Grundsteuerreform: Die verpasste Chance
Die Uhr tickt. Gelingt es nicht, bis Ende des Jahres ein Gesetz zur Reform der Grundsteuer zu verabschieden, droht die Aussetzung der zweitwichtigsten kommunalen Steuer. Aufgehängt wurde dieses Damoklesschwert durch das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Urteil vom 10.4.2018 eine großzügige Frist von fünf Jahren einräumte, um die Reform umzusetzen. So lange kann die Grundsteuer noch auf Basis der bislang geltenden, aber verfassungswidrigen Einheitswerte von 1935 (Ost) bzw. 1964 (West) erhoben werden.
Das Urteil leitete die vorläufige Schlussrunde in einer Jahrzehnte währenden Reformdiskussion um die Grundsteuer ein. Unstrittig waren dabei die Beibehaltung des kommunalen Hebesatzrechts sowie das Streben nach Aufkommensneutralität. Ende November 2018 stellte Bundesfinanzminister Scholz zwei weitere Vorschläge zur Diskussion: Einmal das u. a. von den Bundesländern Hamburg und Bayern favorisierte “wertunabhängige Modell” (WUM), das lediglich die Grundstücks- und Gebäudefläche zum Maßstab der Besteuerung macht. Die von Scholz selbst favorisierte Alternative war indessen das “wertabhängige Modell” (WAM). Dieses ist im Prinzip ein “Update” des noch geltenden Verfahrens, das sich jedoch stärker als bisher an die etablierten Methoden zur Verkehrswertermittlung von Immobilien anlehnt. Basis der Bewertung sollte ein vereinfachtes Ertragswertverfahren sein; wo – wie bei vielen Gewerbeimmobilien – keine Mieten zur Verfügung stehen, sollte auf ein vereinfachtes Sachwertverfahren zurückgegriffen werden. Doch auch am WAM wurde bald Kritik laut: Zu bürokratisch, hieß es, und auch nicht über alle verfassungsrechtlichen Zweifel erhaben. Am ersten Februar 2019 wurde schließlich zwischen den Finanzministern ein Kompromissmodell ausgehandelt, das jedoch lediglich eine Vereinfachung des WAM darstellt: V. a. soll nun auf die verfassungsrechtlich zweifelhafte Differenzierung zwischen tatsächlich gezahlten (Fremdnutzung) und fiktiven Mieten (Eigennutzung) bei Wohngebäuden weitgehend verzichtet werden.
Dennoch: Auch das neue Modell wird tausende Finanzbeamte beschäftigen, die an anderer Stelle fehlen. “Einfach” geht anders. Ein großer Teil des Aufwands wird – zumindest vorläufig – auf die Steuerpflichtigen abgeschoben. Diese müssen in einer Steuererklärung u. a. Baujahr und Fläche des Gebäudes angeben:
Was aber ist das Baujahr nach Vornahme von An- und Umbauten, Modernisierungen oder umfassenden Sanierungen? Bewertungssachverständige stellen hier auf eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ab. Ein umfassend sanierter und instand gehaltener Gründerzeitbau kann durchaus eine weit höhere Restnutzungsdauer haben als eine aus den 80er Jahren stammende, aber nicht weiter instand gehaltene Immobilie.
Auch die Gebäudeflächenermittlung ist alles andere als trivial. Man denke teilausgebaute, niedrige Keller, unterschiedliche Dachformen etc. – jedes Gebäude ist ein Unikat. Bewertungssachverständige nehmen darum die Wohnflächenberechnung wohnwertabhängig vor. Bei Gewerbeimmobilien sind vor der Ermittlung der Gebäudeflächen zudem die Betriebsvorrichtungen auszuscheiden.
So werden die Grenzen der Typisierbarkeit im steuerlichen Massenbewertungsverfahren v.a. durch die Gebäudekomponente in der Bemessungsgrundlage strapaziert – wegen des betreffenden Aufwandes wurden die Einheitswerte in der Vergangenheit auch nicht turnusmäßig aktualisiert. Auch Fortschritte in der Digitalisierung werden die skizzierten Probleme allenfalls teilweise lösen können.
Das Kompromissmodell ist letztlich ein mutloses “weiter so”. Dabei geht es im Rahmen der Reform um wesentlich mehr als um die Erhaltung kommunaler Steuereinnahmen von derzeit rund 14 Mrd. Euro. Sie böte die Chance, einen steuerpolitischen Paradigmenwechsel einzuleiten: Weg von der hohen Besteuerung von Arbeit, Verbrauch und produktiven Investitionen, dafür hin zu einer höheren Belastung des Bodens (“tax shift”) – ein Erfolgsrezept, mit dem z. B. Singapur innerhalb weniger Jahrzehnte seine ehemalige Kolonialmacht Großbritannien wirtschaftlich überholen konnte. Ein Mittel: Die Bodenwertsteuer. Die politischen Entscheidungsträger weigerten sich aber hartnäckig, eine Bodenwertsteuer auch nur in Erwägung zu ziehen – obwohl sie einfach und schnell umsetzbar ist. Der Boden kann der Besteuerung nicht über Verlagerung ins Ausland oder Investitionszurückhaltung ausweichen. Im komplexen Kompromissmodell wird hingegen v. a. das Gebäude belastet, und damit die Schaffung dringend benötigten zusätzlichen Wohnraums. Um wenigstens unbebaute, aber bebaubare Grundstücke in die Nutzung zu drängen, setzt man ergänzend auf eine Wiederauflage der bereits in den 60er Jahren gescheiterten Grundsteuer C.
Die Einigung auf das Kompromissmodell war wohl nur möglich, weil die Finanzminister eine Verfassungsänderung vermeiden wollten, die bei einer Systemumstellung bei der Grundsteuer erforderlich wäre (Art. 105 Abs. 2, 72 Abs. 2 und 125a Abs. 2 GG). Auf das Risiko, die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit zu verfehlen, wollten sie sich nicht einlassen. Dennoch: Das Kompromissmodell hat noch viele Hürden im bevorstehenden Gesetzgebungsverfahren zu nehmen. Sollte eine dieser Hürden gerissen werden, könnte die Grundsteuer eventuell sogar in die Gesetzgebungshoheit der Länder zurückfallen. Für diejenigen, die auf Wettbewerbsföderalismus und sachdienliche Lösungen setzen, ist dies allerdings kein worst case-Szenario. Vielmehr böte sich die Chance, dass – anders als bisher – der politische Kompromiss nicht mehr auf Kosten sachdienlicher Lösungen zum Selbstzweck verkehrt wird.
Prof. Dr. Dirk Löhr, StB, lehrt am Umwelt-Campus Birkenfeld der Hochschule Trier. Nebenberuflich ist er als Steuer- und Kommunalberater tätig; zudem ist er Mitglied im Gutachterausschuss für Grundstückswerte Rheinhessen-Nahe sowie im Oberen Gutachterausschuss Rheinland-Pfalz.