EU-Umwelttaxonomie-VO: Gelingt die atomistische Regulierung der Nachhaltigkeit?
Diese Vorgehensweise bedeutet für die Unternehmen eine erhebliche Unsicherheit, die das eigentliche Ziel eines klimaneutralen und nachhaltig agierenden Kontinents eher behindern könnte.
Die Umwelttaxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 fordert bislang von großen kapitalmarktorientierten Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern sowie bestimmten Banken und Versicherungen Angaben darüber, wie und in welchem Umfang die Unternehmenstätigkeiten mit ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten verbunden sind. Nicht-Finanzunternehmen haben den Anteil der “grünen” Umsatzerlöse sowie die Anteile der “grünen” Investitions- und Betriebsausgaben in ihrer nichtfinanziellen Berichterstattung nach § 289b HGB anzugeben. Mit der seit 2024 geforderten Nachhaltigkeitsberichterstattung (die Umsetzung der Richtlinie in das HGB steht immer noch aus) werden die Taxonomieangaben dann auch schrittweise für deutlich mehr Unternehmen relevant. Zudem ist eine Ausstrahlungswirkung auch auf weitere Unternehmen feststellbar, da die Verordnung den Banken quasi ein Gerüst zur Klassifikation von Unternehmenstätigkeiten vorgibt, das auch etwa in der Kreditvergabe genutzt werden kann.
Was zunächst sehr überzeugend erscheint, erweist sich in der konkreten Umsetzung als wahrer Moloch, der zudem noch viele Kollateralschäden verursacht. So bedeutet die Klassifikation nicht weniger, als alle denkbaren unternehmerischen Tätigkeiten nach einem klaren Entweder/Oder-System einordnen zu müssen. Die EU-Umwelttaxonomie-Verordnung (EU) 2020/852 wurde bislang konkretisiert durch die folgenden delegierten Rechtsakte:
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Delegierte Verordnung (EU) 2021/2139 zu den beiden klimabezogenen Umweltzielen,
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Delegierte Verordnung (EU) 2021/2178 zur Berichterstattung,
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Delegierte Verordnung (EU) 2022/1214 zur Aufnahme neuer Wirtschaftstätigkeiten (i. V. m. Atomenergie und Erdgas) bzgl. der beiden klimabezogenen Umweltziele und zur Überarbeitung der Berichterstattung,
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Delegierte Verordnung (EU) 2023/2485 zur Überarbeitung alter und zur Aufnahme neuer Wirtschaftstätigkeiten bzgl. der beiden klimabezogenen Umweltziele und
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Delegierte Verordnung (EU) 2023/2486 zur Aufnahme neuer Wirtschaftstätigkeiten bzgl. der vier nichtklimabezogenen Umweltziele und zur Überarbeitung der Berichterstattung.
Dennoch fehlen immer noch sehr große Teile an Tätigkeiten – viele Branchen finden gar keine oder nur sehr wenige Tätigkeiten klassifiziert. Daher ist insgesamt der Anteil der überhaupt taxonomiefähigen Tätigkeiten bereits gering. Durch die hohen Anforderungen in der mehrstufigen Prüfung sind dann nur noch verschwindend geringe Anteile taxonomiekonform. Somit wird das Ziel verfehlt, mit diesen Informationen sinnvoll Finanzströme in Richtung nachhaltiger Tätigkeiten steuern zu können, es kommt vielmehr sogar zu Fehlsteuerungen. Die EU verkennt offenbar die Komplexität der verschiedenen Tätigkeiten und deren Zusammenwirken. So benötigt etwa die energetische Sanierung von Gebäuden oft Baustoffe, die nicht ökologisch unbedenklich herzustellen sind. Die BASF SE berichtet beispielsweise auch, dass in vielen Produktionsprozessen bestimmte Stoffe genutzt werden müssen, die keine Taxonomiekonformität erlauben, auch wenn diese Stoffe nicht in die Umwelt gelangen und im Einklang mit bestehender Chemikaliengesetzgebung verwendet werden. Dadurch sind u. a. alle Produktionsprozesse zur Herstellung von Batteriematerialien als nicht taxonomiekonform zu bewerten (Geschäftsbericht 2022, S. 96).
Schon die Notwendigkeit zur teilweisen Überarbeitung der vorherigen Regulierungen belegt diese Problematik – offenbar ist die Einteilung nicht eindeutig und Gegenstand intensiver Diskussionen, was etwa die Aufnahme von Atomkraft und Erdgas verdeutlicht. Zur Abmilderung wurde ein Meldeweg für Vorschläge zur Änderung und Erweiterung der Regulierung (stakeholder request mechanism) über die Sustainable-Finance-Plattform eingerichtet, wobei die Vorschläge von der EU diskutiert, entschieden und dann in den üblichen Regulierungsprozess eingesteuert werden müssen.
Auch zeigt sich, dass die Rechtsakte allein nicht ausreichen. Am 21.12.2023 hat die Europäische Kommission den Entwurf von drei FAQ-Dokumenten zur Unterstützung der Anwendung der Taxonomieverordnung veröffentlicht. Dabei wurde gleich von “lebenden” Dokumenten gesprochen, die bei Bedarf erweitert werden (müssen).
Trotz aller Kritik hat die European Securities and Markets Authority (ESMA) die Taxonomieinformationen in die gemeinsamen europäischen Prüfungsschwerpunkte der nationalen Enforcement-Stellen in der EU für das Geschäftsjahr 2023 aufgenommen (s. dazu etwa Haegler/Deike, BB 2024, 107 ff.). Zudem geht diese sehr kleinteilige Regulierung weiter. Mit der neuen, fast finalen Ökodesign-Verordnung soll die Kommission durch delegierte Rechtsakte direkt produktspezifische Nachhaltigkeitsanforderungen für eine Vielzahl von Produkten einführen können. Dies bedeutet für die Unternehmen eine erhebliche Unsicherheit, die das eigentliche Ziel eines klimaneutralen und nachhaltig agierenden Kontinents eher behindern könnte. Bislang nutzt die Regulierung nur den direkt an der Regulierung Beteiligten. Diese haben eine erhebliche Steuerungsmacht, sind aber leider nicht unfehlbar.
Prof. Dr. Stefan Müller ist Inhaber der Professur für Betriebswirtschaftslehre, insbesondere Rechnungslegung und Wirtschaftsprüfungswesen, der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg und u. a. Leiter des Arbeitskreises Nachhaltigkeitsberichterstattung des BVBC.