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BB 2017, I
Schalast 

Halbzeitbilanz der Kapitalmarktunion: Das Glas ist halb voll, und der Brexit steht ante portas

Abbildung 1

Eines der ehrgeizigsten Vorhaben der Juncker-Kommission war die Vollendung der Kapitalmarktunion. Und so klingen auch die offiziellen Verlautbarungen der EU-Kommission zwei Jahre nach dem Startschuss für den Aktionsplan (s. z. B. PM EU-Kommission v. 8.6.2017, abrufbar unter ec.europa.eu) dazu fast schon so euphorisch wie bei dem Jahrhundertprojekt “Vollendung des Binnenmarktes 92”, ihrem bisher wohl größten Projekt mit damals über 300 Einzelmaßnahmen. Solche Jubelmeldungen stimmen den Beobachter oftmals etwas skeptisch, und so macht es Sinn, sich dieses Projekt noch einmal in Ruhe anzuschauen.

Um was geht es bei dem so genannten Juncker-Plan? Letztendlich um die verspätete Vollendung des Binnenmarktprojekts für die in der Vergangenheit etwas vernachlässigte vierte Grundfreiheit: den freien Kapitalverkehr. Verschiedene Kapitalmarktprodukte sollen durch einen harmonisierten Rechtsrahmen wenigstens innerhalb Europas vergleichbar gemacht werden, damit institutionelle Anleger, aber auch Verbraucher vermehrt grenzüberschreitend solche Produkte kaufen bzw. in sie investieren können. Beabsichtigt war dadurch nicht nur, den Binnenmarkt weiter zu vervollständigen. Darüber hinaus sollten auch Mittel – vermutlich dachte man insbesondere an die brachliegenden deutschen Milliarden an Sparguthaben – in Wachstum und Beschäftigung umgewandelt, aber auch Zinserträge erwirtschaftet werden.

Ein weiterer beabsichtigter Nebeneffekt war die Unterstützung der Finanzierung kleiner und mittlerer Unternehmen – ein europäischer Dauerbrenner, die Förderung von Infrastrukturmaßnahmen durch privates Kapital sowie – ganz aktuell – eine Verbesserung des Zugangs von Start-ups zu Gründungs- und Wachstumskapital. In diesem Zusammenhang muss man auch die Idee sehen, ein Level Playing Field für die zunehmend an Bedeutung gewinnende Fin-Tech-Branche zu schaffen. Schließlich sollte das gesamte Konzept natürlich auch dem heute unverzichtbaren Nachhaltigkeitsprinzip verpflichtet sein (s. dazu auch den Zwischenbericht der Hochrangigen Sachverständigengruppe für ein nachhaltiges Finanzwesen, PM EU-Kommission v. 13.7.2017, abrufbar unter ec.europa.eu). Als der Startschuss für die Kapitalmarktunion gegeben wurde, sahen allerdings die Rahmenbedingungen noch völlig anders aus als heute. Denn im Jahre 2015 konnte sich niemand vorstellen, dass das größte und führende Finanzzentrum der EU, die City of London, spätestens im Jahr 2019 den Binnenmarkt verlässt. Dies bedeutet, dass sich mitten in der Projektumsetzung die Rahmenbedingungen und die Spielregeln grundlegend verändert haben. Durch die Brexit-Entscheidung ist London nicht mehr (wenn auch oft widerwilliges) Mitglied im Club, sondern künftiger Wettbewerber. Unter diesem Gesichtspunkt kann man davon ausgehen, dass das Vereinigte Königreich seit Mitte 2016 im Hinblick auf die Ziele der Kapitalmarktunion eine eigene Agenda verfolgt. Vermutlich liegen bereits jetzt Pläne zur Deregulierung der Kapitalmärkte in der Schublade, um nach dem Austritt die Stellung Londons als führendes europäisches und internationales Finanzzentrum – auch bei aktuellen Entwicklungen wie Fin Tech – zu sichern. Dies bedeutet aber auf der anderen Seite, dass es umso wichtiger ist, jetzt energisch an dem Ziel weiterzuarbeiten. Denn nur so wird es gelingen, dem Nicht-Mitglied Vereinigtes Königreich im Jahr 2019 einen funktionierenden Kapitalbinnenmarkt 27 gegenüberzustellen.

Was sind aber jetzt die wichtigsten Hindernisse zu diesem Ziel? Das zentrale Problem – unabhängig von den verschiedenen und auch teilweise divergierenden Teilzielen des Juncker-Plans – sind die weiterhin vorhandenen nationalen regulatorischen Rahmenbedingungen, die eine Vergleichbarkeit der oftmals nur auf den ersten Blick gleichartigen Kapitalmarktprodukte verhindern. Man kann sogar teilweise den Eindruck bekommen, dass dies von den nationalen Regierungen als Standortvorteil verstanden und aktiv eingesetzt wird. Denn so konnten sich auch kleinere Finanzplätze, wie etwa Luxemburg, profilieren und dynamisch wachsen. Insoweit zielen die Vorschläge der Kommission in ihrer Halbzeitbilanz in die völlig richtige Richtung. Sowohl eine Vereinheitlichung des Regelungsrahmens für Börsengänge von kleineren und mittleren Unternehmen, die Schaffung eines europäischen Level Playing Field für Fin Techs, die Vereinheitlichung des Wertpapier- und Marktaufsichtsrechts als auch die vielen weiteren angedachten legislativen und regulatorischen Maßnahmen sind wichtige Schritte zur Schaffung eines einheitlichen europäischen Rechtsrahmens. Nur wenn man dies jetzt konsequent umsetzt, das Momentum des Brexit und die dadurch geschaffene Einigkeit der EU 27 nutzt, ist es möglich, eine echte Kapitalmarktunion weit über den Juncker-Plan hinaus zu verwirklichen. Die EU muss dafür über die jetzt definierten weiteren neun vorrangigen Maßnahmen hinaus konsequent an diesem einheitlichen Rahmen arbeiten. Denn dies ist die große und manchmal vergessene Stärke der Union: Sie hat die Befugnis und die Fähigkeit, Recht für 27 Staaten einheitlich zu setzen. Dabei hat sie inzwischen gelernt, wie wichtig die Einbeziehung von Marktteilnehmern, der Aufsicht und nicht zuletzt der Öffentlichkeit ist. Dies zeigen die transparenten Konsultationen etwa auch im Vorfeld der zweiten Phase der Kapitalmarktunion. Dann wird es gelingen, das Glas ganz zu füllen und dem Finanzzentrum London einen einheitlichen europäischen Kapitalbinnenmarkt mit mehr als 450 Mio. Verbrauchern entgegenzustellen. Und in diesem Rahmen wird es dann auch möglich sein, etwa für Pensionsfonds und andere institutionelle Anleger, stärker in die von der Kommission geförderten Assetklassen wie Start-ups oder Alternative Investmentfonds zu investieren – nicht zuletzt, um auch die Altersversorgung in Europa langfristig und nachhaltig zu sichern.

Prof. Dr. Christoph Schalast, RA und Notar, ist Managing Partner der Kanzlei Schalast Rechtsanwälte Notare in Frankfurt a. M. Schwerpunkte seiner Tätigkeit als Anwalt und Notar sind M&A, Real Estate sowie das Bank- und Finanzmarktrecht. An der Frankfurt School of Finance & Management leitet er den M&A Master-Studiengang (Abschluss LL.M.).

 
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