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Steuerrecht
22.04.2016
Steuerrecht
FG Münster: Untergang von Verlustvorträgen bei vorweggenommener Erbfolge

FG Münster, Urteil vom 4.11.2015 – 9 K 3478/13 F, Rev. eingelegt (Az. BFH I R 6/16)

 

NICHT AMTLICHE LEITSÄTZE

1.         Teil-Einspruchsentscheidungen gem. § 367 Abs. 2a AO können Fragen der Verfassungswidrigkeit ausnehmen. Dabei ist die Aussetzung des Verfahrens nicht geboten, wenn es sachgerecht erscheint, die einfachgesetzliche Auslegung vorab zu klären.

2.         § 8c KStG ist auch in den Fällen einer sog. vorweggenommenen Erbfolge anzuwenden. Dem steht weder der Gesetzeswortlaut noch der Sinn und Zweck der Vorschrift entgegen. Auch den Materialien des Gesetzgebungsverfahrens ist nichts anderes zu entnehmen.

3.         Eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen nach § 163 AO unter Rückgriff auf eine Verwaltungsregelung verstößt gegen den Vorbehalt des Gesetzes. Die Besteuerung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge entspricht der Gesetzeslage; es fehlt an vom Gesetzgeber nicht gewollten Härten.

KStG § 8c Abs. 1 Satz 2; KStG vom 20.08.2003 § 8 Abs. 4; GewStG § 10a S. 10; AO § 163, 181 Abs. 1, § 367 Abs. 2

Sachverhalt

Streitig ist, ob Verlustvorträge gemäß § 8c des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), § 10a Satz 10 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG), jeweils in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung, nach Maßgabe der einfachgesetzlichen Regelung entfallen sind und – falls dies zu bejahen sein sollte – ob deshalb Billigkeitsmaßnahmen nach § 163 der Abgabenordnung (AO) geboten sind.

Die Klägerin, eine im Jahr 1972 gegründete GmbH, betreibt einen Großhandel mit …. Das Stammkapital hielten seit dem Jahr 1996 B C (V) zu rd. 66,67 % (34.000 DM) und dessen Sohn D C (S1) zu rd. 33,33 % (17.000 DM). Ein weiterer Sohn (S2) des V war an der Klägerin nicht beteiligt.

Mit notarieller Urkunde vom 17.12.2008 beschlossen bzw. vereinbarten V und S1 eine Kapitalerhöhung sowie die Teilung und Abtretung eines Geschäftsanteils. Das Stammkapital wurde auf € umgestellt und auf 27.000 € erhöht. Beteiligt daran waren V mit 18.000 € und S1 mit 9.000 €. Nachfolgend wurde der Geschäftsanteil des V in zwei Geschäftsanteile zu 14.895 € und zu 3.105 € aufgeteilt und der Geschäftsanteil i.H.v. 14.895 € von V auf S1 übertragen. Dazu bestimmte § 3 auszugsweise Folgendes:

„§ 3

Übertragung eines Geschäftsanteils von 14.895,00 €

1. Der Erschienene zu 1. verpflichtet sich, seinen Geschäftsanteil in Höhe von 14.895,00 € im Wege der vorweggenommenen Erbfolge mit Wirkung zum 31.12.2008 unentgeltlich zu übertragen. Der Erschienene zu 2. nimmt dieses Angebot an.

Diese Zuwendung ist im Rahmen einer Erbauseinandersetzung nicht gemäß §§ 2050, 2052 BGB zur Ausgleichung zu bringen.

Die Zuwendung hat sich der Empfänger zum heutigen Verkehrswert, ohne Berücksichtigung eines Geldwertverlustes, höchstens aber mit dem Wert des übertragenen Grundbesitzes im Zeitpunkt des Todes des Veräußerers auf seinen Pflichtteil am Nachlass des Zuwendenden anrechnen zu lassen.

2. Der Geschäftsanteil von 14.895,00 € wird hiermit mit Wirkung zum 31.12.2008 an den Erschienenen zu 2. abgetreten, der die Abtretung annimmt.

3. Der auf den Geschäftsanteil entfallende Gewinn aus dem laufenden Geschäftsjahr steht dem Erschienenen zu 1. zu.

4. Die Gesellschaft hat keinen Grundbesitz.“

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Urkunde vom 17.12.2008 Bezug genommen.

Die Klägerin reichte ihre Steuererklärungen für das Streitjahr 2008 im Juni 2009 ein. Der Beklagte setzte unter dem Vorbehalt der Nachprüfung zunächst erklärungsgemäß die Körperschaftsteuer und den Gewerbesteuermessbetrag 2008 mit 0 € fest  und stellte den verbleibenden Verlustabzug zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2008 mit 54.831 € sowie den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2008 mit 87.094 € fest.

Im Jahr 2012 führte das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E bei der Klägerin eine Betriebsprüfung (Bp) für die Jahre 2008 bis 2010 durch. Ausweislich Tz. 2.3.1 und Tz. 2.3.3 und der Anlagen 4, 10 und 11 des Bp-Berichts vom 20.12.2012 wurden – teilweise auf Antrag der Klägerin – gewinnmindernde Teilwertabschreibungen auf Darlehen i.H.v. 477.470,56 € (2007) bzw. 266.767,84 € (2008) vorgenommen. Der Prüfer vertrat die Auffassung, die vortragsfähigen Verluste seien zum 31.12.2008 gemäß § 8c KStG untergegangen, weil mehr als 50 % der Anteile an der Klägerin von V auf S1 übertragen worden seien. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Prüfungsbericht vom 20.12.2012 Bezug genommen.

Der Beklagte folgte der Auffassung des Prüfers. Mit geänderten Bescheiden vom 02.05.2013 und 14.05.2013 stellte er einen verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2007 i.H.v. 420.329 € und einen vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2007 i.H.v. 381.763 € fest. Außerdem setzte er in dem geänderten Körperschaftsteuerbescheid 2008 vom 02.05.2013 die Körperschaftsteuer 2008 unter Berücksichtigung einer Summe der Einkünfte i.H.v. ./. 349.403 €, abziehbarer Zuwendungen i.H.v. 1.800 € und mit dem Hinweis „Nach § 8c KStG nicht zu berücksichtigender Verlust des laufenden Veranlagungszeitraums  351.203 €“ ausgehend von einem zu versteuernden Einkommen von 0 € mit 0 € fest. Gestützt auf § 164 Abs. 2 AO erließ er außerdem am 02.05.2013 einen geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer auf den 31.12.2008, in dem er ausgehend von einem verbleibenden Verlustabzug zum 31.12.2007 i.H.v. 420.329 € und einem nicht zu berücksichtigenden Verlustabzug nach § 8c KStG i.H.v. 420.329 € zum 31.12.2008 feststellte, dass ein verbleibender Verlustvortrag nicht bestehe. In dem im Anschluss an die Bp ergangenen geänderten Gewerbesteuermessbescheid 2008 wird der sich nach den Hinzurechnungen und Kürzungen zum Gewinn aus Gewerbebetrieb ergebende Betrag i.H.v. ./. 351.203 € um einen nicht ausgleichsfähigen Gewerbeverlust gem. § 10a Satz 10 GewStG i.V.m. § 8c KStG i.H.v. 351.203 € gekürzt und ausgehend von einem Gewerbeertrag i.H.v. 0 € der Gewerbesteuermessbetrag mit 0 € festgesetzt. Mit Datum vom 14.05.2013 erließ der Beklagte des Weiteren einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Bescheid über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008, in dem er ausgehend von einem festgestellten Gewerbeverlust auf den 31.12.2007 i.H.v. 381.763 €, einem gem. § 10a Satz 10 GewStG i.V.m. § 8c KStG nicht ausgleichsfähigen Gewerbeverlust aus vorangegangenen Erhebungszeiträumen in derselben Höhe und einem nach den vorgenannten Normen nicht ausgleichsfähigen Gewerbeverlust des laufenden Veranlagungszeitraums i.H.v. 351.203 € feststellte, dass ein vortragsfähiger Gewerbeverlust nicht bestehe.

Die Klägerin legte gegen die vorgenannten Verlustfeststellungsbescheide auf den 31.12.2008 am 03.06.2013 Einsprüche ein und machte geltend, die Kürzung der vortragsfähigen Verluste gemäß § 8c KStG bzw. nach § 8c KStG i.V.m. § 10a GewStG sei zu Unrecht erfolgt. Vermögensübertragungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge würden von den vorgenannten Normen nicht erfasst. […]

Der Beklagte wies darauf hin, dass das beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) anhängige Verfahren einen Beteiligungserwerb von unter 50 % betreffe, jedoch sei ein Verfahren beim BFH betreffend einen schädlichen Beteiligungserwerb von mehr als 50 % anhängig (Az. I R 31/11). […]

Mit Datum vom 26.09.2013 erließ der Beklagte eine Teil-Einspruchsentscheidung. Danach wurde über folgenden Teil der Einsprüche nicht entschieden: „Verfassungsmäßigkeit der Regelungen des § 8c Abs. 1 KStG, anhängiges Verfahren beim BFH unter Az. I R 31/11“. Im Übrigen, d.h. soweit über die Einsprüche entschieden wurde, wies der Beklagte die Einsprüche als unbegründet zurück.

Zur Begründung führte der Beklagte aus, das Einspruchsverfahren ruhe, soweit die Klägerin sich auf das beim BFH anhängige Revisionsverfahren I R 31/11 berufen habe. In Bezug auf die Frage der Höhe des Verlustabzugs nach einer Anteilsübertragung in Form einer vorweggenommenen Erbfolge sei der Einspruch jedoch entscheidungsreif. Bei dieser Ausgangslage sei der Erlass einer Teil-Einspruchsentscheidung sachdienlich i.S. des § 367 Abs. 2a Satz 1 AO, auch weil dem Steuerpflichtigen ermöglicht werde, seine Interessen ggf. durch Klageerhebung weiter zu verfolgen. […]

Die Klägerin hat hiergegen Klage erhoben. Zur Begründung macht sie geltend, entsprechend dem BMF-Schreiben vom 04.07.2008 fielen Anteilsübertragungen im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolge nicht unter die Verlustabzugsbeschränkung des § 8c KStG. […]

Die Berichterstatterin hat die Beteiligten mit Schreiben vom 07.02.2014 u.a. darauf hingewiesen, dass zwischen einer Steuerfestsetzung bzw. der gesonderten Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und einer Billigkeitsmaßnahme gem. § 163 AO zu unterscheiden sei und fraglich erscheine, ob in Tz. 4 des BMF-Schreibens vom 04.07.2008 (BStBl I 2008, 736) eine Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 AO zu sehen sei. Von daher könne aus Sicht der Beteiligten eine Klageerweiterung zu erwägen sein.

Die Klägerin stellte daraufhin mit Schreiben vom 27.02.2014 beim Beklagten den Antrag, im Wege einer Billigkeitsmaßnahme gemäß 163 AO von einer Anwendung des § 8c KStG abzusehen. Mit Bescheid vom 22.05.2015 lehnte der Beklagte diesen Antrag ab. Falls in dem BMF-Schreiben vom 04.07.2008 eine Billigkeitsregelung zu sehen sein sollte, rechtfertige dies im Streitfall keine Billigkeitsmaßnahme nach § 163 AO, weil kein Erwerb im Wege der vorweggenommenen Erbfolge vorliege. Eine Übereignung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge setze eine vom Zuwendenden angeordnete bzw. gesetzlich festgelegte Anrechnungspflicht auf die spätere Erbschaft (§ 2050 BGB) voraus. Eine derartige Anrechnungspflicht sei im vorliegenden Fall jedoch gerade (zivilrechtlich zulässig) abbedungen worden. Der Rechtsauffassung des Beklagten stehe auch die vertraglich vereinbarte Pflichtteilsanrechnung nicht entgegen. Pflichtteilsberechtigt seien Abkömmlinge des Erblassers, die durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen seien (§ 2303 BGB). Eine Berücksichtigung der Ausgleichspflicht gem. § 2050 BGB sei somit nicht mit der Anrechnungspflicht gem. § 2315 BGB vereinbar. Vielmehr sei der Pflichtteilsberechtigte schon begrifflich von der Erbfolge kraft Verfügung ausgenommen; die Anrechnungspflicht auf den Pflichtteil gem. § 2315 BGB könne somit auch nicht Gegenstand einer Vermögensübertragung im Rahmen einer „vorweggenommenen Erbfolge“ sein.

Die Klägerin hat daraufhin mit Schriftsatz vom 12.06.2014 im Wege einer Klageänderung (sinngemäß) begehrt, auch über die Verpflichtung des Beklagten zu einer Billigkeitsmaßnahme zu entscheiden bzw. hilfsweise hierüber im Wege einer Sprungklage zu befinden. Dieser Schriftsatz wurde dem Beklagten am 20.06.2014 zugestellt. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom 02.07.2014 (eingegangen beim Finanzgericht am 04.07.2014) daraufhin mitgeteilt, er sei mit der beantragten Klageänderung (Klageerweiterung) einverstanden.

Der Senat hat den Rechtsstreit am 04.11.2015 mündlich verhandelt. Der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung die Ablehnung der Billigkeitsmaßnahme betreffend die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008 vom 22.05.2014 aufgehoben und gleichzeitig den Antrag auf Erlass einer Billigkeitsmaßnahme gemäß § 163 AO in Bezug auf die Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008 erneut abgelehnt. Zu Begründung hat er auf die Begründung des ursprünglichen Ablehnungsbescheides Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

 

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtenen Bescheide verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1, § 101 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). […]

2. Die Klage ist unbegründet, soweit die Klägerin mit ihren Hauptanträgen eine höhere Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags zur Körperschaftsteuer und des vortragsfähigen Gewerbeverlustes auf den 31.12.2008 begehrt. § 8c KStG ist einfachgesetzlich auch in den Fällen einer sogenannten vorweggenommenen Erbfolge anzuwenden.

a) § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG (ggf. i.V.m. § 10a GewStG) in der im Streitjahr 2008 geltenden Fassung versagt den näher bezeichneten Verlustabzug bei Körperschaften vollständig, „wenn innerhalb von fünf Jahren … mehr als 50 Prozent des gezeichneten Kapitals … an einer Körperschaft an einen Erwerber … übertragen werden …“.

Ausgehend von dem Gesetzeswortlaut fallen alle rechtsgeschäftlichen entgeltlichen oder unentgeltlichen Übertragungen unter § 8c KStG. Damit werden nach dem Wortlaut des § 8c KStG auch Erwerbe im Wege einer vorweggenommenen Erbfolge von diesem erfasst (vgl. z.B. Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 8c KStG Rz. 29a; Neumann, GmbHR 2014, 673; Neumann in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, § 8c Rz. 68 u.a. zur vorweggenommenen Erbfolge: „Die FinVerw sieht in diesen Fällen entgegen dem eindeutigen Gesetzeswortlaut von der Anwendung des § 8c KStG ab“; Gohr in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, § 8c Rz. 73: „Obwohl nicht durch den Wortlaut des Gesetzes gedeckt, sieht die Finanzverwaltung von der Anwendung des § 8c … in den Fällen des Erwerbs durch …. vorweggenommene Erbfolge ab, …“; im Ansatz ebenso Roser in Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 36 „Daher fallen auch Schenkungen und vorweggenommene Erbfolgen unter den Anwendungsbereich des § 8c“, der das BMF-Schreiben zu vollständig unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge dann als „wohlwollende Ausnahme“ bezeichnet, „ohne dass die gesetzliche Grundlage einer solchen Sonderbeurteilung erkennbar ist“, anders derselbe unter Rz. 56; Elicker/Zillmer, BB 2009, 2620; vgl. auch, wenngleich im Erg. a.A., Olbing in Streck, KStG, 8. Aufl., § 8c Rz. 29: „Der Wortlaut des § 8c geht eindeutig zu weit.“). Insoweit gilt nichts anderes als bei der Vorgängerregelung in § 8 Abs. 4 KStG a.F., die Fälle erfasste, „wenn mehr als die Hälfte der Anteile an einer Kapitalgesellschaft übertragen werden …“ (s. zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. BMF-Schreiben vom 16.04.1999, BStBl I 1999, 455, Tz. 04; Frotscher in Frotscher/Maas, KStG, § 8 Rz. 186 a.E.; OFD Frankfurt v. 14.12.2010, juris, Tz. 4; Brendt in Erle/Sauter, KStG, 3. Aufl., § 8 Abs. 4 a.F./Anh. § 8c, Rz. 55; a.A. Olbing in Streck, KStG, 8. Aufl., § 8 Rz. 429; Lang in Ernst & Young, KStG, § 8 KStG Rz. 1263.1 unter Hinweis auf die Privilegierung der vorweggenommenen Erbfolge in §§ 13a, 19a ErbStG).

b) Auch anhand der Materialien des Gesetzgebungsverfahrens ist nicht ersichtlich, dass die vorweggenommene Erbfolge aus dem Anwendungsbereich des § 8c KStG ausgenommen werden sollte. Angedacht war vielmehr ausweislich der Bundestags-Drucksache 16/5491 (S. 3, 16) nur, im Verwaltungswege eine Verfahrensweise zu Verlusten im Erbfall sowie bei der Erbauseinandersetzung zu regeln, und zwar „entsprechend der bisherigen Verwaltungspraxis (Tz. 4 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 16. April 1999, BStBl I S. 455).“ Nach dem vorgenannten BMF-Schreiben zu § 8 Abs. 4 KStG a.F. wurde die vorweggenommene Erbfolge aber von § 8 Abs. 4 KStG a.F. erfasst; lediglich der Erbfall und die Erbauseinandersetzung sollten unschädlich sein.

 

c) Die unentgeltliche vorweggenommene Erbfolge kann auch nicht nach dem Sinn und Zweck des § 8c KStG aus dem Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden.

 

aa) Allerdings wird im Schrifttum der Gesetzeswortlaut teilweise als zu weit angesehen und die Auffassung vertreten, die unentgeltliche vorweggenommene Erbfolge dürfe nicht von § 8c KStG erfasst werden (Olbing in Streck, KStG, 8. Aufl., § 8c Rz. 29). Das BMF will die unentgeltliche vorweggenommene Erbfolge ebenfalls von § 8c KStG ausnehmen (BMF-Schreiben vom 04.07.2008, BStBl I 2008, 736, Tz. 4 S. 2), dies aber eventuell künftig auf Übertragungen zwischen Angehörigen beschränken (Entwurf eines BMF-Schreibens zu § 8c KStG, zitiert nach Neumann, GmbHR 2014, 673). Allerdings ist unklar, ob das BMF insoweit die Norm interpretieren oder eine Billigkeitsentscheidung treffen wollte (vgl. Neumann, GmbHR 2014, 673). Thonemann (DB 2008, 2156) meint, der Neuregelung des § 8c KStG habe der Gedanke zugrunde gelegen, dass sich die wirtschaftliche Identität einer Gesellschaft durch das wirtschaftliche Engagement eines anderen Anteilseigners (oder Anteilseignerkreises) ändere und die in früherer Zeit erwirtschafteten Verluste unberücksichtigt bleiben sollten, soweit sie auf dieses neue wirtschaftliche Engagement entfielen. Es fehle aber an einem neuen wirtschaftlichen Engagement, wenn im Wege der vorweggenommenen Erbfolge die nachfolgende Generation bereits zu Lebzeiten des Übertragenden die Anteile erhalte; für eine unterschiedliche Behandlung des Erbfalls und der vorweggenommenen Erbfolge seien keine Gründe ersichtlich. Nach Roser (in Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 56) ist die vorweggenommene Erbfolge kein bestimmter Rechtsbegriff, sondern umschreibe nur die Erbfall-bezogene Disposition zu Lebzeiten. Die Bindung des Beschenkten hinsichtlich seines Erbrechtes soll allerdings geeignet sein, eine Gleichstellung mit dem Erbfall anzunehmen (Roser in Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 56; anders noch Roser, DStR 2008, 1561, 1563: Differenzierung zwischen vorweggenommener Erbfolge und Schenkung sachlich nicht gerechtfertigt).

bb) Nach Auffassung des erkennenden Senats rechtfertigen die vorgenannten Argumente es nicht, die unentgeltliche vorweggenommene Erbfolge entgegen dem Wortlaut des § 8c KStG von dessen Anwendung auszunehmen und die Norm damit weitergehend einzuschränken als dies im Gesetzgebungsverfahren erwogen wurde (im Ergebnis ebenso Hackemann in Mössner/Seeger, KStG, § 8c Rz. 180; Rätke in Mössner/Seeger, KStG, Loseblattkommentar, 51. Erg.Lfg. 2010, § 8c Rz. 76; f; Möhlenbrock in Rödder/Möhlenbrock, Ubg 2008, 595, Tz. 2.2.3 Fußn. 6).

(1) Zwar mag die Annahme berechtigt sein, eine vorweggenommene Erbfolge bezwecke regelmäßig nicht nur die (missbräuchliche) Übertragung und Ausnutzung zuvor aufgelaufener Verluste. Eine einfachgesetzliche Auslegung des § 8c KStG in der für das Jahr 2008 geltenden Fassung dahingehend, dass dieser nur auf Fälle missbräuchlicher Gestaltungen anzuwenden wäre, ist aus den vom FG Hamburg in seinem Vorlagebeschluss vom 04.04.2011 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 [BB 2011, 1891 m. BB-Komm. Köplin/Sedemund] bezeichneten Gründen jedoch nicht möglich. […]

(2) Hinreichende Gründe dafür, entgegen dem Gesetzeswortlaut bei rechtsgeschäftlichen Anteilsübertragungen nach der Person des Anteilseigners und seinen Beziehungen zu dem früheren Anteilseigner zu differenzieren bestehen nicht.

Im Gesetzgebungsverfahren sind – wie dargelegt – Fragen der Erbfolge angesprochen worden. Aufgrund der Rechtsprechung zu der Vorgängerregelung in § 8 Abs. 4 KStG a.F. (vgl. BFH-Urteile vom 20.08.2003 I R 61/01, BFHE 203, 135, BStBl II 2004, 616 [BB 2004, 143], vom 20.08.2003 I R 81/02, BFHE 203, 84, BStBl II 2004, 614 [BB 2004, 91 Ls]) war dem Gesetzgeber auch die Problematik von Anteilsübertragungen im Konzern bekannt. Gleichwohl sieht § 8c KStG in der für das Streitjahr 2008 geltenden Fassung keine Ausnahmen für Anteilsübertragungen zwischen einander nahe stehenden Personen vor, d.h. weder für die vorweggenommene Erbfolge noch für Anteilsübertragungen innerhalb eines Konzerns. Außerdem hat der Gesetzgeber in anderem Zusammenhang klar und eindeutig Sonderregelungen für die vorweggenommene Erbfolge getroffen (vgl. z.B. § 13 Abs. 2a Nr. 2 ErbStG i.d.F. 21.12.1993 und i.d.F. v. 27.02.1997; § 7g Abs. 7 Satz 3 EStG), so dass es nahe liegend gewesen wäre, diese auch im Rahmen des § 8c KStG gesondert zu regeln, falls dies vom Gesetzgeber gewollt gewesen wäre.

Eine vom Gesetzeswortlaut abweichende einschränkende Auslegung des § 8c KStG für Anteilsübertragungen mittels vorweggenommener Erbfolge lässt sich auch nicht mit dem Hinweis rechtfertigen, der Begünstigte sei quasi der Nachfolger des Übertragenden und ein Wegfall des Verlustabzugs sei deshalb sachwidrig. Denn bei einem Einzelunternehmen oder einer Personenhandelsgesellschaft geht der Verlustabzug sowohl im Erbfall wie bei rechtsgeschäftlichen Übertragungen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge unter. Nach dem Beschluss des Großen Senats des BFH vom 17.12.2007 GrS 2/04 (BFHE 220, 129, BStBl II 2008, 608 [BB 2008, 1038, StB 2008, 149Ls]) kann der Erbe einen vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustabzug nach § 10d EStG nicht bei seiner eigenen Veranlagung zur Einkommensteuer geltend machen. Auch bei der gewerbesteuerlichen Frage der Unternehmeridentität führt eine vorweggenommene Erbfolge (ebenso wie ein Erbfall) zum Verlust des Verlustvortrags (vgl. BFH-Beschluss vom 03.05.1993 GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl II 1993, 616 [BB 1993, 1499], zum Erbfall; vom 26.06.1997 VIII B 70/96, BFH/NV 1997, 897 zum Erbfall; vom 03.02.2010 IV R 59/07, BFH/NV 2010, 1492 zum Erbfall und zur vorweggenommenen Erbfolge; Drüen in Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 10a GewStG Rz. 65, 72). Zwar sind ein Einzelunternehmen oder eine Personengesellschaft nicht ohne weiteres mit einer Kapitalgesellschaft vergleichbar, weil der Verlustabzug bei einer Kapitalgesellschaft möglicherweise wegen der Trennungstheorie und einer eigenen Identität der Kapitalgesellschaft unabhängig von einem Anteilseignerwechsel erhalten bleiben muss. Letzteres ist jedoch Gegenstand der verfassungsrechtlichen Prüfung der Norm (vgl. Vorlagebeschluss des FG Hamburg vom 04.04.2011 2 K 33/10, EFG 2011, 1460 [BB 2011, 1891 m. BB-Komm. Köplin/Sedemund]), über die hier nicht zu entscheiden ist (vgl. zum Prüfungsumfang bereits unter II.1.a.bb.(1)). Falls der Gesetzgeber aber bei einer Kapitalgesellschaft den Verlustabzug vom Gesellschafterbestand abhängig machen durfte, ist nicht ersichtlich, weshalb die Kapitalgesellschaft bezüglich der Verlustvorträge im Erbfall oder bei einer vorweggenommenen Erbfolge günstiger gestellt werden müsste als eine natürliche Person (vgl. zur Besserstellung der Kapitalgesellschaft Roser in Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8c Rz. 36).

[…]

Im Ergebnis ist deshalb bei der Auslegung des § 8c KStG entscheidend auf den Gesetzeswortlaut abzustellen, wonach eine Anteilsübertragung im Wege der vorweggenommene Erbfolge als rechtsgeschäftliche Übertragung zu einem schädlichen Anteilseigerwechsel führt bzw. führen kann. Für eine gegenteilige Auslegung liegen keine hinreichenden Gründe vor; vielmehr wäre es Sache des Gesetzgebers gewesen – sofern gewollt – die vorweggenommene Erbfolge ausdrücklich aus dem Anwendungsbereich des § 8c KStG auszunehmen.

3. Die auf Billigkeitsmaßnahmen gerichteten Hilfsanträge der Klägerin haben ebenfalls keinen Erfolg. Der Beklagte hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, den verbleibenden Verlustvortrag zur Körperschaftsteuer und den vortragsfähigen Gewerbeverlust auf den 31.12.2008 gemäß § 163 AO aus Billigkeitsgründen ohne Anwendung des § 8c KStG festzustellen.

a) Nach § 163 Satz 1 AO können Steuern niedriger festgesetzt werden und einzelne Besteuerungsgrundlagen, die die Steuern erhöhen, können bei der Festsetzung der Steuer unberücksichtigt bleiben, wenn die Erhebung der Steuer nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Norm gilt über § 181 Abs. 1 AO auch für Feststellungsbescheide (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 3). Nach § 184 Abs. 2 Satz 1 AO i.d.F. vom 22.12.2014 schließt die Befugnis, Realsteuermessbeträge festzusetzen auch die Befugnis zu Maßnahmen nach § 163 Satz 1 AO ein, soweit für solche Maßnahmen in einer allgemeinen Verwaltungsvorschrift (u.a.) der obersten Bundesfinanzbehörde Richtlinien aufgestellt worden sind. Diese Regelung gilt auch für nach dem 31.12.2014 getroffene Maßnahmen nach § 163 Satz 1 AO, die – wie hier – Besteuerungszeiträume betreffen, die vor dem 01.01.2015 abgelaufen sind (Art. 97 § 10c des Einführungsgesetzes zur AO i.d.F. vom 22.12.2014).

b) Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 AO, weil es an einer Unbilligkeit im Einzelfall fehlt. […]

c) Im Übrigen würde die Klage möglicherweise selbst dann keinen Erfolg haben, wenn  – entgegen der Auffassung des Senats – Billigkeitsmaßnahmen in Form einer Nichtanwendung des § 8c KStG in den Fällen einer Anteilsübertragung im Wege der vorweggenommenen Erbfolge grundsätzlich zulässig sein sollten. Einer abschließenden Entscheidung dieser Frage bedarf es aus den vorstehend unter a), b) dargelegten Gründen jedoch nicht mehr.

Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme i.S. des § 163 AO steht im Ermessen der Finanzbehörde (§ 163 AO i.V.m. § 5 AO; vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 8). Versagt die Finanzbehörde die begehrte Billigkeitsmaßnahme, ist dagegen die Verpflichtungsklage gegeben; das Finanzgericht kann die Versagung der Billigkeitsmaßnahme nur in dem von § 102 FGO vorgegebenen Rahmen überprüfen (Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 163 AO Rz. 30). Ermessensrichtlinien der Verwaltung (wie etwa BMF-Schreiben zu Billigkeitsmaßnahmen), die mit dem Vorbehalt des Gesetzes in Einklang stehen, können zwar unter Umständen zu einer sogenannten Selbstbindung der Verwaltung führen, doch dürfen derartige Ermessensrichtlinien von den Gerichten nicht ausgelegt werden. Insoweit kommt es vielmehr nur darauf an, wie die Finanzverwaltung die Ermessensrichtlinie verstanden hat oder wissen wollte, und wie sie danach verfahren ist (vgl. BFH-Entscheidungen vom 21.10.1999 I R 68/98, BFH/NV 2000, 891; vom 07.03.2007 I R 98/05, BFHE 217, 430, BStBl II 2008, 186 [BB 2007, 1376 Ls]; Drüen in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 4 AO Rz. 93).

Der Beklagte versteht (wohl) in Übereinstimmung mit Dötsch in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die Körperschaftsteuer, § 8c KStG Rz. 31 unter einem Erwerb im Wege einer „unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge“ i.S. des BMF-Schreibens vom 04.07.2008 (BStBl I 2008, 736) nur solche Übertragungen, die zu einer vom Zuwendenden angeordneten bzw. gesetzlich festgelegten Anrechnungspflicht auf die spätere Erbschaft (§ 2050 BGB) führen. Zwar mag der Begriff der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge objektiv auch anders interpretiert werden können (vgl. Gleichlautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder vom 29.11.1994, BStBl I 1994, 905, Tz. 3.1 zu § 13 Abs. 2a Nr. 2 ErbStG, wonach bei Zuwendungen in den Steuerklassen I und II von einer vorweggenommenen Erbfolge ausgegangen werden könne; s. aber auch BFH-Urteil vom 25.01.2001 II R 52/98, BFHE 194, 445, BStBl II 2001, 414 [BB 2001, 819 m. BB-Komm. Scherer/Geuyen], wonach eine vorweggenommene Erbfolge i.S.d. § 13 Abs. 2a S. 1 Nr. 2 ErbStG nur vorliegen soll, wenn er dem Übergang von Betriebsvermögen durch Erbanfall vergleichbar ist, wobei dort aber wesentlich ein endgültiger Vermögensübergang verlangt wurde). Gleichwohl erscheint die vom Beklagten unter Auslegung des BMF-Schreibens vom 04.07.2008 (BStBl I 2008, 736) vertretene enge Definition des Begriffs der vorweggenommenen Erbfolge nicht sachwidrig, sondern geeignet, die vorweggenommene Erbfolge von der allgemeinen Schenkung abzugrenzen. Die Klägerin hat auch nicht vorgetragen und dem Senat ist nicht bekannt, dass das BMF die (etwaige) vorgenannte Ermessensrichtlinie anders als der Beklagte verstanden wissen wollte oder dass die Finanzverwaltung in anderen Fällen stets bzw. überwiegend anders als im Streitfall verfahren wäre. Falls die Auslegung des BMF-Schreibens vom 04.07.2008 durch den Beklagten dem eigenen Verständnis des BMF entspricht, könnte die Klägerin aus dem BMF-Schreiben vom 04.07.2008 keinen Anspruch auf eine Billigkeitsmaßnahme herleiten, weil mit der Anteilsübertragung ausdrücklich Ausgleichsansprüche gem. §§ 2050, 2052 BGB ausgeschlossen wurden. Vielmehr hätte der Beklagte die von der Klägerin begehrte Billigkeitsmaßnahme ermessensfehlerfrei abgelehnt. […]

 

 

 

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