FG Düsseldorf: Vorabentscheidungsersuchen zum Antidumpingzoll auf Schuhe
FG Düsseldorf, Beschluss vom 20.4.2016 – 4 K 1099/14 Z
Aus den Gründen
I.
Die Verordnung (EG) Nr. 1472/2006 des Rates vom 05.10.2006 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur Vereinnahmung der vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China und Vietnam – VO 1472/2006 – trat am 07.10.2006 in Kraft. Sie blieb bis zum Auslaufen der Durchführungsverordnung (EU) Nr. 1294/2009 des Rates vom 22.12.2009 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in Vietnam und in der Volksrepublik China, ausgeweitet auf aus der Sonderverwaltungsregion Macau versandte Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder, ob als Ursprungserzeugnisse der Sonderverwaltungsregion Macau angemeldet oder nicht – DVO 1294/2009 ‑, nach einer Auslaufüberprüfung nach Artikel 11 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates bis zum 31.03.2011 in Kraft.
Der Beklagte setzte mit am 10.05.2010 erstelltem Einfuhrabgabenbescheid u.a. für sechs Einfuhren von Schuhen aus der Volksrepublik China (VR China) und Vietnam, die die Klägerin im April 2010 unter Angabe der Warennummern und der Zusatzcodes 6403 99 11 99 0 A999 und 6403 99 98 98 0 zur Überführung in den zollrechtlich freien Verkehr angemeldet hatte, insgesamt 11.181,92 € Antidumpingzoll fest. Lieferanten und Hersteller der aus der VR China eingeführten Schuhe war die A Ltd. und der aus Vietnam eingeführten Schuhe die B Inc. Beide Firmen hatten im Juli 2005 unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen Marktwirtschaftsbehandlung beantragt, wurden aber von der EU-Kommission (Kommission) nicht in die Stichprobe einbezogen.
Mit Urteilen vom 02.02.2012, C-249/10 P und vom 15.12.2012, C-247/10 P erklärte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) die VO 1472/2006 hinsichtlich der Kläger dieser Verfahren für nichtig. Mit Durchführungsbeschluss vom 18.03.2014 lehnte der Rat den Vorschlag der Kommission ab, eine Durchführungsverordnung zur Wiedereinführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren bestimmter Schuhe mit Oberteil aus Leder mit Ursprung in der Volksrepublik China zu erlassen, die von den Klägern der beiden Verfahren C-249/10 P und C-247/10 P hergestellt werden (ABl. EU Nr. L 82/27).
Am 12.06.2012 beantragte die Klägerin im Hinblick auf das EuGH-Urteil vom 02.02.2012, C-249/10 P die Erstattung des Antidumpingzolls, da die VO 1472/2006 wegen bestimmter Rechtsfehler nichtig sei. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 15.11.2013 ab, ihr dagegen eingelegter Einspruch blieb erfolglos.
Zur Begründung ihrer Klage trägt die Klägerin nach Ergehen des EuGH-Urteils vom 04.02.2016, C-659/13 und C-34/14 und nach Veröffentlichung der Durchführungsverordnung (EU) 2016/223 der Kommission vom 17.02.2016 zur Einführung eines Verfahrens zur Prüfung bestimmter, von ausführenden Herstellern aus China und Vietnam eingereichter Anträge auf Marktwirtschaftsbehandlung und individuelle Behandlung, und zur Durchführung des Urteils des Gerichtshofs in den verbundenen Rechtssachen C-659/13 und C-34/14 (ABl. EU Nr. L 41/3) – DVO 2016/223 – vor, Art. 1 DVO 2016/223 sei hinsichtlich aller drei Absätze ungültig. Im Einzelnen führt sie dazu, soweit nicht unter II. erörtert, aus:
Art. 14 Abs. 1 VO 384/96 berechtige die Kommission nicht, den nationalen Zollbehörden und antragstellenden Importeuren nachträgliche Pflichten aufzuerlegen. Diese Vorgehensweise widerspreche dem Grundsatz der Rechtssicherheit.
Die Umsetzung des EuGH-Urteils vom 04.02.2016, C-659/13 und C-34/14, mit nur begrenzter Überprüfung von ausführenden Herstellern, die Marktwirtschafts- oder Individualbehandlung beantragt hätten (19. und 21. Erwägungsgrund der DVO 2016/223), werde genauso wenig Art. 266 AEUV gerecht wie die unterlassene Entscheidung in der Frist des Art. 2 Abs. 7 Buchst. c VO 384/96.
Mit der DVO 2016/223 nehme die Kommission das ursprüngliche Antidumpingverfahren nicht wieder auf, sondern beabsichtige ein selbständiges Überprüfungsverfahren etwa im Sinne von Art. 11 der Verordnung (EG) Nr. 384/96 des Rates vom 22.12.1995 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern – VO 384/96 –, obwohl die Antidumpingmaßnahme längst wieder ausgelaufen sei. Hierfür gebe Art. 266 AEUV keine Handhabe.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom 15.11.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12.03.2014 zu verpflichten, ihr 11.181,92 € Antidumpingzoll nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Zahlung zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
II.
Im Streitfall ist über einen Erstattungsantrag nach Art. 236 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12.10.1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – ZK – zu entscheiden, weil der Einfuhrabgabenbetrag im Zeitpunkt der Zahlung nicht gesetzlich geschuldet war. Der Antidumpingzoll, der Gegenstand der Erstattungsanträge ist, beruhte auf der DVO 1294/2009. Mit Urteil vom 04.02.2016, C-659/13 und C-34/14 hat der Gerichtshof die DVO 1294/2009 für ungültig erklärt, soweit sie gegen Art. 2 Abs. 7 Buchst. b und Art. 9 Abs. 5 VO 384/96 verstößt: Rat und Kommission haben über die Anträge auf Marktwirtschaftsbehandlung und Individualbehandlung der nicht in die Stichprobe einbezogenen chinesischen und vietnamesischen ausführenden Hersteller nicht entschieden. Da im Streitfall die Einfuhren von Lieferungen von ausführenden chinesischen und vietnamesischen Herstellern stammten, die nicht in die Stichprobe einbezogen worden sind, aber Anträge auf Marktwirtschaftsbehandlung gestellt hatten, ist die DVO 1294/2009 hinsichtlich der streitbefangenen Einfuhren ungültig. Dem Erstattungsantrag der Klägerin wäre danach stattzugeben. Dies hätte im Streitfall dadurch zu geschehen, dass das Finanzgericht den Beklagten verpflichtet, die Erstattung des Antidumpingzolls durch einen Verwaltungsakt, eine Entscheidung im Sinne des Art. 4 Nr. 5 ZK, auszusprechen.
An dieser Entscheidung sieht sich das vorlegende Gericht jedoch gehindert, weil der Beklagte der vom Gericht auszusprechenden Verpflichtung wegen Art. 1 DVO 2016/223 nicht entsprechen kann.
Das Gericht hat aus den nachfolgenden Gründen Zweifel an der Gültigkeit der DVO 2016/223.
1. Die DVO 2016/223 könnte gegen Art. 5 EUV verstoßen und schon deshalb ungültig sein, weil sie die Rechtsgrundlage, auf der sie beruht, nur ungenau bezeichnet, eine mögliche Rechtsgrundlage für ihren Erlass nicht nennt und damit die Verteidigungsrechte der Klägerin einschränkt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH im Urteil vom 01.10.2009 C-370/07, Rz. 39 m.w.N., verlangt das Gebot der Rechtssicherheit, dass eine Maßnahme, die rechtliche Wirkungen entfalten soll, ihre Bindungswirkung einer Bestimmung des Unionsrechts entnimmt, die ausdrücklich als Rechtsgrundlage bezeichnet sein muss und die Rechtsform vorschreibt, in der die Maßnahme zu erlassen ist. Zudem ist die Angabe der Rechtsgrundlage auch im Hinblick auf den in Art. 5 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Ermächtigung geboten (EuGH-Urteil vom 01.10.2009 C-370/07, Rz. 46). Sie dient ‑ im Streitfall ‑ auch der Wahrung der Verteidigungsrechte und der Rechte der durch das Verfahren für den Erlass eines Rechtsakts betroffenen Unionsorgane (EuGH-Urteil vom 01.10.2009 C-370/07, Rz. 48).
Nach ihren Einleitungssätzen stützt die Kommission die DVO 2016/223 auf den AEUV, insbesondere dessen Art. 266 und die Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 des Rates vom 30.11.2009 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Gemeinschaft gehörenden Ländern – VO 1225/2009 –, insbesondere deren Art. 14. Dem 22. Erwägungsgrund ist durch die Wiederholung des Wortlauts des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 VO 1225/2009 zu entnehmen, dass gerade auch diese Vorschrift Rechtsgrundlage sein soll. Diese Annahmen begegnen in mehrfacher Hinsicht erheblichen Bedenken.
Mit der DVO 2016/223 soll das Verfahren zur Berichtigung der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 an dem Punkt aufgenommen werden, der zur Nichtigkeit der beiden Verordnungen geführt hat (21. Erwägungsgrund der DVO 2016/223). Dazu will die Kommission prüfen, ob die ausführenden Hersteller, deren Ausfuhren Gegenstand der der Kommission vorzulegenden Erstattungsanträge waren, tatsächlich Marktwirtschafts- und/oder Individualbehandlung beantragt hatten und in welchem Umfang diesen Anträgen stattzugeben ist (23. Erwägungsgrund der DVO 2016/223). Sodann will die Kommission die notwendigen Verordnungen erlassen, mit denen – wo angemessen – ein neuer Zollsatz eingeführt werden soll (24. Erwägungsgrund der DVO 2016/223).
a) Die beabsichtigte Wiederaufnahme der Verfahren zum Erlass der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 dürfte nach der VO 1225/2009 nicht möglich sein.
Nach Art. 23 Unterabs. 2 VO 1225/2009 bleibt die VO 389/96 weiter auf Verfahren anwendbar, die während ihrer Geltungsdauer eingeleitet wurden. Die VO 1225/2009 ist am 11.01.2010 in Kraft getreten, weil ihr Inkrafttreten nach ihrem Art. 24 am 20. Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der EU vorgesehen war und ihre Veröffentlichung im ABl. EU Nr. L 343 vom 22.12.2009 erfolgt ist. Dementsprechend wurden die Verfahren, die der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009 zu Grunde lagen, unter Geltung der zuvor geltenden VO 384/96 eingeleitet. Daher wäre Rechtsgrundlage der aufzunehmenden Untersuchung allenfalls die VO 384/96.
Darauf kommt es hier auch an, weil sich die beiden, in vielen Teilen gleich oder nahezu gleichlautenden Verordnungen hinsichtlich der Zuständigkeit für den Erlass einer geänderten Verordnung unterscheiden.
Nach Art. 9 Abs. 4 VO 384/96 wird ein endgültiger Antidumpingzoll durch den Rat eingeführt. Gleiches gilt für etwaige Änderungen. Nach Art. 9 Abs. 4 VO 1225/2009 in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 37/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15.01.2014 zur Änderung bestimmter Verordnungen zur gemeinsamen Handelspolitik hinsichtlich der Verfahren für die Annahme bestimmter Maßnahmen (ABl. EU Nr. L 18/1), Anhang Nr. 22 Verordnung (EG) Nr. 1225/2009 Nr. 5 Buchst. b, hätte die Kommission den endgültigen Antidumpingzoll einführen können.
b) Aus Art. 14 VO 384/96 (bzw. Art. 14 VO 1225/2009) lässt sich keine Ermächtigung zum Erlass einer Verordnung zur Vorbereitung der Wiedereinführung eines Antidumpingzolls entnehmen.
Art. 14 Abs. 1 Satz 1 VO 384/96 (bzw. Art. 14 Abs. 1 Satz VO 1225/2009) regelt nach seinem Wortlaut nur den Inhalt einer die Einführung von Antidumpingzoll betreffenden Verordnung, nämlich so, dass der Antidumpingzoll in der Form, zu dem Satz und nach den sonstigen Modalitäten von den Mitgliedstaaten erhoben werden kann. Die Ermächtigung des handelnden Organs zu ihrem Erlass ergibt sich für vorläufige Maßnahmen aus Art. 7 und für endgültige Maßnahmen aus Art. 9 Abs. 4 VO 384/96, denn in diesen Artikeln wird das handelnde Organ benannt. Dadurch wird die Kommission, die die DVO 2016/223 erlassen hat, gerade nicht zu vorbereitenden Maßnahmen zur Regelung des hier allein gewollten endgültigen Antidumpingzolls für bestimmte Ausführer ermächtigt.
Eine Ermächtigungsgrundlage für den Erlass besonderer, vorbereitender Maßnahmen wie nach der DVO 2016/223 lässt sich auch nicht weiteren Vorschriften des Art. 14 VO 384/96 (bzw. Art. 14 VO 1225/2009) entnehmen.
Art. 14 Abs. 5 VO 384/96 (bzw. Art. 14 Abs. 5 VO 1225/2009) erlaubt nur die zollamtliche Erfassung hinsichtlich künftiger Maßnahmen. Hier sind aber die Einfuhren mit der Folge der Abgabenerhebung bereits abgewickelt worden. Tatsächlich ist nur noch über Erstattungsanträge zu entscheiden.
Art. 14 Abs. 7 VO 384/96 (bzw. Art. 14 Abs. 7 VO 1225/2009) erlaubt der Kommission, die Mitgliedstaaten im Einzelfall zu ersuchen, die zur wirksamen Überwachung der Anwendung der Maßnahmen erforderlichen Informationen zu übermitteln. Hier sind die Maßnahmen, die Festsetzung von Antidumpingzoll nach der VO 1472/2006 und der DVO 1294/2009, bereits ausgelaufen, so dass es einer Überwachung für deren Anwendung nicht mehr bedarf.
2. Die in Art. 1 Abs. 3 DVO 2016/223 enthaltene Regelung, mit der Entscheidung über die Anträge auf Erstattung abzuwarten, bis über die Wiedereinführung der Antidumpingzölle entschieden ist, dürfte gleichfalls gegen Art. 5 EUV verstoßen.
a) Derzeit ist ein Erstattungsanspruch der Klägerin gegeben. Diesem ist auch so bald wie möglich stattzugeben (Art. 886 Abs. 1 VO (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zu der VO (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften - ZKDVO - in Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 ZK). Im Streitfall bedeutete „so bald wie möglich“ ein Tätigwerden im Rahmen der normalen Abwicklung von derartigen Verwaltungsgeschäften, die seitens der insoweit zuständigen Zollbehörden keiner weiteren Sachaufklärung mehr bedürfen. Damit ist, wie die Vergangenheit gezeigt hat, eine Erledigung für Fälle wie den Streitfall innerhalb kurzer Zeit, höchstens wenige Wochen möglich.
Der VO 384/96 oder der VO 1225/2009, insbesondere deren Art. 14, ist nicht zu entnehmen, dass die Kommission berechtigt sein kann, einen entstandenen Erstattungsanspruch gegenüber den nationalen Zollverwaltungen zu stunden, bis für einen teilweisen oder gänzlichen Einbehalt der gestundeten Erstattungsansprüche Rechtsgrundlagen geschaffen worden sind.
Ein etwaiger Einbehalt eines noch nicht endgültig eingeführten Antidumpingzolls ist nur im Rahmen der zeitlich begrenzen vorläufigen Maßnahmen nach Art. 7 VO 384/96 oder der VO 1225/2009 vorgesehen.
Eine anderweitige Ermächtigung ergibt sich auch nicht aus dem ZK und der ZKDVO.
b) Über den Erstattungsantrag nach Art. 236 Abs. 1 ZK, in dem es nur darum geht, ob der Einfuhrabgabenbetrag im Zeitpunkt der Zahlung gesetzlich geschuldet war, entscheiden die Zollbehörden der Mitgliedstaaten. Eine Entscheidungsbefugnis der Kommission besteht nicht. Indem die Kommission nunmehr die Vorlage der Erstattungsanträge verlangt und auch damit eine Entscheidung über diese Anträge verhindert, könnte sie auch gegen Art. 5 EUV verstoßen.
3. Die Annahme der Kommission, Art. 266 AEUV erfordere, dass der für nichtig erklärte Rechtsakt durch einen neuen Rechtsakt ersetzt wird, in dem die vom Gerichtshof festgestellte Rechtswidrigkeit beseitigt ist (13. Erwägungsgrund der DVO 2016/223), begegnet ebenfalls erheblichen Zweifeln.
Zwar kann das jeweilige Organ dann, wenn der festgestellte Fehler nicht zur Nichtigkeit des gesamten Verfahrens geführt hat, zum Zweck des Erlasses einer Handlung, durch die eine zuvor für nichtig oder ungültig erklärte Handlung ersetzt werden soll, das Verfahren in dem Stadium wieder aufzunehmen, in dem der Fehler begangen worden ist (s. EuGH-Urteil v. 28.01.2016 C-283/14 und C-284/14, Rz. 51 m.w.N.). Danach ist die Kommission grundsätzlich berechtigt, nunmehr die ungeprüften Anträge auf Marktwirtschaftsbehandlung zu bewerten. Kommt sie dabei zum Ergebnis, dass auf Grund der Anträge die Antidumpingzölle ganz oder teilweise aufrecht zu erhalten sind, kann sie – wie bereits dargelegt – allerdings nicht selbst eine dies regelnde Verordnung erlassen, sondern nur beim Rat beantragen, eine entsprechende Verordnung zu erlassen.
a) Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann jedoch dann rechtswidrig sein, wenn die mit der Wiederaufnahme des Verfahrens beabsichtigte Maßnahme, hier die Wiedereinführung individuell bestimmter Antidumpingzölle, nicht mehr durchgeführt werden kann. Dafür sprechen erhebliche Gründe.
Der Antidumpingzoll soll – anders als im Ausgangsfall des EuGH-Urteils vom 28.01.2016, C-283/14 und C-284/14 – rückwirkend für abgeschlossene Sachverhalte wieder eingeführt werden. Im Einzelnen sollen die Zollsätze ab dem Tag wirksam werden, an dem die für nichtig erklärte Verordnung in Kraft getreten ist (24. Erwägungsgrund der DVO 2016/223), obwohl die Maßnahme zum 31.03.2011 ausgelaufen ist. Gründe, die ausnahmsweise eine derartige Rückwirkung erfordern, sind weder in der DVO 2016/223 vorgetragen noch sonst ersichtlich geworden.
Die Wiedereinführung des Antidumpingzolls ist nicht nach Art. 10 VO 384/96 möglich, denn die insoweit allein einschlägige Vorschrift des Art. 10 Abs. 4 VO 384/96 setzt voraus, dass die Waren, für die der endgültige Antidumpingzoll gelten soll, innerhalb von 90 Tage vor dem Zeitpunkt der Anwendung der vorläufigen Maßnahmen, aber nicht vor Einleitung der Untersuchung zollamtlich nach Art. 14 Abs. 5 VO 384/96 erfasst worden sind. Die auf höchstens neun Monate beschränkte Erfassung nach Art. 14 Abs. 5 VO 384/96 geschieht, um Maßnahmen ausweiten zu können, nicht aber um bereits eingeführte Maßnahmen, nach denen Antidumpingzoll – wie sich herausgestellt hat – teilweise fehlerhaft erhoben worden ist, zur Fehlerbehebung zu reparieren.
Darüber hinaus werden mit der Wiedereinführung von Antidumpingzoll für die Einfuhren, die aus Lieferungen ausführender Hersteller stammten, deren Anträge auf Marktwirtschaftsbehandlung unbearbeitet geblieben sind, Sachverhalte aufgegriffen, für die nach den Maßstäben des Zollrechts eine Nacherhebung nach Art. 221 Abs. 3 Satz 1 ZK zu unterbleiben hätte. Diesen Maßstab für die Zeit, in der zurückliegende Sachverhalte ohne Hinzutun weiterer, besonderer Umstände nicht mehr aufgegriffen werden sollen, würde übertragen auf den Streitfall dazu führen, dass der Antidumpingzoll nicht mehr wiedereingeführt werden kann, weil die Maßnahme schon am 31.03.2011 und damit knapp fünf Jahre vor Erlass der DVO 2016/223 ausgelaufen ist.
Die Beschränkung der Nacherhebung grundsätzlich auf Fälle, in denen die Zollschuld höchstens drei Jahre vor der Mitteilung des Abgabenbetrags entstanden ist, dient auch dem Rechtsfrieden und berücksichtigt, dass Vergangenes umso schwerer aufzuklären ist, je länger es zurück liegt.
Tatsächlich geht es um die Neubewertung von Anträgen, die wie bei den ausführenden Herstellern im Streitfall im Juli 2005 und damit vor mehr als zehn Jahren gestellt worden sind. Selbst wenn die ausführenden Hersteller jetzt noch unter der seinerzeitigen Anschrift und Geschäftsbezeichnung bestehen sollten und damit grundsätzlich überhaupt noch in der von der Kommission angegebenen Bearbeitungsfrist (Art. 1 Abs. 2 DVO 2016/223) erreichbar sind, dürfte ihre Anhörung nach Art. 20 VO 384/96 bei Entscheidungen zu ihren Lasten besondere Schwierigkeiten aufweisen, weil die Hersteller in der Wahrnehmung ihrer Verteidigungsrechte durch den Zeitablauf beeinträchtigt sein können, wie etwa längst abgelaufene Aufbewahrungsfristen für Geschäftsunterlagen, fehlende Kenntnis durch Wechsel von Mitarbeitern usw. Insoweit ist es sehr zweifelhaft, ob sich die nicht von den Ausführern zu vertretenden Nachteile, die die erst jetzt geplante Bearbeitung ihrer seit 2005 vorliegenden Anträge auf Marktwirtschafts- und Individualbehandlung zur Folge hat, ausgleichen lassen.
4. Darüber hinaus kann auch die Aufforderung in Art. 1 Abs. 1 und 2 DVO 2016/223, der Kommission alle Erstattungsanträge mit Belegen vorzulegen, die darauf gestützt werden, dass nicht in die Stichprobe einbezogene ausführende Hersteller Anträge auf Marktwirtschafts- oder Individualbehandlung gestellt hätten, eine Überschreitung des gesetzgeberischen Ermessens und einen Missbrauch der Befugnisse der Kommission darstellen.
Sollte nämlich eine Wiedereinführung des Antidumpingzolls noch möglich sein, stünde nur noch die Bewertung der Anträge auf Marktwirtschafts- und Individualbehandlung nach Art. 2 Abs. 7 Buchst. c VO 384/96 aus. Hierzu bedarf es grundsätzlich keiner Verordnung, weil nur die jeweiligen Antragsunterlagen, die sich bei der Kommission befinden, noch bearbeitet werden müssten.
Die einfach zu beantwortende Frage, ob Erstattungsanträge form- und fristgerecht gestellt worden sind, obliegt den zuständigen Zollbehörden, nicht der Kommission. Gleiches gilt für die Frage, welche von den Erstattungsanträgen umfasste Einfuhr von einem Hersteller stammt, dessen Antrag auf Marktwirtschafts- und Individualbehandlung unbearbeitet geblieben ist.
Andererseits mag der Wunsch der Kommission, sich aus Gründen der Verfahrensökonomie bei der etwaigen Prüfung der in Frage kommenden Hersteller auf diejenigen zu beschränken, deren Ausfuhren tatsächlich Gegenstand der Erstattungsanträge sind, nachvollziehbar sein. Sie entspricht auch, da es um die Ermittlung individueller Zollsätze geht, geltendem Recht. Hierzu bedarf es nach Auffassung des Senats allerdings nicht der Vorlage sämtlicher Erstattungsanträge nebst Belegen, sondern wesentlich geringerer und damit schneller durchzuführender Maßnahmen. Beispielsweise könnte die Kommission den Zollbehörden der Mitgliedstaaten die Namen und Anschriften der ausführenden Hersteller übermitteln, die nicht in die Stichprobe einbezogen worden sind, und die Mitgliedstaaten könnten der Kommission mitteilen, für welche dieser Hersteller bei ihnen form- und fristgerechte Erstattungsanträge vorliegen. Andererseits könnten auch die Mitgliedstaaten der Kommission die Namen und Anschriften ausführender Hersteller mitteilen, so dass die Kommission den Mitgliedstaaten nach Auswertung der ihr vorliegenden Anträge auf Marktwirtschafts- und Individualbehandlung mitteilen könnte, für welche Hersteller die ausstehende Überprüfung ihrer Anträge erfolgen muss und für welche Hersteller die Erstattungsanträge mangels Antragstellung gänzlich abzulehnen sind.