Bruxellis locuta – Causa finita?
Ertragsteuerliche Folgefragen aus dem Handels- und Kooperationsabkommen mit dem Vereinigten Königreich
Das Ringen um die Folgen des Brexits zwischen der EU und UK dominierte – neben der Pandemiebekämpfung – im letzten Jahr das Geschehen auf der europäischen Bühne und band erhebliche Ressourcen beiderseits des Ärmelkanals. Nun ist UK nach Ablauf der Übergangszeit (Ende Dezember 2020) auch (steuer-)rechtlich “draußen” und das Partnerschaftsabkommen (PartAbk) vom 30.12.2020 in trockenen Tüchern. Gleichwohl mutet das nunmehrige Kapitel in den europäisch-britischen Beziehungen eher als Wagnis an, wenn die in den über 47 Jahren aufgebauten Brücken hochgezogen werden: Denn es geht nicht nur um die bloße Wohlstandssteigerung durch grenzüberschreitenden Handel, sondern das friedliche Miteinander in der Mitte Europas: Der Nordirland-Konflikt konnte erst 1998 eine weitgehende Befriedung erfahren. Die Wunden sind noch nicht verheilt und drohen erneut aufzureißen: Die Grenze des Binnenmarkts und der Zollunion zieht sich nun durch das Vereinigte Königreich, nämlich zwischen Nordirland auf der einen und Großbritannien auf der anderen Seite.
Die prägende Kraft des Binnenmarktes besteht in der wirtschaftlichen Integrationswirkung der Grundfreiheiten, die die politische Integration nachgezogen hat. Es stellt einen einmaligen Vorgang mit Modellcharakter dar, Menschen die Möglichkeit zu eröffnen, sich in einem Raum grenzüberschreitend frei zu bewegen und entfalten zu können. Die vier Grundfreiheiten schützen den Waren- bzw. Personenverkehr nur innerhalb des EWR, nicht jedoch im Verhältnis zu Drittstaaten. Eine Annäherung an den Binnenmarkt – wie im Verhältnis zur Schweiz durch die bilateralen Verträge – erfolgt durch das PartAbk jedoch nur sehr bedingt. Es regelt der Natur eines Handelsabkommens folgend Fragen, die hauptsächlich den Warenverkehr betreffen.
Aus steuerlicher Perspektive zeitigt das PartAbk vornehmlich Folgen für verbrauch- aber nicht für ertragsteuerliche Aspekte des zukünftigen Miteinanders. Dies verwundert auch nicht weiter, da das Ertragsteuerrecht als einer der wenigen Kernbereiche nationalstaatlicher Kompetenz weitgehend bei den Mitgliedstaaten verbleibt, hierin offenbart sich auch einer der Geburtsfehler der römischen Verträge: Die Bedeutung direkter Steuern unterschätzten die Gründerstaaten und dies wirkt in vielen Bereichen nach. Relativ schnell dürfte dies auch in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit rücken, wenn britische Künstler nicht mehr ohne weiteres im Inland auftreten, weil sie steuerlich als Nicht-EU/EWR-Angehörige eine ungünstigere Behandlung erfahren. Die Kapitalverkehrsfreiheit ist aber insoweit kein probates Gegenmittel, denn sie kann nur partiell – aber eben nicht umfassend – die aus den Disparitäten der Steuersysteme resultierenden Ungleichbehandlungen einebnen. Es bleibt abzuwarten, wie das postulierte Gebot der Inländergleichbehandlung (sowohl für den Handel, PartAbk v. 31.12.2020, Teil 2, Teilbereich 1, Titel 1 und Titel 2, ABlEU L 444, S. 14–1462, als auch für den Bereich der Dienstleistungen und Niederlassung [“Investition”]) verstanden und auch gelebt wird.
Ungemach droht allerdings auch an anderen Stellen: Die Anti-BEPS-RL (Rat EU v. 12.7.2016, RL 2016/1164, ABlEU L 193, S. 1–14) harrt in Deutschland noch der vollumfänglichen Umsetzung in innerstaatliches Recht. Neben der absehbaren Verschärfung des Aktivitätskatalogs dürfte vor allem der i. d. R. nicht mehr zu führende Substanznachweis im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung aufgrund des nunmehrigen Status als Drittstaat zu Nachteilen bei Geschäftstätigkeiten in UK führen. Ob UK diese durch verstärkte Vergünstigungen überkompensieren vermag, ist unklar: UK bekennt sich zu den Maßnahmen der OECD gegen BEPS (PartAbk v. 31.12.2020 a. a. O., Teil 2, Titel XI, Kap. 5.1, S. 236) und das PartAbk zieht einer möglichen Befeuerung des Steuerwettbewerbs durch das Subventionskontrollsystem Grenzen (PartAbk v. 31.12.2020 a. a. O., Teil 2, Titel XI, Kap. 3, S. 216 ff.). Probleme dürften sich auch im Bereich der Quellensteuern ergeben. Letztere führen häufig zu Zusatzbelastungen. Die Begehrlichkeiten der Mitgliedstaaten zügelt innerhalb der EU die MTR als auch die ZLR. Dies betrifft unmittelbar britische Unternehmen, denn sie können sich zukünftig darauf nicht mehr berufen. Inwieweit UK zukünftig allerdings ein entsprechendes Besteuerungsrecht selbst ausfüllt und damit auch EU-Unternehmen Nachteile erleiden, bleibt abzuwarten. Zunehmende Bedeutung erlangt somit das jeweils anwendbare DBA. Deutschland und UK vereinbarten jüngst ein Revisionsprotokoll (Änderungsprotokoll zum DBA-UK 2010 v. 12.2.2021) und ergänzten dies um eine gemeinsame Erklärung, innerhalb von zwölf Monaten nach Ablauf des Übergangszeitraumes (d. h. bis Ende Januar 2022) möglichen Änderungsbedarf zu prüfen. Das überragende Interesse der EU, an dieser Stelle keine falschen Anreize zu setzen, dürfte den Handlungsspielraum Deutschlands spürbar einschränken. Keiner kann Interesse an der Fehlvorstellung haben, der Austritt sei am Ende halb so schlimm: In Wirklichkeit verdeckt das Corona-Virus zzt. noch die wahren Ausmaße der Brexit-Nachteile, die aber später mit voller Wucht beide Seiten zu spüren bekommen werden. Der Austritt der drittgrößten Volkswirtschaft der damaligen 28-Gemeinschaft wird uns noch lange beschäftigen. Auch wenn ein Wiedereintritt zzt. rein spekulativ ist, stimmt der allmählich eintretende Stimmungswandel in UK ermutigend und gibt hoffentlich auch Kraft für eine Stärkung der EU.
Dipl.-Betriebsw. Gerhard Schmitt, RA/StB, ist Partner bei Mazars in Berlin und Frankfurt a. M. Er ist dort Leiter der Service Line Steuern. Gerhard Schmitt hat seinen Schwerpunkt in der Beratung von Mandanten in der Immobilienbranche. Seine Tätigkeitsschwerpunkte sind steuerliche Beratung bei Immobilientransaktionen und die Beratung internationaler Immobilieninvestoren.