Die EU-Lieferketten-Richtlinie kommt! Eckpunkte der europäischen Einigung zur CSDDD
Deutsche Unternehmen werden erhebliche Anpassungen an ihrem menschenrechtlichen Compliance-System vornehmen müssen.
Weihnachtszeit ist Wunderzeit. Nur so erklärt sich die provisorische Einigung im Trilog der Europäischen Institutionen zur Richtlinie über die Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Hinblick auf Nachhaltigkeit (Corporate Sustainability Due Diligence Directive, CSDDD). Viele Beobachter hatten vorher eine Einigung noch im Jahr 2023 abgeschrieben, denn die Positionen von Kommission, Parlament und Rat der EU lagen in einigen Kapiteln weit auseinander. Am 14.12.2023 erzielte man gleichwohl eine Übereinkunft. Die Berichterstatterin des Europäischen Parlaments Lara Wolters feierte dieses Ergebnis als “historischen Durchbruch”.
Für eine vertiefte Analyse der CSDDD ist es noch zu früh, denn der endgültige Kompromisstext liegt noch nicht auf dem Tisch. Dazu müssen wir uns laut EU-Justizkommissar Reynders wohl bis zum Frühjahr 2024 gedulden. Einige erste Schlaglichter auf die Eckpunkte der künftigen Richtlinie zu werfen, ist aber möglich: Wie schon der Titel zeigt, fokussiert sich die CSDDD über die menschenrechtliche Verantwortlichkeit hinaus auch auf Umwelt- und Nachhaltigkeitsbelange und verlangt von den betroffenen Unternehmen die Umsetzung bestimmter Sorgfaltspflichten.
Der Gesetzgeber dehnt die Verantwortlichkeit der Wirtschaft über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg immer weiter aus. Der Markt greift diese Ausweitung als Qualitätsanforderung auf, d. h. die Produktbeschaffenheit ist nicht mehr der maßgebliche Faktor für die Ermittlung der geschuldeten Qualität zwischen Marktteilnehmern, sondern wird gleichrangig ergänzt durch die Prozessbeschaffenheit bei Herstellung und Beschaffung der gehandelten Leistung. Die Rechtsakte, die diesen Mechanismus anstoßen, können unter dem Oberbegriff des “Lieferkettenrechts” zusammengefasst werden.
Zweierlei zeigen die publik gemachten Ergebnisse des Trilogs deutlich: Deutsche Unternehmen werden einerseits erhebliche Anpassungen an ihrem Compliance-System vornehmen müssen. Anderseits wird das mit dem LkSG eingeführte Korsett der menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten grundsätzlich Bestand haben, da es geeignet ist, die Anforderungen der CSDDD in sich aufzunehmen. Die Ausrichtung des eigenen Risikomanagements an die Vorgaben des LkSG ist also keine “vergebene Liebesmüh”. Das Gespenst einer Wettbewerbsbenachteiligung deutscher Unternehmen, das gerade noch umgeht, verliert so zumindest etwas an Schrecken.
Kleine und mittlere Unternehmen müssen indes besonders auf der Hut sein. Von der Umsetzung des LkSG blieben diese vielfach noch “verschont”, weil sie weniger als 1 000 Mitarbeiter beschäftigen. Die CSDDD setzt diesen Schwellenwert insgesamt deutlich herab, wobei man aus Sicht der Wirtschaft wohl mit einem “blauen Auge” davonkommt. Das Europäische Parlament hatte hier zu Beginn des Trilogs noch deutlich ambitioniertere Vorstellungen. Die CSDDD wird für Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro anwendbar sein. In definierten Risikobranchen liegen diese Werte nochmals deutlich niedriger. Hierunter fallen bedeutsame Sektoren wie Textil, Landwirtschaft, Lebensmittelherstellung und Baugewerbe. In diesen Risikobranchen gilt, dass Unternehmen schon dann im Anwendungsbereich der CSDDD liegen, wenn sie mehr als 250 Beschäftigte haben und einen Umsatz von mehr als 40 Millionen Euro erzielen, wobei mindestens 20 Millionen in einem der oben genannten Sektoren erwirtschaftet werden müssen. Damit wird etwa die mittelständisch aufgestellte deutsche Ernährungswirtschaft zum überwiegenden Teil direkt betroffen sein.
Die CSDDD wird – im deutlichen Gegensatz zum LkSG – ferner eine deliktische Außenhaftung eröffnen, die es Geschädigten von Menschenrechtsverletzungen über alle Wertschöpfungsstufen hinweg ermöglicht, Schadenersatzansprüche vor europäischen Gerichten geltend zu machen, wenn das im Anwendungsbereich der CSDDD liegende Unternehmen entsprechende Sorgfaltspflichten verletzt hat. Wenn NGOs und Gewerkschaften als mögliche Prozessstandschafter der Geschädigten auf diesen Zug aufspringen (wie es dem Willen des europäischen Gesetzgebers entspricht), liegt darin insbesondere für bekannte Unternehmen und Markeninhaber ein großes Eskalations- und Reputationsrisiko.
Dem durchaus ehrenwerten Ziel des Gesetzgebers, Menschenrechts- und Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, stehen somit auf Seiten der Unternehmen neben erheblichen Implementierungs- und Pflegekosten kaum kalkulierbare und kaum versicherbare Reputationsrisiken gegenüber. Angesichts dieser potentiell schwerwiegenden Beeinträchtigungen der Unternehmen sind ergänzende Maßnahmen des Gesetzgebers nötig, der sich sonst – zu Recht – den Vorwurf wird gefallen lassen müssen, reine Symbolpolitik auf Kosten der Wirtschaft zu betreiben: Zum einen bedarf es einer systematischen Rahmung und Erläuterung der europäischen Nachhaltigkeitsgesetzgebung, die es auch kleinen und mittleren Unternehmen ermöglicht, das gesetzgeberische Programm effizient umzusetzen. Zum anderen sind die Compliance-Anforderungen mit Instrumenten der Entwicklungszusammenarbeit zu verzahnen: Es bedarf echter Incentives und (Finanz-)Instrumente der Kooperation, die auch bei den Partnern der Wertschöpfungskette in kritischen Herkunftsländern ankommt und dort zu Verbesserungen führt.
Dr. Stephan Schäfer, RA, FAHaGesR, Partner bei ZENK Rechtsanwälte. Leiter des ZENK “Food Deal Team”, dort ganzheitliche Unterstützung von Unternehmen in komplexen Transaktionen. Lehrbeauftragter an der Universität Bayreuth, dort war er zudem von 2010–2013 Geschäftsführer der Forschungsstelle für Lebensmittelrecht.