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Steuerrecht
23.11.2023
Steuerrecht
EuGH-Schlussanträge: Verlegung des Wohnsitzes einer natürlichen Person von einem Mitgliedstaat in die Schweiz

– Antragsveranlagung, auf die ausschließlich beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer mit steuerlichem Wohnsitz in einem Mitgliedstaat der EU oder des EWR Anspruch haben (Vorabentscheidungsersuchen des FG Köln)

GA Sánchez-Bordona, Schlussanträge vom 16.11.2023 – C-627/22, AB gegen Finanzamt Köln-Süd

ECLI:EU:C:2023:882

Volltext BB-Online BBL2023-2773-3

Schlussanträge

Die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, insbesondere dessen Art. 7 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I, sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die Arbeitnehmern, die in der Schweiz ansässig und in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, die Möglichkeit verwehrt, freiwillig eine Veranlagung zur Einkommensteuer zu beantragen, insbesondere um unter Berücksichtigung von Aufwendungen (Werbungskosten) sowie Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener deutscher Lohnsteuer eine Einkommensteuererstattung zu erhalten, während diese Möglichkeit den in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums Ansässigen eingeräumt wird.

Aus den Gründen

1.         Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Behandlung von in der Schweiz ansässigen Arbeitnehmern, die in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, wenn sie in Deutschland Löhne beziehen(2).

2.         Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts können diese in der Schweiz ansässigen Arbeitnehmer nicht die sogenannte Antragsveranlagung(3) in Anspruch nehmen, um „unter Berücksichtigung von Aufwendungen (Werbungskosten) sowie Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener deutscher Lohnsteuer eine Einkommensteuererstattung zu erhalten“. Hingegen steht den in Deutschland und in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (im Folgenden: EWR) ansässigen Personen diese Möglichkeit offen.

3.         Zur Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage wird der Gerichtshof seine Rechtsprechung zum persönlichen Anwendungsbereich des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit (im Folgenden: FZA)(4) und das darin vorgesehene Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit ergänzen müssen.

A.         Unionsrecht: FZA

4.         In Art. 1 („Ziel“) heißt es:

„Ziel dieses Abkommens zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz ist Folgendes:

a)         Einräumung eines Rechts auf Einreise, Aufenthalt, Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit und Niederlassung als Selbständiger sowie des Rechts auf Verbleib im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien;

c)         Einräumung eines Rechts auf Einreise und Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien für Personen, die im Aufnahmestaat keine Erwerbstätigkeit ausüben;

d)         Einräumung der gleichen Lebens‑, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer.“

5.         Art. 2 („Nichtdiskriminierung“) bestimmt:

„Die Staatsangehörigen einer Vertragspartei, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei aufhalten, werden bei der Anwendung dieses Abkommens gemäß den Anhängen I, II und III nicht aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit diskriminiert.“

6.         Art. 4 („Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit“) bestimmt:

„Das Recht auf Aufenthalt und Zugang zu einer Erwerbstätigkeit wird vorbehaltlich des Artikels 10 nach Maßgabe des Anhangs I eingeräumt.“

7.         In Art. 7 („Sonstige Rechte“) heißt es:

„Die Vertragsparteien regeln insbesondere die folgenden mit der Freizügigkeit zusammenhängenden Rechte gemäß Anhang I:

a)         Recht auf Gleichbehandlung mit den Inländern in Bezug auf den Zugang zu einer Erwerbstätigkeit und deren Ausübung sowie auf die Lebens‑, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen;

…“

8.         Art. 13 („Stand still“) lautet:

„Die Vertragsparteien verpflichten sich, in den unter dieses Abkommen fallenden Bereichen keine neuen Beschränkungen für Staatsangehörige der anderen Vertragspartei einzuführen.“

9.         Art. 16 („Bezugnahme auf das Gemeinschaftsrecht“) bestimmt:

„1.        Zur Erreichung der Ziele dieses Abkommens treffen die Vertragsparteien alle erforderlichen Maßnahmen, damit in ihren Beziehungen gleichwertige Rechte und Pflichten wie in den Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft, auf die Bezug genommen wird, Anwendung finden.

2.         Soweit für die Anwendung dieses Abkommens Begriffe des Gemeinschaftsrechts herangezogen werden, wird hierfür die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung berücksichtigt. Über die Rechtsprechung nach dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens wird die Schweiz unterrichtet. Um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, stellt der Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung fest.“

10.       Art. 21 („Beziehung zu den bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen“) bestimmt:

„1.        Die Bestimmungen der bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Schweiz und den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft bleiben von den Bestimmungen dieses Abkommens unberührt. Insbesondere lassen die Bestimmungen dieses Abkommens die in den Doppelbesteuerungsabkommen festgelegte Begriffsbestimmung des Grenzgängers unberührt.

2.         Keine Bestimmung dieses Abkommens ist so auszulegen, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.

3.         Keine Bestimmung dieses Abkommens hindert die Vertragsparteien daran, Maßnahmen zu beschließen oder anzuwenden, um nach Maßgabe der Bestimmungen der nationalen Steuergesetzgebung einer Vertragspartei oder der zwischen der Schweiz einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft andererseits geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder sonstiger steuerrechtlicher Vereinbarungen die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Steuern zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern.“

11.       Art. 7 („Abhängig beschäftigte Grenzgänger“) Abs. 1 des Anhangs I lautet:

„Ein abhängig beschäftigter Grenzgänger ist ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei mit Wohnsitz im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei, der eine Erwerbstätigkeit als Arbeitnehmer im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei ausübt und in der Regel täglich oder mindestens einmal in der Woche an seinen Wohnort zurückkehrt.“

12.       In Art. 9 („Gleichbehandlung“) des Anhangs I heißt es:

„1.        Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.

2.         Ein Arbeitnehmer und seine in Artikel 3 dieses Anhangs genannten Familienangehörigen genießen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen.

…“

B.         Deutsches Recht: Einkommensteuergesetz(5)

13.       § 1 EStG bestimmt:

–          Natürliche Personen, die einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, sind unbeschränkt einkommensteuerpflichtig.

–          Natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, können auf Antrag auch als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt werden, soweit sie inländische Einkünfte im Sinne von § 49 haben(6).

–          Natürliche Personen, die weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, sind beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie inländische Einkünfte im Sinne von § 49 haben(7).

14.       § 38 EStG bestimmt, dass bei Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn erhoben (Lohnsteuer) wird, soweit der Arbeitslohn von einem Arbeitgeber gezahlt wird, der im Inland seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt, seine Geschäftsleitung, seinen Sitz, eine Betriebsstätte oder einen ständigen Vertreter hat.

15.       Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG wird, wenn das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit besteht, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, eine Veranlagung nur durchgeführt, wenn die Veranlagung beantragt wird, insbesondere zur Anrechnung von Lohnsteuer auf die Einkommensteuer. Dieser Antrag ist durch Abgabe einer Einkommensteuererklärung zu stellen.

16.       Gemäß § 49 EStG sind inländische Einkünfte im Sinne der beschränkten Einkommensteuerpflicht u. a. Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit, die in Deutschland ausgeübt oder verwertet wird oder worden ist.

17.       § 50 enthält Sondervorschriften für beschränkt einkommensteuerpflichtige Personen. Nach § 50 Abs. 2 gilt die Einkommensteuer für Einkünfte, die dem Steuerabzug vom Arbeitslohn unterliegen, bei diesen Steuerpflichtigen durch den Steuerabzug als abgegolten.

18.       Diese Vorschrift gilt jedoch nicht, wenn der Steuerpflichtige den in § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG genannten Antrag (Antragsveranlagung) gestellt hat. Dies ergibt sich aus § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG.

19.       Überdies gilt § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG jedenfalls nur für Staatsangehörige eines Mitgliedstaats der Europäischen Union oder eines anderen Staates, auf den das EWR-Abkommen(8) Anwendung findet, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten haben.

II.    Sachverhalt, Rechtsstreit und Vorlagefrage

20.       AB ist ein deutscher Staatsangehöriger, der aus familiären Gründen seit 2016 in der Schweiz lebte, wo er seinen einzigen Wohnsitz und gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und gleichzeitig Angestellter (Manager) eines in Deutschland ansässigen Unternehmens war.

21.       Unter diesen Umständen arbeitete AB für seinen deutschen Arbeitgeber entweder von der Schweiz aus (in Telearbeit) oder im Rahmen von Geschäftsreisen in Deutschland. Für diese verwendete AB ein geleastes, nicht von seinem Unternehmen gestelltes Kraftfahrzeug und trug weitere im Zusammenhang mit seinem Fahrzeug und seinen Geschäftsreisen entstandene Kosten.

22.       Aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit in Deutschland erzielte AB in den Jahren 2017 bis 2019 (im Folgenden: Streitjahre) Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit. 2021 gab er seinen Wohnsitz in der Schweiz auf und verlegte seinen Wohnsitz wieder nach Deutschland.

23.       AB unterlag in den Streitjahren in Deutschland der beschränkten Einkommensteuerpflicht nach § 1 Abs. 4 EStG. Sein Arbeitgeber behielt von seinem gesamten Bruttogehalt Lohnsteuer ein und führte diese an die deutsche Finanzverwaltung ab(9).

24.       Neben den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit erzielte AB Einkünfte aus der Vermietung von zwei in Deutschland belegenen Immobilien.

25.       Für jedes der Streitjahre reichte AB die entsprechenden Einkommensteuererklärungen ein, in denen die Einkünfte aus der Vermietung von Immobilien und aus Erwerbstätigkeit aufgeführt waren. Er machte abzugsfähige Werbungskosten im Zusammenhang mit seiner nicht selbständigen Tätigkeit in Deutschland geltend. In diesen Steuererklärungen beantragte er die Anwendung von § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG, d. h. die Antragsveranlagung.

26.       Das Finanzamt Köln-Süd (Deutschland) erließ Einkommensteuerbescheide unter Berücksichtigung der Einkünfte von AB aus der Vermietung, nicht aber aus nicht selbständiger Arbeit. Infolgedessen wurde weder die bereits gezahlte deutsche Lohnsteuer auf die Einkommensteuer angerechnet, noch wurden die von AB geltend gemachten Werbungskosten berücksichtigt.

27.       AB legte gegen die Steuerbescheide jeweils Einspruch ein. Nach dem FZA sei es rechtswidrig, die Antragsveranlagung auf die Arbeitnehmer, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder des EWR ansässig seien, zu beschränken. Die Einsprüche wurden mit Entscheidungen vom 25. Februar 2020 und 15. November 2021 zurückgewiesen.

28.       AB erhob gegen diese Entscheidungen Klage beim Finanzgericht Köln (Deutschland), das dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt hat:

Sind die Vorschriften des FZA, insbesondere die Art. 7 und 15 FZA in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I zum FZA (Recht auf Gleichbehandlung), dahin gehend auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, nach welcher zwar (mit ihrem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt) in Deutschland oder in EU/EWR-Staaten ansässige Arbeitnehmer mit Staatsangehörigkeit eines EU‑ oder EWR-Mitgliedstaats (einschließlich Deutschland) freiwillig eine Veranlagung zur Einkommensteuer unter Ansatz der in Deutschland steuerpflichtigen Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit beantragen können („Antragsveranlagung“), insbesondere um unter Berücksichtigung von Aufwendungen (Werbungskosten) sowie Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener deutscher Lohnsteuer eine Einkommensteuererstattung zu erhalten, jenes Recht aber deutschen und schweizerischen Staatsangehörigen mit Ansässigkeit in der Schweiz verwehrt wird?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

29.       Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 4. Oktober 2022 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

30.       Die deutsche Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

31.       Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist nicht für notwendig erachtet worden.

IV.    Würdigung

32.       Da mit der Vorlagefrage geklärt werden soll, ob bestimmte Vorschriften des FZA der streitigen Steuerregelung entgegenstehen, werde ich zunächst die Anwendbarkeit dieses Abkommens ratione personae auf den vorliegenden Fall prüfen.

33.       Davon ausgehend werde ich mich mit den Merkmalen der deutschen Rechtsvorschriften über die Einkommensteuer befassen, um zu prüfen, ob sie unter den Umständen des vorliegenden Falles gegen das in Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA niedergelegte Diskriminierungsverbot verstoßen könnten.

A.         Persönlicher Anwendungsbereich des FZA

34.       Wie ich bereits ausgeführt habe, wird in dem Rechtsstreit darüber entschieden, ob ein deutscher Staatsangehöriger, der bei einem deutschen Unternehmen beschäftigt und in der Schweiz ansässig ist, von der Antragsveranlagung Gebrauch machen kann, die das deutsche Einkommensteuerrecht den in Deutschland ansässigen Personen und den Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Vertragsstaaten des EWR-Abkommens vorbehält, die in einem dieser Staaten ansässig sind.

35.       Um über die Anwendbarkeit des FZA im vorliegenden Fall entscheiden zu können, sind als Erstes die Merkmale dieses Abkommens und seine Auslegung durch den Gerichtshof in Erinnerung zu rufen.

36.       Im Urteil Wächtler(10) hat der Gerichtshof

–          zunächst ausgeführt, dass, „da das FZA ein völkerrechtlicher Vertrag ist, … es nach Art. 31 des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das Recht der Verträge (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331) nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks auszulegen [ist] … Außerdem ist einem Begriff gemäß dieser Bestimmung eine besondere Bedeutung beizulegen, wenn feststeht, dass dies die Absicht der Parteien war“(11);

–          festgestellt, „dass das FZA in einem allgemeineren Rahmen der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft steht. Diese hat sich zwar nicht für die Teilnahme am Europäischen Wirtschaftsraum und am Binnenmarkt der Union entschieden, ist aber gleichwohl durch eine Vielzahl von Abkommen mit dieser verbunden, die weite Bereiche abdecken und spezifische Rechte und Pflichten vorsehen, die in mancher Hinsicht den im Vertrag festgelegten entsprechen. Die allgemeine Zielsetzung dieser Abkommen, einschließlich des FZA, besteht darin, die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu intensivieren …“(12);

–          jedoch darauf hingewiesen, dass „die Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen über den Binnenmarkt … allerdings nicht automatisch auf die Auslegung des FZA übertragen werden [kann], sofern dies nicht in diesem Abkommen selbst ausdrücklich vorgesehen ist, da die Schweizerische Eidgenossenschaft nicht dem Binnenmarkt der Union beigetreten ist …“(13);

–          festgestellt, dass „was … das Ziel des FZA und seine Auslegung betrifft, … sich aus der Präambel sowie Art. 1 und Art. 16 Abs. 2 dieses Abkommens [ergibt], dass dieses zum Ziel hat, zugunsten der Staatsangehörigen der Union und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, die Freizügigkeit im Hoheitsgebiet dieser Parteien zu verwirklichen. Hierzu stützt es sich auf die in der Union geltenden Vorschriften, deren Begriffe unter Berücksichtigung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vor dem Zeitpunkt der Unterzeichnung dieses Abkommens auszulegen sind“(14);

–          hinzugefügt, dass „zur Rechtsprechung nach diesem Zeitpunkt … festzustellen [ist], dass Art. 16 Abs. 2 des FZA zum einen vorsieht, dass die Schweizerische Eidgenossenschaft über diese Rechtsprechung unterrichtet wird, und dass zum anderen, um das ordnungsgemäße Funktionieren dieses Abkommens sicherzustellen, der in Art. 14 dieses Abkommens vorgesehene Gemischte Ausschuss auf Antrag einer Vertragspartei die Auswirkungen dieser Rechtsprechung feststellt. … [S]elbst ohne eine Entscheidung dieses Ausschusses [ist jedoch] auch diese Rechtsprechung zu berücksichtigen, sofern sie lediglich die Grundsätze präzisiert oder bestätigt, die in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des FZA bereits bestehenden Rechtsprechung zu den Begriffen des Unionsrechts, an denen sich dieses Abkommen ausrichtet, aufgestellt waren“(15).

37.       Unter diesem Blickwinkel werde ich daher den persönlichen Anwendungsbereich des FZA untersuchen, um festzustellen, ob sich ein in der Schweiz ansässiger deutscher Arbeitnehmer(16) gegenüber Deutschland darauf berufen kann.

38.       Gemäß der Präambel sowie Art. 1 Buchst. a und c des FZA fallen natürliche Personen, die eine Erwerbstätigkeit ausüben, und auch solche, die keine Erwerbstätigkeit ausüben, in den Anwendungsbereich des Abkommens. In dieser Rechtssache übt AB eine unselbständige Erwerbstätigkeit für ein deutsches Unternehmen aus, von dem er in den Streitjahren ein Gehalt bezog, nachdem er seit 2016 aus familiären Gründen seinen Wohnsitz in der Schweiz genommen hatte(17).

39.       Normalerweise wird das FZA auf einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats der Union angewendet, der sich gegenüber dem Land, in das er sich zur Ausübung einer unselbständigen Tätigkeit begibt, auf dieses beruft. Der Gerichtshof hat jedoch klargestellt, dass unter bestimmten Umständen und nach Maßgabe der anwendbaren Bestimmungen die Staatsangehörigen einer Vertragspartei aus dem FZA abgeleitete Rechte nicht nur gegenüber dem Land, wohin sie ihr Recht auf Freizügigkeit ausüben, sondern auch gegenüber ihrem eigenen Land geltend machen können(18).

40.       In den persönlichen Verhältnissen von AB treffen zwei Umstände zusammen:

–          AB ist kein „abhängig beschäftigter Grenzgänger“ im Sinne von Art. 7 Abs. 1 des Anhangs I des FZA, da er seine Erwerbstätigkeit nicht in Deutschland ausübt und täglich oder mindestens einmal wöchentlich an seinen Wohnort in der Schweiz zurückkehrt. Im streitigen Zeitraum übte der in der Schweiz ansässige AB seine unselbständige Tätigkeit von der Schweiz aus oder im Rahmen von Reisen aus, die er in seinem Fahrzeug nach Deutschland unternahm, um Kunden des deutschen Unternehmens, für das er arbeitet, zu kontaktieren.

–          AB ist Staatsangehöriger einer Vertragspartei des FZA (Deutschland), der im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei (Schweiz) ansässig ist und im deutschen Hoheitsgebiet eine unselbständige Tätigkeit ausübt. In diesem Fall ist der Gesichtspunkt, der die Anwendung des FZA rechtfertigt, nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat des Abkommens. Die Staatsangehörigkeit verliert somit an Bedeutung und die Anwendung des FZA geht auf den Wechsel des Wohnsitzlands der Person zurück.

41.       Der Gerichtshof hat die Anwendung des FZA auf Grenzgänger deutscher Staatsangehörigkeit(19), die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegt hatten, während sie weiterhin als Arbeitnehmer oder Selbständige in Deutschland tätig waren, bejaht(20). Diese Rechtsprechung scheint mir erst recht auf einen Fall wie den von AB übertragbar zu sein, der streng genommen kein Grenzgänger im oben dargestellten Sinne ist, dessen Wohnsitzwechsel in Ausübung der Freizügigkeit aber die Berufung auf das FZA rechtfertigt.

42.       Andernfalls würde, wie der Gerichtshof ebenfalls festgestellt hat, die durch das FZA garantierte Freizügigkeit erschwert. Ein Staatsangehöriger eines Vertragsstaats erlitte in seinem Herkunftsland einen Nachteil allein deshalb, weil er sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat(21).

43.       Zwar kann die Rechtsprechung des Gerichtshofs nach Unterzeichnung des FZA nicht automatisch auf Fälle der grenzüberschreitenden Mobilität zwischen den Ländern der Europäischen Union und der Schweiz übertragen werden, wie sich aus Art. 16 Abs. 2 FZA ergibt.

44.       Der Gerichtshof hat jedoch festgestellt, dass selbst ohne eine Entscheidung des Gemischten Ausschusses auch diese Rechtsprechung berücksichtigt werden kann, sofern sie lediglich die Grundsätze präzisiert oder bestätigt, die in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des FZA bereits bestehenden Rechtsprechung zu den Begriffen des Unionsrechts, an denen sich dieses Abkommen ausrichtet, aufgestellt waren(22).

45.       Die Rechtsprechung in den Urteilen Ettwein und Wächtler betreffend deutsche Arbeitnehmer, die ihren Wohnsitz in die Schweiz verlegen und von der im FZA vorgesehenen Freizügigkeit Gebrauch machen, steht im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Auslegung der „gleichwertigen“ Bestimmungen des AEUV über die grenzüberschreitende Freizügigkeit der Arbeitnehmer. Sie kann daher für die Entscheidung des Rechtsstreits herangezogen werden.

46.       Dies vorausgeschickt, sehe ich keine Hindernisse für die Anwendung des FZA auf einen Fall wie den von AB, der sein Recht auf Freizügigkeit im Rahmen dieses Abkommens ausgeübt hat.

47.       Das Urteil Picart spricht meines Erachtens nicht gegen diese Feststellung. Dort hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA nicht den Fall eines französischen Staatsangehörigen regelt, der nicht die Absicht hatte, seine Erwerbstätigkeit in der Schweiz auszuüben, sondern weiterhin eine Tätigkeit in seinem Herkunftsstaat (Frankreich) ausüben wollte, obwohl er seinen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hatte(23).

48.       Die Rechtssache Picart betraf einen Rechtsstreit zwischen einem Steuerpflichtigen, einem französischen Staatsangehörigen, und den französischen Steuerbehörden über deren Entscheidung, die Höhe der nicht realisierten Wertsteigerung der Wertpapiere, die von ihm gehalten wurden und die er bei der Verlegung seines steuerlichen Wohnsitzes von Frankreich in die Schweiz erklärt hatte, neu zu bewerten(24).

49.       Es ging also darum, die Anwendung der Bestimmungen des FZA (über das Niederlassungsrecht und das Diskriminierungsverbot) auf eine steuerliche Maßnahme zu bestimmen, die in der Besteuerung der nicht realisierten Wertsteigerung „bei der Ausreise“ aus dem nationalen Hoheitsgebiet bestand und vom Herkunftsstaat eines französischen Staatsangehörigen erlassen wurde, der seinen steuerlichen Wohnsitz in die Schweiz verlegt hatte.

50.       In der vorliegenden Rechtssache hingegen bleibt AB beruflich mit seinem Herkunftsstaat und seinem deutschen Arbeitgeber verbunden, verlegte aber aus familiären Gründen seinen Wohnsitz in die Schweiz und übte seine unselbständige Arbeit zum Teil von der Schweiz aus (online) und zum Teil in Präsenz in Deutschland, indem er dorthin reiste, aus.

51.       Anders als der französische Steuerpflichtige in der Rechtssache Picart übt AB nicht die Tätigkeit der Verwaltung von Beteiligungen an Gesellschaften aus, er ist kein Investor oder schlichter passiver Anteilseigner, sondern ein Arbeitnehmer. Seine Situation ähnelt eher den Sachverhalten in den Urteilen Ettwein und Wächtler als dem im Urteil Picart.

52.       Kurz gesagt fällt die Situation von AB in den Anwendungsbereich des FZA. Auch die deutsche Regierung leitet aus Art. 1 Buchst. a FZA ab, dass AB als in der Schweiz ansässige natürliche Person mit deutscher Staatsangehörigkeit, die eine unselbständige Erwerbstätigkeit in Deutschland ausübt, in den Anwendungsbereich dieses Abkommens fällt(25).

B.         Anwendung der deutschen Einkommensteuer auf in der Schweiz ansässige Arbeitnehmer

53.       Das deutsche Steuerrecht in Bezug auf das Einkommen natürlicher Personen ist im EStG geregelt und unterscheidet, wie andere ähnliche nationale Systeme, zwischen der unbeschränkten Steuerpflicht und der beschränkten Steuerpflicht. Nach dessen Vorschriften sind

–          natürliche Personen, die im deutschen Hoheitsgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, unbeschränkt einkommensteuerpflichtig (§ 1 Satz 1 EStG) und werden mit ihrem gesamten Welteinkommen besteuert.

–          natürliche Personen, die weder ihren Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben, beschränkt einkommensteuerpflichtig, wenn sie in Deutschland Einkünfte im Sinne von § 49 Abs. 1 EStG haben. Dies ist bei Arbeitnehmern der Fall, die in Deutschland Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit erzielen (§ 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG).

54.       Wird der Arbeitslohn von einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber gezahlt, wird die Einkommensteuer sowohl bei unbeschränkt als auch bei beschränkt einkommensteuerpflichtigen Arbeitnehmern abgezogen (§§ 38 ff. EStG).

55.       Die sogenannte Lohnsteuer ist eine Form der Erhebung der Einkommensteuer. Ist der Arbeitnehmer lohnsteuerpflichtig (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG), hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer bei jeder Lohnzahlung einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG)(26).

56.       Bei der Bemessung des Betrags dieser Steuer hat der Unternehmer u. a. einen „Arbeitnehmer-Pauschbetrag“ zu berücksichtigen (§ 39b Abs. 2 Satz 5 Nr. 1 EStG). Bei diesem Betrag handelt es sich um abzugsfähige Werbungskosten (§ 9a Satz 1 Nr. 1 Buchst. a EStG)(27).

57.       Außerdem ist es möglich, auf Antrag des Arbeitnehmers den Steuerabzug in Abhängigkeit von den Werbungskosten, die den Arbeitnehmer-Pauschbetrag übersteigen, zu vermindern(28). Der Arbeitgeber hat bei der Berechnung des steuerpflichtigen Arbeitslohns die Abzüge für geltend gemachte Werbungskosten zu berücksichtigen (§ 39b Abs. 2 Satz 4 EStG).

58.       Die Einkommensteuer, die auf Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erhoben wird, die dem Steuerabzug unterliegen, gilt grundsätzlich ab dem Moment als abgegolten, in dem ein solcher Abzug vorgenommen wird. Die abgeltende Wirkung des Steuerabzugs gilt für alle Arbeitnehmer, unabhängig davon, ob sie unbeschränkt oder beschränkt steuerpflichtig sind.

59.       In Bezug auf Arbeitnehmer, die beschränkt steuerpflichtig sind, weil sie in Deutschland Einkünfte aus Erwerbstätigkeit erzielt haben, gilt:

–          Die Steuer für diese Einkünfte aus Erwerbstätigkeit gilt durch den Lohnsteuerabzug als abgegolten (§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn ein Freibetrag für Werbungskosten (§ 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. a EStG) als Lohnsteuerabzugsmerkmal (§ 39a Abs. 4 EStG) gebildet worden ist. In diesem Fall muss eine Veranlagung durchgeführt werden, und der Arbeitnehmer ist verpflichtet, zu Zwecken der Einkommensteuer eine Steuererklärung abzugeben.

–          Die abgeltende Wirkung des Lohnsteuerabzugs tritt auch dann nicht ein, wenn der Arbeitnehmer die Anwendung der Antragsveranlagung von § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG beantragt. Das Recht, sich für eine Antragsveranlagung(29) zu entscheiden, steht jedoch nur Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des EWR zu, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines dieser Staaten haben, was die in der Schweiz ansässigen Personen ausschließt (§ 50 Abs. 2 Satz 7 EStG).

60.       Im Rahmen der Einkommensbesteuerung werden die steuerpflichtigen Einkünfte, die ein Arbeitnehmer aus seiner nicht selbständigen Tätigkeit erzielt, durch Berechnung des über die Werbungskosten hinausgehenden Teils der Einnahmen aus Erwerbstätigkeit ermittelt (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG). Diese Berechnung hängt nicht von den Zahlen ab, auf denen das Lohnsteuerverfahren beruht. Die vom Arbeitgeber abgezogene Lohnsteuer wird auf den Betrag der so berechneten Einkommensteuer (§ 36 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a EStG) angerechnet und gegebenenfalls ausgezahlt (§ 36 Abs. 4 Satz 2 EStG). Diese Regelung der Besteuerung kann die Steuerverwaltung auch dazu veranlassen, eine Steuernachzahlung zu verlangen.

61.       Hat ein Arbeitgeber einen Lohnsteuerabzug in Bezug auf Einkünfte vorgenommen, die in Deutschland nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht besteuert werden können, und wird zu Zwecken der Einkommensteuer keine Veranlagung vorgenommen, kann der Arbeitnehmer dennoch im Rahmen eines besonderen Verfahrens (entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG) die Erstattung des Betrags der zu Unrecht abgezogenen Lohnsteuer verlangen. Die Frist für die Geltendmachung dieser Erstattung beträgt vier Jahre ab dem Ende des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist (entsprechend § 50d Abs. 1 Satz 9 EStG)(30).

62.       Soweit hier von Belang, ist im Ergebnis entscheidend, dass in der Schweiz ansässige Arbeitnehmer, die Einkünfte aus Erwerbstätigkeit in Deutschland erzielen, für die sie beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, nicht die Antragsveranlagung von § 50 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 Buchst. b EStG in Anspruch nehmen können.

C.         Gleichbehandlung und Diskriminierungsverbot im FZA

63.       Wie aus seiner Präambel, seinem Art. 1 und seinem Art. 16 Abs. 1 und 2 hervorgeht, hat das FZA zum Ziel, zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union und der Schweiz die „Freizügigkeit der Personen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei“ zu verwirklichen. Dieses Ziel ist „auf der Grundlage der in der Union geltenden Bestimmungen zu verwirklichen, deren Begriffe im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs ausgelegt werden müssen“(31).

64.       Nach Art. 1 Buchst. a und d FZA werden zugunsten der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der Union und der Schweiz u. a. die Rechte auf Einreise, Aufenthalt und Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit sowie die gleichen Lebens‑, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie für Inländer anerkannt.

65.       Art. 4 FZA garantiert das Recht auf Zugang zu einer Erwerbstätigkeit gemäß den Bestimmungen von Art. 10 und des Anhangs I. Kapitel II des Anhangs I des FZA enthält Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und insbesondere über den Grundsatz der Gleichbehandlung(32).

66.       Insbesondere Art. 9 des Anhangs I des FZA ist der Gleichbehandlung gewidmet und bestimmt:

–          „Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei ist, darf aufgrund seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei hinsichtlich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung, Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung nicht anders behandelt werden als die inländischen Arbeitnehmer.“ (Abs. 1)

–          „Ein Arbeitnehmer und seine … Familienangehörigen genießen dort die gleichen steuerlichen und sozialen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen.“ (Abs. 2)

67.       Der Gerichtshof hat festgestellt, dass der in Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA vorgesehene Grundsatz der Gleichbehandlung in Bezug auf die steuerlichen Vergünstigungen „von einem erwerbstätigen Staatsangehörigen einer Vertragspartei, der sein Freizügigkeitsrecht ausgeübt hat, auch gegenüber seinem Herkunftsstaat geltend gemacht werden kann“(33). Wie bereits ausgeführt, spricht nichts dagegen, dass in der Schweiz ansässige deutsche Staatsangehörige diese Bestimmung gegenüber den deutschen Behörden geltend machen.

68.       Der in Art. 9 des Anhangs I des FZA verankerte Grundsatz der Gleichbehandlung geht über die Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit im engeren Sinne hinaus(34) und erstreckt sich auch auf Ungleichbehandlungen, die sich aus dem Wohnsitz der unter das FZA fallenden Arbeitnehmer ergeben, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit.

69.       Die Urteile Wächtler(35) und Ettwein scheinen mir in dieser Hinsicht aufschlussreich zu sein, da sie den Grundsatz von Art. 9 des Anhangs I des FZA auf Fälle von Ungleichheiten, die durch den Wohnsitz hervorgerufen werden, ausdehnen.

70.       Eine solche Entwicklung der Rechtsprechung ist logisch, da es sich beim Grundsatz der Gleichbehandlung um einen Begriff des Unionsrechts(36) handelt, den es bereits zur Zeit der Unterzeichnung des FZA gab. Die nach diesem Zeitpunkt ergangenen Urteile des Gerichtshofs präzisieren in diesem Bereich die Grundsätze, die sich aus der vorher ergangenen Rechtsprechung zur Gleichbehandlung ergeben, um festzustellen, ob eine nach dem FZA möglicherweise verbotene Ungleichbehandlung vorliegt(37).

D.         Diskriminierung der in der Schweiz ansässigen Arbeitnehmer, die in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind

71.       Die deutsche Verwaltung verweigert AB eine „steuerliche Vergünstigung“ im Sinne von Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA(38). Konkret verwehrt sie dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit, die Abgabe einer Einkommensteuererklärung in Deutschland zu beantragen, in der er einen Abzug der zur Erzielung seiner Arbeitseinkünfte erforderlichen Werbungskosten während der Streitjahre geltend machen könnte.

72.       Führt diese Ablehnung zu einer diskriminierenden steuerlichen Behandlung gegenüber Arbeitnehmern, die eine ähnliche Tätigkeit wie AB ausüben und in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR ansässig sind?

73.       Meines Erachtens ist diese Frage zu bejahen: AB erfährt eine diskriminierende und benachteiligende steuerliche Behandlung gerade aufgrund seiner Eigenschaft als in der Schweiz ansässiger Arbeitnehmer.

74.       Arbeitnehmer, die in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR ansässig sind, können die Antragsveranlagung in Anspruch nehmen, um die abgeltende Wirkung des Lohnsteuerabzugs auszuschließen und (gegebenenfalls) die zu viel gezahlten Beträge erstattet zu bekommen.

75.       Der in der Schweiz ansässige AB kann hingegen keine Antragsveranlagung beantragen, so dass er anders als die Arbeitnehmer, die in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR ansässig sind, keine Werbungskosten abziehen kann, die über den Pauschbetrag (1 000 Euro) hinausgehen, der für alle in Deutschland beschäftigten Steuerpflichtigen gilt, wenn es um die Berechnung ihres Steuerabzugs geht.

76.       Die deutschen Rechtsvorschriften sehen somit eine unterschiedliche steuerliche Behandlung von in Deutschland oder in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR ansässigen Steuerpflichtigen (Arbeitnehmern), die in Deutschland Löhne beziehen, und den in der Schweiz ansässigen, die ihre Löhne ebenfalls in Deutschland beziehen, vor.

77.       Ein solcher Unterschied, der auf dem Wohnsitz und nicht auf der Staatsangehörigkeit beruht, reicht aus, um in Deutschland ansässige Arbeitnehmer davon abzuhalten, im Rahmen ihres Rechts auf Freizügigkeit ihren Wohnsitz in die Schweiz zu verlegen und ihren Lohn weiterhin in Deutschland zu beziehen. Es handelt sich daher um eine Ungleichbehandlung, die nach Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I des FZA grundsätzlich verboten ist.

78.       Zwar sieht Art. 21 Abs. 2 FZA(39) die Möglichkeit vor, im Bereich der Steuern Steuerpflichtige, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden, ungleich zu behandeln(40). Meines Erachtens liegt hier jedoch eine vergleichbare Situation vor.

79.       Deutschland hat nämlich in seinen Rechtsvorschriften akzeptiert, dass Personen mit Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR, die in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, auch die Antragsveranlagung ihrer Einkünfte aus Erwerbstätigkeit in Anspruch nehmen können, um nach Durchführung des Steuerabzugs bei der Auszahlung ihres Lohns ihre Werbungskosten abzuziehen.

80.       Die Ausübung der Freizügigkeit dieser Arbeitnehmer, die in Staaten der Europäischen Union oder des EWR ansässig sind, ist jedoch mit derjenigen vergleichbar, die das FZA den in der Schweiz ansässigen Personen zuerkennt. Daraus folgt, dass die jeweiligen Situationen zu Zwecken der Antragsveranlagung ihrer in Deutschland bezogenen Gehälter vergleichbar sind(41).

81.       Im Urteil Schumacker hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das Unionsrecht „Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats [(Deutschland)] im Bereich der direkten Steuern entgegensteht, die Verfahren wie den Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Einkommensteuerveranlagung durch die Verwaltung nur für Gebietsansässige vorsehen und natürliche Personen, die im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats weder einen Wohnsitz noch ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, dort jedoch Einkünfte aus … Arbeit erzielen, davon ausschließen“(42).

82.       Im Anschluss an das Urteil Schumacker ließ Deutschland zu, dass Arbeitnehmer mit Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und des EWR, die in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, die Antragsveranlagung geltend machen (und Werbungskosten abziehen können). Es hat sie in steuerrechtlicher Hinsicht Arbeitnehmern mit Wohnsitz in Deutschland gleichgestellt, die in Deutschland unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind.

83.       Dieselbe Logik wie die des Urteils Schumacker muss nun dazu führen, die Antragsveranlagung auf beschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer mit Wohnsitz in der Schweiz auszudehnen, damit ihnen die im FZA vorgesehene Gleichbehandlung zuteilwird. Andernfalls läge eine steuerliche Diskriminierung ihnen gegenüber vor.

E.         Rechtfertigung der Diskriminierung?

84.       Folgt man dieser Prämisse, wäre noch zu prüfen, ob die in den deutschen Rechtsvorschriften enthaltene Diskriminierung aufgrund des Wohnsitzes gerechtfertigt sein kann.

85.       Gemäß Art. 21 Abs. 3 FZA hindert keine Bestimmung dieses Abkommens die Vertragsparteien daran, Maßnahmen zu beschließen, um nach Maßgabe der Bestimmungen der nationalen Steuergesetzgebung einer Vertragspartei oder der zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und einem oder mehreren Mitgliedstaaten andererseits geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen oder sonstiger steuerrechtlicher Vereinbarungen die Besteuerung sowie die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Steuern zu gewährleisten oder die Steuerflucht zu verhindern(43).

86.       Diese Maßnahmen müssen nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Freizügigkeit in der Europäischen Union zwingenden Gründen des Allgemeininteresses und jedenfalls dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Mit anderen Worten müssen sie zur Erreichung ihrer Ziele geeignet sein und dürfen nicht über das hinausgehen, was hierfür erforderlich ist(44).

87.       Ich teile die Auffassung des vorlegenden Gerichts, dass die deutsche Steuerregelung, mit der in der Schweiz ansässige Arbeitnehmer diskriminiert werden, weder durch die Notwendigkeit gerechtfertigt ist, die Besteuerung, die Zahlung und die tatsächliche Erhebung der Einkommensteuern in Deutschland zu gewährleisten, noch durch die Notwendigkeit, Steuerflucht zu verhindern.

88.       Im Anschluss an das Urteil Schumacker konnten die in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des EWR ansässigen Arbeitnehmer nach deutschem Recht die Antragsveranlagung in Anspruch nehmen, um ihre in Deutschland erzielten Arbeitseinkünfte zu erklären. Wenn diese Maßnahme kein Problem für die Sicherstellung einer korrekten Besteuerung der Einkünfte aus Erwerbstätigkeit darstellt und keine Probleme der Steuerflucht verursacht, ist für mich nicht ersichtlich, wie Art. 21 Abs. 3 FZA eine Grundlage dafür sein könnte, für in der Schweiz ansässige Arbeitnehmer, die auch ihren Lohn in Deutschland erhalten, nicht dasselbe zu tun. Der Wohnsitz in Deutschland ist für die Erhebung der deutschen Einkommensteuer auf diese Art von Einkünften nicht entscheidend.

89.       Wie das vorlegende Gericht zutreffend ausführt(45), sichert der Lohnsteuerabzug, der in Deutschland auf in der Schweiz ansässige Personen angewendet wird, eine korrekte Erhebung der Einkommensteuer durch die deutschen Behörden in Bezug auf diese Einkünfte.

90.       Die deutsche Regierung macht als mögliche Rechtfertigung für die Benachteiligung der in der Schweiz ansässigen Arbeitnehmer, die in Deutschland Lohn beziehen, geltend, dass es ein alternatives Verfahren gebe, das es ihnen ermögliche, hinsichtlich des Abzugs ihrer Werbungskosten das gleiche Ergebnis zu erzielen wie mit der Antragsveranlagung.

91.       Nach diesem Verfahren wäre es – wie oben ausgeführt – möglich, auf Antrag des Arbeitnehmers den Lohnsteuerabzug zu vermindern, indem den Werbungskosten Rechnung getragen wird, die den genannten Pauschbetrag übersteigen(46). Der Arbeitgeber hat bei der Berechnung des steuerpflichtigen Arbeitslohns die Abzüge für geltend gemachte Werbungskosten zu berücksichtigen (§ 39b Abs. 2 Satz 4 EStG).

92.       Wie das vorlegende Gericht(47) bin ich jedoch der Ansicht, dass die Argumentation der deutschen Regierung nicht ausreicht, um das Vorliegen einer nicht hinreichend gerechtfertigten Diskriminierung auszuschließen, da

–          der Gerichtshof zum einen festgestellt hat, dass die Möglichkeit, sich für eine andere Steuerregelung zu entscheiden, die diskriminierenden Wirkungen einer unionsrechtswidrigen Steuerregelung nicht ausschließen kann(48). Diese Rechtsprechung stammt aus der Zeit nach der Unterzeichnung des FZA, lässt sich aber auf dessen Auslegung übertragen, da sie lediglich die Grundsätze präzisiert oder bestätigt, die in der zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des FZA bereits bestehenden Rechtsprechung zu den Begriffen des Unionsrechts, an denen sich dieses Abkommen ausrichtet, aufgestellt waren(49).

–          zum anderen das von der deutschen Regierung angeführte alternative Verfahren, wie auch das vorlegende Gericht ausgeführt hat, an Fristen und Bedingungen geknüpft ist, die seinen Vergleich mit der Antragsveranlagung im Hinblick auf die damit verbundene Vergünstigung unmöglich machen, und es sich daher nicht um eine weniger einschränkende Alternative handelt(50).

93.       Letztlich kann die Benachteiligung, die das deutsche Recht für die Antragsveranlagung von Arbeitnehmern vorsieht, die beschränkt steuerpflichtig und in der Schweiz ansässig sind, nicht durch die Möglichkeit „kompensiert“ werden, ihre Werbungskosten bei der Berechnung ihres Steuerabzugs geltend zu machen.

94.       Was die „Wahrung der steuerlichen Kohärenz“ angeht, auf die sich die deutsche Regierung zur Rechtfertigung der Maßnahme ebenfalls beruft, so ist ihre Argumentation identisch mit der oben dargelegten, nämlich mit der Möglichkeit, dass der Steuerpflichtige einen verminderten Abzug beantragt. Ich beschränke mich daher darauf, auf meine Ausführungen zu diesen Einzelheiten zu verweisen.

F.         Art. 13 FZA (Stand still)

95.       Gemäß Art. 13 FZA „verpflichten sich [die Vertragsparteien], in den unter dieses Abkommen fallenden Bereichen keine neuen Beschränkungen für Staatsangehörige der anderen Vertragspartei einzuführen“.

96.       Die deutsche Regierung vertritt eine Auslegung dieser Bestimmung, die die Beibehaltung der zum Zeitpunkt des Abschlusses des FZA bestehenden beschränkenden Maßnahmen, nicht aber die Einführung anderer, neuer Maßnahmen zuließe. Das Verbot für Arbeitnehmer, die in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, aber ihren Wohnsitz in der Schweiz haben, die Antragsveranlagung in Anspruch zu nehmen, wäre demnach zulässig, da es bereits vor der Unterzeichnung des FZA in Kraft war.

97.       Meines Erachtens betrifft Art. 13 FZA neue Beschränkungen (die verboten sind), schützt aber nicht solche, die zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Abkommens bestanden. Er kann nur dahin gehend wirken, dass keine künftigen Beschränkungen eingeführt werden, bringt aber die Aufhebung früherer Beschränkungen mit sich: Andernfalls würde die liberalisierende Wirkung des FZA neutralisiert.

98.       Ich teile daher die Auffassung der Kommission(51), dass der von der deutschen Regierung vertretene Umkehrschluss zu Art. 13 FZA nicht vertretbar ist. Dem stehen der Wortlaut der Bestimmung, Art. 16 FZA und die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs entgegen, die die in den Vertragsstaaten des FZA in Bezug auf die von diesem Abkommen erfassten Personen geltenden diskriminierenden Maßnahmen schrittweise aufgehoben hat.

99.       Die Beibehaltung der zum Zeitpunkt des Abschlusses des FZA bestehenden Beschränkungen wäre mit den Zielen des Abkommens selbst unvereinbar und schüfe eine schwer zu überwindende Grenze für seine wirksame Durchführung.

V.         Ergebnis

100. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Finanzgericht Köln (Deutschland) wie folgt zu antworten:

Die Bestimmungen des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit, insbesondere dessen Art. 7 in Verbindung mit Art. 9 Abs. 2 des Anhangs I,

sind dahin auszulegen, dass

sie der Regelung eines Mitgliedstaats entgegenstehen, die Arbeitnehmern, die in der Schweiz ansässig und in Deutschland beschränkt einkommensteuerpflichtig sind, die Möglichkeit verwehrt, freiwillig eine Veranlagung zur Einkommensteuer zu beantragen, insbesondere um unter Berücksichtigung von Aufwendungen (Werbungskosten) sowie Anrechnung von im Steuerabzugsverfahren einbehaltener deutscher Lohnsteuer eine Einkommensteuererstattung zu erhalten, während diese Möglichkeit den in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union oder des Europäischen Wirtschaftsraums Ansässigen eingeräumt wird.


1          Originalsprache: Spanisch.


2          Im Folgenden werde ich mich auf sie als beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer beziehen, um sie von denjenigen zu unterscheiden, die als in Deutschland ansässige Arbeitnehmer unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind.


3          Wie ich im Folgenden erläutern werde, ermöglicht dieses Verfahren dem Arbeitnehmer, freiwillig eine Veranlagung zur Einkommensteuer unter Ansatz der in Deutschland erzielten Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit mit den sich daraus ergebenden Folgen für den Abzug von Werbungskosten und der Anrechnung von einbehaltenen Beträgen zu beantragen.


4          Abkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit – Schlussakte – Gemeinsame Erklärungen – Mitteilung über das Inkrafttreten der sieben Abkommen mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft in den Bereichen Freizügigkeit, Luftverkehr, Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Straße, öffentliches Beschaffungswesen, wissenschaftliche und technische Zusammenarbeit, gegenseitige Anerkennung von Konformitätsbewertungen und Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen (ABl. 2002, L 114, S. 6), unterzeichnet in Luxemburg am 21. Juni 1999 und in Kraft getreten am 1. Juni 2002.


5          Einkommensteuergesetz in seiner in zeitlicher Hinsicht auf den Rechtsstreit anwendbaren Fassung (BGBl. 2009 I S. 3366). Im Folgenden: EStG.


6          Dies gilt nur, wenn ihre Einkünfte im Kalenderjahr mindestens zu 90 % der deutschen Einkommensteuer unterliegen oder die nicht der deutschen Einkommensteuer unterliegenden Einkünfte den Grundfreibetrag nach § 32a Abs. 1 S. 2 Nr. 1 nicht übersteigen; dieser Betrag ist zu kürzen, soweit es nach den Verhältnissen im Wohnsitzstaat des Steuerpflichtigen notwendig und angemessen ist.


7          Vorbehaltlich § 1 Abs. 2 und 3 und § 1a EStG.


8          Abkommen vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3; im Folgenden: EWR-Abkommen).


9          AB ließ von der deutschen Finanzverwaltung keinen Freibetrag als sogenanntes „Lohnsteuerabzugsmerkmal“ (§ 39 EStG) eintragen.


10        Urteil vom 26. Februar 2019 (C‑581/17, EU:C:2019:138, im Folgenden: Urteil Wächtler).


11        Urteil Wächtler (Rn. 35), unter Verweis auf das Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118, Rn. 70).


12        Urteil Wächtler (Rn. 36).


13        Urteil Wächtler (Rn. 37).


14        Urteil Wächtler (Rn. 38).


15        Urteil Wächtler (Rn. 39).


16        AB ist keine Person, die keine Erwerbstätigkeit ausübt, und kein Dienstleistungserbringer im Sinne von Art. 5 FZA. Vgl. Urteil vom 12. November 2009, Grimme (C‑351/08, EU:C:2009:697, Rn. 44).


17        Aus dem Vorlagebeschluss geht nicht klar hervor, ob AB auch im Jahr 2016 diese unselbständige Tätigkeit ausübte.


18        Urteile vom 15. März 2018, Picart (C‑355/16, EU:C:2018:184, im Folgenden: Urteil Picart, Rn. 16), vom 28. Februar 2013, Ettwein (C‑425/11, EU:C:2013:121, im Folgenden: Urteil Ettwein, Rn. 33), und vom 15. Dezember 2011, Bergström (C‑257/10, EU:C:2011:839, Rn. 27 bis 34).


19        Diese Arbeitnehmer fallen unter Art. 7 Abs. 1 oder Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA, je nachdem, ob sie Arbeitnehmer oder Selbständige sind.


20        Vgl. Urteile Ettwein (Rn. 34 und 35) und vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 32 und 33).


21        Urteile vom 23. Januar 2020, Bundesagentur für Arbeit (C‑29/19, EU:C:2020:36, Rn. 34), und Wächtler (Rn. 53).


22        Urteil Wächtler (Rn. 39), siehe oben.


23        Daher fiel die Situation von Herrn Picart nicht in den Geltungsbereich von Art. 12 Abs. 1 des Anhangs I des FZA. Auch Art. 13 Abs. 1 des Anhangs I des FZA war auf ihn nicht anwendbar, da er nicht als selbständiger Grenzgänger angesehen werden konnte, weil er sich im schweizerischen Hoheitsgebiet aufhielt, von wo er seine Erwerbstätigkeit in Frankreich ausübte, ohne täglich oder mindestens einmal in der Woche eine Fahrt vom Ort seiner wirtschaftlichen Tätigkeit zu seinem Wohnort zu absolvieren. Urteil Picart (Rn. 22 bis 27).


24        Die französischen Behörden setzten gegen Herrn Picart zusätzliche Einkommensteuer und Sozialabgaben sowie Strafzuschläge fest.


25        Rn. 63 ihrer Erklärungen. Diese Feststellung hindert sie jedoch nicht an der Annahme, dass im vorliegenden Fall keine gegen die Art. 2 und 7 FZA verstoßende Ungleichbehandlung vorliegt.


26        Die Höhe der Lohnsteuer bemisst sich nach dem Arbeitslohn und anderen Lohnsteuermerkmalen.


27        In den Streitjahren belief sich der Pauschbetrag auf jährlich 1 000 Euro.


28        In der Praxis gilt diese Möglichkeit sowohl für unbeschränkt einkommensteuerpflichtige als auch für beschränkt einkommensteuerpflichtige Arbeitnehmer. § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, der auf die Erstgenannten anwendbar ist, und § 39a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG, der auf Letztere anwendbar ist, haben einen ähnlichen Wortlaut. Es bestehen jedoch Unterschiede hinsichtlich der Frist, innerhalb deren die Verminderung des steuerpflichtigen Arbeitslohns beantragt werden muss, auf die ich weiter unten eingehen werde.


29        Die Ausgestaltung dieses Rechts geht auf das Urteil vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, im Folgenden: Urteil Schumacker), zurück, worauf ich später eingehen werde.


30        Das Abkommen vom 11. August 1971 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (BGBl. 1972 II, S. 1022) in der durch das Protokoll vom 27. Oktober 2010 (BGBl. 2011 II S. 1092) geänderten Fassung enthält keine andere Frist, die einzuhalten wäre.


31        Urteile vom 21. September 2016, Radgen (C‑478/15, EU:C:2016:705, im Folgenden: Urteil Radgen, Rn. 36), und vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 40).


32        Urteil Radgen (Rn. 38).


33        Urteil Radgen (Rn. 40) unter Verweis auf das Urteil vom 19. November 2015, Bukovansky (C‑241/14, EU:C:2015:766, Rn. 47).


34        Ein enges Verständnis des Grundsatzes ist im Urteil vom 12. November 2009, Grimme (C‑351/08, EU:C:2009:697, Rn. 48), erkennbar: „[Art. 9 des Anhangs I des FZA erfasst] nur den Fall einer Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit gegenüber einem Angehörigen einer Vertragspartei im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei.“


35        In diesem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, „dass ein deutscher Staatsangehöriger, der, wie Herr Wächtler, sein Niederlassungsrecht als Selbständiger gemäß dem FZA ausgeübt hat, einen steuerlichen Nachteil im Vergleich zu anderen deutschen Staatsangehörigen erleidet, die wie er eine selbständige Tätigkeit im Rahmen einer Gesellschaft ausüben, an der sie Anteile halten, aber im Unterschied zu ihm ihren Wohnsitz in Deutschland beibehalten. Diese müssen nämlich die Steuer für latente Wertzuwächse der betreffenden Gesellschaftsanteile erst zahlen, wenn diese Wertzuwächse realisiert werden, d. h. bei der Veräußerung der Gesellschaftsanteile, während ein Staatsangehöriger wie Herr Wächtler die fragliche Steuer für die latenten Wertzuwächse solcher Gesellschaftsanteile im Zeitpunkt der Verlegung seines Wohnsitzes in die Schweiz zahlen muss, ohne einen Zahlungsaufschub bis zur Veräußerung der Anteile erhalten zu können“ (Rn. 56). Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass „diese Ungleichbehandlung, die einen Liquiditätsnachteil für einen deutschen Staatsangehörigen wie Herrn Wächtler darstellt, … geeignet [ist], ihn davon abzuhalten, von seinem Niederlassungsrecht gemäß dem FZA tatsächlich Gebrauch zu machen. Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Steuerregelung kann daher das von diesem Abkommen garantierte Niederlassungsrecht als Selbständiger behindern“ (Rn. 57).


36        Urteile vom 19. Oktober 1977, Ruckdeschel u. a. (117/76 und 16/77, EU:C:1977:160, Rn. 7), und vom 6. Oktober 2011, Graf und Engel (C‑506/10, EU:C:2011:643, Rn. 26).


37        Urteile vom 6. Oktober 2011, Graf und Engel (C‑506/10, EU:C:2011:643, Rn. 26), Radgen (Rn. 47), und Wächtler (Rn. 55).


38        Wie die Kommission geltend macht (Nr. 23 ihrer Erklärungen), umfasst der Begriff der Vergünstigung die Möglichkeiten, wie sie nationale Rechtsvorschriften bieten, um die Steuer in günstigerer Weise zu berechnen. Auch die deutsche Regierung (Nr. 75 ihrer Erklärungen) räumt ein, dass es sich bei der Veranlagung auf Antrag um eine steuerliche Vergünstigung handele, da sie es dem Steuerpflichtigen ermögliche, von der abgeltenden Wirkung des Steuerabzugs abzuweichen.


39        „Keine Bestimmung dieses Abkommens ist so auszulegen, dass sie die Vertragsparteien daran hindert, bei der Anwendung ihrer Steuervorschriften eine Unterscheidung zwischen Steuerpflichtigen zu machen, die sich – insbesondere hinsichtlich ihres Wohnsitzes – nicht in vergleichbaren Situationen befinden.“


40        Urteile Wächtler (Rn. 58) und Radgen (Rn. 45).


41        Dies wurde im Urteil Radgen (Rn. 42 und 43) festgestellt.


42        Urteil Schumacker (Nr. 3 des Tenors).


43        Ich finde im Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen, auf das ich bereits hingewiesen habe, keine einschlägige Bestimmung für die Beantwortung der Vorlagefrage.


44        Urteil Wächtler (Rn. 62 und 63), sowie u. a. Urteile vom 15. Mai 1997, Futura Participations und Singer (C‑250/95, EU:C:1997:239, Rn. 31), vom 3. Oktober 2006, FKP Scorpio Konzertproduktionen (C‑290/04, EU:C:2006:630, Rn. 36), und vom 11. Dezember 2014, Kommission/Spanien (C‑678/11, EU:C:2014:2434, Rn. 45 und 46).


45        Vorlagebeschluss (Rn. 65).


46        § 39a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bzw. § 39a Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 EStG.


47        Vorlagebeschluss (Rn. 67).


48        Urteile vom 18. März 2021, Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer auf Veräußerungsgewinne aus Immobilien) (C‑388/19, EU:C:2021:212, Rn. 43 und 44), und vom 18. März 2010, Gielen (C‑440/08, EU:C:2010:148, Rn. 52).


49        Urteil Wächtler (Rn. 39).


50        Das vorlegende Gericht weist darauf hin (Rn. 67 seines Beschlusses), dass der Gerichtshof im Urteil Schumacker bereits ausgeschlossen habe, dass das Vorhandensein alternativer Verfahren für sich genommen die in der damals untersuchten deutschen Regelung enthaltene Diskriminierung rechtfertigen könne.


51        Rn. 36 ihrer Erklärungen.

 

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