EuGH: Zur Niederlassungsfreiheit bei Sitzverlegung von Gesellschaften
EuGH, Urteil vom 29.11.2011 - C-371/10, National Grid Indus gegen Inspecteur van de Belastingdienst Rijnmond/kantoor Rotterdam
Tenor
1. Eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ohne dass die Verlegung des Sitzes ihre Eigenschaft als Gesellschaft nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats berührt, kann sich auf Art. 49 AEUV berufen, um die Rechtmäßigkeit einer ihr von dem ersten Mitgliedstaat anlässlich dieser Sitzverlegung auferlegten Steuer in Frage zu stellen.
2. Art. 49 AEUV ist dahin auszulegen, dass
- er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach der Betrag der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft endgültig - ohne Berücksichtigung möglicherweise später eintretender Wertminderungen oder Wertzuwächse - zu dem Zeitpunkt festgesetzt wird, zu dem die Gesellschaft aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat aufhört, in dem ersten Mitgliedstaat steuerpflichtige Gewinne zu erzielen. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob sich die besteuerten nicht realisierten Wertzuwächse auf Kursgewinne beziehen, die im Aufnahmemitgliedstaat angesichts der dort geltenden Steuerregelung nicht zum Ausdruck kommen können;
- er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die sofortige Einziehung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, zum Zeitpunkt dieser Verlegung vorschreibt.
Aus den Gründen
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 49 AEUV.
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der National Grid Indus BV (im Folgenden: National Grid Indus), einer Gesellschaft nach niederländischem Recht mit satzungsmäßigem Sitz in den Niederlanden, und dem Inspecteur van de Belastingdienst Rijnmond/kantoor Rotterdam (im Folgenden: Inspecteur) wegen der Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen der Gesellschaft anlässlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in das Vereinigte Königreich.
Rechtlicher Rahmen
Das Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung
3
Das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland schlossen ein Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerhinterziehung im Bereich der Einkommen- und Vermögensteuer ab (im Folgenden: Abkommen).
4
Art. 4 des Abkommens bestimmt:
„1. Im Sinne dieses Abkommens bezeichnet der Ausdruck ‚in einem der Staaten ansässige Person‘ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnorts, ihres Aufenthaltsorts, des Ortes ihres Verwaltungssitzes oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist ...
...
3. Ist eine andere als eine natürliche Person nach den Bestimmungen des Abs. 1 in beiden Abkommensstaaten ansässig, gilt sie als ausschließlich in dem Staat ansässig, in dem sich ihr tatsächlicher Verwaltungssitz befindet."
5
Nach Art. 7 Abs. 1 des Abkommens „[können] Gewinne eines Unternehmens eines der Staaten nur in diesem Staat besteuert werden, es sei denn, das Unternehmen übt seine Geschäftstätigkeit in dem anderen Staat durch eine dort gelegene Betriebsstätte aus. Übt das Unternehmen seine Geschäftstätigkeit auf diese Weise aus, so können die Gewinne des Unternehmens in dem anderen Staat besteuert werden, jedoch nur insoweit als sie dieser Betriebsstätte zugerechnet werden können."
6
Art. 13 des Abkommens bestimmt:
„1. Gewinne eines Ansässigen eines der Staaten aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen, ... das in dem anderen Staat liegt, können in diesem anderen Staat besteuert werden.
2. Gewinne aus der Veräußerung von beweglichem Vermögen, das Betriebsvermögen einer Betriebsstätte darstellt, die ein Unternehmen eines der Staaten in dem anderen Staat hat, ... einschließlich der Gewinne, die bei der Veräußerung einer solchen Betriebsstätte (allein oder zusammen mit dem übrigen Unternehmen) ... erzielt werden, können in diesem anderen Staat besteuert werden.
3. Gewinne aus der Veräußerung von Seeschiffen oder Luftfahrzeugen im internationalen Verkehr ... können nur in dem Staat besteuert werden, in dem sich der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung des Unternehmens befindet.
4. Gewinne aus der Veräußerung des in den Abs. 1 bis 3 nicht genannten Vermögens können nur in dem Staat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist."
Die niederländische Regelung
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Art. 16 der Wet op de inkomstenbelasting 1964 (Einkommensteuergesetz 1964, im Folgenden: Wet IB) bestimmt:
„Gewinne aus Unternehmen, die bisher noch nicht ... berücksichtigt worden sind, werden dem Gewinn des Kalenderjahrs zugerechnet, in dem derjenige, für dessen Rechnung das Unternehmen betrieben wird, aufhört, aus dem Unternehmen in den Niederlanden steuerpflichtigen Gewinn zu erzielen. ..."
8
Nach Art. 8 der Wet op de vennootschapsbelasting 1969 (Körperschaftsteuergesetz, im Folgenden: Wet VPB) findet Art. 16 der Wet IB auf die Erhebung von Körperschaftsteuer entsprechend Anwendung.
9
Art. 2 Abs. 4 der Wet VPB bestimmt: „Eine nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft wird für die Zwecke dieses Gesetzes ... immer als in den Niederlanden ansässig betrachtet. ..."
Sachverhalt, der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegt, und Vorlagefragen
National Grid Indus ist eine nach niederländischem Recht gegründete Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Bis zum 15. Dezember 2000 hatte sie ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in den Niederlanden.
Diese Gesellschaft ist seit dem 10. Juni 1996 Inhaberin einer Forderung in Höhe von 33 113 000 GBP gegen die National Grid Company plc, eine im Vereinigten Königreich niedergelassene Gesellschaft.
Nach einer Steigerung des Kurses des Pfund Sterling gegenüber dem niederländischen Gulden war ein nicht realisierter Kursgewinn bei dieser Forderung entstanden. Am 15. Dezember 2000 belief sich dieser Kursgewinn auf 22 128 160 NLG.
An diesem Tag verlegte National Grid Indus ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in das Vereinigte Königreich. Aufgrund ihrer Errichtung nach niederländischem Recht blieb sie nach Art. 2 Abs. 4 der Wet VPB 1969 grundsätzlich in den Niederlanden unbeschränkt steuerpflichtig. Nach Art. 4 Abs. 3 des Abkommens, das nationalem Recht vorgeht, musste National Grid Indus ab der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes jedoch als im Vereinigten Königreich ansässig betrachtet werden. Da National Grid Indus nach der Verlegung ihres Sitzes nicht mehr über eine Betriebsstätte im Sinne des Abkommens in den Niederlanden verfügte, kam die Befugnis zur Besteuerung des Unternehmensgewinns und der Vermögenserträge nach dieser Sitzverlegung nach den Art. 7 Abs. 1 und 13 Abs. 4 des Abkommens ausschließlich dem Vereinigten Königreich zu.
Infolge der Anwendung des Abkommens hörte National Grid Indus auf, in den Niederlanden steuerpflichtigen Gewinn im Sinne von Art. 16 der Wet IB zu erzielen, so dass nach dieser Bestimmung in Verbindung mit Art. 8 der Wet VPB eine Schlussrechnung über die latenten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes dieses Unternehmens zu erstellen war. Daher entschied der Inspecteur, dass National Grid Indus u. a. den in Randnr. 12 des vorliegenden Urteils genannten Kursgewinn versteuern müsse.
National Grid Indus erhob gegen die Entscheidung des Inspecteur Klage vor der Rechtbank Haarlem, die diese Entscheidung mit Urteil vom 17. Dezember 2007 bestätigte.
Gegen das Urteil der Rechtbank Haarlem legte National Grid Indus ein Rechtsmittel beim Gerechtshof Amsterdam ein.
Das vorlegende Gericht ist zunächst der Meinung, dass sich National Grid Indus auf die Niederlassungsfreiheit berufen könne, um die steuerlichen Folgen anzufechten, die die Niederlande als Herkunftsmitgliedstaat an die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes dieser Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat knüpften. Da das Bestehen und Funktionieren dieser nach niederländischem Recht gegründeten Gesellschaft durch die in Rede stehende nationale Regelung nicht beeinträchtigt werde, unterscheide sich die vorliegende Rechtssache von denjenigen, in denen die Urteile vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (81/87, Slg. 1988, 5483), und vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, Slg. 2008, I‑9641), ergangen seien. Trotzdem bestünden in diesem Punkt weiterhin Zweifel.
Das vorlegende Gericht ist ferner der Ansicht, dass eine Steuer wie die im Ausgangsverfahren streitige die Niederlassungsfreiheit behindere. Die dieser Steuer zugrunde liegende nationale Maßnahme könnte aber durch das Ziel gerechtfertigt sein, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente, sicherzustellen. Es erläutert in diesem Zusammenhang, dass Art. 16 der Wet IB auf der Vorstellung beruhe, dass alle von einer ansässigen Gesellschaft erzielten Gewinne in den Niederlanden besteuert werden müssten. Wenn die Steuerpflicht in den Niederlanden als Folge einer Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft ende, müssten die noch nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen der Gesellschaft, die in den Niederlanden noch nicht besteuert worden seien, als realisierte Gewinne betrachtet und deshalb besteuert werden.
Das vorlegende Gericht meint jedoch, dass nach den Urteilen vom 11. März 2004, de Lasteyrie du Saillant (C‑9/02, Slg. 2008, I‑2409), und vom 7. September 2006, N (C‑470/04, Slg. 2006, I‑7409), nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Schlussrechnungssteuer nach der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung als unverhältnismäßig angesehen werden könnte, da sie zu einer sofort fälligen Steuerschuld führe und nach der Verlegung des Sitzes des betreffenden Unternehmens auftretende Wertminderungen nicht berücksichtige. Das vorlegende Gericht meint, dass auch zu diesem Punkt Zweifel bestünden. Es führt dazu ergänzend aus, dass der Aufschub der Besteuerung bis zu dem Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung der Wertzuwächse unüberwindbare praktische Probleme bereiten könnte.
Schließlich weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass im vorliegenden Fall nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus keine Wertminderung eintreten könne, da diese Verlegung es mit sich bringe, dass das Währungsrisiko für die auf Pfund Sterling lautende Schuld weggefallen sei. Nach der Sitzverlegung müsse diese Gesellschaft ihren steuerpflichtigen Gewinn nämlich in dieser Währung bestimmen.
Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Amsterdam das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann sich eine Gesellschaft, wenn ihr der Mitgliedstaat, nach dessen Recht sie gegründet wurde, anlässlich der Verlegung ihres tatsächlichen Sitzes aus diesem in einen anderen Mitgliedstaat eine Schlussrechnungssteuer auferlegt, nach dem derzeitigen Stand des Gemeinschaftsrechts gegenüber diesem Mitgliedstaat auf Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) berufen?
2. Bejahendenfalls: Verstößt eine Schlussrechnungssteuer wie die in Rede stehende, die ohne Aufschub und ohne Möglichkeit der Berücksichtigung späterer Wertverluste auf den Wertzuwachs der vom Herkunfts- in den Aufnahmemitgliedstaat verlegten Vermögensbestandteile der Gesellschaft, wie er zum Zeitpunkt der Sitzverlegung vorhanden war, erhoben wird, gegen Art. 43 EG (jetzt Art. 49 AEUV) in dem Sinn, dass sie nicht durch die Notwendigkeit einer Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt werden kann?
3. Hängt die Antwort auf die vorstehende Frage auch davon ab, dass die in Rede stehende Schlussrechnungssteuer einen unter niederländischer Steuerhoheit angefallenen (Währungs-)Gewinn betrifft, während dieser Gewinn im Aufnahmeland nach der dort geltenden Steuerregelung nicht zum Ausdruck kommen kann?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt und der anlässlich dieser Verlegung vom ersten Mitgliedstaat eine Steuer auferlegt wird, gegenüber diesem Mitgliedstaat auf Art. 49 AEUV berufen kann.
Die niederländische, die deutsche, die italienische, die portugiesische, die finnische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, dass Art. 49 AEUV die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt lasse, die Verlegung von Unternehmenssitzen zwischen Mitgliedstaaten auch in steuerlicher Hinsicht zu regeln. Die Auslegung dieses Artikels durch den Gerichtshof in den Urteilen Daily Mail and General Trust und Cartesio betreffe nicht nur die Voraussetzungen für das Bestehen und das Funktionieren von Gesellschaften nach nationalem Gesellschaftsrecht.
Diese Regierungen führen dazu aus, dass National Grid Indus aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes selbst nicht mehr dem Steuerrecht ihres Herkunftsmitgliedstaats unterliege. Die Niederlande verlören ihre Steuerhoheit in Bezug auf die Einkünfte aus der Tätigkeit dieser Gesellschaft. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuer sei daher eng mit den nationalen gesellschaftsrechtlichen Vorschriften über die Voraussetzungen für die Gesellschaftsgründung und die Verlegung des Sitzes dieser Gesellschaften verbunden, und diese Steuer sei eine unmittelbare Folge dieser Vorschriften.
Gemäß Art. 54 AEUV stehen die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaften, die ihren satzungsmäßigen Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung innerhalb der Gemeinschaft haben, für die Anwendung der Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit den natürlichen Personen gleich, die Angehörige der Mitgliedstaaten sind.
In Ermangelung einer einheitlichen unionsrechtlichen Definition der Gesellschaften, denen die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, anhand einer einheitlichen Anknüpfung, nach der sich das auf eine Gesellschaft anwendbare Recht bestimmt, ist die Frage, ob Art. 49 AEUV auf eine Gesellschaft anwendbar ist, die sich auf die dort verankerte Niederlassungsfreiheit beruft, ebenso wie im Übrigen die Frage, ob eine natürliche Person ein Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist und sich aus diesem Grund auf diese Freiheit berufen kann, daher eine Vorfrage, die beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nur nach dem geltenden nationalen Recht beantwortet werden kann. Nur wenn die Prüfung ergibt, dass dieser Gesellschaft in Anbetracht der in Art. 54 AEUV genannten Voraussetzungen tatsächlich die Niederlassungsfreiheit zugutekommt, stellt sich die Frage, ob sich die Gesellschaft einer Beschränkung dieser Freiheit im Sinne des Art. 49 AEUV gegenübersieht (vgl. Urteile Daily Mail and General Trust, Randnrn. 19 bis 23, vom 5. November 2002, Überseering, C‑208/00, Slg. 2002, I‑9919, Randnrn. 67 bis 70, sowie Cartesio, Randnr. 109).
Ein Mitgliedstaat kann somit sowohl die Anknüpfung bestimmen, die eine Gesellschaft aufweisen muss, um als nach seinem innerstaatlichen Recht gegründet angesehen werden und damit in den Genuss der Niederlassungsfreiheit gelangen zu können, als auch die Anknüpfung, die für den Erhalt dieser Eigenschaft verlangt wird (Urteil Cartesio, Randnr. 110). Ein Mitgliedstaat hat daher die Möglichkeit, einer nach seiner Rechtsordnung gegründeten Gesellschaft Beschränkungen hinsichtlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aus seinem Hoheitsgebiet aufzuerlegen, damit sie die ihr nach dem Recht dieses Staates zuerkannte Rechtspersönlichkeit behalten kann (Urteil Überseering, Randnr. 70).
Im Ausgangsverfahren hat die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich jedoch die Eigenschaft dieses Unternehmens als Gesellschaft nach niederländischem Recht nach dieser Rechtsordnung nicht berührt, die in Bezug auf Gesellschaften die Gründungstheorie anwendet.
Die niederländische, die deutsche, die italienische, die portugiesische, die finnische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs sind hingegen der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat, wenn er dazu befugt sei, die Auflösung und Liquidierung einer Gesellschaft im Falle ihres Wegzugs zu verlangen, auch für befugt erachtet werden müsse, steuerliche Erfordernisse festzulegen, wenn er das - aus Sicht des Binnenmarkts vorteilhaftere - System der Sitzverlegung unter Behaltung der Rechtspersönlichkeit anwende.
Die in Randnr. 27 des vorliegenden Urteils angeführte Befugnis impliziert jedoch keineswegs, dass die Vorschriften des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit nicht für das nationale Recht über die Gründung und Auflösung von Gesellschaften gelten (vgl. Urteil Cartesio, Randnr. 112).
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung betrifft nicht die Bestimmung der Voraussetzungen, deren Erfüllung ein Mitgliedstaat von einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft verlangt, damit diese ihre Eigenschaft als Gesellschaft dieses Mitgliedstaats nach der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat behalten kann. Die Regelung beschränkt sich vielmehr darauf, für die nach nationalem Recht gegründeten Gesellschaften steuerliche Folgen an eine Sitzverlegung zwischen Mitgliedstaaten zu knüpfen, ohne dass diese Sitzverlegung ihre Eigenschaft als Gesellschaften des fraglichen Mitgliedstaats berührt.
Da im Ausgangsverfahren die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich ihre Eigenschaft als Gesellschaft nach niederländischem Recht nicht berührt hat, hat diese Verlegung keine Auswirkung auf ihre Möglichkeit, sich auf Art. 49 AEUV zu berufen. Als Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren satzungsmäßigen Sitz sowie ihre Hauptverwaltung innerhalb der Union hat, kommen ihr nach Art. 54 AEUV die Bestimmungen dieses Vertrags über die Niederlassungsfreiheit zugute, und sie kann sich daher auf ihre Rechte aus Art. 49 AEUV berufen, insbesondere um die Rechtmäßigkeit einer ihr von diesem Mitgliedstaat anlässlich der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat auferlegten Steuer in Frage zu stellen.
Auf die erste Frage ist daher zu antworten, dass sich eine nach dem Recht eines Mitgliedstaats gegründete Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, ohne dass die Verlegung des Sitzes ihre Eigenschaft als Gesellschaft nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats berührt, auf Art. 49 AEUV berufen kann, um die Rechtmäßigkeit einer ihr von dem ersten Mitgliedstaat anlässlich dieser Sitzverlegung auferlegten Steuer in Frage zu stellen.
Zur zweiten und zur dritten Frage
Mit der zweiten und der dritten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass er einer Steuerregelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen entgegensteht, wonach die nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats gegründet wurde und die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, vom ersten Mitgliedstaat im Zeitpunkt der Verlegung besteuert werden, ohne dass diese Regelung einen Aufschub der Zahlung der dieser Gesellschaft auferlegten Steuer bis zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung dieser Wertzuwächse vorsieht und ohne dass sie die nach der Verlegung des Sitzes des betreffenden Unternehmens möglicherweise auftretenden Wertminderungen berücksichtigt. Außerdem möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Auslegung von Art. 49 AEUV dadurch beeinflusst wird, dass sich die besteuerten nicht realisierten Wertzuwächse auf Kursgewinne beziehen, die im Aufnahmemitgliedstaat angesichts der dort geltenden Steuerregelung nicht zum Ausdruck kommen können.
Zum Vorliegen einer Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
Nach Art. 49 AEUV sind die Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit aufzuheben. Auch wenn die Vertragsbestimmungen über die Niederlassungsfreiheit nach ihrem Wortlaut die Inländerbehandlung im Aufnahmemitgliedstaat sichern sollen, verbieten sie es doch ebenfalls, dass der Herkunftsmitgliedstaat die Niederlassung seiner Staatsangehörigen oder einer nach seinem Recht gegründeten Gesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat behindert (vgl. Urteile vom 16. Juli 1998, ICI, C‑264/96, Slg. 1998, I‑4695, Randnr. 21, vom 6. Dezember 2007, Columbus Container Services, C‑298/05, Slg. 2007, I‑10451, Randnr. 33, vom 23. Oktober 2008, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, C‑157/07, Slg. 2008, I‑8061, Randnr. 29, und vom 15. April 2010, CIBA, C‑96/08, Slg. 2010, I‑2911, Randnr. 18).
Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung sind als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen (vgl. Urteile vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France, C‑442/02, Slg. 2004, I‑8961, Randnr. 11, Columbus Container Services, Randnr. 34, Krankenheim Ruhesitz am Wannsee-Seniorenheimstatt, Randnr. 30, und CIBA, Randnr. 19).
Es ist festzustellen, dass im Ausgangsverfahren eine Gesellschaft nach niederländischem Recht, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in Ausübung des ihr durch Art. 49 AEUV garantierten Rechts aus den Niederlanden wegverlegen will, im Vergleich zu einer ähnlichen Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in den Niederlanden belässt, einen Liquiditätsnachteil erleidet. Denn nach der im Ausgangsverfahren streitigen nationalen Regelung zieht die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft nach niederländischem Recht in einen anderen Mitgliedstaat die sofortige Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse beim verlegten Vermögen nach sich, während solche Wertzuwächse nicht besteuert werden, wenn eine solche Gesellschaft ihren Sitz innerhalb des niederländischen Hoheitsgebiets verlegt. Die Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft, die eine Sitzverlegung innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats vornimmt, werden nur besteuert, wenn und soweit sie sich tatsächlich realisiert haben. Diese unterschiedliche Behandlung bei der Besteuerung der Wertzuwächse ist geeignet, eine Gesellschaft nach niederländischem Recht davon abzuhalten, ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat zu verlegen (vgl. in diesem Sinne Urteile de Lasteyrie du Saillant, Randnr. 46, und N, Randnr. 35).
Die somit festgestellte unterschiedliche Behandlung lässt sich nicht durch eine objektiv unterschiedliche Situation erklären. Denn was die Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung der auf seinem Hoheitsgebiet entstandenen Wertzuwächse betrifft, gleicht die Situation einer Gesellschaft, die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats gegründet wurde und ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, in Bezug auf die Besteuerung der Wertzuwächse beim Vermögen, die im ersten Mitgliedstaat vor der Verlegung des Sitzes erzielt wurden, der Situation einer ebenfalls nach dem Recht des ersten Mitgliedstaats gegründeten Gesellschaft, die ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat belässt.
Die spanische, die französische und die portugiesische Regierung tragen noch vor, dass eine Gesellschaft wie die Klägerin des Ausgangsverfahrens im Vergleich zu einer Gesellschaft, die ihren Sitz innerhalb eines Mitgliedstaats verlegt habe, keinen Nachteil erleide. Da der Kursgewinn in niederländischen Gulden auf eine auf Pfund Sterling lautende Forderung bei der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich verschwunden sei, sei bei dieser Gesellschaft ein realisierter Wertzuwachs besteuert worden. Eine Verlegung des Sitzes innerhalb des betreffenden Mitgliedstaats hätte hingegen nicht zu einer Realisierung eines Wertzuwachses geführt.
Dem ist nicht zu folgen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Besteuerung zielt nicht auf realisierte Wertzuwächse ab. Der im Ausgangsverfahren besteuerte Kursgewinn bezieht sich nämlich auf einen nicht realisierten Wertzuwachs, der zu keinen Einnahmen bei National Grid Indus geführt hat. Ein solcher nicht realisierter Wertzuwachs wäre nicht besteuert worden, wenn National Grid Indus ihren tatsächlichen Verwaltungssitz innerhalb des niederländischen Hoheitsgebiets verlegt hätte.
Folglich stellt die unterschiedliche Behandlung, der die Gesellschaften nach niederländischem Recht, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegen, nach den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Bestimmungen im Vergleich zu den Gesellschaften nach niederländischem Recht unterliegen, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz innerhalb des niederländischen Hoheitsgebiets verlegen, eine nach den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit grundsätzlich verbotene Beschränkung dar.
Zur Rechtfertigung der Beschränkung der Niederlassungsfreiheit
Eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ist nach ständiger Rechtsprechung nur statthaft, wenn sie durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In diesem Fall muss die Beschränkung aber außerdem geeignet sein, die Erreichung des fraglichen Ziels zu gewährleisten, und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer, C‑446/03, Slg. 2005, I‑10837, Randnr. 35, vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, C‑196/04, Slg. 2006, I‑7995, Randnr. 47, vom 13. Mai 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation, C‑524/04, Slg. 2007, I‑2107, Randnr. 64, sowie vom 18. Juni 2009, Aberdeen Property Fininvest Alpha, C‑303/07, Slg. 2009, I‑5145, Randnr. 57).
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts könnte die Beschränkung der Niederlassungsfreiheit durch das Ziel gerechtfertigt sein, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nach dem Territorialitätsprinzip, verbunden mit einer zeitlichen Komponente, sicherzustellen. Der betreffende Mitgliedstaat übe seine Besteuerungsbefugnis nämlich nur hinsichtlich der Wertzuwächse aus, die auf seinem Hoheitsgebiet in dem Zeitraum erzielt worden seien, in dem National Grid Indus dort steueransässig gewesen sei.
National Grid Indus meint hingegen, ein solches Ziel könne die festgestellte Beschränkung nicht rechtfertigen, da die im Ausgangsverfahren fragliche Besteuerung keinen realen Gewinn betreffe.
Dazu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten ein vom Gerichtshof anerkanntes legitimes Ziel ist (vgl. in diesem Sinne Urteile Marks & Spencer, Randnr. 45, N, Randnr. 42, vom 18. Juli 2007, Oy AA, C‑231/05, Slg. 2007, I‑6373, Randnr. 51, sowie vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium, C‑414/06, Slg. 2008, I‑3601, Randnr. 31). Zum anderen geht aus der ständigen Rechtsprechung hervor, dass in Ermangelung von unionsrechtlichen Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten befugt bleiben, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen (Urteil vom 19. November 2009, Kommission/Italien, C‑540/07, Slg. 2009, I‑10983, Randnr. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats in einen anderen Mitgliedstaat kann nicht bedeuten, dass der Herkunftsmitgliedstaat auf sein Recht zur Besteuerung eines Wertzuwachses, der im Rahmen seiner Steuerhoheit vor dieser Verlegung erzielt wurde, verzichten muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation, C‑374/04, Slg. 2006, I‑11673, Randnr. 59). Der Gerichtshof hat daher festgestellt, dass ein Mitgliedstaat nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität, verbunden mit einem zeitlichen Element, nämlich der Steueransässigkeit des Steuerpflichtigen im Inland während der Entstehung der nicht realisierten Wertzuwächse, das Recht hat, diese Wertzuwächse zum Zeitpunkt des Wegzugs des Steuerpflichtigen zu besteuern (vgl. Urteil N, Randnr. 46). Eine solche Maßnahme soll nämlich Situationen verhindern, die das Recht des Herkunftsmitgliedstaats auf Ausübung seiner Steuerhoheit für die in seinem Hoheitsgebiet durchgeführten Tätigkeiten gefährden können, und kann daher aus Gründen zur Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gerechtfertigt sein (vgl. Urteile Marks & Spencer, Randnr. 46, Oy AA, Randnr. 54, sowie vom 21. Januar 2010, SGI, C‑311/08, Slg. 2010, I‑487, Randnr. 60).
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass National Grid Indus nach Art. 7 Abs. 1 des Abkommens nach der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in das Vereinigte Königreich als in diesem Mitgliedstaat ansässige Gesellschaft angesehen wurde. Da National Grid Indus aufgrund der Sitzverlegung aufgehört hat, in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne zu erzielen, ist gemäß Art. 16 der Wet IB eine Schlussrechnung über die Wertzuwächse beim Vermögen dieser Gesellschaft in den Niederlanden zum Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes in das Vereinigte Königreich erstellt worden. Die nach der Verlegung des Sitzes erzielten Wertzuwächse werden nach Art. 13 Abs. 4 des Abkommens im Vereinigten Königreich besteuert.
In Anbetracht dieser Elemente ist eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren streitige geeignet, die Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Denn mit der Erhebung der Schlussrechnungssteuer zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft sollen die nicht realisierten Wertzuwächse, die unter der Steuerhoheit des Herkunftsmitgliedstaats vor der Sitzverlegung erzielt wurden, in diesem Mitgliedstaat der Gewinnsteuer unterworfen werden. Die nicht realisierten Wertzuwächse bei einem Wirtschaftsgut werden demnach in dem Mitgliedstaat besteuert, in dem sie erzielt wurden. Die nach der Verlegung des Sitzes dieser Gesellschaft erzielten Wertzuwächse werden ausschließlich im Aufnahmemitgliedstaat, wo sie erzielt wurden, besteuert, wodurch ihre doppelte Besteuerung vermieden wird.
Das Vorbringen von National Grid Indus, die im Ausgangsverfahren streitige Besteuerung könne nicht gerechtfertigt werden, weil sie einen latenten und keinen realisierten Wertzuwachs betreffe, ist zurückzuweisen. Denn wie die verschiedenen Regierungen, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, erläutert haben, hat ein Mitgliedstaat das Recht, den auf seinem Hoheitsgebiet durch einen latenten Wertzuwachs erzielten wirtschaftlichen Wert zu besteuern, auch wenn der betreffende Wertzuwachs dort noch nicht tatsächlich realisiert wurde.
Es ist auch zu prüfen, ob eine Maßnahme wie die im Ausgangsverfahren streitige nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels erforderlich ist (Urteil vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a., C‑262/09, Slg. 2011, I‑0000, Randnr. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Es ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass nach der in Rede stehenden nationalen Regelung sowohl die Festsetzung der Höhe der Steuerschuld als auch die Einziehung dieser Schuld zu dem Zeitpunkt stattfinden, zu dem die betreffende Gesellschaft aufhört, in den Niederlanden steuerpflichtige Gewinne zu erzielen, im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat. Zur Beurteilung der Verhältnismäßigkeit einer solchen Regelung ist zwischen der Festsetzung des Steuerbetrags und der Einziehung desselben zu unterscheiden.
- Zur endgültigen Festsetzung des Steuerbetrags zum Zeitpunkt, zu dem die Gesellschaft ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt
Wie die Generalanwältin in den Nrn. 55 und 56 ihrer Schlussanträge ausführt, wird mit der Festsetzung des Steuerbetrags zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in Anbetracht des Ziels der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung, nämlich die im Rahmen der Steuerhoheit des Herkunftsmitgliedstaats erzielten Wertzuwächse in diesem Mitgliedstaat zu besteuern, der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet. Es ist nämlich verhältnismäßig, dass der Herkunftsmitgliedstaat zur Wahrung seiner Steuerhoheit die Steuer bestimmt, die für die in seinem Hoheitsgebiet erzielten, aber nicht realisierten Wertzuwächse zu dem Zeitpunkt geschuldet wird, zu dem seine Besteuerungsbefugnis der betreffenden Gesellschaft gegenüber endet, im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat.
Die Europäische Kommission trägt unter Verweisung auf das Urteil N hingegen vor, dass im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Herkunftsmitgliedstaat gehalten sei, die Wertminderungen zu berücksichtigen, die zwischen dem Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft und der Realisierung der betreffenden Vermögenswerte eingetreten seien, wenn die Steuerregelung des Aufnahmemitgliedstaats diese Wertminderungen nicht berücksichtige.
Es ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in dem Urteil N, das eine nationale Regelung betraf, nach der eine Privatperson anlässlich der Verlegung ihres steuerlichen Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat eine Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse bei einer wesentlichen Beteiligung, die sie an einer Gesellschaft hielt, zu entrichten hatte, entschieden hat, dass nur ein Steuersystem als verhältnismäßig gegenüber dem Ziel, eine ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen, angesehen werden kann, das die Wertminderungen, die möglicherweise nach der Verlegung des Wohnsitzes des betroffenen Steuerpflichtigen eingetreten sind, vollständig berücksichtigt, soweit sie nicht bereits im Aufnahmemitgliedstaat berücksichtigt worden sind (Urteil N, Randnr. 54).
Auch wenn durch die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich das Kursrisiko für die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, auf Pfund Sterling lautende Forderung entfällt, könnte dennoch eine Wertminderung dieser Forderung nach der Verlegung eintreten, wenn z. B. der betreffenden Gesellschaft nicht die gesamte Schuld zurückgezahlt wird.
Anders als in der Rechtssache, die dem Urteil N zugrunde lag, kann jedoch im vorliegenden Ausgangsverfahren die Nichtberücksichtigung der Wertminderungen, die nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft eingetreten sind, durch den Herkunftsmitgliedstaat im Hinblick auf das mit der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung verfolgte Ziel nicht als unverhältnismäßig betrachtet werden.
Die Vermögenswerte einer Gesellschaft sind nämlich unmittelbar wirtschaftlichen Tätigkeiten zugewiesen, die auf Gewinn ausgerichtet sind. Außerdem wird die Höhe des steuerpflichtigen Gewinns einer Gesellschaft zum Teil durch die Bewertung der Aktiva in der Bilanz der Gesellschaft beeinflusst, da die Abschreibungen die Besteuerungsgrundlage verringern.
Da in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren streitigen die Gewinne der Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz verlegt hat, nach dieser Verlegung gemäß dem mit einem zeitlichen Element verbundenen Grundsatz der steuerlichen Territorialität nur im Aufnahmemitgliedstaat besteuert werden, hat in Anbetracht des genannten Zusammenhangs zwischen den Vermögenswerten der Gesellschaft und den steuerpflichtigen Gewinnen und folglich wegen der Symmetrie zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit, Verluste in Abzug zu bringen, auch dieser Mitgliedstaat in seinem Steuersystem Wertschwankungen der Vermögenswerte der betreffenden Gesellschaft zu berücksichtigen, die ab dem Zeitpunkt aufgetreten sind, zu dem der Herkunftsmitgliedstaat die steuerliche Anknüpfung zu dieser Gesellschaft verloren hat.
Infolgedessen ist der Herkunftsmitgliedstaat entgegen der Meinung der Kommission nicht gehalten, eventuelle Währungsverluste zu berücksichtigen, die nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes von National Grid Indus in das Vereinigte Königreich bis zur Rückzahlung oder bis zur Abtretung ihrer Forderung eintreten. Die geschuldete Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse wird nämlich zu dem Zeitpunkt bestimmt, zu dem die Besteuerungsbefugnis des Herkunftsmitgliedstaats der betreffenden Gesellschaft gegenüber endet, im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes der Gesellschaft. Sowohl die Berücksichtigung eines Kursgewinns als auch die eines Kursverlusts, die nach der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes eingetreten sind, durch den Herkunftsmitgliedstaat birgt nicht nur die Gefahr in sich, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten in Frage zu stellen, sondern auch zu einer doppelten Besteuerung oder einem doppelten Verlustabzug zu führen. Das wäre insbesondere der Fall, wenn eine Gesellschaft, die eine auf Pfund Sterling lautende Forderung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende besitzt, ihren Sitz von einem Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, in einen anderen Mitgliedstaat der Eurozone verlegte.
In diesem Zusammenhang ist es unerheblich, dass in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren streitigen durch die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft in das Vereinigte Königreich das Kursrisiko entfallen ist, da die auf Pfund Sterling lautende Forderung nach der Verlegung des Sitzes in der Bilanz der Gesellschaft auch in dieser Währung ausgedrückt wird. Denn nach dem Grundsatz der steuerlichen Territorialität, verbunden mit einem zeitlichen Element, nämlich der Steueransässigkeit im Inland in dem Zeitraum, in dem der steuerpflichtige Gewinn entstanden ist, wird der im Herkunftsmitgliedstaat erzielte Wertzuwachs zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft besteuert.
Wie sich im Übrigen aus Randnr. 58 des vorliegenden Urteils ergibt, wird das Steuersystem des Aufnahmemitgliedstaats grundsätzlich zum Zeitpunkt der Realisierung der Vermögenswerte des betreffenden Unternehmens die Wertzuwächse und Wertminderungen berücksichtigen, die seit der Verlegung des Sitzes dieses Unternehmens entstanden sind. Die eventuelle Nichtberücksichtigung der Wertminderung durch den Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet den Herkunftsmitgliedstaat jedoch keineswegs, zum Zeitpunkt der Realisierung der betreffenden Vermögenswerte eine Steuerschuld neu zu bewerten, die zum Zeitpunkt, zu dem die Steuerpflichtigkeit der betreffenden Gesellschaft im Herkunftsmitgliedstaat aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes endete, endgültig bestimmt wurde.
Insoweit ist zu beachten, dass der Vertrag einer unter Art. 54 AEUV fallenden Gesellschaft nicht garantiert, dass die Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat steuerneutral ist. Aufgrund der unterschiedlichen Regelungen der Mitgliedstaaten in diesem Bereich kann eine solche Verlegung für eine Gesellschaft je nach dem Einzelfall steuerlich mehr oder weniger vorteilhaft oder nachteilig sein (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2004, Lindfors, C‑365/02, Slg. 2004, I‑7183, Randnr. 34, vom 12. Juli 2005, Schempp, C‑403/03, Slg. 2005, I‑6421, Randnr. 45, sowie vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund, C‑194/06, Slg. 2008, I‑3747, Randnr. 37). Die Niederlassungsfreiheit kann nämlich nicht dahin verstanden werden, dass ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, seine Steuervorschriften auf diejenigen eines anderen Mitgliedstaats abzustimmen, um in allen Situationen eine Besteuerung zu gewährleisten, die jede Ungleichheit, die sich aus den nationalen Steuerregelungen ergibt, beseitigt (vgl. Urteil vom 28. Februar 2008, Deutsche Shell, C‑293/06, Slg. 2008, I‑1129, Randnr. 43).
Zudem ist die steuerliche Situation einer Gesellschaft, die wie im Ausgangsverfahren eine auf Pfund Sterling lautende Forderung besitzt und ihren tatsächlichen Verwaltungssitz von den Niederlanden in das Vereinigte Königreich verlegt, verglichen mit der Situation einer Gesellschaft, die eine identische Forderung besitzt, aber ihren Sitz innerhalb des ersten Mitgliedstaats verlegt, nicht zwangsläufig nachteilig.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass Art. 49 AEUV einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach der Betrag der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft endgültig - ohne Berücksichtigung möglicherweise später eintretender Wertminderungen oder Wertzuwächse - zu dem Zeitpunkt festgesetzt wird, zu dem die Gesellschaft aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat aufhört, in dem ersten Mitgliedstaat steuerpflichtige Gewinne zu erzielen. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob sich die besteuerten nicht realisierten Wertzuwächse auf Kursgewinne beziehen, die im Aufnahmemitgliedstaat angesichts der dort geltenden Steuerregelung nicht zum Ausdruck kommen können.
- Zur sofortigen Einziehung der Steuer zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat
Nach Ansicht der National Grid Indus und der Kommission ist die sofortige Einziehung der Steuer zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat unverhältnismäßig. Ihre Einziehung zum Zeitpunkt der tatsächlichen Realisierung des Wertzuwachses wäre eine weniger einschneidende Maßnahme als diejenige, die in der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung vorgesehen sei, und würde die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten nicht gefährden.
Die Kommission ergänzt, dass der Verwaltungsaufwand, den die aufgeschobene Einziehung der Steuer mit sich bringe, nicht übermäßig sei. Eine einfache von der betreffenden Gesellschaft unterzeichnete und jährlich abzugebende Erklärung, dass sie noch im Besitz der verlegten Vermögenswerte sei, verbunden mit einer Erklärung zum Zeitpunkt der tatsächlichen Abtretung der Forderung könnte ausreichen, um den Herkunftsmitgliedstaat in die Lage zu versetzen, die geschuldete Steuer auf die latenten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Realisierung des Vermögenswerts einzuziehen.
Die zehn Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, machen hingegen geltend, dass die sofortige Einziehung der Steuerschuld zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspreche. Der Aufschub der Einziehung bis zur Realisierung der Wertzuwächse stelle keine gleichwertige und effiziente Alternativlösung dar und könnte das im Allgemeininteresse liegende Ziel der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung beeinträchtigen. Sie betonen in diesem Zusammenhang, dass eine aufgeschobene Einziehung der Steuer zwangsläufig voraussetze, dass die verschiedenen Vermögensgegenstände, bei denen zum Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes dieser Gesellschaft ein Wertzuwachs festgestellt worden sei, im Aufnahmemitgliedstaat bis zum Zeitpunkt ihrer Realisierung nachverfolgt werden könnten. Die Organisation einer solchen Nachverfolgung bedeute aber für die Gesellschaft ebenso wie für die Steuerverwaltung einen übermäßigen Aufwand.
Die Einziehung der Steuerschuld im Zeitpunkt der im Aufnahmemitgliedstaat erfolgenden tatsächlichen Realisierung des Vermögenswerts, bei dem von den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats anlässlich der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft in den ersten Mitgliedstaat ein Wertzuwachs festgestellt wurde, soll die Liquiditätsprobleme vermeiden, zu denen die sofortige Einziehung der geschuldeten Steuer auf den nicht realisierten Wertzuwachs führen könnte.
Was den Verwaltungsaufwand betrifft, den eine solche aufgeschobene Steuereinziehung mit sich bringen könnte, so ist festzustellen, dass die Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft mit der Verlegung einer Vielzahl von Vermögensgegenständen verbunden sein kann. Die niederländische Regierung hebt in diesem Zusammenhang hervor, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation atypisch sei, da der Wertzuwachs bei bloß einer Forderung der National Grid Indus betroffen sei.
Folglich kann sich, wie die Generalanwältin in Nr. 69 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, die Vermögenssituation einer Gesellschaft derart komplex darstellen, dass eine präzise grenzüberschreitende Nachverfolgung des Schicksals sämtlicher zum Anlage- und Umlaufvermögen einer Gesellschaft gehörender Gegenstände bis zur Realisierung darin vorhandener latenter Wertzuwächse fast unmöglich und mit einem Aufwand verbunden ist, der für die betreffende Gesellschaft eine erhebliche oder sogar übermäßige Belastung bedeuten würde.
Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass der Verwaltungsaufwand, den die von der Kommission vorgeschlagene jährliche Erklärung mit sich bringt, die jeden Vermögensgegenstand einbeziehen muss, bei dem zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft ein nicht realisierter Wertzuwachs festgestellt wurde, als solcher für die Gesellschaft eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit mit sich bringt, die diese Freiheit nicht unbedingt weniger beeinträchtigt als die sofortige Einziehung der Steuerschuld, die diesem Wertzuwachs entspricht.
Dagegen ermöglichen die Art und der Umfang des Gesellschaftsvermögens in anderen Fällen leicht die grenzüberschreitende Nachverfolgung der Vermögensgegenstände, bei denen zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft ein Wertzuwachs festgestellt wurde.
Somit würde eine nationale Regelung, die einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, die Wahl lässt zwischen einerseits der sofortigen Zahlung des Steuerbetrags, was zu einem Liquiditätsnachteil führt, die Gesellschaft aber vom späteren Verwaltungsaufwand befreit, und andererseits einer Aufschiebung der Zahlung dieses Steuerbetrags, gegebenenfalls zuzüglich Zinsen entsprechend der geltenden nationalen Regelung, was für die betreffende Gesellschaft notwendigerweise einen Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der Nachverfolgung des verlegten Vermögens mit sich bringt, eine Maßnahme darstellen, die die Niederlassungsfreiheit weniger stark beeinträchtigt als die im Ausgangsverfahren streitige Maßnahme und dabei die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten gewährleistet. Denn wenn eine Gesellschaft meint, dass der Verwaltungsaufwand im Zusammenhang mit der aufgeschobenen Einziehung übermäßig ist, könnte sie sich für die sofortige Zahlung der Steuer entscheiden.
Es ist aber auch das Risiko der Nichteinziehung der Steuer zu bedenken, das sich mit der Zeit erhöht. Diesem Risiko kann der fragliche Mitgliedstaat im Rahmen seiner für aufgeschobene Zahlungen von Steuerschulden geltenden nationalen Regelung durch Maßnahmen wie die Stellung einer Bankgarantie begegnen.
Die Regierungen, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind der Ansicht, dass die aufgeschobene Zahlung der Steuer für die Steuerbehörden der Mitgliedstaaten einen übermäßigen Aufwand im Zusammenhang mit der Nachverfolgung aller Vermögensgegenstände einer Gesellschaft darstelle, bei denen ein Wertzuwachs zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der Gesellschaft festgestellt wurde.
Dem ist nicht zu folgen.
Es ist zunächst daran zu erinnern, dass die Nachverfolgung der Vermögensgegenstände nur die Einziehung der Steuerschuld und nicht die Festsetzung dieser Schuld betrifft. Denn wie aus Randnr. 64 des vorliegenden Urteils hervorgeht, steht Art. 49 AEUV einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren streitigen nicht entgegen, wonach der Betrag der Steuer auf die Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft, die aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat aufhört, im ersten Mitgliedstaat steuerpflichtige Gewinne zu erzielen, endgültig zum Zeitpunkt der Verlegung dieses Sitzes festgesetzt wird. Da aber eine Gesellschaft, die sich für die aufgeschobene Zahlung dieser Steuern entscheidet, zwangsläufig der Ansicht ist, dass die Nachverfolgung der Vermögensgegenstände, bei denen ein Wertzuwachs im Zeitpunkt der Sitzverlegung festgestellt wurde, ihr keinen übermäßigen Verwaltungsaufwand bereitet, kann der Aufwand, der auf der Steuerverwaltung des Herkunftsmitgliedstaats lastet und der mit der Kontrolle der Erklärungen hinsichtlich einer solchen Nachverfolgung verbunden ist, auch nicht als übermäßig eingestuft werden.
Weiter sind - entgegen dem Vorbringen der niederländischen, der deutschen und der spanischen Regierung - die zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten bestehenden Mechanismen zur gegenseitigen Unterstützung hinreichend, um den Herkunftsmitgliedstaat in die Lage zu versetzen, die Richtigkeit der Erklärungen der Gesellschaften zu kontrollieren, die sich für eine aufgeschobene Zahlung der Steuer entschieden haben. In diesem Zusammenhang ist zu betonen, dass die Unterstützung durch den Aufnahmemitgliedstaat nicht die korrekte Festsetzung der Steuer, sondern nur ihre Einziehung betrifft, da die Steuer endgültig zum Zeitpunkt festgesetzt wird, zu dem die Gesellschaft wegen der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes aufhört, im Herkunftsmitgliedstaat steuerpflichtige Gewinne zu erzielen. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2008/55/EG des Rates vom 26. Mai 2008 über die gegenseitige Unterstützung bei der Beitreibung von Forderungen in Bezug auf bestimmte Abgaben, Zölle, Steuern und sonstige Maßnahmen (ABl. L 150, S. 28) sieht vor, dass „[a]uf Antrag der ersuchenden Behörde ... die ersuchte Behörde dieser alle Auskünfte [erteilt], die ihr bei der Beitreibung einer Forderung von Nutzen sind". Aufgrund dieser Richtlinie kann der Herkunftsmitgliedstaat daher von der zuständigen Behörde des Aufnahmemitgliedstaats Informationen erhalten, ob eine Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in den Aufnahmemitgliedstaat verlegt hat, bestimmte Vermögensgegenstände realisiert hat oder nicht, soweit diese Informationen erforderlich sind, um den Herkunftsmitgliedstaat in die Lage zu versetzen, eine Steuerschuld einzuziehen, die im Zeitpunkt der Verlegung des Sitzes entstanden ist. Im Übrigen bietet die Richtlinie 2008/55, insbesondere ihre Art. 5 bis 9, den Behörden des Herkunftsmitgliedstaats einen Rahmen der Zusammenarbeit und Unterstützung, der ihnen die tatsächliche Einziehung der Steuerschuld im Aufnahmemitgliedstaat ermöglicht.
Die deutsche und die italienische Regierung machen außerdem geltend, die im Ausgangsverfahren streitige nationale Regelung sei durch das Erfordernis gerechtfertigt, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu wahren. Die Besteuerung der nicht realisierten Wertzuwächse zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der betreffenden Gesellschaft in einen anderen Mitgliedstaat bilde das logische Pendant zur vorherigen steuerlichen Verschonung dieser Wertzuwächse.
Wie die Generalanwältin in Nr. 99 ihrer Schlussanträge festgestellt hat, decken sich die Anliegen der steuerlichen Kohärenz und der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis.
Doch selbst wenn man annimmt, dass mit der im Ausgangsverfahren streitigen nationale Regelung das Ziel der Wahrung der steuerlichen Kohärenz erreicht werden kann, ist festzustellen, dass nur die Festsetzung des Steuerbetrags zum Zeitpunkt der Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes einer Gesellschaft und nicht seine sofortige Einziehung als nicht über das hinausgehend angesehen werden kann, was zur Erreichung eines solchen Ziels erforderlich ist.
Die aufgeschobene Einziehung der Steuer stellt nämlich den in der niederländischen Regelung bestehenden Zusammenhang zwischen dem Steuervorteil, den die Verschonung der nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen darstellt, solange eine Gesellschaft steuerpflichtige Gewinne in dem betreffenden Mitgliedstaat erzielt, und dem Ausgleich für diesen Vorteil durch eine Steuer, die zu dem Zeitpunkt festgesetzt wird, zu dem die betreffende Gesellschaft aufhört, solche Gewinne zu erzielen, nicht in Frage.
Die deutsche, die spanische, die portugiesische, die finnische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs machen zur Rechtfertigung der im Ausgangsverfahren streitigen Regelung auf die Gefahr der Steuerhinterziehung aufmerksam.
Allerdings kann der Umstand allein, dass eine Gesellschaft ihren Sitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, nicht die allgemeine Vermutung der Steuerhinterziehung begründen und keine die Ausübung einer vom Vertrag garantierten Grundfreiheit beeinträchtigende Maßnahme rechtfertigen (vgl. in diesem Sinne Urteile ICI, Randnr. 26, vom 26. September 2000, Kommission/Belgien, C‑478/98, Slg. 2000, I‑7587, Randnr. 45, vom 21. November 2002, X und Y, C‑436/00, Slg. 2002, I‑10829, Randnr. 62, vom 4. März 2004, Kommission/Frankreich, C‑334/02, Slg. 2004, I‑2229, Randnr. 27, sowie Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas, Randnr. 50).
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass eine Regelung eines Mitgliedstaats wie die im Ausgangsverfahren streitige, die die sofortige Einziehung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, zum Zeitpunkt dieser Verlegung vorschreibt, unverhältnismäßig ist.
Demnach ist auf die zweite und die dritte Frage zu antworten, dass Art. 49 AEUV dahin auszulegen ist, dass
- er einer Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegensteht, wonach der Betrag der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse beim Vermögen einer Gesellschaft endgültig - ohne Berücksichtigung möglicherweise später eintretender Wertminderungen oder Wertzuwächse - zu dem Zeitpunkt festgesetzt wird, zu dem die Gesellschaft aufgrund der Verlegung ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes in einen anderen Mitgliedstaat aufhört, in dem ersten Mitgliedstaat steuerpflichtige Gewinne zu erzielen. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob sich die besteuerten nicht realisierten Wertzuwächse auf Kursgewinne beziehen, die im Aufnahmemitgliedstaat angesichts der dort geltenden Steuerregelung nicht zum Ausdruck kommen können;
- er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, die die sofortige Einziehung der Steuer auf die nicht realisierten Wertzuwächse bei den Vermögensgegenständen einer Gesellschaft, die ihren tatsächlichen Verwaltungssitz in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, zum Zeitpunkt dieser Verlegung vorschreibt.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.