2022 – C-514/20 entschieden, dass Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG einer tariflichen Regelung entgegensteht, nach der für die Berechnung, ob und für wie viele Stunden einem Arbeitnehmer Mehrarbeitszuschläge zustehen, nur die tatsächlich gearbeiteten Stunden berücksichtigt werden, nicht aber die Stunden, in denen der Arbeitnehmer seinen bezahlten Jahresurlaub in Anspruch nimmt. Die Revision des Klägers hatte unter Zugrundelegung dieser Entscheidung vor dem Zehnten Senat des BAG Erfolg. Die vorliegende tarifliche Regelung § 4.1.2 MTV müsse bei gesetzeskonformer Auslegung so verstanden werden, dass bei der Berechnung von Mehrarbeitszuschlägen nicht nur tatsächlich geleistete Stunden, sondern eben auch Urlaubsstunden mitzuzählen sind, um die Frage zu beantworten, ob der Schwellenwert überschritten wurde, ab dem solche Zuschläge zu zahlen sind.
Prof. Dr. Christian Pelke, Ressortleiter Arbeitsrecht