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BB 2019, I
Fritz 

Die Restrukturierungsrichtlinie – vom Mut, die Möglichkeit der Sanierung rechtzeitig zu nutzen

Abbildung 1

Die Mitarbeiter waren erschüttert, die gestrandeten Passagiere waren vor den Kopf gestoßen, so mancher Jahresurlaub war Opfer eines Insolvenzantrages geworden. Im Februar d. J. hatte die Airline Germania Insolvenzantrag gestellt. Anders als bei Air Berlin, musste der Betrieb zeitgleich eingestellt werden. Die Flugzeuge waren noch rasch zurückgeholt worden, um das Vermögen des insolventen Carrier zu sichern.

Der Fall macht es deutlich: Das Insolvenzverfahren wird im Dienst der Gläubiger durchgeführt. Es dient seit der Antike dem Zweck, das Vermögen des Schuldners zu sichern, die Gläubiger bestmöglich und gleichmäßig zu befriedigen. Zwar führte die Insolvenzordnung 1999 mit Eigenverwaltung und Insolvenzplan wesentliche Neuerungen ein, eines hat sich damit aber seit den alten Römern nicht geändert: Das Insolvenzverfahren ist ein zivilprozessuales Mehrparteienverfahren, in dem durch staatliche bzw. richterliche Gewalt in die Rechte Dritter eingegriffen wird. Dem hingegen versteht sich die außergerichtliche Restrukturierung als konsensualer Prozess der beteiligten Gläubiger und des Schuldners.

Dies gilt es zu beachten, wenn man sich überlegt, wie diese am 17. Dezember 2018 in finaler Fassung bekannt gewordene und im Herbst d. J. in Kraft tretende Richtlinie zur Schaffung eines präventiven Restrukturierungsrahmens innerhalb der vorgegebenen zwei Jahre umgesetzt werden sollte (s. hierzu auch Lange/Swierczok, BB 2019, 514 [in diesem Heft]). Oft hört man von der Einführung eines “vorinsolvenzlichen Sanierungsverfahrens”. Dies ist verfehlt. Die Richtlinie möchte kein vorverlagertes Insolvenzverfahren schaffen, welches in der Krise, in der ein Schuldner lediglich noch nicht illiquid ist, (noch) eröffnet werden kann und ein Regelinsolvenzverfahren sperrt. Vielmehr möchte die Richtlinie für die außergerichtliche, vertragliche Restrukturierung Werkzeuge anbieten, auf rechtssicherer Basis einen Sanierungsvertrag mit den betroffenen (d. h. nicht mit allen) Gläubigern zu schließen.

Zur Abkehr vom bisherigen Verständnis gehört, dass den Schuldnern künftig die Nutzung dieses Rahmens (auch dann noch) möglich sein muss, wenn eine Insolvenz bereits möglich erscheint. De lege lata kann man in Deutschland nur solange außergerichtlich sanieren, wie die Liquidität mittelfristig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gesichert ist. Hier werden wir umdenken müssen.

Die Rezeption der Restrukturierungsrichtlinie fokussierte sich auf Förmliches: Welche Einstiegshürden? Wann ist ein Verwalter zu bestellen? Auf welche Forderungen erstreckt sich das Moratorium? All das folgt der Idee, der präventive Rahmen sei ein “Verfahren”.

Die Restrukturierungsrichtlinie bricht mittels des Moratoriums und des Restrukturierungsplans mit diesem althergebrachten prozessrechtlichen Ansatz: Ein Schuldner erkennt (rechtzeitig!) eine existenzbedrohende Situation und stellt fest, dass er diese im Rahmen einer Verhandlungslösung mit bestimmten Gläubigergruppen bewältigen kann. Die Mehrheit der Gläubiger ist bereit, dies mitzutragen. Nur eine Minderheit versucht, sich Sondervorteile zu verschaffen (“Akkordstörer”). V. a. hierfür stellt der Rahmen die Werkzeuge zur Verfügung, um diese Störenfriede mit dem Moratorium zu befrieden und im Wege eines Zwangsvergleiches in den Restrukturierungsplan einzubinden. Steht die Mehrheit der betroffenen Gläubiger nicht von jeher hinter dem Vorgehen, gibt es nur den Weg zum Insolvenzrichter. Steht die Mehrheit der betroffenen Gläubiger indes hinter der Sanierung, soll dies künftig eine opportunistische Minderheit nicht mehr hindern können. Hier kann ein Gericht gezielt u. a. durch Anordnung eines Moratoriums eingreifen.

Das bedeutet aber, dass bei einer Restrukturierung unter Heranziehung des Rahmens ein bisheriger Gegensatz an Bedeutung verliert: Bislang wurde (zuletzt bei der Evaluation des sog. ESUG, s. hierzu Weitzmann, BB 2019, 521 [in diesem Heft]) stark diskutiert, ob die Insolvenz in Eigenverwaltung zu schuldnerfreundlich sei. Die Restrukturierung mittels des Rahmens löst sich aber von diesem Gegensatz; der Restrukturierungsplan kommt nur zustande, wenn ihn das schuldnerische Unternehmen und min. 75 % der Gläubiger tragen. Gemeinsam sanieren statt alle gegen einen vollstrecken, heißt die Devise.

Weniger beachtet, aber genauso bedeutsam ist die “geheime” Schlüsselnorm der Richtlinie. In Artikel 18 stellt die Richtlinie für die Geschäftsführer eine neue Verhaltenspflicht auf, sobald eine Insolvenz möglich erscheint. Denn dann müssen die Organe die Interessen der Gläubiger, weiterer Stakeholder und der Gesellschafter zusammen beachten, Maßnahmen zur Insolvenzvermeidung ergreifen, und vorsätzliche und grob fahrlässiges Verhalten, welches den Erhalt des Unternehmens gefährdet, vermeiden. D. h., die Restrukturierungsrichtlinie konstituiert die Pflicht zur Sanierung im Interesse aller.

Für Geschäftsführung und Berater heißt dies, dass künftig nicht nur die Haftung droht, wenn man eine Insolvenz verschleppt, sondern auch, dass man sich Gesellschaftern und Gläubigern gegenüber haftbar macht, wenn man die Chancen einer Sanierung, sei es durch die Restrukturierung oder ggf. noch durch eine Eigenverwaltung durch Beschönigung der wahren Lage und zu langes Hinauszögern, verspielt. Das verlangt vom Organ den Mut, rechtzeitig und ehrlich auf Gesellschafter, Gläubiger und nicht zuletzt die Mitarbeiter zuzugehen und alle Optionen auszuloten. Für den Erfolg der Richtlinie wird es darauf ankommen, dass dieser Mut durch eine funktionierende Umsetzung belohnt wird. Hierin liegt der Paradigmenwechsel von einer bloßen Insolvenzverschleppungshaftung zur Haftung wegen unterlassener Sanierungsmaßnahmen.

Daniel Friedemann Fritz ist Partner im Frankfurter Dentons Büro. Er ist Mitglied der Praxisgruppe Restrukturierung und konzentriert sich auf die Bereiche Restrukturierung und Insolvenzrecht, inkl. des europäischen Insolvenzrechts. Herr Fritz ist Private Expert der EU-Kommission für die Einführung eines präventiven Restrukturierungsrahmens und Sprecher der AG Europa der Arbeitsgemeinschaft für Insolvenzrecht und Sanierung im DAV. Der Beitrag gibt seine persönliche Ansicht wieder.

 
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