EuGH: Übertragung im Inland entstandener Verluste einer Betriebsstätte
EuGH, Urteil vom 6.9.2012 - C-18/11, Philips Electronics
Tenor
1. Art. 43 EG ist dahin auszulegen, dass es eine Beschränkung der Freiheit eines gebietsfremden Unternehmens, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, darstellt, wenn nationale Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Verluste nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.
2. Eine Beschränkung der Freiheit einer gebietsfremden Gesellschaft, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, kann nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden, die auf eine Verhinderung der doppelten Berücksichtigung von Verlusten, die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten oder die Kombination dieser beiden Ziele gerichtet sind.
3. In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens muss das nationale Gericht jede Bestimmung des nationalen Rechts, die Art. 43 EG entgegensteht, unangewandt lassen.
Aus den Gründen
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 43 EG und 48 EG.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Philips Electronics UK Ltd (im Folgenden: Philips Electronics UK) und den Commissioners for Her Majesty's Revenue & Customs wegen der Anwendung der Rechtsvorschriften über den Konzernabzug auf bestimmte Mitgliedgesellschaften eines Konsortiums.
Nationale Rechtsvorschriften
3
Das Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz (Income and Corporation Taxes Act) von 1988 in seiner auf das Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: ICTA) bestimmt in Section 402:
„(1) Gemäß diesem Kapitel und Section 492(8) kann ein Abzug von der Körperschaftsteuer für Betriebsverluste und sonstige im Rahmen der Körperschaftsteuer abzugsfähige Beträge gemäß den in den Subsections (2) und (3) aufgeführten Fällen von einer übertragenden Gesellschaft (übertragende Gesellschaft) übertragen werden und von einer anderen Gesellschaft (antragstellende Gesellschaft) auf Antrag in Form des sogenannten Konzernabzugs vorgenommen werden.
...
(3) Im Fall einer übertragenden Gesellschaft und einer antragstellenden Gesellschaft kann der Konzernabzug ferner geltend gemacht werden, ... wenn die eine Gesellschaft Mitglied eines Konzerns ist und die andere im Besitz eines Konsortiums steht und eine weitere Gesellschaft sowohl Mitglied des Konzerns als auch des Konsortiums ist. Ein gemäß dieser Subsection gestellter Antrag wird als ‚Konsortialantrag‘ bezeichnet.
(3A) Der Konzernabzug ist nur möglich, wenn sowohl die übertragende Gesellschaft als auch die antragstellende Gesellschaft die folgende Voraussetzung erfüllen.
(3B) Voraussetzung ist, dass die Gesellschaft ihren Sitz im Vereinigten Königreich hat oder über eine feste Betriebsstätte eine wirtschaftliche Tätigkeit im Vereinigten Königreich ausübt.
...
(6) Ein Entgelt für einen Konzernabzug
a) wird für die Berechnung der Gewinne oder Verluste der beiden Gesellschaften für die Zwecke der Körperschaftsteuer nicht berücksichtigt und
b) gilt nicht als eine Ausschüttung oder eine Belastung von Einkommen im Sinne der [Corporation Tax Acts];
in dieser Subsection bezeichnet der Ausdruck ‚Entgelt für einen Konzernabzug‘ ein Entgelt, das die antragstellende Gesellschaft an die übertragende Gesellschaft gemäß einer zwischen ihnen geschlossenen Vereinbarung über einen im Wege des Konzernabzugs übertragenen Betrag zahlt und das diesen Betrag nicht übersteigt."
4
Section 403D des ICTA bestimmt:
„(1) Bei der Ermittlung der Verluste und sonstigen Beträge, die für die Zwecke dieses Kapitels in einem Rechnungsjahr von einer gebietsfremden Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs übertragen werden können, sind Verluste und sonstige Beträge nur insoweit in dieser Weise übertragbar, als
a) sie Tätigkeiten der gebietsfremden Gesellschaft zugerechnet werden können, aus denen Einkommen und Veräußerungsgewinne erzielt werden oder (gegebenenfalls) würden, die bei der Berechnung der der Körperschaftsteuer unterliegenden Gewinne in dem betreffenden Rechnungsjahr angesetzt werden;
b) sie nicht Tätigkeiten der Gesellschaft zugerechnet werden können, die aufgrund eines Doppelbesteuerungsabkommens in dem betreffenden Rechnungsjahr von der Körperschaftsteuer befreit sind und
...
i) kein Teil der Verluste oder sonstigen Beträge oder
ii) kein Teil eines zu ihrer Berechnung angesetzten Betrags
einem Betrag entspricht oder diesen darstellt, der für die Zwecke einer ausländischen Steuer (in irgendeinem Rechnungsjahr) von den Auslandsgewinnen [‚non-UK profits‘] der Gesellschaft oder einer anderen Person abziehbar ist oder in sonstiger Weise mit diesen Gewinnen verrechnet werden kann.
...
(3) In dieser Section bezeichnet der Ausdruck ‚Auslandsgewinne‘ [‚non-UK profits‘] - bezogen auf eine Person - Beträge,
a) die für die Zwecke einer ausländischen Steuer der Betrag der Gewinne, Einkommen oder Veräußerungsgewinne (nach Abzügen) sind, auf die die Person diese Steuer zu entrichten hat, und
b) bei denen es sich nicht um Beträge handelt, die den Gesamtgewinnen (dieser oder einer anderen Person) in einem Rechnungsjahr entsprechen oder diese darstellen,
oder Beträge, die bei der Berechnung dieser Beträge berücksichtigt werden.
...
(6) Diejenigen Rechtsvorschriften eines Hoheitsgebiets außerhalb des Vereinigten Königreichs [Großbritannien und Nordirland], nach denen für die Zwecke einer ausländischen Steuer die Abzugsfähigkeit eines Betrags davon abhängt, ob dieser im Vereinigten Königreich steuerlich abzugsfähig ist, bleiben für die Zwecke dieser Section außer Betracht.
..."
5
Section 406(2) des ICTA bestimmt außerdem:
„Gemäß den nachstehenden Subsections (3) und (4) kann, wenn die Bindegliedgesellschaft (unabhängig von einem Fehlen von Gewinn) einen Konsortiumsantrag für die Betriebsverluste oder einen anderen in einem Rechnungsjahr abzugsfähigen Betrag einer Mitgliedgesellschaft des Konsortiums stellen kann, ein Konzernmitglied einen Konsortiumsantrag stellen, den die Bindegliedgesellschaft hätte stellen können, und ist der maßgebende Prozentsatz im Sinne von Section 403C derselbe Prozentsatz, der angesetzt würde, wenn es sich bei der antragstellenden Gesellschaft um die Bindegliedgesellschaft handeln würde."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
6
Philips Electronics UK ist eine steuerlich im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft. Sie gehört zum Philips-Konzern, dessen Muttergesellschaft ihren Sitz in den Niederlanden hat. Diese gründete mit einem südkoreanischen Konzern, LG Electronics, ein Gemeinschaftsunternehmen. Dieses Gemeinschaftsunternehmen hat eine niederländische Tochtergesellschaft, die LG Philips Displays Netherlands BV (im Folgenden: LG.PD Netherlands), die über eine Betriebsstätte im Vereinigten Königreich verfügt.
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Philips Electronics UK beabsichtigte, ihre eigenen Gewinne mit einem Teil der Verluste der Betriebsstätte von LG.PD Netherlands im Vereinigten Königreich für die Rechnungsjahre 2001 bis 2004 zu verrechnen.
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Ihr Antrag wurde von den Finanzbehörden des Vereinigten Königreichs u. a. mit der Begründung abgewiesen, dass die Verluste von LG.PD Netherlands mit deren Gewinnen in den Niederlanden verrechnet werden könnten. Insbesondere diese Begründung wurde vor dem First‑tier Tribunal (Tax Chamber) gerügt.
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Das First-tier Tribunal (Tax Chamber) gab Philips Electronics UK Recht. Die Finanzbehörden des Vereinigten Königreichs legten daraufhin Berufung beim Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) ein.
Das Upper Tribunal (Tax and Chancery Chamber) hat sodann beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Wenn ein Mitgliedstaat (wie das Vereinigte Königreich) die Gewinne und Verluste einer Gesellschaft, die in einem anderen Mitgliedstaat (wie den Niederlanden) gegründet worden und dort steuerlich ansässig ist, in seine Steuerbemessungsgrundlage einbezieht, soweit die Gewinne der Geschäftstätigkeit zugerechnet werden können, die von der niederländischen Gesellschaft im Vereinigten Königreich durch eine dort ansässige Betriebsstätte ausgeübt werden, stellt es dann eine Beschränkung der durch Art. 49 AEUV ([ex-]Art. 43 EG) verbürgten Freiheit eines Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, sich im Vereinigten Königreich niederzulassen, dar, wenn das Vereinigte Königreich die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste einer gebietsansässigen Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs verbietet, sofern irgendein Teil dieser Verluste oder irgendein zu ihrer Berechnung angesetzter Betrag „einem Betrag entspricht oder diesen darstellt, der für die Zwecke einer ausländischen Steuer (in irgendeinem Rechnungsjahr) von den Auslandsgewinnen der Gesellschaft oder einer anderen Person abziehbar ist oder in sonstiger Weise mit diesen Gewinnen verrechnet werden kann", d. h., wenn die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste im Fall einer gebietsansässigen Betriebsstätte nur dann zugelassen wird, wenn zum Zeitpunkt der Antragstellung feststeht, dass in einem anderen Staat als dem Vereinigten Königreich (einschließlich in einem anderen Mitgliedstaat wie den Niederlanden) niemals ein Abzug oder eine Verrechnung stattfinden kann, wobei es zur Begründung des Abzugsrechts nicht ausreicht, dass eine im Ausland zur Verfügung stehende Steuererleichterung tatsächlich nicht in Anspruch genommen worden ist, und wenn für die Übertragung der im Vereinigten Königreich entstandenen Verluste einer gebietsansässigen Gesellschaft keine entsprechende Voraussetzung gilt?
2. Falls ja: Kann diese Beschränkung gerechtfertigt werden
a) allein mit der Notwendigkeit, die doppelte Berücksichtigung der Verluste zu verhindern, oder
b) allein mit der Notwendigkeit, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, oder
c) mit der Notwendigkeit, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren, und mit der Notwendigkeit, die doppelte Berücksichtigung der Verluste zu verhindern?
3. Falls ja: Stehen die Beschränkung und der Rechtfertigungsgrund bzw. die Rechtfertigungsgründe in einem angemessenen Verhältnis?
4. Falls eine Beschränkung der Rechte der niederländischen Gesellschaft nicht gerechtfertigt ist oder zu einem Rechtfertigungsgrund nicht in einem angemessenen Verhältnis steht, ist das Vereinigte Königreich dann unionsrechtlich verpflichtet, der Gesellschaft im Vereinigten Königreich Abhilfe zu gewähren, etwa das Recht, Konzernabzug von ihren Gewinnen geltend zu machen?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 43 EG dahin auszulegen ist, dass es eine Beschränkung der Freiheit eines gebietsfremden Unternehmens, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, darstellt, wenn nationale Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Verluste nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.
Mit der Niederlassungsfreiheit, die Art. 43 EG den Staatsangehörigen der Union zuerkennt und die für sie die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen unter den gleichen Bedingungen wie den im Recht des Niederlassungsmitgliedstaats für dessen eigene Angehörigen festgelegten umfasst, ist gemäß Art. 48 EG für die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Europäischen Union haben, das Recht verbunden, ihre Tätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat durch eine Tochtergesellschaft, Zweigniederlassung oder Agentur auszuüben (Urteile vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN, C‑307/97, Slg. 1999, I‑6161, Randnrn. 35, sowie vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnr. 30).
Da Art. 43 Abs. 1 Satz 2 EG den Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich die Möglichkeit lässt, die geeignete Rechtsform für die Ausübung ihrer Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat frei zu wählen, darf diese freie Wahl nicht durch diskriminierende Steuerbestimmungen eingeschränkt werden (Urteil vom 28. Januar 1986, Kommission/Frankreich, 270/83, Slg. 1986, 273, Randnr. 22).
Die Freiheit, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen, hat somit insbesondere zum Ziel, es den Gesellschaften mit Sitz in einem Mitgliedstaat zu ermöglichen, eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat zu eröffnen, um ihre Tätigkeiten dort unter den gleichen Bedingungen auszuüben, wie sie für Tochtergesellschaften gelten (Urteil vom 23. Februar 2006, CLT‑UFA, C‑253/03, Slg. 2006, I‑1831, Randnr. 15).
Insoweit machen Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Möglichkeit, der Übertragung von in diesem Mitgliedstaat erlittenen Verlusten einer Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft mittels Konzernabzugs auf eine gebietsansässige Gesellschaft von bestimmten Voraussetzungen abhängig, während für die Übertragung von in diesem Mitgliedstaat erlittenen Verlusten einer gebietsansässigen Gesellschaft keine entsprechende Voraussetzung gilt.
Eine derartige ungleiche Behandlung macht die Ausübung der Niederlassungsfreiheit mittels einer Betriebsstätte für in anderen Mitgliedstaaten ansässige Gesellschaften weniger attraktiv. Demzufolge schränkt eine nationale Regelung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, die Freiheit ein, die geeignete Rechtsform für die Ausübung von Tätigkeiten in einem anderen Mitgliedstaat zu wählen.
Eine solche ungleiche Behandlung ist nur dann mit den Bestimmungen des EG‑Vertrags über die Niederlassungsfreiheit vereinbar, wenn sie Situationen betrifft, die nicht objektiv miteinander vergleichbar sind, oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation, C‑446/04, Slg. 2006, I‑11753, Randnr. 167). Die Vergleichbarkeit eines Sachverhalts mit Gemeinschaftsbezug mit einem innerstaatlichen Sachverhalt ist unter Berücksichtigung des mit den fraglichen nationalen Bestimmungen verfolgten Ziels zu prüfen (Urteil vom 25. Februar 2010, X Holding, C‑337/08, Slg. 2010, I‑1215, Randnr. 22).
Das Vereinigte Königreich macht geltend, dass die Situation einer gebietsfremden Gesellschaft, die nur über eine Betriebsstätte im Inland verfüge und nur bis zur Höhe der in diesem Gebiet erwirtschafteten Gewinne, soweit sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden könnten, besteuert werden könne, nicht mit der einer gebietsansässigen Gesellschaft vergleichbar sei, die im Übrigen die Tochtergesellschaft einer gebietsfremden Muttergesellschaft sein könne, deren gesamtes Einkommen besteuert werde.
Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Die Situation einer gebietsfremden Gesellschaft, die nur über eine Betriebsstätte im Inland verfügt, und die einer gebietsansässigen Gesellschaft sind nämlich im Hinblick auf das Ziel eines Steuersystems wie des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden objektiv vergleichbar, was die Möglichkeit betrifft, im Vereinigten Königreich erlittene Verluste mittels Konzernabzug auf eine andere Gesellschaft dieses Konzerns zu übertragen.
Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 43 EG dahin auszulegen ist, dass es eine Beschränkung der Freiheit eines gebietsfremden Unternehmens, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, darstellt, wenn nationale Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Verluste nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Beschränkung der Freiheit einer gebietsfremden Gesellschaft, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann, die auf eine Verhinderung der doppelten Berücksichtigung von Verlusten, die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten oder die Kombination dieser beiden Ziele gerichtet sind.
Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit statthaft sein, wenn sie auf durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigte Gesichtspunkte gestützt ist. In diesem Fall ist zudem erforderlich, dass sie geeignet ist, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was hierzu erforderlich ist (Urteil Marks & Spencer, Randnr. 35).
Was erstens die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten angeht, ist darauf hinzuweisen, dass es sich um ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel handelt (vgl. u. a. Urteil vom 29. November 2011, National Grid Indus, C‑371/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 45).
Inhalt dieses Ziels ist es, wie der Gerichtshof festgestellt hat, die Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen, zu wahren (vgl. Urteil vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C‑414/06, Slg. 2008, I‑3601, Randnr. 33).
Jedoch wird in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden die Besteuerungsbefugnis des Aufnahmemitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die für die Verluste der Betriebsstätte ursächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, durch die Möglichkeit, die Verluste einer in seinem Hoheitsgebiet ansässigen Betriebsstätte im Wege des Konzernabzugs auf eine gebietsansässige Gesellschaft zu übertragen, in keiner Weise berührt.
Diese Situation ist von derjenigen zu unterscheiden, in der in Frage steht, ob in einem anderen Mitgliedstaat erlittene Verluste berücksichtigt werden können, die insoweit der Besteuerungsbefugnis dieses Staates zuzurechnen wäre und in der die Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen, nicht gewahrt wäre. In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in der es um die Übertragung von Verlusten einer im Staatsgebiet desselben Mitgliedstaats ansässigen Betriebsstätte auf eine gebietsansässige Gesellschaft geht, wird nämlich die Besteuerungsbefugnis dieses Mitgliedstaats in Bezug auf die möglichen Gewinne aus der Tätigkeit der Betriebsstätte in seinem Hoheitsgebiet nicht berührt.
Hieraus folgt, dass der Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die für die Verluste der Betriebsstätte ursächliche wirtschaftliche Tätigkeit ausgeübt wird, sich in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht auf das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten berufen kann, um zu rechtfertigen, dass seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von der Voraussetzung abhängig machen, dass die Verluste nicht für die Zwecke einer ausländischen Steuer verwendet werden können, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.
Was zweitens das Ziel der Verhinderung einer doppelten Berücksichtigung der Verluste betrifft, ist festzustellen, dass, selbst wenn ein solcher Grund selbständig geltend gemacht werden könnte, er jedenfalls nicht in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens zur Rechtfertigung der nationalen Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats geltend gemacht werden kann.
Im Ausgangsrechtsstreit geht es nämlich um die Möglichkeit des Aufnahmemitgliedstaats, die Möglichkeit der Übertragung von Verlusten, die eine in diesem Mitgliedstaat ansässige Betriebsstätte einer gebietsfremden Gesellschaft erlitten hat, auf eine gebietsansässige Gesellschaft im Wege des Konzernabzugs von bestimmten Voraussetzungen abhängig zu machen, obwohl für die Übertragung von Verlusten, die eine gebietsansässige Gesellschaft in diesem Mitgliedstaat erlitten hat, keine entsprechende Voraussetzung gilt.
Bei einer solchen Fallgestaltung hat die Gefahr, dass die Verluste sowohl im Aufnahmemitgliedstaat, in dem sich die Betriebsstätte befindet, als auch in dem Mitgliedstaat, in dem die gebietsfremde Gesellschaft ansässig ist, berücksichtigt werden, keinen Einfluss auf die Besteuerungsbefugnis des Mitgliedstaats, in dem sich die Betriebsstätte befindet.
Wie die Generalanwältin in den Nrn. 49 ff. ihrer Schlussanträge feststellt, sind die von der Betriebsstätte von LG.PD Netherlands im Vereinigten Königreich auf die im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft Philips Electronics UK übertragenen Verluste in jedem Fall der Besteuerungsbefugnis des Vereinigten Königreichs zuzuordnen. Diese Besteuerungsbefugnis wird dadurch, dass die übertragenen Verluste gegebenenfalls auch in den Niederlanden berücksichtigt werden können, nicht in Frage gestellt.
Daher kann unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden das Ziel, die Gefahr einer doppelten Berücksichtigung zu vermeiden, für sich genommen den Mitgliedstaat, in dem sich die Betriebsstätte befindet, nicht berechtigen, die Berücksichtigung von Verlusten mit der Begründung auszuschließen, dass sie darüber hinaus in dem Mitgliedstaat verwendet werden könnten, in dem die gebietsfremde Gesellschaft ihren Sitz hat.
Der Aufnahmemitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet die Betriebsstätte ansässig ist, kann somit nicht - und schon gar nicht selbständig - die Gefahr der doppelten Berücksichtigung von Verlusten geltend machen, um seine Rechtsvorschriften in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden zu rechtfertigen.
Dasselbe gilt aus den in den Randnrn. 23 bis 33 des vorliegenden Urteils ausgeführten Gründen im Hinblick auf eine Kombination der Ziele, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und die doppelte Berücksichtigung von Verlusten zu verhindern.
Nach alledem ist auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass eine Beschränkung der Freiheit einer gebietsfremden Gesellschaft, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, nicht durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann, die auf eine Verhinderung der doppelten Berücksichtigung von Verlusten, die Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten oder die Kombination dieser beiden Ziele gerichtet sind.
Zur dritten Frage
Angesichts der Antwort auf die zweite Frage ist die dritte Frage nicht zu beantworten.
Zur vierten Frage
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Konsequenzen es aus der Antwort auf die zweite Frage zu ziehen hat.
Nach ständiger Rechtsprechung ist jedes im Rahmen seiner Zuständigkeit angerufene nationale Gericht als Organ eines Mitgliedstaats verpflichtet, in Anwendung des in Art. 10 EG niedergelegten Grundsatzes der Zusammenarbeit das unmittelbar geltende Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und die Rechte, die es den Einzelnen verleiht, zu schützen, indem es jede möglicherweise entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts, gleichgültig, ob sie früher oder später als die Unionsnorm ergangen ist, unangewandt lässt (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal, 106/77, Slg. 1978, 629, Randnrn. 16 und 21, sowie vom 19. Juni 1990, Factortame u. a., C‑213/89, Slg. 1990, I‑2433, Randnr. 19).
Im vorliegenden Fall spielt es insoweit keine Rolle, dass nicht die Steuerpflichtige, eine im Vereinigten Königreich ansässige Gesellschaft, sondern die gebietsfremde Gesellschaft mit einer Betriebsstätte im Vereinigten Königreich in ungerechtfertigter Weise in ihrer Niederlassungsfreiheit beschränkt wurde. Die Niederlassungsfreiheit muss, um tatsächlich wirksam zu sein, in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens die Möglichkeit für den Steuerpflichtigen einschließen, den auf seine Gewinne anrechenbaren Konzernabzug geltend zu machen.
Folglich ist auf die vierte Frage zu antworten, dass das nationale Gericht in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens jede Bestimmung des nationalen Rechts, die Art. 43 EG entgegensteht, unangewandt lassen muss.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.