Die Novellierung der deutschen Investitionskontrolle geht in die nächste Runde
Im Jahr 2020 wurde in insgesamt drei Reformen der Rechtsrahmen für Investitionskontrollverfahren nach dem Außenwirtschaftsgesetz (AWG) und der Außenwirtschaftsverordnung (AWV) wesentlich verschärft (siehe Lippert, BB 2021, 194 ff; Barth/dos Santos Goncalves, DB 2020, 2506 ff.). Mit der 17. AWV-Novelle soll nun die Umsetzung der Verordnung (EU) 2019/452 zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der EU (EU Screening Verordnung) abgeschlossen werden. Darüber hinaus beabsichtigt das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) die bisherige expansive Anwendung der AWV in verschiedenen Normen zu kodifizieren. Ein Referentenentwurf zur 17. AWV-Novelle wurde am 22. Januar 2021 veröffentlicht und bis zum 26. Februar 2021 vom BMWi konsultiert. Gegenwärtig ist ein Inkrafttreten der Novelle im 2. Quartal avisiert.
Wesentliche Ausweitung der Sektoren: Nach dem Referentenentwurf sollen 16 weitere Sektoren in die verpflichtende Investitionskontrolle nach der sektorübergreifenden Prüfung (die für nicht EU/EFTA-Erwerber Anwendung findet) aufgenommen werden (neugefasster § 55a AWV-RefE). In der Folge würden Erwerbe von 10 % der Stimmrechte an Unternehmen, die in diesen Sektoren tätig sind, anmeldepflichtig und es würde insoweit das umfassende und strafbewehrte Vollzugsverbot des § 15 Abs. 4 AWG gelten. Abweichend vom Ansatz in verschiedenen anderen EU-Mitgliedstaaten (z. B. Italien) hat sich das BMWi erfreulicherweise bemüht, die Sektorenbeschreibung zu konkretisieren. Vielfach kann so die Rechtssicherheit für betroffene Unternehmen erhöht werden. Aufgrund der hohen Komplexität dieser Regelungstechnik, insbesondere in dynamischen Wirtschaftszweigen (die Zukunftstechnologie ist ein besonderer Fokus der Novelle), wird eine klare Zuordnung zu Fallgruppen allerdings auch nach der Novelle nicht in allen Fällen möglich sein. Betroffenen Unternehmen bleibt dann in der Praxis regelmäßig nur die Stellung eines vorsorglichen Antrages auf Freigabe, um eine zivilrechtliche Unwirksamkeit (§ 15 Abs. 3 AWG) und die drakonische Strafandrohung des § 18 Abs. 1b AWG zu vermeiden.
In der sektorspezifischen Prüfung (die für nicht-deutsche Erwerber gilt) sollen nach der Novelle alle Sektoren aufgenommen werden, die auch Ausfuhrgenehmigungen gem. Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste erforderlich machen (§ 60 Abs. 1 AWV-RefE).
Unstreitig wird mit der Novelle die besondere Sensitivität der benannten Sektoren aus industriepolitischer Sicht zum Ausdruck gebracht und ist von Unternehmen auch bereits gegenwärtig zu beachten. Schon jetzt hat das BMWi in allen diesen Sektoren die Möglichkeit, Transaktionen ab einer Beteiligungshöhe von 25 % ex officio oder nach freiwilligem Antrag auf Unbedenklichkeitsbescheinigung zu prüfen. Ausgehend von diesen weitgehenden Rechten, die vom BMWi in der Praxis auch aktiv genutzt werden, stellt sich die Frage, ob im Rahmen der Novelle nicht weniger mehr wäre und die staatliche Kontrollintensität reduziert werden könnte.
Behandlung von Zuerwerben: Mit der Novelle wird die bereits aktuell bestehende Praxis des BMWi kodifiziert, wonach jegliche Zuerwerbe von Stimmrechten oberhalb der einschlägigen Meldeschwellen in den Anwendungsbereich der AWV fallen (§ 56 Abs. 2 AWV-RefE). Dies führt zu dem wenig intuitiven Ergebnis, dass minimale Zuerwerbe bei bereits vorangegangener investitionskontrollrechtlicher Prüfung und Freigabe einer erneuten strafbewehrten Meldepflicht unterliegen. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn insoweit – z. B. analog § 37 Abs. 1, 2 GWB – ein Stufenmodell eingeführt würde, wonach nur dann eine erneute Meldung erforderlich ist, wenn mit einer weiteren Beteiligung ein erhöhter Einfluss auf das Zielunternehmen einhergeht.
Behandlung “atypischer Kontrollerwerbe”: Um Schutzlücken zu vermeiden, sollen zudem auch Erwerbe unterhalb der Beteiligungsschwellen (z. B. weniger als 10 % der Stimmrechte) prüfbar werden, wenn mit der Beteiligung weitere Rechte einhergehen (§ 56 Abs. 3 AWV-RefE). Bedauerlicherweise ist der Katalog relevanter Rechte sehr breit gefasst und umfasst einerseits gut abgrenzbare strategische Rechte (z. B. Vetorechte bei strategischen Geschäftsentscheidungen) und andererseits sehr unkonkrete Rechte (z. B. “umfangreiche Informationsrechte”). Zwar wird insoweit keine Meldepflicht eingeführt, Unternehmen werden aber im Einzelfall erwägen müssen, ob zur Erhöhung der Transaktionssicherheit und Begrenzung des für bis zu fünf Jahre ab Unterzeichnung des Kaufvertrages bestehenden Risikos einer ex officio-Prüfung (§ 14a Abs. 3 AWG) ggfs. ein freiwilliges Verfahren zu durchlaufen ist.
Regelungslücken: Bedauerlicherweise fehlt in der Novelle eine Befreiung vom Vollzugsverbot, insbesondere für öffentliche Übernahmen. Zudem wäre es begrüßenswert, wenn konzerninterne Restrukturierungen, bei denen eine deutsche Gesellschaft unter eine ausländische Zwischenholding unter Beibehaltung der letztkontrollierenden Gesellschaft umgehängt wird, abweichend von der aktuellen Praxis des BMWi von der Investitionskontrolle ausgenommen und für Erwerber aus unkritischen Jurisdiktionen insgesamt Ausnahmen von der Meldepflicht eingeführt würden.
Nach Umsetzung der Novelle rechnet das BMWi, ausgehend von einer Rekordzahl an Verfahren in 2020 (159 Fälle), mit einer Verdoppelung der Fälle. Mit Blick auf Rechtsunsicherheiten in der Anwendung der Regelungen und den expansiven Ansatz der AWV steht zu befürchten, dass die tatsächliche Zahl an Verfahren noch stärker zunehmen könnte.
Christoph Barth, RA, ist Partner bei Linklaters LLP. Er berät Mandanten zu Fusions- und Investitionskontrollverfahren in Deutschland und der EU und koordiniert regelmäßig Verfahren global. Im Rahmen der aktuellen AWV-Novelle ist er in die Konsultation des BMWi eingebunden.