Der Vorschlag der EU-Kommission zur Regulierung standardessentieller Patente (“SEPs”)
Zeitenwende im Bereich der SEP-Lizenzierung?
SEPs schützen Technologien, die für technische Standards unerlässlich sind. Solche Standards dienen im digitalen Zeitalter als Grundlage für Innovationen und sichern Interoperabilität zwischen Produkten und Dienstleistungen. Definiert werden die Standards von unterschiedlichen, oft internationalen Standardsetzungs-Organisationen (“SDOs”). Dabei trägt regelmäßig eine große Vielzahl an Unternehmen relevante Patente zu einem einzigen Standard bei. Insbesondere im Zusammenhang mit Zukunftstechnologien wie dem Internet der Dinge (IoT) oder dem Zugang zu Konnektivitätsfunktionen (z. B. über 5G, Wi-Fi, Bluetooth) gewinnen Standards immer weiter an Bedeutung. Zunehmend sind dabei auch kleinere und mittlere Unternehmen (“KMU”) auf die Nutzung von standardisierten Technologien angewiesen. Um jedoch standardkonforme Produkte herzustellen, ist die Nutzung der dafür essentiellen Patente unumgänglich. Und damit auch eine Lizenzvereinbarung mit allen betroffenen Patentinhabern.
Trotz der immer größer werdenden Bedeutung technischer Standards fehlt es nach Ansicht der EU-Kommission an einem transparenten und effizienten Rechtsrahmen zur Lizenzverhandlung von SEPs. Zudem kam es in der Vergangenheit zu erheblichen Rechtsstreitigkeiten im Rahmen der SEP-Lizenzierung und diese war wiederholt Gegenstand gerichtlicher Entscheidungen auf europäischer (EuGH, Urteil vom 16.7.2015 – C-170/13, WRP 2015, 1080, ECLI:EU:C:2015:477 – Huawei/ZTE) und nationaler (BGH, Urteil vom 6.5.2009 – KZR 39/06, WRP 2009, 858 – Orange-Book-Standard) Ebene sowie von kartellbehördlicher Verfahrenspraxis (Europäische Kommission, Entscheidung vom 29.4.2014 – IP/14/489). Zentrale Fragen der SEP-Lizenzierung konnten dabei bisher nicht gelöst werden. Die EU-Kommission beabsichtigt nun mit dem am 27.4.2023 veröffentlichten Verordnungsvorschlag zur Regulierung von SEPs einen ganzheitlicheren Ansatz zur Diskussion zu stellen (abrufbar auf den Seiten der EU-Kommission, COM(2023) 232 final).
Die EU-Kommission bezweckt mit ihrem Vorschlag, die Lizenzierung von SEPs transparenter und effizienter zu gestalten. Hierfür sind fünf zentrale Instrumente vorgesehen. Zunächst sollen unter Aufsicht des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) ein zentrales Register und eine elektronische Datenbank eingerichtet werden, die relevante Informationen zu technologischen Standards und den dazugehörigen Patenten enthalten. Dabei obliegt es den Patentinhabern, ihre SEPs in das Register eintragen zu lassen. Weiterhin soll ein neues Verfahren zur Prüfung der Essentialität von SEPs für einen Standard eingeführt werden, welche in der Praxis bisher nur begrenzter Prüfung unterliegt. Der Entwurf sieht außerdem ein neues Verwaltungsverfahren zur Bestimmung einer Gesamtlizenzgebühr für SEPs vor, um die bislang schwer vorhersehbaren Kosten bei der Implementierung eines Standards kalkulierbarer zu machen. Schließlich sollen Auseinandersetzungen bei der Bestimmung von fairen, angemessenen und diskriminierungsfreien (“FRAND”) Lizenzbedingungen zunächst einem verpflichtenden, außergerichtlichen Verhandlungsverfahren unterliegen. Dieses Verfahren ist zeitlich auf neun Monate begrenzt, um Effizienz zu gewährleisten. Erst nach Abschluss eines solchen Verfahrens kann die gerichtliche Durchsetzung der betroffenen SEPs betrieben werden. Gleiches gilt auch für Anwender von SEPs, bevor diese ihrerseits gerichtliche Hilfe in Anspruch nehmen können.
In Anbetracht der wachsenden Bedeutung von SEPs auch für KMU und der sich in diesem Zusammenhang ergebenden Besonderheiten in Bezug auf die Ressourcenausstattung solcher Unternehmen, gewährt der Entwurf umfassende Privilegierungen für KMU. Dies umfasst beispielsweise kostenlose Beratungen und Schulungen durch das EUIPO sowie reduzierte Gebühren für die Überprüfung der Essentialität und Schlichtungsverfahren.
Die Wirkungen des Verordnungsvorschlags sind Gegenstand einer intensiven Diskussion. Dabei gehen die Meinungen zu Auswirkungen, Praktikabilität, Effektivität und Fairness der vorgeschlagenen Instrumente auseinander. Eine Reihe von Aspekten steht zur Diskussion, darunter die Anwendbarkeit des Verordnungsentwurfs auf bestehende Standards, der Ablauf des Verfahrens zur Bestimmung von Gesamtlizenzgebühren und ganz allgemein die Frage, wie sich der vorgesehene Mechanismus zur Festlegung von FRAND-Bedingungen auf globale Lizenzstreitigkeiten auswirken wird. Andere “heiße Eisen” wie Lizenzierungspflichten innerhalb der Lieferkette sowie die kartellrechtliche Beurteilung von Patentpools und Lizenzverhandlungsgruppen blieben vage oder ungeklärt.
Der Verordnungsvorschlag befindet sich in einem frühen Stadium und könnte im anstehenden Gesetzgebungsprozess, dessen Dauer die Kommission auf zwei Jahre schätzt, noch wesentliche Änderungen erfahren. Kritische Reaktionen waren vor allem von SEP-Inhabern zu vernehmen. Von SEP-Nutzern hingegen wurde der Verordnungsvorschlag überwiegend befürwortend aufgenommen. Insgesamt bleibt abzuwarten, wie diese Diskussionen den jetzigen Entwurf bis zu seiner Finalisierung formen werden.
Dr. Peter D. Camesasca, * RA, ist Partner der Kanzlei Covington & Burling LLP. Er verfügt über 25 Jahre Erfahrung im EU-Wettbewerbsrecht und hat Mandanten vor der Europäischen Kommission, den europäischen Gerichten sowie mitgliedstaatlichen Wettbewerbsbehörden und Gerichten vertreten.
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