: Vorsteuerberichtigung bei Rückwechsel zur Durchschnittssatzbesteuerung
FG Baden-Württemberg, Urteil vom 8.9.2009 - 12 K 122/06
UStG § 24; AO § 163; § 227; FGO § 101 S. 1
Tatbestand
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Streitig ist, wie nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 13. Februar 1997, IV C 3-S 7316-3/97 "zusätzliche Steuervergünstigungen" vermieden werden sollen.
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Der Kläger hat einen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb. Am 9. Dezember 1994 hatte er beantragt, dass seine Umsätze vom Beginn des Kalenderjahrs 1994 an nicht mehr gemäß § 24 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), sondern nach den allgemeinen Vorschriften besteuert werden sollen. Am 17. November 1998 widerrief er seine Erklärung mit Wirkung vom Beginn des Kalenderjahrs 1999 an.
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Mit seinen Umsatzsteuererklärungen berichtigte er gemäß § 15a UStG den Vorsteuerabzug
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für das Kalenderjahr als nachträglich abziehbar um als zurückzuzahlen um
1994 | 916,61 DM | |
1995 | 0,00 DM | |
1996 | 916,61 DM | |
1997 | 2.182,17 DM | |
1998 | 76,38 DM | |
1999 | 11.695,00 DM | |
2000 | 12.276,00 DM | |
2001 | 11.203,00 DM | |
2002 | 6.805,84 Euro | |
2003 | 5.884,51 Euro |
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Am 27. Februar 2004 beantragte der Kläger, ihm im Billigkeitswege die Umsatzsteuer für die Kalenderjahre 1999 bis 2001 zu erlassen, soweit die Berichtigung des Vorsteuerabzugs für diese Kalenderjahre die Beträge übersteige, die ihm für die Kalenderjahre 1994 und 1996 bis 1998 aufgrund der Berichtigung des Vorsteuerabzugs erstattet worden seien.
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Der Beklagte lehnte den Antrag mit seinem Schreiben vom 15. Dezember 2005 jedoch ab. Er führte hierzu - unter Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 13. Februar 1997 - im Wesentlichen aus, dass ein Landwirt, bei dem - wie im Streitfall - der Wechsel der Besteuerungsform sowohl zu Vorsteuerrückzahlungen an das Finanzamt als auch zu Vorsteuererstattungen führe, auch die für ihn negativen Auswirkungen gegen sich gelten lassen müsse, wenn er zuvor die vorteilhaften Auswirkungen in Anspruch genommen habe. Etwas anderes gelte nur, wenn Landwirte in Fällen, in denen dies für sie insgesamt nachteilig sei, auf die Geltendmachung von Vorsteuererstattungen nach § 15a UStG (nachträglich) verzichten würden. Letzteres sei im Streitfall aber deshalb nicht mehr (vollständig) möglich, weil die Festsetzungsfrist für das Kalenderjahr 1994 bereits abgelaufen sei.
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Der Einspruch blieb erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 14. Februar 2006). Mit dem Einspruch hatte der Kläger außerdem beantragt, ihm auch für die Kalenderjahre 2002 und 2003 die Umsatzsteuer zu erlassen, die auf die Berichtigung des Vorsteuerabzugs entfiel.
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Mit der vorliegenden Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Der Beklagte ist der Klage - im Wesentlichen unter Bezugnahme auf die Einspruchsentscheidung - entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
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1.
Die Klage ist unbegründet.
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Dabei geht das Gericht davon aus, dass der Gegenstand des Klagebegehrens im Sinne von § 65 Abs. 1 Satz 1, § 96 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) darauf gerichtet ist, ihm, dem Kläger, die im Wege der Berichtigung des Vorsteuerabzugs für die Kalenderjahre 1999 bis 2003 entstandene Umsatzsteuer - nach Abzug der ihm ebenfalls im Wege der Berichtigung des Vorsteuerabzugs für die Kalenderjahr 1994, 1996 bis 1998 erstatteten Umsatzsteuer - im Billigkeitswege (§§ 163, 227 der Abgabenordnung - AO 1977) zu erlassen. Das Gericht entnimmt dies dem Schriftsatz des Klägers vom 13. März 2006. Soweit in dem Betreff zu diesem Schriftsatz auch die Kalenderjahre 2004 und 2005 angegeben sind, verdeutlicht dieser Schriftsatz unter "Sachverhalt" (Seite 2) und auf Seite 3 insoweit hinreichend, dass abweichend von dem Betreff der Kläger in dem vorliegenden Verfahren lediglich begehrt, ihm die im Wege der Berichtigung des Vorsteuerabzugs für die Kalenderjahre 1999 bis 2003 entstandene Umsatzsteuer zu erlassen, nicht auch die für die Kalenderjahre 2004 und 2005 entstandene.
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Nach § 101 Satz 1 FGO spricht das Gericht, soweit die Ablehnung eines Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, die Verpflichtung der Finanzbehörde aus, den begehrten Verwaltungsakt zu erlassen. Andernfalls spricht das Gericht die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden (§ 101 Satz 2 FGO). Das Gericht kann den im Streitfall angefochtenen Bescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung allerdings nicht als rechtswidrig beanstanden. Das Gericht sieht gemäß § 105 Abs. 5 FGO von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er der Begründung der Einspruchsentscheidung folgt. Lediglich ergänzend weist das Gericht auf Folgendes hin:
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Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden (§ 227 AO 1977). Die Finanzbehörden sind allerdings ermächtigt, über eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne von § 227 AO 1977 nach ihrem Ermessen zu entscheiden (Urteil des Bundesfinanzhofs [BFH] vom 27. September 2001, X R 134/98, Bundessteuerblatt [BStBl] II 2002, 176, unter B. I. 2. a). Dabei haben sie ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten (§ 5 AO 1977). Inhalt und Grenzen des Ermessens werden durch den Begriff der Unbilligkeit bestimmt (Beschluss des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Oktober 1971, GmS-OGB 3/70, BStBl II 1972, 603, unter II. 6.). Insoweit prüft das Gericht jedoch nur, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (§ 102 Satz 1 FGO). Nur ausnahmsweise kann das Gericht eine Verpflichtung zum Erlass aussprechen (§ 101 Satz 1 FGO), wenn der Ermessensspielraum derart eingeschränkt ist, dass nur eine einzige Entscheidung als ermessensgerecht in Betracht kommt (Ermessensreduzierung auf Null; ständige Rechtsprechung, dazu etwa BFH-Urteil vom 31. März 2004, X R 25/03, BFH/NV 2004, 1212, unter II. 1., m. w. Nachw.). Entsprechendes gilt, soweit eine Billigkeitsmaßnahme im Sinne von § 163 AO 1977 begehrt wird.
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Im Streitfall kann der Kläger insbesondere nicht mit Erfolg geltend machen, der Beklagte habe von seinem Ermessen bei ihm, dem Kläger, nur fehlerhaft Gebrauch gemacht, weil der Beklagte den Inhalt der in dem BMF-Schreiben vom 13. Februar 1997 getroffene Regelung verkannt habe:
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Für die Auslegung einer Verwaltungsvorschrift ist nämlich nicht maßgeblich, wie das Finanzgericht eine solche Verwaltungsanweisung versteht, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte. Maßgebend ist also die tatsächliche Verwaltungsübung (BFH-Urteil vom 5. September 1989, VII R 39/87, Entscheidungen des BFH, Bd. 158, 182). Das Finanzgericht darf daher Verwaltungsanweisungen nicht selbst auslegen, sondern nur darauf überprüfen, ob die Auslegung - wie im Streitfall durch den Beklagten - möglich ist (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005, V R 35/03, BStBl II 2005, 460, unter II. 3., m. w. Nachw.).
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Der Beklagte hat im Streitfall eine mögliche Auslegung des BMF-Schreibens vom 13. Februar 1997 gewählt. Steuern, die - wie hier die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1994 und 1996 bis 2003 zwar unter dem Vorbehalt der Nachprüfung, aber doch - bestandskräftig festgesetzt worden sind, können nur dann im Billigkeitsverfahren sachlich überprüft werden, wenn die Steuerfestsetzung offensichtlich und eindeutig unrichtig ist und wenn es dem Steuerpflichtigen nicht möglich oder nicht zumutbar war, sich gegen deren Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren. Beide Voraussetzungen müssen gemeinsam vorliegen (BFH-Urteil vom 13. Januar 2005, V R 35/03, BStBl II 2005, 460, unter II. 1., m. w. Nachw.). Dies gilt erst Recht, wenn die Festsetzungsfrist - wie wiederum hier (nach Ansicht des Beklagten die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1994, nach Aktenlage wohl auch für die Kalenderjahre 1996 bis 1997) - bereits abgelaufen ist.
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Deshalb ist der von dem Beklagten geltend gemachte Inhalt des BMF-Schreibens vom 13. Februar 1997 durchaus möglich. Der Beklagte hat dabei zu Recht berücksichtigt, dass
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- die (wenn auch unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erfolgten, bestandskräftigen) Steuerfestsetzungen für die Kalenderjahre 1994, und 1996 bis 2003 nicht offensichtlich und eindeutig unrichtig sind (vgl. BFHUrteil vom 16. Dezember 1993, BStBl II 1994, 339, sog. Mähdrescher-Urteil) und
- der Kläger sich im Streitfall ferner ganz offensichtlich nicht darauf berufen kann, es sei ihm unzumutbar gewesen, seinerzeit gegen die Umsatzsteuerfestsetzungen für die Kalenderjahre 1994, und 1996 bis 2003 Einspruch einzulegen (vgl. BFH-Urteil vom 23. November 2006, V R 51/05, BStBl II 2007, 433, unter II. 3., m. w. Nachw.).
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Für den Streitfall weist ferner das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. November 2003, 16 K 329/03 auch auf eine dem vorliegend angefochtenen Verwaltungsakt entsprechende Verwaltungsübung hin.
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2.
Der Kläger trägt gemäß § 135 Abs. 1 FGO die Kosten des Verfahrens.
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3.
Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO im Hinblick auf das Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. November 2003, 16 K 329/03 zugelassen
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Insoweit ist - im Hinblick auf den Grundsatz der steuerlichen Lastengleichheit des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - auch zu bedenken, dass das BMF-Schreiben vom 13. Februar 1997, IV C 3-S 7316-3/97 lediglich darauf hinwirken will, dass zusätzliche Steuervergünstigungen vermieden werden. Im Streitfall würde dies - dem Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts vom 20. November 2003, 16 K 329/03 folgend - im rechnerischen Ergebnis auch erreicht, wenn - wie von dem Kläger angestrebt - die nach § 15a UStG zurückzuzahlenden Vorsteuerbeträge
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- zunächst mit den zuvor nach dieser Vorschrift als abziehbar behandelten Vorsteuerbeträgen verrechnet und
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- erst dann im Billigkeitswege erlassen
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werden.
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4.
Der Berichterstatter hat im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 79a Abs. 3, 4 FGO anstelle des Senats und gemäß § 90 Abs. 2 FGO ohne mündliche Verhandlung entschieden.