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Steuerrecht
02.12.2016
Steuerrecht
FG Köln: Weitere EuGH-Vorlage des Finanzgerichts Köln zu § 50d Abs. 3 EStG

FG Köln, Beschluss vom 31.8.2016 – 2 K 721/13

BB-Online: BBL2016-2966-1

Sachverhalt

A. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin eine Erstattung von Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 3 EStG 2007 für das Streitjahr 2011 zusteht.

Verfahrensverlauf

Die Klägerin ist eine in Dänemark ansässige Holdinggesellschaft. Der Konzern erbringt Dienstleistungen im Rahmen der .... Die Klägerin hält Beteiligungen an mehr als 25 Tochtergesellschaften, die zum Teil auch in Dänemark ansässig und aktiv sind. Unter anderem ist sie seit 2003 zu 100 % am Nennkapital der A GmbH mit Sitz in B beteiligt. Im Einzelnen hält die Klägerin im Streitjahr 2011 folgende Beteiligungen:

FG Köln 2 K 721-13
 

Die Klägerin hält auch Immobilienvermögen und übernimmt die finanzielle Kontrolle im Konzern, um die Zinskosten im Konzern zu optimieren. Darüber hinaus hat sie die Aufsicht und Kontrolle über die Ergebnisse der einzelnen Tochtergesellschaften.

Die Klägerin führt ein Drittel der Dienstleistungen in Dänemark über die Tochtergesellschaften aus. Bei der Klägerin selbst sind keine Arbeitnehmer angestellt. Im Konzern waren 2010 insgesamt ... Arbeitnehmer beschäftigt.

Die Klägerin verfügt über einen Telefonanschluss und eine E-Mail-Adresse. Auf der Homepage des Konzerns ist die Klägerin als einer der Kontaktpartner ausgewiesen. Die Klägerin verfügt über keine eigenen Büroräume. Im Bedarfsfall greift die Klägerin neben den Räumlichkeiten auch auf alle sonstigen Einrichtungen und das Personal anderer Konzerngesellschaften zurück.

Geschäftsführer der Klägerin ist Herr D, der auch Vorstand in diversen Gesellschaften des Konzerns ist. Er erhält kein Geschäftsführergehalt von der Klägerin.

An der Klägerin ist zu 100 % die D Ltd., Zypern, beteiligt. Diese Gesellschaft übt keine eigene Wirtschaftstätigkeit aus. Die Anteile an der D Ltd., Zypern, werden zu 100 % von einer in Singapur ansässigen natürlichen Person gehalten.

Im Streitjahr 2011 bezog die Klägerin von der A GmbH eine Gewinnausschüttung i.H.v. 100.000 €. Die Gewinnausschüttung beruhte auf dem Beschluss der Gesellschafterversammlung der A GmbH vom 22. Juni 2011. Gemäß diesem Beschluss war die Gewinnausschüttung am 30. Juni 2011 zur Auszahlung fällig. Die A GmbH behielt von dem Betrag Kapitalertragsteuer i.H.v. 25.000 € und den Solidaritätszuschlag i.H.v. 1.375 € ein und führte diese Abgaben an das zuständige Finanzamt B ab.

Antrags- und Einspruchsverfahren

Mit Antrag vom 9. September 2011 (Posteingangsdatum) beantragte die Klägerin die Erstattung der deutschen Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag in Höhe von insgesamt 26.375 € gemäß § 50d Abs. 1 i.V.m. § 43b EStG.

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. September 2012 unter Hinweis auf § 50d Abs. 3 EStG ab.

Der hiergegen fristgemäß eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Daraufhin erhob die Klägerin fristgemäß Klage.

Klageverfahren: Beteiligtenvortrag

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass der Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt ist. Die Klägerin gibt insoweit lediglich zu bedenken, dass ihre Wirtschaftstätigkeit in der Verwaltung eigener Wirtschaftsgüter bestehe und den Zweck habe, einen steuerlichen Kaskadeneffekt, der durch Quellensteuerbelastung auf den einzelnen Konzernebenen entstehen würde, zu verhindern. Gleichzeitig gewährleiste die gewählte Struktur, unabhängig von steuerlichen Effekten, eine zuverlässige haftungs- und führungsbezogene Trennung von anderen wirtschaftlichen Aktivitäten. Dies werde im rein nationalen Kontext grundsätzlich als legitimes Ziel anerkannt.

Zu der zentral von den Beteiligten diskutierten Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG die Niederlassungsfreiheit verletzt,

vertritt die Klägerin die Auffassung, dass § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des Jahressteuergesetzes 2007 sowie auch in der Fassung des Beitreibungsrichtlinie-Umsetzungsgesetzes von 2012 insoweit nicht mit EU-Recht vereinbar sei. Daher sei § 50d Abs. 3 EStG nicht auf den Streitfall anzuwenden.

Es bestehe eine Ungleichbehandlung insoweit, als im EU-Ausland ansässigen Holdinggesellschaften, deren Geschäftstätigkeit in der bloßen Verwaltung eigenen Vermögens bestehe, die Entlastung von einbehaltener Abzugssteuer versagt werde, während inländischen Holdinggesellschaften die einbehaltene Abzugssteuer im Rahmen der Steuerveranlagung gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG voll angerechnet und, im Falle von Überzahlungen, erstattet werde, ohne dass es einer bestimmten Substanz oder Funktion der Gesellschaft bedürfe.

Hierdurch werde die Niederlassungsfreiheit verletzt.

Die Ungleichbehandlung inländischer und im EU-Ausland ansässiger Holdinggesellschaften und der daraus resultierende Nachteil für ausländische Holdinggesellschaften seien geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch im EU-Ausland ansässige Holdinggesellschaften zu behindern, indem diese davon abgebracht würden, eine Tochtergesellschaft im Inland zu gründen, zu erwerben oder zu behalten. Diese Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei nicht gerechtfertigt. Das Ziel der Missbrauchsbekämpfung stelle zwar grundsätzlich einen zulässigen Rechtfertigungsgrund dar. Nach der Rechtsprechung des EuGH lasse sich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit jedoch nur dann mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen, wenn das spezifische Ziel der Beschränkung darin liege, Verhaltensweisen zu verhindern, die darin bestehen würden, rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität entbehrende Gestaltungen zu dem Zweck zu errichten, der Steuer zu entgehen, die normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldet werde (EuGH-Urteil vom 12. September 2006, C-196/04 - Cadbury Schweppes, Rn. 55). Im Streitfall sei bereits kein Missbrauchstatbestand gegeben. Denn es gehe um die Ausschüttung einer Dividende an eine in Dänemark ansässige Holdinggesellschaft, deren Mutterunternehmen wiederum auf Zypern ansässig sei. Auch das Mutterunternehmen falle als Kapitalgesellschaft zypriotischen Rechts in den Anwendungsbereich der Mutter-Tochter-Richtlinie und sei somit ebenfalls berechtigt, in den Genuss der auf dieser Richtlinie basierten Freistellung von inländischer Abzugssteuer zu gelangen. Durch die Zwischenschaltung einer dänischen Holdinggesellschaft werde keinerlei steuerlicher Vorteil erlangt. Auch eine direkte Ausschüttung an ein zypriotisches Mutterunternehmen wäre von der Mutter-Tochter-Richtlinie begünstigt.

Die Beschränkung durch § 50d Abs. 3 EStG gehe außerdem über das hinaus, was zur Erreichung des Ziels der Missbrauchsbekämpfung nötig sei. Einer im EU-Ausland ansässigen Holdinggesellschaft, deren einzige Tätigkeit die Verwaltung von Anteilen an einer inländischen Kapitalgesellschaft sei, werde die Entlastung hinsichtlich deutscher Quellensteuer durch § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich und ohne Ausnahme versagt. Die Vermutung des steuerlichen Missbrauchs wirke demnach absolut. Ein Gegenbeweis sei nicht möglich. Demgegenüber komme es hinsichtlich einer rein inländischen Holdingstruktur, innerhalb derer die inländische Holdinggesellschaft lediglich vermögensverwaltende Funktionen erfülle, im Rahmen der Steuerveranlagung zu einerEntlastungsmöglichkeit für einbehaltene Abzugssteuern. Die Praxis der Verhinderung kumulierter Besteuerungseffekte durch Errichtung von Holdingstrukturen sei somit im Inland grundsätzlich nicht missbräuchlich. Sie werde durch den Gesetzgeber als legitimes Mittel zur Organisation von Konzern- und Unternehmensstrukturen betrachtet.

Der Beklagte trägt dagegen vor, § 50d Abs. 3 EStG verstoße nicht gegen EU-Recht. Sowohl der europäische Richtliniengeber als auch der EuGH hätten Ausnahmetatbestände benannt, unter denen die Einschränkung von europarechtlichen Grundfreiheiten gerechtfertigt sei. Hierzu würden Fälle gehören, in denen mithilfe einer rechtlichen Konstruktion angestrebt werde, ansonsten nicht zustehende steuerliche Vorteile zu erlangen, welche dem Zweck der zugrunde liegenden Norm entgegenstehen würden. Als Prävention gegen derartige missbräuchliche Gestaltungen habe der deutsche Gesetzgeber als lex specialis § 50d Abs. 3 EStG etabliert. Die hierdurch bewirkte Beschränkung der Niederlassungsfreiheit sei zur Verhinderung eines Gestaltungsmissbrauchs gerechtfertigt. Jedenfalls die Neuregelung des § 50d Abs. 3 EStG mit Wirkung ab dem Jahr 2012 stehe im Einklang mit Europarecht, da insoweit ein Motivtest installiert worden sei. Im Streitfall sei diese Gesetzesfassung auch anwendbar (vgl. BMF-Erlass 2012, Rn. 16).

Im Hinblick auf die darüber hinaus von den Beteiligten diskutierte Frage, ob § 50d Abs. 3 EStG auch gegen die Mutter-Tochter-Richtlinie verstößt,

trägt die Klägerin vor, die Richtlinie gestatte zwar in Art. 1 Abs. 2 mitgliedstaatliche Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, allerdings liege die Definition des Missbrauchs nicht im Bereich der Regelungskompetenz der Mitgliedstaaten. Vielmehr sei der Begriff autonom, so wie er sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergebe, zu interpretieren. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Gewährung des Quellensteuerabzugs gemäß der Mutter-Tochter-Richtlinie unabhängig von der wirtschaftlichen Tätigkeit der Muttergesellschaft bestehe. § 50d Abs. 3 EStG versage indes den Quellensteuerabzug für Holdinggesellschaften, deren Tätigkeit lediglich in der Verwaltung eigenen Vermögens bestehe, grundsätzlich, so dass diese völlig aus dem Anwendungsbereich der Richtlinienvorteile ausgeschlossen werde.

Der Beklagte trägt hierzu vor, dass die Anti-Missbrauchsnorm des § 50d Abs. 3 EStG durch Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie als Ausnahmetatbestand gerechtfertigt sei.

Mit Blick auf eine Anwendung von § 42 AO

trägt die Klägerin schließlich vor, diesem stehe entgegen, dass auch insoweit eine Ungleichbehandlung zwischen inländischen und ausländischen Sachverhalten gegeben sei, die nicht mit den Grundsätzen der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit vereinbar sei. Auch die Missbrauchsbekämpfung auf Grundlage des § 42 AO müsse dem vom EuGH entwickelten Missbrauchsbegriff Rechnung tragen. Selbst wenn es sich bei § 42 AO, wie vom Beklagten vorgetragen, um eine Verfahrensvorschrift handele, die der nationalen Gesetzgebungsautonomie unterliege, sei der Grundsatz der Niederlassungsfreiheit zu wahren.

Soweit sich der Beklagte darauf berufe, dass der Missbrauch darin bestehe, dass Dividendenausschüttungen im Wohnsitzstaat der natürlichen Person nicht der Einkommensteuer unterworfen würden, verkenne er, dass die Einkommensbesteuerung der Dividendenausschüttungen eine Angelegenheit des Wohnsitzstaates des Dividendenempfängers sei.

Der Beklagte trägt diesbezüglich vor, selbst wenn § 50d Abs. 3 EStG – wie von der Klägerin vorgetragen – nicht anwendbar sein solle, sei die begehrte Kapitalertragsteuererstattung nicht zu gewähren, da in diesem Fall § 42 AO anwendbar wäre sei. Eine Gestaltung sei missbräuchlich i.S.d. § 42 AO, wenn sie für den vom Gestaltenden vorgegebenen Zweck ungewöhnlich sei und in ihrer Folge eine vom Ziel des Normgebers nicht gewollte Besteuerung erreicht werden solle, die zu einem steuerlichen Vorteil führe. Dabei seien bei grenzüberschreitenden Zahlungsflüssen auch die steuerlichen Ergebnisse zu berücksichtigen, die mit der gewählten rechtlichen Konstruktion im Ansässigkeitsstaat des Gestaltenden erreicht würden.

Im Streitfall sei ein Missbrauch im Sinne des § 42 AO gegeben, da die gewählte Gestaltung geeignet sei, eine Einkommensbesteuerung des Gesellschafters generell bzw. in seinem Wohnsitzstaat zu umgehen. Weiterausschüttungen einer auf Zypern ansässigen Holding an Nichtzyprioten würden steuerfrei belassen (Quelle: Der Standard, 19. März 2013; Informationsschrift der Firma Kinanis LLC, Law & Consulting, Nikosia). Erklärtes Ziel der zypriotischen Steuerpolitik sei es, die Ansiedlung von Holding- oder Finanzierungsgesellschaften aus dem Ausland zu fördern. Die mit der Mutter-Tochter-Richtlinie bezweckte Besteuerung der Gewinnausschüttungen auf der Ebene der Einkommensteuer erscheine infolge der im Streitfall gewählten Gestaltung nicht sichergestellt.

Anträge

Die Klägerin beantragt,

1.) den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 13. September 2012 sowie der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidung vom 6. Februar 2013 zu verpflichten, deutsche Kapitalertragsteuer gemäß § 50d Abs. 1 EStG i.V.m. § 43b EStG i.H.v. insgesamt 26.375 € (= KapESt i.H.v. 25.000 € zzgl. SolZ i.H.v. 1.375 €) zu erstatten;

2.) hilfsweise die Sache dem EuGH im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens gemäß Art. 267 AEUV vorzulegen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Aus den Gründen

B. Das Klageverfahren wegen Erstattung von Kapitalertragsteuer wird ausgesetzt. Es wird gemäß Art. 267 Abs. 2 AEUV die Vorabentscheidung des EuGH über die im Tenor des Beschlusses genannten Rechtsfragen eingeholt.

Die Anrufung des EuGH ist gemäß Art. 267 AEUV geboten, weil das Verständnis der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 54 AEUV (ex-Art. 48 EG) sowie des Begriffs des Missbrauchs im Sinne von Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie in entscheidungserheblicher Weise zweifelhaft sind.

Entscheidend für den Ausgang des Klageverfahrens ist, ob die vom deutschen Gesetzgeber in § 50d Abs. 3 EStG (2007) zur Verhinderung von Missbrauch aufgestellten Kriterien, die zu einer Versagung der Erstattung bzw. Freistellung von Kapitalertragsteuer führen, mit EU-Recht vereinbar und folglich anwendbar sind.

I. Rechtliche Grundlagen der Kapitalertragsteuererstattung

Den Vorlagefragen liegt folgender nationaler rechtlicher Rahmen zugrunde:

1. Im Fall von Gewinnausschüttungen erzielt der im Ausland ansässige Gesellschafter – hier die Klägerin – Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Dabei wird die Einkommensteuer gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben.

Gemäß § 43b Abs. 1 EStG wird auf Antrag die Kapitalertragsteuer für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG, die einer Muttergesellschaft, die weder ihren Sitz noch ihre Geschäftsleitung im Inland hat, aus Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft zufließen, nicht erhoben. Muttergesellschaft im Sinne des Absatzes 1 ist gemäß § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG eine Gesellschaft, die die in der Anlage 2 zu diesem Gesetz bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und nach Artikel 3 Abs. 1 Buchstabe a der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (ABl. EG Nr. L 225 S. 6, Nr. L 266 S. 20, 1997 Nr. L 16 S. 98), zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. EU Nr. L 363 S. 129), im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer nach § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG nachweislich mindestens zu 15 % unmittelbar am Kapital der Tochtergesellschaft (Mindestbeteiligung) beteiligt ist (§ 43b Abs. 2 Satz 1 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung). Weitere Voraussetzung ist nach § 43b Abs. 2 Satz 4 EStG, dass die Beteiligung nachweislich ununterbrochen zwölf Monate besteht.

Können Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Kapitalertrag unterliegen, u.a. gemäß § 43b EStG nicht besteuert werden, so kann der Gläubiger der Kapitalerträge gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG die Erstattung der einbehaltenen und abgeführten Steuer beanspruchen.

2. Der Erstattungs- bzw. Freistellungsanspruch ist indes unter bestimmten Voraussetzungen ausgeschlossen. So sieht § 50d Abs. 3 EStG (2007) folgendes vor:

Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und

  • ·         1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder
  • ·         2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder
  • ·         3. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.

2Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 des Außensteuergesetzes), bleiben außer Betracht.3 An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt.4 Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet oder für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes gelten.

II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen

Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich.

1. Vorbehaltlich § 50d Abs. 3 EStG (2007) liegen die sonstigen Voraussetzungen für die von der Klägerin geltend gemachte Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 50d Abs. 1 Satz 2, § 43b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Abs. 2 EStG vor.

Die Klägerin war im streitigen Zeitraum eine Muttergesellschaft i.S.d. § 43b Abs. 2 EStG ohne Sitz und Geschäftsleitung im Inland. Die Gewinnausschüttungen ihrer inländischen Tochtergesellschaft, der A GmbH, stellen Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG dar, mit denen die Klägerin gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5a EStG i.V.m. § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegt. Die A GmbH als Tochtergesellschaft hat die hierauf entfallende Kapitalertragsteuer im Wege des Quellensteuerabzugs gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG einbehalten und abgeführt. Die Klägerin war im Zeitpunkt der Entstehung der Kapitalertragsteuer gemäß § 44 Abs. 1 Satz 2 EStG, dem Zufluss der Gewinnausschüttung im Jahre 2011, zu 100 % an der A GmbH mit Sitz in B beteiligt und erfüllte damit die gesetzliche Mindestbeteiligungsquote gemäß § 43b Abs. 2 Satz 1 EStG in der im Streitfall anwendbaren Fassung i.H.v. 15 %. Die Beteiligung bestand nachweislich ununterbrochen 12 Monate (§ 43b Abs. 2 Satz 4 EStG). Schließlich hat die Klägerin beim Beklagten auch den Antrag gestellt, die bei der Gewinnausschüttung von ihrer Tochtergesellschaft einbehaltene und abgeführte Kapitalertragsteuer zu erstatten (§§ 43b Abs. 1, 50d Abs. 1 Satz 2 EStG).

2. Angesichts dessen hängt der von der Klägerin geltend gemachte Kapitalertragsteuererstattungsanspruch davon ab, ob die Missbrauchsregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) zur Anwendung gelangt oder aufgrund eines Verstoßes gegen EU-Recht nicht anzuwenden ist.

a. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG (2007), so dass ihr unter Anwendung dieser Regelung die Kapitalertragsteuererstattung zu versagen wäre. Auch die Klägerin selbst geht davon aus, dass der Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG (2007) gegeben ist.

aa. An der Klägerin als im Gemeinschaftsgebiet ansässiger Gesellschaft war im Streitjahr zu 100 % die D Ltd. mit Sitz in Zypern beteiligt. Wäre die Gewinnausschüttung der A GmbH unmittelbar an die D Ltd. erfolgt, hätte der D Ltd. keine Erstattung der auf die Dividenden einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer zugestanden. Denn auch sie erfüllt die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG (2007). So sind an der D Ltd. Personen beteiligt, denen die Erstattung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten. Denn die Anteile an der D Ltd. werden zu 100 % von einer in Singapur ansässigen natürlichen Person gehalten. Dieser steht weder gemäß dem DBA-Singapur noch gemäß der Mutter-Tochter-Richtlinie die begehrte Erstattung der Kapitalertragsteuer in vollem Umfang zu. Hinzu kommt, dass die D Ltd. keine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt. Dies ist auch von der Klägerin bestätigt worden.

bb. Die übrigen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-3 EStG (2007), müssen nicht kumulativ vorliegen, sondern für die Versagung der Kapitalertragsteuererstattung reicht es aus, wenn eine dieser Alternativen erfüllt ist. Wenn eine der Alternativen erfüllt ist, unterstellt der Gesetzgeber – ohne Möglichkeit des Gegenbeweises – eine missbräuchliche Rechtsgestaltung. Das bedeutet umgekehrt, dass sämtliche Voraussetzungen vorliegen müssen, um dem Missbrauchsvorwurf zu entgehen und die Kapitalertragsteuererstattung zu erlangen. Die Gesellschaft muss den „Drei-Faktoren-Test“ (vgl. Hahn-Joecks, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d, Rn. E 65; Gosch, DStJG 36, 2013, Seite 201, 219) bestehen, um von der Steuer entlastet zu werden.

(1) Im Streitfall erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG (2007).

(a) Hiernach wird vorausgesetzt, dass die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielte. Wurden nicht mehr als 10% der gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt, indiziert dies nach § 50d Abs. 3 EStG 2007 einen Missbrauch mit der Rechtsfolge der Versagung der Steuerentlastung. Die ausländische Gesellschaft hat hierbei nicht die Möglichkeit, den Gegenbeweis anzutreten.

(aa) Das Gesetz definiert nicht, welche Voraussetzungen eine wirtschaftliche Tätigkeit erfüllen muss. Es enthält lediglich eine Negativabgrenzung in § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG (2007). Hiernach fehlt es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt.

(bb) Das Tatbestandsmerkmal der „Verwaltung von Wirtschaftsgütern“ ist sehr weit gefasst. Eine vermögensverwaltende Tätigkeit ist gegeben, wenn die Einkünfte aus der Tätigkeit isoliert betrachtet als Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 20 EStG oder aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 21 EStG einzuordnen ist (vgl. Frotscher, EStG, § 50d Rn. 87). Der Gesetzgeber wollte mit dieser Regelung Einkünfte von der Entlastungsmöglichkeit ausschließen, die letztlich nicht „am Markt“ erzielt werden, also nicht aus der Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60). Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es sich dabei regelmäßig um Einkünfte aus der Vermögensverwaltung bzw. der Verwaltung von Wirtschaftsgütern handelt.

Als Verwaltung von Wirtschaftsgütern sieht der Gesetzgeber ausdrücklich auch das Halten von Anteilen an einer oder mehreren Gesellschaften an (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60). Nicht um Vermögensverwaltung, sondern um eigene Wirtschaftstätigkeit handelt es sich – zumindest nach der Intention des Gesetzgebers –, soweit geschäftsleitende Funktionen im Zusammenhang mit den jeweiligen Beteiligungen ausgeübt werden. Eine Geschäftsleitung liegt vor, wenn zu dem Halten der jeweiligen Beteiligung noch eine Managementtätigkeit hinzukommt. Zwingende Voraussetzung ist jedoch eine tatsächliche Managementtätigkeit für mehr als eine Untergesellschaft (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60). Diese Intention des Gesetzgebers findet sich jedoch nicht im Gesetzeswortlaut wieder, da dieser insoweit keine Einschränkung enthält.

(cc) Angesichts dessen ist neben der rein passiven Verwaltung von Wirtschaftsgütern hiernach auch die aktive Verwaltung von Leasing-, Vermietungs-, Holding-, Kapitalanlage- oder Finanzierungsgesellschaften als „schädliche“ Verwaltung von Wirtschaftsgütern i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG anzusehen, so dass diese Tätigkeiten keine eigene Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG darstellen und zum Ausschluss der Kapitalertragsteuererstattung führen.

(dd) Bei der Prüfung der eigenen Wirtschaftstätigkeit sind Wirtschaftstätigkeiten von anderen Konzerngesellschaften nicht zu berücksichtigen. Dies folgt aus § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG. Zum Teil wird vertreten, dass insoweit ein Rückgriff auf Satz 2 nicht erforderlich sei, da gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG auf die eigene Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft abgestellt wird, eine Zurechnung der Tätigkeiten anderer Konzerngesellschaften also schon nach diesem Wortlaut ausgeschlossen sei (vgl. Frotscher, EStG, § 50d Rn. 82b).

(ee) Maßgeblich sind die Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit „im betreffenden Wirtschaftsjahr“. Im Erstattungsverfahren ist dies das Jahr des Zuflusses (vgl. Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 187; Frotscher, EStG, § 50d Rn. 83c, 105).

(b) Im Streitfall sind die Voraussetzung des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllt, da die Klägerin nicht mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres 2011 aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielte.

Sie erzielte im betreffenden Zeitraum keine Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 EStG. Denn sie übte die Funktion einer Holdinggesellschaft aus. Ihre Tätigkeit bestand darin, Beteiligungen an Gesellschaften zu halten. Hierbei handelt es sich um die Verwaltung von Wirtschaftsgütern i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG und damit um keine eigene Wirtschaftstätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG.

(c) Folglich sind die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt, da bereits das Vorliegen einer der Alternativen des Satzes 1 dazu führt, dass die Erstattung der Kapitalertragsteuer versagt wird.

(2) Ungeachtet dessen sind jedoch zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG erfüllt. Hiernach ist die Kapitalertragsteuererstattung ausgeschlossen, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Im Streitfall verfügt die Klägerin über keine eigenen Büroräume und kein eigenes Personal. Dass sie im Bedarfsfall auf die Räumlichkeiten, das Personal und auf alle sonstigen Einrichtungen anderer Konzerngesellschaften zurückgreift, ist gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG unerheblich. Denn maßgebend sind hiernach ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, bleiben nach dieser Regelung außer Betracht.

b. Entgegen der Auffassung des Beklagten gelangt im Streitfall auch ausschließlich § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 (vom 13. Dezember 2006, BGBl 2006, 2878) zur Anwendung. § 50d Abs. 3 EStG in der Fassung des BeitrRLUmsG vom 7. Dezember 2011 (BGBl I 2011, 2592, im Folgenden: EStG 2012) ist nicht anwendbar.

Das Gesetz selbst sieht für die Anwendung der Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG keine besondere Anwendungsregelung vor. Daher ist die allgemeine Anwendungsregelung des § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG maßgeblich. Hiernach ist das EStG in seiner aktuellen Fassung erstmals für den Veranlagungszeitraum 2012 anzuwenden, soweit in den übrigen Absätzen des § 52 EStG oder in § 52a EStG nichts anderes bestimmt ist. Weder § 52 EStG (insbesondere § 52 Abs. 59a EStG) noch § 52a EStG sehen eine besondere Anwendungsregelung für § 50d Abs. 3 EStG (2012) vor. Es ist auch im Übrigen nicht ersichtlich, dass dies nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen soll. In den Gesetzesmaterialien findet sich keine Erwägung dazu, § 50d Abs. 3 EStG (2012) auf alle offenen Fälle anzuwenden (BT-Drucks. 17/7524, Seite 13 f.). Nichts anderes ergibt sich aus dem BMF-Schreiben vom 24. Januar 2012 (BStBl I 2012, 171, Ziff. 16). Der Wille der Finanzverwaltung als Exekutive vermag nicht die gesetzliche Regelung zu ersetzen und hat auch für die Auslegung von Gesetzen keine Bedeutung. Das BMF-Schreiben kann lediglich zu einer Billigkeitsmaßnahme der Verwaltung führen, von der der Beklagte jedoch im Streitfall keinen Gebrauch macht.

c. Die Vorlagefragen sind auch insoweit entscheidungserheblich, als der Senat die europarechtlichen Zweifel nicht im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion zu vermeiden vermag (vgl. hierzu z.B. BFH-Urteil vom 25. August 2009 - I R 88, 89/07,BFHE 226, 296 m.w.N.). Denn dies würde voraussetzen, dass die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung eindeutig und der Senat von der Europarechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG (2007) überzeugt ist. Hieran mangelt es. Der Senat hat „lediglich“ Zweifel - zwar erhebliche Zweifel, aber keine Überzeugung.

d. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen entfällt auch nicht, weil bei einer vermeintlichen EU-Rechtswidrigkeit des § 50d Abs. 3 EStG im Streitfall die Kapitalertragsteuererstattung gleichwohl gemäß § 42 AO zu versagen wäre. Denn dies wäre nicht der Fall.

§ 50d Abs. 3 EStG (2007) ist gegenüber § 42 AO in der im Streitjahr 2011 anwendbaren Fassung des Jahressteuergesetzes 2008 (BGBl I 2007, 3150) jedenfalls dann vorrangig anzuwenden, wenn der Tatbestand des § 50d Abs. 3 EStG (2007) als speziellerer Vorschrift zur Vermeidung von Gestaltungsmissbräuchen – wie im Streitfall – erfüllt ist (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Ob § 42 AO auch dann verdrängt wird, wenn nicht alle Tatbestandsmerkmale des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sind, ist umstritten, kann jedoch dahingestellt bleiben, da diese Konstellation im Streitfall nicht gegeben ist.

Auch dann, wenn die Versagung der Steuerentlastung gemäß § 50d Abs. 3 EStG gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen würde, ergäbe sich im Ergebnis nichts anderes. Denn dann würde § 50d Abs. 3 EStG als speziellere Vorschrift immer noch – wenn auch mit eingeschränktem Regelungsgehalt – vorrangig gegenüber § 42 AO anzuwenden sein (vgl. Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 171). Aber selbst wenn man in diesem Fall von einem „Wiederaufleben“ der Anwendbarkeit des § 42 AO als allgemeiner Missbrauchsklausel ausgehen wollte (vgl. Hahn-Joecks, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d, Rn. E 16), dürfte hiernach eine Konstellation, die gemäß § 50d Abs. 3 EStG im Lichte des Europarechts keinen unzulässigen Rechtsmissbrauch darstellt, auch nicht als Missbrauch i.S.d. § 42 AO gedeutet werden.

3. Würde § 50d Abs. 3 EStG im Streitfall wegen einer insoweit bestehenden Unvereinbarkeit mit EU-Recht nicht zur Anwendung gelangen, wäre der Klägerin die begehrte Kapitalertragsteuer zu erstatten.

III. Europarechtliche Zweifel

Die europarechtlichen Bedenken ergeben sich für den Senat zum einen im Hinblick auf die Verletzung der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV) als primärem Gemeinschaftsrecht und zum anderen im Hinblick auf die Unvereinbarkeit mit der Mutter-Tochter-Richtlinie (EG 90/435/EWG vom 23.7.1990, Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990, fortent-wickelt in der Richtlinie 2003/123/EG, ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003) als sekundärem Gemeinschaftsrecht.

1. Verletzung von primärem Gemeinschaftsrecht (Grundfreiheiten)

a. Schutzbereich

aa. Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EGV)

Der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist von der Regelung in § 50d Abs. 3 EStG tangiert.

(1) Dabei ist die Klägerin, die ihren Sitz in Dänemark hat, vom persönlichen Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst. Die Zugehörigkeit einer Gesellschaft zur Rechtsordnung eines Mitgliedstaats und damit ihre Teilhabe an den europäischen Grundfreiheiten wird gemäß Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV (ex-Art. 43 i.V.m. Art. 48 EGV) ausschließlich durch ihren Satzungs- oder Verwaltungssitz begründet (vgl. EuGH-Urteil vom 10. Juli 1986, C-79/85 - Segers, Slg. 1986, 2375; EuGH-Urteil vom 27. September 1988, Rs. C-81/87 - Daily Mail, Slg. 1988, 5483; EuGH-Urteil vom 13. Juli 1993, C‑330/91 - Commerzbank, Slg. 1993, I-4017). Dabei ist nach der Centros-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 9. März 1999, C-212/97, Slg. 1999, I-1459) sogar eine reine Briefkastengesellschaft vom Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst. Aber auch bei einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise, wie sie in der Cadbury Schweppes-Entscheidung (vom 12. September 2006, C-196/04, Slg. 2006, I-7995) vorgenommen zu werden scheint, kann sich die Klägerin auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Sie ist zudem aufgrund ihrer Tätigkeit in tatsächlicher und dauerhafter Verbindung mit der Wirtschaft insbesondere der Mitgliedstaaten Deutschland und Dänemark verbunden.

(2) Gemäß Art. 49 AEUV (ex-Art. 43 EGV) sind Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats grundsätzlich verboten. In den sachlichen Geltungsbereich der Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit fallen nationale Vorschriften, die anzuwenden sind, wenn ein Angehöriger des betreffenden Mitgliedstaats am Kapital einer Gesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat eine Beteiligung hält, die es ihm ermöglicht, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (vgl. EuGH-Urteile vom 11. November 2010, C-543/08 - Kommission ./. Portugal III, Slg. 2010, I-11241; vom 12. September 2006, C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg. 2006, I-7995 m.w.N. der Rspr.). Eine solche sichere Einflussmöglichkeit ist jedenfalls dann gegeben, wenn eine Beteiligungsquote von mindestens 25% (so EuGH-Urteil vom 10. Mai 2007, C-492/04 – Lasertec, Slg. 2007, I-3775, Rn. 21) oder sogar von mindestens 10 % (vgl. BFH-Urteil vom 29. August 2012 – I R 7/12, BStBl II 2013, 89) besteht. Eine sichere Einflussmöglichkeit könnte auch unabhängig von einer festen Beteiligungsschwelle vorliegen, wenn die Ausübung eines beherrschenden Einflusses auf die Entscheidungen der Beteiligungsgesellschaft auf andere Weise gewährleistet ist (vgl. EuGH-Urteil vom 10. Mai 2007, C‑492/04 – Lasertec, Slg. 2007, I-3775, Rn. 22).

Diese Voraussetzungen sind im Streitfall erfüllt. Die Beteiligung der Klägerin an der ausschüttenden A GmbH betrug im streitigen Zeitraum 100%. Folglich bestand eine sichere Einflussmöglichkeit.

bb. Kapitalverkehrsfreiheit (Art. 63 AEUV)

Im Streitfall ist auch der Schutzbereich der Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 AEUV (ex-Art. 56 EGV) tangiert.

cc. Konkurrenz

Vorrangig ist im Streitfall jedoch der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet. Nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH berührt eine nationale Regelung vorrangig die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, wenn die Beteiligung es ihrem Inhaber ermöglicht, „einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der betreffenden Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen“ (z.B. EuGH-Urteile vom 12. Dezember 2006, C-446/04 - Test Claimants, Slg. 2006, I-11753 Rn. 37 f.; vom 12. September 2006, C-196/04 – Cadbury Schweppes, Slg 2006, I-7995, Rn. 31; vom 17. September 2009, C-182/08 – Glaxo Wellcome, Slg. 2009, I-8591, Rn. 36 ff.). Dagegen sind nationale Bestimmungen über Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll, ausschließlich im Hinblick auf den freien Kapitalverkehr zu prüfen (vgl. EuGH-Urteil vom 19. Juli 2012, C-31/11 – Scheunemann, Slg. 2009, I‑8591, Rn. 23). Ein sicherer Einfluss in diesem Sinne setzt – wie zuvor dargelegt – keine mehrheitliche Beteiligung voraus. Im Streitfall betrifft § 50d Abs. 3 EStG angesichts der hier einschlägigen Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 43b EStG ausschließlich Beteiligungen i.H.v. mindestens 15% (§ 43b Abs. 2 Sätze 1, 2 EStG in der im Steitfall anwendbaren Fassung). Konkret beträgt die Beteiligung der Klägerin an der A GmbH im Streitjahr 100%. Folglich ist ein sicherer Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaft gewährleistet, so dass der Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit (Art. 49 AEUV, ex-Art. 43 EGV) vorrangig zur Anwendung gelangt.

b. Eingriff in den Schutzbereich (Ungleichbehandlung)

Ein Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit ist im Streitfall gegeben.

Ein solcher Eingriff setzt voraus, dass im Rahmen einer Vergleichspaarbildung die EU‑ausländische Gesellschaft gegenüber einer inländischen Gesellschaft bei vergleichbarem Sachverhalt schlechter gestellt ist (vgl. EuGH-Urteil vom 12. Dezember 2006, C‑374/04 – Test Claimants, Slg. 2006, I-11673, Rn. 46; Schlussanträge der Generalanwältin vom 4. September 2014, C-87/13 - X, Rn. 15 f.; abrufbar über juris).

Im Streitfall ist folglich eine reine Holdinggesellschaft im Inland mit einer reinen Holdinggesellschaft im EU-Ausland zu vergleichen. Der Vergleich zeigt, dass die beiden Vergleichsgruppen ungleich behandelt werden. Einer ausländischen reinen Holdinggesellschaft wird die Kapitalertragsteuererstattung gemäß § 50d Abs. 3 EStG – wie im Streitfall – wegen Rechtsmissbrauchs versagt. Eine auf Dauer angelegte Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften wird indes grundsätzlich nicht als Rechtsmissbrauch qualifiziert (vgl. BFH-Urteil vom 23. Oktober 1996 – I R 55/95, BStBl II 1998, 90; s.a. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577, 581; Herlinghaus, Anmerkung, EFG 2006, 898, 899). Bei der inländischen zwischengeschalteten Kapitalgesellschaft bleiben die Kapitalerträge bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz (§ 8b Abs. 1, Abs. 5 KStG). Dabei wird die einbehaltene Kapitalertragsteuer entweder auf die Körperschaftsteuerschuld angerechnet (vgl. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG) oder vergütet (vgl. § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 KStG). § 50d Abs. 3 EStG (2007) gilt für inländische Muttergesellschaften nicht. Insoweit werden rechtsmissbräuchliche Konstellationen lediglich über die im Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG 2007 viel unbestimmter gefasste Regelung des § 42 AO erfasst. § 42 Abs. 1 Satz 1 AO (2008) sieht insoweit vor: „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden.“ Diese Regelung steht einer auf Dauer angelegten Zwischenschaltung inländischer Kapitalgesellschaften grundsätzlich nicht entgegen. Somit liegt eine Ungleichbehandlung vor (i.E. so auch Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 167). Da auch die Klägerin eine auf Dauer angelegte Holdinggesellschaft ist, wird sie folglich im Verhältnis zu einer inländischen Holdinggesellschaft benachteiligt.

Diese unterschiedliche steuerliche Behandlung und der daraus resultierende steuerliche Nachteil für im Gemeinschaftsgebiet ansässige Gesellschaften mit einer im Inland ansässigen Tochtergesellschaft ist geeignet, die Ausübung der Niederlassungsfreiheit durch solche Gesellschaften zu behindern. Denn diese werden aufgrund des unterschiedlichen Besteuerungsniveaus davon abgebracht, eine Tochtergesellschaft im Inland zu gründen, zu erwerben oder zu behalten. Hierin besteht somit eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV (ex-Art. 43 EGV).

c. Zweifel an der Rechtfertigung des Eingriffs

Dem Senat erscheint zweifelhaft, ob dieser Eingriff in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt ist.

aa. Sinn und Zweck des § 50d Abs. 3 EStG

§ 50d Abs. 3 EStG (2007) stellt eine Missbrauchsvorschrift gegen Steuergestaltungen dar, bei denen durch Zwischenschaltung substanz- und funktionsloser ausländischer Gesellschaften und unter Ausnutzung von Abkommens- oder Richtlinienvorteilen eine Entlastung u.a. von der deutschen Kapitalertragsteuer begehrt wird. Der Gesetzgeber begründet das Gesetz als Missbrauchsregelung insbesondere damit, zunehmenden Steuerplanungstechniken zu begegnen, mit denen die Besteuerung von Dividendenausschüttungen beim Endempfänger durch die gezielte Zwischenschaltung von spezifisch ausgestalteten ausländischen Gesellschaften umgangen werden soll (BT‑Drucks. 16/2712, Seite 60).

bb. Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung als Rechtfertigungsgrund

Die Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung ist grundsätzlich als Rechtfertigungsgrund anerkannt.

(1) Rechtsprechungsgrundsätze

(a) Grenze zwischen unzulässigem Missbrauch und zulässiger Gestaltung

Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes ist ein Mitgliedstaat grundsätzlich berechtigt, Maßnahmen zu treffen, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen unter Missbrauch der durch den EG-Vertrag geschaffenen Möglichkeiten der Anwendung des nationalen Rechts entziehen; die missbräuchliche oder betrügerische Berufung auf Gemeinschaftsrecht ist nicht gestattet (z.B. EuGH-Urteil vom 9. März 1999, Rs. C-212/97 - Centros, Slg. 1999, I-1459 Rn. 24 m.w.N.). Dabei sind typisierende Missbrauchsklauseln nicht grundsätzlich unzulässig (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995).

Nach der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes begründet allerdings die Absicht, sich in einem Niedrigsteuerland niederzulassen, um die dort angebotenen Steuervorteile in Anspruch zu nehmen, allein noch keinen Missbrauch (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 63; vgl. auch EuGH-Urteil vom 21. Februar 2006, C-255/02 – Halifax, Slg. 2006, I-1609, Rn. 74 f.).

Ein unzulässiger Missbrauch ist nach dieser Rechtsprechung vielmehr dann gegeben, wenn rein künstliche Gestaltungen vorliegen, die dazu bestimmt sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Staates zu entgehen (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 63; vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts vom 29. Juni 2006, C-524/04 - Test Claimants, Rn. 63).

Unklar erscheint, inwieweit dabei Substanzerfordernisse bestehen. Nach den Grundsätzen des Inspire Art-Urteils (vom 30. September 2003, C-167/01- Inspire Art, Slg 2003, I‑10155) sind die nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaates errichteten bloßen Basis- oder Briefkastengesellschaften nicht grundsätzlich vom unionsrechtlichen Diskriminierungsschutz ausgeschlossen. Es erscheint fraglich, ob diese unmittelbar nur zum Gesellschaftsrecht ergangene Rechtsprechung auf das Steuerrecht übertragbar ist. Immerhin könnte jedoch auch aus der Cadbury Schweppes-Entscheidung gefolgert werden, dass fehlende Substanz durch eine wirtschaftliche Tätigkeit kompensiert werden kann. Denn der Entscheidung ist zu entnehmen, dass eine rein künstliche Gestaltung gegeben ist, wenn weder eine wirtschaftliche Tätigkeit noch eine feste Einrichtung auf unbestimmte Zeit vorliegen (vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995 Rn. 54, 67).

Zwar betraf die Cadbury Schweppes-Entscheidung eine sog. Outbound-Konstellation (Beteiligung eines Gebietsansässigen an einer gebietsfremden Kapitalgesellschaft), während § 50d Abs. 3 EStG eine sog. Inbound-Konstellation betrifft (Beteiligung eines Gebietsfremden an einer gebietsansässigen Kapitalgesellschaft). Dennoch sind der Entscheidung Grundsätze zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ein unzulässiger Missbrauch vorliegt, der eine Beschränkung der Grundfreiheiten rechtfertigt.

(b) Möglichkeit des Gegenbeweises

Darüber hinaus fordert der EuGH, dass typisierende Missbrauchsklauseln der ausländischen Gesellschaft die Möglichkeit zum Gegenbeweis gewähren, damit diese nachweisen kann, dass das Hauptmotiv oder eines der Hauptmotive ihrer Gründung nicht die Steuerminderung gewesen ist (sog. Motivtest, vgl. EuGH-Urteil vom 12. September 2006, Rs. C-196/04 - Cadbury-Schweppes, Slg 2006, I-7995).

(c) Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

Schließlich müssen Maßnahmen zum Schutz gegen Steuerumgehungen nach der EuGH-Rechtsprechung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen. Sie müssen insbesondere zur Zweckverwirklichung geeignet und erforderlich sein (vgl. EuGH-Urteile vom 11. März 2004, C-9/02, de Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I-2409 Rn. 49; vom 17. Juli 1997, C-28/95 – Leur-Bloem, Slg 1997, I-4161, Rn 43, 48).

(2) Konsequenzen für den Streitfall

Vor diesem Hintergrund erscheint es dem Senat zweifelhaft, ob die Bekämpfung missbräuchlicher Steuerumgehung die durch § 50d Abs. 3 EStG (2007) bewirkte Ungleichbehandlung und die hiermit einhergehende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit in der streitigen Konstellation zu rechtfertigen vermag.

(a) Zweifel am Bestehen eines Missbrauchs steuerlicher Regelungen im Hinblick auf das Verbot der Merkmalsübertragung (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG 2007)

Dabei gründen sich die Zweifel des Senats zunächst darauf, dass das deutsche Gesetz in § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG (2007) vorsieht, dass ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgeblich sind und organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, außer Betracht zu bleiben haben (sog. Verbot der Merkmalsübertragung).

121

Das Verbot der Merkmalsübertragung führt im Streitfall dazu, dass für die Prüfung eines Rechtsmissbrauchs ausschließlich auf die Klägerin abzustellen ist und das Struktur- und Strategiekonzept des Konzerns, dem sie angehört, keine Berücksichtigung findet.

Der deutsche Gesetzgeber hat zum Verbot der Merkmalsübertragung Folgendes ausgeführt: „Struktur- und Strategiekonzepte für einen Konzern dürfen nicht dazu führen, dass funktionslosen ausländischen Gesellschaften Steuerentlastungen nach § 50d Abs. 1 oder 2 EStG gewährt werden, da sich konzerninterne Merkmale relativ einfach gestalten bzw. begründen lassen. Die Missbrauchsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG könnte dadurch leicht umgangen werden. Außerdem sind derartige Merkmale in der Praxis kaum nachprüfbar“ (BT-Drucks. 16/2712, Seite 60).

Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob diese Begründung die Regelung trägt und die Regelung insbesondere zur Vermeidung von Rechtsmissbrauch wirklich in ihrer konkreten Ausgestaltung erforderlich bzw. verhältnismäßig ist. Denn die Regelung umfasst auch Konstellationen, in denen die Beteiligungen konzernintern auf Dauer auf eine Holdinggesellschaft ausgegliedert wurden und dies einer nachhaltigen Konzernstrategie entspricht. Eine solche tatsächlich angelegte Struktur und Strategie kann indes nicht ohne Weiteres manipuliert werden. Es handelt sich nicht um konzerninterne Merkmale, die nur „auf dem Papier“ bestehen und als solche relativ einfach zu gestalten bzw. zu begründen wären.

Der Senat hat Zweifel, ob das Verbot der Merkmalsübertragung im Lichte der Niederlassungsfreiheit vom Verständnis der „rein künstlichen Gestaltung“ zur Verhinderung von Rechtsmissbrauch gedeckt ist. Es bestehen Zweifel, dass § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG (2007) auch solche Gesellschaften von der Kapitalertragsteuererstattung ausschließt, die den Tatbestand eines unzulässigen Rechtsmissbrauchs im Sinne der EuGH-Rechtsprechung nicht erfüllen. Folglich erscheint es zweifelhaft, ob der durch § 50d Abs. 3 EStG (2007) bewirkte Eingriff in die Niederlassungsfreiheit unter diesem Gesichtspunkt zur Verhinderung eines Rechtsmissbrauchs gerechtfertigt ist.

So hat der Senat mit Blick auf den Streitfall Zweifel, ob es sich bei der Klägerin um eine „rein künstliche Gestaltung“ im Sinne der EuGH-Rechtsprechung handelt, die dazu bestimmt ist, der Anwendung der Rechtsvorschriften des deutschen Staates zu entgehen.

Ungeachtet des Verbots der Merkmalsübertragung bestanden nämlich für die Einschaltung der Klägerin durchaus wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe i.S.v. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG (2007). Der Zweck der Klägerin war nicht darauf gerichtet, der Anwendung der deutschen Rechtsvorschriften im Sinne eines Rechtsmissbrauchs zu entgehen.

Die – als solche passive – Beteiligungsaktivität der Klägerin ist innerhalb des Konzerns, dem sie angehört, auf sie ausgegliedert worden. Die konzernstrategischen Ausgliederungen auf die Klägerin erfolgten langfristig und nicht etwa nur zu dem Zweck, richtlinien- oder abkommensrechtliche Erstattungsvorteile nach Maßgabe des § 50d Abs. 1 EStG (2007) zu erlangen. So wurde die Klägerin bereits viele Jahre vor der Beantragung der streitigen Kapitalertragsteuererstattung im Streitjahr 2011 gegründet und sie existiert sogar noch heute. Bereits seit 2003 war sie zu 100% an der A GmbH beteiligt. Insgesamt hielt die Klägerin im streitigen Zeitraum Beteiligungen an mehr als 25 Tochtergesellschaften, die ganz überwiegend im Gemeinschaftsgebiet ansässig und aktiv waren bzw. sind (in Dänemark, Schweden, Norwegen, Finnland, Deutschland und England). Die Klägerin selbst domizilierte bzw. domiziliert in Dänemark und damit in jenem Staat, in dem die Konzerngesellschaften einen aktiven Tätigkeitsschwerpunkt bilden. Die Klägerin war bzw. ist also nicht etwa in einem anderen Staat, einem Drittstaat ansässig, so dass die Ansässigkeit der Klägerin in Dänemark die Erlangung von Abkommens- oder Richtlinienvorteilen ermöglicht hätte. Vielmehr diente die Bündelung der Beteiligungen in der in Dänemark ansässigen Klägerin als Holdinggesellschaft aus organisatorischen und haftungsrechtlichen Gründen einem dauerhaften Struktur- und Strategiekonzept des wirtschaftlich – insbesondere auch in Dänemark – aktiv tätigen Konzerns.

Es erscheint angesichts dessen zweifelhaft, dass eine innerhalb einer aktiven Konzernstruktur, insbesondere auch im Ansässigkeitsstaat der Klägerin, sinnvolle Gestaltung eine „künstliche Konstruktion“ darstellen und einen Missbrauchsvorwurf rechtfertigen soll. Es erscheint angesichts dessen zweifelhaft, dass es zur Prüfung eines Rechtsmissbrauchs zwecks Rechtfertigung eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit unzulässig sein soll, Verhältnisse im Konzern zu berücksichtigen.

(b) Zweifel am Bestehen eines Missbrauchs steuerlicher Regelungen im Hinblick auf das Substanzerfordernis bei Holdinggesellschaften (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG 2007)

Darüber hinaus hat der Senat Zweifel im Hinblick auf die Regelung des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG (2007). Hiernach ist die Kapitalertragsteuererstattung zu versagen, wenn – u.a. – die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Der Senat hat Zweifel, ob ein angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb einer Holdinggesellschaft zwingend eigene Geschäftsräume, Personal und Ausrüstungsgegenstände voraussetzt. Zwar folgt aus der „Cadbury Schweppes“-Entscheidung des EuGH, dass eine rein künstliche Gestaltung gegeben ist, wenn weder eine wirtschaftliche Tätigkeit noch eine feste Einrichtung auf unbestimmte Zeit vorliegen. Fraglich ist jedoch, ob dies uneingeschränkt auch für Holdinggesellschaften gilt. Diese weisen angesichts ihrer Funktion kaum Substanzerfordernisse auf. Insoweit könnten vermeintliche Substanzdefizite durch den objektiv nachvollziehbaren Umstand der Kapitalanlage- und Finanzierungsfunktion ersetzt werden.

Im Übrigen ist auch hinsichtlich der festen Einrichtung zweifelhaft, ob insoweit im Lichte des Europarechts Umstände im Konzern – wie von § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG (2007) vorgesehen – bei der Prüfung des Rechtsmissbrauchs außer Betracht bleiben dürfen. So griff etwa die Klägerin im Streitfall bei entsprechendem Bedarf auf die Räumlichkeiten, das Personal und alle sonstigen Einrichtungen der Konzerngesellschaften zurück. Sie hatte immerhin einen eigenen Telefonanschluss und eine eigene E-Mail-Adresse. Es ist zu berücksichtigen, dass sie als Holdinggesellschaft auch keiner aufwendigen Geschäftsausstattung bedurfte.

(c) Zweifel im Hinblick auf das Erfordernis der wirtschaftlichen Tätigkeit und deren gesetzliche Konkretisierung (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Satz 3 EStG 2007)

Des Weiteren ergeben sich Zweifel auch hinsichtlich der Anforderungen an die wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG (2007). Hiernach ist die Kapitalertragsteuererstattung ausgeschlossen, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt. Gemäß § 50d Abs. 3 Satz 3 EStG (2007) fehlt es an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt.

Dies führt insbesondere dazu, dass sog. funktionsschwache Kapitalgesellschaften, die etwa Einkünfte aus Kapitalvermögen erzielen, schon allein deshalb einem typisierenden Missbrauchsvorwurf ausgesetzt sind.

So erzielte auch die Klägerin Einkünfte aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern, indem sie Einkünfte aus Gewinnausschüttungen ihrer Tochtergesellschaften erzielte. Allein dies reicht gemäß § 50d Abs. 3 EStG aus, um der Klägerin einen unwiderlegbaren Rechtsmissbrauch zu unterstellen.

Auch insoweit bestehen Zweifel, dass das Gesetz solche Konstellationen als rechtsmissbräuchlich behandelt, die nicht vom Missbrauchsbegriff im Lichte der Niederlassungsfreiheit umfasst werden.

(d) Zweifel an der Verhältnismäßigkeit aufgrund der kumulativen Erfordernisse zuzüglich des Verbots der Merkmalsübertragung

Die Zweifel an der Rechtfertigung der durch § 50d Abs. 3 EStG bewirkten Beschränkung der Niederlassungsfreiheit ergeben sich auch insoweit, als die vom Gesetzgeber kumulativ geforderten Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG (2007) zuzüglich des Verbots der Merkmalsübertragung gemäß § 50d Abs. 3 Satz 2 EStG (2007) Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Norm begründen. Insoweit erscheint zweifelhaft, ob die Regelung zur Verwirklichung des Zwecks der Missbrauchsbekämpfung erforderlich ist.

Das kumulative Erfordernis der Kriterien des § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1-3 EStG, die zudem auch noch dem Verbot der Merkmalsübertragung unterliegen, führt nämlich dazu, dass auch Gesellschaften, die keine rein künstlichen Gestaltungen ohne jegliche wirtschaftliche Realität darstellen, dem typisierenden Missbrauchsvorwurf ausgesetzt und folglich von der Erstattung der Kapitalertragsteuer ausgeschlossen sind. So wird etwa einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft (mit der Gesellschafterstruktur des § 50d Abs. 3 Satz 1, 1. Halbsatz EStG 2007) die Kapitalertragsteuererstattung versagt, auch wenn im Rahmen eines Konzerns aufgrund einer langfristigen Konzernstrategie durchaus wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe für ihre Einschaltung bestehen und/oder der Gesellschaft im Konzern im Bedarfsfall auch Räumlichkeiten, Personal und sonstige Einrichtungen zur Verfügung stehen. Selbst wenn man im Streitfall unter Ausblendung des Verbots der Merkmalsübertragung von einem wirtschaftlichen Grund der Einschaltung der Klägerin im Rahmen des Konzerns gemäß § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 EStG (2007) ausgehen wollte, würde dies allein gemäß § 50d Abs. 3 EStG (2007) noch nicht ausreichen, um dem Missbrauchsvorwurf zu entgehen. Selbst wenn man zusätzlich noch würdigen würde, dass die Klägerin angesichts ihrer minimalen funktionellen Erfordernisse und im Rahmen des Konzerns über eine hinreichende Geschäftseinrichtung i.S.d. § 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 EStG (2007) verfügen würde, würde auch dies noch nicht den Missbrauchsvorwurf beseitigen. Vielmehr müsste sie zusätzlich noch mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielen (§ 50d Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 EStG 2007).

Der Senat hat Zweifel, dass eine derartige Kumulation von Anforderungen für die Missbrauchsbekämpfung tatsächlich erforderlich ist. Es bestehen Zweifel, dass hierdurch auch solche Konstellation dem Missbrauchsvorwurf – mit der entsprechenden Folge der Versagung der Kapitalertragsteuererstattung – ausgesetzt sind, die nicht vom Missbrauchsbegriff im Lichte der Niederlassungsfreiheit erfasst werden.

(e) Zweifel mangels Gegenbeweismöglichkeit

Erschwerend kommt hinzu, dass § 50d Abs. 3 EStG (2007) als pauschalierende Missbrauchsvorschrift keinen Gegenbeweis zulässt.

Dabei sei angemerkt, dass es dem Senat ohnehin fraglich erscheint, wie eine Gesellschaft in Anbetracht der hohen Hürde der Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG den Gegenbeweis erbringen können soll, entgegen der typisierenden Vermutung nicht missbräuchlich eingeschaltet zu sein.

(3) Bestätigung der Zweifel durch die Grundsätze der BFH-Rechtsprechung

Die Zweifel des Senats werden durch die Grundsätze der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) bestätigt.

Aus der Rechtsprechung des BFH ergibt sich, dass ein Gestaltungsmissbrauch, der die Versagung der Erstattung von Kapitalertragsteuer rechtfertigt, vorliegen kann, wenn es sich um eine rein künstliche Gestaltung handelt (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2008 – I R 26/06, sog. SOPARFI-Entscheidung, BStBl II 2008, 978). Allerdings hat der BFH auch entschieden, dass kein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, wenn eine im Gemeinschaftsgebiet ansässige Kapitalgesellschaft innerhalb des ebenfalls in ihrem Ansässigkeitsstaat ansässigen aktiv tätigen Konzerns auf Dauer als Holdinggesellschaft ausgegliedert wird (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 – I R 75/04, sog. Hilversum II‑Entscheidung, BStBI II 2006, 118). Der BFH hat in dieser Konstellation – die der des Streitfalls entspricht – keinen Rechtsmissbrauch gesehen und die Steuerentlastung gemäß § 50d Abs. 1 EStG gewährt. Er sah die Voraussetzungen des § 50d Abs. 1a EStG (1990/1994) – Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) – als nicht gegeben an, auch wenn an der Holdinggesellschaft Personen beteiligt waren, denen die Steuerentlastung nicht zugestanden hätte, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielt hätten (vgl. BFH-Urteil vom 31. Mai 2005 – I R 75/04, sog. Hilversum II-Entscheidung, BStBI II 2006, 118). Der BFH hat dabei die ohnehin enger gefasste Vorgängerregelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) zusätzlich noch einschränkend angewandt, indem er bei vermögensverwaltenden Holdinggesellschaften nicht von funktionslosen Briefkastengesellschaften und folglich nicht von einer missbräuchlichen Gestaltung ausgegangen ist, wenn aufgrund der Dauerhaftigkeit und Funktion der Gesellschaft im Konzern nicht anzunehmen war, dass die Beteiligung an einer deutschen Gesellschaft gerade bei dieser Zwischenholdung nur aus steuerlichen Gründen erfolgt war.

Hinsichtlich der Kapitalgesellschaften mit Kapitalanlage- und Finanzierungsfunktionen hat der BFH zudem hervorgehoben, dass insoweit gemeinhin keine besondere sächliche, räumliche und personelle Ausstattung und kein besonderer „Apparat“ benötigt werden, was es sogar rechtfertigen kann, die Substanzanforderungen im konkreten Einzelfall herabzusetzen (vgl. BFH-Urteil vom 29. Januar 2008 – I R 26/06, BStBl II 2008, 978).

Zwar ist die Rechtsprechung des BFH zur Vorgängervorschrift des § 50d Abs. 3 EStG (2007) ergangen, deren gesetzliche Voraussetzungen zur Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs enger als die des § 50d Abs. 3 EStG (2007) waren. Gleichwohl dürften dieser Rechtsprechung Grundsätze zu entnehmen sein, unter welchen Voraussetzungen eine missbräuchliche Gestaltung nicht angenommen werden kann, zumal der BFH die restriktive Vorgängerregelung auch noch restriktiv angewendet hat.

Die Rechtsprechung des BFH bestätigt, dass für die Würdigung eines Rechtsmissbrauchs die Umstände im Konzern bzw. verbundener Gesellschaften nicht außer Betracht bleiben dürfen und dass die Substanzerfordernisse bei Holdinggesellschaften stark zu relativieren sind. Außerdem bestätigt sie, dass allein die Verwaltung von Wirtschaftsgütern zur Annahme eines Rechtsmissbrauchs nicht ausreicht.

Dies bestätigt die Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit der Niederlassungsfreiheit und insbesondere dessen Verhältnismäßigkeit. Denn § 50d Abs. 3 Satz 1 EStG (2007) fordert zur Anerkennung einer nicht missbräuchlichen Gestaltung bei Einschaltung einer im Gemeinschaftsgebiet ansässigen Kapitalgesellschaft sowohl wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe als auch eine eigene Wirtschaftstätigkeit als auch einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, außer Betracht bleiben (§ 50d Abs. 3 Satz 2 EStG 2007) und dass die Verwaltung von Wirtschaftsgütern nicht als eigene Wirtschaftstätigkeit anerkannt wird (§ 50d Abs. 3 Satz 3 EStG 2007). Es sei nochmals hervorgehoben, dass diese Erfordernisse für im Inland ansässige zwischengeschaltete Kapitalgesellschaften nicht gelten.

(4) Bestätigung durch Schrifttum

Die Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit EU-Primärrecht werden durch das deutsche Schrifttum bestätigt, das überwiegend von einem Verstoß gegen europäische Grundfreiheiten ausgeht (z.B. Gosch, in Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26, 29; Frotscher, EStG, § 50d Rn. 134; Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 161; Hahn-Joecks, in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 50d, Rn. A 42; Klein/Hagena, in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, § 52d, Anm. 52; Boochs, in Lademann, EStG, § 50d Rn. 283; Wagner, in Blümich, EStG, § 50d Rn. 70; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577; Kaiser, IStR 2009, 121, 127 ff.; Schönfeld, IStR 2012, 215; Niedrig, IStR 2003, 474; Brünning/Mühle, BB 2006, 2159; Birker, BB 2012, 1961; Schaflitzl/Weidmann, DStR 2013, Beihefter zu Heft 23, Seite 30).

2. Verletzung von sekundärem Gemeinschaftsrecht (Mutter-Tochter-RL)

Darüber hinaus hat der Senat auch Zweifel daran, ob die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit der Mutter-Tochter-Richtlinie der EG 90/435/EWG vom 23.7.1990 (Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990) und deren Fortentwicklung in der Richtlinie 2003/123/EG (ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003) vereinbar ist.

a. Regelungsinhalt der Mutter-Tochter-RL

Die Mutter-Tochter-Richtlinie regelt die Besteuerung von Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Kapitalgesellschaften in der Europäischen Gemeinschaft. Ihr Zweck besteht darin, Mehrfachbesteuerungen grenzüberschreitend gezahlter Dividenden bei verbundenen Unternehmen zu vermeiden (vgl. Richtlinie 90/435/EWG vom 23.7.1990, Abl EG Nr. L 225/6 v. 20.8.1990, Erwägungsgründe a.E.; Richtlinie 2003/123/EG, ABl EU Nr. L 157 vom 26.06.2003, Erwägungsgründe 1 und 2). Dementsprechend sieht die Richtlinie vor, dass die von einer Tochtergesellschaft an ihre Muttergesellschaft ausgeschütteten Gewinne, zumindest wenn diese einen Anteil am Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaft im Streitjahr 2007 von wenigstens 15% besitzt, vom Steuerabzug an der Quelle befreit sind (Art. 5 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie).

b. Abweichung von den Vorgaben der Mutter-Tochter-RL

§ 50d Abs. 3 EStG weicht von dieser Regelung der Mutter-Tochter-Richtlinie ab, indem er unter bestimmten Voraussetzungen der Muttergesellschaft die Freistellung von der Kapitalertragsteuer als Quellensteuer versagt, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen der Mutter-Tochter-Richtlinie gegeben sind.

c. Zulässigkeit der Abweichung nach Maßgabe der Öffnungsklausel zur

Missbrauchsbekämpfung

Es erscheint dem Senat zweifelhaft, ob die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG aufgrund Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie gerechtfertigt ist.

aa. Öffnungsklausel gemäß Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie

Gemäß Art. 1 Abs. 2 Mutter-Tochter-Richtlinie steht die Richtlinie der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen. Unter diesen Voraussetzungen ist es den Mitgliedstaaten gestattet, die Mutter-Tochter-Richtlinie nicht anzuwenden.

bb. Nationaler oder europäischer Missbrauchsbegriff

Es erscheint dem Senat jedoch zweifelhaft, dass dies im Lichte des Europarechts bedeuten soll, dass die Mitgliedstaaten den Missbrauchsbegriff beliebig definieren können, mit der Folge, dass es dem deutschen Gesetzgeber zusteht, die Konstellationen, in denen nach seiner Auffassung ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, in § 50d Abs. 3 EStG (2007) uneingeschränkt festzulegen. Denn den Mitgliedstaaten wird in Art. 1 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie als Ermächtigungsvorschrift nicht die Pflicht, sondern nur das Recht zur Missbrauchsbekämpfung einräumt (vgl. Schön, IStR 1996, Beihefter zu Heft 2, Seite 1, 6).

Im Rahmen der Auslegung des europarechtlichen Missbrauchsbegriffs i.S.d. Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie ist den mitgliedstaatlichen Sprachfassungen dieser Regelung zum Teil ein wichtiger Hinweis zu entnehmen. Während die Richtlinie gemäß Art. 1 Abs. 2 der deutschen Fassung der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegensteht, weicht die Regelung in den Sprachfassungen anderer Mitgliedstaaten hiervon ab. Danach schließt die Richtlinie die Anwendung nationaler Vorschriften nicht aus, die z.B. „required“ (englisch), „nécessaire“ (französisch), „necessarie“ (italienisch) bzw. „necesarias“ (spanisch) zur Vermeidung von Missbräuchen sind. In diesen Sprachfassungen kommt das Prinzip der Erforderlichkeit zum Ausdruck.

Das Erfordernis eines selbstständig gemeinschaftsrechtlichen Verständnisses der Steuerumgehung wird durch den Sinn und Zweck der Richtlinie bestätigt. Die Mutter-Tochter-Richtlinie begründet sich aus der Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften, so dass es sich hierbei nicht um eine disponible Steuervergünstigung handelt. Voneinander abweichende Definitionen der Steuerumgehung in den verschiedenen Gemeinschaftsstaaten würden dieser Zielsetzung entgegenstehen und dazu führen können, dass Gestaltungen, die eine schutzwürdige Ausübung von Grundfreiheiten darstellen, als Gestaltungsmissbrauch diskriminiert werden (vgl. Schön, IStR 1996, Beihefter zu Heft 2, Seite 1, 7). Dies spricht dafür, dass der Definition des Begriffs des Steuermissbrauchs europarechtliche Grenzen gesetzt sind.

cc. Beschränkung des Missbrauchsbegriffs durch EU-Primärrecht

Ungeachtet der Frage eines eigenständigen europarechtlichen Missbrauchsbegriffs muss sich der Missbrauchsbegriff der Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 1 der Mutter-Tochter-Richtlinie jedenfalls am europarechtlichen Primärrecht messen lassen (vgl. Cloer/Hagemann, in Bordewin/Brandt, EStG, § 50d Rn. 169; Gosch, in Kirchhof, § 50g Rn. 19; ähnlich Frotscher, EStG, § 50d Rn. 138). Die Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG mit der Niederlassungsfreiheit schlagen folglich auf die Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG mit der Mutter-Tochter-Richtlinie durch. Hieran vermag jedenfalls auch die Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 der Mutter-Tochter-Richtlinie nichts zu ändern. Ansonsten könnte man zu dem Ergebnis gelangen, dass ein Sachverhalt aus der Sicht der Grundfreiheiten keinen Gestaltungsmissbrauch, aus der Sicht der Richtlinie jedoch einen Gestaltungsmissbrauch darstellen würde. Dies wäre nicht mit der Einheitlichkeit der europarechtlichen Rechts- und Prüfungsmaßstäbe zu vereinbaren.

3. Vor dem Hintergrund dieser europarechtlichen Zweifel erscheint es dem Senat nicht geboten, das Verfahren im Hinblick auf das beim EuGH anhängige Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C-504/16 zum Ruhen zu bringen. Beide Verfahren betreffen zwar Zweifel an der Vereinbarkeit des § 50d Abs. 3 EStG (2007) mit primärem und sekundärem Europarecht. Jedoch weichen die Vorlagefragen angesichts der den Verfahren zugrunde liegenden unterschiedlichen Konstellationen voneinander ab.

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