BFH: Vorsteuerberichtigung im Insolvenzfall
BFH, Urteil vom 8.3.2012 - V R 24/11
Leitsätze
1. Beruht die Berichtigung nach § 15a UStG auf einer steuerfreien Veräußerung durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Verwaltung und Verwertung der Masse, ist der Berichtigungsanspruch eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
2. Im Verhältnis zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren ist die im Festsetzungsverfahren vorgenommene Steuerfestsetzung für das Erhebungsverfahren vorgreiflich. Dies gilt auch für die Frage, ob Berichtigungen nach § 15a UStG zu Lasten oder zu Gunsten der Masse in einem an den Insolvenzverwalter gerichteten Steuerbescheid zu berücksichtigen sind.
sachverhalt
I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Insolvenzverwalter einer GmbH, die Flachglas produzierte und lieferte.
Die GmbH erwarb im August 2000 ein Erbbaurecht an einem Grundstück, für das sie den Vorsteuerabzug geltend machte. Am 1. April 2004 wurde über das Vermögen der GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Der Kläger veräußerte mit Vertrag vom 23. Dezember 2004 das Erbbaurecht umsatzsteuerfrei mit Lastenwechsel zum 1. Oktober 2005.
Am 10. November 2005 reichte der Kläger eine Umsatzsteuervoranmeldung Oktober 2005 unter der Steuernummer der GmbH ein, in der er eine Vorsteuerberichtigung zu Lasten der GmbH in Höhe von 367.065 EUR berücksichtigte. In der Umsatzsteuerjahreserklärung für das Streitjahr 2005 vom 15. September 2006, die der Kläger für das sog. Massekonto der GmbH abgab, berücksichtigte er diese Vorsteuerberichtigung nicht.
Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung war der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) der Auffassung, dass die Vorsteuerberichtigung aus der steuerfreien Veräußerung des Erbbaurechts beim Massekonto in Höhe von 366.905,58 EUR zu erfassen sei, da insoweit eine Masseverbindlichkeit vorliege. Dementsprechend erging am 17. Januar 2007 ein geänderter Umsatzsteuerbescheid 2005, in dem eine Umsatzsteuer von 411.574,79 EUR festgesetzt wurde; daraus ergab sich eine Nachzahlung in Höhe von 366.905,54 EUR.
Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Im Klageverfahren machte der Kläger geltend, dass die Umsätze in dem für das Massekonto ergangenen Umsatzsteuerbescheid 2005 um 433.792 EUR zu mindern seien, da in dieser Höhe uneinbringliche Entgelte aus der Zeit vor der Insolvenzeröffnung vorlägen. Dem folgte das FA und setzte die Umsatzsteuer 2005 durch Bescheid vom 4. November 2009 auf 342.168,07 EUR herab. Die Steuer wurde um 69.406,72 EUR und somit um den Betrag gemindert, der sich aufgrund des im Streitjahr geltenden Steuersatzes von 16 % bei einer Entgeltminderung von 433.792 EUR ergab.
Für die Klageabweisung führte das Finanzgericht (FG) an, dass es sich bei der Vorsteuerberichtigung um eine Masseverbindlichkeit und nicht um eine Insolvenzforderung gehandelt habe. Hierfür spreche, dass sowohl das schuldrechtliche Grundgeschäft als auch das dingliche Vollzugsgeschäft nach Insolvenzeröffnung verwirklicht worden seien. Auf insolvenzaufrechnungsrechtliche Überlegungen komme es nicht an.
Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2011, 1385 veröffentlicht worden.
Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Der Vorsteuerberichtigungsanspruch sei eine Insolvenzforderung. Maßgeblich sei, dass der Anspruch in seinem Kern bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sei und nur noch vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhänge. Es könne nicht bei § 38 der Insolvenzordnung (InsO) auf den Zeitpunkt abgestellt werden, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen sei, wenn es für § 96 InsO auf die den Umsatzsteuererstattungsansprüchen zugrunde liegenden Lieferungen und Leistungen ankomme. Für § 38 InsO sei daher maßgeblich, ob der Rechtsgrund für die Entstehung der Forderung bereits vor Verfahrenseröffnung gelegt wurde. Hierfür sei auf die der Umsatzsteuer zugrunde liegenden Lieferungen und Leistungen abzustellen. Eine Klärung durch den Großen Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) sei erforderlich.
Zu beachten sei weiter, dass es im Streitfall nicht um die Besteuerung eines Verwertungsvorgangs i.S. von § 55 Abs. 1 InsO gehe, sondern um eine Änderung in Bezug auf die Besteuerung des im Jahr 2000 erfolgten Erwerbsvorgangs. Im Hinblick auf diesen Erwerb führe die Veräußerung im Streitjahr nicht zu einem neuen umsatzsteuerbaren Vorgang, sondern nur zu einer Änderung bei der Besteuerung des damaligen Erwerbsvorgangs. Die Vermögensmasse sei bereits vor der Insolvenz mit einem latenten Vorsteuerberichtigungsanspruch belastet gewesen. Daher seien der Rechtsgrund und der umsatzsteuerrechtlich relevante Lebenssachverhalt für die Vorsteuerberichtigung bereits vor Verfahrenseröffnung gelegt gewesen. Beim Vorsteuerberichtigungsanspruch handele es sich um eine Berichtigung der Besteuerung vor Insolvenzeröffnung, nicht aber um eine Besteuerung einer vom Verwalter neu geschaffenen Schuldrechtsbeziehung. Nur die vom Insolvenzverwalter neu geschaffenen Rechtsbeziehungen, nicht aber auch die Abwicklung von Altbeziehungen könnten Masseverbindlichkeiten begründen. Auch bei der Uneinbringlichkeit nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) habe sich der Lebenssachverhalt vor Verfahrenseröffnung zugetragen. Dementsprechend sei das FA insoweit seiner Auffassung gefolgt. Für eine unterschiedliche Behandlung bestehe kein nachvollziehbarer Grund. Daher sei es zu der Vorsteuerberichtigung aufgrund einer Änderung der Verhältnisse bereits mit und damit vor der Insolvenzeröffnung gekommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben, den Umsatzsteuerbescheid 2005 vom 4. November 2009 dahingehend zu ändern, dass die Umsatzsteuer auf ./. 24.737,51 EUR festgesetzt wird und weiter, dass die Umsatzsteuer in Höhe von 366.905,58 EUR zuzüglich Zinsen an die Insolvenzmasse ausgezahlt wird.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sowohl schuldrechtliches Grundgeschäft als auch dingliches Vollzugsgeschäft seien erst nach Insolvenzeröffnung verwirklicht worden. Hierauf komme es für die Frage der Tatbestandsverwirklichung an. Es liege daher eine Masseverbindlichkeit vor.
aus den gründen
13 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Im Streitfall führt erst die Veräußerung des mit Vorsteuerabzug erworbenen Wirtschaftsguts durch den Insolvenzverwalter zu einer Änderung der Verhältnisse i.S. von § 15a UStG. Der dadurch entstandene Berichtigungsanspruch ist eine Masseverbindlichkeit.
14 1. Die von § 15a UStG vorausgesetzte Änderung der Verhältnisse wurde erst durch die steuerfreie Veräußerung des Wirtschaftsguts durch den Insolvenzverwalter, nicht aber --entsprechend der Auffassung des Klägers-- bereits durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt.
15 a) § 15a Abs. 1 UStG hatte im Streitjahr folgenden Wortlaut: Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut, das nicht nur einmalig zur Ausführung von Umsätzen verwendet wird, innerhalb von fünf Jahren ab dem Zeitpunkt der erstmaligen Verwendung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnisse, ist für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Bei Grundstücken einschließlich ihrer wesentlichen Bestandteile, bei Berechtigungen, für die die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über Grundstücke gelten, und bei Gebäuden auf fremdem Grund und Boden tritt an die Stelle des Zeitraums von fünf Jahren ein Zeitraum von zehn Jahren.
16 Der Steueranspruch gemäß § 15a Abs. 1 UStG aufgrund einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse setzt danach einen Vergleich zwischen der Verwendungsabsicht beim Entstehen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug und der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung der späteren tatsächlichen Verwendung voraus (BFH-Urteil vom 9. Februar 2011 XI R 35/09, BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.2.c).
17 b) Im Streitfall begründete erst die nach § 4 Nr. 9 Buchst. a UStG steuerfreie Veräußerung des Wirtschaftsguts, nicht aber bereits die zuvor erfolgte Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Änderung der Verhältnisse hinsichtlich des Wirtschaftsguts, das die GmbH zuvor für steuerpflichtige Umsätze erworben hatte. Gegenteiliges ergibt sich entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus der Rechtsprechung des Senats zu § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG.
18 aa) Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG hat der leistende Unternehmer den Steuerbetrag und der Leistungsempfänger den Vorsteuerabzug zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt für eine steuerpflichtige Leistung "uneinbringlich" wird. Die von dieser Vorschrift vorausgesetzte Uneinbringlichkeit von Entgelten tritt sowohl bei Eingangsleistungen als auch bei Ausgangsleistungen nicht bereits aufgrund der bloßen Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern aufgrund der mit der Insolvenzeröffnung verbundenen Besonderheiten ein. So ergibt sich die Uneinbringlichkeit des Entgelts für eine vor Insolvenzeröffnung an den Insolvenzschuldner erbrachte Leistung daraus, dass der Entgeltgläubiger seinen Forderungsanspruch nur noch unter Beachtung der insolvenzrechtlichen Beschränkungen geltend macht (BFH-Urteil vom 13. November 1986 V R 59/79, BFHE 148, 346, BStBl II 1987, 226, Leitsatz) und daher nur noch zur Insolvenztabelle anmelden kann. Die Uneinbringlichkeit des Entgelts für eine durch den Insolvenzschuldner vor Insolvenzeröffnung erbrachte Ausgangsleistung beruht darauf, dass mit Verfahrenseröffnung die Vereinnahmungszuständigkeit für diese Forderung auf den Insolvenzverwalter und die seiner Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis unterliegende Tätigkeit übergeht (BFH-Urteil vom 9. Dezember 2010 V R 22/10, BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, unter II.3.c).
19 bb) Die Insolvenzeröffnung ist dagegen für die Berichtigung nach § 15a UStG ohne Bedeutung. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt weder tatsächlich noch rechtlich eine Änderung in der Verwendung von Wirtschaftsgütern.
20 Allein die Insolvenzeröffnung ändert die tatsächliche Verwendung nicht. Auch in rechtlicher Hinsicht wirkt sich --anders als bei dem von § 15a Abs. 7 UStG vorausgesetzten Übergang zum Kleinunternehmerstatus nach § 19 Abs. 1 UStG oder zur Pauschalbesteuerung nach § 24 UStG-- die Insolvenzeröffnung nicht auf die für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse aus; insbesondere enthält die InsO anders als z.B. §§ 19, 24 UStG keine materiell-rechtlichen Regelungen, die für den Vorsteuerabzug maßgeblich sind.
21 cc) Entgegen der Auffassung des Klägers kann die Insolvenzeröffnung auch nicht einer Entnahme gleichgesetzt werden, die gemäß § 15a Abs. 9 UStG i.V.m. § 3 Abs. 1b UStG eine Änderung der Verhältnisse bewirkt.
22 Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen zwar nach Verfahrenseröffnung aus mehreren Unternehmensteilen, zu denen die Insolvenzmasse und das vorinsolvenzrechtliche Vermögen gehören (BFH-Urteile in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, unter II.3.c aa, und vom 24. November 2011 V R 13/11, Der Betrieb --DB-- 2011, 2818, unter II.1.). Die im Insolvenzfall entstehenden Unternehmensteile gehören aber aufgrund des fortgeltenden Grundsatzes der Unternehmenseinheit (BFH-Urteile vom 28. Juni 2000 V R 87/99, BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, unter II.5.; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, unter II.3.c aa, und in DB 2011, 2818, unter II.1.) gleichwohl zu einem einheitlichen Unternehmen. Die Insolvenzeröffnung führt daher nicht, wie von § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 1 bis 3 UStG vorausgesetzt, zu einer Verwendung für außerhalb des Unternehmens liegende Zwecke oder zu einer unentgeltlichen Zuwendung.
23 2. Wie das FG zu Recht entschieden hat, war der Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG als Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO bei der Steuerfestsetzung für die Masse zu berücksichtigen.
24 a) Masseverbindlichkeiten sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO die Verbindlichkeiten, "die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden ...". Bei der Besteuerung der Masse sind diese Verbindlichkeiten durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen (BFH-Urteile vom 30. April 2009 V R 1/06, BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138, unter II.1., und in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.1.), während der "zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Vermögensanspruch" i.S. von § 38 InsO als sog. Insolvenzforderung gemäß §§ 174 ff. InsO zur Insolvenztabelle anzumelden ist.
25 Die Steuerfestsetzung für die Masse erfordert eine Steuerberechnung gemäß §§ 16 ff. UStG, bei der Umsätze, abziehbare Vorsteuerbeträge und Berichtigungen insoweit zu berücksichtigen sind, als diese der Masse zuzuordnen sind. Dies richtet sich für Umsätze, abziehbare Vorsteuerbeträge und Berichtigungen gleichermaßen nach den Kriterien des § 55 InsO. Die der Steuerfestsetzung zugrunde liegende Steuerberechnung für die Masse ist keine Aufrechnung und unterliegt deshalb nicht den Aufrechnungsbeschränkungen der §§ 94 ff. InsO (vgl. BFH-Urteil in BFHE 192, 132, BStBl II 2000, 639, unter II.4. zu Umsätzen und Vorsteuerbeträgen, die im Rahmen des dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Konkursverwalters unterliegenden Unternehmensteils ausgeführt werden, und BFH-Urteil in DB 2011, 2818, unter II.2.c und II.3. zur Parallelfrage der Steuerberechnung für die Anmeldung als Insolvenzforderung zur Tabelle gemäß § 174 InsO).
26 b) Der Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG aufgrund der steuerfreien Veräußerung des Wirtschaftsguts ist eine Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und in die Steuerberechnung (§ 16 Abs. 2 Satz 2 UStG) und Steuerfestsetzung für die Masse einzubeziehen.
27 aa) Die Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung der beiden Umsatzsteuersenate des BFH danach, ob der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist; nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt der Steuerentstehung nach § 13 UStG (BFH-Urteile vom 29. Januar 2009 V R 64/07, BFHE 224, 24, BStBl II 2009, 682, unter II.1.; in BFHE 226, 130, BStBl II 2010, 138, unter II.1.; in BFHE 232, 301, BStBl II 2011, 996, unter II.1., und in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.2.).
28 Der Kläger kann sich für seine Gegenauffassung auch nicht auf das von ihm angeführte BFH-Urteil vom 23. Februar 2011 I R 20/10 (BFHE 233, 114, BStBl II 2011, 822) berufen, da es auch danach darauf ankommt, ob "der anspruchsbegründende Tatbestand abgeschlossen" ist und damit "ein gesicherter Rechtsgrund" festgestellt werden kann. Die Rechtsprechung der Umsatzsteuersenate steht im Übrigen in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH), nach der für das Vorliegen einer Insolvenzforderung entscheidend ist, ob "der anspruchsbegründende Tatbestand bereits vor Verfahrenseröffnung abgeschlossen" ist, d.h. ob das diesen Tatbestand begründende "Schuldverhältnis vor Verfahrenseröffnung bestand" (BGH-Beschlüsse vom 7. April 2005 IX ZB 195/03, ZInsO 2005, 484, unter II.4., und vom 7. April 2005 IX ZB 129/03, ZInsO 2005, 537, unter II.4.; vgl. auch vom 22. September 2011 IX ZB 121/11, NZI 2011, 953, und vom 13. Oktober 2011 IX ZB 80/10, ZInsO 2011, 2184, unter II.2.a).
29 bb) Der Berichtigungstatbestand nach § 15a Abs. 1 UStG setzt zusätzlich zu den auf Anschaffungs- und Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträgen eine Änderung der für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse voraus. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats handelt es sich bei der Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG daher materiell-rechtlich um einen gegenüber dem Vorsteuerabzug gemäß § 15 UStG eigenständigen Tatbestand. Der Berichtigungstatbestand des § 15a UStG erschöpft sich somit nicht in der Rückgängigmachung des Vorsteuerabzugs (BFH-Urteile vom 9. April 1987 V R 23/80, BFHE 149, 323, BStBl II 1987, 527, unter II.1.b, und vom 6. Juni 1991 V R 115/87, BFHE 165, 113, BStBl II 1991, 817, unter II.; BFH-Beschluss vom 29. November 1993 V B 93/93, BFH/NV 1995, 351). Hieran ist auch unter der Geltung der InsO festzuhalten (BFH-Urteil in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.2.).
30 cc) Im Streitfall hat der Insolvenzverwalter das mit Vorsteuerabzug erworbene Wirtschaftsgut erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens veräußert. Daher ist erst hierdurch der Berichtigungstatbestand des § 15a UStG verwirklicht worden, so dass es sich bei dem Berichtigungsanspruch um eine Masseverbindlichkeit handelt. Schließlich erfüllte die steuerfreie Veräußerung im Streitfall auch die weiteren Voraussetzungen einer Masseverbindlichkeit i.S. von § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, da die Lieferung des Wirtschaftsguts durch den Insolvenzverwalter zur Verwertung der Masse erfolgte.
31 3. Die Beurteilung des Streitfalls durch den erkennenden Senat steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des VII. Senats des BFH, der für den Umkehrfall einer Berichtigung nach § 15a UStG, die zu einer Steuervergütung führt, die Aufrechnung gegen diesen Vergütungsanspruch zulässt.
32 a) Bei der Steuerberechnung für den dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegenden Unternehmensteil sind gemäß §§ 16 ff. UStG i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO steuermindernd die diesen Unternehmensteil betreffenden Einzelansprüche aus Vorsteuerbeträgen und Berichtigungen zugunsten des Unternehmens zu berücksichtigen (s. oben II.2.a).
33 Veräußert daher z.B. --anders als im Streitfall-- der Insolvenzverwalter ein Wirtschaftsgut steuerpflichtig, das aufgrund einer beabsichtigten Verwendung für überwiegend steuerfreie Umsätze nur teilweise mit Recht auf Vorsteuerabzug erworben wurde, ergibt sich für die Masse ein Berichtigungsanspruch aus § 15a UStG, der bei Fehlen anderer Umsatztatbestände für den Besteuerungszeitraum zu einem Steuervergütungsanspruch für die Masse führt.
34 Die Rechtsprechung des erkennenden Senats hat daher zur Folge, dass die Berichtigungen nach § 15a UStG aufgrund einer Lieferung durch den Insolvenzverwalter stets gleichbehandelt werden und unabhängig davon, ob die Berichtigung zu Lasten oder zu Gunsten der Masse wirkt, gleichermaßen im Rahmen der Steuerberechnung und Steuerfestsetzung für die Masse zu berücksichtigen ist.
35 b) Nach dem Urteil des VII. Senats des BFH vom 16. Januar 2007 VII R 7/06 (BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745, unter II.) ist das FA als Insolvenzgläubiger zur Aufrechnung berechtigt, wenn sich aus einem der Masse zustehenden Berichtigungsanspruch nach § 15a UStG ein Vergütungsanspruch ergibt.
36 aa) Insolvenzrechtlich ist die Aufrechnung nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig, wenn das FA als "Insolvenzgläubiger erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist".
37 bb) Ergibt sich bei der Steuerberechnung und Steuerfestsetzung für die Masse aufgrund von Vorsteuerbeträgen oder Berichtigungen ein Vergütungsanspruch (s. oben II.3.a), ist das FA nach der zu Abrechnungsbescheiden gemäß § 218 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) ergangenen Rechtsprechung des VII. Senats des BFH auch unter Berücksichtigung von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Aufrechnung gemäß § 226 AO gegen den sich für die Masse aus der Steuerberechnung nach §§ 16 ff. UStG ergebenden Vergütungsanspruch berechtigt, wenn und soweit der Vergütungsanspruch auf Vorsteuer- oder Berichtigungsbeträgen beruht, die "insolvenzrechtlich vor Verfahrenseröffnung begründet worden" sind (BFH-Urteil in BFHE 216, 390, BStBl II 2007, 745, unter II.).
38 Zur Begründung führt er aus, dass "es aus insolvenzrechtlicher Sicht auf die vollständige Verwirklichung des steuerrechtlichen Tatbestandes nicht ankommt", sondern maßgeblich "der zugrunde liegende zivilrechtliche Sachverhalt [sei], der zu der Entstehung der Steueransprüche führt" (BFH-Urteile vom 5. Oktober 2004 VII R 69/03, BFHE 208, 10, BStBl II 2005, 195, unter II.2., und vom 16. November 2004 VII R 75/03, BFHE 208, 296, BStBl II 2006, 193, unter II.; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. April 2007 VII R 27/06, BFHE 217, 8, BStBl II 2009, 589, unter II.3., wonach es darauf ankommt, dass der "Anspruch ... in einem Steuerschuldverhältnis [wurzelt], das ... schon vor Verfahrenseröffnung bestanden hat").
39 c) Auch wenn der VII. Senat des BFH im Erhebungsverfahren die Aufrechnung gegen einen der Masse zustehenden Vergütungsanspruch zulässt, obwohl dieser auf einer Steuerberechnung für die Masse im Festsetzungsverfahren beruht, liegt darin keine im Streitfall entscheidungserhebliche Abweichung, die eine Anfrage an den VII. Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 3 FGO und ggf. eine Vorlage an den Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 2 FGO rechtfertigt. Der erkennende Senat schließt sich auch insoweit dem Urteil des XI. Senats des BFH (in BFHE 233, 86, BStBl II 2011, 1000, unter II.2.f.) an.
40 aa) Eine Abweichungsanfrage gemäß § 11 Abs. 2 und 3 FGO setzt voraus, dass ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats oder des Großen Senats abweichen will. Für eine derartige Anfrage und ggf. Vorlage an den Großen Senat fehlt es im Streitfall an einer Abweichung hinsichtlich einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage.
41 (1) Nach dem für die Entscheidung maßgebenden Geschäftsverteilungsplan (Teil A VII. Senat 5 c) ist der VII. Senat des BFH zuständig für Aufrechnung, Abtretung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sowie für Abrechnungsbescheide, Rückforderungsbescheide und Anrechnungsverfügungen im Erhebungsverfahren, wenn nicht zugleich die Steuerfestsetzung streitig ist. Die Zuständigkeitsverteilung im Verhältnis zum VII. Senat des BFH entspricht daher der steuerverfahrensrechtlichen Unterscheidung zwischen dem Festsetzungs- und dem Erhebungsverfahren (§§ 155 ff. AO und §§ 218 ff. AO). Im Streitfall entscheidet der erkennende Senat im Festsetzungsverfahren über die gemäß §§ 16 ff. UStG i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO für die Masse vorzunehmende Steuerberechnung und -festsetzung und berücksichtigt dabei, den insolvenzrechtlichen Besonderheiten entsprechend, nur die umsatzsteuerrechtlichen Einzelansprüche aus Umsätzen, abziehbaren Vorsteuerbeträgen und Berichtigungen, die nicht nach § 38 InsO bei der Berechnung der Insolvenzforderung dem vorinsolvenzrechtlichen Bereich, sondern nach den Bedingungen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dem dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegenden Unternehmensteil zuzuordnen sind (s. oben II.2.a und 3.a). Demgegenüber betrifft die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH Abrechnungsbescheide nach § 218 AO, mit denen über die Wirksamkeit von Aufrechnungen gemäß § 226 AO unter Beachtung von § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO entschieden wird, und damit das Erhebungsverfahren (s. oben II.3.b).
42 (2) Im Verhältnis zwischen Festsetzungs- und Erhebungsverfahren ist die im Festsetzungsverfahren vorgenommene Steuerfestsetzung für das Erhebungsverfahren vorgreiflich. Denn Grundlage für die Verwirklichung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis sind gemäß § 218 Abs. 1 Satz 1 AO Steuerbescheide und Steuervergütungsbescheide. Daher ist im Verfahren über einen Abrechnungsbescheid z.B. nicht über das materiell-rechtliche Bestehen der Gegenforderung des FA zu entscheiden, da dies Gegenstand des Festsetzungsverfahrens und des dieses Verfahren betreffenden Rechtsbehelfs ist. Hiervon geht auch die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH aus (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 4. Mai 1993 VII R 82/92, BFH/NV 1994, 285).
43 Im Hinblick auf diese Vorgreiflichkeit berührt die Rechtsprechung des VII. Senats des BFH nicht die Rechtmäßigkeit des Steuerbescheides, der zu der Steuervergütung führt, gegen die das FA nach der Rechtsprechung des VII. Senats des BFH auch unter Berücksichtigung der §§ 94 ff. InsO zur Aufrechnung berechtigt ist (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 14. Mai 1998 V R 74/97, BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634, unter II.1. zum Vorsteuerabzug aus der Rechnung eines Sequesters bei der Steuerfestsetzung für die Masse trotz der vom VII. Senat des BFH insoweit angenommenen Aufrechnungsbefugnis des FA). Dementsprechend hat die Aufrechnung keinen Einfluss auf die der Steuervergütung zugrunde liegenden Steuerfestsetzung (BFH-Urteil in BFHE 185, 552, BStBl II 1998, 634, unter II.1.).
44 bb) Nach § 11 Abs. 4 FGO kann dem Großen Senat auch eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung zur Entscheidung vorlegt werden, wenn das nach Auffassung des vorlegenden Senats zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall aufgrund der Vorgreiflichkeit des Festsetzungs- für das Erhebungsverfahren (s. oben II.3.c.aa(1) gleichfalls nicht vor.