Das Ende des Short-Termism durch ESG:Mehr Nachhaltigkeit, mehr Gesetze, mehr Compliance!
Das neue Jahrzehnt steht im Fokus der Nachhaltigkeit. Nachhaltigkeit ist bereits zu einem Qualitätsmerkmal geworden, mit dem Unternehmen sich zur Schau stellen. Dies setzt jedoch voraus, dass Nachhaltigkeit auch umgesetzt, eingehalten und überprüft werden kann. Aus soft law wird nun hard law. Damit ist das Thema Nachhaltigkeit nun (endlich) auch im Wirtschaftsrecht angekommen. Es erwartet uns mehr Nachhaltigkeit, mehr Gesetze, mehr Risiko und als Konsequenz auch mehr Compliance.
Die gesetzliche Fortführung des Nachhaltigkeitsprinzips ist Environmental Social Governance (ESG). ESG wird dabei als weiter Begriff für Corporate Social Responsibility (CSR) verwendet. Das Prinzip der nachhaltigen Ressourcenwirtschaft beeinflusst Entscheidungen und Vorgehensweisen von Unternehmen hinsichtlich ökologischer und sozial-gesellschaftlicher Aspekte. Naturgemäß spielt auch die Art der guten Unternehmensführung dabei eine entscheidende Rolle. Im Grundsatz handelt es sich um die Evaluierung der unternehmerischen Sozialverantwortung. In anderen Worten: Der (derzeit) freiwillige Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung, der über die (derzeitigen) gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Bisher gibt es kaum hard law – außer den CSR-Berichtspflichten im HGB. Lediglich soft law – wie bspw. in der Präambel des Deutschen Corporate Governance Kodex. Die gesetzliche “Nachhaltigkeitswelle” ist jedoch nicht aufzuhalten und es gilt, im derzeitigen “Nachhaltigkeitsdschungel”, den regulatorischen Überblick zu behalten.
Nachhaltigkeit wird – anhand der ESG-Kriterien – jetzt umfassend in Sustainable Corporate Governance Strukturen integriert. Selbstverständlich müssen sich Vorstand und Aufsichtsrat bereits heute angemessen mit den Chancen und Risiken befassen, welche sich unter Nachhaltigkeitsaspekten für das Unternehmen ergeben. Dabei steht ihnen jedoch ein weites unternehmerisches Ermessen (sog. business judgement rule) zu. Im Ergebnis führt dies dazu, dass sich die Geschäftsleitung in der Regel auf kurzfristige Shareholder-Value-Maximierung statt auf langfristige (ESG-)Interessen des Unternehmens fokussiert. Dieses “Short-Termism” (Kurzzeitverhalten bzw. kurzfristiges Denken) wurde von der Europäischen Kommission erkannt und ist ein zentraler Fokus der “Studie über Pflichten von Direktoren und nachhaltige Unternehmensführung”. Im Rahmen dieser Studie wurden spezifische Ziele ermittelt, um den Zeithorizont unternehmerischer Entscheidungen zu erweitern und eine stärker auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Unternehmensführung zu fördern. Besonders interessant sind dabei die Ausführungen zur Verpflichtung der Geschäftsleitung, Nachhaltigkeitsaspekte in die Geschäftsstrategie zu integrieren und die möglichen Regelungen zur Haftungsdurchsetzung gegen die Geschäftsleitung. In Bezug auf die Umsetzung dieser Ziele werden Lösungswege diskutiert – soft oder hard law? Studie und Äußerungen der Europäischen Kommission deuten darauf hin, dass verbindliche gesetzliche Regelungen folgen werden.
Einen Schritt weiter ist man bereits im Bereich Sustainable Finance. Richtungsweisend – aber noch im Bereich soft law – ist das BaFin-Merkblatt zum Umgang mit Nachhaltigkeitsrisiken. Ein Meilenstein ist hingegen die sog. Europäische Taxonomie-VO. Sie ist das weltweit erste Klassifizierungssystem für Nachhaltigkeit, soll für die notwendige Transparenz bei ökologisch nachhaltigen Wirtschaftstätigkeiten sorgen sowie das sog. greenwashing verhindern und ist insbesondere relevant für Finanzmarktteilnehmer sowie für alle Unternehmen, die zur nicht finanziellen (CSR) Berichterstattung verpflichtet sind. Auch die Europäische Transparenz-VO richtet sich an die Finanzmarktteilnehmer. Hiernach müssen diese darlegen, wie sie Nachhaltigkeitsentscheidungen bei ihren Anlagenentscheidungsprozessen berücksichtigen. Zahlreiche weitere Initiativen betreffen die europäischen Aufsichtsbehörden und Kreditinstitute – insbesondere in Bezug auf den Umgang mit ESG-Risiken.
Überschattet werden die Nachhaltigkeitsaktivitäten vom Kartellrecht. Insoweit verwundert uns das Thema des Arbeitskreises Kartellrecht im Bundeskartellamt vom Oktober dieses Jahres nicht: “Offene Märkte und nachhaltiges Wirtschaften – Gemeinwohlziele als Herausforderung für die Kartellrechtspraxis”. Bereits die Zusammenarbeit zwischen Wettbewerbern kann – trotz Förderung von Gemeinwohlinteressen – den Wettbewerb beschränken und verboten sein. Im Kern stellt sich hier die Frage, ob die Zusammenarbeit den Wettbewerb beschränkt und/oder die Nachhaltigkeitsverbesserungen als Effizienzgewinne eine Ausnahme vom Kartellverbot rechtfertigen. Zuletzt kann bspw. aber auch die (esoterische) Frage aufkommen, ob ein marktbeherrschendes Unternehmen – aufgrund von Nachhaltigkeitskosten – höhere Preise fordern darf oder, umgekehrt, wenn es einen zu niedrigen Preis verlangt, zur Forderung höherer (Nachhaltigkeits-)Preise verpflichtet werden kann.
Fazit: Die bestehenden Regelwerke sind bereits zahlreich. Nunmehr wird das Handlungsprinzip der Nachhaltigkeit nicht nur zum unternehmerischen Leitprinzip, sondern sukzessive erhärtet (creeping law) und gesetzlich vorgegeben. Selbstverständlich muss eine sorgfältige und vorausschauende Geschäftsleitung bereits heute das Thema Nachhaltigkeit im Fokus haben. Sie muss die ESG-Risiken rechtzeitig in ihre Compliance Management Systeme (CMS) aufnehmen. Dies erfordert zwar Vorabinvestitionen und möglicherweise auch die Abkehr von langjährigen Geschäftspraktiken. Angesichts der drohenden immensen Rechtsrisiken ist den Unternehmen jedoch zu raten, frühzeitig entsprechende Compliance-Maßnahmen umzusetzen und zu etablieren – nicht lediglich als Selbstzweck, sondern als wichtigen Bestandteil der Unternehmensphilosophie.
Prof. Dr. Frank A. Immenga, LL.M. (Emory), RA und Attorney at Law (N.Y.), ist geschäftsführender Direktor des Instituts für Compliance & ESG (ICESG), Inhaber einer Professur an der Hochschule Trier am Umwelt-Campus Birkenfeld und als RA in Frankfurt am Main tätig.