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Steuerrecht
10.06.2020
Steuerrecht
FG Münster: Überführung von vor 2009 erworbenen Aktien vom Betriebs- in das Privatvermögen

FG Münster, Urteil vom 26.3.2020 – 8 K 1192/18 F

ECLI:DE:FGMS:2020:0326.8K1192.18F.00

Volltext BB-Online BBL2020-1365-1

Leitsätze der Redaktion

1. Das Vorliegen eines Veräußerungsgewinnes i. S. d. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG erfordert einen Erwerb der Aktien nach dem 31.12.2008.

2. Ein solcher Erwerb (i. S. d. § 52 Abs. 28 S. 11 EStG) setzt einen Rechtsträgerwechsel, mindestens im Hinblick auf das wirtschaftliche Eigentum, voraus.

3. Eine Betriebsaufgabe im Jahre 2011, bei der Aktien aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführt werden, ohne eine Umschreibung der Aktien, erfüllt diese Voraussetzungen nicht, so dass kein Erwerbstatbestand, vorliegt und der Veräußerungsgewinn nicht nach § 20 Abs. 2. S. 1 Nr. 1 EStG zu erfassen ist.   

Sachverhalt

Streitig ist, ob der im Streitjahr 2014 beim Verkauf von Aktien realisierte Gewinn i.H.v. 82.649,46 € steuerbar ist.

Die Klägerin ist eine GmbH & Co. KG, an welcher vier Kapitalgesellschaften und zwei natürliche Personen beteiligt sind. Bei den beteiligten natürlichen Personen handelt es sich um die Kommanditistinnen „Treuhand I.“ – eine Treuhandschaft für Frau T. I. – und Frau Dr. T. M..

Die Klägerin besaß bis 2007 Firma D Konzessionen. Ab dem Jahr 2007 fokussierte sie sich auf das Bierverlagsgeschäft. Mit Vertrag vom 04.05.2011 gliederte die Klägerin ihren gewerblichen Geschäftsbereich aus und stellte die werbende Tätigkeit ein. Überdies wurden die Voraussetzungen der gewerblichen Prägung im Sinne des § 15 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) durch Veränderungen in der Geschäftsführung beseitigt und gegenüber dem Beklagten die Betriebsaufgabe erklärt. Seither ist die Klägerin nur noch vermögensverwaltend tätig. Sie erzielt Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und aus Kapitalvermögen. Die auf Ebene der Klägerin festgestellten Einkünfte werden auf Ebene der Gesellschafter in gewerbliche Einkünfte umqualifiziert, soweit die Gesellschafter Kapitalgesellschaften sind. Die beteiligten Kapitalgesellschaften haben alle Wirtschaftsgüter der Klägerin anteilig in ihren Buchführungswerken fortgeführt. Insoweit blieben die Wirtschaftsgüter steuerverstricktes Betriebsvermögen. Bei den an der Klägerin beteiligten natürlichen Personen bilden die anteiligen Wirtschaftsgüter seither Privatvermögen, was im Jahr 2011 zur Aufdeckung und Versteuerung stiller Reserven führte. Seit 2011 liegt eine „Zebragesellschaft“ vor.

Die Klägerin war seit 2007 Eigentümerin von Aktien der D-AG, wobei das Aktienpaket keine wesentliche Beteiligung im Sinne von § 17 EStG vermittelte. Aufgrund einer Vereinbarung vom 13.12.2013 veräußerte die Klägerin die Aktien mit Wirkung zum 02.01.2014 an fremde Dritte. Der Verkaufserlös i.H.v. 3.927.365,68 € wurde dem Konto der Klägerin am 08.01.2014 gutgeschrieben. Unter Berücksichtigung eines Buchwerts von 3.059.989,30 € und Veräußerungskosten i.H.v. 8.088,00 € sowie nicht abziehbarer Umsatzsteuer von 1.687,20 € ergab sich aus dem Vorgang im Jahr 2014 ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 856.809,18 €. Hiervon entfiel ein Anteil i.H.v. 535.915,84 € auf die an der Klägerin beteiligten Kapitalgesellschaften, ein Anteil i.H.v. 213.928,89 € auf die Treuhand I. und ein Anteil i.H.v. 106.964,45 € auf Frau Dr. M. Bereits im Jahr 2011 bei der Betriebsaufgabe hatten die Treuhand I. und Frau Dr. M. die bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen stillen Reversreserven im Zusammenhang mit den D Aktien im Rahmen ihres Aufgabegewinns gemäß § 16 Abs. 3 EStG aufgedeckt und versteuert und zwar die Treuhand I. – nach geringen Korrekturen durch die Betriebsprüfung – i.H.v. 158.820 € und Frau Dr. M. i.H.v. 79.423 €.

Bei der Abgabe der Erklärung zur gesonderten und einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die Einkommensbesteuerung für 2014 wies die Klägerin darauf hin, dass im Jahr 2014 die Aktien an der D-AG veräußert worden seien, dass die erzielten Veräußerungsgewinne von den Gesellschafterinnen Treuhand I. und Frau Dr. M. bereits ganz überwiegend im Rahmen der Betriebsaufgabe im Jahr 2011 versteuert worden und dass die nachfolgend im Privatvermögen dieser beiden Gesellschafterinnen entstandenen Vermögensmehrungen nicht steuerbar seien. Für die übrigen Gesellschafter, die als Kapitalgesellschaften weiterhin Betriebsvermögen hätten, finde dagegen § 8b Körperschaftsteuergesetz (KStG) Anwendung.

Der Beklagte folgte dem zunächst mit Bescheid für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und des verrechenbaren Verlustes nach § 15 Abs. 4 EStG vom 19.10.2016, welcher gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 28.10.2016 wegen hier nicht mehr streitiger Punkte Einspruch ein, wobei die Beteiligten übereinkamen, die Streitpunkte im Rahmen der damals anstehenden Betriebsprüfung zu klären.

In der Zeit vom 20.11.2015 bis zum 09.11.2016 (Datum des Betriebsprüfungsberichts) fand bei der Klägerin eine Betriebsprüfung statt, welche unter anderem die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen der Jahre 2009 bis 2014 zum Gegenstand hatte. Im Rahmen der Betriebsprüfung gelangte der Prüfer zu der Auffassung, dass der Gewinn aus dem Aktienverkauf im Jahr 2014 gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG steuerbar sei, soweit der Gewinn auf die Gesellschafterinnen Treuhand I. und Frau Dr. M. entfalle. Unter Berücksichtigung der bei diesen beiden Gesellschaftern bereits im Jahr 2011 bei Betriebsaufgabe und Überführung der Aktien in das Privatvermögen aufgedeckten stillen Reserven und weiterer erhöhter Anschaffungskosten gemäß Ziffer 2.4.1 des Betriebsprüfungsberichts vom 09.11.2016 belaufe sich der auf die Treuhand I. entfallende Gewinn des Jahres 2014 aus dem Aktienverkauf auf 55.108,18 € und der auf Frau Dr. M. entfallende Gewinn aus dem Aktienverkauf auf 27.541,45 €, somit insgesamt auf 82.649,63 €. Wegen der Einzelheiten wird auf den Betriebsprüfungsbericht vom 09.11.2016 und dort insbesondere auf die Ziffern 2.3.1., 2.5.1. und 2.5.2. Bezug genommen. Die Höhe und die Verteilung des Gewinns sind zwischen den Beteiligten unstreitig.

Der Beklagte folgte der Auffassung des Betriebsprüfers und stellte mit Bescheid für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 22.02.2017 die Einkünfte der Klägerin aus Vermietung und Verpachtung auf ./. 83.900,52 € und die Einkünfte aus Kapitalvermögen auf 624.235,10 € fest, wobei hierin ein Gewinn aus Aktienveräußerungen im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 82.649,46 € enthalten ist. Bei der Aufteilung der Besteuerungsgrundlagen rechnete der Beklagte hiervon der Treuhand I. einen Anteil i.H.v. 55.108,18 € und Frau Dr. M. einen Anteil i.H.v. 27.541,28 € zu.

Gegen den Bescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass die Veräußerung der Aktien für die Gesellschafterinnen Treuhand I. und Frau Dr. M. nicht nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG steuerbar sei, da die Aktien von der Klägerin vor dem 31.12.2008 erworben worden seien. Gemäß der Übergangsregelung in § 52 Abs. 28 S. 11 EStG seien aber nur solche Gewinne aus Aktienveräußerungen nach § 20 Abs. 2 S. 1 EStG steuerbar, bei welchen die Aktien nach dem 31.12.2008 erworben worden seien. Ein Erwerb nach dem Stichtag liege nicht vor. Ein „Erwerb“ der Aktien sei auch nicht mit dem Übergang der Aktien vom Betriebsvermögen der Klägerin in das Privatvermögen der beiden Gesellschafterinnen bei der Betriebsaufgabe im Jahr 2011 zu sehen, denn ein Erwerb setze einen Rechtsträgerwechsel voraus, welcher damals nicht erfolgt sei. Die Klägerin sei im Jahr 2011 Eigentümerin der Aktien geblieben.

Mit Einspruchsentscheidung vom 21.03.2018 wies der Beklagte den Einspruch als unbegründet zurück. Sinn und Zweck des § 20 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 4 S. 3 EStG sei die Besteuerung des im Privatvermögen realisierten Wertzuwachses bei der Veräußerung von Kapitalanlagen. Aus § 20 Abs. 4 S. 3 EStG ergebe sich dabei, dass auch die Wertzuwächse zwischen einer Überführung aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen bis zur Veräußerung zu erfassen seien. Veräußerungsgewinne aus Kapitalanlagen seien bis einschließlich 2008 im Rahmen von § 23 EStG erfasst worden. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 EStG 2008 habe als Anschaffung auch die Überführung aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe gegolten. Der Gesetzgeber habe ab 2009 die Besteuerung der entsprechenden Veräußerungsgewinne dahingehend neu geregelt, dass er die bislang unter § 23 EStG fallenden Veräußerungsgewinne in die Vorschrift des § 20 Abs. 2 und Abs. 4 EStG überführt habe. Dabei habe er die im Privatvermögen zugeflossenen Wertzuwächse erfassen und der Abgeltungssteuer unterwerfen wollen, wie sich aus der Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 16/4841 ergebe. Um diese Abgrenzung herbeizuführen, sei § 52a Abs. 10 S. 1 EStG eingeführt worden. Damit sei geregelt worden, dass Veräußerungsgewinne von Anteilen, die nach dem 01.01.2009 erzielt worden seien und deren Anschaffung im Sinne des § 23 EStG a.F. (und dieser beziehe über Abs. 1 S. 2 auch die Entnahme in das Privatvermögen ein) vor dem 01.01.2009 erfolgt sei, noch dem § 23 EStG a.F. unterliege. Im Rahmen der teleologischen Gesetzesauslegung beziehe § 52a Abs. 10 S. 1 EStG daher auch die Überführung aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen in den Erwerb mit ein.

Die Aktien seien im Jahr 2011 vom Betriebsvermögen in das Privatvermögen überführt worden. Die bis zum Jahr 2011 realisierten Wertzuwächse seien auch zutreffend im Jahr 2011 versteuert worden. Es könne nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes entsprechen, wenn die im Jahr 2011 vorgenommene Überführung in das Privatvermögen besteuert würde, die im Jahr 2014 vorgenommene Veräußerung der im Privatvermögen realisierten Wertzuwächse aus dem Zeitraum von 2011 bis 2014 aber nicht besteuert würden. Hierdurch entstünde eine Besteuerungslücke, die der Gesetzgeber nicht gewollt haben könne. Zu dieser Auslegung gelange auch Schlotter in Littmann/Bitz/Pust, § 20, Rn. 1440. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Einspruchsentscheidung vom 21.03.2018 Bezug genommen.

Die Klägerin hat am 18.04.2018 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus, dass die Veräußerung der Aktien durch sie, die Klägerin, im Jahr 2014 nicht nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG steuerbar sei, soweit sich die Aktien zuvor im Privatvermögen der an ihr beteiligten natürlichen Personen befunden hätten.

Der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendbarkeit von § 20 Abs. 2 S. 1 EStG richte sich nach § 52 Abs. 28 S. 11 EStG. Danach sei § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden, die nach dem 31.12.2008 erworben worden seien. Der Beklagte stelle für den Erwerb im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG auf den Zeitpunkt der Überführung der Aktien vom Betriebsvermögen in das Privatvermögen der beiden Gesellschafterinnen im Rahmen der Betriebsaufgabe im Jahr 2011 ab, um auf dieser Grundlage eine Besteuerung auf Grundlage des § 20 Abs. 2, Abs. 4 EStG vorzunehmen. Die Überführung in das Privatvermögen werde dabei vom Beklagten als Erwerb im Sinne des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG qualifiziert. Hierbei verkenne der Beklagte aber den eindeutigen Wortlaut der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG, welche einen Erwerb voraussetze.

Soweit der Beklagte auf die Vorschrift des § 52a Abs. 10 EStG abstelle, ergebe sich hieraus nichts anderes, denn der dortige Wortlaut stimme mit dem Wortlaut des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG überein. Zudem sei § 52a EStG für das Jahr 2014 nicht mehr anwendbar, sondern § 52 Abs. 28 S. 11 EStG.

§ 52 Abs. 28 S. 11 EStG spreche von „erworbenen“ Anteilen. Nach der Rechtsprechung des BFH setze ein Erwerb den Wechsel des Rechtsträgers hinsichtlich des betroffenen Wirtschaftsguts voraus (BFH-Urteil vom 18.10.2006, IX R 5/06). Bereits im Jahr 1965 habe der BFH hinsichtlich des Begriffs der Anschaffung im Rahmen des § 23 Abs. 1 EStG a.F. ausgeführt, dass Bewegungen zwischen dem Betriebs- und dem Privatvermögen in Form der Überführung nicht unter den Begriff der „Anschaffung“ fallen würden, da die Anschaffung den Übergang von Vermögen zwischen verschiedenen Personen voraussetze (BFH-Urteil vom 23.04.1965, VI 34/62 U). Diese Rechtsprechung habe der BFH im Jahr 2006 bestätigt und bei der Entnahme eines Grundstücks durch den Steuerpflichtigen aus dem Betriebsvermögen eine „Anschaffung“ mangels Erwerb verneint (BFH-Urteil vom 18.10.2006, IX R 5/06). Eine Anschaffung setze zwingend einen Rechtsträgerwechsel voraus. Ein solcher sei im Jahr 2011 im Zuge der Betriebsaufgabe hinsichtlich der in Rede stehenden Aktien nicht erfolgt. Die Aktien seien nicht auf die Gesellschafterinnen umgeschrieben worden. Die Überführung der Aktien aus dem Betriebs- in das Privatvermögen der Gesellschafterinnen im Jahr 2011 stelle damit keine Anschaffung dar.

Ohne einen Rechtsträgerwechsel könne allenfalls eine sogenannte Anschaffungsfiktion vorliegen. Eine solche Anschaffungsfiktion werde beispielsweise in § 23 Abs. 1 S. 2 EStG formuliert. Als Anschaffung gelte demnach explizit auch die Überführung eines Wirtschaftsguts in das Privatvermögen des Steuerpflichtigen durch Entnahme oder Betriebsaufgabe. In § 52 Abs. 28 S. 11 EStG fehle aber eine solche explizit formulierte Anschaffungsfiktion. Diese Vorschrift beziehe sich eindeutig nur auf den Erwerb und damit auf die „Anschaffung“ und nicht auf eine Anschaffungsfiktion als erwerbsähnlichen Vorgang. Hätte der Gesetzgeber die Fälle der sogenannten Anschaffungsfiktion ebenfalls der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 EStG unterwerfen wollen, hätte er dies in der entsprechenden Übergangsvorschrift des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG ausdrücklich geregelt. Dies sei jedoch nicht geschehen.

Dem Beklagten könne auch nicht bei der in der Einspruchsentscheidung dargelegten teleologischen Gesetzesauslegung von § 52a Abs. 10 S. 1 EStG gefolgt werden. Zweck der Übergangsvorschrift sei es, den Übergang zwischen der alten Rechtslage, bei welcher der relevante Sachverhalt grundsätzlich nicht steuerbar gewesen sei, und der neuen Rechtslage, bei welcher der Sachverhalt als steuerbar und steuerpflichtig behandelt werde, zu regeln. Die Unterstellung des Beklagten, der Gesetzgeber wolle einen bestimmten Sachverhalt schon der neuen Rechtslage unterwerfen, auch wenn er die Übergangsvorschrift nicht entsprechend formuliert habe, sei nicht nachvollziehbar. Der Wille des Gesetzgebers sei es gerade gewesen, bestimmte Fälle, hier den Erwerb bis zum 31.12.2008, noch nach der alten Rechtslage als nicht steuerbar zu behandeln.

Zusammenfassend habe im Jahr 2011 bei der Betriebsaufgabe gerade kein Erwerb der Aktien stattgefunden. Vielmehr seien die Aktien vor dem gemäß § 52 Abs. 28 S. 11 EStG maßgeblichen Zeitpunkt des 31.12.2008 erworben worden. Für die Besteuerung der Wertzuwächse der Aktien der Jahre 2011 bis 2014 fehle es daher an der Anwendbarkeit des § 20 EStG.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 22.02.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.03.2018 dahingehend zu ändern, dass keine steuerbaren Gewinne aus Aktienverkäufen im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. insgesamt 82.649,46 € festgestellt werden,

die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu erklären,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Zur Begründung verweist er auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakten Akten Bezug genommen.

Die Beteiligten haben im Hinblick auf die Ankündigung des Gerichts, durch Gerichtbescheid entscheiden zu wollen, keine Einwände erhoben.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage, über die der Senat gemäß § 90a Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) durch Gerichtsbescheid entscheidet, ist begründet.

Der angefochtene Bescheid für 2014 über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen vom 22.02.2017 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.03.2018 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit darin ein steuerbar Gewinn aus Aktienverkäufen im Sinne des § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG i.H.v. 82.649,46 € festgestellt und verteilt worden ist.

Nach § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG 2009 zählen auch Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen an einer Körperschaft im Sinne des Abs. 1 Nr. 1 zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Die Norm ist allerdings erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind (§ 52a Abs. 10 S. 1 EStG 2009 in der vor seiner Aufhebung geltenden Fassung; § 52 Abs. 28 S. 11 EStG 2009 in der für das Streitjahr 2014 maßgebenden Fassung vom 25.07.2014).

Die Klägerin hat zwar mit Wirkung zum Streitjahr 2014 ein Aktienpaket und damit Anteile an einer Körperschaft im Sinne von § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 1 Nr. 1 EStG 2009 veräußert. Die veräußerten Aktien haben aber weder die Klägerin noch die beiden an der Klägerin beteiligten natürlichen Personen, welchen der Veräußerungsgewinn im angefochtenen Bescheid zugerechnet worden ist, nach dem 31.12.2008 erworben.

Die Klägerin selbst hat die Aktien bereits im Jahr 2007 erworben und bis zu der hier in Rede stehenden Veräußerung mit Vertrag vom 13.12.2013 mit Wirkung zum 02.01.2014 gehalten.

Ein nach dem 31.12.2008 erfolgte Erwerb ist auch nicht in der im Jahr 2011 erklärten Betriebsaufgabe und der damit einhergehenden Überführung der Aktien aus dem Betriebsvermögen der Klägerin in das Privatvermögen der beiden an der Klägerin beteiligten natürlichen Personen zu sehen.

Der Senat ist der Ansicht, dass ein Erwerb im Sinne von § 52 Abs. 28 S. 11 EStG einen Rechtsträgerwechsel – jedenfalls im Hinblick auf das wirtschaftliche Eigentum – voraussetzt.

Der BFH hat bereits mit Urteil vom 23.04.1965 (VI 34/62 U, BFHE 82, 637, BStBl III 1965, 477) zu § 23 Abs. 1 EStG a. F. entschieden, dass es über den Wortlaut der Vorschrift wesentlich hinausgehen würde, wenn man unter „Anschaffung“ und „Veräußerung“ auch Bewegungen zwischen dem Betriebsvermögen und im Privatvermögen, also die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen und die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Privatvermögen in das Betriebsvermögen verstehen wollte. Im Urteil vom 18.10.2006 (IX R 5/06, BFHE 215, 207, BStBl II 2007,179) hat der BFH zudem ausgeführt, dass die Entnahme eines Grundstücks aus dem Betriebsvermögen durch den Steuerpflichtigen – mangels Erwerb (§ 255 Abs. 1 Handelsgesetzbuch) – keine Anschaffung im Sinne von § 23 Abs. 1 EStG sei.

Im Streitfall ist die Klägerin trotz der im Jahr 2011 erklärten Betriebsaufgabe Eigentümerin der in Rede stehenden Aktien geblieben. Eine Umschreibung der Aktien und damit ein Rechtsträgerwechsel auf die Treuhand I. und Frau Dr. M. ist zu keinem Zeitpunkt erfolgt.

Der Senat ist auch nicht der Ansicht, dass die Übertragung der Aktien aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen einem Erwerb im Sinne von § 52 Abs. 28 S. 11 EStG gleichzusetzen ist. Zwar hat der Gesetzgeber in § 23 Abs. 1 S. 2 EStG die Überführung eines Wirtschaftsguts aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen durch Entnahme der Anschaffung gleichgestellt. Eine entsprechende „Erwerbsfiktion“ hat der Gesetzgeber aber weder in § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG noch in der Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG normiert.

Aus der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 vom 27.03.2007 ergibt sich nichts anderes. Dort wird ausgeführt, dass § 52a Abs. 10 S. 1 EStG a. F., welcher insoweit mit der im Streitjahr geltenden Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG wortgleich ist, die Einbeziehung von Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien in § 20 EStG betrifft. Die Regelung soll, so die Gesetzesbegründung, nur Anwendung auf Anteile finden, die nach dem 31.12.2008 erworben werden. Die Veräußerung von vor diesem Zeitpunkt erworbenen Anteilen unterfällt, so die Gesetzesbegründung, weiterhin § 23 EStG alter Fassung (amtliche Begründung des Entwurfs eines Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 vom 27.03.2007, Bundestagsdrucksache 16/4841 Seite 72 f.). Dass der Gesetzgeber aber die Überführung eines Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen als Erwerb angesehen hat oder einem Erwerb gleichstellen wollte, hat er in der Gesetzesbegründung nicht ausgeführt.

Da im Streitfall der Erwerb der Aktien im Jahr 2007 und damit vor dem Stichtag des 31.12.2008 erfolgt ist, bestimmt sich die Steuerbarkeit des Veräußerungsgewinns gemäß § 52 Abs. 28 S. 11 EStG (weiterhin) nach § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG.

In Anwendung von § 23 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist die Aktienveräußerung aber nicht steuerbar, da zwischen der Anschaffung und der Veräußerung der Aktien ein Zeitraum von mehr als einem Jahr lag und zwar auch unter Berücksichtigung der Anschaffungsfiktion gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 EStG, wonach die Überführung von Wirtschaftsgütern aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen als Anschaffung gilt. Die Überführung der Aktien aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen erfolgte mit Betriebsaufgabe zum 04.05.2011 und die Veräußerung der Aktien mit Vertrag vom 13.12.2013 mit Wirkung zum 02.01.2014.

Der Senat folgt dem Beklagten auch nicht darin, dass die Nichtbesteuerung der Wertzuwächse der Aktien aus der Zeit von 2011 bis 2014 zu einer Besteuerungslücke führe, welche vom Gesetzgeber nicht gewollt sei. Zwar ist es zutreffend, dass der Gesetzgeber mit der Einführung der Abgeltungssteuer durch das Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 die Unterscheidung zwischen Ertrags- und Vermögensebene bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften beseitigen und seit dem Systemwechsel alle Wertveränderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlagen erfassen wollte (vgl. BFH-Urteil vom 07.05.2019, BFHE 265, 76, BStBl II 2019, 577). Zugleich hat er aber in der hierzu erlassenen Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 S. 1 EStG a. F. des Jahressteuergesetzes 2009 angeordnet, dass Gewinne aus Aktienveräußerungen nur dann nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG n.F. steuerbar sind, wenn der Steuerpflichtige die Aktien vor dem 31.12.2008 erworben hat. Letzteres ist aber vorliegend nicht der Fall.

Dass der Gesetzgeber durch die Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 28 S. 11 EStG die Nichtbesteuerung von Wertsteigerungen im Privatvermögen hingenommen hat, wird auch an dem hypothetischen Sachverhalt deutlich, in welchem im Jahr 2007 nicht die Klägerin, sondern die an der Klägerin beteiligten natürlichen Personen selbst die Aktien erworben und im Dezember 2013 mit Wirkung zum Januar 2014 veräußert hätten. Wegen des Erwerbs der Aktien vor dem 31.12.2008 würde die Veräußerung noch zweifellos dem § 23 EStG unterfallen. Die Veräußerungsgewinne wären trotz Wertsteigerung im Privatvermögen insgesamt nicht steuerbar, weil die beiden natürlichen Personen die Aktien länger als ein Jahr gehalten hätten (vgl. § 23 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG). Diese vom Gesetzgeber bewusst hingenommene Nichtbesteuerung wird nach Ansicht des Senats nicht dadurch zur ungewollten „Besteuerungslücke“, dass im Streitfall die erfolgte Wertsteigerung der Aktien während des Zeitraums von 2007 bis zur Betriebsaufgabe im Jahr 2011 über § 16 Abs. 3 EStG besteuert worden sind.

Etwas anderes folgt auch nicht aus der in der Einspruchsentscheidung zitierten Literatur (Schlotter in: Littmann/Bitz/Pust, EStG, § 20. Rn. 1440). Zwar wird im dort gebildeten Beispielsfall von einer Steuerbarkeit der Aktienveräußerung gemäß § 20 EStG nach einer vorherigen Überführung der Aktien aus dem Betriebsvermögen in das Privatvermögen ausgegangen. Eine Begründung oder Auseinandersetzung mit der Anwendungsvorschrift des § 52a Abs. 10 S. 1 EStG a. F. oder § 52 Abs. 28 S. 11 EStG erfolgt dort aber nicht.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

Die Revision war zur Fortbildung des Rechts zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO).

Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorfahren war nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO für notwendig zu erklären.

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