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Steuerrecht
06.11.2024
Steuerrecht
FG Berlin-Brandenburg: Vermutung der Unionswareneigenschaft

FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25.4.2024 – 1 K 1182/22

ECLI:DE:FGBEBB:2024:0425.1K1182.22.00

Volltext des Urteils: BB-ONLINE BBL2024-2657-1

LEITSäTZE (DER REDAKTION)

1. Art. 153 Abs. 1 UZK stellt eine widerlegbare juristische Vermutung dar und bezieht sich auf die Erlangung des zollrechtlichen Status als Unionsware aufgrund von Art. 5 Nr. 23 Buchst. a–c UZK.

2. Die Vermutung des Status als Unionsware basiert auf dem Prinzip eines freien Binnenmarktes und einer Zollunion gemäß Art. 28 AEUV und ist notwendig, um einen effizienten freien Warenverkehr zu garantieren.

Sachverhalt

Die Klägerin ist durch formwechselnde Umwandlung der B… GmbH & Co. KG entstanden. Gegenstand des Unternehmens ist die Zentralisierung und Bündelung der nationalen und internationalen Einkaufsaktivitäten und die Festschreibung und Verhandlung der damit verbundenen Einkaufskonditionen der Unternehmen der C…-Gruppe sowie alle damit unmittelbar oder mittelbar im Zusammenhang stehenden Geschäfte.

Der Beklagte hatte mit Schreiben vom 00.00.2019 für den Zeitraum 00.00.2016 bis 00.00.2018 eine Zollprüfung gemäß Art. 48 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 vom 09.10.2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (Unionszollkodex [UZK]) in Verbindung mit §§ 193 ff. Abgabenordnung (AO) angeordnet, die durch den Prüfungsdienst des Hauptzollamts D… durchgeführt wurde. Gegenstand der Prüfung waren die Einfuhrabgaben nach § 1 Abs. 1 Zollverwaltungsgesetz (ZollVG) sowie die Einfuhrhandelsgeschäfte im genannten Zeitraum. Das Hauptzollamt D… gelangte mit Bericht vom 00.00.2020 unter anderem zu der Feststellung, dass die Klägerin für die in den Anlagen 3, 8, 10 und 11 aufgeführten Lieferungen ([…]) keinen Nachweis dafür habe erbringen können, dass die Waren eine zollrechtliche Bestimmung erhalten hätten. Die Waren seien tatsächlich in die Union eingeführt worden, die Warenrechnungen seien von der Klägerin gebucht und bezahlt worden. Nach den Bestimmungen des UZK hätten die Waren gestellt, angemeldet und in ein Zollverfahren überführt werden müssen. Dies sei offensichtlich nicht geschehen. Danach sei eine Einfuhrzollschuld entstanden, weil eine einfuhrabgabenpflichtige Ware vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht worden sei (Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 1. Alt. UZK) bzw. eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen worden sei (Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 2. Alt. UZK). Die Einfuhrzollschuld nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK sei zum jeweiligen Zeitpunkt des Rechnungsdatums gemäß Art. 79 Abs. 2 Buchst. a UZK in der Person der Klägerin (Art. 79 Abs. 3 UZK) entstanden. Wegen der weiteren Einzelheiten hierzu wird auf den Bericht über die Prüfung vom 00.00.2020 nebst Anlagen und hier insbesondere auf Teilziffer 3.3 Bezug genommen (Bl. 00 ff., 00 ff. Verfahrensakte).

Ausgehend von den Beanstandungen durch den Prüfungsdienst des Hauptzollamts D… nahm der Beklagte die Klägerin noch vor der endgültigen Erstellung des Prüfungsberichts mit Einfuhrabgabenbescheid vom 00.00.2020 auf Einfuhrabgaben in Höhe von insgesamt XXX.XXX,XX € (ZollEU X.XXX,XX €, Verzugszinsen ZollEU XXX,XX €, Verzugszinsen zur Einfuhrumsatzsteuer [EUST] X.XXX,XX € und EUST XXX.XXX,XX €) in Anspruch, welche in den Positionen 8 und 9 Waren der Firma E… und in den Positionen 10 bis 14 Waren der F… betrafen. Die Klägerin legte gegen den Einfuhrabgabenbescheid fristgerecht Einspruch ein. Nachdem sie weitere Unterlagen für die Positionen 10 bis 14 betreffend F… übersandt hatte, erließ der Beklagte mit Datum vom 00.00.2020 einen weiteren Einfuhrabgabenbescheid, mit dem ZollEU in Höhe von XX,XX € für die Position 14 aufgrund von bisher nicht berücksichtigten Luftfrachtkosten nacherhoben wurde und Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von XX.XXX,XX € sowie Verzugszinsen zur Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von X.XXX,XX € (insgesamt XX.XXX,XX €) für die Positionen 10 bis 14 erlassen wurden. Es verblieb danach eine Einfuhrabgabenschuld von ZollEU in Höhe von X.XXX,XX €, VZZEU in Höhe von XXX,XX €, EUST in Höhe von XX.XXX,XX € und VZZEUST in Höhe von X.XXX,XX € (insgesamt XX.XXX,XX €).

Der Einspruch zu den Positionen 8 und 9 des Einfuhrabgabenbescheids vom 00.00.2020 betreffend die Firma E… wurde fortgeführt. Die Klägerin machte hierzu geltend, dass für die Lieferungen jeweils DDP (delivered duty paid) vereinbart worden sei und legte unter anderem folgende Unterlagen der Firma E… vor: Import Entry Acceptance Advice (Mitteilung über die Annahme der Einfuhranmeldung) und Trader Input Plain Paper (Standardzollanmeldung); Delivery Notes (Lieferscheine), Rechnungen der E… sowie eine Auflistung mit Invoice, Delivery Note, HS-Code usw. (als Excel-Tabelle).

Mit Einspruchsentscheidung vom 00.00.2022 wies der Beklagte den Einspruch betreffend die nach Teilerlass verbliebenen Beträge ZollEU in Höhe von X.XXX,XX €, VZZEU in Höhe von XXX,XX €, EUST in Höhe von XX.XXX,XX € und VZZEUST in Höhe von X.XXX,XX € (insgesamt XX.XXX,XX €) als unbegründet zurück.

Gemäß Art. 153 Abs. 1 UZK gelte für alle im Zollgebiet der Union befindlichen Waren die Vermutung, dass es sich um Unionswaren handle, sofern nicht festgestellt werde, dass sie nicht Unionswaren seien. Die Vermutung des zollrechtlichen Status von Waren gelte jedoch nicht für in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren, die zur Ermittlung ihres zollrechtlichen Status der zollrechtlichen Überwachung unterlägen (Art. 119 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) Nr. 2015/2446 [UZK-DelVO]). Nach den Feststellungen des Prüfers seien die Waren tatsächlich in das Zollgebiet der Union eingeführt worden; die Rechnungen seien gebucht und bezahlt worden. So sei für die in der Anlage 11 (laufende Nummern 1 – 14, Firma E…) zum Prüfungsbericht aufgeführten Warenrechnungen kein Nachweis erbracht worden, dass die Waren in ein Zollverfahren überführt worden seien. Nach den Bestimmungen des UZK hätten die Waren gestellt, angemeldet und ordnungsgemäß einer zollrechtlichen Bestimmung zugeführt werden müssen. Die Einfuhrzollschuld im Sinne des Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entstehe zwar nicht, da es sich nicht um einfuhrabgabenpflichtige Nicht-Unionswaren handle. Die Waren seien der Codenummer […] zugeordnet worden, sodass ein Zollsatz in Höhe von 0 % vorliege und die Waren damit nicht einfuhrabgabenpflichtig seien. Jedoch sei für diese Waren gemäß §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 Umsatzsteuergesetz (UStG) in Verbindung mit Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK sinngemäß die Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden, weil für die steuerpflichtigen Gegenstände eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen dieser Waren in das Zollgebiet der Union nicht erfüllt worden sei. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen ließen nicht erkennen, dass die Waren bereits bei der Einfuhr nach Großbritannien verzollt und versteuert worden seien. Die Excel-Tabelle stelle lediglich eine Verbindung zwischen der Invoice-Nummer und der Delivery Note her. Der Import Entry Acceptance Advice nebst Trader Input Plain Paper enthalte keine Rechnungs- oder Lieferscheinnummer und diese Zollabfertigungen hätten größtenteils bereits in 2016 stattgefunden, die Rechnungsstellung sei jedoch in 2017 erfolgt. Fraglich sei weiterhin, warum sich Rechnungs- und Lieferadresse unterscheiden würden. Zudem könne die Klägerin nicht darstellen, wie die Waren von den Vereinigten Staaten von Amerika nach G… (GB) und dann nach Deutschland gekommen seien. Die vorgelegten Unterlagen seien nicht ausreichend, um eine bereits erfolgte Versteuerung nachzuweisen. Auch wenn die Klägerin die Waren DDP gekauft habe, müsse eine Zuweisung der bereits verzollten Waren zu den ihr nachfolgend im innergemeinschaftlichen Versandhandel gelieferten Waren bestehen.

Mit der hiergegen gerichteten Klage macht die Klägerin geltend, dass die streitgegenständlichen Waren verzollt worden seien. Dies könne an einem Beispiel verdeutlicht werden: In dem angegriffenen Bescheid würde unter der Position 8 bei einem Zollwert von XX.XXX,XX € Einfuhrumsatzsteuer in Höhe von XX.XXX,XX € nacherhoben. Die Position 8 setze sich zusammen aus den laufenden Nummern 1 bis 11 der Anlage 11 zum Prüfungsbericht (Anlage K 5 zum Schriftsatz der Klägerin vom 00.00.2023, Bl. 00 Verfahrensakte). Die laufende Nr. 1 der Anlage 11 betreffe die Rechnung Nr. […] der E… vom 00.00.2018 (Anlage K 6, Bl. 00 ff. Verfahrensakte). In der Rechnung werde auf den Lieferschein („Delivery Note“) […] Bezug genommen (Anlage K 7, Bl. 00 ff. Verfahrensakte). Die Lieferung sei aus den USA über H… c/o I…, G… an die […] J… c/o K…, L… in Deutschland erfolgt. H… sei eine Produktlinie von E…. I… sei ein auf […] spezialisierter Logistikdienstleister. Sie, die Klägerin, habe infolge der Beanstandungen Kontakt mit der Firma E… aufgenommen und um Verzollungsbelege gebeten. E… habe sich daraufhin an I… in G… gewandt. Einer E-Mail des Angestellten der I… M… vom 00.00.2020 (Anlage K 8, Bl. 00/00 Verfahrensakte) an den Mitarbeiter von E… N… sei zu entnehmen, dass bei I… im Vereinigten Königreich (VK) gelagerte Waren in die EU eingeführt und in den freien Verkehr überführt worden seien, als sie bei I… eingetroffen seien. Bei der Verschiffung vom VK nach Deutschland sei dann keine Zollanmeldung erforderlich gewesen und die Klägerin habe keine Einfuhrabgaben zahlen müssen, als die Waren bei ihr eingetroffen seien. In einer zweiten E-Mail vom 00.00.2022 an ihre, der Klägerin, Mitarbeiterin O… (Anlage K 9, Bl. 00/00 Verfahrensakte) führe der I…-Mitarbeiter M… aus, dass er keine Zollunterlagen für die streitgegenständlichen Einfuhren bereitstellen könne, weil sich die Zollunterlagen auf den gesamten H…-Bestand, der bei I… für die Belieferung des britischen/EU-Marktes in diesem Zeitraum gelagert worden sei, bezögen.

Im Übrigen streite für sie, die Klägerin, die Vermutung des Art. 153 Abs. 1 UZK. Nach dieser Vorschrift gelte für alle im Zollgebiet der Union befindlichen Waren die Vermutung, dass es sich um Unionswaren handele, sofern nicht festgestellt werde, dass sie nicht Unionswaren seien. Art. 153 UZK wälze die Beweis- bzw. Darlegungslast auf die Zollbehörden ab. Der Beklagte habe weder belegt noch festgestellt, dass die streitgegenständlichen Waren keine Unionswaren seien. Es greife auch nicht die Ausnahme von der Vermutung des Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO. Danach gelte die Vermutung des zollrechtlichen Status von Unionswaren nicht für in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren, die zur Ermittlung ihres zollrechtlichen Status der zollamtlichen Überwachung unterlägen. Im vorliegenden Fall hätten die Waren, die ihr – der Klägerin – DDP geliefert worden seien, im Zeitpunkt der Betriebsprüfung keiner zollamtlichen Überwachung unterlegen. Zwar könne die Ausnahmeregelung des Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO auch dann greifen, wenn die Zollbehörden im Rahmen von Zollkontrollen feststellten, dass ein Unternehmen Waren unmittelbar aus einem Drittland bezogen habe und die entsprechenden Rechnungen vorlägen, ohne dass die Verzollung nachgewiesen werden könne. Diese Ausnahme greife hier aber nicht, weil die Waren nicht unmittelbar aus den USA bezogen, sondern innergemeinschaftlich aus Großbritannien geliefert worden seien. Die Waren seien also nicht in Deutschland in das Zollgebiet der Union verbracht worden. Bei der innergemeinschaftlichen Lieferung aus dem VK hätten sie nicht mehr der zollamtlichen Überwachung im Sinne des Art. 134 UZK unterlegen. Für die Frage, ob die Waren „unmittelbar“ aus einem Drittland bezogen worden seien, komme es nicht auf die vertraglichen Beziehungen an – sie, die Klägerin, habe die Waren ohne Einschaltung eines Zwischenhändlers direkt von H…, USA, gekauft –, sondern auf den Lieferweg.

Der Beklagte lege Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO unzutreffend aus, wenn er davon ausgehe, dass es für die Anwendbarkeit der Vorschrift ausreiche, dass die Waren zu irgendeinem Zeitpunkt in das Zollgebiet der Union verbracht worden seien und dann später zollamtlich kontrolliert würden. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbringens in das Zollgebiet der Union und des Unterliegens einer zollamtlichen Überwachung seien aber aufeinander bezogen. Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO meine nur die zollamtliche Überwachung der Waren, die unmittelbar aufgrund ihres Verbringens in das Zollgebiet der Union ausgelöst werde. Klarer komme dies in der Vorgängervorschrift des Art. 313 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission mit Durchführungsvorschriften zum Zollkodex (ZK-DVO) zum Ausdruck. Art. 153 Abs. 2 UZK i.V.m. Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO hätten diese Vorgängerregelung mit leicht geändertem Wortlaut, aber inhaltlich übernommen. Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO beruhe nunmehr auf Art. 134 UZK, der Nachfolgevorschrift zu Art. 37 ZK. Deswegen führe Rogmann (in Wolffgang/Jatzke, UZK, 2021, Art. 153 Rn. 19) zu Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO aus, dass eine solche Situation auch gegeben sei, „wenn Zollbehörden im Rahmen von Zollkontrollen (…) feststellen, dass ein Unternehmen Waren unmittelbar aus einem Drittland bezogen hat und die entsprechenden Rechnungen vorliegen, ohne dass die Verzollung nachgewiesen werden kann“. Wenn Ware hingegen im Zollgebiet befördert werde, nachdem sie eingeführt worden sei, gelte die Vermutung des Art. 153 Abs. 1 UZK, sodass weder ein besonderes Verfahren noch ein besonderer Nachweis der Unionseigenschaft erforderlich sei.

Da sie, die Klägerin, – anders als das Unternehmen Suez II in dem vom EuGH mit Urteil vom 07.03.2019 entschiedenen Fall C-643/17 (ECLI:EU:C:2019:179, Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern [ZfZ] 2019, 207) – nicht die einführende Gesellschaft sei, habe sie die vom Beklagten verlangten Verzollungsnachweise nicht und könne sie sie auch gar nicht haben. Der Beklagte verlangte also von ihr etwas Unmögliches. Hingegen würde es dem Beklagten möglich sein, sich im Wege der Amtshilfe von den britischen Zollbehörden einen elektronischen Datenabgleich zu den streitgegenständlichen Waren übermitteln zu lassen.

Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin ergänzend mitgeteilt, dass sich aus den Lieferscheinen die Versandadresse H… c/o I…, …, G… ergebe. Die Bestellungen seien von der B… GmbH und Co. KG auf Veranlassung der […] P… GmbH und der […] J… GmbH ausgelöst worden. Die Bestellungen seien an E… per EDI (Electronic Data Interchange) übermittelt worden. Bei den per Datentransfer übermittelten Bestellungen sei keine Bestellbestätigung generiert worden. Als die Parteien die Konditionen des Kaufvertrags ausgehandelt hätten, sei mündlich besprochen worden, dass die Lieferung jeweils aus dem VK und nicht aus den USA direkt erfolge. Die Lieferbedingung DDP sei Gegenstand der Vertragsverhandlungen gewesen. Die Klägerin legte hierzu den Vertragsentwurf […] H… vor, der unter Punkt X.X.X die Lieferbedingung DDP vorsieht (Schriftsatz vom 00.00.2024, Anlage K 11, Bl. 000 ff. Verfahrensakte). Der Vertrag sei letztlich nur mündlich geschlossen worden. Die Waren seien vom Lager der H… c/o I…, G… per Paketdienst filialrein an die jeweiligen C…-Filialen (Cross Docking) versandt worden. Die Warensendungen seien nicht vorab angekündigt worden. Die Rechnungsadresse gebe den rechtlichen Sitz der Gesellschaft an, die Lieferadresse den jeweiligen Abnahmeort (Cross Docking Standort).

Der Beklagte stütze seinen Anspruch auf §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK sinngemäß und gehe also davon aus, dass die Waren geschmuggelt worden seien. Die Beweislast für diese anspruchsbegründende Tatsache trage der Beklagte.

Die Klägerin beantragt,

den Steuerbescheid … des Beklagten vom 00.00.2020 (in der Fassung des Bescheids vom 00.00.2022 [richtig: 00.00.2020] in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 00.00.2022 insoweit aufzuheben, als er Einfuhrumsatzsteuer und Verzugszinsen zur Einfuhrumsatzsteuer betrifft.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es handle sich bei den streitgegenständlichen Waren um Nicht-Unionswaren, da ein Nachweis über die erfolgte Verzollung/Versteuerung nicht vorgelegt worden sei. Art. 153 UZK könne daher nicht greifen.

Nach Art. 153 Abs. 1 UZK gelte für alle im Zollgebiet der Union befindlichen Waren die Vermutung, dass es sich um Unionswaren handele, sofern nicht festgestellt werde, dass sie nicht Unionswaren seien. Diese juristische Fiktion könne durch eine gegenteilige Feststellung widerlegt werden. Der Grundsatz fuße auf Art. 28 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU (AEUV) und dem darin benannten Grundsatz des freien Warenverkehrs. Es genüge, wenn die Ware in einem beliebigen Mitgliedstaat den Unionsstatus erlangt habe.

Hinsichtlich der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen sei die Verknüpfung der Invoice und der dazugehörigen Delivery Note, wie von der Klägerin richtig dargestellt, durch die Nennung des Lieferscheins auf der Rechnung möglich. Die Klägerin habe ihre Waren bei der E… in Q…, […], Vereinigte Staaten von Amerika (USA) eingekauft, Rechnungsempfänger sei die […] J… GmbH in R… gewesen (siehe Unterlagenakte, Bl. 00). Ein entsprechender Hinweis über den Kauf mittels Incoterm DDP sei auf der Rechnung nicht erkennbar. Die jeweiligen Lieferscheine (Delivery Notes) zeigten den Versand der Waren von H… c/o I… in G…, UK. Die Trader Input Plain Paper wiesen u.a. als Versender die S…, …, Q…, […], USA und als Empfänger die T…, …, …, UK auf. Auf der Import Entry Acceptance Advice seien die IDs des Deklaranten und des Empfängers sowie Versteuerungen ersichtlich.

Die Aussage, die Beförderung der Waren sei aus den USA über G… nach Deutschland erfolgt, sei grundsätzlich nachvollziehbar. Jedoch müsse die Klägerin dann nachweisen, dass sie bereits verzollte Waren aus G… geliefert bekommen habe. Die Vorlage diverser Einfuhrverzollungen im VK (Import Entry Acceptance Advice und Trader Input Plain Paper) ohne exakte Zuordnung zu den Handelsrechnungen und Delivery Notes führe nicht zum Erfolg der Klage. Es könne nicht pauschal argumentiert werden, dass irgendwelche Waren verzollt worden seien, sondern es müssten genau jene sein, die auf der Rechnung genannt würden. Insofern sei es fraglich, ob die auf den Handelsrechnungen genannten Waren überhaupt verzollt worden seien. Die Vorlage einer Rechnung und eines Lieferscheins bestätigten nur den möglichen Handelskontakt, nicht aber die Zollabfertigung. Die Klägerin habe jedoch nachzuweisen, welche Zollanmeldungen den auf der Rechnung stehenden Waren entsprächen, was bisher nicht erfolgt sei. Mangels fehlenden Nachweises habe der Prüfer davon ausgehen müssen, dass die Waren unverzollt/unversteuert aus dem VK nach Deutschland geliefert worden seien. Insoweit sei die Zollbehörde ihrer Beweis- und Darlegungspflicht nachgekommen.

Soweit die Klägerin auf das EuGH-Urteil vom 07.03.2019 C-643/17 Bezug nehme, lasse sich diesem nicht entnehmen, warum es bei der Frage, ob die Waren „unmittelbar“ aus einem Drittland bezogen worden seien, nicht auf die vertraglichen Beziehungen, sondern auf den Lieferweg ankomme.

Die Klägerin habe nicht nachweisen können, dass es sich um einen Fall von Unionswaren im Sinne des Art. 5 Nr. 23 Buchst. b UZK handle. Die Waren seien augenscheinlich aus den USA nach dem VK verbracht worden, jedoch habe die Klägerin die im VK in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführten Waren nicht zu den innerunionsrechtlich nach Deutschland gelieferten Waren zuordnen können. Die Klägerin habe – da die Vermutungsregel des Art. 153 Abs. 1 UZK hier nicht gelte –, gemäß Art. 153 Abs. 2 UZK den zollrechtlichen Status der Unionsware nachzuweisen. Sie habe jedoch keines der in Art. 199 Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der VO (EU) Nr. 952/2013 [UZK-DVO bzw. UZK-IA] aufgelisteten Nachweismittel vorgelegt. Die in Anlage 11 des Prüfungsberichts dargestellten Waren hätten folglich als Nicht-Unionswaren angesehen werden müssen, was die Entstehung der Zoll- und Einfuhrumsatzsteuerschuld nach §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG in Verbindung mit Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK sinngemäß aufgrund der Pflichtverletzung in Form des vorschriftswidrigen Verbringens respektive Entziehens aus der zollamtlichen Überwachung zur Folge gehabt habe.

Soweit die Klägerin meine, die tatbestandlichen Voraussetzungen des Verbringens in das Zollgebiet der Union und des Unterliegens einer zollamtlichen Überwachung seien aufeinander bezogen, lasse sich dies nicht direkt aus Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO entnehmen, ebenso wenig die zollamtliche Überwachung von Waren. Es lägen ihm, dem Beklagten, außer der Bestätigungs-E-Mail des Angestellten der I… M… keine weiteren verlässlichen Informationen vor, dass die Waren im VK verzollt worden seien. Nach seiner Auffassung greife dann Art. 134 Abs. 1 UAbs. 3 UZK: Unbeschadet des Art. 254 UZK unterlägen Unionswaren nicht mehr der zollamtlichen Überwachung, sobald ihr zollrechtlicher Status festgestellt sei. Dieser Status der Unionsware habe gerade nicht von den deutschen Zollbehörden festgestellt werden können.

Der Klägerin obliege die Beweis- und Darlegungspflicht für die Verzollung der Ware. Der Auffassung, er – der Beklagte – hätte sich im Wege der Amtshilfe von den britischen Zollbehörden einen elektronischen Datenabgleich zu den streitgegenständlichen Waren übermitteln lassen könne, könne daher nicht gefolgt werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die im Verfahren gewechselten Schriftsätze und den Akteninhalt Bezug genommen.

Dem Gericht haben bei seiner Entscheidung Ausdrucke der vom Beklagten auf elektronischen Weg übersandten Einspruchs- und Unterlagenakte zum Geschäftszeichen […] vorgelegen.

Aus den Gründen

1. Die Anfechtungsklage ist zulässig und auch begründet. Der Steuerbescheid … des Beklagten vom 00.00.2020 (in der Fassung des Bescheids vom 00.00.2020) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 00.00.2022 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit der Beklagte die Klägerin darin auf Einfuhrumsatzsteuer und Verzugszinsen zur Einfuhrumsatzsteuer in Anspruch genommen hat (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung [FGO]). Die Klägerin beruft sich zu Recht auf die Vermutungsregelung des Art. 153 Abs. 1 UZK.

a) Nach Art. 153 Abs. 1 UZK gilt für alle sich im Zollgebiet der Union befindlichen Waren die Vermutung, dass es sich um Unionswaren handelt, sofern nicht festgestellt wird, dass sie nicht Unionswaren sind.

aa) Es handelt sich bei Art. 153 Abs. 1 UZK um eine juristische Fiktion, die durch eine gegenteilige Feststellung widerlegt werden kann. Die Vermutung erstreckt sich darauf, dass die Waren auf eine der in Art. 5 Nr. 23 Buchst. a bis c UZK genannte Weise ihren zollrechtlichen Status als Unionsware erhalten haben (Witte/Stein, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 153 Rz. 5). Im Fall des VK greift die Vermutung der Unionswareneigenschaft bei Bestellungen in der Zeit vor Ablauf des im Austrittsabkommens vorgesehenen Übergangszeitraums am 31.12.2020 auch für Waren, die von dort in das Zollgebiet der Union befördert werden (vgl. hierzu Rogmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler [HHSp]: AO/FGO, Dokumentstand: 262. Lieferung 4/2021, Werkstand: 277. Lieferung 11/2023, Art. 153 Rz. 11). Als deutsches Unternehmen musste die Klägerin beim Import von Waren aus dem VK vor dem Austritt des VK aus der EU nur dann zollrechtliche Bestimmungen beachten, wenn es sich um Nicht-Unionswaren handelte und diese unter Aussetzung von Einfuhrabgaben beispielsweise im Rahmen eines externen Versandverfahrens nach Deutschland befördert wurden (vgl. Lux/Scheller, ZfZ 2017, 54, 57).

Die Vermutung des Status als Unionsware basiert auf dem Prinzip eines freien Binnenmarktes und einer Zollunion gemäß Art. 28 AEUV und ist notwendig, um einen effizienten freien Warenverkehr zu garantieren. Aus Art. 28 Abs. 2 AEUV ergibt sich, dass Waren, die aus den Mitgliedstaaten stammen, und solche aus Drittländern, die sich in den Mitgliedstaaten im freien Verkehr befinden, gleichbehandelt werden müssen. Dabei genügt es, wenn die Ware in einem beliebigen Mitgliedstaat den Unionsstatus erlangt hat. Das bedeutet für alle Beteiligten, dass sie beim Umgang mit einer Ware nur bei positiver Kenntnis davon, dass es sich um eine Nicht-Unionsware handelt, negative Folgen erleiden können. Es handelt sich mithin um eine Vermutung zugunsten der Wirtschaftsbeteiligten. Durch das Erfordernis der positiven Feststellung kann es für die Zollbehörden ggf. zu einem erhöhten Arbeitsaufwand kommen, da die diesbezügliche Beweislast bei den Zollbehörden liegt (Witte/Stein, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 153 Rz. 6). Die Vermutungsregel des Art. 153 Abs. 1 UZK bewirkt, dass Wirtschaftsbeteiligte grundsätzlich keine Nachweispflicht trifft, damit Waren als Unionswaren angesehen werden. Bewegen sie etwa Waren zwischen zwei Orten im Zollgebiet der Union müssen die Besitzer der Waren auch bei Kontrollen keinen Nachweis über den zollrechtlichen Status der Ware erbringen und es ist kein Zollverfahren anzuwenden. Nur auf diese Weise lässt sich der in Art. 28 ff. AEUV garantierte freie Warenverkehr im Binnenmarkt realisieren (vgl. Rogmann in HHSp: AO/FGO, Dokumentstand: 262. Lieferung 4/2021, Werkstand: 277. Lieferung 11/2023, Art. 153 Rz. 12).

bb) Zwar gilt die in Art. 153 Abs. 1 UZK festgelegte Vermutung gemäß Art. 153 Abs. 2 UZK in bestimmten Fällen von vornherein nicht. Art. 156 Buchst. a UZK ermächtigt die Kommission, die Fälle festzulegen, in denen die Vermutung nicht greift; diese Ausnahmen sind in Art. 119 Abs. 1 Buchst. a bis f UZK-DelVO geregelt. Deren Voraussetzungen liegen im Streitfall jedoch nicht vor.

(i) Art. 119 Abs. 1 UZK-DelVO enthält für Waren, die zur Ermittlung ihres zollrechtlichen Status der zollamtlichen Überwachung unterliegen (Art. 119 Abs. 1 Buchst. a UZK-DelVO) Ausnahmen von der Vermutung, dass es sich um Unionswaren handelt.

Diese Regelung basiert auf Art. 134 UZK, der in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren grundsätzlich als Nicht-Unionswaren behandelt. Die Vermutungsregel des Art. 153 UZK greift hier nicht und der Beteiligte hat den Nachweis zu führen, dass die Waren den zollrechtlichen Status als Unionsware haben. Eine solche Situation ist auch dann gegeben, wenn Zollbehörden im Rahmen von Zollkontrollen (Art. 5 Nr. 3 UZK) feststellen, dass ein Unternehmen Waren unmittelbar aus einem Drittland bezogen hat und die entsprechenden Rechnungen vorliegen, ohne dass die Verzollung nachgewiesen werden kann (vgl. Rogmann in HHSp: AO/FGO, Dokumentstand: 262. Lieferung 4/2021, Werkstand: 277. Lieferung 11/2023, Art. 153 Rz. 19). Die von der Klägerin bezogenen Waren unterlagen bei ihrer Ankunft in Deutschland jedoch weder der zollamtlichen Überwachung noch hatte die Klägerin die Waren unmittelbar aus einem Drittland bezogen. Nach den vorgelegten Unterlagen ist vielmehr davon auszugehen, dass die Waren bereits im VK der I… zum freien Verkehr überlassen und von dort aus im innergemeinschaftlichen Verkehr – aber nicht unter Steueraussetzung – an die Klägerin weitergeliefert worden waren.

Dass der Beklagte nach Art. 48 UZK befugt ist, nachträglich noch Zollprüfungen durchzuführen, führt nicht dazu, dass sich die streitigen Waren bis zur endgültigen Prüfung durchgehend in zollamtlicher Überwachung befunden hätten. Die zollamtliche Überwachung endete vielmehr bereits im VK mit der Überlassung der Waren an die I….

Die Klägerin hat die Waren auch nicht „unmittelbar“ aus einem Drittland bezogen. Zwar hat sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin die Waren in den USA bestellt. Ausweislich der Lieferscheine ist jedoch eindeutig, dass die Lieferung an die Klägerin nicht unmittelbar aus den USA erfolgte und nach dem Vorbringen der Klägerin auch nicht erfolgen sollte, sondern in den hier streitigen Fällen eine Lieferung aus dem VK über I… erfolgt ist.

(ii) Auch die weiteren Ausnahmen von der Vermutungsregelung gemäß Art. 119 Abs. 1 UZK-DelVO sind nicht erfüllt. So kann sich die Feststellung, dass Waren Nicht-Unionswaren sind, insbesondere auch aus einem Versandschein T1 (dieser bezieht sich auf Nicht-Unionswaren, die in das externe Versandverfahren gemäß Art. 226 Abs. 1 UZK übergeführt wurden) oder durch den Nachweis eines Zollverfahrens für Nicht-Unionswaren (Art. 5 Nr. 24 UZK), in das die Waren überlassen wurden, ergeben (vgl. Rogmann in HHSp: AO/FGO, Dokumentstand: 262. Lieferung 4/2021, Werkstand: 277. Lieferung 11/2023, Art. 153 Rz. 14). Anhaltspunkte dafür, dass die streitigen Waren sich in einem derartigen Verfahren befunden hätten, gibt es vorliegend nicht. Der Beklagte hat hierzu auch nichts vorgetragen.

(iii) Für die Klägerin streitet daher die Vermutung des Art. 153 Abs. 1 UZK, dass es sich bei den von ihr bezogenen Waren um Unionsware gehandelt hat. Dem Beklagten ist es demgegenüber nicht gelungen, diese Vermutung zu entkräften bzw. zu widerlegen.

b) Dies zugrunde gelegt ist in der Person der Klägerin eine Einfuhrabgabenschuld und damit Einfuhrumsatzsteuer nicht entstanden, weil es an einer Rechtsgrundlage fehlt. Soweit der Beklagte sich hierfür auf Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 1. Alt. bzw. 2. Alt. UZK in Verbindung mit Art. 79 Abs. 3 UZK beruft, kann dem nicht gefolgt werden.

aa) Gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK entsteht für einfuhrabgabenpflichtige Waren eine Einfuhrzollschuld – und über dessen sinngemäße Anwendung gemäß §§ 13 Abs. 2, 21 Abs. 2 UStG ggf. eine Einfuhrumsatzsteuerschuld –, wenn eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union, auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung oder auf die Beförderung, Veredelung, Lagerung, vorübergehende Verwahrung, vorübergehende Verwendung oder Verwertung dieser Waren in diesem Gebiet, nicht erfüllt ist.

In den Fällen nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK ist gemäß Art. 79 Abs. 3 UZK Zollschuldner,

a) wer die betreffenden Verpflichtungen zu erfüllen hatte,

b) wer wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war, und für Rechnung der Person handelte, die diese Verpflichtung zu erfüllen hatte, oder an der Handlung beteiligt war, die zur Nichterfüllung der Verpflichtung führte,

c) wer die betreffenden Waren erworben oder in Besitz genommen hat und zum Zeitpunkt des Erwerbs oder der Inbesitznahme der Waren wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass eine zollrechtliche Verpflichtung nicht erfüllt war.

bb) Der Beklagte hat sich im Ergebnis bereits nicht festgelegt, auf welche Rechtsgrundlage(n) er die Inanspruchnahme der Klägerin konkret stützen möchte.

(i) Erste Tathandlung zur Begründung einer Einfuhrzollschuld nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 1. Alt. UZK ist das pflichtwidrige Verbringen von einfuhrabgabenpflichtigen Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union. Dabei geht es genau genommen um die Verletzung der beim Verbringen bestehenden Pflichten (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 11). Nicht-Unionswaren sind gemäß Art. 5 Nr. 24 UZK andere als Unionswaren. Eine Ware kann nur einen Status haben. Die Nicht-Unionsware definiert sich allein dadurch, dass keine Unionsware vorliegt. Grundsätzlich sind alle in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren Nicht-Unionswaren (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 5 Rz. 5).

Mit dem Überschreiten der Zollgrenze werden die Waren in das Zollgebiet der Union verbracht, wobei die hierzu erforderliche Warenbewegung auf einer entsprechenden Willensbetätigung des Zollbeteiligten beruht. Das Verbringen beginnt mit dem Überschreiten der Zollgrenze und dauert grundsätzlich bis zur Gestellung der Waren nach Art. 139 Abs. 1 UZK, mit der gemäß Art. 5 Nr. 33 UZK den Zollbehörden mitgeteilt wird, dass Waren eingetroffen sind und für evtl. erforderliche Zollkontrollen zur Verfügung stehen (vgl. Jatzke in HHSp: AO/FGO, Dokumentstand: 268. Lieferung 5/2022, Werkstand: 279. Lieferung 4/2024, UZK Art. 79 Rz. 28 und 30).

Hiervon ausgehend kann im Streitfall nicht festgestellt werden, dass die von der Klägerin in den USA bestellten Waren vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbracht worden wären. Die Waren sind unter Berücksichtigung der von der Klägerin vorgelegten Unterlagen von ihr bzw. ihrer Rechtsvorgängerin zwar bei der E… in den USA bestellt worden, die Lieferung an die Klägerin erfolgte jedoch – was auch der Beklagte einräumt – nicht unmittelbar aus den USA an die Klägerin, sondern über H… c/o I… aus dem VK, das im Zeitpunkt der Lieferung noch Mitglied der Europäischen Union war. Das Überschreiten der Zollgrenze erfolgte mithin zunächst im VK, sodass die zollrechtlichen Verpflichtungen auch nicht unmittelbar die Klägerin treffen konnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es bei Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 1. Alt. UZK um den Zeitraum zwischen dem Passieren der Grenze und der Gestellung der Ware geht. Die Pflichtverletzung muss in allen Fällen unmittelbar bei der Einfuhr vorliegen (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 16).

Aus der E-Mail von M…, dem Angestellten der die Waren in das Zollgebiet der Union einführenden I…, vom 00.00.2020 geht jedoch hervor, dass die bei I… im VK gelagerten Waren in die EU eingeführt und in den freien Verkehr überführt worden seien, als sie bei I… eingetroffen seien. Herr M… bestätigt damit, dass die zollrechtlichen Verpflichtungen in Bezug auf die an die Klägerin weitergelieferten Waren bereits im VK erfüllt worden sind. Soweit Herr M… in einer weiteren E-Mail vom 00.00.2022 außerdem darauf hingewiesen hat, dass er keine Zollunterlagen für die streitigen Einfuhren bereitstellen könne, weil sich die Zollunterlagen auf den gesamten H…-Bestand bezögen, der bei I… für die Belieferung des britischen bzw. EU-Marktes in diesem Zeitraum gelagert worden sei, deutet dies außerdem darauf hin, dass es sich bei dem von der I… unterhaltenen Lager nicht um ein Zolllager, sondern um ein bloßes Auslieferungslager gehandelt hat, in das bereits verzollte und versteuerte Waren eingelagert wurden. Es wäre vor diesem Hintergrund Sache des Beklagten gewesen, nähere Feststellungen zu einem etwaigen vorschriftswidrigen Verbringen der an die Klägerin gelieferten Waren in das Zollgebiet der Union zu treffen.

(ii) Die Voraussetzungen für ein Entziehen der Waren aus der zollamtlichen Überwachung gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 2. Alt. UZK liegen ebenfalls nicht vor. Gemäß Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 2. Alt. UZK entsteht die Zollschuld, wenn bei einfuhrabgabenpflichtigen Waren eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Entziehen dieser Waren aus der zollamtlichen Überwachung nicht erfüllt wird. Dabei bedarf es nach Witte (in Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 61) einer Verletzung festgelegter Pflichten, sodass nach dieser Auffassung nur Vorgänge in der vorübergehenden Verwahrung und dem Zolllager in Betracht kommen (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 93).

Gemäß Art. 134 Abs. 1 Satz 1 UZK unterliegen Waren vom Zeitpunkt des Eingangs in das Zollgebiet der Union an der zollamtlichen Überwachung. Mit der Einfuhr haben die Zollbehörden ganz generell die Möglichkeit von Zollkontrollen. Die Möglichkeit der Überwachung setzt sich fort über den Zeitpunkt der vorübergehenden Verwahrung hinaus bis zur Überlassung in ein Zollverfahren, Art. 5 Nr. 16 UZK. Ab dann ist zu unterscheiden zwischen den überwachten Zollverfahren und solchen, die von den Zollbehörden nicht weiter kontrolliert werden (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rn. 72). Der Begriff der Entziehung ist nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 01.02.2001 C-66/99, ZfZ 2001, 121) so zu verstehen, dass er jede Handlung oder Unterlassung umfasst, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und der Durchführung der in Art. 37 Abs. 1 ZK vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (vgl. Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rn. 76).

Hiervon ausgehend gibt es im Streitfall keine Anhaltspunkte für ein Entziehen der streitigen Waren aus der zollamtlichen Überwachung. Vielmehr lässt sich aus der E-Mail des Mitarbeiters der I…, Herrn M…, vom 00.00.2020 ableiten, dass die Waren bei ihrer Einfuhr im VK ordnungsgemäß gestellt und in den freien Verkehr überführt worden sind. Anhaltspunkte dafür, dass die Waren nach ihrer Gestellung stattdessen in ein Verfahren der Steueraussetzung überführt worden wären, gibt es nicht. Nach ihrer Überführung in den freien Verkehr unterlagen die Waren aber keiner zollamtlichen Überwachung mehr, sodass auch ein Entziehen der Waren aus der zollamtlichen Überwachung nicht in Betracht kommt. Der Beklagte hat hierzu auch keinerlei konkrete Feststellungen getroffen.

(iii) Da bereits ein Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 79 Abs. 1 Buchst. a 1. oder 2. Alt. UZK nicht festgestellt werden kann, kann auch eine Zollschuldnerschaft der Klägerin gemäß Art. 79 Abs. 3 UZK nicht angenommen werden. So kommen in den Fällen des Art. 79 Abs. 1 Buchst. a UZK gemäß Art. 79 Abs. 3 Buchst. c UZK zwar Erwerber und Besitzer der betreffenden Waren als weitere Zollschuldner in Betracht. Wer etwa vorschriftswidrig verbrachte, aus der vorübergehenden Verwendung oder dem Zolllager entzogene Waren oder Waren, für die durch sonstige Pflichtverletzungen Zollschulden entstanden sind, erwirbt oder in Besitz nimmt, der ist beim Vorliegen der subjektiven Voraussetzungen im Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Waren ebenfalls Zollschuldner (vgl Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 321). Dabei ist es für die Festsetzung der Einfuhrabgaben gegen denjenigen, der vorschriftswidrig in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren erworben oder in Besitz gehabt hat, auch nicht erforderlich festzustellen, auf welche Weise die Waren vorschriftswidrig verbracht worden sind und ob der in Anspruch Genommene an dem vorschriftswidrigen Verbringen beteiligt war (BFH vom 13.11.2007 VII B 94/07, BFH/NV 2008, 420). Gibt es jedoch schon keine Anhaltspunkte für ein vorschriftswidriges Verbringen der Waren – wie dies hier der Fall ist –, kann auch keine Zollschuldnerschaft der Klägerin festgestellt werden.

c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus den Vorschriften zur Einfuhrumsatzsteuer.

Die Einfuhrumsatzsteuerschuld entsteht grundsätzlich beim Verbringen von Waren ins Zollgebiet der Union. Gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG unterliegt der Umsatzsteuer die Einfuhr von Gegenständen im Inland. Der Einfuhrbegriff ist nach Art. 30 Unterabsatz (UA) 1 der Richtlinie 2006/112/EWG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL) zu bestimmen: Danach gilt als Einfuhr eines Gegenstands die Verbringung eines Gegenstands, der sich nicht im freien Verkehr im Sinne des Art. 24 des Europäischen Gemeinschaftsvertrags (EGV, heute: Art. 29 AEUV) befindet, in die Gemeinschaft (heute Europäische Union). Nach Art. 60 MwStSystRL erfolgt die Einfuhr von Gegenständen in dem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet sich der Gegenstand zu dem Zeitpunkt befindet, in dem er in die Union gebracht wird.

Als im freien Verkehr eines Mitgliedstaats befindlich gelten gemäß Art. 29 AEUV diejenigen Waren aus dritten Ländern, für die in dem betreffenden Mitgliedstaat die Einfuhrförmlichkeiten erfüllt sowie die vorgeschriebenen Zölle erhoben worden sind. Für die Einfuhrumsatzsteuer ist daraus zu folgern, dass eine Einfuhr im mehrwertsteuerrechtlichen Sinn jedenfalls dann vorliegt, wenn eine Ware zum zollrechtlich freien Verkehr überlassen worden ist und die Einfuhrabgaben gezahlt worden sind (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 30.11.2022 1 K 1142/20, veröffentlicht in juris, Rn. 46). Der EuGH stellt im Zusammenhang mit Pflichtverletzungen bei der Einfuhr zusätzlich auf die Überführung des Gegenstands in den Wirtschaftskreislauf der Mitgliedstaaten ab (vgl. EuGH-Urteil vom 10.07.2019 – C-26/18 Federal Express Corporation Deutsche Niederlassung, ZfZ 2019, 231). Das ist insbesondere der Fall, wenn die Ware Gegenstand einer Lieferung (Art 14 ff. MwStSystRL) oder einer Dienstleistung (Art. 24 ff. MwStSystRL) ist (Witte/Witte, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 79 Rz. 378). Der Schuldner der Einfuhrumsatzsteuer bestimmt sich sodann gemäß § 13a Abs. 2 i.V.m. § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß nach den Vorschriften für Zölle. Letztlich muss die Zollverwaltung beweisen, dass die Einfuhrumsatzsteuer-Schuld entstanden ist.

Im Streitfall liegt danach die Einfuhr in G… bzw. im VK vor, weil die aus den USA stammenden Waren über das VK nach Deutschland geliefert wurden, nachdem im VK die Zollformalitäten erfüllt worden waren und die Waren nach ihrer Abfertigung in den freien Verkehr in einem Auslieferungslager gelagert worden waren. Die Waren sind damit auch zunächst im VK in den Wirtschaftskreislauf eingegangen. Erst von dort aus ist sodann die (Weiter-)Lieferung an die Klägerin erfolgt, ohne dass es sich um einen bloßen Transitfall handeln würde.

d) Die Erhebung von Verzugszinsen auf den Einfuhrumsatzsteuerbetrag erweist sich aufgrund der Rechtswidrigkeit der Einfuhrumsatzsteuerfestsetzung ebenfalls als rechtswidrig. Ausgehend von Art. 114 Abs. 2 UZK werden ab dem Tag des Entstehens der Zollschuld bis zum Tag der Mitteilung der Zollschuld Verzugszinsen auf den Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag berechnet, wenn die Zollschuld aufgrund von Artikel 79 oder 82 entsteht oder die Zollschuld aufgrund einer nachträglichen Kontrolle mitgeteilt wird. Art. 114 UZK gilt sinngemäß für die Einfuhrumsatzsteuer und die anderen Verbrauchsteuern, die für aus Drittländern eingeführte Waren zu erheben sind (§ 1 Abs. 1 Satz 3 ZollVG). Das ergibt sich für die Einfuhrumsatzsteuer aus § 21 Abs. 2 UStG. Mit Art. 114 Abs. 2 UZK soll verhindert werden, dass diejenigen Zollschuldner, die durch ein rechtswidriges oder nachlässiges Verhalten die Mitteilung der Zollschuld verzögern, gegenüber den gesetzestreuen Zollschuldnern einen Vorteil haben (Witte/Alexander, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 114 Rz 4). Die Erhebung von Verzugszinsen hängt jedoch von der Rechtmäßigkeit der Einfuhrumsatzsteuerforderung als Hauptforderung ab. Verzugszinsen entstehen daher nicht, soweit eine Zollschuld bzw. hier Einfuhrumsatzsteuerschuld überhaupt nicht entstanden ist. So ist bei Verstößen gemäß Art. 79 UZK der durch den Verstoß entstandene Zoll- bzw. Einfuhrumsatzsteuerschuldbetrag zu verzinsen, bei Nacherhebung aufgrund nachträglicher Kontrollen nur der nachzuerhebende Einfuhrumsatzsteuerbetrag, da nur insoweit ein Ausgleich nach dem Normzweck geboten ist (Witte/Alexander, UZK, 8. Auflage 2022, Art. 114 Rz. 6). § 240 Abs. 1 Satz 4 AO gilt nur für Zinsen nach Art. 114 Abs. 1 UZK (vgl. FG München, Beschluss vom 04.12.2023 – 14 V 1732/23, ZfZ 2024, 75). Auch die Verzugszinsen entfallen daher, wenn sich herausstellt, dass eine Einfuhrumsatzsteuerschuld nicht entstanden ist.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 151 FGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

 

 

 

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