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Steuerrecht
01.07.2010
Steuerrecht
: Vorsteuerabzug nach Rechnungsberichtigung

FG Düsseldorf, Urteil vom 17.2.2010 - 1 K 2823/09 U


AO § 174 Abs. 3 S. 1, § 174 Abs. 4 S. 1, 4; UStG § 15 Abs. 1 Nr. 1


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.


Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen einen Umsatzsteueränderungsbescheid für das Jahr 1995, mit dem ein zu Unrecht gewährter Vorsteuerabzug rückgängig gemacht wurde.

Die Klägerin -Klin. erwarb mit Vertrag vom 31.12.1994 mit Wirkung zum 1.1.1995 einen Café-Betrieb mit sämtlichen in den Pachträumen befindlichen Inventargütern zu einem Gesamtkaufpreis von 400.000 DM. Hierüber erteilte der Verkäufer der Klin. eine Rechnung vom 1.1.1995 mit einer Kaufsumme von 400.000 DM zuzüglich 15 % Umsatzsteuer, also 60.000 DM, Gesamtsumme 460.000 DM, und bestätigte den Erhalt des Betrages. Die in der Rechnung ausgewiesene Umsatzsteuer machte die Klin. in ihrer Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995, welche am 6.3.1998 bei dem Beklagten Bekl. einging, als Vorsteuer geltend. Der Bekl. stimmte der Umsatzsteuererklärung für 1995 ausweislich der Mitteilung vom 19.8.1998 am 31.7.1998 zu.

Mit Schreiben vom 26.3.1997 an die Klin. "stornierte" der Verkäufer seine Rechnung vom 1.1.1995 "in vollem Umfang" unter Hinweis darauf, dass er nur einen Betrag von 170.000 DM erhalten habe. Zudem wies er darauf hin, dass für den Verkauf keine Umsatzsteuer angefallen sei.

Im Anschluss an eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klin. vertrat der Bekl. die Auffassung, die geltend gemachte Umsatzsteuer für den Verkauf hätte im Jahr 1995 nicht ausgewiesen werden dürfen, weil es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung iSv § 1 Abs. 1a UStG gehandelt habe. Auf Grund der Berichtigung der Rechnung am 26.3.1997 sei die beim Erwerb geltend gemachte Vorsteuer in voller Höhe gemäß § 14 Abs. 2 UStG i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG zu berichtigen. Die Vorsteuerberichtigung sei im Jahr der Rechnungsberichtigung, also im Jahr 1997, durchzuführen. Mit Umsatzsteueränderungsbescheid für das Jahr 1997 vom 27.2.2001 machte der Bekl. den Vorsteuerabzug in Höhe von 60.000 DM rückgängig.

Die gegen die abweisende Einspruchsentscheidung vom 1.8.2002 erhobene Klage gegen den Umsatzsteueränderungsbescheid 1997 wies das FG mit Urteil vom 9. November 2005 (5 K 4359/02 U, EFG 2006, 1204) als unbegründet ab. Auf die Revision der Klin. hob der BFH mit Urteil vom 6. Dezember 2007 (V R 3/06, BFH/NV 2008, 1075) den Umsatzsteueränderungsbescheid 1997 vom 27.2.2001, die Einspruchsent-scheidung vom 1.8.2002 und das Urteil des FG vom 9. November 2005 auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Klin. kein Vorsteuerabzug auf Grund der Rechnung vom 1.1.1995 zustehe. Eine Vorsteuerkorrektur im Jahre 1997 sei jedoch nicht möglich. Die in einer Rechnung offen ausgewiesene Vorsteuer, die der Aussteller lediglich gemäß § 14 Abs. 2 UStG schulde, sei seit der Änderung der Rechtsprechung durch das BFH- Urteil vom 2. April 1998 (V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695) vom Leistungsempfänger nicht mehr als Vorsteuer abziehbar, so dass die Berichtigung der Rechnung für den Leistungsempfänger keine Bedeutung mehr habe. Die Rechnungskorrektur im Jahre 1997 rechtfertige demnach keine Vorsteuerkorrektur in diesem Jahr. Es komme nur noch eine Änderung des Steuerbescheides des Abzugsjahres, in dem die Vorsteuer zu Unrecht berücksichtigt wurde, nach Maßgabe der §§ 172 ff AO, im Streitfall ggfs. nach § 174 Abs. 4 AO, in Betracht. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Urteil des BFH vom 6. Dezember 2007 (V R 3/06, BFH/NV 2008, 1075) Bezug genommen.

Mit Bescheid vom 7.8.2008 änderte der Bekl. den Umsatzsteuerbescheid für 1995 gemäß § 174 AO zu Lasten der Klin. und machte den Vorsteuerabzug iHv 60.000 DM rückgängig, weil die Vorsteuer für den Erwerb des Cafés zu Unrecht in diesem Jahr berücksichtigt worden sei.

Zur Begründung ihres hiergegen am 11.8.2008 erhobenen Einspruchs führte die Klin. aus, dass die Voraussetzungen des § 174 AO für die Änderung des Umsatzsteuerbescheides für 1995 nicht gegeben seien. Zum einen handele es sich bei dem im Umsatzsteuerbescheid 1995 und bei dem im Umsatzsteuerbescheid 1997 berücksichtigten nicht um den nämlichen Sachverhalt: Die Umsatzsteuer 1997 sei wegen der vom Veräußerer erfolgten Rechnungsberichtigung geändert worden, während nunmehr die Umsatzsteuer für 1995 geändert werde, weil aus einer Rechnung über eine Geschäftsveräußerung kein Vorsteuerabzug möglich sei. Ausstellung und Berichtigung einer Rechnung in zwei unterschiedlichen Jahren seien zwei unterschiedliche Sachverhalte. Zudem liege keine irrige Beurteilung eines Sachverhaltes vor, weil der Bekl bewusst den Umsatzsteuerbescheid für 1997 geändert habe. Darüber hinaus sei das mit dem Änderungsbescheid für das Jahr 1995 eingetretene Ergebnis systemwidrig. Die Klin. habe die Umsatzsteuer unumkehrbar, weil zivilrechtlich verjährt, an den Verkäufer bezahlt. Verhandlungen mit dem damaligen steuerlichen Berater der Klin. über etwaige Schadensersatzleistungen seien noch nicht abgeschlossen. Der Verkäufer schulde zudem die Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 2 UStG, sodass das FA nunmehr zweimal Umsatzsteuer erhalte.

Mit Einspruchsentscheidung vom 5.8.2009 wies der Bekl. den Einspruch der Klin. als unbegründet zurück. Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 sei zu Recht gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert worden. Maßgeblicher Sachverhalt sei der Erwerb des xx-Cafés durch die Klin.. Vorsteuer und Rechnung sowie Abzugsberechtigung und Rechnungskorrektur seien Folgerungen aus diesem Erwerb und bildeten keine eigenen Sachverhalte. Dieser Sachverhalt sei insoweit irrig beurteilt worden, als das FA entsprechend der damaligen Weisungslage davon ausgegangen sei, dass es für den Zeitpunkt der Versagung des zunächst gewährten Vorsteuerabzugs auf den Zeitpunkt der Rechnungsberichtigung ankomme. Tatsächlich sei jedoch der Vorsteuerabzug bereits im Jahr des Erwerbs zu versagen. Von einer absichtlich durchgeführten unzutreffenden Änderung könne nicht ausgegangen werden, weil zum Zeitpunkt der Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1997 auch eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1995 mangels Festsetzungsverjährung noch möglich gewesen sei. Der unrichtige Umsatzsteuerbescheid 1997 sei auf die Klage der Klin. durch Urteil des BFH aufgehoben worden. Die zutreffende Folgerung aus dem Sachverhalt "Erwerb des xx-Cafés", nämlich die Versagung des Vorsteuerabzugs im Erwerbsjahr 1995, sei durch den Änderungsbescheid vom 7.8.2008 innerhalb der Jahresfrist des § 174 Abs. 4 Satz 3 AO gezogen worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die ausführliche Einspruchsentscheidung vom 5.8.2009 Bezug genommen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Klage begehrt die Klin. weiterhin die Aufhebung des geänderten Umsatzsteuerbescheides 1995 vom 7.8.2008. Zur Begründung wiederholt sie ihren Vortrag aus dem Einspruchs- und gerichtlichen Aussetzungsverfahren und führt ergänzend aus, dass eine Änderung des Umsatzsteuerbescheides 1995 nach § 174 Abs. 4 AO nicht in Betracht komme, weil sich bereits der damals zuständige Sachbearbeiter des Bekl. hinsichtlich des Zeitpunktes der Vorsteuerkorrektur nicht in einem Irrtum befunden und auch nicht versehentlich den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1997 geändert habe. Zudem sei der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 nicht von Anfang an rechtswidrig gewesen, sondern dies erst durch die Entscheidung des BFH vom 6. Dezember 2007 (V R 3/06) geworden. Bei dieser Entscheidung handele es sich um ein rückwirkend die Rechtslage gestaltendes Ereignis, das einer umsatzsteuerschädlichen Verwendung iSd § 15a UStG entspreche. Die Finanzverwaltung sei daher ebenso wie das FG in seiner Entscheidung vom 9. November 2005 (5 K 4359/02 U, EFG 2006, 12041) objektiv zu Recht davon ausgegangen, dass der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1997 zu ändern gewesen sei; denn nach altem Rechtsverständnis sei die Vorsteuer erst im Jahr der Rechnungskorrektur und nicht im Ursprungsjahr zu berichtigen gewesen. Der ursprünglich rechtmäßige Umsatzsteuerbescheid 1995 sei erst durch ein nachträgliches, rückwirkendes Ereignis korrekturbedürftig geworden.

Auch sei die an die Unzulässigkeit der Berichtigung nur äußerlich (mittelbar) anknüpfende Frage nach der Rechtmäßigkeit des früheren Vorsteuerabzugs ein anderer Sachverhalt. Mit seiner Entscheidung vom 6. Dezember 2007 habe der BFH darüber befunden, ob eine Berichtigung der Rechnung bei einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung zulässig sei. Dies sei keine Entscheidung über die Steuerbarkeit des Ausgangsumsatzes oder der Ordnungsgemäßheit der Ausgangsrechnung, ansonsten hätte der BFH selber den Umsatzsteuerbescheid für 1995 ändern können.

Darüberhinaus sei tatsächlich der gesamte Kaufpreis von der Klin. an den Veräußerer, teilweise im Wege der Verrechnung, gezahlt worden.

Zudem sei die Streitfrage dem EuGH vorzulegen, weil auch für das Finanzgericht die Vorlagepflicht des Art. 234 des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft gelte.

Die Klägerin beantragt,

den geänderten Umsatzsteuerbescheid für 1995 vom 7.8.2008 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5.8.2009 ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise

die Streitsache dem EuGH vorzulegen,

hilfsweise

die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 sei zu Recht mit Bescheid vom 7.8.2008 gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert und der zu Unrecht in Anspruch genommene Vorsteuerabzug rückgängig gemacht worden. Als steuerlich relevanter Sachverhalt sei der Erwerb des Cafés durch die Klin. einschließlich der hierfür erteilten Rechnung und erfolgten Rechnungskorrektur zu sehen. Im Rahmen des § 174 Abs. 4 AO sei nicht auf die einzelne steuererhebliche Tatsache, sondern auf einen einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Lebenssachverhalt abzustellen. Die erforderliche irrige Beurteilung diese Sachverhaltes liege darin, dass das FA zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass die Korrektur des zu Unrecht in Anspruch genommenen Vorsteuerabzugs gemäß §§ 17, 14 Abs. 2 UStG erst im Jahr der Rechnungskorrektur vorzunehmen sei. Die weiteren Voraussetzungen des § 174 Abs. 3 Satz 1 AO seien ebenfalls erfüllt. Auf die Frage der vollständigen Kaufpreiszahlung, die entgegen der Darstellung der Klin. bislang nicht nachgewiesen worden sei, komme es nicht an. Der Klin. sei bereits mit Stornierung der Rechnung durch den Verkäufer im Jahr 1997 bekannt gewesen, dass dieser den Verkauf als nicht der Umsatzsteuer unterliegend beurteilte. Gründe für die Verjährung eines hieraus resultierenden zivilrechtlichen Rückforderungsanspruchs hätten damit nicht im Risikobereich der Finanzverwaltung gelegen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die beigezogenen Akten der unter den Aktenzeichen 5 K 4359/08 U, 5 V 4360/02 A (U) und 1 V 3579/08 A (U) geführten Verfahren und die dem Gericht übersandten Steuerakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

 I.

Die Klage ist unbegründet.

Der Bekl. hat zu Recht den Umsatzsteuerbescheid für das Jahr 1995 mit Bescheid vom 7.8.2008 gemäß § 174 Abs. 4 AO geändert und den zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzug aus dem Erwerb des xx-Cafés iHv 60.000 DM rückgängig gemacht.

Gemäß § 174 Abs. 4 AO können aus einem Sachverhalt nachträglich durch Erlass oder Änderung eines Steuerbescheides die richtigen steuerlichen Folgerungen gezogen werden, wenn aufgrund irriger Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes ein Steuerbescheid ergangen ist, der aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen durch die Finanzbehörde oder durch das Gericht zu seinen Gunsten aufgehoben oder geändert wird.

 1.  

Der Umsatzsteuerbescheid für 1997 vom 27.2.2001, mit dem der Bekl. einen zunächst im Jahr 1995 gewährten Vorsteuerabzug rückgängig gemacht hatte, beruhte auf einer rechtlich irrigen Beurteilungen eines bestimmten Sachverhaltskomplexes, nämlich dem Erwerb des Cafés durch die Klin. zum 1.1.1995 einschließlich der hierüber erteilten Rechnung und der anschließenden Rechnungsberichtigung.

Irrige Beurteilung eines Sachverhalts bedeutet, dass sich die Beurteilung eines bestimmten Sachverhaltes nachträglich als unrichtig erweist. Sachverhalt ist jeder einzelne Lebensvorgang, an den das Gesetz steuerliche Folgen knüpft. Der Begriff ist jedoch nicht auf einzelne Tatsachen oder ein einzelnes steuerrechtliches Tatbestandsmerkmal beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Der ursprünglich beurteilte und der tatsächlich verwirklichte Lebenssachverhalt und Besteuerungssachverhalt müssen nicht vollständig übereinstimmen (BFH, Beschluss vom 25. Februar 2009 X B 121/08, BFH/NV 2009, 890; Urteil vom 2. Mai 2001 VIII R 44/00, BFHE 195,14, BStBl II 2001, 562 [BFH 02.05.2001 - VIII R 44/00]; FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. August 2007 2 K 107/05, EFG 2008, 279; Loose in Tipke/Kruse AO § 174 Tz 5).

Der hier zu beurteilende Sachverhalt ist der Erwerb des xx-Cafés durch die Klin. aufgrund des Kaufvertrages vom 31.12.1994 mit Wirkung zum 1.1.1995, die über den Erwerb erteilte Rechnung durch den Veräußerer vom 1.1.1995 sowie die Stornierung der Rechnung durch das Schreiben des Veräußerers vom 26.3.1997. Nach diesem Sachverhalt beurteilt sich die umsatzsteuerliche Frage, ob und wann der Klin. ein Vorsteuerabzug iHv 60.000 DM zusteht.

Dieser Sachverhaltskomplex wurde vom Bekl. zunächst dergestalt beurteilt, dass es sich bei dem Erwerb des Cafés zwar - was zutreffend ist - um eine Geschäftsveräußerung im Ganzen handelte, die seit dem 1.1.1994 gemäß § 1 Abs. 1 a UStG 1993 idF des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21.12.1993 nicht steuerbar ist und grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt. Aufgrund der vom Veräußerer erteilten Rechnung vom 1.1.1995 sei der Klin. der Vorsteuerabzug im Jahr 1995 jedoch zunächst zu gewähren und erst im Jahr 1997 aufgrund der Berichtigung der Rechnung mit Schreiben des Veräußerers vom 26.3.1997 gemäß §§ 14 Abs. 2; 17 Abs. 1 Nr. 2 UStG 1993 zu korrigieren.

 2.  

Bei zutreffender Beurteilung des Sachverhaltskomplexes ist jedoch nicht der Vorsteuerabzug für den Erwerb des Cafés im Jahr 1997 zu korrigieren, sondern unabhängig vom Vorliegen der Rechnung und der Rechnungsberichtigung bereits im Erwerbsjahr 1995 zu versagen.

Der Klin. stand aufgrund des Erwerbs des Cafés zum 1.1.1995 von Anfang an kein Vorsteuerabzug zu, weil es sich um eine nicht steuerbare Geschäftsveräußerung im Ganzen handelte. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die Klin. im Besitz einer formell ordnungsgemäßen Rechnung vom 1.1.1995 war. Der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1993 setzt bei richtlinienkonformer Auslegung voraus, das eine Steuer für den berechneten Umsatz geschuldet wird; der Vorsteuerabzug ist nicht allein deshalb möglich, weil Umsatzsteuer in einer Rechnung gesondert ausgewiesen wird (BFH, Urteil vom 2. April 1998 V R 34/97, BFHE 185, 536; BStBl II 1998, 695; Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438; Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 3/06, BFH/NV 2008, 1075; FG Hamburg, Urteil vom 23. März 2009 6 K 80/08, EFG 2009, 1163; EuGH, Urteil vom 19. September 2000 Rs C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, Slg 2000 I-6973, UR 2000, 470).

 3.  

Der Berichtigung des Umsatzsteuerbescheides für 1995 nach § 174 Abs. 4 Satz 1 AO steht nicht entgegen, dass sich der zu beurteilende Sachverhaltskomplex über mehrere Veranlagungszeiträume vom Abschluss des Kaufvertrages am 31.12.1994 bis zur Rechnungskorrektur am 26.3.1997 erstreckt.

Der Begriff des Sachverhaltes ist nicht auf einzelne Tatsachen oder einzelne steuerrechtliche Tatbestandsmerkmale beschränkt, sondern erfasst den einheitlichen, für die Besteuerung maßgeblichen Sachverhaltskomplex. Eine vollständige Identität des maßgeblichen Sachverhaltskomplexes des geänderten Bescheides mit dem des zu ändernden Bescheides ist nicht erforderlich, ausreichend ist, wenn der Sachverhalt ausschnittsweise deckungsgleich ist (BFH, Urteil vom 2. Mai 2001 VIII R 44/00, BFHE 195, 14, BStBl II 2001, 562 [BFH 02.05.2001 - VIII R 44/00]; FG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 30. August 2007 2 K 107/05, EFG 2008, 279; Loose in Tipke/Kruse AO § 174 Tz 5; vgl. auch FG Köln, Urteil vom 20. März 2007 15 K 1487/03, EFG 2007, 1221 mit Anmerkung Braun).

Die Sachverhaltskomplexe hinsichtlich der Gewährung des Vorsteuerabzugs aufgrund des Erwerbs des Cafés zum 1.1.1995 sind für die Veranlagungszeiträume 1995 und 1997 im wesentlichen deckungsgleich, für das Streitjahr 1995 fehlt lediglich das zunächst für eine Vorsteuerberichtigung erforderlich gehaltene "Tatbestandsmerkmal" Rechnungskorrektur aus dem Jahr 1997.

Der Sachverhaltskomplex des geänderten Umsatzsteuerbescheides 1997 umfasst den Erwerb des Cafés aufgrund des Vertrages vom 31.12.1994 mit Wirkung zum 1.1.1995, die Rechnungserteilung vom 1.1.1995 und die Rechnungskorrektur vom 26.3.1997. Aufgrund dieses Sachverhaltskomplexes wurde der Klin. 1995 der Vorsteuerabzug iHv 60.000 DM zunächst gewährt und 1997 sodann korrigiert. Der Sachverhaltskomplex des zu ändernden Umsatzsteuerbescheides 1995 umfasst nur noch den Erwerb des Cafés, auf die Rechnungserteilung vom 1.1.1995 und die Rechnungskorrektur vom 26.3.1997 kommt es nach nunmehriger besserer Rechtserkenntis weder für die Gewährung noch für die Korrektur des Vorsteuerabzugs an.

 4.

Der Bekl. hat diesen Sachverhaltskomplex dergestalt irrig beurteilt, dass er den zunächst gewährten Vorsteuerabzug zu Unrecht statt im Veranlagungsjahr 1995 erst 1997 rückgängig gemacht hat.

a.

Der Vorsteuerabzug im Jahr 1995 ist mit der Umsatzsteuerfestsetzung 1995 von Anfang an zu Unrecht gewährt worden.

Entgegen der Auffassung der Klin. liegt keine zunächst rechtmäßige Umsatzsteuerfestsetzung für 1995 vor, die erst durch das Urteil des BFH vom 6. Dezember 2007 zum Umsatzsteuerbescheid für 1997 rechtswidrig geworden wäre. Die Umsatzsteuerfestsetzung 1995 war vielmehr von Anfang rechtswidrig, weil der Klin. zu Unrecht der Vorsteuerabzug gemäß § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 für den Erwerb des Cafés gewährt worden war. Der BFH wandte die schon spätestens seit dem Urteil vom 2. April 1998 (V R 34/97, BFHE 185, 536; BStBl II 1998, 695) gefundene bessere Erkenntnis über die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs bei gesetzlich nicht geschuldeter Umsatzsteuer auf den von der Klin. verwirklichten Sachverhaltskomplex der Jahre 1994 - 1997 "Erwerb des Cafés" (s.o.) im Jahre 1997 an, und machte, da es sich um einen einheitlichen Sachverhaltskomplex handelt, auch Ausführung zur Rechtmäßigkeit des zunächst gewährten Vorsteuerabzugs im Jahr des Erwerbs 1995. Der BFH hat nicht darüber entschieden, ob die Berichtigung einer Rechnung bei einer nicht steuerbaren Geschäftsveräußerung im Ganzen zulässig ist, sondern darüber, ob die Korrektur des Vorsteuerabzugs aus dem Erwerb eines Geschäftsbetriebes im Ganzen durch die Klin. zu Recht gemäß §§ 14 Abs. 2; 17 Abs. 1 Satz 3 UStG 1993 im Jahr der Rechnungskorrektur 1997 erfolgte. Eine Entscheidung über das Jahr 1995 war dem BFH verwehrt, weil die Umsatzsteuerfestsetzung 1995 nicht Streitgegenstand des Revisionsverfahrens war.

b.

Da der Bekl. irrtümlich davon ausging, dass der Vorsteuerabzug erst nach Korrektur der Rechnung korrigiert werden könnte, änderte er - wissentlich - den Umsatzsteuerbescheid 1997. Damit irrte der Bekl. über den Veranlagungszeitraum, in dem die umsatzsteuerlichen Folgen aus dem auch nach altem Recht grundsätzlich nicht zum Vorsteuerabzug berechtigenden Erwerb des Cafés zu ziehen waren. Auch ein solcher Rechtsfolgeirrtum erfüllt den Tatbestand des § 174 Abs. 4 AO.

 § 174 Abs. 4 AO erfasst auch die Fälle, in denen die Finanzbehörde aus "einem bestimmten Sachverhalt" die steuerlichen Folgen ziehen will, sich dabei aber darüber irrt, welchen Veranlagungszeitraum diese Folgerungen betreffen. Der Begriff "irrige Beurteilung" eines bestimmen Sachverhaltes erstreckt sich nicht nur auf einen Irrtum über Tatsachen, sondern auch auf einen solchen über Rechtsfolgen (BFH, Beschluss vom 25. Februar 2009 X B 121/08, BFH/NV 2009, 890).

 5.

Der rechtsfehlerhafte Umsatzsteuerbescheid für 1997 vom 27.2.2001 wurde aufgrund des von der Klin. betriebenen Gerichtsverfahrens durch Urteil des BFH vom 6. Dezember 2007 antragsgemäß aufgehoben. Der Bekl. hat nach Rechtskraft dieses Urteils, mit dem der Umsatzsteueränderungsbescheid für 1997 aufgehoben wurde, mit Umsatzsteueränderungsbescheid für 1995 vom 7.8.2008, und damit nachträglich, die zutreffenden steuerlichen Folgen aus dem rechtsirrig beurteilten bestimmten Sachverhalt gezogen und den zu Unrecht im Jahr 1995 in Anspruch genommenen Vorsteuerabzug korrigiert. Der am 31.12.2002 erfolgte Ablauf der Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer des Jahres 1995 ist unbeachtlich, weil die Änderung des Umsatzsteuerbescheides innerhalb eines Jahres nach Aufhebung des fehlerhaften Umsatzsteuerbescheides für 1997 erfolgte. Die weiteren Einschränkungen des § 174 Abs. 4 Satz 4 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 AO müssen im Streitfall nicht erfüllt sein, weil die Festsetzungsfrist für die Umsatzsteuer des Jahres 1995 noch nicht abgelaufen war, als der geänderte Umsatzsteuerbescheid für 1997 am 27.02.2001 erging.

 6.

Der Grundsatz der Neutralität der Umsatzsteuer steht der Berichtigung des zu Unrecht gewährten Vorsteuerabzugs zu Lasten der Klin. im Streitjahr 1995 ebenfalls nicht entgegen. Zwar ist das Umsatzsteuersystem darauf angelegt, dass nur der Endverbraucher wirtschaftlich mit der Umsatzsteuer belastet wird. Der Neutralitätsgrundsatz gebietet jedoch nicht, dem Empfänger einer Rechnung den Vorsteuerabzug unabhängig vom Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs allein deshalb zu gewähren, weil die Umsatzsteuer in der Rechnung gesondert ausgewiesen ist (BFH, Urteil vom 10. Dezember 2008 XI R 57/06, BFH/NV 2009, 1156; Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438; FG Hamburg, Urteil vom 23. März 2009 6 K 80/08, EFG 2009, 1163; EuGH, Urteil vom 19. September 200 Rs C-454/98, Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, Slg 2000 I-6973, UR 2000, 470).

Etwas anderes kann dann gelten, wenn zwar der Leistende - nach Rechnungskorrektur - die Erstattung der irrtümlich an die Steuerbehörde gezahlten Umsatzsteuer verlangen kann und der Leistungsempfänger eine zivilrechtliche Klagemöglichkeit gegen den Leistenden auf Rückzahlung der rechtsgrundlos gezahlten Beträge hat, aber gleichwohl die Erstattung der Umsatzsteuer unmöglich oder übermäßig erschwert ist (EuGH, Urteil vom 15. März 2007 C-35/05, Rs Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Slg 2007, I-02425, UR 2007, 343; BFH, Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438; Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist UStG §15 Rz 406 ff, ders. in UR 2007, 431; Burgmaier in UR 2007, 348).

Ob die grundsätzlich mögliche Erstattung der Umsatzsteuer auf dem Zivilrechtsweg bereits dann in diesem Sinne unmöglich oder übermäßig erschwert ist, wenn der Rechnungsempfänger es aus nicht mehr nachvollziehbaren Gründen unterlässt, zeitnah vom Rechnungsaussteller die Rückzahlung des zu Unrecht ausgewiesenen Betrages zu fordern, kann dahingestellt bleiben.

Im Streitfall ist bereits fraglich, ob die übrigen Voraussetzungen für das Vorliegen eines derartigen, auf Vertrauensschutzgesichtspunkten beruhenden Erstattungsanspruchs vorliegen. Ein solcher besteht nur dann, wenn der in der Rechnung ausgewiesene Steuerbetrag an den Rechnungsaussteller gezahlt worden ist, der Rechnungsaussteller die berechnete Umsatzsteuer auch an das Finanzamt abgeführt hat (BFH, Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438; FG Hamburg, Urteil vom 23. März 2009 6 K 80/08, EFG 2009, 1163; a.A. insoweit ausdrücklich Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist UStG § 15 Rz 406 ff, ders. in UR 2007, 431; Burgmaier in UR 2007, 348) und der Rechnungsempfänger gutgläubig hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug war (für letzteres Stadie in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist UStG § 15 Rz 407, 410, 422). Nach den Feststellungen des Bekl. dürfte im Streitfall insbesondere offen sein, ob der Verkäufer die der Klin. berechnete Umsatzsteuer tatsächlich an das für ihn zuständige Finanzamt gezahlt hat, zumal die Finanzverwaltung offensichtlich von einer ordnungsgemäßen Berichtigung der Rechnung vom 1.1.1995 durch das Schreiben vom 26.3.1997 ausgeht. Damit wäre die zunächst durch die Rechnung begründete Steuerschuld des Verkäufers nach § 14 Abs. 2 UStG 1993 aus dem Jahr 1995 im Jahre 1997 entsprechend zu berichtigen, §§ 14 Abs. 2 Satz 2; 17 Abs. 1 Nr. 1 UStG 1993 (vgl. dazu auch BFH, Urteil vom 11. Oktober 2007 V R 27/05, BFHE 219, 266, BStBl II 2008, 438), und die Finanzverwaltung erhält den Umsatzsteuerbetrag nicht zweimal. Darüberhinaus dürfte fraglich sein, ob sich die Klin. auf ihre Gutgläubigkeit hinsichtlich der Berechtigung zum Vorsteuerabzug berufen kann. Eine Geschäftsveräußerung im Ganzen ist seit dem 1. Januar 1994 gemäß § 1 Abs. 1a UStG 1993 in der Fassung des Missbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetzes vom 21. Dezember 1993 nicht mehr steuerbar, so dass die Klin. bei dem Erwerb des Cafés im Dezember 1994 mit Wirkung zum 1.1.1995 hätte wissen können, dass ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht kommt.

Unabhängig von den materiell-rechtlichen Voraussetzungen eines derartigen Erstattungsanspruchs kann ein solcher jedenfalls nicht im Steuerfestsetzungsverfahren geltend gemacht werden, weil ein nicht bestehender Vorsteuerabzugsanspruch nicht in die Steuerberechnung nach § 16 UStG einbezogen werden kann. Ein solcher Erstattungsanspruch muss in einem gesonderten Verfahren beantragt werden (Stadie in Rau/ Dürrwächter/Flick/Geist UStG § 15 Rz 417)

 II.

Eine Vorlage an den EuGH durch das Finanzgericht als erstinstanzliches Gericht ist nicht erforderlich. Zu den streitigen umsatzsteuerlichen Rechtsfragen liegen Entscheidungen des EuGH vor. Der EuGH hat mit Urteil vom 19. September 2000 (C-454/98, Rs Schmeink & Cofreth und Manfred Strobel, Slg 2000 I-6973, UR 2000, 470) bestätigt, dass die Versagung des Vorsteuerabzugs bei einer nicht steuerbaren Eingangsleistung trotz Vorliegens einer Rechnung mit dem in der Richtlinie 77/388/EWG vorgesehenen Recht auf Vorsteuerabzug vereinbar ist. Mit Urteil vom 15. März 2007 (C-35/05 Rs Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH, Slg 2007, I-02425, UR 2007, 343) hat der EuGH diese Auffassung bestätigt und ergänzend ausgeführt, dass nur für den Fall, dass die Rückzahlung des in Rechnung gestellten Umsatzsteuerbetrages durch den Rechnungsaussteller übermäßig erschwert ist, der nationale Gesetzgeber sicherstellen müsse, dass der Leistungsempfänger einen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten könne.

 III.  

Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 der Finanzgerichtsordnung FGO. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

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