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Steuerrecht
25.08.2016
Steuerrecht
FG Berlin-Brandenburg: Zur Geschäftsveräußerung im Ganzen

FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 13.4.2016 – 7 K 7105/14

Volltext: BB-Online BBL2016-2070-4

unter www.betriebs-berater.de

Leitsatz der Redaktion

Bei einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i.S.d. § 1 Abs. 1a S. 2 UStG kommt es nicht zum Übergang des Rechts zur Wahl der Besteuerungsart für die vom Veräußerer bewirkten Umsätze auf den Erwerber. Denn die Rechtsnachfolge ist nicht im Sinne einer Universalsukzession zu verstehen, da sie u.a. keinen Eintritt des Erwerbers in die bereits entstandenen Umsatzsteuerschulden des Veräußerers beinhaltet.

Sachverhalt

Die Klägerin, eine mit Gesellschaftsvertrag vom 28.11.2011 gegründete Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – UG -, erwarb mit Kaufvertrag vom 28.11.2011 (Bl. 25 ff. der Gerichtsakte – GA -) von einer Frau B… deren bislang als Einzelunternehmen geführtes Reisebüro zum Übertragungsstichtag 20.12.2011. Es wurden laut Kaufvertrag das Anlage- und Umlaufvermögen (§§ 1, 2 des Kaufvertrags) übertragen, das Arbeitsverhältnis zur einzigen Mitarbeiterin der Verkäuferin fortgeführt (§ 3 des Kaufvertrags) und alle Rechte und Pflichten einschließlich offener Forderungen aus Verträgen mit Kunden übertragen (§ 4 des Kaufvertrags). Es wurde auch der Eintritt der Erwerberin in Dauerschuldverhältnisse der Verkäuferin mit Dritten vereinbart (§ 5 des Kaufvertrags). Die Klägerin führte das Reisebüro in den bisherigen Räumen unter der bisherigen Firma „A…“ fort. In § 6 Abs. 2 des Kaufvertrags heißt es: „Vom Käufer ebenfalls nicht übernommen werden die bis zum Übertragungsstichtag begründeten und noch bestehenden Schulden des Verkäufers aus der im Betrieb des Handelsgeschäfts angefallenen Umsatzsteuer […] sowie einschließlich etwaiger Verpflichtungen des Verkäufers zur Rückerstattung umsatzsteuerlicher Vorsteuerabzüge und sonstiger Steuer- oder abgabenrechtlicher Vergütungen und Vergünstigungen“.

Die Verkäuferin versteuerte ihre Umsätze mit Gestattung des für sie zuständigen Finanzamts – FA – C… nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 Umsatzsteuergesetz – UStG –). Der Klägerin gestattete der Beklagte mit Schreiben vom 19.01.2012 auf ihren entsprechenden Antrag vom 14.01.2012 ebenfalls ab 2012 die Ist-Besteuerung nach § 20 UStG.

In den ersten elf Monaten des Jahres 2012 vereinnahmte die Klägerin insgesamt netto 14.139,00 € an offenen Provisionsforderungen aus zum Regelsteuersatz steuerpflichtigen Umsätzen aus der Zeit vor dem Erwerb des Reisebüros (entspricht einer Umsatzsteuer i. H. v. 2.686,00 €, vgl. Aufstellung der einzelnen Monate ab S. 4 des Umsatzsteuersonderprüfungsberichts vom 17.06.2013).

Diese Beträge erklärte sie in ihren Umsatzsteuer-Voranmeldungen 1-10/2012 zunächst als steuerpflichtige Umsätze.

Am 29.08.2012 wurde über das Vermögen der B… das Insolvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 05.02.2013 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, dass sie die Umsatzsteuer-Voranmeldungen dahingehend korrigiere, dass die vereinnahmten Provisionen nicht mehr als steuerbare Umsätze der Klägerin angesehen würden, weil sie der Verkäuferin zuzuordnen seien.

Der Beklagte führte eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch und kam zu dem Ergebnis, dass die Provisionen jeweils bei Vereinnahmung von der Klägerin  zu versteuern seien.

Mit Bescheiden vom 18.11.2013 setzte der Beklagte die Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 1-10/2012 entsprechend unter Einbeziehung der streitigen Provisionen gegen die Klägerin fest (Bescheide Bl. 20 ff. der Rechtsbehelfsakte – Rb -) .

Die Klägerin legte am 27.11.2013 Einspruch ein (Bl. 49 Rb). Sie wandte sich gegen die Zurechnung der Provisionen zu ihr und beantragte im Einspruchsschreiben hilfsweise für das Einzelunternehmen der Verkäuferin (aber im eigenen Namen) für das Jahr 2011 den Wechsel zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten.

Mit Schreiben an das FA C… vom 10.02.2014 (Bl. 63 Rb) beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin im Namen und Auftrag der B… den Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung für das Jahr 2011.

Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 18.03.2014 als unbegründet zurück. Die Umsatzsteuer sei nicht nach § 6 Abs. 2 des Kaufvertrags der Verkäuferin zuzurechnen, weil sie nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) UStG erst nach dem Übergangsstichtag entstanden sei. Der im Namen der B… gestellte Antrag auf rückwirkenden Übergang zur Regelbesteuerung sei unwirksam, weil der Insolvenzverwalter der B… keine entsprechende Vollmacht erteilt habe.

Am 17.04.2014 hat die Klägerin Klage erhoben.

Am 26.05.2014 hat die Klägerin ihre Umsatzsteuerjahreserklärung für 2012 eingereicht, in der sie wiederum die streitigen Provisionen nicht erfasst hat.

Mit Bescheid vom 18.06.2014 hat der Beklagte die Umsatzsteuer 2012 davon abweichend unter Ansatz der streitgegenständlichen Provisionen als regelbesteuerte Umsätze festgesetzt.

Die Klägerin meint, nach § 6 Abs. 2 des Kaufvertrags seien die streitigen Umsatzsteuerbeträge der B… zuzurechnen. Die entsprechenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten habe sie auch in ihrer Veräußerungsbilanz i. S. d. § 16 Einkommensteuergesetz – EStG – ausweisen müssen. Im Übrigen könne ein rückwirkender Antrag auf Übergang zur Sollbesteuerung für die B… für 2011 bis zur Bestandskraft der gegen sie gerichteten Umsatzsteuerfestsetzung 2011 gestellt werden.

Die Klägerinbeantragt sinngemäß,unter Abänderung des Umsatzsteuerbescheides für 2012 vom 18.06.2014 die Umsatzsteuer 2012 um 2.686,00 € niedriger festzusetzen,die Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren festzustellen,hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,die Klage abzuweisen.

Der Beklagte nimmt Bezug auf die Gründe der Einspruchsentscheidung.

Dem Gericht haben vier Bände Steuerakten zur Steuernummer … (Umsatzsteuer, Umsatzsteuer-Voranmeldungen, Berichte über Umsatzsteuer-Sonderprüfungen, Rechtsbehelfsverfahren), die der Beklagte für die Klägerin führt, vorgelegen.

Aus den Gründen

I. Das Gericht entscheidet gemäß § 90 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – ohne mündliche Verhandlung. Beide Beteiligte haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Da der Sachverhalt geklärt ist, macht das Gericht von der Möglichkeit Gebrauch, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.

II. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 18.06.2014, der nach § 68 Satz 1, Satz 4 Nr. 2 Finanzgerichtsordnung – FGO – Gegenstand des Rechtsstreits geworden ist (vgl. Herbert in Gräber, FGO, 8. Aufl. 2015, § 68 FGO, Rn. 30 m. w. N.), ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO.

1. Der Beklagte ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Umsatzsteuer nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) UStG jeweils im Zeitpunkt der Vereinnahmung der streitigen Provisionen entstanden ist, weil sowohl die B… im Jahr 2011 als auch die Klägerin im Jahr 2012 ihre Umsätze nach vereinnahmten Entgelten gem. § 20 UStG berechnet haben.

Zutreffend weist der Beklagte darauf hin, dass der erstmals am 27.11.2013 im Namen und Auftrag der B… gestellte Antrag, rückwirkend für 2011 zur Versteuerung nach vereinbarten Entgelten überzugehen, unwirksam ist, weil nach § 80 Abs. 1 Insolvenzordnung – InsO – die Verfügungsbefugnis bereits bei Insolvenzeröffnung am 29.08.2012 auf den Insolvenzverwalter übergegangen war. Von daher bedarf es keiner Auseinandersetzung mit der Frage, ob es überhaupt möglich wäre, durch einen solchen Antrag rückwirkend Umsatzsteuerforderungen „in die Insolvenzmasse zu verschieben“ (die Möglichkeit des rückwirkenden Wechsels der Besteuerungsart grundsätzlich bejahend Bundesfinanzhof – BFH –, Urteil vom 10.12.2008 XI R 1/08, Bundessteuerblatt – BStBl – II 2009, 1026, vgl. zu der Problematik Korn in Bunjes, UStG, 14. Aufl. 2015, § 20 UStG, Rn. 37f. m. w. N.).

Die Klägerin war auch nicht im Hinblick auf § 1 Abs. 1a UStG berechtigt, im eigenen Namen für die Leistungen vor dem 20.12.2011 einen Wechsel zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten zu beantragen. Zwar liegen die Voraussetzungen einer Geschäftsveräußerung im Ganzen i. S. d. § 1 Abs. 1a Satz 2 UStG unproblematisch vor, was nach § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG zur Folge hat, dass die Klägerin an die Stelle der B… getreten ist; Nach Art. 19 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem – MwStSystRL – wird die Klägerin als Rechtsnachfolgerin der B… behandelt. Damit geht aber nicht das Recht zur Wahl der Besteuerungsart für die von B… (Veräußerer) bewirkten Umsätze auf die Klägerin (Erwerber) über. Die Rechtsnachfolge ist nicht im Sinne einer Universalsukzession zu verstehen; sie beinhaltet nach ganz herrschender Meinung z. B. keinen Eintritt des Erwerbers in die bereits entstandenen Umsatzsteuerschulden des Veräußerers (Finanzgericht – FG - Rheinland-Pfalz, Urteil vom 27.11.2008 6 K 2159/06, Entscheidungen der FG – EFG – 2009, 295; Probst in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Dokumentenstand Lfg. 2/12, § 1 Abs. 1a UStG, Rn. 166; Peltner in BeckOK UStG, 8. Aufl. Dezember 2015, § 1 UStG, Rn. 202; Robisch in Bunjes, UStG, 14. Aufl. 2014, § 1 UStG, Rn. 140; Husmann in Rau/Dürrwächter, UStG, Dokumentenstand 131. Lieferung 08.2007, § 1 UStG, Rn. 1128; Tehler in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, Stand 01.04.2015, § 1 UStG, Rn. 534; Stadie, UStG, 3. Aufl. 2015, § 1 UStG, Rn. 151). Der Erwerber kann daher für Zeiträume, in denen das Unternehmen noch dem Veräußerer zuzurechnen war, nicht über die Besteuerungsart (Soll- oder Istbesteuerung) entscheiden, weil dieses Wahlrecht die nach der dargestellten herrschenden Meinung auch nach der Geschäftsveräußerung dem Veräußerer zugewiesene Steuerschuldnerschaft für Alt-Umsätze entstehen (beim Wechsel von der Ist- zur Sollbesteuerung) oder entfallen lassen könnte (beim Wechsel von der Soll- zur Istbesteuerung). Dagegen spricht auch, dass der Erwerber damit ohne Mitwirkung des Veräußerers in dessen Steuerrechtsverhältnis eingreifen könnte und damit einen öffentlich-rechtlichen Eingriff in dessen Rechte veranlassen könnte. Dem Erwerber ein solches Recht zuzubilligen, erfordert auch nicht der Normzweck des § 1 Abs. 1a UStG, der darin besteht, die Übertragung von Unternehmen oder Unternehmensteilen zu erleichtern und zu vereinfachen (BFH, Urteil vom 11.10.2007 V R 57/06, BStBl II 2008, 447, II. 1. a) der Gründe m. w. N.).

Es würde der Klägerin insoweit auch nicht helfen, selbst (ab dem Zeitpunkt der Betriebsübergangs am 20.12.2011 oder ab 2012) zur Besteuerung nach vereinbarten Entgelten zu wechseln. Denn der BFH hat entschieden, dass für Umsätze, die in dem Besteuerungszeitraum ausgeführt wurden, für den dem Unternehmer die Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten erlaubt war, diese Besteuerung weiterhin gilt, auch wenn in späteren Besteuerungszeiträumen ein Wechsel zur Sollversteuerung eintritt. Danach entsteht insoweit die Steuer bei Vereinnahmung des Entgelts (BFH, Urteil vom 30.01.2003 V R 58/01, BStBl II 2003, 817, II. 1. b) dd) der Gründe).

2. Der Beklagte geht insoweit auch zu Recht von der Steuerschuldnerschaft der Klägerin aus. Die Steuerschuldnerschaft regelt § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG. Steuerschuldner ist danach der Unternehmer. Zwar gilt allgemein der Grundsatz, dass für die Zurechnung von Umsätzen grundsätzlich unbeachtlich ist, wann und durch wen das Entgelt für die erbrachten Leistungen erbracht wird (Herbert in Hartmann/Metzenmacher, UStG, Dokumentenstand Lfg 1/13, § 13a UStG, Rn. 19 m. w. N.). Auf dieser Grundlage hat der BFH (Beschluss vom 29.10.2010 V B 123/09, BFH/NV 2011, 663) entschieden, dass der Unternehmer, der die Leistung erbracht hat, diese auch dann zu versteuern hat, wenn er seinen Anspruch auf die Gegenleistung, die sich aus Entgelt und Steuerbetrag zusammensetzt, abtritt. Die Klägerin hat sich allerdings nach § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG als Erwerberin im Rahmen der Ist-Versteuerung gem. § 20 UStG die Leistungserbringung durch die B… als Veräußerin zurechnen zu lassen (Radeisen in Schwarz/Widmann/Radeisen, UStG, Dokumentenstand 168. Lfg. 05/2013, § 1 UStG, Rn. 464; Probst in Hartmann/Metzenma-cher, UStG, Dokumentenstand Lfg. 2/12, § 1 UStG, Rn. 171 unter Hinweis auf ältere BFH-Rechtsprechung, die allerdings nicht zu § 1 Abs. 1a UStG, sondern zur Gesamtrechtsnachfolge im Erbfall ergangen ist). Aus § 1 Abs. 1a Satz 3 UStG ergibt sich also im Falle der Geschäftsveräußerung im Ganzen eine Ausnahme vom Grundsatz der Umsatzzurechnung unabhängig vom Zeitpunkt der Leistungsvereinnahmung. Die Geschäftsveräußerung im Ganzen ist insoweit einer Abtretung der Forderung nicht gleichzusetzen. Dies entspricht auch dem Zweck der Vereinfachung von Unternehmensübertragungen, weil andernfalls der Veräußerer nachverfolgen müsste, ob und wann die Zahlung eingeht, obwohl er regelmäßig davon nur noch durch Mitteilung des Erwerbers Kenntnis erlangen könnte. Für die Steuerschuldnerschaft der Klägerin spricht auch, dass im vorliegenden Fall wegen der Berechnung der Steuer nach vereinnahmten Entgelten die Voraussetzungen für die Steuerentstehung erst zu einem Zeitpunkt vollständig eingetreten sind, zu dem nicht mehr die B…, sondern nur noch die Klägerin Unternehmerin war, woran der Wortlaut des § 13a Abs. 1 Nr. 1 UStG anknüpft.

3. Es kommt nicht darauf an, ob im Kaufvertrag die Umsatzsteuerschulden aus nach dem Übertragungsstichtag vereinnahmten Forderungen für vor dem Stichtag erbrachte Leistungen der B… zugewiesen worden sind. Denn eine solche zivilrechtliche Vereinbarung bindet nur die B… und die Klägerin im Verhältnis zueinander und kann das öffentlich-rechtlich begründete Steuerschuldverhältnis zwischen den Klägerin und dem Fiskus nicht gestalten.

4. Auch die von der Klägerin angeführten Überlegungen zu § 16 EStG und der Behandlung der Umsatzsteuerschulden in einer Veräußerungsbilanz der B… sind für die nach umsatzsteuerrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilenden Fragen, wann die Umsatzsteuer entstanden ist und wer Umsatzsteuerschuldner ist, ohne Belang.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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