FG Köln: Untergang von Verlustvorträgen bei Betriebsverpachtung
FG Köln, Urteil vom 15.2.2012 - 10 K 1830/10
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob ein vortragsfähiger Gewerbeverlust wegen Wegfalls der Unternehmensidentität nicht festzustellen ist.
Die Klägerin war zunächst eine inländische Kommanditgesellschaft, die zur A Gruppe mit Sitz in den USA gehörte. Die nachstehende Beschreibung der Beteiligungsverhältnisse ist in der als Anlage 1 der Klageschrift beigefügten Übersicht graphisch illustriert; diese ist allerdings mittlerweile teilweise überholt.
Die A Company (UK) Ltd. ("A UK") ist die alleinige Anteilseignerin der A Deutschland GmbH (ADG, der heutigen Klägerin). Die ADG war wiederum alleinige Kommanditistin der B GmbH & Co. KG („B KG" oder „ frühere Klägerin"). Die B Verwaltungs GmbH war die alleinige Komplementärin der B KG ohne eine vermögensmäßige Beteiligung an der B KG. Alleinige Anteilseignerin an der B Verwaltungs GmbH ist wiederum die ADG.
Einzelvertretungsberechtigter und von den Beschränkungen des § 181 BGB befreiter Geschäftsführer sämtlicher vorgenannten Gesellschaften war und ist Herr D. Herr D ist innerhalb der A Gruppe für die wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung der vorgenannten Gesellschaften verantwortlich.
Sämtliche deutsche Konzerngesellschaften haben ein abweichendes Wirtschaftsjahr, welches zum 30.06. eines jeden Jahres endet.
Mit Wirkung vom 29.6.2011 ist die B Verwaltung GmbH aus der früheren Klägerin ausgetreten. Das gesamte Vermögen der KG ist durch Anwachsung auf die ADG als Gesamtrechtsnachfolgerin übergegangen. Diese ist damit Klägerin geworden, so dass die vorgenommene Beiladung hinfällig geworden ist.
Die Geschäftstätigkeit der B KG beinhaltete zum 30.06.2005 die Produktion von ... nach eigenen Entwürfen sowie den Handel mit sonstigen Produkten der A Gruppe. Dabei wurden durchschnittlich 55 Arbeitnehmer beschäftigt und jährliche Umsatzerlöse von ca. 6 bis 7 Mio. € erzielt.
Im Wirtschaftsjahr 2005 bestand der deutsche Teilkonzern der A Gruppe aus einer Vielzahl inländischer operativer Kommanditgesellschaften, welche historisch im Wesentlichen aus dem Hinzuerwerb von Firmen im Zeitraum 1999 bis 2000 durch A resultierten. Insoweit entschied die Konzernführung in 2005, im Rahmen eines Gesamtplans die deutschen operativen Kommanditgesellschaften der A Gruppe zu restrukturieren. Ziel dieser Restrukturierung war es, die verschiedenen Aktivitäten der einzelnen operativen Gesellschaften soweit als möglich auf eine einzige Gesellschaft, die ADG, zu konzentrieren. Gründe hierfür waren ein einheitlicher Marktauftritt gegenüber Kunden, ein einheitliches Reporting sowie die Erzielung von Synenergieeffekten zur Kosteneinsparung. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden sämtliche Geschäftsbetriebe der A Kommanditgesellschaften - mit Ausnahme des Geschäftsbetriebs der B KG - im Wege der erweiterten Anwachsung zum 30.06.2005 auf die ADG übertragen. Die gewerbesteuerlichen Verlustvorträge der insoweit untergegangenen Kommanditgesellschaft wurden steuerlich infolge der Anwachsung auf die ADG übertragen und in der Folgezeit von dieser genutzt.
Hinsichtlich des Unternehmens der früheren Klägerin (KG) schloss diese mit der ADG einen Betriebspachtvertrag mit Wirkung ab dem 1. Juli 2005 ab. Danach wurde das Anlagevermögen der KG an die ADG verpachtet. Das Umlaufvermögen der KG wurde zu diesem Stichtag an die ADG veräußert und übertragen. Weiterhin gingen zu diesem Stichtag die Arbeitnehmer der KG nach § 613a BGB auf die ADG über. Wegen der Einzelheiten wird auf den Betriebspachtvertrag Bezug genommen.
Der Betriebspachtvertrag wurde am 30. Juni 2006 mit Wirkung zum Ablauf des 30. Juni 2006 aufgehoben. Die KG und die ADG vereinbarten eine Übertragung des gepachteten Anlagevermögens auf die ADG. Diese zahlte hierfür an die KG einen Betrag von 100.000 €. In dieser Höhe aktivierte die ADG einen Kundenstamm der KG. Gemäß Mietvertrag vom 1.7.2006 vermietete die KG das in C belegene Betriebsgrundstück, auf dem eine ... betrieben wurde, an die ADG.
Der Beklagte stellte mit unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen Bescheid vom 19. Juli 2007 den zum 31. Dezember 2005 vortragsfähigen Gewerbeverlust der KG mit 2.511.698 € fest. Dieser Verlust wurde in 2006 von dem Gewerbeertrag vor Verlustabzug in Höhe von 177.737 € abgezogen, so dass der Gewerbesteuermessbetrag für 2006 auf 0 € festgesetzt wurde.
2008/2009 fand bei der KG durch das Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung E eine Außenprüfung statt, die u.a. auch die Gewerbesteuer 2004 bis 2006 umfasste. In dem Betriebsprüfungsbericht vom 6. Mai 2009 vertrat die Betriebsprüfung die Ansicht, dass der auf den 31. Dezember 2005 festgestellte gewerbesteuerliche Verlustvortrag zu versagen sei, da der Gewerbebetrieb der KG im Verlustentstehungsjahr infolge der Betriebsverpachtung nicht identisch sei mit dem Gewerbebetrieb im Verlustverrechnungsjahr.
Der Beklagte folgte der Auffassung der Betriebsprüfung. Er hob mit Bescheid vom 14. Juli 2009 die frühere Feststellung des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags auf und entschied, dass eine Feststellung nicht durchzuführen sei. Den Gewerbesteuermessbetrag 2006 setzte er mit Bescheid vom 16. Juli 2009 auf 5.785 € fest.
Die hiergegen eingelegten Einsprüche wies der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 6. Mai 2010, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, als unbegründet zurück.
Mit der Klage trägt die Klägerin vor:
Der gewerbesteuerliche Verlustabzug gemäß § 10a Gewerbesteuergesetz - GewStG - erfordere sowohl Unternehmeridentität als auch Unternehmensidentität. Hierbei sei bei Personengesellschaften Träger des Rechts auf den Verlustvortrag nicht der Gewerbebetrieb als solcher, sondern der Unternehmer (d.h. der Mitunternehmer) des Betriebs, und zwar sowohl in einkommen- als auch in gewerbesteuerlicher Hinsicht.
Die Unternehmeridentität liege unstreitig vor.
Es liege auch die Unternehmensidentität vor. Diese bedeute, dass der im Anrechnungsjahr bestehende Gewerbebetrieb mit dem Gewerbebetrieb identisch sein müsse, der im Jahr der Entstehung des Verlustes bestanden habe. Insoweit stelle sich die Frage nach der Identität der jeweiligen wirtschaftlichen Betätigung, welche den Gewerbebetrieb charakterisiere. Zur Bestimmung dieser wirtschaftlichen Betätigung komme es nach Ansicht des Bundesfinanzhofs (vgl. Urteil vom 16. April 2002 VIII R 16/01, BFH/NV 2003, 81) auf das Gesamtbild an, das sich aus den wesentlichen Merkmalen des Gewerbebetriebs ergebe, wie insbesondere der Art der Betätigung, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der Arbeitnehmerschaft, der Geschäftsleitung, den Betriebsstätten sowie dem Umfang und der Zusammensetzung des Aktivvermögens.
Die Identität ihres Gewerbebetriebs, der den fraglichen gewerbesteuerlichen Verlustvortrag zum 31. Dezember 2005 verursacht habe, habe sich infolge der vorübergehenden Verpachtung dieses Gewerbebetriebs an die ADG nicht verändert.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Schriftsatz der Klägerin vom 18. November 2010 Bezug genommen.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten über die gesonderte Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes vom 14. Juli 2009 aufzuheben und den Gewerbesteuermessbetrag für 2006 unter Änderung des Bescheids vom 16. Juli 2009 auf 0 € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Senat hatte auf Antrag der KG gemäß § 60 Abs. 1 FGO die ADG zum Verfahren beigeladen. Diese Beiladung ist durch die Gesamtrechtsnachfolge hinfällig geworden.
Aus den Gründen
Die zulässige Klage ist zum Teil begründet.
Die Aufhebung des Bescheids über die Feststellung des vortragsfähigen Verlusts zum 31.12.2005 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb in ihren Rechten, vgl. § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -FGO-. Demgegenüber ist der Gewerbesteuermessbescheid 2006 rechtmäßig.
1. Feststellung des vortragsfähigen Gewerbeverlustes
Nach § 10a Satz 4 des Gewerbesteuergesetzes in der im Streitjahr 2005 geltenden Fassung - GewStG - ist der zum Ende des Erhebungszeitraums verbleibende Gewerbeverlust gesondert festzustellen. Die gesonderte Feststellung erfolgt dabei unabhängig davon, ob wegen Wegfalls der Unternehmensidentität oder der Unternehmeridentität der Gewerbetreibende den Verlustvortrag in einem späteren Jahr nicht mehr gewerbesteuermindernd geltend machen kann. Über die Frage ist nicht im Jahr der Verlustentstehung, sondern in dem Jahr der eventuellen Verlustberücksichtigung zu entscheiden (Bundesfinanzhof -BFH-, Urteil vom 3.2.2010 IV R 59/07, BFH/NV 2010, 1492, Rz.. 15 mit weiteren Nachweisen). Andernfalls würden nach Auffassung des Senats Fragen des materiellen Rechts (hier ist der 30.6. maßgeblich) mit Fragen der Technik (Erhebungszeitraum ist das Kalenderjahr) vermengt.
2. Gewerbesteuermessbescheid 2006
Der Gewerbeertrag des Wirtschaftsjahres 2005/2006 in Höhe von 164.200 € (nach Hinzurechnungen und Kürzungen) ist nicht um den Gewerbeverlustvortrag aus den Vorjahren zu mindern.
Ein Gewerbeverlust kann nach § 10a GewStG (nur) dann abgezogen werden, wenn der im Kürzungsjahr bestehende Gewerbebetrieb identisch ist mit dem Gewerbebetrieb, der im Verlustentstehungsjahr bestanden hat - Unternehmensidentität - (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH, Urteile vom 12. Januar 1978 IV R 26/73, Bundessteuerblatt - BStBl - II 1978, 348 und vom 07.08.2008 IV R 86/05, BFH/NV 2008, 1960, Rz. 22; Drüen in Blümich, § 10a GewStG, Rz. 45 ff. mit zahlreichen Nachweisen (Stand Mai 2011)). Stets kommt es für die Frage der Identität der Betätigungen auf das Gesamtbild an, das sich aus den wesentlichen Merkmalen des Gewerbebetriebs ergibt, so insbesondere der Art der Betätigung, dem Kunden- und Lieferantenkreis, der Arbeitnehmerschaft, der Geschäftsleitung, den Betriebsstätten sowie dem Umfang und der Zusammensetzung des Aktivvermögens.
Geht ein Unternehmer von einer gewerblichen Tätigkeit zu einer anderen über, so kommt es für die Beantwortung der Frage, ob der frühere Gewerbebetrieb als Steuerobjekt fortbesteht und damit Unternehmensidentität besteht, auf den wirtschaftlichen Zusammenhang der neuen mit der früheren Tätigkeit an. Die neue Tätigkeit stellt dann keine Betriebseinstellung des alten Betriebs und Gründung eines neuen Betriebs dar, wenn die Tätigkeiten wirtschaftlich, finanziell oder organisatorisch innerlich zusammenhängen (vgl. das vorgenannte BFH-Urteil vom 7.8.2008 in Rz. 12).
Der Übergang von einem Produktions- und Vertriebsunternehmen zu einem reinen Verpachtungsunternehmen stellt den Übergang von einer gewerblichen Tätigkeit zu einer anderen dar (BFH, Urteil vom 28. Mai 1968 IV 340/64, BStBl II 1968, 688 Rz. 11).
Zwar bejaht der Bundesfinanzhof den inneren Zusammenhang im Verhältnis der aus einer Betriebsaufspaltung hervorgegangenen Besitzgesellschaft zur Betriebskapitalgesellschaft. Dies folgt aus dem Gedanken, dass das Besitzunternehmen vermittels der Betriebsgesellschaft weiterhin am Markt tätig ist. Andernfalls könnte die Verpachtungstätigkeit der Besitzpersonengesellschaft nicht als Gewerbebetrieb behandelt werden.
Im Streitfall liegt aber keine Betriebsaufspaltung vor, da keine personelle Verflechtung besteht. In der Besitzpersonengesellschaft (KG) war die ADG die beherrschende Person, während bei der ADG die A UK alleinige Anteilseignerin ist.
Auch wenn gewerblich geprägte Personengesellschaften nur einen einheitlichen Gewerbebetrieb haben und deshalb innerhalb desselben Erhebungszeitraums ein Verlustausgleich zwischen unter Umständen sachlich nicht zusammenhängenden Tätigkeiten stattfindet, folgt daraus nicht, dass sie in Bezug auf die Unternehmensidentität anders zu behandeln sind als Einzelgewerbetreibende. Bei diesen können Gewinne und Verluste aus verschiedenen Gewerbebetrieben nicht miteinander verrechnet werden, weder im laufenden Jahr noch im Wege des Verlustvortrags. Zu beachten ist nämlich, dass die Personengesellschaft nur Steuerschuldner ist, sachlich gewerbesteuerpflichtig sind die Mitunternehmer (BFH, Urteil vom 3.2.2010 IV R 59/07, BFH/NV 2010, 1492). Deshalb ist die Frage der Unternehmensidentität für Einzelgewerbetreibende und Personengesellschaften gleich zu entscheiden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO, 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zu, ob bei einer gewerblich geprägten Personengesellschaft die Unternehmensidentität auch dann zu bejahen ist, wenn es sich in den verschiedenen Jahren um sachlich verschiedene Tätigkeiten handelt.