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Steuerrecht
05.05.2022
Steuerrecht
Niedersächsisches FG : Vorlagebeschluss an das BVerfG zur Vereinbarkeit der Abgeltungsteuer mit Art. 3 Abs. 1 GG

Niedersächsisches FG, Beschluss vom 18.3.2022 – 7 K 120/21

ECLI:DE:FGNI:2022:0318.7K120.21.00

Volltext: BB-ONLINE BBL2022-1044-1

Amtliche Leitsätze

Es wird eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) darüber eingeholt, ob § 32d Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG (Abgeltungsteuer) in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen insoweit mit Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) vereinbar sind, als dass sie für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen einen Sondersteuersatz in Höhe von 25 % mit abgeltender Wirkung vorsehen.

Der Senat ist davon überzeugt, dass die Abgeltungsteuer gegen die in Art 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstößt.

Die Abgeltungsteuer führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen Beziehern privater Kapitaleinkünfte gemäß § 20 EStG und den übrigen Steuerpflichtigen. Während die Bezieher von Kapitaleinkünften gemäß § 32d Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG mit einem Sondersteuersatz von 25 % abgeltend belastet werden, unterliegen die übrigen Steuerpflichtigen gemäß § 32a EStG einem Steuersatz von bis zu 45 %.

Die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Weitere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

Die Abgeltungsteuer ist nicht zur Verwirklichung eines effektiven Steuervollzugs oder zur Beseitigung eines etwaigen strukturellen Vollzugsdefizits geeignet. Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen Geeignetheit der Regelung ist die Erforderlichkeit zwischenzeitlich entfallen, da sich seit dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer die Möglichkeiten der Finanzverwaltung, im Ausland befindliches Vermögen zu ermitteln, stark verbessert haben.

Die Abgeltungsteuer ist auch nicht zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet und führt auch nicht zu einer wesentlichen Vereinfachung im Besteuerungsverfahren; insoweit ergeben sich keine Rechtfertigungsgründe für die gleichheitswidrige Besteuerung.

EStG § 32d Abs. 1, § 32d, § 43 Abs. 5, § 43; BVerfGG § 80 Abs. 1; GG Art. 100 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1

Sachverhalt

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Provisionseinnahmen des Vermittlerkontos 1 der X-Versicherung dem Kläger zuzurechnen sind.

Der Kläger war als selbständiger Versicherungsmakler im Y-Versicherungsbüro tätig sowie Geschäftsführer mehrerer Personen- und Kapitalgesellschaften.

Der Beklagte setzte in den ursprünglichen Bescheiden die Einkommensteuern jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 Abgabenordnung (AO) fest. Die Steuererklärung des Jahres 2013 ging im Jahr 2015 beim Beklagten ein.

In dem Jahresabschluss 2013 vom 10. April 2015 wies der Kläger Betriebseinnahmen in Höhe von 36.362,77 € und in dem Jahresabschluss 2015 vom 19. September 2016 in Höhe von 30.052,38 € im Zusammenhang mit dem Y-Versicherungsbüro aus.

Unter dem 12. Mai 2017 reichte der Kläger geänderte Jahresabschlüsse für die Jahre 2013 und 2015 ein. Nach der Erläuterung der Jahresabschlüsse wurden die Änderungen erforderlich, „da im Rahmen der Rechtsbehelfe bis zum Kalenderjahr 2011 die Bilanzansätze und dadurch das Eigenkapital sich geändert hat. Die Änderung erfolgte auf Grund eines Schreibens vom 8. März 2017 vom Finanzamt D“.

Die Wertansätze bezüglich des Y-Versicherungsbüros blieben hierbei unverändert.

In den Jahren 2018 und 2019 führte der Beklagte bei dem Kläger eine erweiterte Außenprüfung hinsichtlich der Steuerarten Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer für die Veranlagungszeiträume 2012 bis 2016 durch. Im Prüfungsbericht vom 28. März 2019 führte der Prüfer unter Tz. 13 „Erlöse X-Versicherung Herr A“ aus:

„Provisionen des Vermittlerkontos 1 bei der X-Versicherung sind zunächst dem Betrieb Y-Versicherungsbüro, Inh. Frau B, zugeordnet worden. Die AP rechnet diese Einnahmen dem Stpfl. zu.

Lt. Auskunft der X-Versicherung vom 7.11.2013 sei Frau B bei der X-Versicherung nicht als Vermittler geführt. Vielmehr sei ausschließlich Herr A dort bekannt. In einer Ergänzung vom Herbst 2019 relativierte die X-Versicherung diese Aussage und führte aus, das Büro Y-Versicherungsbüro sei der Vertragspartner.

Die Ap. kann diesem für das vorgenannte Konto nicht folgen. Die ausschließliche Auszahlung auf das betriebliche Bankkonto des Stpfl. und die ausschließliche Verfügung durch den Stpfl. führen zu einer wirtschaftlichen Zurechnung beim Stpfl.

Veranlasst durch die Einreden der Ap. änderte der Stpfl. die Berechtigung zugunsten der A Versicherungsmakler GmbH & Co. KG, an der der Stpfl. zu 70 %, Frau B aber nicht, beteiligt ist. Die Ap. sieht sich hierdurch bestätigt“.

Bei den gewerblichen Einkünften gemäß § 15 des Einkommensteuergesetzes (EStG) seien daher folgende Erlöse gewinnerhöhend zu berücksichtigen:

 

        

2013   

2015   

2016   

Ansatz lt Ap.

27.641,28 €

37.138,03 €

10.711,00 €

Diese Werte ermittelte der Beklagte aus der Buchführung von Frau B und aus dem Schreiben der X-Versicherung vom 7. November 2013. Hierin führte die X-Versicherung (auszugsweise) aus:

 

„Herr A (A Versicherungsmakler) ist seit dem 01.07.1995 für uns als Versicherungsmakler nach § 93 HGB tätig.

Zu den Personen Frau B und C bestehen keine Geschäftsverbindungen.

Herr A hat bei uns mehrere Vermittlerkonten, die aber alle auf ihn lauten (1, 2, 3, 4, 5, 6 und 7).

Herr A ist seit dem 01.07.1995 für uns tätig. (…)

Vermittlernummer 1; aktiv seit 01.10.2001:

(…)     

Provisionsaufkommen im Jahr 2012: € 28.745,29

Provisionsaufkommen 01/2013-10/2013: € 19.102,89“

Weiterhin wies der Prüfungsbericht unter Tz. 24 verdeckte Gewinnausschüttungen im Zusammenhang mit Beteiligungen des Klägers an Kapitalgesellschaften aus:

 

        

2013   

2015   

Ansatz lt Ap.

6.971,00 €

2.312,00 €

In dem Einkommensteuerbescheid 2016 vom 22. März 2019 berücksichtigte der Beklagte Kapitaleinkünfte aus erstatteten Zinsen in Höhe von 4.356 €.

Der Beklagte erließ daraufhin unter dem 23. Mai 2019 nach § 164 Abs. 2 AO geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2012 bis 2016, in denen er die Prüfungsfeststellungen umsetzte.

Gegen die Änderungsbescheide wandte sich der Kläger mit Einsprüchen vom 21. Juni 2019.

Er machte geltend, dass die bei ihm vorgenommene Zurechnung der Erlöse unrichtig sei und beantragte, diese bei den Einkünften von Frau B zu berücksichtigen.

Das Vermittlerkonto 1 würde auf die Firma Y-Versicherungsbüro lauten. Auf diesem Konto würden nur Provisionen der genannten Firma Y-Versicherungsbüro abgerechnet werden. Darin enthalten seien auch Provisionen, die durch die selbständige Tätigkeit des Klägers (Vermittlung von Versicherungsverträgen) für die Firma Y-Versicherungsbüro abgerechnet worden seien.

Die auf dem Bankkonto der Raiffeisen Volksbank E (Kontoinhaber der Kläger) eingegangenen Provisionszahlungen seien zum direkten Ausgleich der jährlichen Rechnungslegung bestimmt gewesen. Insoweit habe ein abgekürzter Zahlungsweg stattgefunden.

Die im Bericht über die Außenprüfung aufgeführte Anmerkung und die erwähnte Bankverbindung für die Firma Y-Versicherungsbüro sei einem Übermittlungsfehler der Versicherungsgesellschaft geschuldet.

Der Beklagte wies unter dem 18. November 2019 darauf hin, dass laut Auskunft der X-Versicherung vom 7. November 2013 Frau B dort nicht als Vermittler geführt werde. Dort sei nur der Kläger bekannt. Darüber hinaus führe die Auszahlung der erzielten Provisionen auf dem betrieblichen Bankkonto des Klägers dazu, dass dieser die ausschließliche Verfügung über die eingegangenen Provisionen gehabt habe. Insoweit seien die Provisionszahlungen dem Kläger wirtschaftlich zuzurechnen. Es sei kein Zahlungsverkehr mit dem Büro B erfolgt. Es habe kein abgekürzter Zahlungsweg stattgefunden. Die Provisionen seien nach den vorliegenden Unterlagen nicht verrechnet worden.

Mit Schreiben vom 13. Februar 2020 legte der Kläger ein Schreiben der X-Versicherung vom 21. November 2018 vor. Hierin führte die X-Versicherung aus:

„Sehr geehrter Herr A,

im Schreiben vom 6.11.2013 haben wir dem Finanzamt für Fahndung und Strafsachen F unter Punkt 1 mitgeteilt, dass zu den Personen Frau B und C keine Geschäftsverbindungen bestehen.

Bezugnehmend auf Ihren Anruf haben wir die Anbindungsunterlagen aus dem Jahr 1995 geprüft und können Ihnen hiermit bestätigen, dass die Firmenbezeichnung seit dem 1.7.1995 auf das Y-Versicherungsbüro lautet. Die IHK-Vermittlerregisternummer ist ebenfalls auf die Inhaberin Frau B ausgestellt.

Unseren Fehler im Schreiben vom 6.11.2013 bitten wir zu entschuldigen.“

Weiterhin legte der Kläger Jahresrechnungen der Jahre 2013, 2015 und 2016 jeweils vom 31.12. des jeweils abgerechneten Jahres von ihm an das Y-Versicherungsbüro vor. Diese hatten den Text: „Sehr geehrte Frau B, für die Betreuung und Vermittlung von Kunden berechne ich Ihnen für das Kalenderjahr (…des jeweiligen Jahres …) gemäß beiliegender Anlage:“

Nach den Rechnungen wurden abgerechnet:

 

2013   

2015   

2016   

36.362,77 €

30.052,38 €

34.335,23 €

Die Rechnungen seien teilweise über einen abgekürzten Zahlungsweg (Konto Raiffeisen Volksbank E) bezahlt worden.

Der Beklagte teilte dem Kläger daraufhin unter dem 3. März 2020 mit, dass ihm das Schreiben der X-Versicherung vom 21. November 2018 bereits bekannt sei. Hierdurch würde sich die Aussage bestätigen, dass die Firma Y-Versicherungsbüro Vertragspartner der X-Versicherung sei.

Jedoch seien die Provisionszahlungen der X-Versicherung auf dem betrieblichen Bankkonto des Klägers eingegangen. Das Konto sei ihm in der vorherigen Betriebsprüfung sowohl steuerrechtlich als auch strafrechtlich von dem Amtsgericht F zugerechnet worden. Insoweit habe er die ausschließliche Verfügungsgewalt über die Eingänge auf dem betrieblichen Bankkonto gehabt. Die Handhabung des Kontos sei seit dem 1. Oktober 2001 nicht geändert worden. Erst im Jahr 2018 sei die Umstellung des Auszahlungskontos veranlasst worden. Die Auszahlungen seien nunmehr an eine Firma erfolgt, an der Frau B nicht beteiligt sei. Ein weiteres Indiz, dass dem Kläger und nicht Frau B die Zahlungen zuzurechnen seien, sei der Umstand, dass er die Auflösung von Rückstellungen in Anspruch genommen habe.

Weiterhin informierte der Beklagte den Kläger über die beabsichtigte Hinzuziehung von Frau B zum Einspruchsverfahren, die der Beklagte mit Schreiben vom 14. August 2020 vornahm. Die Möglichkeit zur Stellungnahme wurde durch Frau B nicht wahrgenommen.

Der Kläger wies darauf hin, dass die Provisionszahlungen nicht auf seinem betrieblichen, sondern auf seinem privaten Konto eingegangen seien. Dies sei aufgrund des abgekürzten Zahlungsweges erfolgt. Weiterhin sei im Rahmen des steuerrechtlichen und des strafrechtlichen Verfahrens vor dem Amtsgericht F der Umstand des abgekürzten Zahlungsweges nicht erörtert worden. Die Zurechnung bei ihm sei im Vergleichswege mit unterstellt worden. Die Auflösung der Rückstellungen habe mit dem Umsatzrückgang in der betrieblichen Altersvorsorge und mit der geringeren Anzahl der Neuabschlüsse zu tun.

Ferner teilte der Kläger mit, dass er festgestellt habe, dass in den Jahren 2013, 2015 und 2016 der Sparer-Pauschbetrag gemäß § 20 Abs. 9 EStG in Höhe von 801 € nicht berücksichtigt worden sei und bat um entsprechende Änderung im laufenden Einspruchsverfahren. Im Übrigen seien die verdeckten Gewinnausschüttungen unstreitig und er habe mit Ausnahme von Zinserstattungen des Beklagten keine weiteren Zinseinkünfte erzielt.

Der Beklagte teilte unter dem 9. Februar 2021 mit, dass er festgestellt habe, dass der Sparer-Pauschbetrag für die Jahre 2013 und 2015 zu berücksichtigen sei. Dem Antrag auf Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrags für das Jahr 2016 könne hingegen nicht gefolgt werden, da die Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Bescheid vom 22. März 2019 bereits bestandskräftig geworden seien. Der angefochtene Einkommensteuerbescheid 2016 in der nunmehr geänderten Fassung vom 5. Juni 2020 unterliege der Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO.

Der Kläger erklärte sich mit der Berücksichtigung in der dargestellten Form einverstanden.

Der Beklagte wies die Einsprüche mit Bescheid vom 8. April 2021 als unbegründet zurück.

Die Provisionseinnahmen des Vermittlerkontos 1 der X-Versicherung seien dem Kläger zuzurechnen. Der Darstellung und den Schlussfolgerungen der Außenprüfung werde gefolgt, da der Kläger nicht glaubhaft habe nachweisen können, dass ein abgekürzter Zahlungsweg stattgefunden habe und die Provisionseinnahmen Frau B zuzurechnen seien. Die Vermittlernummer 1 sei 2001 vergeben worden. Die Auszahlung sei seitdem auf das Vermietungskonto der Raiffeisen Volksbank E des Klägers erfolgt. Betroffen seien sämtliche Verträge, die der Kläger außerhalb der Firma Frau B vermittelt habe. Die Auszahlung auf ein Privatkonto des Klägers führe dazu, dass ausschließlich dieser über die Provisionszahlungen habe verfügen können. Die Provisionszahlungen seien dem Kläger damit wirtschaftlich zuzurechnen.

Die Handhabung des Vermittlerkontos 1 sei nach Einrichtung seit dem 1. Oktober 2001 nicht geändert worden. Erst im Jahr 2018 sei das Konto auf Veranlassung des Klägers umgestellt worden. Die Auszahlungen seien nunmehr an eine Firma (Konto der A Versicherungsmakler GmbH & Co. KG) erfolgt, an der der Kläger zu 70 % beteiligt sei. Frau B sei an dieser Gesellschaft nicht beteiligt. Im Übrigen werde darauf hingewiesen, dass der Kläger im Strafverfahren der Vorbetriebsprüfung die Zurechnung akzeptiert habe. Insoweit sei ausgeführt worden, dass der Kläger auf Grund von Arbeitsüberlastung an seine Grenzen gestoßen sei und die Berücksichtigung der Provisionseinnahmen versehentlich unterblieben sei. Nachdem die Steuerfahndung im Rahmen der Ermittlungen festgestellt habe, dass die Provisionseinnahmen der X-Versicherung nicht berücksichtigt worden seien, habe der Kläger die Versäumnisse korrigiert und die nicht erklärten Einnahmen vollumfänglich der Besteuerung unterworfen. Da an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide keine ernsthaften Zweifel bestünden, seien die Einsprüche als unbegründet zurück zu weisen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Klage vom 12. Mai 2021.

Er macht weiterhin geltend, dass die streitigen Einkünfte nicht ihm, sondern Frau B zuzurechnen seien.

Frau B sei seit langem für die X-Versicherung als Maklerin tätig. Die X-Versicherung führe intern sogenannte „Vermittlerkonten" für die zugelassenen Versicherungsmakler. Die entstandenen Provisionsansprüche der Makler würden auf den Vermittlerkonten erfasst und auf ein vom Makler zu benennendes Bankkonto ausgezahlt.

Frau B habe bei der X-Versicherung - offensichtlich aus organisatorischen bzw. anderweitigen internen Gründen - mehrere Maklernummern, über die die Abrechnungen der Provisionen erfolgen würden. Die hier streitigen Zahlungen stammten von dem Vermittlerkonto mit der Nr. 1 der X-Versicherung. Dieses werde von der X-Versicherung für die Firma Y-Versicherungsbüro geführt. Die X-Versicherung habe dies mit Schreiben vom 21. November 2018 ausdrücklich bestätigt.

Aufgrund der Zusammenarbeit zwischen Frau B und dem Kläger seien in der Vergangenheit regelmäßig Forderungen des Klägers gegen Frau B entstanden. Der Kläger habe entsprechende Rechnungen geschrieben, die auch dem Beklagten vorliegen würden und aus denen sich ein entsprechender Zahlungsanspruch ergebe. Anstatt sich das Guthaben bei der X-Versicherung selbst auszahlen zu lassen und sodann an den Kläger zu überweisen, habe sich Frau B dazu entschieden, entsprechende Auszahlungen unmittelbar an den Kläger vornehmen zu lassen und ihre Verbindlichkeiten auf diese Art zu begleichen. Hierzu habe sie etwa um die Jahrhundertwende die Bankverbindung zu einer der oben genannten Maklernummern dahingehend geändert, dass die Provisionszahlungen der X-Versicherung nicht mehr an sie selbst, sondern auf ein Konto des Klägers geleistet worden seien. Zivilrechtlich betrachtet habe Frau B den ihr zustehenden Auszahlungsanspruch gegen die X-Versicherung an den Kläger abgetreten. Die X-Versicherung habe durch die Leistung an den Kläger gleichwohl ihren Vertrag mit Frau B erfüllt. In der Dreiecksbeziehung zwischen dem Kläger, Frau B und der X-Versicherung stelle sich der Sachverhalt aus Sicht des Klägers wie folgt dar:

Die Zahlung sei zunächst (unstreitig) von der X-Versicherung an den Kläger erfolgt. Wirtschaftlich handele es sich aber um eine Leistung der X-Versicherung an Frau B. Denn die X-Versicherung sei damit einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber von Frau B nachgekommen und von einer entsprechenden Verbindlichkeit dieser gegenüber befreit worden. Zugleich sei bei Frau B auch eine entsprechende Bereicherung festzustellen, weil diese zugleich von einer Zahlungsverpflichtung gegenüber dem Kläger frei geworden sei. Aus Sicht des Klägers wiederum handele es sich um eine Zahlung von Frau B. Denn der Kläger habe das Geld erhalten und einen entsprechenden Zahlungsanspruch gegen Frau B verloren. Die von den Beteiligten gewählte Lösung zur Erfüllung ihrer jeweiligen vertraglichen Pflichten sei zivilrechtlich sowohl zulässig als auch im Wirtschaftsverkehr durchaus üblich. Dass statt einer unmittelbaren Erfüllung ein Zahlungsanspruch abgetreten oder ein Schuldner gebeten werde, unmittelbar an einen Dritten zu leisten, könne wohl als alltäglicher Vorgang bezeichnet werden. Entsprechende Übereinkünfte seien rechtlich nicht zu beanstanden und würden insbesondere auch nicht gegen Vorschriften des Steuerrechts verstoßen.

Entgegen der Behauptung des Beklagten habe es hierzu auch keine gegenteilige Einlassung des Klägers im Rahmen des steuerstrafrechtlichen Verfahrens gegeben. Die Zahlungen an den Kläger seien allerdings zugegebenermaßen in der Vergangenheit nicht vollumfänglich erklärt worden. Dies habe dazu geführt, dass im Jahr 2009 ein Steuerstrafverfahren gegen den Kläger bezüglich der Jahre 2005 bis 2008 eröffnet worden sei. Im Rahmen dieses Steuerstrafverfahrens seien der Finanzverwaltung sämtliche Umstände bezüglich der Zahlungen der X-Versicherung erläutert worden. Dabei sei man seitens der Berater des Klägers und der Frau B übereinstimmend zu dem Ergebnis gekommen, dass die Einnahmen Frau B zuzurechnen seien, so dass Frau B als Täterin und der Kläger wegen Beihilfe zu bestrafen gewesen wären. Rein aus verfahrensökonomischen Gründen habe man sich seinerzeit dazu entschlossen, das steuerstrafrechtliches Ermittlungsverfahren durch ein Urteil gegen den Kläger beenden zu lassen und Frau B nicht in die steuerstrafrechtliche Verantwortung zu nehmen. Nur aus diesem Grunde seien die nicht erklärten Einnahmen dem Kläger zugerechnet worden.

Nach Beendigung des Steuerstrafverfahrens (ab dem Jahr 2012) seien die Vorgänge buchhalterisch so behandelt worden, wie sie sich im Rahmen des Steuerstrafverfahrens aus Sicht des Steuerberaters tatsächlich dargestellt hätten. Aus den Sachkonten-Blättern aus der Buchführung von Frau B sei ersichtlich, dass die Einnahmen von Frau B im Rahmen eines verkürzten Zahlungsweges als Abschlagszahlungen an den Kläger geleistet worden seien. Im Rahmen dieser Vorgänge seien folgende Sachkonten angesprochen worden:

-1700 sonstige Verbindlichkeiten

-1892 Verrechnungsskonto G

-4953 sonstige Vergütung

-8202 Versicherungsprovisionen

Die Provisionen seien auf dem Konto 8202 erfasst worden. Dies sei sogar in dem Bericht über die Außenprüfung bei Frau B festgestellt worden.

Über das Konto 4953 sei der Aufwand gebucht worden, den Frau B im Hinblick auf die Vermittlungsleistungen des Klägers gehabt habe. Diesbezüglich habe es entsprechende Rechnungen des Klägers an Frau B gegeben. Gegenkonto sei das Konto 1700 gewesen. Hierin seien die Forderungen des Klägers begründet, aufgrund derer der verkürzte Zahlungsweg (Zahlungen der X-Versicherung auf ein Konto des Klägers) zum Zwecke von Abschlägen gewählt worden sei. Das Konto 1700 zwischendurch regelmäßig über das Konto 1892 (Verrechnungskonto G) ausgeglichen worden. Dieser Ausgleich sei in der Vergangenheit von dem Beklagten akzeptiert worden. Erst im Rahmen der von dem Beklagten erwähnten tatsächlichen Verständigung sei diese Verfahrenspraxis beendet worden.

Auf die vom Kläger mit Schreiben vom 10. Dezember 2021 überreichten Sachkontenblätter und den Auszug des Betriebsprüfungsberichts von Frau B wird verwiesen.

Der Kläger beantragt,

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2013 vom 8. Juni 2017 in der geänderten Fassung vom 23. Mai 2019 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 8. April 2021 die Einkommensteuer so festzusetzen, wie sie sich ergibt, wenn die Erlöse bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb um 27.641,28 € niedriger angesetzt werden;

unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2015 vom 8. Juni 2017 in den geänderten Fassungen vom 9. Juli 2018, 23. Mai 2019 und 5. Juni 2020 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 8. April 2021 die Einkommensteuer so festzusetzen, wie sie sich ergibt, wenn die Erlöse bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb um 37.138,03 € niedriger angesetzt werden;
unter Änderung des Einkommensteuerbescheides 2016 vom 22. März 2019 in den geänderten Fassungen vom 23. Mai 2019 und 5. Juni 2020 in Gestalt des Einspruchsbescheides vom 8. April 2021 die Einkommensteuer so festzusetzen, wie sie sich ergibt, wenn die Erlöse bei den Einkünften aus Gewerbebetrieb um 10.711 € niedriger angesetzt und bei den Einkünften aus Kapitalvermögen der Sparer-Pauschbetrag in Höhe von 801 € berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags verweist er auf die Einspruchsentscheidung.

Ergänzend führt er aus, dass der Kläger nicht glaubhaft gemacht habe, dass ein abgekürzter Zahlungsweg vorliege. Es seien keine vertraglichen Vereinbarungen zwischen Herrn A und Frau B vorgelegt worden. Darüber hinaus seien bei der Betriebsprüfung keine Kontoauszüge vorgelegt worden.

Die von dem Kläger dargestellten Verbuchungen seien zwar nachvollziehbar. Es handele sich hierbei jedoch um Buchungen, die nicht den tatsächlichen Sachverhalt widerspiegeln würden. Es bleibe festzuhalten, dass die Buchführung im Streitzeitraum nicht ordnungsgemäß gewesen sei. Ergänzend werde darauf hingewiesen, dass der Kläger wegen der Nichterklärung der erzielten Erlöse der X-Versicherung der Jahre 2008, 2010 und 2011 wegen Steuerhinterziehung verurteilt worden sei. Weil seinerzeit keine Berufung eingelegt worden sei, müsse der Kläger das Urteil insoweit gegen sich gelten lassen.

In der mündlichen Verhandlung am 18. März 2022 haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass die Höhe der Einnahmen aus Kapitalvermögen unstreitig ist. Lediglich im Jahr 2016 sei streitig, ob der Sparer-Pauschbetrages zu berücksichtigen ist.

Den Beteiligten wurde mit Schreiben vom 5. Januar 2022 Gelegenheit gegeben, sich unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten zur Besteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen zu äußern.

Das Gericht hat die zunächst ebenfalls unter diesem Aktenzeichen anhängigen Verfahren wegen Einkommensteuer 2012 und 2014 abgetrennt und unter den gesonderten Aktenzeichen 7 K 68/22 (Einkommensteuer 2012) und 7 K 69/22 (Einkommensteuer 2014) fortgeführt.

Aus den Gründen

B. Vorlageentscheidung

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen in Höhe von 25 % und die darauf basierende abgeltende Wirkung des Kapitalertragsteuerabzugs nach § 43 Abs. 5 EStG in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen gegen die in Art 3 Abs. 1 GG gleichheitsrechtlich verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit verstoßen.

Gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i. V. m. § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) ist das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen.

Nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 GG in Verbindung mit § 80 Abs. 1 BVerfGG hat ein Gericht das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen, wenn es ein Gesetz, auf dessen Gültigkeit es bei der Entscheidung ankommt, für verfassungswidrig hält. Gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG ist zu begründen, inwiefern von der Gültigkeit der Rechtsvorschrift die Entscheidung des Gerichts abhängig und mit welcher übergeordneten Rechtsnorm die Vorschrift unvereinbar ist. Diesem Begründungserfordernis genügt ein Vorlagebeschluss nur, wenn die Ausführungen des Gerichts erkennen lassen, dass es sowohl die Entscheidungserheblichkeit der Vorschrift als auch ihre Verfassungsmäßigkeit sorgfältig geprüft hat (BVerfG-Beschlüsse vom 12. Oktober 2010, 2 BvL 59/06, BVerfGE 127, 335 und vom 1. April 2014, 2 BvL 2/09, BVerfGE 136, 127).

Die Begründung, die das BVerfG entlasten soll (Beschlüsse des BVerfG vom 25. Juni 1974, 1 BvL 13/69, 1 BvL 23/69, 1 BvL 25/69, BVerfGE 37, 328; vom 8. November 1983, 1 BvR 1249/81, BVerfGE 65, 265; vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1 und vom 26. Februar 2020, 2 BvR 2347/15, 2 BvR 651/16, 2 BvR 1261/16, 2 BvR 1593/16, 2 BvR 2354/16, 2 BvR 2527/16, BVerfGE 153, 310), muss mit hinreichender Deutlichkeit erkennen lassen, dass und weshalb das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der für verfassungswidrig gehaltenen Rechtsvorschrift zu einem anderen Ergebnis käme als im Falle ihrer Ungültigkeit (BVerfG Beschlüsse vom 17. Oktober 1957, 1 BvL 1/57, BVerfGE 7, 171; vom 7. Dezember 1988, 1 BvL 27/88, BVerfGE 79, 240 ; vom 20. Februar 2002, 2 BvL 5/99, BVerfGE 105, 61; vom 1. April 2008, 1 BvR 1620/04, BVerfGE 121, 108; vom 19. Dezember 2012, 1 BvL 18/11, BVerfGE 133, 1; vom 17. Dezember 2013, 1 BvL 5/08, BVerfGE 135, 1; vom 1. April 2014, 2 BvL 2/09, BVerfGE 136, 127 und vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1). Das vorlegende Gericht muss dabei den Sachverhalt darstellen (BVerfG-Beschluss vom 11. Juli 1967, BVerfGE 22, 175), sich mit der einfachrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen, seine insoweit einschlägige Rechtsprechung darlegen und die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen, die für die Auslegung der vorgelegten Rechtsvorschrift von Bedeutung sind (BVerfG-Beschlüsse vom 29. November 1983, 1 BvR 1313/82, BVerfGE 65, 308; vom 13. Mai 1996, 2 BvL 33/93, BVerfGE 94, 315; vom 27. November 1997, 1 BvL 12/91, BVerfGE 97, 49; vom 20. Februar 2002, 2 BvL 5/99, BVerfGE 105, 61; vom 28. Mai 2008, 2 BvL 11/07, BVerfGE 121, 233; vom 1. April 2014, 2 BvL 2/09, BVerfGE 136, 127 und vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1). Richten sich die Bedenken gegen eine Vorschrift, von deren Anwendung die Entscheidung nicht allein abhängt, müssen die weiteren mit ihr im Zusammenhang stehenden Bestimmungen in die rechtlichen Erwägungen einbezogen werden, soweit dies zum Verständnis der zur Prüfung gestellten Norm erforderlich ist (BVerfG-Beschlüsse vom 14. Dezember 1993, 1 BvL 25/88, BVerfGE 89, 329; vom 5. Februar 2002, 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 48; vom 16. September 2009, 2 BvR 852/07, BVerfGE 124, 251 und vom 2. Mai 2012, 1 BvL 20/09, BVerfGE 131, 1). § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG verpflichtet das vorlegende Gericht jedoch nicht, auf jede denkbare Rechtsauffassung einzugehen (BVerfG-Beschlüsse vom 15. Dezember 2015, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 und vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274). Für die Beurteilung der Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage ist grundsätzlich die Rechtsauffassung des vorlegenden Gerichts maßgebend, sofern diese nicht offensichtlich unhaltbar ist (BVerfG-Beschluss vom 7. März 1953, 2 BvE 4/52, BVerfGE 2, 181; vom 20. April 1993 (einstweilige Anordnung), 2 BvQ 14/93, BVerfGE 88, 187; vom 20. Februar 2002, 2 BvL 5/99, BVerfGE 105, 61; vom 7. September 2011, 2 BvR 987/10, 2 BvR 1485/10, 2 BvR 1099/10, BVerfGE 129, 186; vom 19. Dezember 2012, 1 BvL 18/11, BVerfGE 133, 1; vom 19. November 2014, 2 BvL 2/13, BVerfGE 138, 1; vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12 BVerfGE 141, 1 und vom 24. April 2018, 2 BvL 10/16, BVerfGE 149, 1).

Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (BVerfG-Beschlüsse vom 10. Mai 1988, 1 BvL 8/82, 1 BvL 9/82, BVerfGE 78, 165; vom 12. Mai 1992, 1 BvL 7/89, BVerfGE 86, 71; vom 12. Januar 1993, 1 BvL 7/92, 1 BvL 27/92, 1 BvL 49/92, BVerfGE 88, 70; vom 21. April 1993, 1 BvL 1/90, BVerfGE 88, 198; vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; vom 1. April 2014, 2 BvL 2/19, BVerfGE 136, 127 und vom 19. November 2014, 2 BvL 2/13, BVerfGE 138, 1). Der Vorlagebeschluss muss hierzu den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben und sich mit der Rechtslage, insbesondere der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, auseinandersetzen (BVerfG-Beschlüsse vom 1. April 2014, 2 BvL 2/09, BVerfGE 136, 127 und vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1).

Soweit die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung naheliegt, muss das vorlegende Gericht diese Möglichkeit prüfen und vertretbar begründen, weshalb eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist (BVerfG-Beschlüsse vom 12. Februar 1992, 1 BvL 21/88, BVerfGE 85, 329; vom 8. Oktober 1997, 1 BvR 9/97, BVerfGE 96, 315; vom 1. April 2008, 1 BvR 1620/04, BVerfGE 121, 108 und vom 8. Mai 2012, 1 BvR 1065/03, 1 BvR 1082/03, BVerfGE 131, 88). Eine solche Erörterung ist insbesondere dann geboten, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen und mindestens eine von ihnen nicht in gleicher Weise den verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts ausgesetzt ist (BVerfG-Beschlüsse vom 16. Dezember 2014, 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64 und vom 24. April 2018, 2 BvL 10/16, BVerfGE 149, 1). Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist. Lassen der Wortlaut, die Entstehungsgeschichte, der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen und deren Sinn und Zweck mehrere Deutungen zu, von denen eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, so ist diese geboten (BVerfG-Urteile vom 24. April 1985, 2 BvF 2/83, 2 BvF 3/83, 2 BvF 4/83, 2 BvF 2/84, BVerfGE 69, 1; BVerfG-Beschlüsse vom 9. Januar 1991, BVerfGE 83, 201; vom 10. Oktober 2008, 1 BvR 2310/06, BVerfGE 122, 39 und vom 22. März 2018, 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69). Die verfassungskonforme Auslegung findet allerdings ihre Grenze dort, wo sie zum Wortlaut und dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers in Widerspruch treten würde. Der Respekt vor dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber verbietet es, im Wege der Auslegung einem nach Sinn und Wortlaut eindeutigen Gesetz einen entgegengesetzten Sinn beizulegen oder den normativen Gehalt einer Vorschrift grundlegend neu zu bestimmen (BVerfG-Beschlüsse vom 27. März 2012, 2 BvR 2258/09, BVerfGE 130, 372; vom 27. Januar 2015, 1 BvR 471/10, 1 BvR 1181/10, BVerfGE 138, 296 und vom 22. März 2018, 2 BvR 780/16, BVerfGE 148, 69).

I. Rechtsentwicklung der Vorschriften

1. Gesetzesentwurf

Durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 (UntStRG 2008 vom 14. August 2007, BGBl. I 2007, 1912) wurde die Abgeltungsteuer auf private Kapitalerträge mit Wirkung zum 1. Januar 2009 eingeführt. Hierdurch wurde eine besondere Tarifschedule für Einkünfte nach § 20 EStG geschaffen (vgl. auch § 2 Abs. 5b EStG „soweit Rechtsnormen dieses Gesetzes an die in den vorstehenden Absätzen definierten Begriffe (Einkünfte, Summe der Einkünfte, Gesamtbetrag der Einkünfte, Einkommen, zu versteuerndes Einkommen) anknüpfen, sind Kapitalerträge nach § 32d Absatz 1 und § 43 Absatz 5 nicht einzubeziehen“.

An Stelle der bisher für alle Steuerarten geltenden progressiven Besteuerung von bis zu 45 % trat gemäß § 32d Abs. 1 EStG ein Proportionaltarif in Höhe von 25 %. Zugleich wurde ein Werbungskostenabzug durch § 20 Abs. 9 Satz 1, 2. Halbsatz EStG ausgeschlossen und das in § 3 Nr. 40 EStG normierte, die körperschaftsteuerliche Vorbelastung von Beteiligungserträgen berücksichtigende Teileinkünfteverfahren gemäß § 3 Nr. 40 Satz 2 EStG für private Kapitalerträge (grundsätzlich) suspendiert. Zur Vermeidung von Mehrbelastungen bei Beziehern geringer Einkünfte wurde gemäß § 32d Abs. 6 EStG ein Veranlagungswahlrecht zum regulären progressiven Steuertarif vorgesehen. Im Rahmen einer Günstigerprüfung können die privaten Kapitalerträge den übrigen Einkünften hinzugerechnet und der tariflichen Einkommensteuer unterworfen werden. Ein dahingehender Antrag kann nur einheitlich für sämtliche Kapitalerträge gestellt werden. Dies gilt auch bei zusammen veranlagten Ehegatten. Ergänzend wurde durch § 43 Abs. 5 EStG eine Abgeltungswirkung der Quellensteuererhebung in Form des Kapitalertragsteuerabzugs eingeführt, soweit ein solcher bei inländischen und zum Teil auch bei ausländischen Kapitalerträgen vorgenommen wird.

Auf diese Änderungen hatte sich die Politik in dem Koalitionsvertrag der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD (16. Legislaturperiode) verständigt (Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD v. 11. November 2005, Gemeinsam für Deutschland – Koalitionsvertrag -). Es sollte eine grundlegende Fortentwicklung des Unternehmensteuerrechts vorgenommen werden. Die Parteien wollten „eine Grundsatzentscheidung zwischen synthetischer und dualer Einkommensbesteuerung treffen“ und beabsichtigten in diesem Zusammenhang „eine Neuregelung der Besteuerung von Kapitalerträgen und privaten Veräußerungsgewinnen“ (Koalitionsvertrag, S. 69).

Mit der Ausarbeitung von Einzelheiten wurde die Arbeitsgruppe zur "Reform der Unternehmensteuer in Deutschland" betraut, die von dem damaligen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch und dem seinerzeitigen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück geleitet wurde. Diese sogenannte „Koch/Steinbrück“-Gruppe präsentierte im November 2006 einen Maßnahmenkatalog, der unter anderem auch die Einführung einer niedrigen proportionalen Abgeltungsteuer auf private Kapitalerträge vorsah. Im offiziellen Abschlusskommuniqué wurde darauf hingewiesen, dass mit der Abgeltungsteuer „Deutschland ein attraktiver und übersichtlicher Platz für internationale Kapitalanleger, was für die Entwicklung des Finanzplatzes Deutschland von großer Bedeutung“ sei, werde (Englisch, Die Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge – ein verfassungswidriger Sondertarif, Veröffentlichungen zum Steuerrecht, 2016, S. 1).

Unter dem 27. März 2007 brachten die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und SPD einen Entwurf für ein Unternehmensteuerreformgesetz 2008 in den Bundestag (BT-Drs. 16/4841) und unter dem 30. März 2007 die Bundesregierung einen gleichlautenden Entwurf in den Bundesrat (BR-Drs. 220/07) ein.

2. Gesetzesbegründung

Die Sonderbehandlung der privaten Kapitalerträge wurde vom Gesetzgeber vorrangig mit der Notwendigkeit begründet, die Abwanderung von Kapitalvermögen privater Haushalte ins Ausland zu begrenzen und das entsprechende Steuersubstrat in Deutschland zu halten. Der Gesetzgeber orientierte sich dabei u.a. am österreichischen Vorbild einer Abgeltungsteuer. Das Steueraufkommen hätte hierdurch in Österreich sehr stark erhöht werden können. Damit hätte der Beitrag des Faktors Kapital zum gesamten Steueraufkommen gestärkt werden können, was auch aus Gerechtigkeitserwägungen eine erstrebenswerte Entwicklung sei. Die vorgesehene Abgeltungsteuer sollte zu einer erheblichen steuerlichen Entlastung führen (BT-Drs. 16/4841, S. 30, 35). Der damalige Bundesfinanzminister fasste die Überlegungen in der zweiten Lesung des UntStRG 2008 folgendermaßen zusammen und hat damit prägnant die Erwägungen zusammengefasst:

„Ich weiß, dass diese Abgeltungsteuer von 25 Prozent verteilungspolitisch umstritten ist. Diese Kritik ist berechtigt. Es ist nicht ohne Weiteres einzusehen, dass Kapitaleinkünfte – die nicht durch Leistung erzielt werden – einheitlich mit 25 Prozent besteuert werden sollen, während diejenigen, die mit Kopf und Händen arbeiten, es mit Grenzsteuersätzen und mit einer durchschnittlichen steuerlichen Belastung zu tun haben, die weit darüber liegt. Dieser Einwand ist stimmig. Nur, man wird sich den Realitäten stellen müssen. Die Realitäten sehen so aus, dass die Bundesrepublik Deutschland jedes Jahr einen Kapitalabfluss in Milliardenhöhe zu beklagen hat. Das heißt, dieses Kapital wird nicht in Deutschland angelegt, führt demnach nicht zu Zinsen, Dividenden, Kapitaleinkünften jedweder Art, die hier in Deutschland besteuert würden, sondern es ist futsch. Sie wissen, dass ich es vor diesem Hintergrund immer für logisch gehalten habe, zu sagen: Es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. So simpel ist die Rechnung. Dieses Argument springt einem, wenn man es pragmatisch sieht, so ins Auge, dass die berechtigten verteilungspolitischen Gesichtspunkte dahinter zurückzustellen sind. Deshalb bin ich ein Befürworter dieser Abgeltungsteuer“ (Plenarprotokoll 16/101, S. 10364).

Auch der Finanzausschuss ging davon aus, dass die Abgeltungsteuer wesentlich dazu beitragen werde, die Abwanderung von Kapital in das Ausland zu verringern (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/5491, S. 11 f.).

Weiterhin sollte die Abgeltungsteuer „zur drastischen Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften“ führen (BT-Drs. 16/4841, S. 35), mit ihr sollte eine „erhebliche Entlastungen von Bürokratiekosten“ einhergehen (Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/5491, S. 11) und dazu führen, dass „in Zukunft auf viele Informations- und Mitteilungsmeldungen“ verzichtet werden könne (Debattenbeitrag des Abgeordneten Bernhardt (CDU) zur ersten Lesung des UntStRG 2008, Plenarprotokoll 16/92, S. 9358).

Darüber hinaus sollte die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands als Finanzplatz gestärkt werden (Debattenbeitrag des Abgeordneten Michael Meister (CDU) zur zweiten Lesung, Plenarprotokoll 16/101, S. 10368).

In dem Gesetzesentwurf wurden konkret folgende Erwägungen formuliert:

„Unternehmen, die in Deutschland wegen der guten allgemeinen Standortqualität und trotz der hohen nominalen Steuerbelastung investiert haben, versuchen, ihre in Deutschland erwirtschafteten Erträge z. B. durch grenzüberschreitende Kreditvergabe ins niedriger besteuernde Ausland zu verlagern. Dadurch entgehen Deutschland Steuereinnahmen in Milliardenhöhe.

Auch bei privaten Haushalten besteht die Gefahr, dass Kapital ins Ausland transferiert wird, um der Besteuerung in Deutschland auszuweichen.

Hauptziel der Unternehmenssteuerreform ist deshalb neben der Erhöhung der Standortattraktivität die längerfristige Sicherung des deutschen Steuersubstrats. Durch positive und negative Anreize soll die Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland, vor allem durch Unternehmen, aber auch durch private Haushalte, gebremst werden. Schon mittelfristig werden daher die Einnahmen der Körperschaft- und der Gewerbesteuer über dem derzeitigen Niveau liegen. Die steuerliche Attraktivität des Standortes Deutschland soll für in- und ausländische Investoren erhöht werden. Dies soll unabhängig von der Rechtsform gelten“. (BT-Drs. 16/4841, S. 1)

„Die Einführung einer Abgeltungsteuer mindert das Interesse privater Anleger, Kapital allein aus steuerlichen Gründen ins Ausland zu verlagern“. (BT-Drs. 16/4841, S. 2)

„Moderne Besteuerung privater Kapitaleinkommen

Deutschland verliert nicht nur durch ins Ausland übertragene Unternehmensgewinne Steuersubstrat, sondern auch durch den Transfer von Kapitalvermögen der privaten Haushalte. Deshalb besteht auch bei der Besteuerung der Kapitaleinkommen privater Haushalte Reformbedarf. Andere EU-Staaten haben gute Erfahrungen mit Abgeltungsteuern gemacht. So hat sich laut OECD in Österreich nach der Einführung einer Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge in den 90er Jahren das Steueraufkommen sehr stark erhöht. Damit konnte der Beitrag des Faktors Kapital zum gesamten Steueraufkommen gestärkt werden – eine auch aus Gerechtigkeitserwägungen erstrebenswerte Entwicklung. Auch für Deutschland bestehen gute Chancen, längerfristig von einer Abgeltungsteuer und den damit verbundenen Anreizwirkungen zu profitieren“. (BT-Drs. 16/4841, S. 30)

„Reform der Besteuerung von Kapitaleinkünften des Privatvermögens

-Zwar wird die Besteuerung der Kapitaleinkommen erst zum 1. Januar 2009 umgesetzt, doch ist sie eng mit der Reform der Unternehmensbesteuerung verbunden.

-Derzeit werden Zinsen, Dividenden und private Veräußerungsgewinne unterschiedlich besteuert. Private Veräußerungsgewinne aus Aktien und Investmentfonds sind außerhalb der einjährigen Haltefrist steuerfrei, wenn die Beteiligungsgrenze des § 17 EStG von 1 Prozent nicht überschritten wird. Zinsen unterliegen einer maximalen Einkommensteuerbelastung in Höhe des Grenzsteuersatzes der Einkommensteuer. Bei Dividenden liegt die Belastung durch die Einkommensteuer aufgrund des Halbeinkünfteverfahrens bei 50 Prozent des individuellen Grenzsteuersatzes, maximal somit bei 22,5 Prozent (50 Prozent vom maximalen Grenzsteuersatz in Höhe von 45 Prozent). Zukünftig werden alle im Privatvermögen zufließenden Kapitaleinkünfte einheitlich mit einer 25-prozentigen Abgeltungsteuer belegt.

-Die Gesamtbelastung (unter Berücksichtigung der Vorbelastung auf Unternehmensebene) der Dividenden sinkt damit von maximal 53,21 Prozent im Jahr 2007 auf 48,33 Prozent im Jahr 2009. Das Halbeinkünfteverfahren wird für Einkünfte des Privatvermögens abgeschafft und im betrieblichen Bereich auf ein Teileinkünfteverfahren (mit 60 Prozent) reduziert.

-Sofern die Besteuerung durch den Kapitalertragsteuerabzug abschließend erfolgt, braucht der Steuerpflichtige die Kapitalerträge diesbezüglich nicht mehr gegenüber dem Finanzamt anzugeben. Damit wird die Anonymität der Anleger zukünftig gewahrt, was auch bei den Änderungen zum Kontenabruf zum Ausdruck kommt. Ein Kontenabruf ist künftig nur in den enumerativ im Gesetz genannten Fällen zulässig.

-Steuerzahler, die sich durch den abgeltenden Steuersatz von 25 Prozent schlechter stellen, haben die Möglichkeit, die Kapitaleinkünfte in der Steuererklärung anzugeben. Steuerpflichtige mit anderen Einkünften bis zu einer Höhe von 15.000 Euro (ab hier beträgt der Grenzsteuersatz 25 Prozent) erhalten auf diesem Weg die überzahlte Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge erstattet.“ (BT-Drs. 16/4841, S. 33)

„Die vorgesehene Abgeltungsteuer führt zu einer erheblichen steuerlichen Entlastung sowie zur drastischen Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften. Die damit verbundenen neuen Informationspflichten sind auf das notwendige Maß begrenzt; viele von ihnen beinhalten zudem steuerlich begünstigende Wahlrechte“. (BT-Drs. 16/4841, S. 35)

„Zu Nummer 22 (§ 32d – neu)

Allgemein

§ 32d stellt eine der zentralen Normen der gesonderten einkommensteuerrechtlichen Behandlung der Erträge aus Kapitalanlagen dar. Die Norm regelt den gesonderten Steuertarif für Einkünfte aus Kapitalvermögen und führt die Kapitalerträge an, bei denen der die Einkommensteuer abgeltende Steuertarif keine Anwendung findet. Weiterhin beinhaltet sie Ausführungen zur Pflichtveranlagung von Kapitalerträgen, zur Wahlveranlagung sowie zur Anrechnung ausländischer Steuern.

Im Einzelnen

Zu Absatz 1

Satz 1 legt fest, dass die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 zukünftig grundsätzlich 25 Prozent der Bemessungsgrundlage beträgt. Von diesem, die Einkommensteuer abgeltenden Steuersatz nimmt Satz 1 die Kapitalerträge aus, die aufgrund der Subsidiaritätsregel des § 20 Abs. 8 zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören.

Satz 2 stellt klar, dass die nach Maßgabe des Absatzes 5 anrechenbare ausländische Quellensteuer die Einkommensteuer nach Satz 1 mindert.

Satz 3 bestimmt im Anschluss an die Sätze 1 und 2, dass sich die Einkommensteuer um 25 Prozent der auf die Kapitalerträge entfallenden Kirchensteuer ermäßigt. Sinn dieser Regelung ist es, die gezahlte Kirchensteuer auf Kapitalerträge, die grundsätzlich nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 als Sonderausgaben abziehbar ist, bereits im Rahmen der gesonderten Steuerfestsetzung des § 32d pauschal zu berücksichtigen. Mit dieser Regelung werden Kapitalerträge, bei denen nicht der Kapitalertragsteuerabzug vorgenommen wird, gleichbehandelt mit Kapitalerträgen, die dem Kapitalertragsteuerabzug unterfallen und bei denen die gezahlte Kirchensteuer gemäß § 43a Abs. 1 Satz 2 beim Steuerabzug steuermindernd berücksichtigt wird.

Die Regelungen in den Sätzen 4 und 5 sind aus folgenden Gründen erforderlich: Die – dem Sonderausgabenabzug entsprechende – steuerentlastende Wirkung der Kirchensteuer wird nach Satz 3 zum einen bereits bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt. Zum anderen bewirkt der steuerentlastende Abzug der Kirchensteuerzahlung einen Selbstminderungseffekt bei der Kirchensteuer. Denn Bemessungsgrundlage der Kirchensteuer ist die Einkommensteuer. Wird diese Bemessungsgrundlage durch die gezahlte Kirchensteuer gemindert, verringert sich somit auch die Kirchensteuer. Die mathematische Formel in den Sätzen 4 und 5 stellt somit für alle Fälle der Kapitaleinkünfte, unabhängig, ob eine Quellensteuer oder Kirchensteuer zu berücksichtigen ist, die Berechnungsgrundlage für die Ermittlung der Einkommensteuer dar. Dies ist insbesondere für die Berechnung der zutreffenden Einkommensteuer im Kapitalertragsteuerabzugsverfahren notwendig.

Beispiel für die Berechnung der Einkommensteuer:

Ein Steuerpflichtiger erzielt Kapitaleinkünfte in Höhe von 4 000 Euro. Die anrechenbare ausländische Quellensteuer beträgt 600 Euro. Für den Steuerpflichtigen ist ein Kirchensteuersatz von 8 Prozent maßgebend.

Die Einkommensteuer beträgt 4000–4x600 € , somit 392,16 Euro.

                                               (4+8 %)

Die Kirchensteuer beträgt 392,16 Euro × 8 Prozent, somit 31,37 Euro.

Zu Absatz 2

Absatz 2 legt als Ausnahme zu Absatz 1 den Kreis solcher Kapitalerträge fest, die nicht unter den abgeltenden Steuersatz von 25 Prozent fallen, sondern für die gemeinsam mit den Einkünften aus den anderen Einkunftsarten der progressive Einkommensteuertarif gilt.

Zu Nummer 1

Die Ausnahme ist geboten, um Gestaltungen zu verhindern, bei denen aufgrund der Steuersatzspreizung betriebliche Gewinne z. B. in Form von Darlehenszinsen abgesaugt werden und so die Steuerbelastung auf den Abgeltungsteuersatz reduziert wird. Mit dieser Regelung wird erreicht, dass unternehmerische Entscheidungen über die Finanzierungsstruktur eines Unternehmens steuerlich unverzerrt bleiben. Damit leistet die Regelung einen Beitrag zur Finanzierungsneutralität. Die unterschiedliche Behandlung der einzelnen Kapitalerträge ist im Übrigen gerechtfertigt, da es ein grundlegendes Ziel der Einführung eines abgeltenden Steuersatzes für Kapitalerträge ist, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu verbessern, um den Kapitalabfluss ins Ausland zu bremsen, nicht jedoch, das Eigenkapital in die privilegiert besteuerte private Anlageebene zu verlagern und durch Fremdkapital zu ersetzen.

Unter diese Ausnahmeregelung fallen Einkünfte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 und 7 sowie Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 und 7, also insbesondere Einkünfte im Zusammenhang mit Darlehensvereinbarungen sowie im Zusammenhang mit einer Beteiligung als stiller Gesellschafter,

- wenn Gläubiger und Schuldner einander nahestehende Personen sind (Buchstabe a),

- wenn sie von einer Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 1 Prozent an der Gesellschaft oder Genossenschaft beteiligt ist oder der Gläubiger der Kapitalerträge eine dem Anteilseigner nahestehende Person ist (Buchstabe b)

oder

- soweit ein Dritter die Kapitalerträge schuldet, der seinerseits Kapital an einen Betrieb des Gläubigers überlassen hat. Dies gilt auch, wenn der Dritte Kapital an eine Personengesellschaft, bei der der Gläubiger als Mitunternehmer beteiligt ist, oder an eine Kapitalgesellschaft oder Genossenschaft überlassen hat, an der der Gläubiger oder eine diesem nahestehende Person zu mindestens 1 Prozent beteiligt ist, sofern der Dritte auf den Gläubiger bzw. die diesem nahestehende Person zurückgreifen kann (Buchstabe c).

Bei diesen Fallgestaltungen besteht grundsätzlich die Gefahr, die Steuersatzspreizung auszunutzen, ohne dem Sinn und Zweck der Einführung des abgeltenden Steuersatzes zu entsprechen.

Zu Buchstabe a

Buchstabe a bestimmt, dass bei den oben beschriebenen Beteiligungen oder Kapitalüberlassungsverträgen zwischen nahestehenden Personen die Erträge oder Veräußerungsgewinne dem progressiven Einkommensteuertarif unterliegen.

Ein derartiges Verhältnis liegt vor, wenn die Person auf den Steuerpflichtigen einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder umgekehrt der Steuerpflichtige auf diese Person einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder eine dritte Person auf beide einen beherrschenden Einfluss ausüben kann oder die Person oder der Steuerpflichtige imstande ist, bei der Vereinbarung der Bedingungen einer Geschäftsbeziehung auf den Steuerpflichtigen oder die nahe stehende Person einen außerhalb dieser Geschäftsbeziehung begründeten Einfluss auszuüben oder wenn einer von ihnen ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Erzielung der Einkünfte des anderen hat.

Zu Buchstabe b

Buchstabe b regelt die Ausnahme vom gesonderten Steuersatz bei der Kapitalüberlassung an Körperschaften, an denen der Steuerpflichtige zu mindestens 1 Prozent beteiligt ist, sowie von Personen, die dem Beteiligten nahestehen.

Zu Buchstabe c

Buchstabe c bestimmt, dass bei sog. Back-to-back-Finanzierungen, d. h. in den Fällen, in denen z. B. der Gesellschafter oder eine ihm nahe stehende Person bei einer Bank eine Einlage unterhält und die Bank in gleicher Höhe einen Kredit an die Gesellschaft vergibt, die Einkünfte aus der Einlage dem progressiven Einkommensteuersatz unterliegen, sofern die Bank auf den Gesellschafter oder die nahe stehende Person aufgrund eines rechtlichen Anspruchs (z. B. Bürgschaft) oder einer dinglichen Sicherheit wie z. B. Grundschuld zurückgreifen kann.

Zu Satz 2

Da für die in Nummer 1 angeführten Kapitaleinkünfte der abgeltende Steuersatz von 25 Prozent keine Anwendung findet und sie dem allgemeinen Einkommensteuertarif unterfallen, gelten für sie abweichend von § 20 Abs. 6 die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Verlustverrechnungs- und Verlustausgleichsregeln. Außerdem sind die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen zum Werbungskostenabzug zu beachten, so dass die Regelungen des Sparer-Pauschbetrags gemäß § 20 Abs. 9 nicht anzuwenden sind.

Zu Nummer 2

Nummer 2 bestimmt, dass die Leistungen aus Lebensversicherungen, bei denen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 nur die Hälfte des Unterschiedsbetrags zwischen der Versicherungsleistung und den geleisteten Beiträgen als Ertrag anzusetzen ist, nicht unter den abgeltenden Steuersatz von 25 Prozent fallen, sondern gemeinsam mit den Einkünften aus den anderen Einkunftsarten der progressive Einkommensteuertarif gilt. Dies gilt in den Fällen, in denen die Versicherungsleistung nach Vollendung des 60. Lebensjahres und nach Ablauf von zwölf Jahren nach Vertragsabschluss ausgezahlt wird. Die Ausnahme ist zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen gerechtfertigt, da der Wertzuwachs – bei Anwendung des Abgeltungsteuersatzes – bei diesen Leistungen lediglich in Höhe von höchstens 12,5 Prozent besteuert würde. Damit würde ohne sachlichen Grund eine steuerrechtliche Begünstigung von Lebensversicherungsleistungen gegenüber anderen Anlageprodukten erfolgen. Da diese Erträge dem allgemeinen Einkommensteuertarif unterfallen, gelten für sie abweichend von § 20 Abs. 6 die allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Verlustverrechnungs- und Verlustausgleichsregeln.

Zu Absatz 3

Satz 1 stellt klar, dass Kapitalerträge, die nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben (z. B. Veräußerungsgewinne aus GmbH-Anteilen oder ausländische Zinseinkünfte) in der Veranlagung gemäß § 25 ff. zu berücksichtigen sind, so dass der Steuerpflichtige diese in seiner Einkommensteuererklärung anzugeben hat. Satz 2 legt den Betrag (grundsätzlich 25 Prozent der Einkünfte) fest, um den sich nach § 2 Abs. 6 Satz 1 die tarifliche Einkommensteuer zur Ermittlung der festzusetzenden Steuer erhöht.

Zu Absatz 4

Absatz 4 gewährt dem Steuerpflichtigen für Kapitaleinkünfte, die der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, das Wahlrecht, diese im Rahmen seiner Veranlagung geltend zu machen, um die in diesem Absatz angeführten Tatbestände, die beim Kapitalertragsteuerabzug nicht berücksichtigt werden können, wie z. B. einen Verlustvortrag nach § 20 Abs. 6 steuermindernd geltend zu machen. Ebenso besteht für den Steuerpflichtigen die Möglichkeit, den Steuereinbehalt des Kreditinstituts dem Grund und der Höhe nach überprüfen zu lassen. So kann der Steuerpflichtige z. B. bei Veräußerungsfällen Anschaffungskosten, die sein depotführendes Institut nicht berücksichtigt hat, im Rahmen der Veranlagung anführen.

Die Aufzählung der Tatbestände ist aber nicht abschließend. Dies macht die Anführung des Wortes „insbesondere“ deutlich. So kann der Steuerpflichtige unter anderem in den Fällen, in denen beim Kapitalertragsteuerabzug der steuermindernde Effekt der Kirchensteuerzahlung noch nicht berücksichtigt wurde (z. B. bei Dividendenausschüttungen), diesen im Rahmen der Veranlagung nachholen, wenn er den Kirchensteuerabzug durch sein depotführendes Institut nicht beantragt hat und er sich für die Festsetzung der Kirchensteuer in der Veranlagung entscheidet.

Macht er diese Einkünfte in der Veranlagung geltend, erfolgt entsprechend der Regelung in Absatz 3 Satz 2 eine Erhöhung der tariflichen Einkommensteuer um 25 Prozent der – durch die Tatbestände dieses Absatzes geminderten – Einkünfte. Da die Kapitalertragsteuer auf die hier geltend gemachten Einkünfte höher ist als der bei der Steuerfestsetzung zugrunde gelegte Betrag – denn der Steuerabzug erfolgt ohne die in der Veranlagung zu berücksichtigenden gewinnmindernden Tatbestände –, wird die Kapitalertragsteuer gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 auf die Einkommensteuer angerechnet. Dies kann zu einer Einkommensteuererstattung führen.

Zu Absatz 5

Absatz 5 regelt in Anlehnung an § 34c und als Sondervorschrift zu dieser Norm die Berücksichtigung der im Ausland anfallenden Quellensteuer auf ausländische Kapitalerträge. Um zum Zwecke der Verfahrenserleichterung zu gewährleisten, dass gemäß § 43a Abs. 3 bereits das depotführende Kreditinstitut die anfallende ausländische Quellensteuer anrechnen kann, bedarf es dieser Sondervorschrift.

Satz 1 bestimmt, dass für die Berücksichtigung ausländischer Steuern § 34c Abs. 1 Satz 1 sinngemäß mit der Maßgabe gilt, dass bei jedem ausländischen Kapitalertrag die ausländische Steuer auf die deutsche Steuer anzurechnen ist. Dies erfordert für die Anrechnung ausländischer Quellensteuer aus einem Nicht-DBA-Staat, dass ausländische Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 34d Nr. 6 vorliegen und die Tatbestandsmerkmale des § 34c Abs. 1 Satz 1 erfüllt sind. Dies gilt insbesondere für das Tatbestandsmerkmal „der deutschen Einkommensteuer entsprechende Steuer“.

Für DBA-Fälle gilt die Regelung des Satzes 2. Hiernach ist Satz 1 sinngemäß anzuwenden, soweit in einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anrechnung einer ausländischen Steuer auf die deutsche Einkommensteuer vorgesehen ist. Es ist also vorrangig dem DBA zu entnehmen, wer zur Anrechnung befugt ist, was ausländische Einkünfte sind und welche ausländische Steuer angerechnet werden kann.

Zu Absatz 6

Absatz 6 Satz 1 regelt die Wahlmöglichkeit des Steuerpflichtigen, seine Einkünfte aus Kapitalvermögen abweichend von § 32d den allgemeinen einkommensteuerrechtlichen Regelungen zur Ermittlung der tariflichen Einkommensteuer zu unterwerfen. Damit wird für Steuerpflichtige, deren persönlicher Steuersatz niedriger als der Abgeltungsteuersatz ist, die Möglichkeit geschaffen, dass ihre Einkünfte aus Kapitalvermögen diesem niedrigeren Steuersatz unterworfen werden. Der Steuerpflichtige hat diese Wahlmöglichkeit im Rahmen seiner Veranlagung geltend zu machen. Das Finanzamt prüft im Rahmen der Steuerfestsetzung von Amts wegen, ob die Anwendung der allgemeinen Regelungen (insbesondere unter Berücksichtigung des Grundfreibetrags und des Altersentlastungsbetrags) zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung führt (Günstigerprüfung). Sollte dies nicht der Fall sein, z. B. weil der persönliche Steuersatz des Steuerpflichtigen über dem Abgeltungsteuersatz liegt, gilt der Antrag als nicht gestellt. Insofern bleibt es hinsichtlich der Einkünfte aus Kapitalvermögen bei einer Berechnung der Einkommensteuer für die Kapitaleinkünfte nach Absatz 3 sowie Absatz 4 oder bei einer Abgeltung der Einkommensteuer nach § 43 Abs. 5.

Satz 2 stellt klar, dass die Wahlmöglichkeit des Satzes 1 für den jeweiligen Veranlagungszeitraum nur einheitlich für sämtliche Kapitalerträge geltend gemacht werden kann. Damit wird verhindert, dass die Bezieher hoher Kapitaleinkünfte, die keine oder nur geringe andere Einkünfte haben, lediglich einen Teil ihrer Kapitaleinkünfte in die allgemeine Einkommensteuerberechnung einbeziehen. Dies hätte zur Folge, dass diese Einkünfte einem unter dem Abgeltung- steuersatz liegenden Einkommensteuersatz unterliegen, obwohl der Steuerpflichtige bei Einbeziehung sämtlicher Kapitaleinkünfte einen Steuersatz hätte, der über dem Abgeltungsteuersatz liegt. Dies würde jedoch dem Sinn und Zweck des Absatzes 6 zuwiderlaufen.

Satz 3 bestimmt, dass Eheleute in den Fällen der Zusammenveranlagung die Wahlmöglichkeit nur einheitlich und für sämtliche Kapitalerträge ausstellen können. Dies beruht darauf, dass in den Fällen der Zusammenveranlagung die Eheleute gemäß § 26b als ein Steuerpflichtiger behandelt werden. Insofern gelten die Ausführungen zu Satz 2 entsprechend“. (BT-Drs. 16/4841, S. 60 f.)

„Zu Nummer 27 (§ 43)

(…)

Zu Buchstabe d (Absatz 5 – neu)

Der neue Absatz 5 Satz 1 bildet die zentrale Vorschrift für die grundsätzliche Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer. Satz 2 regelt, dass die Abgeltungswirkung nicht eintritt in Fällen des neuen § 32d Abs. 2 (insbesondere Kapitalerträge unter nahestehenden Personen), und wenn die Kapitalerträge zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören.

Satz 3 sieht vor, dass Kapitalerträge, bei denen grundsätzlich die Abgeltungswirkung eintreten könnte, auf Antrag des Steuerpflichtigen in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d einbezogen werden (vgl. zu den in Betracht kommenden Sachverhalten die Beispielsaufzählung in § 32d Abs. 4).“ (BT-Drs. 16/4841, S. 66 f.)

3. Prognostizierte Kosten und steuerliche Wirkung

Ferner ging der Gesetzesentwurf von folgenden Bürokratiekosten aus:

 

Vorschrift

Informations-pflicht

Bürokratiekosten in EUR für

Bürger Unternehmen Verwaltung

Fallzahl

(Unterneh-men)

Periodizität

(Unternehmen)

§ 24c 

Wegfall der Verpflichtung zur Ausstellung von Jahresbescheinigungen bei Banken/Versicherungen (Unternehmen)

        

-150.400.000

        

60.000.000

1       

§ 32d Abs. 4

Wahlrecht zur Einbeziehung von Kapitalerträgen, die
dem Steuerabzug unterlegen haben, in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen (Bürger)

-       

        

        

        

        

§ 32d Abs. 6

Antrag zur Einbeziehung von Kapitalerträgen in die
Veranlagung der Bürger (Günstigerprüfung)

-       

        

        

        

        

§ 43 Abs. 5

Antrag des Bürgers zur Einbeziehung von
Kapitalerträgen in die besondere Besteuerung nach §
32d EStG

-       

        

        

        

        

§ 45a Abs. 2

Konkretisierung einer Informationspflicht für
Unternehmen (Bescheinigung über Kapitalerträge, die
die nach § 32d EStG erforderlichen Angaben enthält),
Einschränkung des Anwendungsbereichs durch Antragserfordernis

        

4.387 

        

1.000 

1       

Der Gesetzesentwurf ging davon aus, dass durch die ersatzlose Aufhebung des § 24c EStG, der im bisher geltendem Recht Kreditinstitute oder Finanzdienstleistungsinstitute verpflichtet hatte, ihren Kunden eine Jahresbescheinigung über Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne aus Finanzanlagen auszustellen, Kosten für die Unternehmen entfallen würden. Die Jahresbescheinigung des § 24c EStG war bis dahin als Ausfüllhilfe für den Steuerpflichtigen bei dem Ausfüllen der Anlagen KAP, AUS und SO (soweit es um Kapitalerträge und Veräußerungsgewinne ging) konzipiert. Mit Einführung der Abgeltungsteuer sollten alle Daten, die der Steuerpflichtige bzw. das für ihn zuständige Finanzamt für eine eventuell erforderliche Korrektur der Abgeltungsteuer benötigen, in der neu gestalteten Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2 und 3 enthalten sein (BT-Drs. 16/4841, S. 36 f., 59).

Weiterhin prognostizierte der Gesetzesentwurf folgende finanzielle Auswirkungen (Steuermehr- / -mindereinnahmen (-) in Mio €:

 

        

        

        

Kassenjahr

Maßnahme

Steuerart/ Gebietskörper-schaft

Volle Jahres-wirkung

2008   

2009   

2010   

2011   

2012   

§§ 20, 32d, 43a EStG
Einführung einer Abgeltungsteuer mit Veranlagungsoption i.H.v. 25% ab
1. 1. 2009 auf Kapitalerträge (Zinsen,
100% der Dividenden und bei
privaten Veräußerungsgeschäften)

        

        

        

        

        

        

        

        

Insg. 

- 1.295.

-       

- 320 

-1.065

- 1.520

- 1.430

        

GewSt 

- 170 

-       

- 30   

- 125 

- 145 

- 170 

        

ESt     

- 815 

-       

- 120 

- 630 

- 1.045

- 935 

        

KSt     

- 150 

-       

- 45   

- 150 

-150   

- 150 

        

KapESt

- 100 

-       

- 100 

- 100 

- 100 

- 100 

        

SolZ   

- 60   

-       

- 25   

- 60   

- 80   

- 75   

        

        

        

        

        

        

        

        

        

Bund   

- 520 

-       

- 132 

- 440 

- 637 

- 586 

        

GewSt 

- 7     

-       

- 1     

- 5     

- 6     

- 7     

        

ESt     

- 346 

-       

- 51   

- 268 

- 444 

- 397 

        

KSt     

- 75   

-       

- 23   

- 75   

- 75   

- 75   

        

KapESt

- 32   

-       

- 32   

- 32   

- 32   

- 32   

        

SolZ   

- 60   

-       

- 25   

- 60   

- 80   

- 75   

        

        

        

        

        

        

        

        

        

Länder

- 477 

-       

- 109 

- 393 

- 572 

- 528 

        

GewSt 

- 24   

-       

- 4     

- 18   

- 21   

- 24   

        

ESt     

- 346 

-       

- 51   

- 268 

- 444 

- 397 

        

KSt     

- 75   

-       

- 22   

- 75   

- 75   

- 75   

        

KapESt

- 32   

-       

- 32   

- 32   

- 32   

- 32   

        

        

        

        

        

        

        

        

        

Gem.   

- 298 

-       

- 79   

- 232 

- 311 

- 316 

        

GewSt 

- 139 

-       

- 25   

-102   

- 118 

- 139 

        

ESt     

- 123 

-       

- 18   

- 94   

- 157 

- 141 

        

KapESt

- 36   

-       

- 36   

- 36   

- 36   

- 36   

(BT-Drs. 16/4841, S. 44)

Darüber hinaus prognostizierte der Gesetzesentwurf ein „zusätzliches Mehraufkommen durch Sicherung des nationalen Steuersubstrats“ in Höhe von + 3.890 Mio Euro (volle Jahreswirkung). Da dort jedoch nur Angaben zur Gewerbesteuer, Körperschaftsteuer und zum Solidaritätszuschlag gemacht wurden, ist davon auszugehen, dass sich diese Betrachtung ausschließlich auf die Änderungen des Körperschafsteuergesetzes bezogen haben (BT-Drs. 16/4841, S. 40).

4. Änderungen der entscheidungserheblichen Normen nach Verabschiedung des Gesetzes

Nach der Verabschiedung des UntStRG 2008 (BGBl. I 2007, 1912) hat der Gesetzgeber folgende Anpassungen an den §§ 32d und § 43 EStG (bis zum letzten streitgegenständlichen Jahr 2016) vorgenommen:

Durch das Jahressteuergesetz 2008 (JStG 2008) vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I 2007, 3150) wurde bei § 32d EStG der Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c vor Inkrafttreten neu gefasst und Nr. 3 eingefügt. Der Gesetzgeber wollte damit den im Rahmen der Anhörungen des Finanzausschusses vorgetragenen Bedenken gegen die Abgeltungsteuer (teilweise) Rechnung tragen (BT-Drs. 16/7036 S. 12): Der Anwendungsbereich des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. c wurde eingeschränkt. Außerdem wurde mit Nr. 3 ein neues Veranlagungswahlrecht für bestimmte fremdfi-nanzierte Anteilserwerbe vorgesehen.

Ebenfalls noch vor Inkrafttreten wurden bei § 43 EStG die Abs. 5 und 6 aus Gründen der „redaktionellen Klarstellung“ (so BT-Drs. 16/10 189, S. 53) geändert. Die streitige Frage, ob bei Abs. 5 die sogenannte „per-country-limitation“ des § 34c Abs. 1 (alle Einkünfte eines ausl. Staats werden einbezogen oder eine „per-item-limitation“ (jeder KapErtrag wird für sich betrachtet) eingreift, wurde in Abs. 5 i. S. einer „per-item-limitation“ geregelt. Abs. 6 S. 1 verweist seitdem nur noch auf Abs. 1, 3 und 4; Abs. 2 wurde von der Verweisung ausgenommen. Für Abs. 5 wurde eine eigene Verweisung geschaffen (Abs. 6 S. 2). Die früheren S. 2 und 3 wurden S. 3 und 4.

Durch das Jahressteuergesetz 2009 (JStG 2009) vom 19. Dezember 2008 (BGBl. I 2008, 2794) wurde in § 43 EStG der Abs. 1 S. 7 mit Änderungen in einen eigenen Abs. 1a überführt. Abs. 2 wurde um weitere Abzugsbefreiungen ergänzt und inländische Niederlassungen ausländischer Versicherungen zum Steuerabzug verpflichtet. Die Änderungen durch das JStG 2009 gelten erstmals für Kapitalerträge, die nach dem 31. Dezember 2008 zufließen, § 52a Abs. 1 a. F.; § 43 Abs. 3 S. 1, 2. Halbs. ist erstmals für Kapitalerträge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2009 zufließen, § 52a Abs. 16 S. 1 a. F.

Mit dem Jahressteuergesetz 2010 (JStG 2010) vom 8. Dezember 2010 (BGBl. I 2010, 1768) wurde in § 32d EStG der Anwendungsbereich des Abs. 2 S. 1 Nr. 1 Buchst. a auf Fälle der „Steuersatzspreizung“ eingeschränkt. Abs. 6 S. 1 bezieht seither in die Berechnung der Günstigerprüfung auch die Zuschlagsteuer ein. Mit Abs. 2 Nr. 4 wurde eine neue Ausnahme von der Abgeltungsteuer für verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) geschaffen, die das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften - Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, 1809) in ihrem Anwendungsbereich auf alle Dividenden ausgedehnt hat.

§ 43 EStG wurde umfänglich geändert. Die Mitteilungspflicht der auszahlenden Stelle bei unentgeltlicher Übertragung wurde erweitert, Abs. 1a als entbehrlich aufgehoben, Abs. 2 S. 3 Nr. 2 redaktionell geändert und in Abs. 2 S. 6 die Aufbewahrungsfrist auf sechs Jahre verkürzt. In Abs. 5 S. 1 wurde die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer überarbeitet und in Abs. 5 ein neuer S. 4 eingefügt, der auch bei der Abgeltungsteuer die Möglichkeit des § 165 AO eröffnet. Die Änderungen des Abs. 1 S. 5 gelten erstmals für nach dem 31. Dezember 2011 vorgenommene Übertragungen, § 52a Abs. 15a a. F., die Aufhebung des Abs. 1a für die Lieferung von Wertpapieren nach dem 31. Dezember 2009, die Änderungen des Abs. 5 S. 1 und 4 für nach dem 31. Dezember 2008 zufließende Kapitalerträge, § 52a Abs. 1 a. F.

Durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2009/65/EG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren - OGAW-IV-Umsetzungsgesetz (OGAW-IV-UmsG) vom 22. Juni 2011 (BGBl. I 2011, 1126) wurde in § 43 EStG eine neue Nr. 1a in Abs. 1 S. 1 eingefügt. Dividendenerträge werden wie bisher von Abs. 1 S. 1 Nr. 1 erfasst. Nr. 1a regelt den Kapertragsteuer-Abzug bei Dividenden inländisch sammel- und streifbandverwahrter Aktien und bei Tafelgeschäften bei depotfähigen Aktien. Die Neuregelung folgte aus einer Umstellung des Steuerabzugs für diese Dividenden. Bisher war der Schuldner (die AG) zum Steuerabzug verpflichtet. Nunmehr war es das depotführende Institut. Hiermit sollten Missbräuche bei sogenannten Leerverkäufen verhindert werden (BT-Drs. 17/4510, 89 ff.). Die Änderungen in Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 3 S. 1 waren redaktionelle Folgeänderungen auf Grund der Einfügung der Nr. 1 a. Sie sind erstmals auf Kapitalerträge anzuwenden, die nach dem 31. Dezember 2011 zufließen (§ 52a Abs. 16b a. F.).

Durch das Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften -Amtshilferichtlinie-Umsetzungsgesetz (AmtshilfeRLUmsG) vom 26. Juni 2013 (BGBl. I 2013, 1809) wurden in § 43 EStG in Abs. 1 S. 1 Nr. 1a die Begriffe „Genussscheine“ und sonstige „Erträgnisscheine“ eingefügt. In Nr. 2 S. 3 wurde die entsprechende Anwendung der nach Nr. 1a geltenden Vorschriften für Teilschuldverschreibungen und Genussrechte bei bestimmten Verwahrungen nach dem DepotG angeordnet. Die Neuregelungen gelten für Kapitalerträge, die nach dem 31. Dezember 2012 zufließen, § 52a Abs. 16c S. 1 a. F. BMF v. 28.12.12 (BStBl. I 13, 53) war damit überholt.

Das Gesetz zur Anpassung des Investmentsteuergesetzes und anderer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsgesetz – AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz (AIFM-StAnpG) vom 18. Dezember 2013 (BStBl. I 2013, 4318) hat als redaktionelle Folgeänderung den durch das Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2011/61/EU über die Verwalter alternativer Investmentfonds - AIFM-Umsetzungsgesetz (AIFM-UmsG) vom 4. Juli 2013 (BGBl. I 2013, 1981) entfallenen Begriff der Kapitalanlagegesellschaft den neuen Begriff Kapitalverwaltungsgesellschaft bei § 43 EStG in Abs. 2 S. 2 eingefügt.

Durch das Gesetz zur Anpassung des nationalen Steuerrechts an den Beitritt Kroatiens zur EU und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften vom 25. Juli 2014 (BGBl. I S. 1266) (KroatienAnpG) vom 25. Juni 2014 (BGBl. I 2014, 1266) wurde in § 43 EStG in Abs. 1 Nr. 4 eine Ausnahmeregelung für den Steuerabzug für Kapitalerträge aus gebrauchten Lebensversicherungen eingeführt. § 20 Abs. 1 Nr. 6 EStG wurde durch das KroatienAnpG um eine Regelung ergänzt, wonach Kapitalerträge aus gebrauchten Lebensversicherungen steuerpflichtig sind. § 43 Abs. 1 Nr. 4 nimmt diese Erträge vom Steuerabzug aus, da kein Verweis auf die neuen S. 7 und 8 in § 20 Abs. 1 Nr. 6 erfolgt. In Abs. 1 Nr. 7 Buchst. b wurden die Begriffe „Kreditinstitut oder eines ausländischen Finanzdienstleistungsinstituts“ durch den Begriff „Unternehmen“ ersetzt. Die Änderung folgt der Änderung der §§ 53 und 53b des Gesetzes über das Kreditwesen (KWG), in denen nur noch der Begriff „Unternehmen“ verwendet wird.

Das Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen (VFinAModG) vom 1. April 2015 (BGBl. I 2015, 434) hat die europäische Solvency II-RL 2009/38/EG vom 25. November 2009 (Abl. EU L 335 S. 1) in nationales Gesetz umgesetzt. In § 43 wurde der bisherige Verweis auf §§ 106, 110a oder 110d des Gesetzes über die Beaufsichtigung der Versicherungsunternehmen (VAG) mit Wirkung ab 1.1.16 durch den redaktionellen Verweis auf §§ 61, 65 oder 68 VAG ersetzt (vgl. allgemein zu den Änderungen auch nach dem streitgegenständlichen Zeitraum: Werth und Jachmann-Michel in Brandis/Heuermann, § 32d Rn. 13 ff. und § 43 Rn. 28 ff.).

5. Weitere Entwicklungen

Im Jahr 2016 wurde vom Land Brandenburg eine Initiative für eine Entschließung des Bundesrates zur Abschaffung der Abgeltungsteuer gestartet. Ziel dieser Initiative war es, durch die Abschaffung der Abgeltungsteuer die Kapitaleinkünfte natürlicher Personen wieder dem persönlichen Einkommensteuersatz zu unterwerfen und damit eine gerechtere Besteuerung in Bezug auf die Kapitaleinkünfte natürlicher Personen zu schaffen. Am 23. Februar 2017 stimmt der Finanzausschuss des Bundesrats dem Vorschlag mit der Mehrheit von elf Ländern zu (Br.-Drs. 643/16; Dürr, BB 2017, 854).

Darüber hinaus hatten im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, 19. Legislaturperiode, 2018, Rz. 3106 (Koalitionsvertrag 19. Legislatur) die Regierungsparteien angekündigt:

„Die Abgeltungsteuer auf Zinserträge wird mit der Etablierung des automatischen Informationsaustausches abgeschafft; Umgehungstatbestände werden wir verhindern. An dem bisherigen Ziel der Einführung einer Finanztransaktionsteuer im europäischen Kontext halten wir fest“.

Konkrete Schritte zur Abschaffung des Abgeltungsteuersatzes wurden vom Gesetzgeber jedoch nicht eingeleitet.

Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN UND FDP, 20. Legislaturperiode sieht eine Abschaffung der Abgeltungsteuer nicht mehr vor.

6. Wortlaut der maßgeblichen Vorschriften im streitgegenständlichen Zeitraum

Für den streitgegenständlichen Zeitraum hatten die entscheidungserheblichen § 32d Abs. 1 EStG, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG und § 43 Abs. 5 EStG folgenden Wortlaut:

§ 32d Abs. 1 EStG:

„Die Einkommensteuer für Einkünfte aus Kapitalvermögen, die nicht unter § 20 Absatz 8 fallen, beträgt 25 Prozent. Die Steuer nach Satz 1 vermindert sich um die nach Maßgabe des Absatzes 5 anrechenbaren ausländischen Steuern. Im Fall der Kirchensteuerpflicht ermäßigt sich die Steuer nach den Sätzen 1 und 2 um 25 Prozent der auf die Kapitalerträge entfallenden Kirchensteuer. Die Einkommensteuer beträgt damit

e–4q

4+k

 

Dabei sind „e“ die nach den Vorschriften des § 20 ermittelten Einkünfte, „q“ die nach Maßgabe des Absatzes 5 anrechenbare ausländische Steuer und „k“ der für die Kirchensteuer erhebende Religionsgesellschaft (Religionsgemeinschaft) geltende Kirchensteuersatz“.

§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG:

„Bei den folgenden inländischen und in den Fällen der Nummern 6, 7 Buchstabe a und Nummern 8 bis 12 sowie Satz 2 auch ausländischen Kapitalerträgen wird die Einkommensteuer durch Abzug vom Kapitalertrag (Kapitalertragsteuer) erhoben:

1.

Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 1, soweit diese nicht nachfolgend in Nummer 1a gesondert genannt sind, und Kapitalerträgen im Sinne des § 20 Absatz 1 Nummer 2. Entsprechendes gilt für Kapitalerträge im Sinne des § 20 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 Buchstabe a und Nummer 2 Satz 2“

§ 43 Abs. 5 EStG:

„Für Kapitalerträge im Sinne des § 20, soweit sie der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, ist die Einkommensteuer mit dem Steuerabzug abgegolten; die Abgeltungswirkung des Steuerabzugs tritt nicht ein, wenn der Gläubiger nach § 44 Absatz 1 Satz 8 und 9 und Absatz 5 in Anspruch genommen werden kann. Dies gilt nicht in Fällen des § 32d Absatz 2 und für Kapitalerträge, die zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören. Auf Antrag des Gläubigers werden Kapitalerträge im Sinne des Satzes 1 in die besondere Besteuerung von Kapitalerträgen nach § 32d einbezogen. Eine vorläufige Festsetzung der Einkommensteuer im Sinne des § 165 Absatz 1 Satz 2 Nummer 2 bis 4 der Abgabenordnung umfasst auch Einkünfte im Sinne des Satzes 1, für die der Antrag nach Satz 3 nicht gestellt worden ist“.

II. Entwicklung der Abkommen im internationalen Steuerrecht

Seit jeher stellt die Besteuerung von Kapitaleinkünften den Gesetzgeber vor erhebliche Herausforderungen. Einerseits ist Kapitalvermögen mobil, andererseits sind den deutschen Behörden eigenständige Nachforschungen im Ausland schon wegen des Prinzips der strengen formellen Territorialität völkerrechtlich grundsätzlich untersagt (BVerfG-Beschluss vom 22. März 1983, 2 BvR 475/78, BVerfGE 63, 343; vgl. hierzu insgesamt Englisch a.a.O., S. 36ff.). Um die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörden zu verbessern, ist der Gesetzgeber auf den Abschluss von internationalen Abkommen angewiesen. Hier hat es aus Sicht der Finanzverwaltung in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gegeben.

Zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses war – insbesondere im Vergleich zur heutigen Situation – der Informationsaustausch in Steuersachen im Wege der internationalen Amtshilfe noch nicht ausreichend entwickelt und hat Steuerpflichtigen tatsächlich die Möglichkeit gegeben, Kapitalerträge nicht zu deklarieren (vgl. zu den Doppelbesteuerungsabkommen und anderen Abkommen im Steuerbereich: Bundesministerium der Finanzen – Themen – Steuern – Internationales Steuerrecht – Staatenbezogene Informationen https://www.bundesfinanzministerium.de/Web/DE/Themen/Steuern/Internationales_Steuerrecht/Staatenbezogene_Informationen/staatenbezogene_info.html).

1. Internationale Abkommen vor der Abgeltungsteuer

Bis zum Jahr 2008 war in knapp 30 der von der Bundesrepublik Deutschland abgeschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen eine Große Auskunftsklausel enthalten, in über 35 weiteren Abkommen eine kleine Auskunftsklausel und mit vier Staaten war ein bilaterales Amtshilfeabkommen vereinbart worden.

a. Doppelbesteuerungsabkommen von Deutschland mit anderen Ländern vor 2009

 

Ägypten: vom 8.12.1987

Kleine Auskunftsklausel

Algerien: vom 12.12.2007; in Kraft getreten 23.12.2008

Große Auskunftsklausel

Argentinien: vom 13.7.1978; in Kraft getreten 25.11.1979

Kleine Auskunftsklausel

Armenien: vom 24.11.1981

Kleine Auskunftsklausel

Aserbaidschan: vom 25.8.2004; in Kraft getreten 28.12.2005

Große Auskunftsklausel

Australien: vom 24.1.1972; in Kraft getreten 15.2.1975

Große Auskunftsklausel

Bangladesch: vom 29.5.1990; In Kraft getreten 21.2.1993

Kleine Auskunftsklausel

Belarus (Weißrussland): vom 30.9.2005; in Kraft getreten 21.12.2006

Große Auskunftsklausel

Belgien: vom 11.4.1967; in Kraft getreten 30.7.1969

Mit Zusatzabkommen vom 5.11.2002, in Kraft getreten 28.12.200, wurde eine große
Auskunftsklausel eingefügt (Art. 26)

Bolivien: vom 30.9.1992; in Kraft getreten 12.7.1995

Kleine Auskunftsklausel

Bosnien und Herzegowina: vom 26.3.1987

Kleine Auskunftsklausel

China: vom 10.6.1985; in Kraft getreten 14.5.1986

Kleine Auskunftsklausel

Dänemark: vom 22.11.1995; in Kraft getreten 25.12.1996

Große Auskunftsklausel

Ecuador: vom 7.12.1982; in Kraft getreten 25.6.1986

Kleine Auskunftsklausel

Elfenbeinküste: vom 3.7.1979; in Kraft getreten 8.7.1982

Kleine Auskunftsklausel

Estland: vom 29.11.1996; in Kraft getreten 30.12.1998

Große Auskunftsklausel

Finnland: vom 5.7.1979; in Kraft getreten 4.6.1982

Große Auskunftsklausel (Art. 26)

Frankreich: vom 21.7.1959; in Kraft getreten 4.11.1961
Zusatzabkommen vom 20.12.2001; in Kraft getreten 1.6.2003

Große Auskunftsklausel

Georgien: vom 1.6.2006; in Kraft getreten 21.6.2006

Kleine Auskunftsklausel

Ghana: vom 12.8.2004

Große Auskunftsklausel

Griechenland: vom 18.4.1966

Große Auskunftsklausel

Großbritannien: vom 26.11.1964; in Kraft getreten 21.12.2010

Große Auskunftsklausel (Art. 26)

Indien: vom 19.6.1995

Kleine Auskunftsklausel

Indonesien: vom 30.10.1990

Kleine Auskunftsklausel

Iran: vom 20.12.1968

Kleine Auskunftsklausel

Irland: vom 17.10.1962

Große Auskunftsklausel (Art. 26)

Island: vom 18.3.1971; in Kraft getreten 2.11.1973

Große Auskunftsklausel

Israel: vom 9.7.1962; in Kraft getreten 21.8.1966

Kleine Auskunftsklausel

Italien: vom 18.10.1989

Große Auskunftsklausel

Jamaika: vom 8.10.1974

Kleine Auskunftsklausel

Japan: vom 22.4.1966

Kleine Auskunftsklausel

Kanada: vom 17.7.1981

Große Auskunftsklausel

Kasachstan: vom 26.11.1997

Große Auskunftsklausel

Kenia: vom 17.5.1977

Kleine Auskunftsklausel

Kirgisistan: vom 1.12.2005

Kleine Auskunftsklausel

Korea: vom 10.3.2000

Große Auskunftsklausel

Kroatien: vom 6.2.2006

Große Auskunftsklausel

Kuwait: vom 4.12.1987; Änderung 18.5.1999

große Auskunftsklausel

Lettland: vom 21.2.1997

Große Auskunftsklausel

Liberia: vom 25.11.1970

Große Auskunftsklausel

Luxemburg: vom 23.8.1958

        

Marokko: vom 7.6.1972

Kleine Auskunftsklausel

Mexiko: vom 23.2.1993

Kleine Auskunftsklausel

Moldau: vom 24.11.1981

DBA mit UdSSR gilt fort
Kleine Auskunftsklausel

Mongolei: vom 11.8.1994

Kleine Auskunftsklausel

Namibia: vom 21.3.1993

Kleine Auskunftsklausel

Neuseeland: vom 20.10.1978

Große Auskunftsklausel

Niederlande: vom 16.6.1959

Große Auskunftsklausel (Art. 25)

Norwegen: vom 4.10.1991

Große Auskunftsklausel

Pakistan: vom 14.7.1994

Kleine Auskunftsklausel

Philippinen: vom 22.7.1983

Kleine Auskunftsklausel

Polen: vom 14.5.2003

Große Auskunftsklausel

Portugal: vom 15.7.1980

Große Auskunftsklausel

Rumänien: vom 4.7.2001

Große Auskunftsklausel

Russische Föderation: vom 29.5.1996; Änderungsprotokoll vom 15.10.2007

Große Auskunftsklausel

Sambia: vom 30.5.1973

Kleine Auskunftsklausel

Serbien: vom 26.3.1987

DBA mit UdSSR gilt fort
Kleine Auskunftsklausel

Schweden: vom 14.7.1992

Große Auskunftsklausel (Art. 25)

Schweiz: vom 11.8.1971

- kleine Auskunftsklausel in (Art. 27)
- mit dem Revisionsprotokoll vom 12.3.2002 (BStBl. I 2003, 165): Erweiterung auf die Durchführung des innerstaatlichen Rechts bei Betrugsdelikten

Simbabwe: vom 22.4.1988

Kleine Auskunftsklausel

Singapur: vom 28.6.2004

Kleine Auskunftsklausel

Slowakei: vom 19.12.1980

DBA mit Tschechoslowakei gilt fort
Kleine Auskunftsklausel

Sri Lanka: vom 13.9.1979

Kleine Auskunftsklausel

Südafrika: vom 25.1.1973

Kleine Auskunftsklausel

Tadschikistan: vom 27.3.2003

Große Auskunftsklausel

Thailand: vom 10.7.1967

Kleine Auskunftsklausel

Trinidad und Tobago: vom 4.4.1973

Kleine Auskunftsklausel

Tschechien: vom 19.12.1980

DBA mit Tschechoslowakei gilt fort
Kleine Auskunftsklausel

Tunesien: vom 23.12.1975

Kleine Auskunftsklausel

Turkmenistan: vom 24.11.1981

DBA mit UdSSR gilt fort
Kleine Auskunftsklausel

Ukraine: vom 3.7.1995

Kleine Auskunftsklausel

Usbekistan: vom 7.9.1999

Große Auskunftsklausel

Venezuela: vom 8.2.1995

Kleine Auskunftsklausel

Vietnam: vom 16.11.1995

Große Auskunftsklausel

b. Bilaterale Amtshilfeabkommen vor 2009

 

Finnland: vom 25.9.1935; Wiederanwendung 1.1.1953

Über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Steuersachen Informationshilfe, Beitreibungshilfe und Zustellungshilfe ESt

RStBl. I 1936, 94

Italien: vom 9.6.1938; Wiederanwendung 1.10.1954

Über Amts- und Rechtshilfe in Steuersachen Informationshilfe, Beitreibungshilfe und Zustellungshilfe ESt

        

Niederlande: vom 21.5.1999; in Kraft getreten: 23.6.2001

Über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Bekanntgabe von Schriftstücken

        

Österreich: vom 4.10.1954; in Kraft getreten: 26.11.1955

Über Rechtsschutz und Rechtshilfe in Abgabensachen

        

c. Weitere Abkommen

Problematisch war, dass es gerade im Verhältnis zu typischen Steueroasen häufig am Abschluss eines entsprechenden Abkommens fehlte (so etwa mit Liechtenstein), oder dass es für die ausländischen Behörden keine abkommensrechtliche Verpflichtung zu Nachforschungen zugunsten der deutschen Finanzbehörden gab (vgl. z.B. Art. 23 II des DBA Luxemburg 1958).

Weiterhin war auch bei Vereinbarung einer kleinen oder großen Auskunftsklausel grundsätzlich ein Vorbehalt zugunsten eines etwaigen nationalen Bankgeheimnisses enthalten. Außerdem wurden besteuerungsrelevante Informationen regelmäßig nicht automatisch, sondern nur auf Anfrage weitergegeben.

Eine gewisse Ausnahme stellte innerhalb der Europäischen Union die EU-Zinsrichtlinie (Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 3.6.2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen) dar.

Allerdings hatte auch sie noch zahlreiche Lücken in ihrem Anwendungsbereich und drei Mitgliedstaaten mit traditionell stark ausgeprägtem Bankgeheimnis (Belgien, Luxemburg und Österreich) nahmen nicht am internationalen Informationsaustausch teil. Stattdessen hatten sich diese Länder in der Richtlinie lediglich zu einem Quellensteuerabzug verpflichtet (BStBl. I 2016, 76ff.; Englisch a.a.O., S. 37).

 

aa. EU-Zinsrichtlinie (2003/48/EG)
Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung
· Vom 3.6.2003; seit dem 1.7.2005 angewendet
· Rechtsrahmen für den automatischen Informationsaustausch über Zinszahlungen an natürliche Personen
· Umsetzung in nationales Recht erfolgte gem. § 45e EStG auf Basis der Zinsinformationsverordnung
· Möglichkeit eines Quellensteuereinbehalts wurde von Österreich, Luxemburg und Belgien in Anspruch genommen.
· Lücken und Unzulänglichkeiten wurden schon sehr bald bemängelt

bb. Multilaterals Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen
· Vom Europarat und der OECD ausgearbeitet; 1987 verabschiedet, in Kraft getreten: 1.4.1995
· Deutschland hat das Abkommen am 17.4.2008 unterzeichnet, bis heute noch keine Ratifizierung
· Weltweiter Informationsaustausch, Unterstützung bei der Steuerbeitreibung und bei Zustellungen sowie zeitlich abgestimmte Betriebsprüfungen

cc. EG-Richtlinie über gegenseitige Amtshilfe im Bereich der direkten Steuern
· vom 19.12.1977
· verpflichtet die Mitgliedstaaten zur Informationshilfe bei der Festsetzung (nicht die Erhebung) der Steuern vom Einkommen, Ertrag und Vermögen
· Umsetzung in nationales Recht durch EG-Amtshilfe-Gesetz

dd. EG-Zusammenarbeits-Verordnung im Bereich der MwSt (EG Nr. 1798/2003)
Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden auf dem Gebiet der MwSt
· vom 7.10.2003, in Kraft getreten am 1.1.2004 (bis 31.12.2011)
· innereuropäische Kooperation für Zwecke der Umsatzbesteuerung
· Ablehnung des Amtshilfeersuchens möglich, wenn die Auskunftserteilung gegen die gesetzlichen Vorschriften des ersuchten Mitgliedstaates verstößt.

ee. EG-Beitreibungsrichtlinie 76/308/EWG

2. Internationale Abkommen seit Einführung der Abgeltungsteuer bis zum Streitjahr 2016

Seit dem Inkrafttreten der Abgeltungsteuer bis zum letzten Streitjahr 2016 hat es erhebliche Entwicklungen auf dem Gebiet des internationalen Informationsaustausches in Steuersachen gegeben (Marquardt/Betzinger, BB 2014, 3033; zum ganzen Englisch, a.a.O. S. 39 ff.).

a. Überblick über die Entwicklung

Zunächst gab es seitens der OECD, der G20 und des „Global Forum über Transparenz und Informationsaustausch für Steuerzwecke“ (Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes; im Folgenden: Global Forum) Bemühungen, Standards zum verbesserten internationalen Auskunftsaustausch zu etablieren und durchzusetzen. Die OECD hatte ihren Mitgliedstaaten bereits mit der Revision ihres Musterabkommens im Jahr 2005 verschärfte Regelungen zum internationalen Informationsaustausch zur Aufnahme in bilaterale Abkommen empfohlen. Auskünfte sollten danach auf Anfrage auch dann erteilt werden, wenn der übermittelnde Mitgliedstaat kein eigenes Interesse daran hatte oder wenn sich die relevanten Informationen bei einer Bank, einem sonstigen Finanzinstitut, einem Bevollmächtigten, Vertreter oder Treuhänder befanden oder sich auf Eigentumsanteile einer Person bezogen. Damit sollte insbesondere das Bankgeheimnis als Hindernis für den Informationsaustausch eliminiert und Briefkastengesellschaften sowie ähnliche Konstrukte aufgedeckt werden können. Bis zum Jahr 2008 wurden aber weltweit nur 136 Abkommen nach einem solchen Standard abgeschlossen (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 31).

Dies änderte sich schlagartig, nachdem die Staats- und Regierungschefs der G20-Mitgliedstaaten im Jahr 2009 unter dem Eindruck der Finanzkrise und der verschärften öffentlichen Wahrnehmung weit verbreiteter Steuerhinterziehung die Bekämpfung derselben zu einer gemeinsamen Priorität auf ihrer politischen Agenda machten (Englisch, a.a.O. S. 40). Das Global Forum wurde daraufhin noch in demselben Jahr umbenannt und in eine Vereinigung mit globaler Mitgliedschaft zur Umsetzung der Vorgaben für den effektiven Informationsaustausch umgebaut (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 24). Seine Aktivitäten und der dahinterstehende politische Druck haben dazu geführt, dass sich die Zahl der zwischenstaatlichen Amtshilfebeziehungen, die den OECD-Standards für Informationsaustausch von 2005 entsprachen, in weniger als sechs Jahren von 136 auf ca. 3000 weltweit mehr als verzwanzigfacht hat (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 31. 138).

Dies wurde einerseits durch den Abschluss von Steuerauskunftsabkommen (Tax Information Exchange Agreements; kurz TIEA) erreicht. Die OECD hat im Jahr 2002 ein Musterabkommen für den Abschluss von TIEA veröffentlicht. Das TIEA-MA ist das Ergebnis der Arbeit der OECD Global Forum Working Group on Effective Exchange of Information und soll der Eindämmung von sogenannten Steueroasen dienen. Der Abschluss von speziellen TIEA, die bi- oder gar multilaterale Verträge sind, bieten sich vor allem gegenüber solchen Staaten an, mit denen (jedenfalls bisher) kein DBA abgeschlossen worden ist und keine Auskunftsklausel i.S. des Art. 26 OECD-MA greift (Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung § 117 Rz. 41ff.).

Andererseits sind immer mehr Staaten – darunter etwa auch Österreich, Luxemburg, die Schweiz und Singapur – zur 2010 auf den OECD-Standard gebrachten multilateralen Konvention für gegenseitige administrative Hilfe bei Steuerfragen (Convention on Mutual Administrative Assistance in Tax Matters) beigetreten (Stand 21. Januar 2015 ca. 85 Staaten; Stand 22. Dezember 2021 144 Staaten; http://www.oecd.org/tax/exchange-of-tax-information/Status_of_convention.pdf).

Speziell Deutschland hat im Zeitraum 2009 bis 2016 insgesamt 18 Steuerauskunftsabkommen – so gut wie ausschließlich mit traditionellen Steueroasen – abgeschlossen (Stand heute 22 TIEA-abkommen; Seer in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, § 117, Rz. 45). Außerdem sind in diesem Zeitraum über 20 Doppelbesteuerungsabkommen neu abgeschlossen oder geändert worden und enthalten nunmehr eine große Auskunftsklausel nach dem neuen OECD-Standard. Als besonders wichtig aus deutscher Sicht sind hier die Revisionen der Abkommen mit Belgien, Luxemburg, Österreich und der Schweiz zu nennen. Ergänzend zur rechtlichen Absicherung des neuen Standards hat das Global Forum bis Ende 2014 unter seinen inzwischen 126 Mitgliedern insgesamt 150 sogenannten Peer Reviews durchgeführt, um die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen in der Vollzugspraxis sicherzustellen. Die untersuchten Mitgliedsländer sind der Vorgabe der Abschaffung eines zuvor etwa bestehenden Bankgeheimnisses im Wesentlichen nachgekommen („compliant“ oder „largely compliant“), und für immerhin 95 % gilt dies auch hinsichtlich der effektiven Handhabung von Amtshilfeanfragen. Weiterhin wurden in schwächer entwickelten Staaten Schulungen durchgeführt und technischer Beistand geleistet. Zahlreiche Mitgliedstaaten haben die neuen Möglichkeiten der Auskunftserlangung zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung bereits 2014 als in der Praxis bewährt angesehen (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 24, 27, 32).

Diese Einschätzung hat auch die deutsche Finanzverwaltung schon im Jahr 2014 geteilt. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. Meister hat im Dezember 2014 auf die schriftliche Frage der Abgeordneten Gesine Lötzsch mitgeteilt, dass sich die Bundesregierung mit Nachdruck für die weltweite Durchsetzung des OECD-Standards für den Informationsaustausch einsetzen würde. Deutschland habe zahlreiche Abkommen mit wichtigen Finanzzentren geschlossen, die einen Informationsaustausch entsprechend dem OECD-Standard ermöglichen würden. Die hierdurch mögliche Aufklärung grenzüberschreitender Sachverhalte trage „wesentlich dazu bei, dass Deutschland seinen Besteuerungsanspruch sichern“ könne (BT-Drs. 18/3672, S. 34).

Darüber hinaus gab es auf Druck der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) weitere Erfolge bei der Etablierung des automatischen Informationsaustauschs als neuen globalen Standard. Ihren Ausgangspunkt nahm diese Entwicklung mit der Verabschiedung des „Foreign Account Tax Compliance Act“ (FATCA) durch den US-amerikanischen Gesetzgeber im Jahr 2010. Ziel dieses Gesetzes war es, ausländische Finanzinstitute unter Androhung fiskalischer Nachteile dazu zu bewegen, den US-Finanzbehörden Auskunft über die bei ihnen unterhaltenen Konten und Depots von US Bürgern zu erteilen. Im Jahr 2012 verständigten sich fünf europäische Länder – darunter Deutschland – mit den USA darauf, einen entsprechenden automatischen und nunmehr beidseitigen Informationsaustausch in bilateralen Vereinbarungen („Intergovernmental Agreements“, kurz IGA) vorzusehen.

Dies wiederum war Anlass für die Staats- und Regierungschefs der G20-Mitgliedstaaten, sich im Jahr 2013 für die Schaffung eines globalen Standards nach dem Vorbild der FATCA-IGAs auszusprechen und die OECD mit dessen Ausarbeitung zu betrauen. Dieser Standard wurde im Juli 2014 von der OECD fertiggestellt und nachfolgendend von den G20 gebilligt. Er beinhaltet zwei Musterabkommen zum automatischen Informationsaustausch auf der Basis sogenannter „Common Reporting Standards“ (CRS), die sich ihrerseits an die FATCA-Vorgaben anlehnen. Danach ist vorgesehen, dass die teilnehmenden nationalen Finanzbehörden Angaben zu Zinsen, Dividenden und ähnlichen Kapitalerträgen, zu Veräußerungsgewinnen und bestimmten Versicherungserträgen sowie zu Kontosalden von in ihrem Staat niedergelassenen, genau spezifizierten Finanzdienstleistungsunternehmen erhalten. Ebenso sind von ihnen Angaben zum wirtschaftlichen Eigentümer der jeweiligen Kapitalanlage zu machen, um diesen insbesondere bei Briefkastengesellschaften, Trusts, u.ä. zu identifizieren. Diese Informationen sind kraft nationaler Umsetzungsgesetze zeitnah nach Ablauf eines Jahres bereitzustellen und sollen dann jährlich und ebenfalls zeitnah an die teilnehmenden Ansässigkeitsstaaten der jeweiligen Steuerpflichtigen weitergeleitet werden.

Im Rahmen der Siebten Jahrestagung der Mitglieder des Global Forum im Oktober 2014 hatten sich alle 101 teilnehmenden Staaten zum neuen Standard für einen automatischen steuerlichen Austausch von Informationen zu Finanzkonten bekannt (Marquardt/Betzinger, BB 2014, 3033; Englisch a.a.O., S. 42f). Darüber hinaus hatten bereits damals 90 Staaten zugesagt, diesen Standard rasch in nationales Recht umsetzen zu wollen; 56 davon (die sogenannten „early adopters“) wollten ab September 2017 mit dem automatischen Datenaustausch beginnen, die übrigen bis spätestens Ende 2018 (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 38).

Außerdem hatten anlässlich der Jahrestagung des Global Forum in Berlin am 29. Oktober 2014 51 Staaten, darunter Deutschland, ein multilaterales Abkommen unterzeichnet (das „Multilateral Competent Authority Agreement“, kurz MCAA), welches die Implementierung der Standards bis zum Jahr 2017 völkerrechtlich verbindlich festgeschrieben hat (BMF, Monatsbericht November 2014, S. 36). Zudem wurde das Global Forum mandatiert, die Implementierung der CRS zu überwachen und dabei erforderlichenfalls auch zu assistieren (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 39). Damit sollte spätestens ab 2018 ein weltweit anerkannter und praktizierter Standard für den automatischen Informationsaustausch betreffend privater Kapitalerträge zur Verfügung stehen und auch effektiv durchgesetzt werden. Dies ausdrücklich auch in nahezu allen bisherigen Steueroasen und in fast allen international relevanten Finanzzentren.

Die Effektivität des neuen Auskunftsmechanismus zur Bekämpfung von Steuerhinterziehung bei privaten Kapitalerträgen wurde schon 2014 sowohl von der OECD als auch vom deutschen Bundesfinanzministerium überaus positiv beurteilt. So zog die OECD Ende 2014 folgendes Fazit:

„Strict banking secrecy for tax purposes which existed five years ago is no longer part of any Global Forum members’ legislation. Automatic exchange of information of financial accounts which might have been considered unimaginable five years ago is being introduced in almost all of the world's major financial centres. Exchange of information will now rest on two mutually reinforcing pillars EOIR and AEOI, significantly reducing the scope for international tax evasion. The provisions on fiscal transparency are also becoming increasingly strict. The pressure is on all countries to show that they can obtain beneficial ownership information. As a result, the risk of shell companies or other similar arrangements to evade tax will be further reduced. The standards are now in place and there should no longer be any safe hiding places for tax evaders” (OECD, Global Forum on Transparency and Exchange of Information for Tax Purposes, Tax Transparency 2014, Report on Progress, S. 51).

Das Bundesfinanzministerium war im November 2014 ebenfalls von der Effektivität der multinationalen Vereinbarung überzeugt:

„Dieses bisher einzigartige internationale Abkommen dieser Art wird die Bekämpfung der Steuerhinterziehung rund um den Globus signifikant voranbringen. Durch den ab 2017 jährlich stattfindenden automatischen Austausch von Steuerinformationen wird es für die Finanzbehörden künftig deutlich einfacher, steuerrelevante Informationen aus dem Ausland zu erhalten und so dazu beizutragen, dass eine gleichmäßige Besteuerung erfolgt. Die Chance für Steuerhinterzieher, Einkommen vor dem Fiskus zu verbergen, wird damit in Zukunft erheblich geringer. Das Bankgeheimnis in seiner bisherigen Form gehört insoweit der Vergangenheit an“. „Auf dem Gebiet des steuerlichen Informationsaustauschs wurden in den vergangenen Jahren gewaltige Fortschritte erzielt“ (BMF, Monatsbericht November 2014, S. 36, 39).

Parallel dazu hatten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der EU im Frühjahr 2014 beschlossen, die EU-Zinsrichtlinie zu verschärfen (Richtlinie 2014/48/EU v. 24.3.2014 zur Änderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen). Die angepasste Richtlinie verpflichtete zur automatischen Meldung nicht nur von Zinserträgen, sondern auch von anderen im Wesentlichen gleichwertigen Kapitalerträgen einschließlich bestimmter Lebensversicherungserträge. Außerdem wurde der Kreis meldepflichtiger Investmentfondserträge weitergezogen. Um Umgehungen vorzubeugen, sollte außerdem in bestimmten, hinterziehungsträchtigen Konstellationen der wirtschaftliche Eigentümer mitgeteilt werden müssen, wenn es sich dabei um eine vom zivilrechtlichen Bezieher der Einkünfte unterschiedliche Person handelt. Anzuwenden waren die neuen Vorgaben ab dem 1.1.2017. Von da an hat sich auch Österreich am automatischen Informationsaustausch beteiligt. Belgien war dazu bereits am 1.1.2010, Luxemburg zum 1.1.2015 übergegangen (Englisch, a.a.O. S. 45f.).

b. Doppelbesteuerungsabkommen von Deutschland mit anderen Ländern seit 2009

 

Albanien: vom 5.12.2011; in Kraft getreten 23.12.2011

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Große Auskunftsklausel

BStBl. I 2012, 292

Belgien: Änderung vom 21.1.2010; bislang nicht in Kraft getreten

Änderung des DBA aus dem Jahr 1967
Große Auskunftsklausel: nationales Bankgeheimnis hindert die Auskunftserteilung nicht mehr

        

Bulgarien: vom 24.1.2010; in Kraft getreten 21.12.2010

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen
Große Auskunftsklausel

BGBl. II 2010, 1286

China: vom 28.3.2014; in Kraft getreten 6.4.2016

Einfügung einer großen Auskunftsklausel (Art. 26)

BGBl. II 2015, 1647

Costa-Rica: vom 13.2.2014; in Kraft getreten 10.8.2016

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und Vermögen
Große Auskunftsklausel in Art. 26

BGBl. II 2014, 917

Irland: vom 30.3.2011; in Kraft getreten 28.11.2012

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuer
Ersetzt das DBA vom 17.10.1962
Große Auskunftsklausel

BStBl. I 2013, 487

Jersey: vom 4.7.2008; in Kraft getreten 28.8.2009

Über die Zusammenarbeit in Steuersachen und die Vermeidung der Doppelbesteuerung bei bestimmten Einkünften (begrenztes DBA)
Keine Auskunftsklausel

BStBl. I 2010, 174

Liechtenstein: vom 17.11.2011; in Kraft getreten 19.12.2012

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern
Große Auskunftsklausel (entspricht Art. 26 OECD-MA 2012): nationales Bankgeheimnis hindert einen die Auskunftserteilung nicht
Anwendung grds. ab 1.1.2013

BGBl. II 2012, 1462

Luxemburg: Änderung vom 23.4.2012; in Kraft getreten 30.9.2013

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerhinterziehung
Große Auskunftsklausel: nationales Bankgeheimnis hindert die Auskunftserteilung nicht mehr

BGBl. II 2012, 1403

Malaysia: vom 23.2.2010; in Kraft getreten 21.12.2010

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Durch Änderungsprotokoll wurde das Abkommen von 1977 um eine große Auskunftsklausel (Art. 26) ergänzt

BStBl. I 2011, 329

Malta: vom 17.6.2010; in Kraft getreten 19.5.2011

Durch Änderungsprotokoll vom 17.6.2010 wurde das Abkommen von 2001 um eine große Auskunftsklausel ergänzt

BGBl. II 2011, 275

Mauritius: vom 7.10.2011; in Kraft getreten 7.12.2012

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Große Auskunftsklausel (Art. 26)

BGBl. II 2012, 1050

Mazedonien: vom 13.7.2006; in Kraft getreten 29.11.2010

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und vom Vermögen
Große Auskunftsklausel

BStBl. I 2011, 313

Österreich: Änderung vom 29.12.2010; in Kraft getreten 1.3.2012

Änderung des DBA aus dem Jahr 2000
Große Auskunftsklausel: nationales Bankgeheimnis hindert die Auskunftserteilung nicht mehr

BStBl. I 2012, 366

Schweiz: Änderung vom 27.10.2010; in Kraft getreten 21.11.2011

Mit Protokoll v. 27.10.2010 wurde insbes. eine große Auskunftsklausel ohne Bankgeheimnis- und Strafbarkeitsvorbehalt (Art. 27) eingeführt nach dem Vorbild des Art. 26 OECD-MA 2005
das Schweizer Bankgeheimnis ist damit keine Hürde mehr für die deutschen Steuerfahnder
auf Besteuerungszeiträume ab 1.1.2011 anwendbar.

BStBl. I 2012, 512

Slowenien: vom 17.5.2011; in Kraft getreten 30.7.2012

Ersetzt das DBA aus dem Jahr 2006
Große Auskunftsklausel

BGBl. II 2012, 154

Spanien: vom 3.2.2011; in Kraft getreten 3.2.2011

Ersetzt das DBA aus dem Jahr 1966
Große Auskunftsklausel

BGBl. II 2012, 18

Syrien: vom 17.2.2010; in Kraft getreten 30.12.2010

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Große Auskunftsklausel (Art. 25)

BStBl. I 2011, 345

Türkei: vom 19.9.2011; in Kraft getreten 1.8.2012

Ersetzt das DBA aus dem Jahr 1985
Große Auskunftsklausel

BGBl. II 2012, 526

Ungarn: vom 28.2.2011; in Kraft getreten 30.11.2011

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und vom Vermögen
Große Auskunftsklausel

BStBl. I 2012, 155

Uruguay: vom 9.3.2010; in Kraft getreten 28.12.2011

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern von Einkommen und vom Vermögen
ersetzt das DBA aus dem Jahr 1987
Große Auskunftsklausel (Art. 25)

BStBl. I 2012, 350

Vereinigte Arabische Emirate: vom 1.7.2010; In Kraft getreten 14.7.2011

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen
Ersetzt das DBA aus dem Jahr 1995
Große Auskunftsklausel (Art. 25)

BStBl. I 2011, 942

Vereinigte Staaten: Neufassung vom 4.6.2008

Große Auskunftsklausel seit 2006

BGBl. II 2008, 611

Vereinigtes Königreich: vom 30.3.2010; in Kraft getreten 30.12.2010

Große Auskunftsklausel

BGBl. II 2010, 1333

Zypern: vom 18.2.2011; in Kraft getreten 16.11.2011

Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen
Große Auskunftsklausel

BStBl. I 2012, 222

 

c. Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe und des Informationsaustausches Tax Information Exchange Agreements – TIEA

Ergebnis der Arbeit der OECD Global Forum Working Group on Effective Exchange of Information

-es sollen insbesondere sogenannte Steueroasen eingedämmt werden

-Abschluss von speziellen TIEA bietet sich vor allem gegenüber solchen Staaten an, mit denen kein DBA abgeschlossen worden ist und auch keine Auskunftsklausel iSd. Art. 26 OECD-MA greift.

-Ausschließlich auf Ersuchensauskünfte beschränkt; lässt weder Spontanauskünfte noch automatische Auskünfte zu

-Art. 5 IV,7 II 2 TIEA-MA schließen ein amtshilfefestes Bankgeheimnis aus; Amtshilfe scheitert auch nicht an Eigentumsverhältnisse verdunkelnden Treuhandverhältnissen (Seer in Tipke/Kruse, § 117 AO Rn. 41ff.)

 

Anguilla: vom 19.3.2010; in Kraft getreten 11. 4.2011

Steuerlicher Informationsaustausch

BStBl. I 2012, 100

Antigua und Barbuda: vom 19.10.2010; in Kraft getreten 30.5.2012

Informationsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2013, 760

Bahamas: vom 9.4.2010; in Kraft getreten 12.12.2011

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BStBl. I 2012, 268

Bermuda: vom 3.7.2009; in Kraft getreten 6.12.2012

Auskunftsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2013, 692

Britische Jungferninseln: vom 5.10.2010; in Kraft getreten 4.12.2011

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BStBl. I 2012, 283

Caymand Islands: vom 27.5.2010; in Kraft getreten 20.8.2011

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BStBl. I 2011, 841

Cookinseln: vom 3.4.2012; in Kraft getreten 11.12.2013

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BGBl. II 2014, 102

Dominica: vom 21.9.2010; noch nicht in Kraft getreten

Informationsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2011, 521

Gibraltar: vom 13.8.2009; in Kraft getreten 4.11.2010

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch

BStBl. I 2011, 521

Guernsey: vom 26.3.2009; in Kraft getreten 22.12.2010

Auskunftsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2011, 514

Insel Man: vom 2.3.2009; in Kraft getreten 5.11.2010

Abkommen über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Auskunftsaustausch

BStBl. I 2011, 503

Liechtenstein: vom 2.9.2009; in Kraft getreten 28.10.2010

Über die Zusammenarbeit und den Informationsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2011, 286

Monaco: vom 27.7.2010; in Kraft getreten 9.12.2011

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BGBl. II 2012, 1321

Montserrat: vom 28.10.2011; in Kraft getreten 3.1.2014

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafrecht durch Informationsaustausch

BGBl. II 2014, 514

San Marino: vom 21.6.2010; in Kraft getreten 23.12.2011

Abkommen über die Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BStBl. I 2013, 684

St. Lucia: vom 18.6.2010; in Kraft getreten 28.2.2013

Informationsaustausch in Steuersachen

BStBl. I 2013, 760

St. Vincent und Grenadinen: vom 29.3.2010; in Kraft getreten 7.6.2011

Unterstützung in Steuer- und Steuerstrafsachen durch Informationsaustausch

BStBl. I 2011, 777

Turks- und Caicoinseln: vom 4.6.2010; in Kraft getreten 25.11.2011

Steuerlicher Informationsaustausch

BStBl. I 2012, 275

 

d. Foreign Account Tax Compliance Act – FATCA

 

USA: vom 31.3.2013; in Kraft getreten 11.12.2013

Abkommen zwischen Deutschland und den USA zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten und hins. der als Gesetz über die Steuerehrlichkeit bzgl. Auslandskonten benannten US-amerikanischen Informations- und Meldebestimmungen
FATCA-USA-Umsetzungsverordnung vom 23.7.2014
-Automatischer Informationsaustausch zur Förderung der Steuerehrlichkeit bei internationalen Sachverhalten
-Finanzinstitute (Verwahrinstitute, Einlageinstitute, Investmentunternehmen, spezifizierte Versicherungsgesellschaften) müssen die benötigten Daten erheben und an das Bundeszentralamt für Steuern übermitteln

BGBl. I 2014, 1222

 

e. Weitere multilaterale Abkommen

aa. EU-Zusammenarbeits-Richtlinie (RiLi 2011/16/EU)

Richtlinie über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden im Bereich der Besteuerung

- vom 15.2.2011

-Umsetzung in nationales Recht durch EUAHiG mit Wirkung vom 1.1.2013 (BGBl. I 2013, 1809)

-Gilt nur für den Auskunftsverkehr zwischen den EU-Staaten

-Instrumente: Auskunftserteilung auf Ersuchen, spontane Übermittlung von besteuerungsrelevanten Informationen ohne Ersuchen; ab 1.1.2015 automatische Auskunftserteilung für Besteuerungszeiträume ab 1.1.2014

-Grds. anwendbar auf alle Steuern, Ausnahme: Umsatzsteuer, Zölle und besondere Verbrauchsteuern

-Art. 18 II, III der RiLi schließt ein amtshilfefestes Bank- und Treuhandgeheimnis aus (betrifft Besteuerungszeiträume ab 2011)

-§ 4 V EUAHiG – Umsetzung des Art. 18 II der RiLi: nach nationalem Recht bestehende Bankgeheimnisse sind kein Geschäftsgeheimnis (mehr), auf das die Ablehnung eines Auskunftsersuchens gegründet werden könnte

bb. EU-MwSt-Zusammenarbeits Verordnung (EU Nr. 904/2010)

Verordnung des Rates über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (ABl. EU Nr. L 268, 1)

- vom 7.10.2010, in Kraft getreten am 1.1.2012

-verpflichtet die Mitgliedstaaten auf Ersuchen hin untereinander zu Einzelauskünften und automatische Auskünfte

-Elektronischer automatischer Auskunftsverkehr

-Einrichtung des Netzwerks „Eurofisc“

cc. Multilateral Competent Authority Agreement – MCAA

-Multilaterale Vereinbarung über den automatischen Informationsaustausch in Steuersachen vom 29.10.2014

-51 teilnehmende Staaten und Jurisdiktionen

-Die Schweiz hat das Abkommen am 19.11.2014 unterzeichnet, am 14.1.2015 eröffnet der Bundesrat die Vernehmlassung zum MCAA-Gesetz, Bankgeheimnis für Ausländer in der Schweiz wird damit wegfallen

-Jährlich stattfindender automatischer Austausch von Steuerinformationen ab September 2017

-Auszutauschende Informationen: Kontosalden, wirtschaftliche Berechtigte, Zinsen, Dividenden, Veräußerungsgewinne aus Finanzwerten

dd. Standard für den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten – OECD

-Von der OECD gemeinsam mit den G20-Staaten in Zusammenarbeit mit der EU entwickelt.

-Bereits über 80 Länder haben sich zur Umsetzung und Anwendung dieses Standards verpflichtet

-Staaten beschaffen sich bestimmte Informationen von bei ihnen bestehenden Finanzinstituten und tauschen diese Daten jährlich mit den anderen Staaten aus:

-Zu den meldepflichtigen Daten gehören u.a. auch Kapitalerträge

-Gemeinsamer Meldestandard muss in nationales Recht umgesetzt werden.

ee. EU-Zinsbesteuerungsrichtlinie (RiLi 2014/48/ EU) als Erweiterung der RiLi 2003/48/EG

Richtlinie zur Änderung der Richtlinie 2003/48/EG im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen

-Erweiterung vom 24.3.2014

-Muss bis zum 1.1.2016 in nationales Recht umgesetzt und ab 2017 angewendet werden Wesentliche Erweiterungen durch die Änderung im März 2014:

-Einführung eines Transparenzansatzes auf der Grundlage der Sorgfaltspflicht bei der Feststellung der Kundenidentität. Dies verhindert die Umgehung der Richtlinie durch Einschaltung juristischer Personen (z. B. einer Stiftung) oder Einrichtungen (z. B. eines Fonds) in Nicht-EU-Ländern, die keine wirksame Besteuerung der zwischengeschalteten Rechtspersonen und Einrichtungen und deren Einkünfte und Erträge aus unter die Richtlinie fallenden Finanzprodukten gewährleisten;

-präzisere Regelungen zur Vermeidung der Umgehung der Richtlinie durch eine zwischengeschaltete juristische Person (z. B. eine Stiftung) oder Einrichtung (z. B. ein Fonds) in einem EU-Land. Diese Regelungen umfassen auch die Berichterstattung durch diese juristische Person bzw. Einrichtung;

-Ausweitung des sachlichen Geltungsbereichs der Richtlinie auf Finanzprodukte, die zwar ähnliche Merkmale aufweisen wie Forderungen (z. B. festverzinsliche Wertpapiere und Lebensversicherungsanlageprodukte), aber rechtlich nicht als solche eingestuft sind;

-Einbeziehung aller relevanten Erträge aus Investmentfonds innerhalb und außerhalb der EU (wie in der aktuellen Fassung der Richtlinie) in die durch Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren gemäß der Richtlinie 85/611/EWG („OGAW“) erzielten Erträge.

ff. Multilaterales Übereinkommen über gegenseitige Amtshilfe in Steuersachen (Amtshilfeübereinkommen)

-Ergänzung durch Zusatzprotokoll von 2010: Auskunftsklausel entsprechend Art. 26 OECDMA 2005

-85 Unterzeichnerstaaten

-Deutschland hat das Abkommen im Jahr 2008 unterzeichnet und am 28.08.2015 ratifiziert. Inkrafttreten: 1.12.2015

-Die Schweiz hat das Abkommen am 15.10.2013 unterzeichnet

3. Internationale Zusammenarbeit seit 2016

Auch nach dem letzten Streitzeitraum (somit ab 2016) haben sich zahlreiche Entwicklungen auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit und der Bekämpfung von Steuervermeidung und -hinterziehung ergeben. Dies betrifft insbesondere den Bereich der Unternehmensteuern.

Hervorzuheben ist hierbei der BEPS-Aktionsplan (Base Erosion and Profit Shifting) und dessen Umsetzung.

Bereits im September 2013 hatten die Staats- und Regierungschefs der G20 einen BEPS-Aktionsplan beschlossen, um gemeinsam gegen Gewinnverkürzung und –verlagerung vorzugehen. Zwei Jahre später folgte dann, unter Mitarbeit von mehr als 100 Ländern und Wirtschaftsgebieten, ein 15-Punkte-Programm.

Darin verpflichteten sich die teilnehmenden Länder zu der Umsetzung von Mindeststandards. Dies sind die Offenlegung schädlicher Steuerpraktiken und eine größere Transparenz bei den internationalen Regeln zur Gewinnbesteuerung. Es sollen ferner neue Leitlinien zur Verhinderung von Abkommensmissbrauch eingeführt werden. Ziel ist, dass Unternehmen Gewinne da steuerlich ausweisen, wo diese tatsächlich erwirtschaftet werden. Zudem sollen standardisierte länderbezogene Berichtserstattungen eingeführt werden. Für multinationale Unternehmen mit konsolidierten Geschäftseinkünften von jährlich mindestens 750 Mio. Euro soll eine Berichtspflicht gelten. Sie müssen künftig in allen Staaten, in denen sie geschäftlich tätig sind, die Steuerverwaltung über ihre Aktivitäten und Steuerzahlungen informieren. Weiterhin soll eine effektive Streitschlichtung etabliert werden. Ein Forum, dem alle OECD- und G20-Länder angehören, soll in Streitfällen über Doppelbesteuerungsabkommen schneller und effektiver zwischen den Staaten vermitteln. Die Standards der OECD gegen BEPS sind völkerrechtlich nicht bindend. Allerdings können einzelne Staaten gegen die unterzeichnenden Regierungen bei Nichteinhaltung Sanktionen verhängen. Zudem wird die Umsetzung der Standards durch Länderberichte und andere Überwachungsmechanismen gewährleistet (https://www.oecd.org/berlin/themen/beps/).

Die Umsetzung der BEPS-Aktionspläne erfolgt innerhalb Europas vielfach durch EU-Richtlinien. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnkürzungen und -verlagerungen vom 20. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3000) wurden insbesondere die beiden Änderungen der EU-Amtshilferichtlinie vom 8. Dezember 2015 und vom 25. Mai 2016 hinsichtlich des automatischen Informationsaustausches über Tax Rulings und der EU-einheitlichen Einführung des Country-by-Country-Reporting umgesetzt. Weiterhin wurden in der EU-Anti-Tax-Avoidance-Directive („ATAD“) EU-weit einheitliche und verbindliche Vorgaben zur Umsetzung wichtiger BEPS-Empfehlungen geregelt. Deutschland hat die ATAD-Vorgaben mit dem Gesetz zur Umsetzung der Anti-Steuervermeidungsrichtlinie (ATADUmsG vom 25. Juni 2021, BGBl. I S. 2035) in das deutsche Steuerrecht implementiert. Dies betrifft insbesondere die Umsetzung des BEPS-Aktionspunktes 2 zur Neutralisierung von Besteuerungsinkongruenzen im Zusammenhang mit hybriden Gestaltungen. Weitere Umsetzungen gab es durch das Steueroasen-Abwehrgesetz vom 25. Juni 2021 (BGBl. I S. 2056) mit dem Personen und Unternehmen davon abhalten werden sollen, Geschäftsbeziehungen in Steueroasen fortzusetzen oder neu aufzunehmen. Derzeit wird international an der Umsetzung des sogenannten Zwei-Säulen-Modells gearbeitet, dessen Ziel die Einführung einer globalen Mindestbesteuerung ist.

In dem BMF-Monatsbericht vom November 2021 hat die Finanzverwaltung in einem „Schlaglicht aktuell“ nochmals den „Kampf gegen Steuerhinterziehung, Steuergestaltung, Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung“ und die in den vergangenen Jahren ergriffenen Maßnahmen dargestellt (BMF-Monatsbericht vom November 2021). So sei beispielsweise eine Sondereinheit gegen Steuerhinterziehung gegründet, die Verjährung bei Steuerhinterziehung verlängert worden. Die widerrechtliche Erstattung von Kapitalertragsteuer (Cum-Ex- und Cum-Cum Gestaltungen) solle durch das Gesetz zur Modernisierung der Entlastung von Abzugsteuern erschwert werden, es habe verschiedene Maßnahmen auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer gegeben (Reverse-Charge-Verfahren, Begrenzung der Gültigkeit der USt-IdNr., usw), die Zusammenarbeit auf internationaler Ebene sei verbessert (Eurofisc), die Bekämpfung von Schwarzarbeit sei intensiviert, es seien Maßnahmen gegen ungewollte Steuergestaltungen getroffen (Mitteilungspflichten), es sei eine globale Mindeststeuer eingeführt und missbräuchliche Steuersparmodelle beim Immobilienerwerb seien (Share Deals) durch die Absenkung der Beteiligungsschwelle erschwert worden.

Zudem hat das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 11. Februar 2022 bekanntgemacht, dass mit Stand vom 30. September 2021 nunmehr 113 Staaten am Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen nach dem Finanzkonten-Informationsaustauschgesetz (FKAustG) teilnehmen (Bekanntmachung des BMF vom 11. Februar 2022, IV B 6 - S 1315/19/10030 :041).

4. Gesamtpolitische Entwicklungen seit Einführung der Abgeltungsteuer

Neben den gesetzgeberischen Initiativen zur Verbesserung der internationalen Zusammenarbeit haben sich auch andere Entwicklungen ergeben, die direkt oder indirekt Einfluss auf Steuerpflichtige hatten, die in Deutschland unversteuerte Kapitaleinkünfte erzielt haben.

Zunächst ist der Ankauf sogenannter Steuer CDs zu nennen. Bereits im Jahr 2006 erfolgte der erste Ankauf von Steuer CDs, der Daten u.a. von deutschen Kapitalanlegern in Liechtenstein enthalten hat (Liechtensteiner Steueraffäre). Weitaus häufiger erfolgte der Ankauf solcher Datensätze ab dem Jahr 2010. Nach einer Antwort der Bundesregierung vom 17. März 2014 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die GRÜNEN wurden im Jahr 2010 drei Daten-CDs, im Jahr 2011 eine Daten-CD, im Jahr 2012 vier Daten-CDs und im Jahr 2013 zwei Daten-CDs erworben (BT-Drs. 18/826, S. 8). Der Ankauf solcher Datensätze war zwar rechtstaatlich umstritten, wurde jedoch vom BVerfG letztendlich gebilligt (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 9. November 2010 – 2 BvR 2101/09, DStR 2010, 2512).

Neben dem aktiven Ankauf von Steuer-CDs von staatlicher Seite wurden weiterhin sogenannte Leaks bekannt. Hierbei hat es sich um die Weitergabe von Daten von Banken oder Vermögensverwaltern an Presseorgane gehandelt, die diese Daten aufbereitet und veröffentlicht haben (Panama Papers, Paradise Papers usw.).

Durch die Steuer-CDs und die verschiedenen Leaks gerieten vermehrt auch prominente Personen in den Fokus der Öffentlichkeit. Dies hat zu einer umfassenden gesellschaftlichen Diskussion über Steuerehrlichkeit geführt.

Weiterhin wurde die steuerliche Selbstanzeige gemäß § 371 AO deutlich verschärft. Durch das Gesetz zur Verbesserung der Bekämpfung der Geldwäsche und Steuerhinterziehung (Schwarzgeldbekämpfungsgesetz; BGBl. I 2011, 676) erfuhr die Regelung mit Wirkung vom 3. Mai 2011 eine grundlegende Umgestaltung. Eine Teil-Selbstanzeige führt seither nicht mehr zur teilweisen Straffreiheit, die Sperrgründe wurden verschärft und u. a. um die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung erweitert, bei Hinterziehungen großen Ausmaßes (mehr als 50.000 EUR) ist eine Selbstanzeige seither nicht mehr möglich. Stattdessen ist nach Zahlung der hinterzogenen Steuern und eines Zuschlags eine Einstellung obligatorisch (§ 398a AO).

Mit dem Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften (Zollkodex-Anpassungsgesetz - JStG 2015 – BGBl. I 2014, 2417) wurden die Anforderungen an die Selbstanzeige nochmals weiter verschärft. So müssen mittlerweile auch die entsprechenden Hinterziehungszinsen nachgezahlt werden, um Straffreiheit zu erlangen. Die Fälle, in denen eine Selbstanzeige allenfalls zu einer Einstellung führen kann, wurden durch Absenkung des Betrages von 50.000 EUR auf 25.000 EUR erweitert (Joecks in Jäger/Randt/Joecks, 8. Aufl. 2015, AO § 371).

III. Rechtsprechungsübersicht

1. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

Das BVerfG hat bislang noch kein Verfahren zur Abgeltungsteuer zur Entscheidung angenommen. Soweit ersichtlich, waren bisher 4 Verfahren hierzu anhängig. Der geltend gemachte Verfassungsverstoß betraf jedoch nicht die Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer an sich, sondern die Frage, ob der Ausschluss der Abgeltungsteuer, somit die Nichtanwendung auf ähnliche Sachverhalte, verfassungsgemäß ist.

BVerfG-Beschluss vom 10. Dezember 2014, 2 BvR 2325/14:

Der Bundesfinanzhof (BFH) hatte entschieden, dass der gesonderte Steuertarif für Kapitaleinkünfte gemäß § 32d Abs. 1 EStG nach dem eindeutigen Wortlaut des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b EStG nicht für Kapitalerträge i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gilt, die von einer Kapitalgesellschaft an einen Anteilseigner gezahlt werden, der zu mindestens 10 % an der Gesellschaft beteiligt ist (BFH-Urteil vom 29. April 2014, VIII R 23/13, BStBl. II 2014, 884).

BVerfG-Beschluss vom 7. April 2016, 2 BvR 623/15:

Der BFH sah keine verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ausgeschlossen ist, wenn der Steuerpflichtige seinem Ehegatten ein Darlehen zur Anschaffung einer fremdvermieteten Immobilie gewährt, hieraus Kapitalerträge erzielt und er auf den von ihm finanziell abhängigen Ehegatten bei der Gewährung des Darlehens einen beherrschenden Einfluss ausüben kann (BFH-Urteil vom 28. Januar 2015, VIII R 8/14, BStBl. II 2015, 397).

BVerfG-Beschluss vom 24. März 2016, 2 BvR 878/15:

Der BFH sah es ebenfalls als verfassungsgemäß an, dass das Werbungskostenabzugsverbot des § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG auch dann Anwendung findet, wenn Ausgaben, die nach dem 31. Dezember 2008 getätigt wurden, mit Kapitalerträgen zusammenhängen, die bereits vor dem 1. Januar 2009 zugeflossen sind. Weiterhin soll bei der sogenannten "Günstigerprüfung" nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG § 20 Abs. 9 EStG Anwendung finden (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2014, VIII R 34/13, BStBl. II 2015, 387).

BVerfG-Beschluss vom 8. August 2019, BvR 2167/15:

Der BFH sah auch die Befristung des Antrags auf Anwendung des Teileinkünfteverfahrens nach § 32d Abs. 2 Nr. 3 Satz 4 EStG als verfassungsgemäß an (BFH-Urteil vom 28. Juli 2015, VIII R 50/14, BStBl. II 2015, 894).

Das BVerfG hat jedoch schon zu ähnlich gelagerten Rechtsfragen entschieden:

Im sogenannten „Zinssteuerurteil“ hat das BVerfG zunächst festgestellt, dass bei der seinerzeitigen Besteuerung von Zinseinkünften ein struktureller Erhebungsmangel vorlag. Nach der Veranlagungswirklichkeit hing die tatsächliche Steuerbelastung im Regelfall davon ab, ob der Steuerpflichtige seine Einkünfte erklärt oder verschweigt. Bei einem Vergleich zwischen den erklärten und den nicht erklärten, aber steuerbaren Kapitalerträgen wurde jedenfalls die Hälfte der Erträge nicht erfasst. Der Bankenerlass 1979 habe eine wirksame Ermittlung und Kontrolle der Einkünfte aus Kapitalvermögen verhindert und sich damit als strukturelles Vollzugshindernis dargestellt. Das BVerfG führte aus, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert sei, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an das Kapitalvermögen und die Kapitalerträge auszurichten und entsprechend zu differenzieren, insbesondere die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart "Kapitalvermögen" bei der Besteuerung zu berücksichtigen. Es bleibe auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn der Gesetzgeber alle Kapitaleinkünfte an der Quelle besteuere und mit einer Definitivsteuer belaste, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiere (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).

Im sogenannten „Tipke-Urteil“ erklärte das BVerfG die Besteuerung von Spekulationsgewinnen in den Jahren 1997 und 1998 für verfassungswidrig und nichtig, da die damalige Konzeption der Besteuerung von Spekulationsgewinnen auf der Ebene der Tatbestandsermittlung die verfassungsrechtliche Vorgabe der Gleichheit im Belastungserfolg verletzt habe. Die Finanzbehörden seien aufgrund mangelnder Informations- und Kontrollmöglichkeiten (sogenanntes strukturelles Vollzugs- und Erhebungsdefizit) nicht in der Lage gewesen, Angaben zu Spekulationsgewinnen in den Steuererklärungen der Steuerpflichtigen in angemessener Art und Weise auf ihre Richtigkeit und Vollständigkeit zu überprüfen. Für den Fall, dass ein gleichheitsgerechter Vollzug einer materiellen Steuernorm nicht ohne übermäßige, insbesondere unzumutbare Mitwirkungsbeiträge der Steuerpflichtigen zur Sachverhaltsaufklärung möglich sei, müsse der Gesetzgeber zur Vermeidung einer durch entsprechende Ermittlungsbeschränkungen bedingten prinzipiellen Belastungsungleichheit auf die Erhebungsart der Quellensteuer ausweichen (BVerfG-Urteil vom 9. März 2004, 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94).

Jüngst hat das BVerfG die auf Gewinneinkünfte beschränkte Begrenzung des Einkommensteuertarifs für das Jahr 2007 durch Regelungen im Steueränderungsgesetz 2007 und im Jahressteuergesetz 2007, sogenannte "Reichensteuer", als mit Art 3 Abs. 1 GG unvereinbar erachtet. Eine Privilegierung von Gewinneinkünften sei nicht gerechtfertigt. Der Gleichheitssatz binde den Steuergesetzgeber an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit, der es gebiete, die Belastung mit Finanzzwecksteuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten. Das gelte insbesondere im Einkommensteuerrecht. Wähle der Gesetzgeber für verschiedene Arten von Einkünften unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentierten (sogenannte Schedulenbesteuerung), müsse diese Ungleichbehandlung den Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten genüge dafür nicht. Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit mache es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentierten, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einflössen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden würden. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung oder Haushaltskonsolidierung sei nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG nicht als Rechtfertigungsgrund für Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands anzuerkennen. Ein solcher Grund könne dagegen in der Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken liegen. Der Gesetzgeber sei grundsätzlich nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts aus Gründen des Gemeinwohls außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen. Förderungs- und Lenkungsziele seien allerdings nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet seien oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen werde. Die gesetzgeberische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke müsse hinreichend bestimmt sein. Soweit die Konkretisierung nicht durch die tatbestandliche Ausgestaltung der Norm geschehe, mit der das Ziel umgesetzt werde, genügten in den Materialien genannte lediglich vagen Zielsetzungen wie "Förderung der Investitionsbereitschaft" oder "Schaffung von Arbeitsplätzen" für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungs- und damit gleichheitsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen. Erforderlich sei vielmehr ein gesetzgeberischer Akt, der den Förderungstatbestand deutlich umgrenze sowie gemeinwohlbezogen und zweckgebunden bemesse. Die Ausgestaltung des Förderungs- und Lenkungszwecks müsse zudem gleichheitsgerecht erfolgen. Der Gesetzgeber dürfe seine Leistungen insbesondere nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stünden ihm in weitem Umfang zu Gebote, die Regelung dürfe sich aber nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Umstände stützen und müsse insbesondere den Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgrenzen (BVerfG-Beschluss vom 8. Dezember 2021, 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19).

2. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs

Der Europäische Gerichtshof hatte sich mit der Frage der Abgeltungsteuer bislang noch nicht zu beschäftigen.

3. Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

Der Bundesfinanzhof hat bislang im Ergebnis keine grundlegenden verfassungsrechtlichen Zweifel an der Abgeltungsteuer geäußert. Er hat bislang zu folgenden Aspekten der Abgeltungsteuer entschieden:

Der BFH hatte bei der Anwendung des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 2 EStG insoweit verfassungsrechtliche Bedenken, als dass alleine die Tatsache der Familienangehörigkeit die Anwendung der Abgeltungsteuer nach dem Wortlaut ausschließen soll. Er hat daher entschieden, dass „die Anwendung des gesonderten Steuertarifs für Einkünfte aus Kapitalvermögen gemäß § 32d Abs. 1 EStG nicht schon deshalb nach § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG ausgeschlossen ist, weil Gläubiger und Schuldner der Kapitalerträge Angehörige i.S. des § 15 AO sind. Diese einschränkende Auslegung des Ausschlusstatbestands entspricht dem Willen des Gesetzgebers und ist auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten“. Im Übrigen hat der BFH an der durch § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG bewirkten Ungleichbehandlung der Anteilseigner im Vergleich zu den durch den Abgeltungsteuersatz begünstigten Steuerpflichtigen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (BFH-Urteile vom 14. Mai 2014, VIII R 31/11, BStBl. II 2014, 995; vom 29. April 2014, VIII R 9/13, BStBl. II 2014, 986; vom 29. April 2014, VIII R 44/13, BStBl. II 2014, 992 und vom 29. April 2014, VIII R 35/13, BStBl. II 2014, 990 - teilweise inhaltsgleich).

Weiterhin hatte der BFH an der Verfassungsmäßigkeit der mit der Einführung der Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge verbundenen Anordnung eines umfassenden Abzugsverbots für Werbungskosten gem. § 20 Abs. 9 Satz 1 EStG keine Zweifel. Zwar könne das Abzugsverbot unter Umständen einen Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit beinhalten. Mit der Gewährung des Sparer-Pauschbetrags in Höhe von 801 € habe der Gesetzgeber jedoch eine verfassungsrechtlich grundsätzlich anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten bei den Beziehern niedriger Kapitaleinkünfte sowie mit der Senkung des Steuertarifs von bisher bis zu 45 % auf nunmehr 25 % zugleich eine verfassungsrechtlich anzuerkennende Typisierung der Werbungskosten bei den Beziehern höherer Kapitaleinkünfte vorgenommen (BFH-Urteil vom 1. Juli 2014, VIII R 53/12, BStBl. II 2014, 975).

Ebenfalls keine verfassungsrechtlichen Bedenken hatte der BFH hinsichtlich der Regelung des § 32d Abs. 6 EStG. Die Vorschrift beinhaltet eine begünstigende Sonderregelung für bestimmte Steuerpflichtige, bei denen ausnahmsweise von der Anwendung des proportionalen Sondertarifs für die Einkünfte aus Kapitalvermögen von 25 % abgesehen wird und stattdessen der Regelsteuersatz Anwendung findet, sofern dies zu einer niedrigeren Einkommensteuer führt. Da auch für diejenigen Steuerpflichtigen, die dem Abgeltungsteuersatz unterlägen, das in § 20 Abs. 9 EStG verankerte Abzugsverbot für die tatsächlich entstandenen Werbungskosten gelte, würden die Steuerpflichtigen, für die nach § 32d Abs. 6 EStG aufgrund der Günstigerprüfung der Regelsteuersatz zum Tragen komme, gegenüber den vom Abgeltungsteuersatz Betroffenen insoweit nicht schlechter gestellt (BFH-Urteil vom 28. Januar 2015, VIII R 13/13, BStBl. II 2015, 393).

4. Entscheidungen der Finanzgerichte

Das FG Nürnberg hat in seinem Urteil vom 7. März 2012 die Ungleichbehandlung von Kapitaleinkünften für gerechtfertigt gehalten.

Nach Auffassung des Senats sei die Ungleichbehandlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen gegenüber den sechs anderen Einkunftsarten durch die mit dem Abzug an der Quelle verbundenen Sicherstellung des einheitlichen, effizienten und gleichheitsgerechten Vollzugs, der Einschränkung von Möglichkeiten zur Steuerverkürzung, der Vereinfachung des Verfahrens durch den Wegfall des Deklarationsprinzips sowie des gesetzgeberischen Typisierungsspielraums gerechtfertigt. Gerade im Bereich der Kapitaleinkünfte sei für den Bürger angesichts der überbordenden Komplexität meist die Grenze überschritten gewesen, sodass für die Ausfüllung der Anlagen „KAP“ und „AUS“ professionelle Hilfe in Anspruch hätte genommen werden müssen. So entfalle mit der Neuregelung die in der Praxis kaum durchführbare Unterscheidung zwischen Nutzungsertrag und Veräußerungsertrag. Der Gesetzgeber dürfe Vollzugsdefizite, die Möglichkeit der einfachen Kapitalverlagerung und auch das internationale Umfeld bei seiner Gesetzgebung berücksichtigen. Zudem sei darauf hinzuweisen, dass der Steuersatz von 25 % bei Kapitaleinkünften auf eine Bemessungsgrundlage angewandt werde, bei der zwar der Sparer-Pauschbetrag, nicht aber Werbungskosten in Abzug gebracht würden (§ 20 Abs. 9 Satz 1 EStG 2009). Hingegen würden bei den anderen sechs Einkunftsarten die Einkünfte als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten oder als Gewinn berechnet. Somit seien bei den anderen Einkunftsarten Werbungskosten oder Betriebsausgaben in Abzug zu bringen. Die Abgeltungsteuer sei nach Auffassung des Senats ein wirksames Instrument, die Komplexität des Steuerrechts zu reduzieren. Sie sei ein akzeptabler Kompromiss zwischen Vereinfachung auf der einen und materieller Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite. Damit lägen besondere sachliche Gründe für die Ungleichbehandlung vor (FG Nürnberg, Urteil vom 7. März 2012, 3 K 1045/11, EFG 2012, 1054).

Das FG Münster hat es für verfassungskonform erachtet, dass Zinsen, die der Allein-Gesellschafter einer GmbH für die Hingabe eines Gesellschafterdarlehens erhält, der tariflichen Einkommensteuer ohne Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrags unterliegen. Die Nichtanwendbarkeit des Abgeltungsteuersatzes sowie der Ausschluss des Sparer-Pauschbetrags würden keinen verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen (FG Münster, Urteil vom 16. Juli 2014, 10 K 2637/11 E, EFG 2014, 1793).

IV. Literatur zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer

1. Kommentarliteratur

Ratschow in Brandis/Heuermann hat Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer. Spätestens mit der Einführung des internationalen Informationsaustausches dürfte die Ungleichbehandlung nicht mehr zu rechtfertigen sein.

Ob die Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben in Einklang stehe, sei zweifelhaft. Zwar habe das BVerfG bereits im Zinssteuerurteil die Einführung einer Abgeltungsteuer auf Kapitaleinkünfte ausdrücklich, wenn auch beiläufig, gebilligt (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239). Ein unzulässiger Systemwechsel sei deshalb wohl nicht anzunehmen. Im Beschluss zu § 32c EStG habe es außerdem die Wahl eines Sondertarifs für eine einzelne Einkunftsart durch den Gesetzgeber an nur geringe Anforderungen geknüpft und es insbesondere genügen lassen, dass der Gesetzgeber beabsichtigt habe, die Position des Wirtschaftsstandorts Deutschland im internationalen Wettbewerb zu verbessern. Indes verletze die massive Privilegierung der Zinseinkünfte das Gebot horizontaler Belastungsgleichheit, da sie offen der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit widerspreche. Zu ihrer Rechtfertigung bedürfe sie deshalb tragfähiger Gründe. Der Hauptvorteil der Abgeltungsteuer liege in ihrer ökonomischen Effizienz und ihrer verfahrensrechtlichen Einfachheit. Ihre (pragmatische) Rechtfertigung beziehe sie aus ihrer Wirksamkeit, die strukturelle Erhebungsdefizite ausschließen soll („Besser 25 % auf X, als 42 % auf nix). Jedoch sei fraglich, ob es dazu der Einführung einer Abgeltungsteuer (noch) bedürfe und ob ihre Beibehaltung gerechtfertigt sei. Zum einen hätte der Gesetzgeber in Bezug auf Inlandseinkünfte mit § 24c a. F. EStG sowie dem automatischen Kontenabrufverfahren (§ 93 Abs. 7 und 8, § 93b AO) bereits ein taugliches Verifikationsinstrumentarium geschaffen, das eine hinreichend gleichmäßige Erhebung der Steuern auf Zinsen trotz fortbestehender struktureller Erhebungshindernisse (§ 30a AO) erlaubt habe; zum andern lasse die Abgeltungsteuer in Bezug auf die besonders schwer zu erfassenden Auslandseinkünfte keine Verbesserung erwarten, denn auf im Ausland erzielte Einkünfte sei sie nicht anwendbar, und eine nennenswerte Repatriierung im Ausland angelegter Beträge sei unwahrscheinlich gewesen, weil eine Amnestieregelung gefehlt habe, die der Gesetzgeber mit dem Gesetz über die strafbefreiende Erklärung (StraBEG vom 23. Dezember 2003, BGBl. I 03, 2928) bereits „verbraucht“ gehabt habe (Wagner Stbg 07, 313). Die amtliche Begründung schweige zu der Frage, was den Gesetzgeber zur Einführung der Abgeltungsteuer motiviert habe. Denkbare Förderungs- und Lenkungszwecke dürften danach unerheblich sein. Durch den Ankauf sogenannter Steuer-CDs und eine Welle von Selbstanzeigen sei mittlerweile ein erheblicher Teil der im Ausland erzielten und nicht deklarierten Zinseinnahmen der Besteuerung zugeführt worden.

Zudem bestehe seit 2017 ein internationaler automatischer Informationsaustausch über Finanzkonten (im Inland umgesetzt durch FKAustG), in dem 2019 zum ersten Mal über 100 teilnehmende Staaten Daten an das BZSt gesandt hätten. Sobald die Auswertung dieser Daten Ergebnisse zeige, werde die tarifliche Begünstigung der Kapitaleinkünfte mit der hergebrachten pragmatischen Begründung nicht mehr zu rechtfertigen sein. Die im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und SPD für die 19. Legislaturperiode deshalb vereinbarte Abschaffung der Abgeltungsteuer sei allerdings nicht umgesetzt worden. Dividenden und andere Beteiligungseinkünfte dürften zur Vermeidung einer Doppelbesteuerung mit KSt (GewSt) und ESt beim Anteilseigner auch weiterhin nur teilweise besteuert werden (Ratschow in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 159. EL Oktober 2021, § 2 EStG Rn. 23).

Werth in Brandis/Heuermann schließt sich den verfassungsrechtlichen Bedenken von Ratschow in Brandis/Heuermann nicht an und hält die Abgeltungsteuer mit Blick auf das Zinssteuerurteil des BVerfG (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) für verfassungsgemäß.

Die Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer sei anders als zum Teil im Schrifttum vertreten zu bejahen. Zwar sei einzuräumen, dass der Sondertarif, insbesondere bei den nicht mit der Körperschaftsteuer vorbelasteten Zinsen, dem Gebot einer gleichmäßigen Besteuerung aller Steuerpflichtigen nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit widerspreche und deshalb der Rechtfertigung bedürfe. (Werth in Brandis/Heuermann, Ertragsteuerrecht, 159. EL Oktober 2021, § 32d EStG Rn. 46 ff.)

Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts, EStG, Stand 21.04.2016 sehen zwar einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, hält diesen jedoch für gerechtfertigt.

Gegen den besonderen proportionalen Steuertarif im Sinne des § 32d Abs. 1 S. 1 EStG für die Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG würden keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen. Zwar führe § 32d Abs. 1 S. 1 EStG zu einem Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Während für die Einkünfte aus Kapitalvermögen ein proportionaler Sondertarif in Höhe von 25 % gelte, unterlägen die Einkünfte der anderen Einkunftsarten dem progressiven Normaltarif in Höhe von bis zu 45 %. Mit dieser Privilegierung verfolge der Gesetzgeber jedoch wirtschaftspolitische Lenkungsziele. Denn durch die Absenkung des Steuersatzes bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG solle eine Verbesserung der Attraktivität des Finanzplatzes Deutschland erreicht werden. Die Verlagerung von Kapitalvermögen ins Ausland solle gebremst und im Ausland befindliches Kapitalvermögen nach Deutschland zurückgeführt werden. Hiervon erhoffe sich der Gesetzgeber nicht nur eine Förderung der Gesamtwirtschaft, sondern auch eine Sicherung der inländischen Steuerbasis. Diese auf die Standortsicherung bezogenen gesetzgeberische Ziele seien geeignet, die durch § 32 Abs. 1 S. 1 EStG bewirkte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen. Der Gesetzgeber sei nach Ansicht des BVerfG nicht gehindert, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf gesamtwirtschaftliche Anforderungen auszurichten. Dabei bleibe es auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn er die ihrer Natur nach nicht einer bestimmten Person zugeordnete und geografisch nicht gebundene Erwerbsgrundlage Finanzkapital dadurch erfasse, dass er alle Kapitaleinkünfte unabhängig von ihrer Anlageform und buchungstechnischen Erfassung an der Quelle besteuere und mit einer Definitivsteuer belaste. Auf dieser Grundlage sei § 32d Abs. 1 S. 1 EStG als mit der Verfassung vereinbar anzusehen, was der BFH ausdrücklich bestätigt habe.

Auch die in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG enthaltene Missbrauchsregel halte den Anforderungen der Verfassung stand. Zwar bewirke § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG. Hierdurch sollten jedoch missbräuchliche Steuergestaltungen verhindert werden, die darauf abzielten, Einkünfte aus den hoch besteuerten anderen Einkunftsarten in die niedriger besteuerten Einkünfte aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG zu verlagern. Diese gesetzgeberische Zielsetzung sei grundsätzlich geeignet, die durch § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG bewirkte Ungleichbehandlung zu rechtfertigen, da der Gesetzgeber in den von dieser Vorschrift erfassten Fällen typisierend von einer missbräuchlichen Steuergestaltung habe ausgehen dürfen. Gleichwohl ergäben sich Grenzen. So dürfe § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a) EStG, der vorsehe, dass bei Darlehensbeziehungen zwischen nahestehenden Personen der proportionale Sondertarif in Höhe von 25 % keine Anwendung finde, zu keiner Benachteiligung von Ehe und Familie führen. Der BFH habe die Vorschrift daher einschränkend dahingehend ausgelegt, dass für ein Nahestehen ein konkretes Beherrschungsverhältnis erforderlich sei. Die Regelung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b) EStG, die eine Anwendung des proportionalen Sondertarifs in Höhe von 25 % ausschließe, wenn der Gesellschafter im Fall einer Gesellschafter-Fremdfinanzierung zu mindestens 10 % an der betreffenden Gesellschaft beteiligt sei, habe der BFH dagegen gebilligt. Es sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber ab einer Beteiligung von 10 % von besonderen Möglichkeiten der Einflussnahme ausgehe, die es dem Gesellschafter erlauben würden, durch eine Fremdfinanzierung von dem proportionalen Sondertarif im Sinne des § 32d Abs. 1 EStG zu profitieren. Insgesamt betrachtet sei § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG danach als ebenfalls mit der Verfassung vereinbar anzusehen (Moritz/Strohm in Frotscher/Geurts § 32d EStG Rz. 9 f).

Buge in Herrmann/Heuer/Raupach hält den mit der Einführung der Abgeltungsteuer verbundenen Verstoß gegen das gleichheitsrechtlich verankerte Gebot der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten für gerechtfertigt. Allerdings hält er das ausnahmslos geltende Abzugsverbot der tatsächlichen Werbungskosten für nicht verhältnismäßig. Weiterhin hält er die Verlustverrechnungsbeschränkung für Aktienverluste des § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG und die Einbeziehung von Bezügen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 und 2 EStG in die Abgeltungsteuer für verfassungswidrig (Bunge in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer, § 20, Rn. 8).

Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach stellt die verfassungsrechtlichen Zweifel an der Abgeltungsteuer umfassend dar, teilt diese allerdings nur teilweise. Angesichts der konkreten Ausgestaltung hält er Vereinfachungseffekte für fraglich. Die Durchbrechung des Nettoprinzips durch das Verbot des Werbungskostenabzugs könne zudem nicht generell durch den „niedrigeren“ Steuersatz gerechtfertigt werden, da das Werbungskosten-Abzugsverbot auch diejenigen treffe, deren persönlicher Steuersatz unterhalb von 25 % liege. Auch der Sparer-Pauschbetrag vermöge gleichheitsrechtliche Bedenken nicht zu beseitigen, da nicht ersichtlich sei, auf welcher Grundlage eine Typisierung von Werbungskosten bei Einkünften aus Kapitalvermögen mit 801 € erfolgt sei.

Weiterhin sei die Nichtanwendung des Abgeltungsteuersatzes bei Gesellschafterfinanzierungen gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG nicht zu rechtfertigen. Die Verwerfungen zwischen Eigen- und Fremdkapitalfinanzierungen seien der vom Gesetzgeber gewählten Form einer Abgeltungsteuer immanent. Der strukturelle Fehler liege darin, dass bei Beteiligungserträgen keine Kompensation für die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer auf Gesellschaftsebene gewährt werde. Die Regelung stelle daher nicht - wie in der Gesetzesbegründung behauptet - Finanzierungsneutralität sicher. Vielmehr werde die durch die Abgeltungsteuer aufgehobene Finanzierungsneutralität nur partiell wiederhergestellt. Die Abgeltungsteuer führe zwangsläufig zu einer steigenden Attraktivität der Fremdfinanzierung – unabhängig davon, ob der Fremdkapitalgeber zugleich auch (wesentlicher) Anteilseigner der Gesellschaft sei. Der übermäßigen Fremdfinanzierung versuche der Gesetzgeber mit der Einführung einer Zinsschranke zu begegnen; einer weiteren Abwehrmaßnahme, die sich nur gegen Gesellschafterfremdfinanzierungen richte, bedürfe es daher nicht. Der Gesetzgeber sei stattdessen aufgerufen, den strukturellen Fehler der Abgeltungsteuer zu beseitigen und Beteiligungserträge insgesamt begünstigt zu besteuern. Die Rechtfertigung durch ein „wirtschaftspolitisches Lenkungsziel“ trage ebenfalls nicht, denn das vom BFH anerkannte wirtschaftspolitische Ziel stelle sich eher als lediglich fiskalpolitisch motivierte Ausnahme bei der Gesellschafterfremdfinanzierung dar. Entscheidend sei, dass die Steuersatz-Spreizung auf die Entscheidung des Gesetzgebers zurückgehe, ein Schedulensystem einzuführen; dass sich für bestimmte Einkunftsarten systematisch abweichende Steuersätze ergäben, sei logische Konsequenz der (abwägenden) Entscheidung des Gesetzgebers. In diesem Zusammenhang sei die Entscheidung des Gesetzgebers eher fiskalpolitisch als lenkungspolitisch motiviert zu qualifizieren. Ob die Ausnahme des § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) EStG auf dieser Basis gerechtfertigt werden könne, erscheine sehr fraglich. Ferner zeige die Notwendigkeit eine Optionsmöglichkeit zum Teileinkünfteverfahren bei unternehmerischen Beteiligungen gemäß § 32d Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 EStG zu schaffen, dass die Abgeltungsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung zu Verwerfungen führe, die ökonomisch und verfassungsrechtlich nicht tragbar seien. (Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommensteuer, § 32d, Rn. 6 ff.)

Pfirrmann in Kirchhof/Seer, Einkommensteuergesetz, 20. Auflage 2021 sieht den zulässigen gesetzgeberischen Typisierungsspielraum als nicht überschritten an.

Das Einführen der in § 32d EStG geregelten Abgeltungsteuer sei im Zusammenhang zu sehen mit dem Bemühen des Gesetzgebers, insbesondere angesichts der internationalen Verflechtung sowie der - auf Unübersichtlichkeit der verschiedenen Besteuerungsgrundsätze einschließlich zahlreicher Ausnahmeregelungen beruhenden - Komplexität der unterschiedlichen Kapitalanlagen, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte im Hinblick auf einen niedrigeren Steuersatz sowie erhöhte Transparenz neu zu gestalten, um auf diese Weise die Standortattraktivität der Bundesrepublik Deutschland zu erhöhen. Das Vereinheitlichen der steuerpflichtigen Kapitaleinkünfte, die nunmehr auch in weitergehendem Umfang Veräußerungsgeschäfte im Sinne des § 23 EStG aF einbezögen, sowie die Höhe des nunmehr festgelegten Steuersatzes erwiesen sich insoweit als durchaus positiv. Angesichts der Möglichkeit, den Sparer-Pauschbetrag zu nutzen, sowie vor allem des moderaten Steuersatzes, dürfte die Regelung im Grundsatz wie auch in den einzelnen Ausprägungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten den zulässigen gesetzgeberischen Typisierungsspielraum nicht überschreiten. Dies gelte angesichts der weitgehenden gesetzgeberischen Typisierungsbefugnis gerade bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und angesichts der Komplexität der zu berücksichtigenden Einzelumstände auch hinsichtlich der partiellen Gleichbehandlung von Dividenden und Zinserträgen. Die Vorbelastung mit Körperschaftsteuer auf der Gesellschaftsebene stehe dem (pauschalierenden) gesonderten Steuertarif nicht entgegen. Angesichts der extremen Gestaltungsvielfalt der bestehenden und zukünftig noch bekannt werdenden Finanzierungswege sowie Finanzinstrumente in Verbindung mit vielfach beachtlichen Vollzugsdefiziten der Steuererhebung erscheine gerade im Bereich der Kapitalvermögen eine gesetzgeberische Pauschalierung in weitreichender Weise zulässig, ohne dass ein durchschlagender Verstoß gegen den Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit (insbes. im Hinblick auf das „objektive Nettoprinzip“) oder den Grundsatz der Folgerichtigkeit zu bejahen sei. Der BFH habe zwischenzeitlich in einer Reihe von Verfahren zentrale Elemente der Abgeltungsteuer verfassungsrechtlich gebilligt. Was die konkrete Ausgestaltung angehe, bestünden in Einzelpunkten allerdings durchaus verfassungsrechtliche Bedenken, die der BFH aufgegriffen habe (Pfirrmann in Kirchhof/Seer, § 32d EStG, Rn. 2).

Levedag in Schmidt, 40. Aufl. 2021, EStG befasst sich nicht mit verfassungsrechtlichen Fragen und verweist nur darauf, dass § 32d Abs. 1 S 3 EStG verfassungsrechtlich unbedenklich sei (Schmidt/Levedag, § 32d Rn. 3).

2. Monografien und Sammelbände

Englisch (Die Abgeltungsteuer für private Kapitalerträge – ein verfassungswidriger Sondertarif) kommt zu dem Ergebnis, dass der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG und seine verfahrenstechnische Flankierung durch § 43 Abs. 5 EStG verfassungswidrig sind. Er fasst die Ergebnisse seiner Untersuchung wie folgt zusammen:

Der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen und die darauf basierende abgeltende Wirkung des Kapitalertragsteuerabzugs nach § 43 Abs. 5 EStG würden gegen die gleichheitsrechtlich verankerte Vorgabe der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten und einer gleichmäßigen Besteuerung nach der individuellen Einkommensleistungsfähigkeit verstoßen. Sie unterlägen daher besonderen Rechtfertigungsanforderungen.

Die in § 32d Abs. 1 EStG vorgesehene, vom allgemeinen progressiven Tarifverlauf abweichende proportional niedrige Besteuerung privater Kapitalerträge widerspreche der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung für ein System progressiv hoher Belastung der Einkommensleistungsfähigkeit. Es handele sich entgegen vereinzelten Stellungnahmen nicht um eine gesetzgeberische Grundentscheidung für einen veränderten Einkommensbegriff, innerhalb dessen private Kapitalerträge eine eigenständige Steuerquelle bilden würden. Deshalb seien Sondersteuersatz und Abgeltungsteuer mit einer gleichmäßigen und folgerichtigen Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit unvereinbar. Sie müssten sachlich besonders gerechtfertigt werden, wenn sie vor Art. 3 Abs. 1 GG bestehen sollen.

Im Lichte der vom Bundesverfassungsgericht formulierten Kriterien für die Bestimmung gesetzgeberischer Wertungsspielräume bzw. für die verfassungsgerichtliche Kontrolldichte bei der Überprüfung von Gesetzen am Maßstab des allgemeinen Gleichheitssatzes seien an die Rechtfertigung des Sondersteuersatzes hohe Anforderungen zu stellen. Geboten sei eine Verhältnismäßigkeitskontrolle unter Zuerkennung nur begrenzter Einschätzungsprärogativen des Gesetzgebers. Zum einen weiche die Begünstigungswirkung des Abgeltungsteuerregimes potenziell in ganz erheblichem Umfang und bei einer Vielzahl von Steuerpflichtigen von der Regelbesteuerung des Einkommens ab. Zum anderen streite der Aspekt der mangelnden Verfügbarkeit der von den Begünstigungswirkungen ausgeschlossenen bzw. nur in geringem Maße profitierenden Steuerpflichtigen für eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung. Denn ein etwaiger Entlastungseffekt der Abgeltungsteuer konzentriere sich nach Art und Umfang bei den finanzkräftigsten Haushalten Deutschlands.

Schon bei ihrer Einführung 2009 hätten erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der Abgeltungsteuer mit Blick auf die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele bestanden. Die mittlerweile vorliegenden Erfahrungen und Daten sowie die seit 2009 eingetretenen weitreichenden Entwicklungen auf dem Gebiet der internationalen Bekämpfung der Steuerhinterziehung auf Kapitalerträge würden zu der Feststellung führen, dass die Abgeltungsteuer in ihrer konkreten Ausgestaltung und Zielsetzung jedenfalls inzwischen als unverhältnismäßige Maßnahme zu beurteilen sei.

Die Abgeltungsteuer erweise sich primär als ein Versuch des damaligen Gesetzgebers, den Besteuerungsanspruch pragmatisch auf ein Maß zurückzunehmen, bei dem fortbestehende administrative Verifikationsdefizite bei privaten Kapitalerträgen angesichts einer durch eine proportional niedrige Besteuerung vermeintlich erhöhten Deklarationsbereitschaft der Steuerpflichtigen überkompensiert werden würden. Diese Zielsetzung nehme damit Anleihen bei dem gleichheitsrechtlichen Gebot und Gerechtigkeitsanliegen, die Steuerpflichtigen nicht nur rechtlich, sondern auch tatsächlich gleichmäßig zu belasten. Verschiedentlich sei die Abgeltungsteuer daher auch als eine Konzession an den internationalen Steuerwettbewerb für gerechtfertigt erachtet worden, weil Geldvermögen eine hoch mobile Einkunftsquelle darstelle und weil nicht deklarierte ausländische Kapitalerträge dem Zugriff des deutschen Fiskus de facto entzogen seien. Indes würden derartige Überlegungen nur dann einen sachlich legitimierenden Grund für einen Sondersteuersatz auf private Kapitalerträge abzugeben vermögen, wenn sich diese Sonderbehandlung zur Erreichung dieser Ziele nach den geschilderten strengen Maßstäben als verhältnismäßig erweise. Gemessen daran habe die Eignung einer abgeltenden Quellenbesteuerung von über 26 % (inklusive Solidaritätszuschlag) zur Setzung wirksamer Anreize gegen Steuerhinterziehung schon seit jeher erheblichen Bedenken unterlegen. Der Steuersatz nach § 32d Abs. 1 EStG liege nach wie vor signifikant über der steuerlichen Belastung von Kapitalerträgen in typischen Steuerfluchtländern. Außerdem sei speziell bei Beteiligungserträgen wegen des Wegfalls des Teileinkünfteverfahrens überhaupt gar keine spürbare Entlastungswirkung eingetreten. Bestätigt würden diese Zweifel mittlerweile durch eine Mikrosimulation der Bundesregierung. Davon abgesehen sei der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG aber jedenfalls wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Entwicklungen auf dem Gebiet der internationalen Kooperation zur Bekämpfung der Steuerhinterziehung ersichtlich nicht mehr erforderlich, um einen effektiven Steuervollzug zu gewährleisten. Mindestens werde man ihm infolgedessen die Angemessenheit zur Zielerreichung eindeutig absprechen müssen. Verantwortlich hierfür seien in erster Linie die bei der Beschlussfassung über die Abgeltungsteuer noch nicht absehbaren, erfolgreichen Bemühungen der OECD sowie der G20 um die Etablierung und effektive Durchsetzung verbesserter Standards des internationalen Auskunftsverkehrs. Jedenfalls stehe damit der nunmehr allenfalls noch marginale Beitrag der Abgeltungsteuer zur Förderung von Steuerehrlichkeit völlig außer Verhältnis zu den Mitnahmeeffekten bei den mittlerweile durch ein massiv gestiegenes Entdeckungsrisiko zur Steuerehrlichkeit angehaltenen, oder ohnehin steuerehrlichen, gutverdienenden Beziehern privater Kapitalerträge. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei im Übrigen auch anerkannt, dass eine ursprünglich möglicherweise noch verfassungsgemäße Regelung wegen Veränderungen der maßgeblichen Umstände verfassungswidrig werden könne.

Vom System abgeltender Quellensteuererhebung nach § 43 Abs. 5 EStG gingen entgegen den ursprünglichen Annahmen des Gesetzgebers keine relevanten Vereinfachungseffekte aus. Die inzwischen vorhandenen Erhebungen und – auch amtlichen – Einschätzungen zeigten, dass sowohl administrative Erleichterungen für die Finanzverwaltung wie auch ein vermeintlicher Entlastungseffekt für die Bürger zweifelhaft seien. Selbst bei Zuerkennung eines gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums sei angesichts der mittlerweile klaren Faktenlage von allenfalls nur geringen Vereinfachungswirkungen auszugehen. Die Bürokratiekosten für den Finanzdienstleistungssektor wiederum dürften höchstwahrscheinlich eher gestiegen als gesunken sein. Etwaige Vereinfachungswirkungen der Abgeltungsteuer, sofern sie überhaupt existierten, stünden damit jedenfalls entgegen den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts völlig außer Verhältnis zur wirtschaftlich ungleichen Wirkung des Einheitssteuersatzes.

Der Gesetzgeber habe sich von der Abgeltungsteuer auch erhofft, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu verbessern. Mit dem Sachverständigenrat sei aber nicht davon auszugehen, dass die Abgeltungsteuer die vor ihrer Einführung zu beobachtende Kapitalflucht ins Ausland revidieren könnte. Aus den oben genannten Gründen sei es zudem auch fernliegend, dass die Abgeltungsteuer hinterziehungswillige Steuerpflichtige davon abhielte, einen neu erwirtschafteten Kapitalstock zwecks Verschleierung der Erträge ins Ausland zu transferieren. Wollte man ihr entgegen dieser Einschätzung eine entsprechende Eignung zur Förderung des deutschen Bankensektors attestieren, wäre die Abgeltungsteuer zudem als grundsätzlich verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV zu qualifizieren. Davon abgesehen sei die Abgeltungsteuer jedenfalls infolge der zwischenzeitlich eingetretenen gewaltigen Fortschritte beim Ausbau des internationalen Steuerauskunftswesens, und den infolgedessen ganz erheblich geminderten Anreizen für eine steuermotivierte Kapitalanlage im Ausland, nicht mehr erforderlich zur Förderung des Privatkundengeschäfts der deutschen Finanzbranche.

Nach einem obiter dictum im sogenannten Zinssteuerurteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) aus dem Jahre 1991 wäre es zulässig, Erträge aus Finanzkapital wegen der Mobilität der Erwerbsgrundlage abgeltend an der Quelle zu besteuern und dabei „in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten“ zu typisieren. Indes sei gegenüber dieser Verquickung von Zielen der Standortsicherung einerseits und dem Anliegen einer bloß typisierenden Berücksichtigung individueller Leistungsfähigkeit andererseits Skepsis angezeigt, da es sich tatsächlich um weitgehend unvereinbare Zielsetzungen handele. Im Lichte jüngerer Entscheidungen sei denn auch keineswegs sicher, dass das Bundesverfassungsgericht auch heute noch an seinem damaligen Standpunkt festhalten würde. Davon abgesehen könne der Einheitssteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG aber jedenfalls nicht als Typisierung der durchschnittlichen Belastung sämtlicher privater Kapitalanleger verstanden werden, schon weil Steuerpflichtige mit einer niedrigeren individuellen Steuerbelastung aufgrund der Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6 EStG aus dem Abgeltungsteuerregime herausoptieren könnten. Selbst bei isolierter Betrachtung nur der oberen, vom Abgeltungsteuerregime Gebrauch machenden Einkommensgruppen sei ein Proportionalsteuersatz von 25 % weit davon entfernt, sich realitätsgerecht am typischen Fall zu orientieren. Dies zeigten gerade auch die Daten aus der Mikrosimulation der Bundesregierung.

Der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG könne auch nicht als typisierende Maßnahme zur Inflationsbereinigung von privaten Kapitalerträgen gerechtfertigt werden. Denn er berücksichtige die Geldentwertung des Anlagekapitals nur höchst unvollkommen und letztlich in Abhängigkeit von diversen hierfür maßgeblichen Faktoren völlig willkürlich. Hinzu komme, dass eine derartige Inflationsberücksichtigung regressive Züge aufweisen würde, weil ceteris paribus denjenigen Beziehern privater Kapitaleinkünfte ein Höchstmaß an potenzieller Inflationsbereinigung gewährt würde, deren Kapitaleinkünfte bei einer Regelbesteuerung dem Spitzensteuersatz unterlägen. Damit wären letztlich auch die vom Verhältnismäßigkeitsprinzip gezogenen Grenzen gesetzgeberischer Typisierungsbefugnisse bei weitem überschritten.

Auch sonstige, vereinzelt in der Literatur geltend gemachte Rechtfertigungsgründe würden sich als nicht durchschlagend erweisen; dies zum Teil schon deshalb nicht, weil sie entgegen den diesbezüglichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom Gesetzgeber gar nicht in Erwägung gezogen worden seien.

Der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG und seine verfahrenstechnische Flankierung durch § 43 Abs. 5 EStG seien mithin verfassungswidrig (Englisch, a.a.O. S. 87 ff.).

Hey in Tipke/Lang übt umfassende Kritik an der Abgeltungsteuer:

Das Abgeltungsteuerrecht sei seit seiner Einführung Gegenstand permanenter Korrekturen. Es werde reformbedürftig bleiben, solange der Gesetzgeber seine überflüssige Komplexität nicht abbaue und die gegenwärtigen Unterschiede der Besteuerung von Kapitalanlagen beibehalte.

Die Vereinigung von Quellen- und Veräußerungseinkünften und die Entlastung von Erklärungspflichten würden die wesentlichen Verbesserungen gegenüber dem bisherigen Recht der Besteuerung von Kapitaleinkünften bilden. Ob es der Abgeltungsteuer zur Beseitigung der zu ihrer Begründung angeführten Vollzugsdefizite noch bedürfe, sei dagegen mehr als fraglich. Bereits mit dem 2005 eingeführten Kontenabruf nach § 93 Abs. 7 AO seien die verfassungswidrigen Vollzugsdefizite beseitigt worden, die das Zinssteuerurteil (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) von 1991 gerügt habe. Durch Gesetz zur Bekämpfung der Steuerumgehung vom 23. Juni 2017 sei endlich auch § 30a AO als Hauptursache des früheren Vollzugsdefizits aufgehoben worden. Von besonderer Bedeutung sei der Abschluss des Mehrseitigen Abkommens über den automatischen Austausch von Informationen über Finanzkonten in Steuersachen, der anders als die Abgeltungsteuer der Kapitalflucht ins Ausland den Boden entziehen werde. Bereits das gestiegene Entdeckungsrisiko durch den - rechtsstaatlich allerdings zweifelhaften - Ankauf von Steuerdaten-CDs habe zu massiven Nacherklärungen geführt.

Zwar entspreche die schedulenhafte Niedrigbesteuerung mobiler Einkommen einem internationalen Trend. Die Ungleichbehandlung müsse aber besonderen Rechtfertigungsanforderungen genügen. Der internationale Wettbewerbsdruck und die Sorge, dass sich die Steuerpflichtigen der regulären progressiven Besteuerung entzögen, tauge als Rechtfertigungsgrund einer Sonderbehandlung jedoch zunehmend weniger, wenn die Vollzugsdefizite durch einen mehr oder weniger weltumspannenden Informationsaustausch beseitigt würden. Die dann nur noch bestehende Gefahr legaler Steuerflucht sei bei privaten Kapitaleinkünften gering, weil sie die Wohnsitzverlegung des Anlegers erfordere. Sei die Abgeltungsteuer von Anfang an gleichheitsrechtlich umstritten gewesen, so verbleibe mittlerweile als Rechtfertigungsgrund im Wesentlichen nur noch das Argument der Vereinfachung, dem jedoch die komplizierte und streitanfällige Ausgestaltung der Abgeltungsteuer die Überzeugungskraft nehme. An den Übergängen zwischen Abgeltungs- und Normalbesteuerung entstünden aufgrund verzerrender Regelungen erhebliche Gestaltungsanreize.

Zudem begründe die konkrete Ausgestaltung der Abgeltungsteuer eigenständige Gleichheitssatzverstöße, weil sie das objektive Nettoprinzip in stärkerem Maße einschränke, als dies durch die Systematik eines abgeltenden Quellenabzugs geboten sei.

Zu beanstanden sei zunächst, dass die langfristigen Kapitalveräußerungsgewinne und Zinseinkünfte ohne Maßnahmen der Inflationsbereinigung in die Besteuerung einbezogen worden seien. Ein niedriger Sondertarif für Kapitaleinkünfte möge im Hinblick auf die Komplexität inflationsbereinigter Besteuerung als typisierte Inflationsbereinigung hinzunehmen sein. Hierbei sei jedoch zu bedenken, dass auch eine 25 %-Besteuerung Gefahr laufe, Realgewinne ganz abzuschöpfen und in die Substanz des Kapitalvermögens zu greifen.

Ein weiteres Grundproblem der Abgeltungsteuer liege in der Einbeziehung von mit Körperschaftsteuer vorbelasteten Dividenden einerseits, bei gleichzeitigem Nebeneinander von Abgeltungsteuer und Teileinkünfteverfahren andererseits in Abhängigkeit davon, ob die Anteile im Privat- oder Betriebsvermögen gehalten werden würden. Dieses Nebeneinander erlaube es, die Zuordnung der Kapitaleinkünfte zu beeinflussen, insbesondere um die Berücksichtigung von Aufwendungen im Rahmen von § 3c Abs. 2 EStG zu erreichen. Zudem verzerre die Abgeltungsteuer die Finanzierungsentscheidung. Die Bevorzugung von Fremd- gegenüber Eigenkapital ziehe komplexe Missbrauchsvorschriften in § 32d Abs. 2 Nr. 1 EStG nach sich.

Nicht hinnehmbar seien die vermeidbaren Verletzungen des Prinzips der synthetischen Einkommensteuer und des objektiven Nettoprinzips: Dabei sei zu unterscheiden zwischen der Bruttobesteuerung im Bereich abgeltender Besteuerung der Kapitaleinkünfte; sie lasse sich möglicherweise noch rechtfertigen. Würden jedoch Kapitaleinkünfte in eine Veranlagung einbezogen, so seien diese Kapitaleinkünfte ebenso wie andere Einkünfte zu besteuern. Die Bruttobesteuerung lasse sich dann nicht mehr auf das Vereinfachungsargument stützen.

Dies habe zur Folge, dass die abgeltende Berücksichtigung von Werbungskosten durch den Sparer-Pauschbetrag, eine Verrechnung von Verlusten nur innerhalb der Kapitaleinkünfteschedule und die Typisierung der Kirchensteuerlast ohne Sonderausgabenabzug verfassungsrechtlich nur im Rahmen abgeltender Besteuerung hinnehmbar sei. In den Fällen verpflichtender und auch optionaler Veranlagungen seien ein Werbungskostenabzug zusätzlich zum Sparer-Pauschbetrag, eine vertikale Verlustverrechnung und ein Sonderausgabenabzug gezahlter Kirchensteuer gleichheitsrechtlich geboten.

Die Einrichtung eines Verlustverrechnungstopfes (§ 43a Abs. 3 EStG) trage dem objektiven Nettoprinzip im Kapitalertragsteuerverfahren ausreichend Rechnung. Die rein fiskalisch begründete Aktienschedule sei dagegen ebenso wenig gerechtfertigt wie die neuen betragsmäßigen Verlustausgleichsbeschränkungen für Termingeschäfte und Forderungsausfälle. Es handele sich um rein fiskalisch begründete Regeln, mit denen der Gesetzgeber sich sukzessive und einseitig für Verlustgeschäfte von der Grundentscheidung der Abgeltungsteuer zugunsten einer Vollerfassung von privaten Kapitaleinkünften verabschiede. Die logische Konsequenz des niedrigen Abgeltungsteuersatzes sei die Beschränkung der Verlustverrechnung auf die positiven Einkünfte innerhalb der Kapitaleinkünfteschedule. Weitere Verlustverrechnungsbeschränkungen innerhalb dieser Schedule ließen sich nicht mit einem etwaigen Steuersatzvorteil rechtfertigen und verletzten daher den Gleichheitssatz.

Es würden sich Stimmen mehren, die mit Blick auf die entfallene Rechtfertigung des internationalen Vollzugsdefizits die Abschaffung der Abgeltungsteuer fordern würden; im politischen Raum stünden Gerechtigkeitserwägungen im Hinblick auf die privilegierende Wirkung des Abgeltungsteuersatzes im Vordergrund. Diese Diskussion greife zu kurz. Die Reintegration der Kapitaleinkünfte in den allgemeinen Tarif würde die Nachteile der Schedulenbesteuerung beseitigen, die insbesondere im Werbungskostenabzugsverbot und den Verlustverrechnungsrestriktionen lägen. Die Lösung liege allerdings nicht darin, § 32d EStG zu streichen. Vielmehr müssten alle mit Körperschaftsteuer vorbelasteten Kapitaleinkünfte (insb. Dividenden und Veräußerungsgewinne) in das Teileinkünfteverfahren überführt werden; sie würden Dreiviertel des Volumens der Abgeltungsteuer ausmachen. Dies entspräche der Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer. Zinsen wären grundsätzlich wieder progressiv zu besteuern, allerdings bedürfe es einer Inflationsbereinigung. Vor dem Hintergrund der Niedrigzinsphase und der seit 2014 zu beobachtenden negativen Realverzinsung müssten Zinseinkünfte demnach eigentlich steuerfrei gestellt werden, jedenfalls aber durch deutliche Anhebung des Sparerpauschbetrages steuerlich verschont werden. Staatliche Mehreinnahmen ließen sich damit im Zweifel aktuell mit der Abschaffung der Abgeltungsteuer nicht erreichen. Von Verwaltungsseite würden massive Vorbehalte gegen die Rückverlagerung der Abwicklung der Kapitaleinkünftebesteuerung von den Banken in die Finanzverwaltung geltend gemacht. Vorrang müsste die (Wieder-)Herstellung der Binnenkonsistenz der Abgeltungsteuer haben, statt diese immer weiter zu zerstören (Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 24. Aufl. 2021, Rn. 8.504 ff.).

3. Aufsätze

Anzinger stellt die in der Literatur geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken dar und gibt einen Überblick über mögliche Rechtfertigungsgründe. Er kommt bei wesentlichen Rechtfertigungsgründen zu dem Ergebnis, dass diese die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen mögen. Als Konsequenz fordert er eine Neuordnung im Gesamtkontext der Unternehmensbesteuerung (Anzinger, Zur Zukunft der Abgeltungsteuer im System der Kapitaleinkommensbesteuerung, GmbHR 2018, 445).

Bülte sieht das Prinzip der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller nach dem EStG steuerbaren Einkünfte als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips verletzt. Diese könne auch nicht mit den vom Gesetzgeber formulierten Zielen, insbesondere nicht der Verhinderung von Steuerstraftaten gerechtfertigt werden.

Mit der Feststellung, dass die Einführung der Abgeltungsteuer zu einer Vermeidung von Straftaten im Rahmen der Kapitalflucht ins Ausland führe, sei noch nicht zwangsläufig die Erkenntnis verbunden, dass es sich auch um ein probates Mittel handele, um das Steueraufkommen zu sichern und Steuergerechtigkeit herzustellen. Zwar sei nach herrschender Ansicht das Steueraufkommen zentrales Schutzgut des § 370 AO, so dass die Verhinderung von Steuerhinterziehungen strukturell dem Schutz des Steueraufkommens diene. Jedoch erweise sich die Abgeltungsteuer letztlich als kontraproduktiv: Der formelle Schutz des Steueraufkommens durch Vermeidung seiner Verletzung werde durch eine Verringerung des Steueraufkommens mittels Senkung des Steuersatzes und damit durch eine Verringerung der Steuereinnahmen erkauft, die durch das Steuerstrafrecht geschützt werden sollten. Auch wenn der Gesetzgeber die Entlastung der Einkünfte aus Kapitalerträgen durch die Notwendigkeit gerechtfertigt sehe, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands auf dem Gebiet des Steuerrechts zu erhalten und damit auch „im internationalen Trend liege”, ändere dies nichts daran, dass auf diese Weise der Eindruck entstehe, der Rechtsstaat weiche vor dem Steuerstraftäter zurück. Den Steuersatz nur für bestimmte hinterziehungsanfällige Steuern zu senken, um Steuerstraftaten zu verhindern, gleiche einer Reduzierung von Sozialleistungen zur Verhinderung des Missbrauchs und habe damit einen rechtspolitisch „faden Beigeschmack”.

Aber auch darüber hinaus verletze die Verhinderung von Steuerhinterziehungen durch die Senkung der Steuern auf Kapitalerträge das Prinzip der grundsätzlichen Gleichbehandlung aller nach dem EStG steuerbaren Einkünfte als Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips. Wenn das Bundesverfassungsgericht auch in seiner Entscheidung vom 21. Juni 2006 die Berücksichtigung dieser Wettbewerbslage als grundsätzlich „anzuerkennendes wirtschaftspolitisches Förder- und Lenkungsziel” akzeptiert habe, ändert dies nichts daran, dass der allgemeine Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG es dem Gesetzgeber nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebiete, „wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln”. Dieser Grundsatz gelte gleichermaßen für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus diesem Grund müsse die Ungleichbehandlung durch eine Festsetzung unterschiedlicher Einkommensteuersätze für verschiedene Einkunftsarten besonderen „Rechtfertigungsanforderungen genügen”.

Das für diese Rechtfertigung ins Feld geführte Argument der „erheblichen Vereinfachung” verfange aber schon deswegen nicht, weil die Abgeltungsregelung nicht „einfach”, sondern in der derzeitigen Fassung so „abschreckend kompliziert ausgestaltet” sei, dass die Kompliziertheit des neuen Abgeltungsteuerrechts dem Vereinfachungseffekt und den Vorteilen bei dem Vollzug die rechtfertigende Wirkung nehme. Damit sei die „Steigerung der Vollzugseffizienz” durch Vereinfachung nicht mehr so erheblich, dass sie „den Systembruch wettmachen” würde und damit rechtfertigend wirken könnte.

Doch sei auch unabhängig davon eine Steigerung der Vollzugseffizienz bei der aktuellen Regelung nur schwerlich erkennbar. Das Vollzugsdefizit ergebe sich derzeit aus der fehlenden Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen, der im Ausland Kapitalerträge erwirtschaften würden. Insofern könne sich ein Vollzugsvorteil für die nicht mit der EU-Quellensteuer belasteten Kapitalerträge nur unter der zweifelhaften Prämisse ergeben, dass die Senkung des Steuersatzes auf Kapitalerträge den „Kapitalflüchtling” zur Rückkehr bewege. Für die mit der EU-Quellensteuer belasteten Kapitaleinkünfte ergebe sich auch insofern kein zusätzlicher Vollzugsaufwand, da bei einer Abgeltungsteuer von 25 Prozent ein Ausgleichsverfahren im Hinblick auf die ab dem 1. Juli 2011 höhere EU-Quellensteuer von 35 Prozent durchgeführt werden müsse. Daher sei der Gewinn an Vollzugseffizienz zweifelhaft, und der Abgeltungsteuer fehle, wie Englisch bereits zutreffend festgestellt habe, „eine tragfähige Rechtfertigung für den Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten.”

Es dränge sich damit im Ergebnis der Eindruck auf, dass dem Gesetzgeber weniger die Steuergerechtigkeit und die durch die Abgeltungsteuer zu erreichende Vereinfachung am Herzen gelegen habe, als dass er ähnlich dem Fuchs in Aesops bekannter Fabel festgestellt habe, dass ihm die Trauben des Steueranspruchs auf Erträge aus Auslandskapital zu sauer seien, und er deswegen zumindest zum Teil auf diese verzichte. Der Gesetzgeber habe mit der Abgeltungsteuer nicht auf die Kapitalflucht reagiert, sondern vor ihr resigniert und die Steuergerechtigkeit wegen zum Teil hausgemachter, zum Teil völkerrechtlich bedingter Vollzugsdefizite hintenangestellt (Bülte, Die Abgeltungsteuer bei EU-quellenbesteuerten Kapitalerträgen als probates Mittel zur Vermeidung von Steuerstraftaten oder als Folge eines Rückzugsgefechts des Steuerstrafrechts?, BB 2008, 2375).

Cropp stellt die Ungleichbehandlung von Erwerbs- und Kapitaleinkünften rechnerisch dar und kommt zu dem Schluss, dass diese nicht gerechtfertigt ist.

Erwerbs- und Kapitaleinkünfte würden im Belastungserfolg verschieden besteuert. Für einkommensteuerpflichtige Einkünfte bis 71.105 € bzw. einem zu versteuernden Einkommen von 61.464 € ergebe sich nach dem Besteuerungsregime für Erwerbseinkünfte eine günstigere steuerliche Belastung. Bis zu diesem Betrag Kapitaleinkünfte Beziehende hätten aber eine Optionsmöglichkeit zum günstigeren persönlichen Steuertarif nach § 32d EStG. Erwägenswert wäre, dieses Antragsrecht in eine von Amts wegen zu ermittelnde Günstigerprüfung zu ändern. Dies wäre aber nicht zwingend, da der Gesetzgeber seine Pauschalierungsbefugnis nicht überschritten habe. Erwerbseinkünfte und Kapitalerträge würden dagegen zumindest für den Einkünfte in Höhe von 71.106 € übersteigenden Betrag unterschiedlich besteuert. Für oberhalb dieser Beträge Erwerbseinkünfte erzielende Steuerpflichtige bedeute dies eine ungünstigere steuerliche Behandlung im Vergleich zu einem in gleicher Höhe Kapitalerträge Beziehenden. Die zur Rechtfertigung dieser Ungleichbehandlung der Einkünfte angeführten Gründe seien unzureichend. Insbesondere unter dem Vereinfachungsaspekt würden sich besondere Bedenken ergeben, weil eine beträchtliche Zahl von Erwerbseinkünfte erzielenden Steuerpflichtigen in nicht unerheblicher Höhe mehr Steuern zu zahlen habe als in gleicher Höhe Kapitaleinkünfte beziehende Steuerpflichtige. Der politische Vorstoß der SPD, die Abgeltungsteuer abschaffen zu wollen, zumindest aber den Steuersatz auf die der Abgeltungsteuer unterfallenden Einkünfte zu erhöhen, sei damit auch unter gleichheitsrechtlichen Gründen nicht bloß begrüßenswert, sondern zu fordern: Wie gezeigt, ergäbe sich eine ungleiche Steuerbelastung bei Anhebung des Abgeltungsteuersatzes auf 32 Prozent erst bei Einkünften über 120.672 € bzw. einem zu versteuernden Einkommen von über 110.947 €. Dadurch würde sich die Anzahl derjenigen Steuerpflichtigen, die mit ihren Erwerbseinkünften steuerlich schlechter behandelt werden als in gleicher Höhe Kapitaleinkünfte Beziehende auf weniger als 5 Prozent der Steuerpflichtigen sinken. Durch Anhebung des Abgeltungsteuersatzes auf 35 Prozent würde sich der Anteil der betroffenen Steuerpflichtigen, die mit ihrem Erwerbseinkommen steuerlich schlechter gestellt sind als bei entsprechenden Kapitalerträgen, auf sogar etwa 1 Prozent reduzieren. Gewisse Härten wären insofern hinzunehmen, wenn nur eine relativ kleine Zahl von Personen betroffen sei (Cropp, Ungleichbesteuerung durch Abgeltungsteuer – Plädoyer gegen eine leistungsfähigkeitswidrige Einkommensbesteuerung, FR 2015, 878).

Eckhoff sieht ebenfalls verfassungsrechtliche Probleme und hält diese nur dann für gerechtfertigt, wenn man ökonomische Förderungszwecke in weitem Umfang als ausreichende Begründung für eine steuerliche Differenzierung anerkennt (Eckhoff, Abgeltungsteuer – systematische und verfassungsrechtliche Aspekte, FR 2007, 989).

Englisch hat auch schon vor deren Inkrafttreten verfassungsrechtliche und steuersystematische Kritik an der Abgeltungsteuer geübt.

Mit der 2009 in Kraft tretenden Abgeltungsteuer auf die Einkünfte aus privatem Kapitalvermögen verabschiede sich der Gesetzgeber endgültig vom Ideal einer synthetischen Einkommensteuer. Zwar sei anzuerkennen, dass dies dem Bemühen um eine gleichmäßigere und gerade deshalb moderate Erfassung dieser Einkünfte geschehe. Positiv sei vor diesem Hintergrund auch die weitgehende Abkehr von der Quellentheorie durch die Einbeziehung jeglicher Veräußerungsgewinne zu bewerten. Indes sei ein Abgeltungsteuersatz von über 25 % ersichtlich nicht dazu angetan, der verbreiteten Steuerhinterziehungsmentalität hinreichend entgegenzuwirken und die Steuerflucht ins Ausland auch nur signifikant einzudämmen. Die Preisgabe rechtlicher Belastungsgleichheit werde somit nicht durch tatsächliche Gleichheit im Belastungserfolg wenigstens innerhalb der Kategorie privater Kapitaleinkünfte kompensiert. Damit fehle es an einer tragfähigen Rechtfertigung für den Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung aller Einkunftsarten, der sich auch nicht unter sonstigen Gesichtspunkten legitimieren lasse. Darüber hinaus seien verfassungswidrige Einschränkungen der Verlustverrechnung und beim Werbungskostenabzug zu konstatieren, die auch von mangelnder Folgerichtigkeit in der Umsetzung des Reformprojekts zeugten. Nicht zuletzt erwiesen sich die mangelnde Abstimmung mit der Unternehmensteuerbelastung und der Wegfall des Halbeinkünfteverfahrens als schwere konzeptionelle Fehlleistungen, die noch stärker als schon bisher die Finanzierungsneutralität der Besteuerung untergraben würden und entgegen den Intentionen des Gesetzgebers die Eigenkapitalbasis der Unternehmen schwächen würden. Die Große Koalition liefere mit der Abgeltungsteuer somit letztendlich nur Stückwerk ab, das möglichst noch vor seinem Inkrafttreten dringend der Überarbeitung bedürfe. Juristisch wie ökonomisch überzeugend lasse sich die Misere der Zinsbesteuerung im gegenwärtigen internationalen Umfeld letztlich nur durch das Ablegen fiskalistischer Scheuklappen in einem mutigen Reformschritt beseitigen. Gefordert seien entweder der konsequente Übergang zur Dualen Einkommensteuer entsprechend den Vorschlägen des Sachverständigenrates oder - vorzugsweise - die Verwirklichung einer mindestens partiell nachgelagerten Besteuerung investierten Einkommens (Englisch, Verfassungsrechtliche und steuersystematische Kritik der Abgeltungsteuer, StuW 2007, 221).

Intemann hält die Integration privater Dividendeneinnahmen in das System einer Abgeltungsteuer für verfassungswidrig. Zwar sei es verfassungsrechtlich nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht geboten, die Vorbelastung ausgeschütteter Gewinne mit Körperschaftsteuer bei der Besteuerung des Anteilseigners zu berücksichtigen, sodass die Abgeltungsteuer insoweit zulässig dem Trennungsprinzip folge. Nehme man aber die Besteuerung betrieblicher Dividenden nach dem Teileinkünfteverfahren in den Blick, komme es zu einer Schlechterstellung privater Dividendeneinnahmen, die verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden könne (Intemann, Einbeziehung von Dividenden in die Abgeltungsteuer verfassungswidrig?, DB 2007, 1658).

Jochum lässt die Frage zur Verfassungsmäßigkeit offen, meldet jedoch Zweifel an.

Die belastenden Wirkungen der verschiedenen mit der Einführung der Abgeltungsteuer in Deutschland verbundenen Pauschalierungen und Typisierungen seien in ihrem kumulierenden Zusammenspiel zu erfassen. Dies gelte namentlich für die Versagung des Werbungskostenabzugs, die Ausblendung jeder Vorbelastung von Gewinnausschüttungen auf Gesellschaftsebene sowie die besonders rigide Beschränkung der Verlustverrechnung speziell für Aktiengeschäfte. Es könne nicht überzeugen, global eine Belastungskompensation durch den niedrigeren proportionalen Steuersatz von 25 % zu behaupten. Das Kompensationsargument könne nicht mehrfach und in immer wieder anderem Kontext angeführt werden. Die steuerentlastende Wirkung des proportionalen Steuersatzes sei begrenzt und vermöge daher nicht verschiedenste steuerliche Belastungen in ihrem unterschiedlichen Zusammenwirken nachvollziehbar auszugleichen. Die Frage der Realitätsgerechtigkeit des gesetzlichen Modells müsse Zweifel hervorrufen oder bleibe doch zumindest im Dunkel. Es möge für den Gesetzgeber gute Gründe für einen pauschalierenden und typisierenden Be- und Entlastungsmix geben. Jedoch verpflichte die Entscheidung für einen solchen Cocktail den Gesetzgeber von Verfassungs wegen in erhöhtem Maße zur Herstellung von Belastungstransparenz. Nur so könnten Gleichheits- und Freiheitsschutz aufrechterhalten werden. Diese dürften nicht auf dem Altar der Steuersubstrat- und Standortsicherung geopfert werden (Jochum, Verfassungsrechtliche Grenzen der Pauschalierung und Typisierung am Beispiel der Besteuerung privater Aktiengeschäfte Heike Jochum, DStZ 2010, 309).

Musil hält die Abgeltungsteuer zur Beseitigung von Vollzugsdefiziten zum Zeitpunkt ihrer Einführung für „noch“ verfassungskonform:

Das Hauptproblem der Abgeltungsteuer bestehe in der Sonderbehandlung einer einzelnen Einkunftsart gegenüber den sechs Anderen. Dadurch werde das Konzept der synthetischen Einkommensteuer partiell durchbrochen. Als Gründe für die Einführung der Abgeltungsteuer würden vor allem die Vermeidung struktureller Vollzugsdefizite bei den Kapitaleinkünften, die Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens und die Reaktion auf den im Bereich der Kapitaleinkünfte stetig steigenden internationalen Wettbewerbsdruck genannt. Art. 3 Abs. 1 GG als Hauptmaßstab für das Einkommensteuerrecht beinhalte insbesondere das Leistungsfähigkeitsprinzip sowie das Gebot folgerichtiger Ausgestaltung von Besteuerungstatbeständen. Konkretisierend habe das BVerfG mit Blick auf die Einkommensteuer ausgeführt, dass Einkunftsarten grundsätzlich gleich zu behandeln seien und Ausnahmen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes bedürfen würden. Es sei also zu prüfen, ob die genannten Gründe den Systembruch rechtfertigen könnten. Was das Argument der Minimierung von Vollzugsdefiziten angehe, wiegt es schwer, weil das BVerfG in der Vergangenheit bereits zweimal die hier betroffenen Einkünftekategorien für im Vollzug strukturell defizitär erklärt und Abhilfe gefordert habe. Zwar wäre alternativ auch eine Ausweitung der Kontrollbefugnisse der Steuerbehörden denkbar. Diese brächten aber wiederum erhebliche Einschränkungen der Freiheitsrechte der Bürger mit sich und seien daher nicht unbedingt ein gangbarer Weg bei der Minimierung von Vollzugsdefiziten. Dass durch die Abgeltungsteuer gleichzeitig das Verfahren vereinfacht werde, liege auf der Hand, da eine Veranlagung nur noch im Ausnahmefall stattfinde. Ob man hingegen das Argument des internationalen Wettbewerbs als ein verfassungsrechtliches anerkennen könne, sei zweifelhaft. Gleichheitsrechtliche Anforderungen an die Gesetzgebung seien grundsätzlich unabhängig von ökonomischen Sachzwängen. Allerdings habe sich auch das BVerfG in jüngerer Zeit geneigt gezeigt, die Wettbewerbsargumentation aufzugreifen. Insbesondere das Vollzugsargument sei stark genug, um die Abweichung von der synthetischen Einkommensteuer im Allgemeinen zu rechtfertigen. Die Abgeltungsteuer schaffe in ihrer derzeitigen Ausgestaltung Abhilfe bei der seit Jahrzehnten defizitären administrativen Behandlung von Kapitaleinkünften. Der im Vergleich mit anderen Einkunftsarten niedrigere Steuersatz werde dabei partiell durch die Einführung von Elementen einer Bruttobesteuerung kompensiert. Auch der mit der Abgeltungsteuer einhergehende Vereinfachungseffekt sei nicht zu unterschätzen (Musil, Abzugsbeschränkungen bei der Abgeltungsteuer als steuersystematisches und verfassungsrechtliches Problem, FR 2010, 149).

Scheffler / Christ sehen die Rechtfertigung der Abgeltungsteuer durch die in den letzten Jahren abgeschlossenen weltweiten Abkommen in Frage gestellt und geben einen Überblick über die Folgewirkung einer etwaigen Abschaffung.

Der 25 %ige Sondersteuersatz (Abgeltungsteuer) sei seit seiner Einführung umstritten. Durch den verbesserten Informationsaustausch von Finanzdaten zwischen den Staaten werde die Berechtigung der Sonderbehandlung von Zinsen immer mehr bezweifelt. Eine mögliche Rückkehr zur Besteuerung von Zinsen nach dem Normaltarif wirke sich nicht nur auf die Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen aus. Gleichzeitig ergäben sich für die Besteuerung von Unternehmen zahlreiche Folgewirkungen. Bei einer Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen nach dem Normaltarif sei wie bei den anderen Einkünften (wieder) ein Abzug der tatsächlich angefallenen Werbungskosten zuzulassen. Um bei der Beteiligung an Kapitalgesellschaften eine Doppelbelastung zu vermeiden, sei bei einer Abschaffung des Sondersteuersatzes nach § 32 d EStG für natürliche Personen für die Besteuerung von Dividenden das Teileinkünfteverfahren nicht nur für betriebliche Beteiligungen vorzusehen, sondern auch dann, wenn die Beteiligung im Privatvermögen gehalten werde. Im geltenden Recht sei bei der Finanzierung einer Kapitalgesellschaft durch eine natürliche Person die Eigenfinanzierung generell höher belastet als die Fremdfinanzierung. Bei einer Abschaffung der Abgeltungsteuer bleibe diese Grundaussage zwar tendenziell bestehen. Die Unterschiede zwischen diesen beiden Grundformen der Außenfinanzierung würden allerding geringer ausfallen. Bei einem niedrigen Gewerbesteuerhebesatz und einem hohen Einkommensteuersatz des Kapitalgebers könnte die Eigenfinanzierung vorteilhaft werden. Eine Abschaffung der Abgeltungsteuer auf Zinsen und ein Übergang zur Besteuerung von Dividenden nach dem Teileinkünfteverfahren würden tendenziell die Bedingungen für die Innenfinanzierung verbessern. Eine Aufhebung der Abgeltungsteuer auf Zinserträge führe dazu, dass der steuerliche Nachteil von betrieblichen Sachinvestitionen gegenüber privaten Kapitalanlagen aufgehoben werde. Bei der Altersvorsorge werde sich der bereits bestehende Vorteil von Alternativen, die nachgelagert besteuert werden würden (z. B. „Riester-Rente, „Rürup-Versicherung), weiter erhöhen. Werde bei der Bewertung von Unternehmensvermögen für Zwecke der Erbschaft- und Schenkungsteuer das Bewertungskonzept an die geänderte Besteuerung von Einkünften aus Kapitalvermögen angepasst, würden sich die steuerlich relevanten Werte erhöhen (Scheffler / Christ, Abschaffung der Abgeltungsteuer: Folgewirkungen auf die Unternehmensbesteuerung, Ubg 2016,157 ff.).

Tipke hatte bereits vor Einführung der Abgeltungsteuer erhebliche Bedenken, ob es dem Gesetzgeber gelingt, die Ungleichbehandlung der Einkunftsarten zu rechtfertigen. Die in dem Gesetzesentwurf genannten Rechtfertigungsgründe hält er für nicht ausreichend.

Aus dem Prinzip gleichmäßiger Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit folge, dass die Einkunftsarten gleich zu behandeln seien. Ethisch ließe sich rechtfertigen, die („mühelosen") Kapitaleinkünfte stärker zu belasten als die Arbeitseinkünfte. Die für die Zeit ab 2009 geplante Abgeltungsteuer solle aber die Kapitaleinkünfte nur noch proportional mit 25 % belasten. Der Gesetzgeber werde sich sehr anstrengen müssen, diesen Bruch mit der Folgerichtigkeit der Gleichbelastung der Einkunftsarten überzeugend zu rechtfertigen. Eine Teilrechtfertigung sei die zu berücksichtigende Inflation. Aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip folge kein Nominalwertprinzip, sondern das Realwertprinzip. Keine Rechtfertigung seien die Gesetzeslage in anderen Ländern und der Vereinfachungseffekt. Die Besteuerung der Kapitaleinkünfte könne auch ohne Einführung der Abgeltungsteuer wesentlich vereinfacht werden. Der Gesetzgeber dürfe es sich auch nicht zu leicht machen mit dem Argument, die Abgeltungsteuer solle Kapitalflucht verhindern. Der Gesetzgeber werde detailliert belegen müssen, wie groß die Versuchung zur Kapitalflucht denn heute noch sei. Gelinge es dem Gesetzgeber nicht, darzutun, dass die Abgeltungsteuer indirekt auch den Arbeitnehmern zugutekomme, werde er mit Verfassungsklagen von Arbeitnehmern rechnen müssen. Der Hinweis, es solle die Attraktivität und Wettbewerbsfähigkeit des Finanzplatzes Deutschlands gestärkt werden, sei ein nicht ausreichender, zu unbestimmter Gemeinplatz (Tipke, Steuergerechtigkeit unter besonderer Berücksichtigung des Folgerichtigkeitsgebots, StuW 2007, 201).

Weber-Grellet weist auf die verfassungsrechtlichen Probleme und insbesondere auf ein irritiertes Rechtsempfinden aufgrund der unterschiedlichen Behandlung der Einkunftsarten hin, hält die Differenzierung in der Summe aber für gerechtfertigt. Allerdings hält er die Abgeltungsteuer nicht geeignet zur Verhinderung von Steuerflucht.

Das Rechtsempfinden sei ob all der Neuerungen schon ein wenig irritiert und geblendet; bei näherem Hinsehen entpuppe sich die Abgeltungsteuer aber als Zukunftschance. Einzelne Punkte seien für sich genommen durchaus angreifbar; Verbesserungen seien möglich. Entscheidend seien aber das Gesamtbild und die zusammenfassende Gesamtbeurteilung.

Trotz aller Einwände sei die gesetzliche Regelung in sich abgewogen. Die vorgenommenen Differenzierungen seien sachlich gerechtfertigt. Die Gratwanderung zwischen Gerechtigkeitsanforderungen auf der einen und der notwendigen Vereinfachung auf der anderen Seite sei dem Gesetzgeber nicht schlecht gelungen. Von einer Chaotisierung der Besteuerung des Rechts der Kapitaleinkünfte, von bloßem Stückwerk oder von einem „exorbitant hohen Preis” könne überhaupt keine Rede sein.

Eingedenk der Sentenz „summum jus – summa iniuria” sei der Gesetzgeber zur Neuordnung der Besteuerung der Kapitaleinkünfte verpflichtet gewesen. Die Abgeltungsteuer sei ein wirksames Instrument, in begrenztem Umfang die Komplexität des materiellen Steuerrechts zu reduzieren. Zur Verhinderung der Steuerflucht sei die Abgeltungsteuer ähnlich ungeeignet wie seinerzeit die Steueramnestie. Die Neuregelung bedeute einen akzeptablen Kompromiss zwischen Vereinfachung auf der einen und materieller Einzelfallgerechtigkeit auf der anderen Seite. Anzustreben sei letztlich ein Steuersystem, das möglichst ohne aufwändige Erklärungen und mit wenig staatlicher Bürokratie auskomme. Das deutsche Steuersystem bedürfe der Überarbeitung und Neustrukturierung; der Strukturwandel des Steuerstaats sei unausweichlich. Ein erster Schritt sei die Abgeltungsteuer. Diesen Weg habe das BVerfG bereits vorgezeichnet und für gut befunden (Weber-Grellet, Die Abgeltungsteuer: Irritiertes Rechtsempfinden oder Zukunftschance? NJW 2008, 545).

Weber-Grellet hält in einer weiteren Äußerung die Abgeltungsteuer unter Berücksichtigung des Zinssteuerurteils (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239) nach wie vor für verfassungsgemäß:

Bei der Prüfung der Abgeltungsteuer sei zu unterscheiden zwischen der technischen Seite der Abgeltungsteuer und deren inhaltlicher Seite.

Die separate Besteuerung der Kapitalerträge in Gestalt einer Schedule bedeute zwar eine Abweichung von der einheitlichen Besteuerung des gesamten Einkommens. Doch dürfte dieser Einstieg in die sogenannte duale Einkommensteuer mit differenziertem Steuersatz zulässig sein. Das Verfassungsrecht verlange nicht zwingend eine synthetische Einkommensteuer; die materiellen Unterschiede der einzelnen Einkunftsarten erlaubten eine differenzierte Besteuerung, soweit für diese Differenzierung ausreichende Sachgründe gegeben seien.

Ebenso sei die Ausgestaltung der Abgeltungsteuer als Bruttosteuer verfassungsrechtlich tragbar; die Durchbrechung des sogenannten objektiven Nettoprinzips sei sachlich gerechtfertigt. Die Ausgestaltung der Abgeltungsteuer als Emittenten- und Zahlstellensteuer sei nur als Bruttosteuer (also ohne Werbungskostenabzug) durchführbar, da die Emittenten und Zahlstellen die Werbungskosten nicht kennen und auch nicht zur Prüfung berechtigt wären. Andererseits werde mit dieser Konstruktion das bereits vom BVerfG inkriminierte Vollzugsdefizit bei der Besteuerung der Kapitaleinkünfte beseitigt.

Die Gegenleistung für das Werbungskostenabzugsverbot sei der abgesenkte Steuersatz. Allerdings habe der Gesetzgeber für diese Grundregel eine erhebliche Zahl von Ausnahmen normiert, um den besonderen Fallkonstellationen ausreichend Rechnung tragen zu können (Weber-Grellet, Die Funktion der Kapitalertragsteuer im System der Abgeltungsteuer (Teil I), DStR 2013, 1357).

Worgulla führt an, dass die abgeltende Bruttobesteuerung eine nicht gerechtfertigte Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips begründe, da der proportionale Steuertarif die Typisierung von Erwerbsaufwendungen, Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und Vorbelastungen nicht erreichen könne. Soweit es zu einer Bevorzugung von Steuerpflichtigen mit Kapitaleinkünften komme, könne die Durchbrechung des Grundsatzes der Belastungsgleichheit der Einkunftsarten als gerechtfertigt eingestuft werden. Auch die interne Bruttobesteuerung führe im Ergebnis zu einer weitestgehend folgerichtigen Umsetzung der abgeltenden Bruttobesteuerung. Soweit einzelne Verletzungen nicht zu rechtfertigen seien, sollten diese durch Anpassungen des Gesetzgebers behoben werden, um die insgesamt als positiv zu bewertende abgeltende Bruttobesteuerung verfassungsgemäß auszugestalten (Worgulla, Bruttobesteuerung der Einkünfte aus Kapitalvermögen und der allgemeine Gleichheitsgrundsatz, FR 2013, 921).

V. Verfassungskonforme Auslegung

Zur Überzeugung des Senats ist eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht möglich.

Soweit die Möglichkeit einer verfassungskonformen Auslegung naheliegt, muss das vorlegende Gericht diese Möglichkeit prüfen und vertretbar begründen, weshalb eine verfassungskonforme Auslegung ausgeschlossen ist (BVerfG-Beschlüsse vom 12. Februar 1992, 1 BvL 21/88, BVerfGE 85, 329; vom 10. Oktober 1997, 1 BvL 5/89, BVerfGE 96, 315; vom 17. April 2008, 2 BvL 4/05, BVerfGE 121, 108 und vom 4. Juni 2012, 2 BvL 9/08, 2 BvL 10/08, 2 BvL 11/08, 2 BvL 12/08, BVerfGE 131, 88).

Eine solche Erörterung ist insbesondere dann geboten, wenn offensichtlich mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kommen und mindestens eine von ihnen nicht in gleicher Weise den verfassungsrechtlichen Bedenken des vorlegenden Gerichts ausgesetzt ist (BVerfG-Beschlüsse vom 16. Dezember 2014, 1 BvR 2142/11, BVerfGE 138, 64 und vom 24. April 2018, 2 BvL 10/16, 149, 1). Eine Norm ist nur dann für verfassungswidrig zu erklären, wenn keine nach anerkannten Auslegungsgrundsätzen zulässige und mit der Verfassung zu vereinbarende Auslegung möglich ist.

Lässt eine Norm unter Berücksichtigung von Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Zweck und Gesetzeszusammenhang mehrere Deutungen zu, von denen nur eine zu einem verfassungsgemäßen Ergebnis führt, ist diejenige Auslegung geboten, die mit dem Grundgesetz in Einklang steht (BVerfG-Beschlüsse vom 15.10.1996, 1 BvL 44/92, 1 BvL 48/92, BVerfGE 95, 64). Das Bemühen um eine verfassungskonforme Auslegung mit dem Ziel, einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu vermeiden, findet aber dort seine Grenzen, wo einem bereits nach dem Wortlaut, aber jedenfalls nach dem gesetzgeberischen Willen eindeutigen Gesetz eine davon abweichende Bedeutung verliehen beziehungsweise das gesetzgeberische Ziel in einem wesentlichen Punkt verfehlt oder verfälscht würde. Eine solche Auslegung, mit der an die Stelle der Gesetzesvorschrift inhaltlich eine andere gesetzt oder mit der ein Regelungsinhalt erstmals geschaffen wird, ist grundsätzlich nicht zulässig (BVerfG-Beschluss vom 14.04.2010, 1 BvL 8/08, BVerfGE 126, 29).

Eine verfassungskonforme Auslegung der Vorschrift ist angesichts des eindeutigen Wortlauts nicht möglich. Zur Überzeugung des Senats wäre die Verfassungswidrigkeit nur zu beseitigen, wenn die Kapitaleinkünfte der tariflichen Einkommensteuer unterworfen oder sämtliche Einkünfte mit dem Sondersteuersatz besteuert werden würden. Dies könnte nur gegen den ausdrücklichen Wortlaut der Vorschriften erfolgen. Eine Auslegung contra legem widerspräche jedoch dem sich aus der Entstehungsgeschichte der Regelung und den Gesetzesmaterialien ergebenden Willen des Gesetzgebers. Für eine gegen den Willen des Gesetzgebers erfolgende Norminterpretation, die zu einer völlig abweichenden Normanwendung führen würde, ist jedoch verfassungsrechtlich kein Raum. Der Rechtsprechung ist es verwehrt, eine vermeintlich verfassungsrechtlich unzulässige Regelung durch eigene richterliche Rechtsschöpfung zu ersetzen. Die Gewaltenteilung bestimmt damit auch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung.

Ein Verfassungsverstoß kann vorliegend auch angesichts der klaren gesetzlichen Regelung nicht durch einen Billigkeitserlass nach § 163 AO o.ä. vermieden werden.

C. Verfassungsrechtliche Beurteilung des vorlegenden Gerichts

Zur Überzeugung des Senats führt der Sondersteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG für Einkünfte aus privaten Kapitalerträgen in Höhe von 25 % und die darauf basierende abgeltende Wirkung des Kapitalertragsteuerabzugs nach § 43 Abs. 5 EStG in den in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassungen zu einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung und ist daher mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar.

I. Der allgemeine Gleichheitssatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG gebietet dem Gesetzgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen (BVerfG-Beschlüsse vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; vom 6. Juli 2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268 und vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 und BVerfG-Urteile vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147).

1. Zwar ist es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte auszuwählen, an die er dieselben Rechtsfolgen knüpft und die er so als rechtlich gleich qualifiziert. Diese Auswahl muss er jedoch sachgerecht treffen (BVerfG-Beschlüsse vom 8. April 1987, 2 BvR 909/82, 2 BvR 934/82, 2 BvR 935/82, 2 BvR 936/82, 2 BvR 938/82, 2 BvR 941/82, 2 BvR 942/82, 2 BvR 947/82, 2 BvR 64/83, 2 BvR 142/84, BVerfGE 75, 108; vom 12. Februar 2003, 2 BvL 3/00, BVerfGE 107, 218; vom 4. April 2006, 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 381; vom 15. Dezember 2015, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 und vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274).

2. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (BVerfG-Urteil vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; BVerfG-Beschluss vom 6. November 2019, BVerfGE 152, 274). Dabei ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen aus dem allgemeinen Gleichheitssatz im Sinne eines stufenlosen am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierten Prüfungsmaßstabs unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (BVerfG-Urteil vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274; BVerfG-Beschlüsse vom 6. November 2019, BVerfGE 152, 274 und vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl I 2021, 4303). Differenzierungen bedürfen stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2009, 1 BvR 1164/07, BVerfGE 124, 199; vom 21. Juni 2011, 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49; vom 7. Februar 2012, 1 BvL 14/07, BVerfGE 130, 240; vom 17. Juli 2012, 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11, BVerfGE 132, 179; vom 19. Februar 2013, 1 BvL 1/11, 1 BvR 3247/09, BVerfGE 133, 59; vom 15. Januar 2014, 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126; vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274 und vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303 und BVerfG-Urteile vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147).

3. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (BVerfG-Urteil vom 23. Oktober, 2 BvG 1/51, BVerfGE 1, 14; BVerfG-Beschlüsse vom 5. Oktober 1993, 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132; vom 6.11.2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274). Willkür des Gesetzgebers kann zwar nicht schon dann bejaht werden, wenn er unter mehreren Lösungen nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Oktober 1980, 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72; vom 5. Oktober 1993, 1 BvL 34/81, BVerfGE 89, 132). Es genügt aber eine tatsächliche und eindeutige Unangemessenheit der Regelung in Bezug auf den zu ordnenden Gesetzgebungsgegenstand, das heißt Willkür im objektiven Sinn (BVerfG-Urteil vom 16. März 1955, 2 BvK 1/54, BVerfGE 4, 144; BVerfG-Beschlüsse vom 27. November 1973, 2 BvL 12/72, 2 BvL 3/73, BVerfGE 36, 174; vom 7. Oktober 1980, 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106). Der Spielraum des Gesetzgebers endet dort, wo die ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo also ein einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (BVerfG-Beschlüsse vom 16. Juni 1959, 2 BvL 10/59, BVerfGE 9, 334; vom 7. Oktober 1980, 1 BvL 50/79, 1 BvL 89/79, 1 BvR 240/79, BVerfGE 55, 72; vom 30. September 1987, 2 BvR 933/82, BVerfGE 76, 256; vom 8. Januar 1992, 2 BvL 9/88, BVerfGE 85, 176; vom 4. April 2006, 1 BvR 518/02, BVerfGE 115, 381; vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274; BVerfG-Urteil vom 7. Dezember 1999, 2 BvR 1533/94, BVerfGE 101, 275.

4. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers kann sich insbesondere ergeben, wenn und soweit sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann (BVerfG-Urteile vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; BVerfG-Beschluss vom 6. November 2019, BVerfGE 152, 274). Zudem verschärfen sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen, je weniger die Merkmale, an die die gesetzliche Differenzierung anknüpft, für Einzelne verfügbar sind (BVerfG-Beschlüsse vom 26. Januar 1993, 1 BvL 38/92, 1 BvL 40/92, 1 BvL 43/92, BVerfGE 88, 87; vom 21. Juni 2011, 1 BvR 2035/07, BVerfGE 129, 49; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303; BVerfG-Urteil vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136).

II. Für das Steuerrecht hat das BVerfG entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 GG dem Steuergesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstands ebenso wie bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weit reichenden Entscheidungsspielraum lässt (BVerfG-Beschlüsse vom 7. Juli 2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1; vom 23. Juni 2015, 1 BvL 13/11, 1 BvL 14/11, BVerfGE 139, 285; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274; vom 8. Juli 2021, 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303; BverfG-Urteile vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147;).

1. Der Gleichheitssatz bindet ihn an den Grundsatz der Steuergerechtigkeit (BVerfG-Beschluss vom 17. Januar 1957, 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55), der gebietet, die Belastung mit Finanzzwecksteuern an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit auszurichten (BVerfG-Urteile vom 5. November 2014, 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350; vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 217; BVerfG-Beschluss vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274). Das gilt insbesondere im Einkommensteuerrecht, das auf die Leistungsfähigkeit des jeweiligen Steuerpflichtigen hin angelegt ist (BVerfG-Beschlüsse vom 23. November 1976, 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108; vom 22. Februar 1984, 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214; vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60; vom 26. Januar 1994, 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346; vom 12. Oktober 2010, 1 BvL 12/07, BVerfGE127, 224; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274; BVerfG-Urteile vom 3. November 1982, 1 BvR 620/78, 1 BvR 1335/78, 1 BvR 1104/79, 1 BvR 363/80, BVerfGE 61, 319).

2. Im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit muss darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen dem Gerechtigkeitsgebot genügen muss (BVerfG-Beschlüsse vom 29. Mai 1990, 1 BvL 20/84, 1 BvL 26/84, 1 BvL 4/86, BVerfGE 82, 60; vom 10. November 1998, 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 246; vom 4. Dezember 2002, 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106; vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274; BVerfG-Urteile vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210; vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 217). Unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung der betroffenen Steuerpflichtigen muss die Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands folgerichtig im Sinne von belastungsgleich erfolgen (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; vom 30. September 1998, 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88; vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280). Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung der mit der Wahl des Steuergegenstands getroffenen gesetzgeberischen Entscheidung (folgerichtigen Umsetzung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands) bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, der die Ungleichbehandlung nach Art und Ausmaß zu rechtfertigen vermag (BVerfG-Urteile vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; vom 5. November 2014, 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350; vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 und vom 10. April 2018, 1 BvL 11/14, 1 BvL 12/14, 1 BvL 1/15, 1 BvR 639/11, 1 BvR 889/12, BVerfGE 148, 147; BVerfG-Beschlüsse vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 und vom 6. November 2019, 1 BvR 276/17, BVerfGE 152, 274).

3. Bei der Einkommensteuer liegt die konkrete Ausgestaltung eines für alle Einkünfte geltenden Tarifs grundsätzlich im Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers, soweit auch im oberen Bereich den Steuerpflichtigen nach Abzug der Steuerbelastung ein - absolut und im Vergleich zu anderen Einkommensgruppen betrachtet - hohes, frei verfügbares Einkommen bleibt, das die Privatnützigkeit des Einkommens sichtbar macht (BVerfG-Beschlüsse vom 18. Januar 2006, 2 BvR 2194/99, BVerfGE 115, 97 und vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164).

4. Wählt der Gesetzgeber indes für verschiedene Arten von Einkünften (vgl. § 2 Abs. 1 EStG) unterschiedliche Tarifverläufe, obwohl die Einkünfte nach der gesetzgeberischen Ausgangsentscheidung die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren (sogenannte Schedulenbesteuerung), muss auch diese Ungleichbehandlung den genannten Rechtfertigungsanforderungen genügen. Allein die systematische Unterscheidung zwischen verschiedenen Einkunftsarten genügt dafür nicht (BVerfG-Beschlüsse vom 8. Oktober 1991, 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348; vom 10. April 1997, 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1; vom 30. September 1998, 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88 und BVerfG-Urteil vom 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73). Im Hinblick auf die Belastungsgleichheit macht es keinen Unterschied, ob Einkünfte, die die gleiche Leistungsfähigkeit repräsentieren, in unterschiedlicher Höhe in die Bemessungsgrundlage einfließen oder ob sie einem unterschiedlichen Tarif unterworfen werden (BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006, BVerfGE 116, 164).

5. Nach diesen Maßstäben führt die Abgeltungsteuer zur Überzeugung des Senats zu einer Ungleichbehandlung zwischen Beziehern privater Kapitaleinkünfte gemäß § 20 EStG und den übrigen Steuerpflichtigen. Während die Bezieher von Kapitaleinkünften gemäß § 32d Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG mit einem Sondersteuersatz von 25 % abgeltend belastet werden, unterliegen die übrigen Steuerpflichtigen gemäß § 32a EStG einem Steuersatz von bis zu 45 %.

a. Die Ungleichbehandlung der Besteuerung beträgt somit bis zu 20 Prozentpunkte. Dies gilt zur Überzeugung des Senats für die Besteuerung von Dividenden und Zinsen gleichermaßen. Diese unterscheiden sich zwar dadurch, dass Dividenden mit Körperschaftsteuer vorbelastet sind. Die körperschaftsteuerliche Vorbelastung bleibt im System der Abgeltungsteuer – im Gegensatz zum Teileinkünfteverfahren nach § 3 Nr. 40 EStG – jedoch unberücksichtigt. Nach der Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit des § 32c EStG, der sich der Senat anschließt, hat das BVerfG deutlich gemacht, dass der Gesetzgeber nach Art. 3 GG nicht zur Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung gezwungen ist. Die Abschirmung einer Kapitalgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern bewirkt, dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre eine eigenständige und objektive Leistungsfähigkeit entsteht, die von der individuellen und subjektiven Leistungsfähigkeit der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt und unabhängig von ihr besteuert werden darf (BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164).

b. Die Ungleichbehandlung wird mit steigenden Einkommen zudem größer, da das System der Abgeltungsteuer besonders vermögende Steuerpflichtige überproportional stark privilegiert. Weiterhin profitieren Bezieher niedriger Einkommen gar nicht von der im Vergleich zur Besteuerung anderer Einkünfte niedrigeren Steuerbelastung. Dies hat seinen Grund in der Regelung des § 32d Abs. 6 EStG wonach auf Antrag des Steuerpflichtigen eine Günstigerprüfung vorgenommen werden kann. Die Abgeltungsteuer wirkt sich dadurch nur bei demjenigen aus, der private Kapitaleinkünfte erzielt und dessen durchschnittliche Belastung der steuerpflichtigen Kapitalerträge – unter Berücksichtigung etwaiger anderweitiger Einkünfte – über dem Abgeltungsteuersatz von 25 % liegt. Der Steuerpflichtige muss somit signifikante Einkünfte erzielen und dann über entsprechendes Geldvermögen verfügen, das er anlegen bzw. sparen oder investieren kann.

c. Nach dem Jahresgutachten 2014/2015 des Sachverständigenrats werden in Deutschland Einkünfte aus privat investiertem Vermögen ganz überwiegend von den einkommens- und vermögensmäßig am besten gestellten Haushalten erzielt. Im Jahr 2011 haben sie sowohl in absoluten wie in relativen Zahlen beim einkommensstärksten Dezil aller Haushalte ein Vielfaches dessen ausgemacht, was nachfolgende Dezile aus dieser Einkunftsquelle jeweils an Haushaltseinkommen generieren konnten. Der Anteil der Einkünfte aus der privaten Kapitalanlage (in Immobilien oder in der Abgeltungsteuer unterliegende Finanzanlagen) am Gesamthaushaltseinkommen hat sich beim obersten Dezil auf knapp 10 %, schon beim neunten Dezil auf nur mehr ca. 3 %, beim achten Dezil auf lediglich 2 % und bei den übrigen 70 % aller Haushalte auf 1 % oder weniger belaufen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2014/2015, S. 376; Englisch, a.a.O., S. 18).

Weiterhin wirkt sich die Abgeltungsteuer bzw. der proportionale Einheitssteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG von 25 % überhaupt nur bei der oberen Hälfte aller Haushalte begünstigend aus. Ausweislich einer Mikrosimulation der Bundesregierung ist in den Jahren 2009 bis 2014 nur bei jeweils etwas mehr als der Hälfte aller Steuerpflichtigen mit steuerpflichtigen Einkünften aus privaten Kapitalerträgen die Abgeltungsteuer günstiger gewesen als die Veranlagung nach § 32d Abs. 6 EStG (Antwort der Bundesregierung v. 6.10.2014 auf die Kleine Anfrage der Fraktion Die Linke, BT-Drs.18/2724, S. 5). Darin noch nicht berücksichtigt sind zudem diejenigen Steuerpflichtigen, die mit ihren Einkünften aus Kapitalvermögen den Sparerpauschbetrag nach § 20 Abs. 9 Satz 1, 1. Halbsatz EStG nicht überschreiten und infolge von Freistellungsaufträgen nach § 44a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG weder der Abgeltungsteuer unterlagen noch mit ihren Kapitalerträgen veranlagt wurden. Dies deckt sich auch mit der Einschätzung des Sachverständigenrates kurz vor Inkrafttreten der Abgeltungsteuer, wonach auf Basis der Daten des Jahres 2002 die Veranlagung privater Kapitalerträge im Rahmen der Regelbesteuerung bzw. nach der Günstigerprüfung des § 32d Abs. 6 EStG anstelle des Abgeltungsteuertarifs seinerzeit für ca. 55 % aller Betroffenen vorteilhaft gewesen wäre (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09, S. 232 f.). Ein etwaiger Entlastungseffekt der Abgeltungsteuer konzentriert sich nach alledem auf die finanzkräftigsten Haushalte Deutschlands und dort nochmals auf die Bezieher ganz besonders hoher Einkommen, die zugleich im statistischen Durchschnitt die höchsten Bruttogeldvermögen aufweisen (Statistisches Bundesamt, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe: Geld- und Immobilienvermögen sowie Schulden privater Haushalte, 2018, S. 31; Englisch a.a.O. S. 18).

d. Das BVerfG hat in seinem jüngsten Beschluss zur Reichensteuer (BVerfG-Beschluss vom 8. Dezember 2021, 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19) deutlich gemacht, dass selbst bei einer Ungleichbehandlung von Gewinn- und Überschusseinkünften von 3 Prozentpunkten hohe Anforderungen an die Rechtfertigung zu stellen sind.

e. Diese Ungleichbehandlung widerspricht der gesetzgeberischen Grundsatzentscheidung für einen progressiven Einheitstarif. Die Einkommensteuer zielt auf die Belastung der im individuellen Einkommen des Steuerpflichtigen manifestierten Leistungsfähigkeit (BVerfG-Beschlüsse vom 21. Juni 2002, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116,164; vom 4.Dezember 2002, 2 BvR 400/98, 2 BvR 1735/00, BVerfGE 107, 27; vom 8. Juni 2004, 2 BvL 5/00, BVerfGE 110, 412 und vom 6. Juni 2010, 2 BvL 13/09, BVerfGE 126, 268). Diese Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers wird hinsichtlich der Höhe des steuerlichen Zugriffs durch das in § 32a Abs. 1 EStG zum Ausdruck kommende Prinzip progressiver und in relativ hohem Maße umverteilender Besteuerung konkretisiert (Englisch a.a.O., S. 10).

III. Die festgestellte Ungleichbehandlung verstößt gegen das objektive Nettoprinzip und den Grundsatz der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit. Jedoch führt nicht jeder Verstoß gegen den Gleichheitssatz zur Verfassungswidrigkeit der Norm. Das BVerfG hat in seiner Rechtsprechung verschiedene Rechtfertigungsgründe entwickelt.

1. Ein solcher Grund kann in der Verfolgung von Förderungs- oder Lenkungszwecken liegen.

a. Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht gehindert, mit Hilfe des Steuerrechts aus Gründen des Gemeinwohls außerfiskalische Förder- und Lenkungsziele zu verfolgen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1; BVerfG-Urteile vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274; vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 und vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136). Er darf nicht nur durch Ge- und Verbote, sondern ebenso durch mittelbare Verhaltenssteuerung auf Wirtschaft und Gesellschaft gestaltend Einfluss nehmen. Der Bürger wird dann nicht rechtsverbindlich zu einem bestimmten Verhalten verpflichtet, erhält aber durch Sonderbelastung eines unerwünschten Verhaltens oder durch steuerliche Verschonung eines erwünschten Verhaltens ein finanzwirtschaftliches Motiv, sich für ein bestimmtes Tun oder Unterlassen zu entscheiden (BVerfG-Urteile vom 7. Mai 1998, 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95, BVerfGE 98, 106; vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 und BVerfG-Beschlüsse vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 und vom 15. Januar 2014, 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126).

b. In der Entscheidung darüber, welche Sachverhalte, Personen oder Unternehmen gefördert werden sollen, ist der Gesetzgeber weitgehend frei (BVerfG-Beschlüsse vom 12. Februar 1964, 1 BvL 12/62, BVerfGE 17, 210; vom 7. November 1995, 2 BvR 413/88, 2 BvR 1300/93, BVerfGE 93, 319 und BVerfG-Urteile vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274 und vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136). Insbesondere verfügt er über einen großen Spielraum bei der Einschätzung, welche Ziele er für förderungswürdig hält. Er darf Verschonungen von der Steuer vorsehen, sofern er ansonsten unerwünschte, dem Gemeinwohl unzuträgliche Effekte einer uneingeschränkten Steuererhebung befürchtet.

c. Förderungs- und Lenkungsziele sind allerdings nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung mit hinreichender Bestimmtheit tatbestandlich vorgezeichnet sind (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 und vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280) oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1; vom 17. April 2008, 2 BvL 4/05, BVerfGE 121, 108; vom 15. Januar 2014, 1 BvR 1656/09, BVerfGE 135, 126 und BVerfG-Urteile vom 6. März 2002, 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73; vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274; vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210

d. Eine Intervention, die das Steuerrecht in den Dienst außerfiskalischer Verwaltungsziele stellt, setzt eine erkennbare Entscheidung des Gesetzgebers voraus, mit dem Instrument der Steuer auch andere als bloße Ertragswirkungen erzielen zu wollen. Andernfalls drohte die Gefahr, dass eine speziell für die Besteuerung vorgesehene Ermächtigung (Art. 105 GG) für nichtsteuerliche Ziele in Anspruch genommen und damit Vergünstigungen zulasten der Ertragshoheit der Länder angeboten sowie unter Umständen Länderkompetenzen überspielt werden könnten. Zudem können die Lenkungswirkungen häufig auch Grundrechte berühren. Für die Steuerintervention muss der Gesetzgeber deshalb gesondert prüfen, ob er das Handlungsmittel der Besteuerung oder der Verschonung davon für außerfiskalische Zwecke einsetzen darf und will (BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121).

e. Die gesetzgeberische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke muss hinreichend bestimmt sein. Soweit die Konkretisierung nicht durch die tatbestandliche Ausgestaltung der Norm geschieht, mit der das Ziel umgesetzt wird (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 und vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280), genügen in den Materialien genannte lediglich vage Zielsetzungen wie "Förderung der Investitionsbereitschaft" oder "Schaffung von Arbeitsplätzen" für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungs- und damit gleichheitsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen (BVerfG-Beschluss vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164). Erforderlich ist vielmehr ein gesetzgeberischer Akt, der den Förderungstatbestand deutlich umgrenzt sowie gemeinwohlbezogen und zweckgebunden bemisst (BVerfG-Beschluss vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121).

2. Die Ausgestaltung des Förderungs- und Lenkungszwecks muss zudem gleichheitsgerecht erfolgen (BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995, 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121; vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 und BVerfG-Urteile vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274; vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 und vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136).

Der Gesetzgeber darf seine Leistungen insbesondere nicht nach unsachlichen Gesichtspunkten, also nicht willkürlich verteilen. Sachbezogene Gesichtspunkte stehen ihm in weitem Umfang zu Gebote, die Regelung darf sich aber nicht auf eine der Lebenserfahrung geradezu widersprechende Würdigung der jeweiligen Umstände stützen und muss insbesondere den Kreis der von der Maßnahme Begünstigten sachgerecht abgrenzen (BVerfG-Beschluss vom 7. November 2006, 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1 und BVerfG-Urteile vom 20. April 2004, 1 BvR 905/00, 1 BvR 1748/99, BVerfGE 110, 274 und vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136).

3. Der rein fiskalische Zweck staatlicher Einnahmenerhöhung oder Haushaltskonsolidierung ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Rechtfertigungsgrund für Ausnahmen von einer belastungsgleichen Ausgestaltung des steuerlichen Ausgangstatbestands anzuerkennen (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 5. Februar 2002, 2 BvR 305/93, 2 BvR 348/93, BVerfGE 105, 17; vom 21. Juni 2006, 2 BvL 2/99, BVerfGE 116, 164; vom 15. Dezember 2015, 2 BvL 1/12, BVerfGE 141, 1; vom 29. März 2017, 2 BvL 6/11, BVerfGE 145, 106 und BVerfG-Urteile vom 9. Dezember 2008, 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210).

4. Zur Überzeugung des Senats genügen die in den Gesetzesmaterialien genannten Rechtfertigungsgründe den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Weitere Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.

Hierzu im Einzelnen:

a. Effektiver Steuervollzug

Zur Überzeugung des Senats ist die Abgeltungsteuer grundsätzlich nicht zur Verwirklichung eines effektiven Steuervollzugs oder zur Beseitigung eines etwaigen strukturellen Vollzugsdefizits geeignet. Unabhängig von der Frage der grundsätzlichen Geeignetheit der Regelung ist die Erforderlichkeit zwischenzeitlich entfallen.

Der Gesetzgeber hat die Einführung der Abgeltungsteuer in erster Line als Maßnahme zur Sicherstellung der Steuererhebung von privaten Kapitaleinkünften gerechtfertigt. Dem lag die Überlegung zugrunde, durch eine verminderte Steuerbelastung Anreize zur Steuerehrlichkeit zu setzen und dem deutschen Fiskus auf diese Weise Steuersubstrat zuzuführen, das ihm andernfalls verborgen und entzogen worden wäre. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber damit sein Besteuerungsrecht so weit zurückgenommen, wie er vermutet hat, dass Steuerpflichtige mit mobilem Vermögen bereit sind, Steuern zu entrichten. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass Vollzugsdefizite im internationalen Kontext eine Besteuerung faktisch verhindert haben. Anders ausgedrückt, wollte der Gesetzgeber Steuerhinterziehung verhindern. Der damalige Finanzmister hat diesen Ansatz prägnant mit den Worten zusammengefasst: „es ist besser, 25 Prozent auf X zu haben statt 42 Prozent auf gar nix. So simpel ist die Rechnung“.

Dieser Gedanke nimmt Anleihen an dem Zinssteuerurteil des BVerfG. Das BVerfG hatte entschieden, dass eine Besteuerung, die nahezu allein auf der Erklärungsbereitschaft des Steuerpflichtigen beruhe, weil die Erhebungsregelungen Kontrollen der Steuererklärungen weitgehend ausschließen würden, im Ergebnis so wirken würden, als hätte die Steuer ihren Belastungsgrund letztlich nur in der Bereitschaft, Steuern zu zahlen. Damit würde der Gesetzgeber Verletzungen einer Gemeinschaftspflicht in gleichheitswidriger Weise hinnehmen, was auch gelte, wenn die eine Gemeinlast begründende Regelung den sich verschweigenden Pflichtigen in aller Regel belastungsfrei bleiben lasse. Eine Ungleichheit im Belastungserfolg sei dem Gesetzgeber auch dann zuzurechnen, wenn sie auf Verwaltungsvorschriften beruhe, die der Gesetzgeber bewusst und gewollt bei seiner Regelung hingenommen habe und sich ihm die Erkenntnis habe aufdrängen müssen, dass für die in Frage stehende Steuer mit Blick auf die Erhebungsart sowie die nähere Regelung des Erhebungsverfahrens das von Verfassungs wegen vorgegebene Ziel der Gleichheit im Belastungserfolg prinzipiell nicht zu erreichen sei und er sich dieser Erkenntnis daher nicht habe verschließen dürfen. Bei der Besteuerung von Zinseinkünften nach EStG 1979 § 2 Abs. 1 Nr. 5, § 20 Abs. 1 Nr. 8 hätte seit dem Veranlagungszeitraum 1981 ein struktureller Erhebungsmangel bestanden. Nach der Veranlagungswirklichkeit habe die tatsächliche Steuerbelastung im Regelfall davon abgehangen, ob der Steuerpflichtige seine Einkünfte erkläre oder verschweige. Der Bankenerlass 1979 habe eine wirksame Ermittlung und Kontrolle der Einkünfte aus Kapitalvermögen verhindert und stelle sich damit als strukturelles Vollzugshindernis dar. Auch wenn sich die bestehende Ungleichheit des Belastungserfolgs nicht durch gesamtwirtschaftliche Gründe rechtfertigen lasse, so sei der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nicht gehindert, die Besteuerung der Kapitaleinkünfte auf die gesamtwirtschaftlichen Anforderungen an das Kapitalvermögen und die Kapitalerträge auszurichten und entsprechend zu differenzieren, insbesondere die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart "Kapitalvermögen" bei der Besteuerung zu berücksichtigen. Es bliebe auch im Rahmen des gesetzgeberischen Einschätzungsspielraums, wenn der Gesetzgeber alle Kapitaleinkünfte an der Quelle besteuert und mit einer Definitivsteuer belaste, die in einem linearen Satz den absetzbaren Aufwand und den Progressionssatz in Durchschnittswerten typisiere (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).

Diese Grundsätze sind zur Überzeugung des Senats auf die vorliegende Rechtslage jedoch nicht anwendbar.

Bezogen auf die von den §§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG erfassten laufenden Kapitalerträgen und Veräußerungsgewinne lag, nach den ausführlich begründeten Nichtannahmebeschlüssen des BVerfG und der Rechtsprechung des BFH – denen sich der Senat inhaltlich anschließt - bereits vor Einführung der Abgeltungsteuer kein strukturelles Vollzugsdefizit mehr vor, das dem Gesetzgeber anzulasten gewesen wäre. Durch die Einführung der §§ 93 Abs. 7 und Abs. 8, § 93b AO, § 24c KWG und § 45d EStG hatten sich die Ermittlungs- und Verifikationsmöglichkeiten der Finanzverwaltung für im Inland verwaltetes Vermögen kontinuierlich verbessert (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 10. Januar 2008, 2 BvR 294/06, HFR 2008, 387; vom. 7. Mai 2008, 2 BvR 2392/07, HFR 2008, 1283; BFH-Urteil vom 7. September 2005, VIII R 90/04, BStBl. II 2006, 61; Intemann, Besteuerung privater Wertpapierveräußerungsgeschäfte ab 1999 verfassungsgemäß! Anmerkung zum BVerfG-Beschluss v. 10.1.2008 - 2 BvR 294/06, NWB Fach 3, 14985; jüngst zur Frage, ob ein strukturelles, dem Gesetzgeber zuzurechnendes Vollzugsdefizit vorliegt, BFH-Urteil vom 16. September 2021, IV R 34/18, BStBl. II 2022, 101).

Ein Vollzugshindernis hat sich hingegen zweifelsfrei für im Ausland verwaltetes Vermögen ergeben. Dieses Vollzugshindernis war dem Gesetzgeber jedoch nicht zuzurechnen, da dieses nicht auf der (nationalen) Gesetzgebung, sondern auf dem völkerrechtlich verankerten Prinzip der strengen formellen Territorialität beruhte.

Zur Beseitigung dieses Vollzugshindernisses war die Einführung der Abgeltungsteuer zur Überzeugung des Senats jedoch kein geeignetes Mittel. Durch deren Einführung haben sich die Möglichkeiten der Finanzverwaltung bislang nicht erklärte ausländische Kapitaleinkünfte zu ermitteln, nicht verbessert. Ohne eine Erhöhung des Entdeckungsrisikos wird für den bislang unehrlichen Steuerpflichtigen kein Anlass bestehen, seine Kapitaleinkünfte künftig zu deklarieren. Sein Streben nach einer möglichst niedrigen Besteuerung wird plakativ ausgedrückt - in Anlehnung an den seinerzeitigen Finanzminister Steinbrück - zu der Rechnung führen „0 Prozent auf x ist besser als 25 Prozent auf x“. Damit war die Besteuerung der ausländischen Kapitaleinkünfte unverändert von der Bereitschaft des Steuerpflichtigen überhaupt Steuern zu zahlen abhängig. Die Einführung der Abgeltungsteuer hat daher im Ergebnis nur dazu geführt, dass diejenigen Steuerpflichtigen privilegiert wurden, die auch bisher schon ihre (in oder ausländischen) Kapitalerträge deklariert hatten.

Durch die Einführung der Abgeltungsteuer war auch nicht zu erwarten, dass Steuerpflichtige dazu motiviert werden, bislang unversteuertes Vermögen dem deutschen Fiskus zu offenbaren. Hierfür wären vielmehr flankierende Maßnahmen, wie eine deutliche Verschärfung der Strafandrohung oder eine Amnestieregelung, notwendig gewesen. Ohne diese flankierenden Maßnahmen hätten die bisher nicht deklarierten Kapitaleinkünfte nachversteuert und verzinst werden müssen. Tatsächlich zeigt sich retrospektiv, dass die Verschärfung der Strafandrohung und die Erhöhung des Entdeckungsrisikos und nicht die Abgeltungsteuer zu einem deutlichen Kulturwandel bei der Besteuerung und einer erheblichen Rückführung von Steuersubstrat geführt haben.

Sollte das BVerfG der Auffassung des Senats nicht folgen und die Abgeltungsteuer von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers bei ihrer Einführung als geeignetes Mittel zur Verhinderung von Steuerverkürzung ansehen, dann wäre die Erforderlichkeit zur Überzeugung des Senats jedenfalls mittlerweile entfallen.

Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sich der Senat anschließt, trifft den Gesetzgeber eine Beobachtungspflicht, ob sich seine Annahmen und Prognosen bei der Verabschiedung eines Gesetzes bewahrheitet haben. „Hat der Gesetzgeber eine Entscheidung getroffen, deren Grundlage durch neue, im Zeitpunkt des Gesetzeserlasses noch nicht abzusehende Entwicklungen entscheidend in Frage gestellt wird, dann kann er von Verfassungs wegen gehalten sein zu überprüfen, ob die ursprüngliche Entscheidung auch unter den veränderten Umständen aufrechtzuerhalten ist“ (BVerfG-Beschluss vom 8. August 1978, 2 BvL 8/77, BVerfGE 49, 89; zum Steuerrecht: ErbSt-Urteil des BVerfG vom 17. Dezember 2014, 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50). Eine zunächst verfassungsgemäße Regelung kann somit wegen Veränderung der Umstände in die Verfassungswidrigkeit hineinwachsen.

Dies ist vorliegend der Fall. Zu nennen ist hier einerseits die verbesserte internationale Zusammenarbeit durch die Bemühungen der OECD, der G20 und des Global Forum. Der Senat verweist hierzu auf die umfassende Darstellung der Entwicklung in diesem Bereich. Die Finanzverwaltung hat im Dezember 2014 erklärt, dass die Abkommen zum internationalen Informationsaustausch wesentlich dazu beitragen würden, dass Deutschland seinen Besteuerungsanspruch sichern könne (Antwort des Parlamentarischen Staatssekretärs Michael Meister vom 29. Dezember 2014 auf die schriftliche Anfrage der Abgeordneten Gesine Lötzsch, BT-Drs. 18/3672, S. 34).

Nach der Rechtsprechung des BVerfG, der sich der Senat anschließt, entfalten den Finanzbehörden erstmals zur Verfügung stehende neue Ermittlungsinstrumente eine zeitliche Vorwirkung für die Beurteilung, inwieweit sie einen gleichmäßigen Steuervollzug und damit tatsächliche Belastungsgleichheit gewährleisten können. In zeitlicher Hinsicht seien dabei grundsätzlich alle solche Veränderungen in die Betrachtung einzubeziehen, die sich typischerweise auf den Vollzug innerhalb der allgemeinen vierjährigen Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO auswirken könnten. Ein allgemeines Bekanntwerden künftiger Möglichkeiten der Finanzbehörden, Steuerhinterziehung aufzudecken, allein infolge des damit geschaffenen Bewusstseins eines erkennbar steigenden Entdeckungsrisikos könne einen starken Anreiz zu wahrheitsgemäßer Deklaration von Kapitaleinkünften bieten. Die entsprechenden Instrumentarien entfalten somit generalpräventiv erhebliche Vorwirkungen (BVerfG-Nichtannahmebeschluss vom 10. Januar 2008, 2 BvR 294/06, HFR 2008, 387; Englisch, a.a.O., S. 46).

Zur Überzeugung des Senats haben die dargestellten Entwicklungen auf dem Gebiet der internationalen Zusammenarbeit aufgrund deren präventiven Wirkung die Erforderlichkeit der Abgeltungsteuer zur Vermeidung von Steuerhinterziehung spätestens ab dem Jahr 2012 entfallen lassen. Ab diesem Zeitpunkt war für den durchschnittlichen Steuerpflichtigen erkennbar, dass das Entdeckungsrisiko unter Berücksichtigung der Festsetzungsfristen derart hoch war, dass eine (weitere) Nichtdeklaration von ausländischen Kapitaleinkünften mit hohen strafrechtlichen Risiken verbunden war.

Eine weitere Entwicklung die zum Entfall der Erforderlichkeit ab spätestens dem Jahr 2012 geführt hat, war die erheblich verschärfte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für Strafsachen (BGHSt) zur Strafzumessung bei Steuerhinterziehung im Jahr 2008 (BGH-Urteil vom 2. Dezember 2008, 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71), der vermehrte Ankauf von Steuer-CDs ab dem Jahr 2010 und nicht zuletzt die deutliche Verschärfung der steuerlichen Selbstanzeige gemäß § 371 AO durch das Schwarzgeldbekämpfungsgesetz (BGBl. I 2011, 676) mit Wirkung vom 3. Mai 2011. Der durchschnittliche Steuerpflichtige musste spätestens ab diesem Zeitpunkt damit rechnen, dass das Entdeckungsrisiko durch den Ankauf der Steuer-CDs nicht mehr kalkulierbar war, ihm die Möglichkeit der Selbstanzeige ggf. nicht mehr gegeben war und ihm erhebliche strafrechtliche Konsequenzen drohten. Die Steuerhinterziehung hat sich zudem auch in der öffentlichen Wahrnehmung vom „Kavaliersdelikt“ zu einem Delikt gewandelt, das ernsthafte Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Verstärkt wurde dies durch zahlreiche öffentlichkeitswirksame Strafprozesse wegen Steuerhinterziehung. Insgesamt hat sich, wie dargestellt, in dieser Zeit ein erheblicher Kulturwandel ergeben, der Einfluss auf die Entscheidungen von Steuerpflichtigen gehabt hat.

b. Standortförderung

Zur Überzeugung des Senats ist die Abgeltungsteuer nicht zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet.

Der Gesetzgeber wollte mit der Einführung der Abgeltungsteuer auch „die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes“ verbessern (BT-Drs. 16/1841, S. 60). Konkrete Ausführungen wie dies erreicht werden sollte, lassen sich dem Gesetzesentwurf jedoch nicht entnehmen. Nach der Rechtsprechung des BVerfG zur Reichensteuer, der sich der Senat anschließt, sind mit Hilfe des Steuerrechts verfolgte außerfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele nur dann geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Be- oder Entlastungen zu liefern, wenn entweder Ziel und Grenze der Lenkung tatbestandlich vorgezeichnet sind oder das angestrebte Förderungs- oder Lenkungsziel jedenfalls von einer erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidung getragen wird (BVerfG-Beschluss vom 8. Dezember 2021, 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19). Die gesetzgeberische Entscheidung für Förderungs- oder Lenkungszwecke muss hinreichend bestimmt sein. In den Gesetzesmaterialien genannte lediglich vage Zielsetzungen genügen für sich genommen nicht, um Abweichungen von einer leistungsgerechten Besteuerung zu rechtfertigen. Erforderlich ist vielmehr ein gesetzgeberischer Akt, der den Förderungstatbestand deutlich umgrenzt sowie gemeinwohlbezogen und zweckgebunden bemisst (BVerfG-Beschluss vom 8. Dezember 2021, 2 BvL 1/13, DStR 2022, 19). Diesen Anforderungen genügt die Gesetzesbegründung erkennbar nicht.

Unabhängig hiervon ist die Abgeltungsteuer zur Überzeugung des Senats auch im Übrigen nicht zur Standortförderung des deutschen Finanzplatzes geeignet. Eine etwaige Förderung des deutschen Finanzplatzes wäre nur denkbar, wenn die Abgeltungsteuer derart attraktive steuerliche Voraussetzungen schafft, dass dieser im internationalen Vergleich einen Besteuerungsvorteil bieten würde. Der Abgeltungsteuersatz beläuft sich einschließlich Solidaritätszuschlag auf 26,375 %. Bei kirchensteuerpflichtigen Beziehern privater Kapitalerträge kann die Belastung auf bis zu knapp 28 % ansteigen. Die Bemessungsgrundlage bezieht sich zudem auf die Bruttokapitalerträge, da ein Werbungskostenabzug gemäß § 20 Abs. 9 Satz 1, 2. Halbsatz EStG ausgeschlossen ist.

Von den 15 übrigen Staaten der Europäischen Union, die eine unter dem progressiven Regeltarif angesiedelte proportionale Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge eingeführt haben, haben nur Portugal und Schweden einen höheren Steuersatz vorgesehen. Dieser beläuft sich in Portugal auf 28 %, in Schweden auf 30 %, wobei sich die Belastung in Portugal bei langlaufenden Kapitalanlagen auf bis zu 11,2 % reduzieren kann. Zu beachten ist außerdem, dass in diesen beiden Staaten der Spitzensteuersatz des progressiven Tarifs höher als in Deutschland ist. In Portugal liegt er bei 48 %, in Schweden bei durchschnittlich ca. 55 %. In allen anderen Staaten ist der Abgeltungsteuersatz niedriger. Dabei sind die Unterschiede im Verhältnis zu vier weiteren Staaten noch eher gering. Die Abgeltungsteuersätze in Österreich, Slowenien und Belgien belaufen sich auf jeweils 25 %, wobei dort erneut der Spitzensteuersatz des progressiven Tarifs über dem in Deutschland liegt (jeweils 50 %). In Italien ist ein Abgeltungsteuersatz von 26 % vorgesehen. Die deutliche Mehrheit der EU-Staaten mit Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge hat hingegen signifikant niedrigere Sätze festgelegt. In Lettland beträgt dieser 10 % (statt maximal 24 %), in Luxemburg 10 % (statt maximal 43,6 %), Kroatien befreit Sparguthaben und Kontokorrentkonten völlig von der Einkommensteuer (statt maximal 40 %), Estland befreit Sparguthaben und ähnliches im Falle der Anlage bei einer im EWR ansässigen Bank von der Einkommensteuer (statt 20 %), in Griechenland betragt dieser 15 % (statt maximal 42 %), in Malta 15 % (statt maximal 35 %), in Polen 19 % (statt maximal 32 %), in der Slowakei 19 % (statt maximal 25 %). In diese Gruppe würde an sich auch Zypern, dessen Sonderabgabe auf (einkommensteuerfreie) Zinserträge an sich bei 15 % gelegen hat, gehören. Einzig auf Druck der Gruppe der Eurostaaten im Zuge der zyprischen Finanzkrise hat Zypern diese Abgabe im April 2013 auf 30 % erhöht (Englisch, a.a.O., S. 28).

Bereits dieser Vergleich mit anderen EU Staaten zeigt, dass die Abgeltungsteuer in dieser Hinsicht nicht geeignet ist, die Attraktivität und die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Finanzplatzes zu erhöhen. Ein Vergleich mit typischen (außereuropäischen) Niedrigsteuerländern erübrigt sich.

c. Vereinfachungseffekt

Zur Überzeugung des Senats ist die Abgeltungsteuer nicht zur Erzielung von Vereinfachungseffekten im Besteuerungsverfahren geeignet.

Der Gesetzgeber hat sich in der Gesetzesbegründung eine „drastische Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens“ versprochen (BT-Drs. 16/4841, S. 35). Das BVerfG hat Vereinfachungserfordernisse als besondere sachliche Gründe für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen anerkannt. Diese sind jedoch auf die Eignung, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu überprüfen. Die Vorteile von Vereinfachungsregeln müssen dabei im rechten Verhältnis zu der mit ihnen notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen. Der gesetzgeberische Spielraum ist dabei umso enger, je dichter die verfassungsrechtlichen Vorgaben außerhalb des Art. 3 Abs. 1 GG sind (BVerfG-Beschluss vom 7. Mai 2013, 2 BvR 909/06, BVerfGE 133, 377).

Zur Überzeugung des Senats werden durch die Abgeltungsteuer keine Entlastungswirkungen erzielt, die die ungleiche steuerliche Behandlung rechtfertigen würden. Dies betrifft sowohl Entlastungen auf Seiten der Finanzverwaltung als auch Entlastungen auf Seiten der (Finanz-)Wirtschaft. Diese Einschätzung wird durch die praktischen Erfahrungen bestätigt.

In dem Gesetzesentwurf wurde eine Summe von 150 Millionen Euro durch den Wegfall der Verpflichtung zur Ausstellung von Jahresbescheinigungen nach § 24c a.F. EStG bei Banken/Versicherungen prognostiziert (BT-Drs. 16/4841, S. 36 f., 59). Hierbei handelte es sich jedoch ganz überwiegend um die Kosten der Systemumstellung bei Banken und Versicherungen anlässlich der Einführung der dahingehenden Bescheinigungspflicht und somit um einen Einmaleffekt. Dieser Einsparung stehen nach Schätzung des Gesetzgebers Mehrkosten von mindestens 50 Millionen Euro Zusatzkosten durch Formalitäten im Zusammenhang mit der Abwicklung der Abgeltungsteuer entgegen (BT-Drs. 16/4841, S. 37). Im Ergebnis wurde der vorherige verwaltungsseitige Veranlagungsaufwand der Finanzbehörden mit der Abgeltungsteuer auf die auszahlenden Stellen in der Finanzbranche abgewälzt (Englisch, a.a.O., S. 54).

Weiterhin hat sich auch kein signifikant geringerer Verwaltungsaufwand ergeben. Der Sachverständigenrat hat bereits in seinem Bericht für das Jahr 2008/2009 festgestellt, dass die eigentlich mit der Abgeltungsteuer angestrebte Steuervereinfachung nur zu einem geringen Teil erreicht wurde (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09, S. 193 f.). Er schätzte den Anteil derjenigen Steuerpflichtigen, die sich wegen der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG nach wie vor für eine Veranlagung ihrer privaten Kapitalerträge entscheiden würden auf rund 55 % aller Betroffenen (Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2008/09, S. 232 f.). Auf eine kleine Anfrage der der Abgeordneten Richard Pitterle, Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE antwortete die Bundesregierung, dass bei knapp 50 % aller Bezieher steuerpflichtiger Kapitalerträge die Günstigerprüfung zu einer geringeren Steuerbelastung als die Anwendung der §§ 32d Abs. 1, 43 Abs. 5 EStG führt (BT-Drs. 18/2724, S. 5). Der Bundesrechnungshof hat in einem Bericht aus dem Jahr 2012 festgestellt: „Die Abgeltungsteuer sollte „zu einer erheblichen steuerlichen Entlastung sowie zur drastischen Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens von Kapitaleinkünften“ führen. Der Bundesrechnungshof stellte in einer anderen Untersuchung bei sechs Finanzämtern fest, dass die meisten Steuerpflichtigen auch weiterhin ihre Kapitalerträge erklärten. Einen Vereinfachungseffekt konnten die Beschäftigten in den Finanzämtern noch nicht feststellen“ (Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof, Bericht nach § 99 der Bundeshaushaltsordnung über den Vollzug der Steuergesetze, insbesondere im Arbeitnehmerbereich, v. 17.1.2012, BT-Drs. 17/8429, S. 7).

d. Inflationsbereinigung

In der Literatur wird teils der Standpunkt vertreten, die Abgeltungsteuer könne eine typisierte Inflationsbereinigung der privaten Kapitalerträge darstellen (Hey in: Tipke/Lang Rn. 8.504 ff.). Das BVerfG hat in seinem Zinssteuerurteil ebenfalls angedeutet, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich wäre, die Geldwertabhängigkeit und damit die gesteigerte Inflationsanfälligkeit der Einkunftsart "Kapitalvermögen" bei der Besteuerung zu berücksichtigen (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).

Zur Überzeugung des Senats ist die Abgeltungsteuer kein geeignetes Mittel um die Inflationsanfälligkeit angemessen bei allen Beziehern von Kapitaleinkünften zu berücksichtigen. Zunächst wird dies bereits durch die Günstigerprüfung gemäß § 32a Abs. 6 EStG verhindert. Bei ca. der Hälfte der Steuerpflichtigen ist die Besteuerung mit dem Regelsteuersatz des § 32d Abs. 1 EStG günstiger, so dass bei Steuerpflichtigen mit niedrigerem Einkommen keine Berücksichtigung von Inflationseffekten stattfindet. Die Inflationsbereinigung wäre daher umso größer, je mehr der proportionale Steuersatz von dem Regelsteuersatz abweicht. Dies würde zu einer übermäßigen Begünstigung von besonders vermögenden Steuerpflichtigen führen. Zudem hängt die Inflationsbereinigung, ohne dass es zu einer Überbegünstigung kommt, von zahlreichen variablen Faktoren wie der jährlichen Geldentwertung und der Rendite der Kapitalerträge ab.

In den Jahren 2011 bis 2013 hat die Inflationsrate konstant über den durchschnittlichen Zinsen für Bankeinlagen privater Haushalte mit einer bis zu dreimonatigen Kündigungsfrist (den typischen Spareinlagen bei Kreditinstituten) gelegen. Die nominalen Zinszahlungen auf solche Einlagen haben in diesen Jahren die Geldentwertung nicht wettgemacht. Jegliche Form von Besteuerung, und sei es auch mit einer „nur“ 25 prozentigen Abgeltungsteuer, ist dadurch gemessen an den nicht vorhandenen Realwertzuwächsen überhöht. Eine Inflationsbereinigung der Besteuerung durch die Abgeltungsteuer hätte insoweit also bei weitem nicht in hinreichendem Maße stattgefunden, denn dafür hätte auf jegliche Besteuerung verzichtet werden müssen. Im Jahr des Inkrafttretens der Abgeltungsteuer war die jährliche Teuerung mit 0,3 % hingegen auf einem historischen Tiefstand, und zugleich haben Bankeinlagen privater Haushalte mit einer bis zu zweijährigen Kündigungsfrist seinerzeit im Jahresdurchschnitt noch eine Rendite von 3,2 % erbracht. Der mit entsprechenden Kapitalerträgen erzielte reale Wertzuwachs in Höhe von 2,9 % hat hier folglich noch ca. 91,6 % der nominellen Kapitalerträge ausgemacht. Dementsprechend hätte eine Besteuerung mit einem Steuersatz in Höhe von 91,6 % der regulären tarifären Belastung genügt, um die Inflation für Besteuerungszwecke zu neutralisieren und die Einkommensteuer letztlich nach dem Realwertprinzip zu erheben. Bei einem Spitzensteuersatz von 45 % wäre also eine Absenkung der Tarifbelastung auf 41,2 % für die Inflationsbereinigung ausreichend gewesen (mit weiteren Berechnungen: Englisch, a.a.O. S. 77f.).

e. Erleichterung der Kapitalbildung

Das BVerfG hat in seinem Zinssteuerurteil ausgeführt, dass es eine privilegierte Besteuerung von Einkünften aus privatem Kapitalvermögen für zulässig halten würde, soweit dadurch „die Kapitalbildung als Quelle der Altersversorgung … oder als sonstige existenzsichernde Versorgungsgrundlage“ erleichtert werden soll (BVerfG-Urteil vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239).

Zur Überzeugung des Senats ist die Abgeltungsteuer auch nicht zur Erleichterung der Kapitalbildung geeignet. Zudem hat der Gesetzgeber nicht zu erkennen gegeben, dass dies Zweck der Abgeltungsteuer sein sollte.

Bei den typischen Altersvorsorgeprodukten handelt es sich überwiegend um langfristige Anlagen, die auf die Erzielung von Dividenden gerichtet sind. Diese sind mit Körperschaftsteuer vorbelastet. Durch die Einführung der Abgeltungsteuer findet keine Berücksichtigung der Vorbelastung des ausgeschütteten Gewinns mehr statt. Dem war sich der Gesetzgeber auch bewusst, da er in der Gesetzesbegründung ausgeführt hat, dass die Gesamtbelastung privater Gewinnausschüttungen unter Berücksichtigung der Vorbelastung auf Unternehmensebene maximal 48,33% beträgt (BT-Drs. 16/4831, S. 32). Hätte der Gesetzgeber die Altersvorsorge fördern wollen, wäre es naheliegend gewesen, das Teileinkünfteverfahren auch bei privaten Kapitalerträgen anzuwenden.

D. Entscheidungserheblichkeit

I. Kein Verstoß gegen europarechtliche Normen

Zur Überzeugung des Senats verstößt die Abgeltungsteuer nicht gegen europarechtliche Vorgaben (BVerfG-Beschlüsse vom 18. November 2008, 1 BvL 4/08, BVerfGK 14, 429 und vom 3. September 2013, 1 BvL 7/12, ZfWG 2014, 149).

Soweit ersichtlich wird in der Literatur nur an einer Stelle darauf hingewiesen, dass die Abgeltungsteuer wohl als grundsätzlich verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zu qualifizieren wäre, sofern sie geeignetes Mittel zu Standortförderung wäre.

Nach Art. 107 Abs. 1 AEUV sind, soweit in den Verträgen nicht etwas anderes bestimmt ist, staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.

Der Autor weist allerdings darauf hin, dass die Rechtsfolge gemäß Art. 14 Abs. 1 der VO 659/1999 ausnahmslos die Rückforderung des erlangten Vorteils bei den (ggf. indirekt) begünstigten Unternehmen sei. Vertrauensschutz werde insoweit nicht gewährt. Damit könne die Abgeltungsteuer letztlich so oder so keinesfalls ihren Förderzweck nachhaltig verwirklicht haben. Würde die Abgeltungsteuer den deutschen Finanzmarktplatz fördern, so hätte der deutsche Finanzdienstleistungssektor die erlangten Vorteile in Gestalt des Gegenwertes einer Steigerung von Umsätzen bzw. Marktanteilen umgehend an den deutschen Fiskus zurückzuerstatten (Englisch, a.a.O. S. 65f.).

Zur Überzeugung des Senats stellt die Abgeltungsteuer bereits kein geeignetes Mittel zur Standortförderung dar, da der Steuersatz von 25 % im internationalen und europäischen Wettbewerb nicht wettbewerbsfähig ist. Daher kann sie auch keine verbotene Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV sein.

II. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage für den vorliegenden Sachverhalt

Der Klage ist stattzugeben, wenn § 32d Abs. 1 EStG in Verbindung mit § 43 Abs. 5 EStG in der in den Jahren 2013, 2015 und 2016 geltenden Fassung verfassungsgemäß sind. Sofern die Regelungen verfassungswidrig sind, kommt zumindest in Betracht, dass bei einer Neuregelung der Besteuerung von Kapitaleinkünften der Klage nur zum Teil stattzugeben ist.

1. Eine Entscheidungserheblichkeit liegt bereits mit „der bei bloßer Unvereinbarkeitserklärung notwendig werdenden weiteren Aussetzung des Verfahrens durch das Finanzgericht bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber" vor (BVerfG-Beschluss vom 29. September 1998, 2 BvL 64/93, BVerfGE 99, 69).

2. Die Einwendungen des Klägers hinsichtlich der Berücksichtigung der Provisionseinnahmen und des nicht berücksichtigten Sparerpauschbetrags 2016 sind begründet.

a. Die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Sachentscheidung durch das Finanzgericht liegen vor.

Die Voraussetzungen der AO für einen zulässigen Einspruch (Einspruchsfrist § 355 AO, Form der Einlegung des Einspruchs § 357 AO) gegen die Änderungsbescheide vom 23. Mai 2019 sind erfüllt. Der Kläger hat am 21. Juni 2109 rechtzeitig, nämlich innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Ablehnungsbescheids, schriftlich bei dem Beklagten Einspruch eingelegt.

Die Voraussetzungen einer zulässigen Klage (Klagefrist § 47 Finanzgerichtsordnung - FGO -, Inhalt der Klageschrift § 65 FGO) liegen ebenfalls vor. Der Einspruchsbescheid vom 8. April 2021 gilt gemäß §§ 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 12. April 2021 bekanntgegeben. Die einmonatige Klagefrist lief am 12. Mai 2021 ab. Die Klage wurde am 12. Mai 2021 und somit rechtzeitig eingereicht.

Die Klageschrift enthält die gemäß § 65 FGO erforderlichen Angaben. Die aktuelle ladungsfähige Anschrift des Klägers steht fest.

b. Die Klage ist begründet

Die Einkommensteuerbescheide 2013 und 2014 vom 8. Juni 2017 in der geänderten Fassung vom 23. Mai 2019, der Einkommensteuerbescheid 2015 vom 8. Juni 2017 in den geänderten Fassungen vom 9. Juli 2018, 23. Mai 2019 und 5. Juni 2020 und der Einkommensteuerbescheid 2016 vom 22. März 2019 in den geänderten Fassungen vom 23. Mai 2019 und 5. Juni 2020 jeweils in Gestalt des Einspruchsbescheids vom 8. April 2021 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten.

Zur Überzeugung des Gerichts sind die Provisionen der X-Versicherung im Jahr 2013 in Höhe von 27.641,28 €, im Jahr 2015 in Höhe von 37.138,03 € und im Jahr 2016 in Höhe von 10.711,00 € nicht dem Kläger als Betriebseinnahmen zuzurechnen. Jedenfalls hat der Beklagte nicht dargelegt, dass es sich bei den dem Kläger zugerechneten Provisionseinnahmen um solche des Klägers handelt.

Betriebseinnahmen sind alle Zugänge in Geld oder Geldeswert, die durch den Betrieb veranlasst sind (vgl. beispielsweise BFH Urteile vom 21. November 1963, IV 345/61 S, BStBl. III 1964, 183; vom 9.Mai 1985. IV R 184/82, BStBl. II 1985, 427; vom 22.Juli 1988, III R 175/85, BStBl. II 1988, 995).

Zunächst hat die X-Versicherung mit Schreiben vom 21. November 2018 ausdrücklich bestätigt, dass zu dem Kläger keine Geschäftsbeziehungen (mehr) bestehen. Diese bestehen, insbesondere bezogen auf die fragliche Vermittlernummer, ausschließlich mit Frau B.

Somit sind grundsätzlich, mangels anderer Anhaltspunkte, sämtliche Provisionen der X-Versicherung dem Y-Versicherungsbüro zuzurechnen. Soweit eine Berücksichtigung der Provisionen in der Buchführung stattgefunden hat, ist auch unerheblich, auf welche Konten der tatsächliche Geldzufluss erfolgt ist. Jedenfalls obliegt dem Beklagten für steuererhöhende Tatsachen die Darlegungs- und Feststellungslast.

Dies ist zur Überzeugung des Gerichts dem Beklagten jedoch nicht gelungen. Der Beklagte konnte zunächst nicht nachvollziehbar darlegen, wie er die Hinzurechnungsbeträge ermittelt hat. Selbst wenn es sich bei diesen Beträgen um sämtliche Zahlungen der X-Versicherung auf die streitgegenständliche Vermittlernummer handeln würde, so hat der Beklagte nicht ermittelt, ob ausschließlich der Kläger diese Vermittlungsnummer genutzt hat, oder ob auch das Y-Versicherungsbüro Provisionsansprüche gegenüber der X-Versicherung aus eigenen Leistungen erworben hat.

Der Kläger hat Rechnungen vorgelegt, aus denen folgende Forderungen gegenüber Frau B hervorgehen:

 

2013   

2015   

2016   

36.362,77 €

30.052,38 €

34.335,23 €

Diese Forderungen wurden auch in den Jahresabschlüssen 2013, 2015 und 2016 im Zusammenhang mit dem Y-Versicherungsbüro gewinnwirksam ausgewiesen. Aus den Rechnungen ist nicht ersichtlich, dass der Kläger nur bestimmte Kunden oder Vermittlernummern gegenüber dem Y-Versicherungsbüro abgerechnet hätte, vielmehr deutet der Rechnungstext darauf hin, dass alle Vermittlungen von Kunden gegenüber dem Y-Versicherungsbüro abgerechnet wurden.

Der Kläger hat zudem Kontenblätter aus der Buchführung von Frau B vorgelegt. Aus dem Kontoblatt 4953 „sonstige Vergütung“ ist ersichtlich, dass der Jahresbestand exakt den abgerechneten Forderungen des Klägers entspricht. Die von dem Kläger geltend gemachten Forderungen wurden somit bei dem Y-Versicherungsbüro als Verbindlichkeiten erfasst.

Durch die Hinzurechnung der Provisionseinnahmen hat in dieser Höhe eine Doppelberücksichtigung bei dem Kläger stattgefunden.

In den Jahren 2013 und 2015 übersteigen die bei dem Kläger bereits gewinnwirksam abgerechneten Beträge die Hinzurechnungen des Beklagten. Dies spricht dafür, dass der Kläger auch weitere Vermittlungsleistungen unter anderen Vermittlernummern für das Y-Versicherungsbüro erbracht hat. In dem Jahr 2016 sind die hinzugerechneten Beträge hingegen höher als die bereits gebuchten. Aus dem Kontoblatt 1700 „sonstige Verbindlichkeiten“ ist jedoch ersichtlich, dass über dieses Konto auch Mietforderungen des Klägers gegenüber dem Y-Versicherungsbüro verbucht wurden. Sollte eine „Überzahlung“ durch die Überweisungen der X-Versicherung zu Gunsten des Klägers stattgefunden haben, so wären dies zunächst Verbindlichkeiten des Klägers gegenüber dem Y-Versicherungsbüro und keine Betriebseinnahmen.

Die Klage ist auch hinsichtlich der begehrten Berücksichtigung des Sparer-Pauschbetrags gemäß § 20 Abs. 9 EStG im Jahr 2016 begründet.

Danach ist bei der Ermittlung der Einkünfte aus Kapitalvermögen als Werbungskosten ein Betrag von 801 Euro abzuziehen (Sparer-Pauschbetrag); der Abzug der tatsächlichen Werbungskosten ist ausgeschlossen. Der Sparer-Pauschbetrags wurde bislang bei dem Kläger nicht berücksichtigt.

Der Berücksichtigung steht auch nicht die Anfechtungsbeschränkung des § 351 Abs. 1 AO entgegen. Danach können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.

Vorliegend wurde der Erstbescheid vom 22. März 2019 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 1 AO erlassen. Der Vorbehalt der Nachprüfung wurde zwar mit dem Änderungsbescheid nach Betriebsprüfung vom 23. Mai 2019 aufgehoben, jedoch hat sich der Kläger hiergegen mit Einspruch vom 21. Juni 2109 gewandt.

Der Senat hat dementsprechend den Klagen in den Parallelverfahren zu den Aktenzeichen 7 K 121/21 (Gewerbesteuermessbetrag 2012 bis 2016) und 7 K 69/22 (Einkommensteuer 2014; in diesem Jahr hat der Kläger keine Einnahmen aus Kapitalvermögen erzielt) stattgegeben.

3. Eine Herabsetzung der Einkommensteuer kommt bei Verfassungswidrigkeit aber nicht in voller Höhe in Betracht, da die potentielle Änderung zu Gunsten des Klägers mit dem bisher verfassungswidrig nicht besteuerten Teil der Kapitaleinkünfte saldiert werden müsste.

Denn nach der sogenannten Saldierungstheorie des BFH (BFH-Beschluss vom 19. November 2013, XI B 9/13, BFH/NV 2014, 373; Ratschow in Gräber, § 96 FGO, Rn. 52 m.w.N.) liegt bei einer auf die betragsmäßige Herabsetzung der Steuerfestsetzung gerichteten Anfechtungsklage eine Verböserung nicht vor, wenn der in Bezug auf einzelnen unselbständigen Besteuerungsgrundlagen erzielte Erfolg der Klage vom Gericht bis zum Betrag der ursprünglichen Steuerfestsetzung saldiert wird mit nachteiligen Änderungen bei anderen unselbständigen Besteuerungsgrundlagen, die vom Kläger mit der Klage nicht infrage gestellt worden sind.

Bislang wurden die Einkünfte bei dem Kläger wie folgt der Steuer unterworfen:

 

        

zu versteuerndes Einkommen

Einkommensteuer

Kapitalerträge

Steuer nach § 32d EStG

Sparer FB berücksichtig

2013   

62.004 €

17.845 €

6.170 €

1.542 €

Ja    

2015   

166.027 €

61.470 €

1.511 €

377 € 

Ja    

2016   

93.441 €

30.851 €

4.356 €

1.089 €

Nein   

Im Urteilsfall und bei Verfassungsmäßigkeit der Abgeltungsteuer würde sich das zu versteuernde Einkommen um die zu Unrecht berücksichtigten Erlöse vermindern und im Streitjahr 2016 wäre der Sparer-Pauschbetrag zu berücksichtigen. (Die Steuerberechnung wurde mithilfe des BMF-Steuerrechners https://www.bmf-steuerrechner.de/ekst/eingabeformekst.xhtml vorgenommen.)

 

        

zu versteuerndes Einkommen

Einkommensteuer

Kapitalerträge

Steuer nach § 32d EStG

Sparer FB berücksichtig

2013   

34.362 €

7.020 €

6.170 €

1.542 €

Ja    

2015   

128.888 €

45.871 €

1.511 €

377 € 

Ja    

2016   

82.730 €

26.352 €

3.555 €

889 € 

Ja    

Wäre die Abgeltungsteuer hingegen verfassungswidrig und wären infolgedessen alle Einkünfte mit dem regulären Steuertarif zu besteuern, würde sich folgende steuerliche Belastung ergeben (Die Steuerberechnung wurde mithilfe des BMF-Steuerrechners https://www.bmf-steuerrechner.de/ekst/eingabeformekst.xhtml vorgenommen):

 

        

zu versteuerndes Einkommen

Einkommensteuer

Sparer FB berücksichtig

2013   

40.532 €

9.176 €

Ja    

2015   

130.399 €

46.506 €

Ja    

2016   

86.285 €

27.845 €

Ja    

Es ergibt sich somit folgende Differenz bei der Gesamtsteuerbelastung:

 

        

Steuerbelastung mit Abgeltungsteuer

Steuerbelastung ohne Abgeltungsteuer

Differenz

2013   

8.562 €

9.176 €

614 € 

2015   

46.248 €

46.506 €

258 € 

2016   

27.241 €

27.845 €

604 € 

 


 

 

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