EuGH: Umsatzsteuerbemessungsgrundlage bei Transaktionen zwischen verbundenen Unternehmen
EuGH, Urteil vom 26.4.2012 - C-621/10, 129/11, Balkan and Sea Properties, Provadinvest *
Tenor
1. Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass die darin aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind und dass nationale Rechtsvorschriften somit nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 dieser Richtlinie vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in dieser Bestimmung aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist, insbesondere wenn der Steuerpflichtige zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, was zu prüfen dem nationalen Gericht obliegt.
2. Unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren räumt Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 den betroffenen Gesellschaften das Recht ein, sich unmittelbar auf diese Vorschrift zu berufen, um sich der Anwendung nationaler Bestimmungen zu widersetzen, die mit ihr unvereinbar sind. Ist dem vorlegenden Gericht eine Auslegung des innerstaatlichen Rechts, die mit Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 im Einklang steht, nicht möglich, hat es alle Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, die Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112 zuwiderlaufen.
Aus den Gründen
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Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 80 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).
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Diese Ersuchen ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Balkan and Sea Properties ADSITS (im Folgenden: Balkan and Sea Properties) und dem Direktor na Direktsia „Obzhalvane i upravlenie na izpalnenieto" - Varna pri Tsentralno upravlenie na Natsionalnata agentsia za prihodite (Direktor der Direktion „Anfechtung und Verwaltung des Vollzugs" Varna bei der Zentralverwaltung der Nationalen Agentur für Einnahmen, im Folgenden: Direktor) sowie zwischen der Provadinvest OOD (im Folgenden: Provadinvest) und dem Direktor wegen Steuerprüfungsbescheiden, mit denen ihnen das Recht auf Vorsteuerabzug versagt wurde.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
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Aus dem dritten Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie geht hervor, dass „[im] Einklang mit dem Grundsatz besserer Rechtsetzung ... zur Gewährleistung der Klarheit und Wirtschaftlichkeit der Bestimmungen die Struktur und der Wortlaut der Richtlinie [77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)], neu gefasst werden [sollten]; dies sollte jedoch grundsätzlich nicht zu inhaltlichen Änderungen des geltenden Rechts führen ..."
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Nach dem 26. Erwägungsgrund dieser Richtlinie sollten die Mitgliedstaaten, „[u]m zu gewährleisten, dass die Einschaltung verbundener Personen zur Erzielung von Steuervorteilen nicht zu Steuerausfällen führt, ... die Möglichkeit haben, unter bestimmten, genau festgelegten Umständen hinsichtlich des Wertes von Lieferungen von Gegenständen, Dienstleistungen und innergemeinschaftlichen Erwerben von Gegenständen tätig zu werden".
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Art. 12 der Mehrwertsteuerrichtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten können Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Artikel 9 Absatz 1 Unterabsatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere einen der folgenden Umsätze bewirken:
a) Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt;
b) Lieferung von Baugrundstücken.
(2) Als ‚Gebäude‘ im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe a gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk.
Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung des in Absatz 1 Buchstabe a genannten Kriteriums des Erstbezugs auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff ‚dazugehöriger Grund und Boden‘ festlegen.
Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, wie etwa den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitraum zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten.
(3) Als ‚Baugrundstück‘ im Sinne des Absatzes 1 Buchstabe b gelten erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten."
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Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor, dass „[b]ei der Lieferung von Gegenständen und Dienstleistungen, die nicht unter die Artikel 74 bis 77 fallen, ... die Steuerbemessungsgrundlage alles [umfasst], was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistungserbringer für diese Umsätze vom Erwerber oder Dienstleistungsempfänger oder einem Dritten erhält oder erhalten soll, einschließlich der unmittelbar mit dem Preis dieser Umsätze zusammenhängenden Subventionen".
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Art. 80 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:
„(1) Zur Vorbeugung gegen Steuerhinterziehung oder -umgehung können die Mitgliedstaaten in jedem der folgenden Fälle Maßnahmen treffen, um sicherzustellen, dass die Steuerbemessungsgrundlage für die Lieferungen von Gegenständen oder für Dienstleistungen, an Empfänger, zu denen familiäre oder andere enge persönliche Bindungen, Bindungen aufgrund von Leitungsfunktionen oder Mitgliedschaften, sowie eigentumsrechtliche, finanzielle oder rechtliche Bindungen, gemäß der Definition des Mitgliedstaats, bestehen, der Normalwert ist:
a) sofern die Gegenleistung niedriger als der Normalwert ist und der Erwerber oder Dienstleistungsempfänger nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist;
b) sofern die Gegenleistung niedriger als der Normalwert ist, der Lieferer oder Dienstleistungserbringer nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist und der Umsatz einer Befreiung gemäß den Artikeln 132, 135, 136, 371, 375, 376, 377, des Artikels 378 Absatz 2, des Artikels 379 Absatz 2 sowie der Artikel 380 bis 390 unterliegt;
c) sofern die Gegenleistung höher als der Normalwert ist und der Lieferer oder Dienstleistungserbringer nicht zum vollen Vorsteuerabzug gemäß den Artikeln 167 bis 171 sowie 173 bis 177 berechtigt ist.
Für die Zwecke des Unterabsatzes 1 kann als rechtliche Bindung auch die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, der Familie des Arbeitnehmers oder anderen diesem nahe stehenden Personen, gelten.
(2) Machen die Mitgliedstaaten von der in Absatz 1 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, können sie festlegen, für welche Kategorien von Lieferern und Dienstleistungserbringern sowie von Erwerbern oder Dienstleistungsempfängern sie von diesen Maßnahmen Gebrauch machen.
(3) Die Mitgliedstaaten unterrichten den Mehrwertsteuerausschuss von nationalen Maßnahmen, die sie im Sinne des Absatzes 1 erlassen, sofern diese nicht Maßnahmen sind, die vom Rat vor dem 13. August 2006 gemäß Artikel 27 Absätze 1 bis 4 der Richtlinie 77/388/EWG genehmigt wurden und gemäß Absatz 1 des vorliegenden Artikels weitergeführt werden."
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Nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. j und k der Mehrwertsteuerrichtlinie befreien die Mitgliedstaaten folgende Umsätze von der Steuer:
„j) Lieferung von anderen Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden als den in Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe a genannten;
k) Lieferung unbebauter Grundstücke mit Ausnahme von Baugrundstücken im Sinne des Artikels 12 Absatz 1 Buchstabe b".
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Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie sieht vor:
„Die Mitgliedstaaten können vorbehaltlich der Gleichbehandlung der von Steuerpflichtigen bewirkten Inlandsumsätze und innergemeinschaftlichen Umsätze weitere Pflichten vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden, sofern diese Pflichten im Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten nicht zu Formalitäten beim Grenzübertritt führen.
Die Möglichkeit nach Absatz 1 darf nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den in Kapitel 3 genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen."
Nationales Recht
Art. 12 Abs. 1 des Gesetzes über die Mehrwertsteuer (Zakon za danak varhu dobavenata stoynost, DV Nr. 63 vom 4. August 2006, im Folgenden: ZDDS) lautet:
„Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen im Sinne der Art. 6 und 9, wenn sie von einem Steuerpflichtigen gemäß diesem Gesetz vorgenommen werden und der Leistungsort im Inland liegt, sowie von einem Steuerpflichtigen durchgeführte Umsätze, die dem Nullsatz unterliegen, stellen steuerbare Umsätze dar, sofern dieses Gesetz nichts anderes bestimmt."
Nach Art. 27 Abs. 3 Nr. 1 ZDDS ist die Steuerbemessungsgrundlage bei einer Lieferung zwischen verbundenen Personen der Normalwert.
Nach Art. 45 Abs. 1 ZDDS stellen „[d]ie Übertragung des Eigentumsrechts an einem Grundstück, die Begründung oder Übertragung beschränkter dinglicher Rechte an einem Grundstück sowie dessen Verpachtung oder Vermietung ... steuerbefreite Umsätze dar".
Gemäß Art. 45 Abs. 5 Nr. 2 ZDDS findet „Abs. 1 ... keine Anwendung auf die Übertragung von Eigentum oder anderen dinglichen Rechten sowie auf die Vermietung von Einrichtungen, Maschinen, Anlagen und Bauten, die mit dem Boden fest verbunden oder unterirdisch errichtet sind".
Nach Art. 67 Abs. 1 ZDDS wird „[d]ie Höhe der Steuer ... ermittelt, indem die Steuerbemessungsgrundlage mit dem Steuersatz multipliziert wird".
Nach Art. 70 Abs. 5 ZDDS besteht „[i]m Fall unrechtmäßig erhobener Steuer ... kein Recht auf Vorsteuerabzug".
Nach § 1 Nr. 3 der Zusatzbestimmungen zur Steuer- und Versicherungsverfahrensordnung (Danachno-osiguritelen protsesualen kodeks, DV Nr. 105 vom 29. Dezember 2005) sind „verbundene Personen":
„a) Ehegatten, Verwandte in gerader Linie, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad; Verschwägerte - bis zum zweiten Grad, und für die Zwecke des Art. 123 Abs. 1 Nr. 2 -, sofern sie in den gemeinsamen Haushalt aufgenommen worden sind;
b) Arbeitgeber und Arbeitnehmer;
c) Gesellschafter;
d) Personen, von denen die eine an der Geschäftsführung der anderen oder ihrer Tochtergesellschaft beteiligt ist;
e) Personen, in deren Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgan ein und dieselbe juristische oder natürliche Person Mitglied ist, und zwar auch dann, wenn die natürliche Person eine andere Person vertritt;
f) eine Gesellschaft und eine Person, die sich im Besitz von mehr als 5 % der mit Stimmrecht in der Gesellschaft ausgegebenen Anteile oder Aktien befindet;
g) Personen, von denen die eine die Kontrolle über die andere ausübt;
h) Personen, deren Tätigkeit von einer dritten Person oder deren Tochtergesellschaft kontrolliert wird;
i) Personen, die gemeinsam eine dritte Person oder deren Tochtergesellschaft kontrollieren;
j) Personen, von denen die eine Handelsvertreter der anderen ist;
k) Personen, von denen die eine der anderen eine Schenkung gemacht hat;
l) Personen, die unmittelbar oder mittelbar an der Geschäftsführung, der Aufsicht oder dem Kapital einer anderen Person oder anderer Personen beteiligt sind, weshalb zwischen ihnen Bedingungen vereinbart werden können, die von den üblichen Bedingungen abweichen."
Nach § 1 Nr. 4 dieser Zusatzbestimmungen ist eine „Kontrolle" gegeben, wenn der Kontrollierende:
„a) unmittelbar oder mittelbar oder aufgrund einer Vereinbarung mit einer anderen Person über mehr als die Hälfte der Stimmen in der Hauptversammlung einer anderen Person verfügt oder
b) über die Möglichkeit verfügt, unmittelbar oder mittelbar mehr als die Hälfte der Mitglieder des Geschäftsführungs- oder Aufsichtsorgans einer anderen Person zu bestimmen, oder
c) über die Möglichkeit verfügt, aufgrund einer Satzung oder eines Vertrags die Tätigkeit einer anderen Person zu leiten, und zwar auch durch eine oder zusammen mit einer Tochtergesellschaft, oder
d) als Anteilseigner oder Gesellschafter einer Gesellschaft aufgrund eines Geschäfts mit anderen Gesellschaftern oder Anteilseignern dieser Gesellschaft selbständig mehr als die Hälfte der Anzahl der Stimmen in der Hauptversammlung der Gesellschaft kontrolliert oder
e) auf andere Weise bestimmenden Einfluss auf die Beschlussfassung über die Tätigkeit der Gesellschaft ausüben kann."
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C‑621/10
Balkan and Sea Properties ist eine Aktiengesellschaft, die eine Tätigkeit der Anlage von Geldmitteln ausübt, die sie durch die Ausgabe von Wertpapieren für Immobilien einwirbt.
Mit notariellen Urkunden erwarb Balkan and Sea Properties im März 2009 von der Gesellschaft Ravda tur Immobilien zu einem Preis von insgesamt 21 318 852 BGN. Eigentümerin von Ravda tur ist die Holding Varna AD, die 27,98 % des Kapitals von Balkan and Sea Properties hält.
Der Vorsteuerabzug wurde bei Abschluss des endgültigen Vertrags und Ausstellung der Schlussrechnungen vorgenommen.
Da nach den nationalen Rechtsvorschriften die Steuerbemessungsgrundlage bei einer Veräußerung zwischen verbundenen Personen dem Normalwert entspricht, wurden zwei Gutachten in Auftrag gegeben, eines von Balkan and Sea Properties und eines von den Dienststellen der Steuerverwaltung. Letzteres ergab einen Normalwert der Immobilien, der niedriger war als ihr tatsächlicher Kaufpreis und mit 21 216 300 BGN veranschlagt wurde.
Die Steuerverwaltung war daher der Auffassung, dass die Erhebung der Mehrwertsteuer auf einen höheren Wert als den Normalwert der Immobilien eine unrechtmäßig erhobene Steuer darstelle, die nicht in Abzug gebracht werden könne, und dass Balkan and Sea Properties für den Besteuerungszeitraum Juli 2009 kein Recht auf Abzug der Vorsteuer auf den Differenzbetrag zwischen dem Normalwert und dem tatsächlichen Kaufpreis der fraglichen Immobilien zugestanden habe.
Der Steuerprüfungsbescheid wurde auf dem Verwaltungsweg beim Direktor angefochten. Dieser bestätigte die Versagung des Vorsteuerabzugs.
Balkan and Sea Properties erhob Klage beim Administrativen sad Varna (Verwaltungsgericht Varna).
Sie trägt u. a. vor, die Bestimmungen des ZDDS stünden nicht im Einklang mit Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, und beantragt, diese Bestimmung des Unionsrechts unmittelbar anzuwenden.
Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Varna beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass bei Lieferungen zwischen verbundenen Personen, sofern die Gegenleistung höher ist als der Normalwert, die Steuerbemessungsgrundlage nur dann der Normalwert des Vorgangs ist, wenn der Lieferer nicht zum vollen Abzug der Vorsteuer berechtigt ist, die auf den Kauf bzw. die Herstellung der den Liefergegenstand bildenden Gegenstände entfällt?
2. Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, wenn der Lieferer das Recht auf vollen Abzug der Vorsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen, die Gegenstand nachfolgender Lieferungen zwischen verbundenen Personen mit einem höheren Wert als dem Normalwert sind, ausgeübt hat und dieses Recht auf Vorsteuerabzug nicht gemäß den Art. 173 bis 177 der Richtlinie berichtigt worden ist, keine Maßnahmen vorsehen darf, wonach als Steuerbemessungsgrundlage ausschließlich der Normalwert festgelegt ist?
3. Sind in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie abschließend die Fälle aufgezählt, die die Voraussetzungen bilden, bei deren Vorliegen der Mitgliedstaat Maßnahmen treffen darf, wonach die Steuerbemessungsgrundlage bei Lieferungen der Normalwert des Vorgangs ist?
4. Ist eine nationale rechtliche Regelung wie die in Art. 27 Abs. 3 Nr. 1 ZDDS unter anderen als den in Art. 80 Abs. 1 Buchst. a, b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgezählten Umständen zulässig?
5. Hat in einem Fall wie dem vorliegenden die Bestimmung des Art. 80 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung, und darf das innerstaatliche Gericht sie unmittelbar anwenden?
Rechtssache C‑129/11
Provadinvest ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, deren Tätigkeit im Wesentlichen in der Verpachtung landwirtschaftlicher Grundstücke und in der Vermietung von Stahlkonstruktionen für Gewächshäuser mit Polyethylenfolienabdeckung besteht.
Mit notariellen Urkunden verkaufte Provadinvest im Juni 2009 zwei zum Betrieb von Gewächshäusern genutzte Grundstücke an eine ihrer Gesellschafterinnen und ein Grundstück an ihren Geschäftsführer. Die Grundstücke wurden samt den darauf errichteten Konstruktionen mit Polyethylenfolienabdeckung und allen darauf befindlichen Verbesserungen und Dauerkulturen zum Preis von jeweils 25 000 BGN verkauft.
Provadinvest stellte für diese Verkäufe Rechnungen ohne Mehrwertsteuer aus.
Die Steuerverwaltung war der Ansicht, dass die getätigten Immobilienverkäufe eine steuerbefreite Lieferung von Grundstücken, aber auch eine steuerbare Lieferung von Zubehör, Verbesserungen und Dauerkulturen umfassten.
Da es sich bei den in Rede stehenden Veräußerungen um Veräußerungen zwischen verbundenen Personen handelte, war die Steuerbemessungsgrundlage für die Zwecke der Mehrwertsteuer nach den nationalen Rechtsvorschriften der von einem Sachverständigen ermittelte Normalwert. Der Sachverständige veranschlagte allein für die auf den drei Grundstücken befindlichen Konstruktionen mit Polyethylenfolienabdeckung einen gemeinen Wert von insgesamt 392 700 BGN, d. h. einen höheren Betrag als den tatsächlich als Gegenleistung gezahlten.
Die Steuerverwaltung erließ einen Steuerprüfungsbescheid für den Besteuerungszeitraum Juni 2009. Dieser wurde auf dem Verwaltungsweg beim Direktor angefochten, der den zulasten von Provadinvest festgesetzten Mehrwertsteuerbetrag bestätigte.
Provadinvest erhob Klage beim Administrativen sad Varna.
Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts stellt die Veräußerung der landwirtschaftlichen Grundstücke eine steuerbefreite Lieferung gemäß Art. 45 Abs. 1 ZDDS und die Veräußerung der auf diesen Grundstücken errichteten Anlagen eine steuerbare Lieferung dar, da diese Anlagen unter die in Art. 45 Abs. 5 Nr. 2 ZDDS genannten Ausnahmen fielen.
Vor diesem Hintergrund hat der Administrativen sad Varna beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. a und b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass bei Lieferungen zwischen verbundenen Personen, sofern die Gegenleistung niedriger ist als der Normalwert, die Steuerbemessungsgrundlage nur dann der Normalwert des Vorgangs ist, wenn der Lieferer oder der Erwerber nicht zum vollen Abzug der Vorsteuer berechtigt ist, die auf den Kauf bzw. die Herstellung der den Liefergegenstand bildenden Gegenstände entfällt?
2. Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. a und b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, wenn der Lieferer das Recht auf vollen Abzug der Vorsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen, die Gegenstand nachfolgender Lieferungen zwischen verbundenen Personen mit einem niedrigeren Wert als dem Normalwert sind, ausgeübt hat und dieses Recht auf Vorsteuerabzug nicht gemäß den Art. 173 bis 177 der Mehrwertsteuerrichtlinie berichtigt worden ist und die Lieferungen keiner Steuerbefreiung im Sinne der Art. 132, 135, 136, 371, 375, 376, 377, 378 Abs. 2, 379 Abs. 2 sowie 380 bis 390 der Mehrwertsteuerrichtlinie unterliegen, keine Maßnahmen vorsehen darf, wonach als Steuerbemessungsgrundlage ausschließlich der Normalwert festgelegt ist?
3. Ist Art. 80 Abs. 1 Buchst. a und b der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen, dass der Mitgliedstaat, wenn der Erwerber das Recht auf vollen Abzug der Vorsteuer auf Gegenstände und Dienstleistungen, die Gegenstand von Lieferungen zwischen verbundenen Personen mit einem niedrigeren Wert als dem Normalwert sind, ausgeübt hat und dieses Recht auf Vorsteuerabzug nicht gemäß den Art. 173 bis 177 der Mehrwertsteuerrichtlinie berichtigt worden ist, keine Maßnahmen vorsehen darf, wonach als Steuerbemessungsgrundlage ausschließlich der Normalwert festgelegt ist?
4. Sind in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie abschließend die Fälle aufgezählt, die die Voraussetzungen bilden, bei deren Vorliegen der Mitgliedstaat Maßnahmen treffen darf, wonach die Steuerbemessungsgrundlage bei Lieferungen der Normalwert des Vorgangs ist?
5. Ist eine nationale rechtliche Regelung wie die in Art. 27 Abs. 3 Nr. 1 ZDDS unter anderen als den in Art. 80 Abs. 1 Buchst. a, b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgezählten Umständen zulässig?
6. Hat in einem Fall wie dem vorliegenden die Bestimmung des Art. 80 Abs. 1 Buchst. a und b der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung, und darf das innerstaatliche Gericht sie unmittelbar anwenden?
Durch Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 13. Juli 2011 sind die Rechtssachen C‑621/10 und C‑129/11 zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
Zu den Vorlagefragen
Einleitende Bemerkungen
In der Rechtssache C‑129/11 ist es nach Ansicht des vorlegenden Gerichts für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Steuerprüfungsbescheids, der Gegenstand des Ausgangsverfahrens ist, erforderlich, neben dem geschuldeten Steuerbetrag auch zu ermitteln, ob die Voraussetzungen erfüllt sind, um auf die Veräußerung landwirtschaftlicher Grundstücke und der darauf errichteten Anlagen Mehrwertsteuer zu erheben.
Zu diesem Zweck wäre zu prüfen, ob die im vorliegenden Fall in Rede stehenden Lieferungen der Konstruktionen, d. h. der Gewächshäuser mit Polyethylenfolienabdeckung, und des dazugehörigen Grund und Bodens nach Art. 135 der Mehrwertsteuerrichtlinie steuerbefreit sind. Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob diese Konstruktionen als „Gebäude" im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden können.
Wird dies bejaht, handelt es sich, wenn die Lieferungen der genannten Gegenstände als vor dem Erstbezug erfolgt angesehen werden können, um einen steuerbaren Umsatz. Wenn dies hingegen nicht der Fall ist, ist der Umsatz gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. j der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer zu befreien, vorbehaltlich des gegebenenfalls bestehenden Rechts, sich für eine Besteuerung zu entscheiden.
Können die Konstruktionen und der dazugehörige Grund und Boden nicht als „Gebäude" im Sinne von Art. 12 Abs. 2 Unterabs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie eingestuft werden, ist danach zu unterscheiden, ob es sich um getrennte Lieferungen von Grundstücken und anderen Bestandteilen oder um einen einheitlichen Umsatz handelt, der hauptsächlich in der Lieferung von Grundstücken besteht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. November 2009, Don Bosco Onroerend Goed, C‑461/08, Slg. 2009, I‑11079, Randnrn. 35 bis 38). Außerdem müsste geprüft werden, ob die fraglichen Grundstücke unter den Begriff „Baugrundstück" im Sinne von Art. 12 Abs. 3 der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen. Wenn ja, wären die Lieferungen steuerbar. Wenn nicht, wären die Lieferungen gemäß Art. 135 Abs. 1 Buchst. k der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Steuer befreit, vorbehaltlich des gegebenenfalls bestehenden Rechts, sich für eine Besteuerung zu entscheiden.
Für die Beurteilung solcher den Sachverhalt betreffenden Fragen ist im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV das vorlegende Gericht zuständig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. März 1978, Oehlschläger, 104/77, Slg. 1978, 791, Randnr. 4, vom 2. Juni 1994, AC-ATEL Electronics Vertriebs, C‑30/93, Slg. 1994, I‑2305, Randnrn. 16 und 17, und vom 22. Juni 2000, Fornasar u. a., C‑318/98, Slg. 2000, I‑4785, Randnrn. 31 und 32).
Zu der ersten bis vierten Frage in der Rechtssache C‑621/10 und zur ersten bis fünften Frage in der Rechtssache C‑129/11
Mit diesen Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die darin aufgestellten Voraussetzungen erschöpfend sind, oder ob es auch in anderen als den in dieser Bestimmung ausdrücklich vorgesehenen Fällen zulässig ist, den Normalwert als Steuerbemessungsgrundlage für den Umsatz zwischen verbundenen Personen zugrunde zu legen, insbesondere wenn der Steuerpflichtige zum vollen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt ist.
Nach der in Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten allgemeinen Regel ist die Besteuerungsgrundlage für die Lieferung eines Gegenstands oder die Erbringung einer Dienstleistung die tatsächlich dafür erhaltene Gegenleistung. Diese Gegenleistung stellt den subjektiven, nämlich tatsächlich erhaltenen Wert und nicht einen nach objektiven Kriterien geschätzten Wert dar (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Februar 1981, Coöperatieve Aardappelenbewaarplaats, 154/80, Slg. 1981, 445, Randnr. 13, vom 20. Januar 2005, Hotel Scandic Gåsabäck, C‑412/03, Slg. 2005, I‑743, Randnr. 21, und vom 9. Juni 2011, Campsa Estaciones de Servicio, C‑285/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 28).
Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie ist Ausdruck eines fundamentalen Grundsatzes, aus dem folgt, dass die Steuerverwaltung als Mehrwertsteuer keinen Betrag erheben darf, der den dem Steuerpflichtigen gezahlten übersteigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 1997, Goldsmiths, C‑330/95, Slg. 1997, I‑3801, Randnr. 15).
Indem Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie es in bestimmten Fällen erlaubt, den Normalwert des Umsatzes als Steuerbemessungsgrundlage anzusehen, begründet er eine Ausnahme von der allgemeinen Regel des Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie, die als solche eng auszulegen ist (vgl. Urteile vom 21. Juni 2007, Ludwig, C‑453/05, Slg. 2007, I‑5083, Randnr. 21, und vom 3. März 2011, Kommission/Niederlande, C‑41/09, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Nach dem Wortlaut des 26. Erwägungsgrundes der Mehrwertsteuerrichtlinie soll mit deren Art. 80 Abs. 1 der Steuerhinterziehung oder -umgehung vorgebeugt werden.
Wie die Generalanwältin in Nr. 30 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, kann jedoch, wenn die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen zu einem künstlich niedrigen oder hohen Preis erfolgt, der zwischen Beteiligten vereinbart wird, die beide zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt sind, auf dieser Stufe keine Steuerhinterziehung oder -umgehung stattfinden. Erst beim Endverbraucher oder bei einem eine „Mischung" von Umsätzen bewirkenden Steuerpflichtigen, der nur zu einem Pro-Rata-Abzug berechtigt ist, kann ein künstlich hoher oder niedriger Preis zu einem Steuerausfall führen.
Nur wenn die von dem Vorgang betroffene Person nicht zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, besteht daher ein Risiko von Steuerhinterziehung oder -umgehung, dem die Mitgliedstaaten nach Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorbeugen dürfen.
Diese Feststellung berührt nicht die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, andere Verpflichtungen vorzusehen, um Steuerhinterziehung auf der Grundlage und unter Beachtung der in Art. 273 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Voraussetzungen zu verhindern.
Diese Auslegung wird gestützt durch den Wortlaut von Art. 11 Teil A Abs. 6 der Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69/EG des Rates vom 24. Juli 2006 (ABl. L 221, S. 9) geänderten Fassung, deren Bestimmungen im Wesentlichen in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie übernommen wurden (vgl. dritter Erwägungsgrund der Mehrwertsteuerrichtlinie), wonach der Anwendungsbereich der vorgesehenen Ausnahme „auf folgende Fälle beschränkt [ist]".
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind und dass nationale Rechtsvorschriften daher nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in dieser Bestimmung aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist, insbesondere wenn der Dienstleistungserbringer, der Lieferer oder der Erwerber zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Daher ist auf die erste bis vierte Frage in der Rechtssache C‑621/10 und auf die erste bis fünfte Frage in der Rechtssache C‑129/11 zu antworten, dass Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass die darin aufgestellten Anwendungsvoraussetzungen erschöpfend sind und dass nationale Rechtsvorschriften somit nicht auf der Grundlage von Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorsehen können, dass die Steuerbemessungsgrundlage in anderen als den in dieser Bestimmung aufgezählten Fällen der Normalwert des Umsatzes ist, insbesondere wenn der Steuerpflichtige zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt ist, was zu prüfen dem nationalen Gericht obliegt.
Zur fünften Frage in der Rechtssache C‑621/10 und zur sechsten Frage in der Rechtssache C‑129/11
Mit diesen Fragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie unmittelbare Wirkung hat und ob das nationale Gericht daher diese Bestimmung auf die Ausgangsverfahren unmittelbar anwenden darf.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, eine innerstaatliche Vorschrift unter voller Ausschöpfung des Beurteilungsspielraums, den ihm das nationale Recht einräumt, in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen und anzuwenden und, wenn eine solche konforme Anwendung nicht möglich ist, Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, die diesen Anforderungen widersprechen, unangewendet zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 18. Dezember 2007, Frigerio Luigi & C., C‑357/06, Slg. 2007, I‑12311, Randnr. 28, und vom 10. Juni 2010, Bruno u. a., C‑395/08 und C‑396/08, Slg. 2010, I‑5119, Randnr. 74).
Wie in den Randnrn. 42 bis 51 des vorliegenden Urteils festgestellt, erlaubt es Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie nur in den dort aufgezählten Fällen, von der allgemeinen Regel des Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie abzuweichen.
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs kann sich der Einzelne in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, vor den nationalen Gerichten gegenüber dem Staat auf diese Bestimmungen berufen, wenn der Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat (vgl. Urteile vom 17. Juli 2008, Flughafen Köln/Bonn, C‑226/07, Slg. 2008, I‑5999, Randnr. 23, und vom 3. März 2011, Auto Nikolovi, C‑203/10, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 61).
Aus der Rechtsprechung ergibt sich außerdem, dass der Umstand, dass eine Richtlinienbestimmung den Mitgliedstaaten eine Wahlmöglichkeit eröffnet, nicht zwangsläufig ausschließt, dass sich der Inhalt der Rechte des Einzelnen bereits aufgrund der Richtlinie mit hinreichender Genauigkeit bestimmen lässt (vgl. Urteile Flughafen Köln/Bonn, Randnr. 30, und vom 12. Februar 2009, Cobelfret, C‑138/07, Slg. 2009, I‑731, Randnr. 61).
Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie stellt eindeutig und erschöpfend die Voraussetzungen auf, die zu erfüllen sind, damit ein Mitgliedstaat in seinen Rechtsvorschriften die Möglichkeit vorsehen kann, die Steuerbemessungsgrundlage eines Umsatzes zwischen verbundenen Personen zu korrigieren.
Entsprechen die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze, die unter Art. 27 Abs. 3 ZDDS fallen, einem der in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Fälle, ist somit davon auszugehen, dass der betreffende Mitgliedstaat von der in Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch gemacht hat.
Wenn diese Umsätze hingegen nicht denjenigen entsprechen, die von Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie erfasst sind, ist diese Vorschrift dahin auszulegen, dass sie Gesellschaften wie den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens das Recht einräumt, sich unmittelbar auf sie zu berufen, um sich der Anwendung von Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts zu widersetzen, die ihr zuwiderlaufen (vgl. entsprechend Urteil Flughafen Köln/Bonn, Randnr. 33). In diesem Fall müsste das nationale Gericht, wenn sich herausstellt, dass eine Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des ZDDS, die mit Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang steht, unmöglich ist, diese Bestimmungen unangewendet lassen, soweit sie mit Art. 80 Abs. 1 dieser Richtlinie unvereinbar sind.
Daraus ergäbe sich, dass Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie Anwendung fände, wonach, vorbehaltlich der nach dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen, die tatsächlich erlangte Gegenleistung die Steuerbemessungsgrundlage der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umsätze bildet. Wie der Gerichtshof zu Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388 in der durch die Richtlinie 2006/69 geänderten Fassung, jetzt Art. 73 der Mehrwertsteuerrichtlinie, entschieden hat, hat diese Vorschrift unmittelbare Wirkung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Juli 1995, BP Soupergaz, C‑62/93, Slg. 1995, I‑1883, Randnrn. 34 bis 36, und vom 11. Juli 2002, Marks & Spencer, C‑62/00, Slg. 2002, I‑6325, Randnr. 47).
Auf die fünfte Frage in der Rechtssache C‑621/10 und auf die sechste Frage in der Rechtssache C‑129/11 ist daher zu antworten, dass Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie den betroffenen Gesellschaften unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren das Recht einräumt, sich unmittelbar auf diese Vorschrift zu berufen, um sich der Anwendung nationaler Bestimmungen zu widersetzen, die mit ihr unvereinbar sind. Ist dem vorlegenden Gericht eine Auslegung des innerstaatlichen Rechts, die mit Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie im Einklang steht, nicht möglich, hat es alle Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts unangewendet zu lassen, die Art. 80 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie zuwiderlaufen.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
* Verfahrenssprache: Bulgarisch