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Steuerrecht
09.06.2016
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Voraussetzungen für Änderung von Lohnsteueranmeldungen einer ins Ausland verzogene ehemalige Arbeitnehmerin

FG Düsseldorf, Urteil vom 28.1.2016 – 16 K 3444/14 L

Sachverhalt

Die Klägerin hatte für ihre Angestellte Frau A Lohnsteuer einbehalten. Frau A war seit dem 9.2.2009 bei der Klägerin beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag wurde mit Wirkung zum 31.3.2012 aufgelöst. Sie gab in diesem Zusammenhang am 23.12.2011 ihren Wohnsitz im Inland auf, nachdem sie bereits zum Ende des Jahres 2011 von der Arbeit freigestellt worden war.

Frau A stellte am 9.2.2014 den Antrag, die Lohnsteueranmeldungen für den Zeitraum Januar bis März 2012 zu ändern und einbehaltene Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag für den größten Teil des laufenden Gehalts (16.726,05 Euro, einschließlich eines geldwerten Vorteils, davon 14.247,43 Euro nicht steuerbar), für einen Teil der Tantiemen (13.000,00 Euro) sowie für die im März erhaltene Abfindung (16.591,26 Euro) zu erstatten.

Sie trug vor, das laufende Gehalt für die ersten drei Monate des Jahres 2012 dürfe ganz überwiegend nicht der Besteuerung unterworfen werden, da sie, die Klägerin, zu dieser Zeit in Deutschland keine Tätigkeit (mehr) ausgeübt oder verwertet habe. Die Abfindung gehöre zwar gem. § 49 Abs. 1 Nr. 4 d des Einkommensteuergesetzes (EStG) zu den inländischen Einkünften, aber sie sei zum Ausgleich des Verlustes zukünftiger Einnahmen gezahlt worden. Damit habe sie Versorgungscharakter und sei gemäß der Verständigungsvereinbarung mit Großbritannien vom 8.11.2011 dort zu versteuern. Die im Januar (10.500 Euro) und im März (2.500 Euro) gezahlten Tantiemen beträfen deutsche und britische Arbeitstage und seien daher aufzuteilen (zur Berechnung vgl. Anlage 1 zur Klageschrift).

Dieser Antrag wurde am 19.2.2014 abgelehnt. Der Beklagte führte aus, es sei erforderlich, dass der Arbeitnehmer eine Einkommenssteuerveranlagung beantrage (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 b i.V.m. Satz 7 EStG; H 41c.1 der Lohnsteuerrichtlinien) und im Zuge dieser Veranlagung die Versteuerung gegebenenfalls richtig gestellt werde. Dagegen legte Frau A Einspruch ein. Sie teilte mit, dass sie keinen Antrag auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung stellen wolle. Der Einspruch wurde sodann am 1.8.2014 zurückgenommen.

Daraufhin wurde am 1.8.2014 von der Klägerin der Antrag gestellt, die Lohnsteueranmeldungen für die Lohnzahlungszeiträume Januar bis März 2012 um die für Frau A zu Unrecht einbehaltene Lohnsteuer zu korrigieren. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, (Bundessteuerblatt –BStBl- II 2013, 929) bestätigt, dass die Festsetzung der Lohnsteuerentrichtungsschuld unter Berücksichtigung des Vorbehalts der Nachprüfung auch nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung geändert werden dürfe. Dem hielt der Beklagte entgegen, der BFH habe mit dem zitierten Urteil lediglich entschieden, dass nur bei vom Arbeitnehmer veruntreuten Beträgen eine Korrektur auch nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung möglich sei. Hingegen gehörten versehentliche Überweisungen des Arbeitgebers zum Arbeitslohn und sei dies nicht im Wege der Änderung der Lohnsteueranmeldung zu berichtigen.

Gegen den Ablehnungsbescheid legte die Klägerin Einspruch ein. Ergänzend trug sie vor, dass die Arbeitnehmerin auf der Grundlage des § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG analog einen Erstattungsanspruch habe. Dass die Arbeitnehmerin eine Veranlagung zur Einkommensteuer nach § 50 Abs. 2 Nr. 4 b i.V.m. Satz 7 EStG beantragen könne, stehe einer Korrektur der Lohnsteueranmeldung jedoch nicht entgegen. Sie, die Arbeitgeberin, sehe sich überdies Schadensersatzansprüchen der Arbeitnehmerin wegen der Verletzung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflichten ausgesetzt. Der Beklagte hielt demgegenüber an seiner Auffassung fest und berief sich im Wesentlichen auf das Schreiben des Bundesfinanzministeriums (BMF) vom 7.11.2013, BStBl I 2013, 1474.

Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 29.9.2014 abgelehnt.

Daraufhin hat die Klägerin am 29.10.2014 Klage erhoben unter Bezugnahme auf ihr vorheriges Vorbringen.

Sie weist zusätzlich darauf hin, dass sie ein besonderes Rechtsschutzinteresse habe, da eine Einkommensteuerveranlagung für die Arbeitnehmerin nicht zum gleichen Ergebnis wie ein korrigierter zutreffender Lohnsteuereinbehalt geführt hätte. Denn bei einer Einkommensteuerveranlagung wären andere Einkünfte im Rahmen des Progressionsvorbehaltes zu berücksichtigen gewesen. Der Lohn sei der Arbeitnehmerin wie bei einem zutreffenden Lohnsteuereinbehalt ausgezahlt worden, weil man dazu arbeitsvertraglich verpflichtet gewesen sei. Die Arbeitnehmer habe daher kein wirtschaftliches Interesse mehr an der Frage des Lohnsteuerabzuges.

Die Klägerin beantragt,

unter Änderung der Lohnsteueranmeldungen Januar bis März 2012 die Lohnsteuer um insgesamt 17.622,18 Euro (einschließlich Solidaritätszuschlag) zu mindern und diesen Betrag zu erstatten,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Aus den Gründen

Die Klage ist begründet.

1. Die streitgegenständlichen Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit unterlagen nur teilweise der inländischen Besteuerung, so dass die Lohnsteueranmeldungen unzutreffend sind. Zwar sind sämtliche Einnahmen, also laufendes Gehalt, Tantiemen und Abfindung, beschränkt steuerpflichtige Einkünfte (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 a) und d) EStG; dazu Loschelder/Schmidt, Kommentar zum EStG § 49 Rz. 87) der beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmerin. Jedoch sind nach Art. 14 Abs. 1 des Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) Großbritannien und Nordirland 2010 die Einkünfte grundsätzlich in dem Ansässigkeitsstaat (hier: Großbritannien) zu besteuern. Anders verhält es sich, wenn die Arbeit in dem anderen Staat, hier Deutschland, ausgeübt wird, was in den Monaten ab Januar 2012 aber nicht der Fall war.

Werden als Lohn zu qualifizierende Einnahmen, wie hier, zu einem Zeitpunkt gezahlt, zu dem die Arbeit nicht (mehr) ausgeübt wird, bleibt es, wenn die Zahlungen nicht für die zuvor im Inland ausgeübte Tätigkeit erfolgt, bei der Grundregel der Versteuerung im Ansässigkeitsstaat (hier: Großbritannien). Folgerichtig gehen die Beteiligten davon aus, dass das laufende Gehalt und die Tantiemen nur insoweit der inländischen Besteuerung unterliegen, als sie auf Zeiten der Ausübung der Tätigkeit der Arbeitnehmerin im Inland entfallen. Über die getroffene Aufteilung haben sich die Beteiligten in nicht zu beanstandener Weise in der mündlichen Verhandlung tatsächlich verständigt.

In Bezug auf die Abfindung findet eine Besteuerung vollständig im Ansässigkeitsstaat statt, da die Abfindung nicht‚ für‘ ausgeübte Arbeit, sondern für entgehende zukünftige Einnahmen gezahlt wird (vgl. Prokisch/Vogel/Lehner, DBA 6.a. 2015, zu Art. 15 OECD MA Rz. 17, 17a; BMF 14.9.2006, BStBl I 2006, 532 Rz. 121). Hieran ändert auch die zwischen den Vertragsstaaten am 8.11.2011 geschlossene Verständigungsvereinbarung (dazu BMF 2.12.2011, Deutsches Steuerrecht –DStR- 2011, 2460) nichts, da die hier zu beurteilende Abfindung Versorgungscharakter i.S. dieser Verständigung hat und es deshalb auch unter Beachtung der Verständigungsvereinbarung bei der Zuständigkeit des Ansässigkeitsstaates verbleibt. Inwieweit derartige Verständigungsvereinbarungen die Gerichte binden, kann deshalb dahingestellt bleiben (dagegen BFH-Urteil vom 10.6.2015 I R 79/13, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2015, 1630).

Daher begegnet die von der Klägerin begehrte Änderung der Lohnsteueranmeldungen ihrem Umfang nach keinen Bedenken.

2. Der Änderung der Lohnsteueranmeldungen in dem zuvor beschriebenen Umfang steht aus verfahrensrechtlicher Sicht insbesondere die Regelung in § 41 c Abs. 3 Satz 1 EStG zum Lohnsteuerabzugsverfahren in seiner für das Streitjahr geltenden Fassung nicht entgegen.

Nach § 168 Satz 1 der Abgabenordnung (AO) steht eine Steueranmeldung (§ 41 a EStG: Lohnsteueranmeldung) einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) gleich, ist also jederzeit änderbar. Diesbezüglich ergeben sich aus dem Lohnsteuerabzugsverfahren im Übrigen keine Einschränkungen.

Nach § 41 b EStG hat der Arbeitgeber alsbald nach Ablauf des Besteuerungszeitraumes das Lohnkonto des Arbeitnehmers abzuschließen und sodann eine elektronische Lohnsteuerbescheinigung zu erstellen und zu übermitteln sowie dem Arbeitnehmer einen Ausdruck auszuhändigen. Dem Wortlaut des § 41 c Abs. 3 EStG ist zu entnehmen, dass danach eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig und eine Erstattung von Lohnsteuer an den Arbeitnehmer nach Ablauf des Kalenderjahres nur noch im Wege des Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42 b EStG) durch den Arbeitgeber möglich ist. Die letztgenannten Vorschriften beschäftigen sich mit dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie mit der Lohnsteuerbescheinigung, nicht jedoch mit der eigentlichen Entrichtungsschuld des Arbeitgebers, also mit dem Verhältnis zwischen Arbeitgeber als Entrichtungsschuldner und Finanzbehörde, das sich in dem Steuerbescheid „Lohnsteueranmeldung“ manifestiert. Im Hinblick auf die Lohnsteueranmeldungen verbleibt es deshalb bei der eingangs festgestellten jederzeitigen Änderbarkeit.

Der hierzu geäußerten Verwaltungsauffassung in H 41c.1 der Lohnsteuerrichtlinien „Änderung des Lohnsteuerabzuges“, eine Erhöhung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld sei unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO auch nach der Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig, und der Arbeitnehmer sei auf § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 b) i.V.m. Satz 7 EStG (Antragsveranlagung) bzw. auf § 50 d Abs. 1 Satz 2 EStG analog (Erstattungsantrag) verwiesen, kann nicht gefolgt werden. Aus dem Gesetz ergibt sich jedenfalls keine Einschränkung der Änderbarkeit von Lohnsteueranmeldungen ausschließlich mit dem Ziel der Erhöhung der Entrichtungsschuld. Gleiches ist dem in Reaktion auf das Urteil des BFH vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929, verfassten Schreiben des BMF vom 7.11.2013, BStBl I 2013, 1474 entgegenzuhalten. Darin wird die Auffassung vertreten, dass eine Änderung der Lohnsteuer zu Gunsten des Arbeitgebers nach § 164 AO (nur) dann möglich sein soll, wenn der Arbeitnehmer Geld veruntreut hat und der Arbeitgeber die Lohnsteuerbescheinigung berichtigt.

Der Finanzverwaltung ist zuzugeben, dass Gründe der Praktikabilität für die in den Verwaltungsrichtlinien und dem vorgenannten BMF-Schreiben dargestellte Verfahrensweise sprechen könnten. Dass auch der Gesetzgeber Praktikabilitätserwägungen angestellt hat, zeigt in diesem Zusammenhang beispielsweise § 41 c Abs. 1 und 2 EStG (Erstattung fälschlich einbehaltener Lohnsteuer im Rahmen künftiger Lohnzahlungen). Das hinsichtlich der Lohnsteueranmeldungen von der Verwaltung gewünschte Ergebnis hat hingegen im Gesetz keinen Niederschlag gefunden. Der Gesetzgeber sah sich deshalb zuletzt durch das Änderungsgesetz vom 25.7.2014 mit Wirkung ab dem 1.1.2014 veranlasst, den § 41 c Abs. 3 EStG um die Sätze 4 bis 6 zu ergänzen.

3. Das Gericht sieht sich durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt. Der BFH hat mit Urteil vom 21.10.2009 I R 70/08, BStBl II 2012, 529, unter Bezugnahme auf die BFH-Urteile vom 20.7.2005 VI R 165/01, BStBl II 2005, 890, und vom 12.10.1995 I R 39/95, BStBl II 1996, 87, sowie vom 13.12.2007 VI R 57/04, BStBl II 2008, 434, festgestellt, dass (sogar) der Arbeitnehmer aus eigenem Recht die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers anfechten kann und dieses Anfechtungsrecht wegen der unterschiedlichen Bedeutung von Lohnsteuer-Anmeldung und Lohnsteuer-Bescheinigung davon unberührt ist, dass der Arbeitnehmer nach der Übermittlung der Lohnsteuer-Bescheinigung eine Änderung dieser Bescheinigung nicht mehr verlangen kann. Die Lohnsteuer-Anmeldung stehe einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleich.

Auch mit Urteil vom 13.11.2012 VI R 38/11, BStBl II 2013, 929, hat der VI. Senat des BFH, wie zuvor schon durch Urteil vom 30.10.2008 VI R 10/05, BStBl II 2009, 354, deutlich zum Ausdruck gebracht, dass eine Änderung der Festsetzung der Lohnsteuer-Entrichtungsschuld unter den Voraussetzungen des § 164 Abs. 2 Satz 1 AO auch nach Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung (§ 41 c Abs. 3 EStG) zulässig ist. Eine Einschränkung, wie sie hierzu im BMF-Schreiben vom 7.11.2013, BStBl I 2013, 1474, getroffen wird, ist der Entscheidung des BFH nicht zu entnehmen.

Dem stehen auch das Urteil des BFH vom 13.12.2007 VI R 57/04, BStBl II 2008, 434, wonach nach Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung der Arbeitnehmer deren Berichtigung nicht mehr verlangen kann, und der Beschluss des BFH vom 30.12.2010 III R 50/09, BFH/NV 2011, 786, wonach der Lohnsteuerabzug nach Abschluss des Lohnkontos nicht mehr geändert werden kann, nicht entgegen.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

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