R&W Abo Buch Datenbank Veranstaltungen Betriebs-Berater
 
Steuerrecht
23.02.2012
Steuerrecht
FG Münster: Umsatzsteuerfreiheit der Lieferung von Geldspielautomaten

FG Münster, Urteil vom 24.11.2011 - 5 K 1385/07 U

Sachverhalt

Streitig ist die Zulässigkeit einer Vorsteuerberichtigung zu Gunsten der Klägerin (Klin.) anlässlich der Veräußerung von gebrauchten Geldspielautomaten.

Die Klin. betrieb in den Streitjahren 1998 bis 2002 in verschiedenen Orten gewerbliche Spielstätten. Am 08.12.1999 gab sie ihre Umsatzsteuererklärung für 1998 ab, der der Beklagte (Bekl.) am 19.01.2000 zustimmte; am 24.11.2000 gab sie ihre Umsatzsteuererklärung für 1999 ab, der der Bekl. am 18.12.2000 zustimmte; am 16.08.2001 gab sie ihre Umsatzsteuererklärung für 2000 ab, der der Bekl. am 31.08.2001 zustimmte. Den Vorbehalt der Nachprüfung (VdN) für die Umsatzsteuerfestsetzungen 1998 bis 2000 hob der Bekl. mit Bescheiden vom 15.04.2003 auf. Hiergegen legte die Klin. Einspruch ein. Den Umsatzsteuerjahreserklärungen für 2001 (eingereicht am 28.03.2003) und für 2002 (eingereicht am 12.11.2003) stimmte der Bekl. ebenfalls zu.

Die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten wurden in den zunächst von der Klin. abgegebenen Umsatzsteuerjahreserklärungen als steuerpflichtig behandelt; die auf den erworbenen Geräten lastende Vorsteuer wurde dementsprechend abgezogen. Nach Ergehen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in den Rechtssachen "Linneweber/Akritidis" (Entscheidung vom 17.02.2005, C-453/02, C-462/02, Slg 2005, I-1131-1166) beantragte die Klin. am 12.12.2005 die Änderung der Umsatzsteuerfestsetzungen der Streitjahre gem. § 164 Abs. 2 AO dergestalt, dass die Umsätze aus dem Betrieb von Geldspielgeräten von der Umsatzsteuer befreit und die auf diese Umsätze entfallenden Vorsteuern dementsprechend nicht abzugsfähig seien.

Das vorliegende Klageverfahren betrifft die umsatzsteuerlichen Verhältnisse bezüglich jener Geldspielgeräte, die die Klin. in den Jahren 1998 bis 2002 erworben und - nach teils nur wenigen Monaten der eigenen Nutzung - ebenfalls noch in den Jahren 1998 bis 2002 verkauft hatte. Die auf den Erwerb der Geräte angefallenen Vorsteuern hatte die Klin. entsprechend der damaligen Rechtsansicht zunächst als abzugsfähig behandelt. Der Verkauf dieser Geldspielgeräte war unter Ausweis von Umsatzsteuer erfolgt. In den am 12.12.2005 abgegebenen korrigierten Umsatzsteuerjahreserklärungen berücksichtigte die Klin. diesen Sachverhalt dergestalt, dass sie für den jeweiligen Verkaufszeitpunkt eine Vorsteuerberichtigung gem. § 15a des Umsatzsteuergesetzes in der in den Streitjahren geltenden Fassung (nachfolgend -UStG-) vornahm. Die Vorsteuerberichtigung wurde von der Klin. entsprechend der im Veräußerungszeitpunkt verbleibenden Nutzungsdauer unter Zugrundelegung einer Gesamtnutzungsdauer von fünf Jahren vorgenommen. Wegen der Einzelheiten der Ermittlung des Berichtigungsbetrag wird auf die Berechnung der Klin. und die vorgelegten Unterlagen verwiesen (s. Anlagen zum Schriftsatz der Klin. vom 27.05.2011, GA Bl. 55).

Im März/April 2006 fand eine Umsatzsteuersonderprüfung bei der Klin. statt. Der einzige nach Durchführung der Prüfung verbliebene Streitpunkt waren die hier streitgegenständlichen Vorsteuerberichtigungen. Die Prüferin war der Ansicht, dass der Verkauf der Geldspielgeräte gem. § 4 Nr. 28 UStG von der Umsatzsteuer befreit sei. Der Umsatzsteuerausweis in den Verkaufsrechnungen sei zu Unrecht erfolgt; eine Vorsteuerberichtigung könne daher nicht erfolgen. Die Vorsteuer aus den in den Streitjahren angeschafften Geldspielgeräten wurde von der Prüferin nicht berücksichtigt.

Am 09.05.2005 erließ der Bekl. geänderte Umsatzsteuerbescheide für 1998 bis 2002 unter Zugrundelegung der Feststellungen der Umsatzsteuersonderprüfung. Die hiergegen fristgemäß eingelegten Einsprüche wies der Bekl. mit Einspruchsentscheidung vom 01.03.2007 zurück. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs gem. § 15a UStG sei zu Recht abgelehnt worden, da auch die Veräußerungen der Geldspielgeräte von der Umsatzsteuer befreit seien. Dies folge zwar nicht unmittelbar aus § 4 Nr. 28 i.V.m. § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG. Jedoch sei insoweit die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern ("Richtlinie") anzuwenden. Hieraus ergebe sich die Umsatzsteuerfreiheit der Veräußerungen, so dass auch unter Berücksichtigung dieser Veräußerungen der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 UStG ausgeschlossen bleibe.

Mit der am 30.03.2007 erhobenen Klage wendet sich die Klin. weiterhin gegen die Nichtanerkennung der Vorsteuerberichtigungen durch den Bekl. Sie trägt vor, dass der Verkauf der Geldspielgeräte nicht nach § 4 Nr. 28 UStG als steuerfrei behandelt werden könne. Nach § 4 Nr. 28 UStG sei allein die Lieferung von Gegenständen, die ausschließlich für eine nach den Nummern 8 bis 27 umsatzsteuerfreie Tätigkeit verwendet werden, von der Umsatzsteuer befreit. Tatsächlich seien jedoch nach § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG nur Umsätze die unter das Rennwett- und Lotteriegesetz fielen, sowie die Umsätze der zugelassenen öffentlichen Spielbanken von der Umsatzsteuer befreit. Die von der Klin. erzielten Umsätze aus Geldspielgeräte fielen hingegen nicht unter die Befreiungsnorm des § 4 Nr. 9 Buchst. b UStG; vielmehr ergebe sich die Steuerfreiheit der Umsätze unmittelbar aus Art. 13 Teil B Buchst. f der Richtlinie. Diese Konstellation werde von § 4 Nr. 28 UStG nicht erfasst; die fehlende vollständige Umsetzung der Richtlinie dürfe sich in Hinsicht auf § 4 Nr. 28 UStG nicht zu Ungunsten der Klin. auswirken.

Die Klin. beantragt,

die Umsatzsteuerbescheide der Jahre 1998 bis 2002 vom 09.05.2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 01.03.2007 zu ändern und Vorsteuerberichtigungen der Klin. in folgender Höhe anzuerkennen:

1998 2.900,65 EUR

1999 4.906,40 EUR

2000 9.378,20 EUR

2001 12.481,63 EUR

2002 10.043,37 EUR

sowie, hilfsweise, die Revision zuzulassen.

Der Bekl. beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrags verweist der Bekl. auf seine Einspruchsentscheidung vom 01.03.2007.

Die Sache wurde am 24.11.2011 vor dem Senat mündlich verhandelt. Es wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.

Aus den Gründen

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bekl. hat die Vorsteuerberichtigungen zu Recht abgelehnt, da es nicht zu einer Änderung der für den Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse i.S. des § 15a UStG gekommen ist.

1. Ändern sich bei einem Wirtschaftsgut die Verhältnisse, die im Kalenderjahr der erstmaligen Verwendung für den Vorsteuerabzug maßgebend waren, innerhalb von fünf Jahren seit dem Beginn der Verwendung, so ist gem. § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG für jedes Kalenderjahr der Änderung ein Ausgleich durch eine Berichtigung des Abzugs der auf die Anschaffungs- oder Herstellungskosten entfallenden Vorsteuerbeträge vorzunehmen. Gem. § 15a Abs. 4 UStG liegt eine solche Änderung der Verhältnisse auch dann vor, wenn das noch verwendungsfähige Wirtschaftsgut vor Ablauf der Fünf-Jahres-Frist veräußert wird und dieser Umsatz anders zu beurteilen ist als die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebliche Verwendung.

Als Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 15a Abs. 1 Satz 1 UStG gilt auch die Änderung der Verhältnisse infolge einer Rechtsänderung, wozu insbesondere die Gesetzesänderung zählt (vgl. Offerhaus/Söhn/Lange, UStG, § 15a Rn. 50). Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs kann eine Änderung der Verhältnisse weiterhin dadurch eintreten, dass bei tatsächlich gleich bleibenden Verwendungsumsätzen die rechtliche Beurteilung, die der Gewährung des Vorsteuerabzugs im Abzugsjahr zugrunde lag, sich in einem der Folgejahre als unzutreffend erweist, wobei allerdings Voraussetzung ist, dass die Steuerfestsetzung für das Abzugsjahr bestandskräftig und un-abänderbar ist (vgl. BFH, Urteil vom 31.08.2007, V B 193/06, BFH/NV 2007, 2366; BFH, Urteil vom 05.02.1998, V R 66/94, BStBl II 1998, 361). Hieraus folgt, dass grundsätzlich auch die erstmalige Berufung des Steuerpflichtigen auf die höherrangige Regelung der Richtlinie, die durch das deutsche Umsatzsteuergesetz nicht zutreffend umgesetzt wurde, zu einer Änderung der Verhältnisse führen kann (vgl. FG Münster, Urteil vom 01.09.2010, 5 K 4385/06, EFG 2011, 590; FG Köln, Urteil vom 13.05.2009, 13 K 1501/07, EFG 2009, 1604; FG Nürnberg, Urteil vom 12.05.2009, II 262/2006, EFG 2009, 1688; Hessisches FG, Urteil vom 10.11.2009, 6 K 3110/06, Juris).

Ungeachtet dieser Erwägungen ist nach Ansicht des Senats im vorliegenden Fall keine zur Vorsteuerberichtigung berechtigende Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 UStG eingetreten.

Der vorliegende Fall ist durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass die Klin. sich hinsichtlich der Veräußerung der Geldspielgeräte gerade nicht auf die höherrangige Regelung der Richtlinie beruft. Die Klin. begehrt vielmehr, dass, nachdem Erwerb und Verwendung der Geldspielautomaten zunächst in unmittelbarer Anwendung der Regelungen der Richtlinie beurteilt wurden, die Veräußerung derselben Geldspielautomaten wiederum den von der Richtlinie abweichenden Regelungen des deutschen Umsatzsteuergesetzes unterworfen wird. Diese von der Klin. begehrte Rückkehr zur Anwendung des gegen höherrangiges EG-Recht verstoßenden deutschen Umsatzsteuergesetzes ist jedenfalls im vorliegenden Fall nicht möglich. Die Klin. handelt widersprüchlich, wenn sie hinsichtlich des Erwerbs und der Verwendung der Geldspielautomaten zunächst die unmittelbare Anwendung der Richtlinie verlangt, sie bezüglich der Veräußerung der Geldspielautomaten jedoch die die Richtlinie nicht vollständig umsetzende deutsche Regelung des § 4 Nr. 28 UStG angewendet wissen will.

Wenn die Regelungen der Richtlinie durch den deutschen Gesetzgeber nicht vollständig oder nicht zutreffend umgesetzt worden sind, ist es das Recht der Steuerpflichtigen, eine unmittelbare Anwendung des höherrangigen EU-Rechts nur dort zu verlangen, wo dieses für ihn günstiger ist, um sich ansonsten auf das für ihn günstigere nationale Umsatzsteuergesetz zu berufen (zu den weiteren Bedingungen der unmittelbaren Anwendung von Richtlinien z.B.: EuGH, Urteil vom 05.10.2004, C-397/01, Rechtssache "Pfeiffer u.a.", Slg,. 2004, S. I-08835, m.w.N.). Das den Steuerpflichtigen insoweit eingeräumte Wahlrecht zur unmittelbaren Anwendung der nicht zutreffend umgesetzten Richtlinie erlaubt es nach Auffassung des Senats jedoch nicht, dass ein einheitlicher Lebens- bzw. Regelungssachverhalt teils der Richtlinie und teils dem deutschen Umsatzsteuergesetz unterworfen werden soll. Das Wahlrecht ist für einen einheitlichen Sachverhalt auch einheitlich auszuüben.

Im vorliegenden Fall ist das Vorliegen eines solchen einheitlichen Sachverhaltes zu bejahen. Das FG Düsseldorf weist in seiner Entscheidung vom 26.10.2010 zutreffend darauf hin, dass es sich bei der Veräußerung von Geldspielautomaten durch die Betreiber von Spielhallen um ein Hilfsgeschäft handelt (FG Düsseldorf, Urteil vom 26.11.2010, 1 K 4104/08, StE 2011, 614). Für derartige Hilfsgeschäfte gilt sowohl nach der Richtlinie als auch nach der Regelung des deutschen Umsatzsteuergesetzes der Grundsatz, dass sich die umsatzsteuerliche Behandlung dieser Hilfsgeschäfte nach der Art und Weise der zuvor erfolgten Verwendung der veräußerten Gegenstände richtet. Dies folgt aus Art. 13 Teil B Buchst c) der Richtlinie, der anordnet, dass die Lieferung von Gegenständen, die ausschließlich für eine nach diesem Artikel von der Steuer befreite Tätigkeit bestimmt waren und für die kein Vorsteuerabzug vorgenommen werden konnte, ebenfalls umsatzsteuerfrei ist. Die umsatzsteuerliche Erfassung der Veräußerung des Gegenstandes ist somit unmittelbar an die umsatzsteuerliche Erfassung der vorherigen Nutzung des Gegenstandes gebunden. Ein Steuerpflichtiger, der sich auf die unmittelbare Anwendung des Art. 13 Teil B Buchst. f) der Richtlinie beruft - mit der Folge, dass die von ihm erzielten Geldspielumsätze als steuerfrei behandelt werden -, muss daher als Konsequenz auch die Annexregelung des Art. 13 Teil B Buchst. c) der Richtlinie gegen sich gelten lassen (so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 26.10.2010, aaO.). Dies gilt jedenfalls dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - sowohl die in unmittelbarer Anwendung der Richtlinie steuerfreien Geldspielumsätze als auch die Umsätze aus der Veräußerung der Geldspielgeräte innerhalb desselben Veranlagungszeitraums anfallen und aus der Verwendung derselben Geldspielgeräte herrühren.

2. Der Senat lässt dahingestellt, ob die Steuerfreiheit der Veräußerung der Geldspielautomaten im vorliegenden Fall allein aus der für den Steuerpflichtigen verpflichtenden Anwendung der Annexregelung des Art. 13 Teil B Buchst. c) der Richtlinie folgt (s.o., so auch FG Düsseldorf, Urteil vom 26.10.2010, aaO.) oder ob in der vorliegenden Konstellation auch eine entsprechende richtlinienkonforme Auslegung bzw. analoge Anwendung des § 4 Nr. 28 UStG in Betracht zu ziehen ist, so dass die Veräußerung der Geldspielautomaten durch die Klin. auch in unmittelbarer Anwendung des deutschen Umsatzsteuergesetzes als steuerfrei zu behandeln wäre (so Hessisches FG, Urteil vom 17.06.2011, 6 K 3678/06, EFG 2010, 1830; vgl. auch FG Münster, Urteil vom 01.09.2010, 5 K 4385/06, EFG 2011, 590). Denn nach beiden Auffassungen ist im vorliegenden Fall eine Änderung der Verhältnisse i.S. des § 15a UStG im Ergebnis nicht gegeben.

3. Die Revision ist nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zuzulassen, da die streiterheblichen Rechtsfragen noch nicht höchstrichterlich geklärt sind (Revisionsverfahren XI R 24/10 nach Urteil des Hessischen FG vom 17.06.2010, 6 K 3678/06, EFG 2010, 1830).

4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.

stats