: Weiterleitung von erlangten Erkenntnissen durch die Finanzbehörde an die Strafverfolgungsbehörde ohne eigene strafrechtliche Prüfung
BFH, Beschluss vom 14.7.2008 - VII B 92/08
Vorinstanz: FG Baden-Württemberg vom 13.2.2008 - 4 V 630/07 (EFG 2008, 760)
LEITSÄTZE
1. Begründen Tatsachen den Verdacht einer Tat, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen i.S. des § 299 Abs. 2 StGB erfüllt, so ist die Finanzbehörde ohne eigene Prüfung, ob eine strafrechtliche Verurteilung in Betracht kommt, verpflichtet, die erlangten Erkenntnisse an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Das Recht auf "informationelle Selbstbestimmung" und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebieten es nicht, dass das FA vor der Übermittlung der den Tatverdacht begründenden Tatsachen prüft, ob hinsichtlich der festgestellten Zuwendungen Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist oder Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen.
2. Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen.
AO § 30, § 393; EStG § 4 Abs. 5 Nr. 10; StGB § 78, § 78a, § 78c, § 299; StPO § 150, § 152, § 170, § 203
SACHVERHALT
I.
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), ein produzierendes Unternehmen, leistete in den Jahren 1995 bis 2002 Zahlungen an Herrn S., den Einkäufer eines maßgeblichen Kunden, in Höhe von 10 v.H. des Wertes der von diesem im Namen des Kunden bei der Antragstellerin bestellten Waren.
Anlässlich einer Betriebsprüfung bei der Antragstellerin im Jahr 2006 gelangte der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) zu der Auffassung, dass die Zahlungen der Antragstellerin an Herrn S. den Tatbestand des § 299 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) --Bestechung im geschäftlichen Verkehr-- erfüllen könnten. Er beabsichtigt daher, die erlangten Erkenntnisse über diese Zahlungen wegen des Verdachts einer Strafbarkeit gemäß § 299 StGB an die Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten.
Den daraufhin gestellten Antrag, dem FA im Wege der einstweiligen Anordnung zu untersagen, die im Rahmen der Betriebsprüfung erlangten Informationen über die Zahlungen an Herrn S. an die zuständige Straf- und Bußgeldstelle zur Weiterleitung an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzugeben, wies das Finanzgericht (FG) durch den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2008, 760 veröffentlichten Beschluss als unbegründet zurück. Es führte im Wesentlichen aus, nach § 30 Abs. 4 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO) sei die Offenbarung von nach § 30 Abs. 2 AO erlangten Kenntnissen in gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Fällen zulässig. § 4 Abs. 5 Nr. 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begründe sowohl in der Fassung des Jahressteuergesetzes 1996 (JStG 1996) vom 11. Oktober 1995 (BGBl I 1995, 1250) als auch in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom 24. März 1999 (BGBl I 1999, 402) eine solche gesetzliche Offenbarungsbefugnis bei Verdacht einer Straftat, die Zuwendung von Vorteilen und damit zusammenhängender Aufwendungen betreffend. Im Streitfall ergäben sich zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht einer Straftat nach § 299 StGB bzw. nach § 12 a.F. des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG a.F.) begründeten, daraus, dass die Zahlungen unbestritten an Herrn S. geleistet wurden, um von ihm weiterhin Aufträge im Namen der Y-GmbH zu erhalten. Die Möglichkeit bereits eingetretener Strafverfolgungsverjährung oder eines strafrechtlichen Verwertungsverbotes stehe der Mitteilungspflicht des FA nicht entgegen. Denn die Prüfung der verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens unterliege der ausschließlichen Beurteilung durch die dafür zuständigen Strafverfolgungsbehörden. Es wäre ein sachwidriger Eingriff der Finanzbehörde in den Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der Strafverfolgungsbehörden, wenn sie den Strafverfolgungsbehörden Erkenntnisse, die sie nach einer gesetzlichen Vorschrift zu übermitteln habe, aufgrund eigener Einschätzung strafverfahrensrechtlicher Voraussetzungen vorenthalten könnte. Eine die Offenbarungspflicht einschränkende Auslegung der Regelung des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG im Hinblick auf die --bloße-- Offenbarungsbefugnis nach § 30 Abs. 4 Nr. 5b AO sei wegen der bewussten Schaffung einer Spezialregelung im Zusammenhang mit der Nichtabziehbarkeit der Schmiergeldzahlungen als Betriebsausgaben nicht möglich.
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde verfolgt die Antragstellerin ihren Anordnungsantrag unter Bezugnahme auf ihre Antragsbegründung weiter.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Entscheidung des FG ist nicht zu beanstanden.
Insbesondere hat das FG zutreffend einen Anordnungsanspruch nach § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) (Regelungsanordnung) verneint, weil der im Hauptverfahren geltend gemachte Anspruch nicht besteht. Das FA ist nach der ausdrücklichen Anweisung in § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG verpflichtet, den Strafverfolgungsbehörden die angekündigte Mitteilung zu machen.
1. Sowohl nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 1996 als auch nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 teilt die Finanzbehörde Tatsachen, die den Verdacht einer Tat (Straftat oder Ordnungswidrigkeit) im Sinne des Satzes 1 der o.g. Vorschriften begründen, der Staatsanwaltschaft oder der Ordnungsbehörde bzw. der Verwaltungsbehörde mit. Eine Tat im Sinne des Satzes 1 der o.g. Vorschriften ist insbesondere eine solche, die den Straftatbestand einer rechtswidrigen Zuwendung von Vorteilen erfüllt. Ein solcher Straftatbestand ist in § 299 Abs. 2 StGB normiert. Danach wird bestraft, wer im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs einem Angestellten oder Beauftragten eines geschäftlichen Betriebes einen Vorteil für diesen oder einen Dritten als Gegenleistung dafür anbietet, verspricht oder gewährt, dass er ihn oder einen anderen bei dem Bezug von Waren oder gewerblichen Leistungen in unlauterer Weise bevorzuge. Ein Verdacht i.S. des § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG, der die Information der Strafverfolgungsbehörden gebietet, besteht, wenn ein Anfangsverdacht im Sinne des Strafrechts gegeben ist. Es müssen also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für eine Tat nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 1 EStG vorliegen (vgl. Nacke in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, §§ 4, 5 Rz 2039, 2041; Bahlau in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz 1866, 1873, m.w.N.).
Wenn im Gesetzgebungsverfahren zum StEntlG 1999/2000/2002 davon die Rede war, dass die Mitteilungspflicht erst bei hinreichendem Tatverdacht (vgl. BRDrucks 910/98, S. 170) eingreifen soll, so kann dem nicht gefolgt werden. Denn strafprozessual ist für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens durch die Staatsanwaltschaft nur ein Anfangsverdacht, also zureichende tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich (§ 152 Abs. 2 der Strafprozessordnung --StPO--). Da mit der Mitteilung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG aber der Staatsanwaltschaft gerade die Prüfung ermöglicht werden soll, ob ein Ermittlungsverfahren einzuleiten ist, wäre es sinnwidrig, die Mitteilung von einem Verdachtsgrad abhängig zu machen, der nach der StPO erst für die Anklageerhebung (§ 170 Abs. 1 StPO) und die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 203 StPO) erforderlich ist (so auch zutreffend Randt, Schmiergeldzahlungen bei Auslandssachverhalten, Betriebs-Berater 2000, 1006, 1013).
2. Nach den Feststellungen des FG wurden die als Betriebsausgaben verbuchten Zahlungen an Herrn S. geleistet, um von ihm weiterhin Aufträge des Kunden, für den er als Einkäufer tätig war, erteilt zu bekommen. Die Würdigung des FG, dass dieser Sachverhalt, den die Antragstellerin in ihrer Beschwerde ausdrücklich bestätigt hat, zureichende tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Straftat nach § 299 Abs. 2 StGB bzw. nach § 12 UWG a.F. liefert, ist nicht zu beanstanden. Daher ist die streitige Mitteilung geboten.
a) Die von der Antragstellerin im Antragsverfahren vorgebrachten Einwände gegen die Zulässigkeit der Information der Strafverfolgungsbehörden beziehen sich allein auf die Möglichkeit, dass bereits Strafverfolgungsverjährung eingetreten sein oder ein strafrechtliches Verwertungsverbot bestehen könnte. Dieses Vorbringen zielt darauf ab, dass die Finanzbehörde die Mitteilung zur Wahrung des Rechts auf "informationelle Selbstbestimmung" (vgl. Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1983 1 BvR 209/83 u.a., BVerfGE 65, 1) zu unterlassen habe, obwohl diese Mitteilung nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht in ihr Ermessen gestellt ist. Denn Einschränkungen dieses Rechts seien nur aufgrund einer verfassungsgemäßen gesetzlichen Regelung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zulässig.
Zunächst begegnet keinen rechtlichen Zweifeln, dass der Gesetzgeber die Mitteilungspflicht in den genannten Fällen speziell regeln durfte. Zum einen ist gemäß § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO eine Einschränkung des in § 30 AO allgemein geregelten Schutzes des Steuergeheimnisses in gesetzlich ausdrücklich zugelassenen Offenbarungsfällen möglich. Zum anderen stellt die Regelung als solche auch keinen ungerechtfertigten Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar. Wenn auch nach der Neuregelung des § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG n.F. die Versagung des Betriebsausgabenabzugs nicht mehr von einer rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Korruptionstat oder einer Einstellung des Strafverfahrens gemäß den §§ 153 bis 154e StPO abhängt und damit die Mitteilungspflicht für das Funktionieren der steuerlichen Regelung nicht mehr notwendig ist, durfte es dem Gesetzgeber erforderlich erscheinen, zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs mit dem Ziel der Korruptionsbekämpfung weiterhin an der Offenbarungspflicht festzuhalten. Dieses Ziel kommt auch in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck, nach der insbesondere generalpräventive Gesichtspunkte für eine Beibehaltung der Mitteilungspflicht sprechen (BTDrucks 14/443, S. 21).
b) Der Senat hält es auch nicht zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit für geboten, dem FA vor der Übermittlung der die Verdachtstat begründenden Tatsachen die zumindest überschlägige Prüfung abzuverlangen, ob eine strafrechtliche Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft überhaupt in Betracht kommt oder von vornherein ausgeschlossen ist. Denn die Feststellung, ob Strafverfolgungsverjährung eingetreten ist, kann in der Regel nicht in jedem Falle zweifelsfrei "durch einen Blick ins Gesetz" getroffen werden. Selbst wenn im Streitfall feststünde, dass die letzte Vorteilsgewährung mehr als fünf Jahre zurückliegt, ist insbesondere nicht ausgeschlossen, dass die gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB für eine Tat nach § 299 Abs. 2 StGB geltende 5-jährige Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist, weil die Verjährung möglicherweise unterbrochen worden sein könnte (§ 78c Abs. 1 StGB).
Demgegenüber stellt die Offenbarung selbst in einem offensichtlich strafverfolgungsverjährten Fall keinen unverhältnismäßigen Eingriff in die Rechte des Steuerpflichtigen dar. Denn in einem solchen Fall hat er keine Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zu befürchten, sie schreitet nach § 152 Abs. 2 StPO selbst bei Bejahung eines Anfangsverdachts nur wegen verfolgbarer Straftaten ein. Stellt die Staatsanwaltschaft bei Eingang der Mitteilung des FA fest, dass die angezeigte Tat bereits verfolgungsverjährt ist, ist die Sache ohne weiteres erledigt.
Gleiches gilt hinsichtlich der Prüfung, ob Verwertungs- bzw. Verwendungsverbote vorliegen (vgl. u.a. § 393 Abs. 3 AO), die prima facie die Offenbarung der Verdachtstat unnötig erscheinen lassen mögen. Auch insoweit muss die Entscheidung der für die Durchführung des Strafverfahrens zuständigen Staatsanwaltschaft vorbehalten bleiben, deren rechtsstaatliches Vorgehen grundsätzlich nicht in Zweifel stehen kann.
c) Schließlich kann die Antragstellerin der Offenbarung nach § 4 Abs. 5 Nr. 10 Satz 3 EStG nicht entgegenhalten, dass sie strafrechtliche Ermittlungen auch gegen den Vorteilsempfänger auslösen und damit mittelbar ihre Geschäftsbeziehungen zu dem Kunden belasten könnte. Denn bei diesen geschäftlichen Nachteilen, die die Antragstellerin befürchtet, könnte es sich allenfalls um von der Antragstellerin hinzunehmende Folgen der vom Gesetzgeber im Interesse der Korruptionsbekämpfung für erforderlich erachteten Mitteilung handeln.