R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
 
 
BB 2006, I
Bauer 

Berliner Etikettenschwindel: der neue Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien

Abbildung 1

Alles neu macht der Mai? Von wegen. SPD und CDU/CSU haben sich in der Nacht vom 1. auf den 2. 5. 2006 auf einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien geeinigt, der nach dem Willen der Bundesregierung schon zum 1. 8. 2006 in Kraft treten soll. Weit gefehlt, wer damit gerechnet hat, nach so langem Ringen werde ein politischer Kompromiss herauskommen. Neu ist nur der Titel: Das Kernstück des Gesetzes zur Umsetzung der Europäischen Antidiskriminierungsrichtlinien soll nun nicht mehr wie unter der Ägide von Rot/Grün “Antidiskriminierungsgesetz” heißen, sondern “Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz”. Im Übrigen bleibt aber (fast) alles beim Alten.

Auch nach dem Entwurf der Großen Koalition soll der Arbeitgeber grundsätzlich für Benachteiligungen durch Vorgesetzte, Kollegen und sogar betriebsfremde Dritte haften. Dabei ist weiterhin eine unbegrenzte Ersatzpflicht für materielle Schäden und zusätzlich eine Verpflichtung zum Ersatz eines immateriellen Schadens (“Schmerzensgeld”) vorgesehen. Ebenso wie beim alten Entwurf von Rot/Grün fehlt es auch bei dem Entwurf eines Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes an einer praktikablen Verzahnung mit dem Kündigungsschutzrecht. Die insoweit vorgesehene Regelung (“Für Kündigungen gelten vorrangig die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes.”) lässt mehr Fragen offen, als sie beantwortet. Sie hat schon beim ersten Anlauf für “Heiterkeit” bei Arbeitsrechtsexperten gesorgt. Ein eigenes Klagerecht für Betriebsräte und im Betrieb vertretene Gewerkschaften soll es auch nach dem neuen Gesetzentwurf geben. Zudem bleibt die Antidiskriminierungsstelle bestehen, die weiterhin für alle Diskriminierungsmerkmale zuständig sein wird und beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend angesiedelt werden soll. Schließlich soll das allgemeine zivilrechtliche Benachteiligungsverbot nach dem Willen der Großen Koalition weiterhin weit über die europäischen Vorgaben hinaus ausgedehnt werden und neben den Diskriminierungsmerkmalen Rasse, ethnische Herkunft und Geschlecht auch die Kriterien der sexuellen Orientierung, der Behinderung, des Alters, der Religion und der Weltanschauung erfassen. Einzig die wahnwitzige Idee eines Verbandsklagerechts für Antidiskriminierungsverbände wurde aus dem alten Gesetzentwurf nicht übernommen. Die anderen Änderungen sind marginal und für die Praxis nur von untergeordneter Bedeutung. So hilft es etwa wenig, dass die Frist zur Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs wegen Diskriminierung von sechs auf drei Monate verkürzt oder der Rechtfertigungsgrund bei einer unterschiedlichen Behandlung aus Gründen der Religion zugunsten der Kirchen ausgeweitet wurde.

Der Gesetzentwurf in seiner vorliegenden Fassung ist eine große Enttäuschung für alle, denen der Wirtschaftsstandort Deutschland am Herzen liegt und die ihre Hoffnungen auf die Union und ihre Ankündigung gesetzt haben, für eine 1 : 1-Umsetzung der Europäischen Richtlinien sorgen zu wollen. Offenbar wurden die mahnenden Stimmen aus der Wirtschaft von der Politik nicht ernst genommen. Dabei sind die Bedenken gegen ein “großes” Antidiskriminierungsrecht, wie es der Gesetzentwurf vorsieht, leider nur allzu berechtigt. Natürlich ist niemand gegen ein Verbot von Diskriminierung. Aber es wird dabei immer wieder vergessen, dass es in Deutschland bereits rechtliche Grundlagen gibt, die Benachteiligungen im Berufs- und Arbeitsleben aus Gründen z. B. des Geschlechts, einer Behinderung, aber auch wegen Rasse, ethnischer Herkunft usw. verbieten. Man denke etwa an die Spezialregelungen in §§ 611 a, 611 b und 612 Abs. 3 BGB oder in § 81 Abs. 2 SGB IX, aber auch an das Beschäftigtenschutzgesetz und den allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, der jedwede sachfremde Differenzierung verbietet. Darüber hinaus gibt es in Deutschland – anders als in vielen anderen europäischen Ländern – ein ausgefeiltes Kündigungsschutzrecht, das ein im internationalen Vergleich hohes Schutzniveau für Arbeitnehmer garantiert. Es würde völlig ausreichen, die vorhandenen Instrumentarien behutsam an die vereinzelt darüber noch hinausgehenden Vorgaben der Europäischen Richtlinien anzupassen. Statt dessen wird von der Großen Koalition ohne Not auf das vorhandene Kündigungsschutzrecht und die weiteren schon existierenden Arbeitnehmerschutzrechte ein komplettes, die europäischen Vorgaben übertreffendes Antidiskriminierungsrecht nach anglo-amerikanischem Vorbild “aufgesattelt”. Wer derart Gift auf das zarte Pflänzchen Wirtschaftswachstum gießt, darf sich nicht wundern, wenn dieses verkümmert und eingeht. Arbeitgeber werden sich in Zukunft zweimal überlegen, ob sie neue Arbeitsplätze in Deutschland schaffen. Ohne offene Stellen gibt es zwar keine Diskriminierung bei der Einstellung. Das ist aber nur ein schwacher Trost.

Rechtsanwalt Dr. Jobst-Hubertus Bauer, Stuttgart

 
stats