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Steuerrecht
02.05.2008
Steuerrecht
: Zufluss von Arbeitslohn bei gesetzlichem Forderungsübergang - Zusammentreffen von Tarifermäßigung und negativem Progressionsvorbehalt

BFH, Urteil vom 15. November 2007 VI R 66/03

Vorinstanz: FG Berlin vom 2. Oktober 2003 1 K 1499/02 (EFG 2004, 185)


1. Leistet der Arbeitgeber aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 SGB X eine Lohnnachzahlung unmittelbar an die Arbeitsverwaltung, führt dies beim Arbeitnehmer zum Zufluss von Arbeitslohn.


2. Unterliegt der Nachzahlungsbetrag sowohl der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG als auch dem negativen Progressionsvorbehalt des § 32b EStG, so ist eine integrierte Steuerberechnung nach dem Günstigkeitsprinzip vorzunehmen. Danach sind die Ermäßigungsvorschriften in der Reihenfolge anzuwenden, die zu einer geringeren Steuerbelastung führt, als dies bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts der Fall wäre.


EStG § 3 Nr. 2, § 11 Abs. 1, § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 32a Abs. 1, § 32b; EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4; SGB X § 115 Abs. 1; SGB III § 143 Abs. 3 Satz 2; BGB § 407 Abs. 1, § 412



Sachverhalt:

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) war seit 1996 als Wachmann bei der A-GmbH beschäftigt. Zwischen dem Kläger und der A-GmbH kam es nach einer im Jahre 1997 ausgesprochenen Änderungskündigung der A-GmbH zu einem Rechtsstreit vor dem Arbeitsgericht, in dessen Verlauf der Kläger in den Jahren 1997 und 1998 vom Arbeitsamt Arbeitslosengeld in Höhe von 21 149 DM erhielt. Nach ihrer Verurteilung zur Nachzahlung von Lohn in Höhe von 56 061 DM für die Jahre 1997 und 1998 leistete die A-GmbH im Streitjahr (1999) die Lohnnachzahlung, wobei sie einen Teilbetrag von 21 149 DM unmittelbar an das Arbeitsamt zahlte (Rückzahlungsbetrag).


Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung bei der A-GmbH änderte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO) und erhöhte den Bruttoarbeitslohn um die Lohnnachzahlung der A-GmbH. Der hiergegen gerichtete Einspruch des Klägers hatte nur insoweit Erfolg, als das FA in der Einspruchsentscheidung vom 29. Oktober 2002 in Höhe des Rückzahlungsbetrags einen negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtigte und die festgesetzte Einkommensteuer auf 23 315 DM verminderte. Zu dem Hilfsantrag des Klägers, eine Besteuerung der Lohnnachzahlung gemäß § 34 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung (a.F.) vorzunehmen, führte das FA in der Begründung der Einspruchsentscheidung aus, dass eine Anwendung dieser Vorschrift unterblieben sei, da eine Prüfberechnung für diesen Fall eine höhere Steuerfestsetzung ergeben habe.


Mit seiner Klage vor dem Finanzgericht (FG) begehrte der Kläger die Minderung der steuerlichen Bemessungsgrundlage um den Rückzahlungsbetrag unter Wegfall des negativen Progressionsvorbehalts. Im Klageverfahren legte das FA eine Steuerberechnung vor, aus der sich bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. für das Streitjahr eine festzusetzende Einkommensteuer von 27 724 DM ergab.

Das FG gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 185 veröffentlichten Gründen statt. Zur Begründung führte das FG im Wesentlichen aus, dass der Rückzahlungsbetrag dem Kläger im Streitjahr nicht zugeflossen sei, da der Kläger auf diesen in keiner Weise Zugriff erlangt habe. Der Kläger sei im Streitjahr weder Inhaber der Lohnforderung gewesen noch durch die Zahlung an das Arbeitsamt von einer Schuld befreit worden.


Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.

Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.


Aus den Gründen:

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils und zur überwiegenden Abweisung der Klage. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist dem Kläger im Streitjahr Arbeitslohn auch in Höhe des Rückzahlungsbetrags zugeflossen. Die Einkommensteuer auf die Lohnnachzahlung der A-GmbH in Höhe von 56 061 DM ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG zu berechnen.


1. Der unmittelbar an das Arbeitsamt gezahlte Betrag ist dem Kläger als Arbeitslohn zuzurechnen. Zum Arbeitslohn gehören nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG Gehälter, Löhne, Gratifikationen, Tantiemen und andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und den Senat daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen des FG erfolgte die Zahlung der A-GmbH an das Arbeitsamt aufgrund des Urteils des Arbeitsgerichts, durch das die A-GmbH zugunsten des Klägers zur Nachzahlung von Lohn für die Jahre 1997 und 1998 verurteilt wurde. Der infolge der Zahlung des Arbeitslosengeldes nach § 115 Abs. 1 des Zehnten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB X) eingetretene gesetzliche Übergang des Lohnanspruchs auf das Arbeitsamt hat die Rechtsnatur der an das Arbeitsamt geleisteten Zahlung als Arbeitslohn nicht geändert (vgl. Urteil des Bundesarbeitsgerichts --BAG-- vom 12. Juli 1989 AZR 501/88, Der Betrieb --DB-- 1990, 278; Urteile des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. März 1993 XI R 52/88, BFHE 171, 70, BStBl II 1993, 507; vom 22. Juli 1993 VI R 116/90, BFHE 171, 547, BStBl II 1993, 775, unter 1. a).


2. Der Arbeitslohn ist dem Kläger auch im Streitjahr zugeflossen. Arbeitslohn, der --wie im Streitfall-- nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird, wird in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt (§ 11 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG).


a) Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Einnahmen dem Steuerpflichtigen zugeflossen, sobald er über sie wirtschaftlich verfügen kann und infolgedessen bei ihm eine Vermögensmehrung eingetreten ist (zuletzt Urteil vom 12. April 2007 VI R 6/02, BStBl II 2007, 581, m.w.N.). Die Form des Übergangs der wirtschaftlichen Verfügungsmacht ist unerheblich. Der Steuerpflichtige erlangt diese auch dann, wenn der Geld- oder Sachwert im abgekürzten Zahlungsweg an einen Dritten für Rechnung des Steuerpflichtigen geleistet wird (vgl. BFH-Urteile vom 24. März 1992 VIII R 51/89, BFHE 168, 234, BStBl II 1992, 941; vom 1. Oktober 1993 III R 32/92, BFHE 172, 445, BStBl II 1994, 179).


b) Nach diesen Grundsätzen hält die Entscheidung des FG, dass der Kläger im Streitjahr keine wirtschaftliche Verfügungsmacht an dem Rückzahlungsbetrag erlangt habe, einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.

aa) Die Auszahlung des Rückzahlungsbetrags an das Arbeitsamt wurde von der A-GmbH im Hinblick auf den gesetzlichen Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X vorgenommen. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, dass der gesetzliche Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X bereits im Zeitpunkt der Zahlung des Arbeitslosengeldes durch das Arbeitsamt bewirkt worden ist. Bei einem gesetzlichen Forderungsübergang fließt --ebenso wie bei einer Abtretung oder Pfändung einer Forderung-- der Betrag der übergegangenen Forderung dem Steuerpflichtigen in dem Zeitpunkt zu, in dem die Zahlung beim Zessionar eingeht (BAG-Urteil in DB 1990, 278; BFH-Urteil in BFHE 171, 70, BStBl II 1993, 507, m.w.N.; vgl. auch BFH-Beschluss vom 2. Mai 2007 VI B 139/06, BFH/NV 2007, 1315).

bb) Dem Zufluss des Rückzahlungsbetrags beim Kläger steht --im Gegensatz zur Auffassung des FG-- nicht entgegen, dass der Kläger im Streitjahr keinen wirtschaftlichen Vorteil in Form einer Schuldbefreiung erlangt hat.


(1) Bei Lohnansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber wird der Zufluss des Arbeitslohns nicht bereits mit der Einräumung der Ansprüche, sondern erst mit deren Erfüllung gegenüber dem Arbeitnehmer bewirkt (BFH-Urteil in BStBl II 2007, 581, m.w.N.). Bei einem gesetzlichen Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X fehlt es an einer Erfüllung des übergegangenen Lohnanspruchs durch den Arbeitgeber. Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Verkürzung und Sicherung der Zahlungswege. Der gesetzliche Forderungsübergang sichert durch die Einräumung eines unmittelbaren Anspruchs gegen den Arbeitgeber die --sozialrechtlichen-- Interessen des Leistungsträgers. Er löst jedoch nicht den Zusammenhang der vom Arbeitgeber im Hinblick auf den Forderungsübergang geleisteten Zahlungen mit dem Arbeitsverhältnis (BFH-Urteil in BFHE 171, 70, BStBl II 1993, 507, m.w.N.; Niedersächsisches FG, Urteil vom 13. September 1994 VIII 695/87). Die Zahlung der A-GmbH an das Arbeitsamt erfolgte daher --steuerrechtlich-- im abgekürzten Zahlungsweg, da sie wirtschaftlich sowohl zu einem Zufluss von Arbeitslohn beim Kläger als auch zu einer Rückzahlung des in den Jahren 1997 und 1998 vom Arbeitsamt gezahlten Arbeitslosengeldes führte (vgl. FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 23. Februar 2005 4 K 401/02, EFG 2005, 1056). Die Rückzahlung des Arbeitslosengeldes und die daraus folgende geringere steuerliche Leistungsfähigkeit des Klägers werden im Streitjahr --wie in der Einspruchsentscheidung des FA-- über den negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG berücksichtigt (vgl. FG des Landes Brandenburg in EFG 2005, 1056, m.w.N.).


(2) Das Vorliegen eines abgekürzten Zahlungswegs beim gesetzlichen Forderungsübergang nach § 115 Abs. 1 SGB X ergibt sich auch daraus, dass eine Auszahlung des dem Rechtsübergang unterliegenden Arbeitslohns an den Arbeitnehmer, der nach §§ 407 Abs. 1, 412 des Bürgerlichen Gesetzbuchs trotz des Rechtsübergangs befreiende Wirkung zukommt, beim Arbeitnehmer gleichzeitig zum Zufluss von Arbeitslohn sowie zu einer Erstattungspflicht nach § 143 Abs. 3 Satz 2 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuchs gegenüber dem Arbeitsamt führt. Mit der Erstattung durch den Arbeitnehmer wird wirtschaftlich das mit dem gesetzlichen Forderungsübergang verbundene Ziel der Rückzahlung der gewährten Sozialleistungen erreicht. Die steuerliche Behandlung des gesetzlichen Forderungsübergangs kann daher nicht davon abhängen, ob der dem Rechtsübergang unterliegende Arbeitslohn über eine vorherige Auszahlung an den Arbeitnehmer oder unmittelbar vom Arbeitgeber an das Arbeitsamt gelangt (vgl. FG des Landes Brandenburg in EFG 2005, 1056; Urban, DB 1989, 1438, 1440).


(3) Für den Zufluss des Rückzahlungsbetrags im Streitjahr spricht schließlich auch ein Vergleich mit der Entstehungsgeschichte des § 3 Nr. 2 EStG. Durch das Steueränderungsgesetz 1992 vom 25. Februar 1992 (BGBl I 1992, 297, BStBl I 1992, 146) wurde in § 3 Nr. 2 EStG die Steuerfreiheit für Leistungen aufgrund der in § 141m Abs. 1 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) genannten Ansprüche eingefügt. Gemäß § 141m Abs. 1 AFG gingen Lohnansprüche der Arbeitnehmer, die den Anspruch auf Konkursausfallgeld begründeten, abweichend von § 115 Abs. 1 SGB X bereits mit der Stellung des Antrags auf Konkursausfallgeld auf die Bundesanstalt über. Die Steuerfreiheit wurde durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250, BStBl I 1995, 438) auf Leistungen erweitert, die nach Eröffnung des Konkurs- oder Gesamtvollstreckungsverfahrens über das Vermögen des ehemaligen Arbeitgebers aufgrund des durch die Zahlung von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe ausgelösten gesetzlichen Forderungsübergangs nach § 115 Abs. 1 SGB X vom ehemaligen Arbeitgeber an die Arbeitsverwaltung erbracht wurden. Die Ausdehnung der Steuerfreiheit auf die genannten Leistungen wurde damit begründet, dass aufgrund der regelmäßig geringen Höhe der Tilgungsbeträge eine Zuordnung der Zahlungen des ehemaligen Arbeitgebers zum Lohnanspruch bestimmter Arbeitnehmer entweder nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich sei (BTDrucks 12/1108, S. 51; BTDrucks 13/901, S. 127). Die Neuregelungen gingen hierbei davon aus, dass die genannten Leistungen bei den Arbeitnehmern zu steuerbarem Arbeitslohn führten (vgl. BTDrucks 12/1108, a.a.O.). Für die Steuerbarkeit des Arbeitslohns bei Leistungen des Arbeitgebers aufgrund eines gesetzlichen Forderungsübergangs der Lohnansprüche ist es unerheblich, ob ein Insolvenz-, Konkurs- oder Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen des Arbeitgebers eröffnet worden ist. Aus § 3 Nr. 2 EStG lässt sich daher ableiten, dass auch diejenigen Zahlungen des Arbeitgebers an das Arbeitsamt, die --wie im Streitfall-- aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs außerhalb der in § 3 Nr. 2 EStG geregelten Fälle erbracht werden, beim Arbeitnehmer als steuerbarer Arbeitslohn anzusehen sind.


3. Der dem Kläger zugeflossene Rückzahlungsbetrag ist nicht gemäß § 3 Nr. 2 EStG steuerfrei. Die Steuerfreiheit nach § 3 Nr. 2 EStG erstreckt sich --wie ausgeführt-- nur auf Zahlungen, die im Konkurs-, Gesamtvollstreckungs- oder Insolvenzverfahren vom ehemaligen Arbeitgeber aufgrund des gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 115 Abs. 1 SGB X an das Arbeitsamt geleistet werden. Im Streitfall erfolgte die Zahlung der A-GmbH an das Arbeitsamt außerhalb eines der in § 3 Nr. 2 EStG genannten Verfahren, so dass der nachgezahlte Arbeitslohn beim Kläger steuerpflichtig ist (vgl. R 4 Abs. 1 Satz 3 der Lohnsteuer-Richtlinien 1999).


4. Die Lohnnachzahlung der A-GmbH unterliegt aber der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG a.F. (Fünftelregelung).


a) Die Fünftelregelung ist gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG a.F. für die Berechnung der Einkommensteuer heranzuziehen, die auf die im zu versteuernden Einkommen enthaltenen außerordentlichen Einkünfte entfällt. Sie ist neben dem negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG anwendbar (vgl. FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 11. Dezember 2002 2 K 3118/00, EFG 2003, 395).

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat der Kläger im Einspruchsverfahren --hilfsweise-- den für die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. erforderlichen Antrag gestellt, ihm für die Lohnnachzahlung die Tarifermäßigung nach dieser Vorschrift zu gewähren.

Die Lohnnachzahlung gehört als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten zu den außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG a.F., da sie für die Jahre 1997 und 1998 erfolgte (vgl. BFH-Urteile vom 14. Dezember 2006 IV R 57/05, BFHE 216, 247, BStBl II 2007, 180, unter II. 3. b; vom 14. Oktober 2004 VI R 46/99, BFHE 206, 573, BStBl II 2005, 289, m.w.N.; Schmidt/Seeger, EStG, 26. Aufl., § 34 Rz 40).


b) Entgegen der vom FA vorgenommenen Steuerberechnung führt die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. im Streitfall nicht dazu, dass die festzusetzende Einkommensteuer höher ist als die im angefochtenen Steuerbescheid --unter Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts nach § 32b EStG-- festgesetzte Einkommensteuer.


aa) Für die Fälle, in denen die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. mit dem negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG zusammentrifft, ergibt sich aus dem Gesetz keine eindeutige Methode zur Berechung der Einkommensteuer (Siegel/ Korezkij, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2005, 577; Graf in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 34 Rz 134). Dies gilt insbesondere für die Reihenfolge, in der beide Vorschriften anzuwenden sind (Eggesiecker/Ellerbeck, DStR 2007, 1281, 1285). Ausgehend von der jeweiligen Vorschrift ergeben sich unterschiedliche Methoden zur Steuerberechnung:


(1) Nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG beträgt die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich, dass die für die Ermittlung des Unterschiedsbetrags maßgeblichen Einkommensteuerbeträge nach den Tarifvorschriften des EStG zu berechnen sind, zu denen auch § 32b EStG gehört (Naujok in Lademann, EStG, § 32b EStG Rz 18; vgl. zur Drittelregelung des § 34 Abs. 3 EStG i.d.F. des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 --BGBl I 1988, 1093, BStBl I 1988, 224-- BFH-Urteil vom 18. Mai 1994 I R 99/93, BFHE 174, 433, BStBl II 1994, 845, unter II. 1.). Der negative Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG ist danach --wie in der vom FA vorgenommenen Steuerberechnung-- im Rahmen der Ermittlung des Steuerbetrags für die außerordentlichen Einkünfte nach § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG steuersatzmindernd zu berücksichtigen (vgl. Berechnungsbeispiel von Horn in Herrmann/Heuer/ Raupach, § 34 EStG Rz 28; H 198 Beispiel 3 des Amtlichen Einkommensteuer-Handbuchs 1999).


(2) § 32b Abs. 1 EStG sieht für den negativen Progressionsvorbehalt die Anwendung eines besonderen Steuersatzes auf das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen vor. Als besonderer Steuersatz ist gemäß § 32b Abs. 2 EStG der Steuersatz anzusetzen, der sich ergibt, wenn bei der Berechnung der Einkommensteuer das nach § 32a Abs. 1 EStG zu versteuernde Einkommen um die Progressionseinkünfte --im Streitfall das an das Arbeitsamt zurückgezahlte Arbeitslosengeld-- vermindert wird. Die Bezugnahme auf die Berechnung der Einkommensteuer führt dazu, dass bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes auch die in § 32a Abs. 1 EStG ausdrücklich genannte Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. zu berücksichtigen ist. Die Fünftelregelung ist danach im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts anzuwenden (vgl. Berechnungsbeispiel von Eggesiecker/ Ellerbeck, DStR 2007, 1281, 1286, Tz. 4.2).


(3) Die für das Zusammentreffen von Fünftelregelung und negativem Progressionsvorbehalt im Schrifttum vertretene sog. additive Lösung (Siegel, Betriebsberater --BB-- 2004, 914, 916; Siegel/Korezkij, DStR 2005, 577, 580; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz 57; Sieker, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 34 Rz D 37), bei der die steuerlichen Auswirkungen des § 34 Abs. 1 EStG a.F. und des § 32b EStG zunächst gesondert berechnet und anschließend kombiniert werden, findet demgegenüber im Gesetz keine Grundlage (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 6. März 2007 6 K 1128/01, EFG 2007, 1083; Eggesiecker/ Ellerbeck, DStR 2007, 1281, 1285). Denn beide Vorschriften sehen nach ihrem eindeutigen Wortlaut --wie dargestellt-- eine integrierte Steuerberechnung vor (vgl. BFH-Urteil in BFHE 174, 433, BStBl II 1994, 845; anderer Ansicht FG Baden-Württemberg, Urteil vom 29. März 2007 8 K 172/03, EFG 2007, 1947, unter 2. c dd der Gründe; Siegel, BB 2004, 914, 918).


bb) Zweck der Fünftelregelung ist es, die Progressionswirkung durch Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte mit einem ermäßigten Steuersatz abzumildern (Schmidt/Seeger, a.a.O., § 34 Rz 2; Blümich/Lindberg, § 34 EStG Rz 21, jeweils m.w.N.). Bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. muss sich daher nach dem Zweck der Vorschrift eine geringere Einkommensteuer ergeben als bei einer Besteuerung der außerordentlichen Einkünfte nach § 32a Abs. 1 EStG. Dies gilt in gleicher Weise, wenn die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. mit dem negativen Progressionsvorbehalt nach § 32b EStG zusammentrifft. Die Berechnung der Einkommensteuer darf daher bei Anwendung beider Vorschriften nicht zu einer höheren Steuerbelastung führen als bei ausschließlicher Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts (vgl. Siegel, BB 2004, 914, 915).

Die --im Streitfall vom FA vorgenommene-- Steuerberechnung durch Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts im Rahmen der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. ist mit diesen Grundsätzen nicht vereinbar, da sich nach dieser Methode eine höhere Steuerbelastung ergibt als im angefochtenen Steuerbescheid, in dem die Einkommensteuer nur unter Anwendung des negativen Progressionsvorbehalts berechnet worden ist. Die umgekehrte Reihenfolge der Anwendung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. im Rahmen des negativen Progressionsvorbehalts führt im Streitfall dagegen zu einer geringeren Steuerbelastung als im angefochtenen Steuerbescheid. Dies folgt daraus, dass die Ermittlung des besonderen Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 2 EStG infolge der Einbeziehung der Tarifermäßigung für Teile des zu versteuernden Einkommens auf der Grundlage einer geringeren Einkommensteuer erfolgt als bei Ansatz des zu versteuernden Einkommens ohne Berücksichtigung der Tarifermäßigung. Die Anwendung der Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. hat daher im Streitfall dergestalt zu erfolgen, dass die ermäßigt besteuerten außerordentlichen Einkünfte --entsprechend der unter II. 4. b aa (2) dargestellten Methode-- bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes i.S. des § 32b Abs. 2 EStG einbezogen werden.


cc) Der Senat kann offenlassen, ob der negative Progressionsvorbehalt und die Fünftelregelung in gleicher Weise anzuwenden sind, wenn sich die Steuerberechnung für die außerordentlichen Einkünfte --anders als im Streitfall-- aufgrund eines negativen verbleibenden zu versteuernden Einkommens nach § 34 Abs. 1 Satz 3 EStG richtet (vgl. hierzu FG des Landes Brandenburg in EFG 2003, 395). Er braucht auch nicht zu entscheiden, in welcher Weise die Einkommensteuer bei einem Zusammentreffen von positivem Progressionsvorbehalt und Fünftelregelung zu berechnen ist. Dies gilt unabhängig davon, ob das verbleibende zu versteuernde Einkommen positiv (vgl. hierzu BFH-Urteil in BFHE 174, 433, BStBl II 1994, 845) oder negativ ist (vgl. hierzu zuletzt FG Baden-Württemberg in EFG 2007, 1947; von Eichborn, Anm. in Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2007, 28, jeweils m.w.N. zur --bislang nicht höchstrichterlich entschiedenen-- Divergenz der FG bei der Steuerberechnung). Denn die genannten Fälle unterscheiden sich jedenfalls dadurch vom Streitfall, dass der --steuererhöhende-- Progressionsvorbehalt und die --steuermindernde-- Fünftelregelung bei der Berechnung der Einkommensteuer gegenläufige Wirkung entfalten.


5. Das FA hat die Änderung des Einkommensteuerbescheids des Klägers für das Streitjahr zu Recht auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO gestützt, da die Lohnnachzahlung der A-GmbH dem FA nachträglich bekannt geworden ist.


6. Da das FG von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist das vorinstanzliche Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der Einspruchsentscheidung des FA ist dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer auf die Lohnnachzahlung nach der Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. berechnet wird. Die Neuberechnung der Einkommensteuer nach Maßgabe der für die Anwendung der Fünftelregelung vorgegebenen Berechnungsmethode wird dem FA übertragen (§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 FGO).

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