FG Münster: Umsatzsteuer -Bemessungsgrundlage für Abgabe von Mittagessen an Arbeitnehmer
FG Münster, Gerichtsbescheid vom 5.8.2013 - 5 K 3191/10 U
Sachverhalt
Streitig ist die Bemessungsgrundlage für die Abgabe von Essen an Arbeitnehmer in einer in den Räumlichkeiten des Arbeitgebers betriebenen Kantine.
Die Klägerin (Klin.) ist umsatzsteuerliche Organträgerin der T GmbH (T-GmbH).
Bis zum 30.06.2006 bot die T-GmbH die Mittagsmahlzeiten für ihre Arbeitnehmer in ihren Betriebsräumlichkeiten über ein Catering-Unternehmen an. Mit Wirkung zum 01.07.2006 beauftragte die T-GmbH Herrn N N (N ) mit der Bewirtschaftung der Kantine. Hierzu schlossen die T-GmbH und N unter dem 03.07./04.07.2006 einen Dienstleistungs- und Bewirtschaftungsvertrag. In dem Vertrag lautete es wie folgt:
„§ 1 Vertragsgegenstand
Der Auftragnehmer verpflichtet sich, für den Auftraggeber folgende Leistungen selbstständig zu erbringen:
- Bewirtschaftung des Betriebsrestaurants mit Mittagsverpflegung
- Bewirtschaftung des [...]
- Bewirtschaftung der [...]
- Konferenzservice
- Sonderveranstaltungen
- Barverkauf von Getränken, Snacks und Speisen etc.
Der Auftraggeber stellt dem Auftragnehmer kostenfrei alle zur Erbringung seiner Leistung erforderlichen Räumlichkeiten, Küchengerätschaften sowie Nahrungsmittel und Getränke zur Verfügung, näheres wird nachstehend geregelt.
§ 2 Dienstleistungsumfang
§ 2.1 Aufgaben
Der Auftragnehmer übernimmt eigenständig und eigenverantwortlich folgende Aufgaben: ...
§ 3.1 Personal
Der Auftragnehmer stellt das für die Ausführung seiner Leistung erforderliche Personal im eigenen Namen ein. ...
Die vom Auftragnehmer eingesetzten Mitarbeiter haben sich gemäß den Vorgaben der Betriebsordnung der T-GmbH zu verhalten. ...
§ 4 Materialversorgung
Der Auftragnehmer sorgt eigenverantwortlich für die Versorgung der Küche sowie des [...] mit dem jeweils benötigten Material. ... Der Auftragnehmer kauft dieses Material im Namen und auf Rechnung der T-GmbH.
§ 5 Räumlichkeiten
§ 5.1 Überlassung der Räumlichkeiten und des Inventars
Der Auftraggeber stellt dem Auftragnehmer für die Erbringung seiner Leistung unentgeltlich die Hauptküche, die Gästeküche, [...], den Speiseraum sowie die Nebenräume gemäß beigefügter Bauskizze zur Verfügung.
Weiter stellt der Auftraggeber alle in den vorgenannten Räumen befindlichen Kücheneinrichtungen nebst mobilem Inventar dem Auftragnehmer kostenlos zur Durchführung seiner Dienstleistung zur Verfügung. ...
§ 7 Vergütung
Der Auftraggeber zahlt dem Auftragnehmer für alle in diesem Vertrag beschriebenen Dienstleistungen einen Pauschalbetrag in Höhe von monatlich 12.500 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer. ...
Mit der oben genannten Pauschale sind alle Ansprüche des Auftragnehmers gegenüber dem Auftraggeber abgegolten. ..."
Wegen der Einzelheiten wird auf den Dienstleistungs- und Bewirtschaftungsvertrag vom 03.07./04.07.2006 Bezug genommen.
Für den Zeitraum vom 01.07.2006 bis zum 31.08.2007 verkaufte die T-GmbH zeitlich unbegrenzt gültige Essensmarken an die Arbeitnehmer für jeweils 2,60 EUR und ab dem 01.09.2007 für jeweils 3,00 EUR. An die Arbeitnehmer der T-GmbH wurden im 2. Halbjahr 2006 insgesamt 7.887 und in 2007 insgesamt 16.108 Mittagessen ausgegeben. Hierfür wurden von den Arbeitnehmern Beträge von insgesamt 17.761,12 EUR netto im 2. Halbjahr 2006 und 35.762,94 EUR netto in 2007 (Gerichtsakte Blatt 99, Bp-Handakte Blatt 4) aufgewendet. Der T-GmbH sind für die Essensausgabe an ihre Mitarbeiter Ausgaben in Höhe von insgesamt 97.981,53 EUR im 2. Halbjahr 2006 bzw. 206.156,38 EUR in 2007 entstanden (Gerichtsakte, Blatt 99).
In ihren USt-Erklärungen erklärte die Klin. das von den Arbeitnehmern entrichtete Entgelt als umsatzsteuerpflichtiges Entgelt. Für 2006 meldete die Klin. eine USt in Höhe von insgesamt 9.934.610,00 EUR und für 2007 eine USt in Höhe von insgesamt 13.929.789,72 EUR an.
Bei der T-GmbH fand in 2009 eine Lohnsteueraußenprüfung statt. Der Prüfer stellte in seinem Bericht vom 10.11.2009 u.a. wie folgt fest (Tz. 6 des Berichts): Bei der Kantine der T-GmbH handele es sich um eine nicht selbst betriebene Kantine. Eine selbst betriebene, mithin unternehmenseigene Kantine sei nur dann anzunehmen, wenn der Unternehmer die Mahlzeiten entweder selbst herstelle oder die Mahlzeiten vor der Abgabe an die Arbeitnehmer mehr als nur geringfügig be- oder verarbeite bzw. aufbereite oder ergänze (Abschn. 12 Abs. 10 Umsatzsteuerrichtlinien - UStR 2005). Dies sei hier nicht der Fall. Da N ausschließlich einen Zahlungsanspruch gegenüber der T-GmbH habe, würden Leistungsaustauschverhältnisse zwischen N und der T-GmbH sowie zwischen der T-GmbH und den Arbeitnehmern bestehen. Für die Bemessungsgrundlage der Leistungen der T-GmbH an die Arbeitnehmer sei die Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 i.V.m. Abs. 4 Nr. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) maßgebend, weil sich das von den Arbeitnehmern entrichtete Entgelt als nicht kostendeckend darstelle. Die von der T-GmbH für die Mahlzeitengewährung an die Arbeitnehmer sämtlich aufgewendeten Kosten würden sich aus der monatlichen Dienstleistungspauschale i.H.v. 12.500 EUR und aus den Wareneinkäufen zusammensetzen. Für die auf die Gästebewirtung entfallenden Kosten sei ein Abschlag zu gewähren. Der Anteil der Gästeessen an der Gesamtmenge der ausgegebenen Mahlzeiten liege bei 6,6 %. Da die Herstellung der Gästeessen kostenintensiver sei, werde der Abschlag einvernehmlich mit der T-GmbH auf 10 % erhöht. Der Prüfer errechnete für den Zeitraum ab dem 01.07.2006 Mehrumsätze in Höhe von 83.952,00 EUR zzgl. 13.433,00 EUR USt (2006) und 158.110,00 EUR zzgl. 30.040,00 EUR USt (2007). Für die Ermittlung der Selbstkosten der T-GmbH, die der Prüfer noch mit 109.563,26 EUR (2. Halbjahr 2006) und 212.142,08 EUR (2007) berechnete, und die Berechnung der sich bezüglich der Mittagessenausgabe ergebenden Mehrumsätze wird auf Anlage 3 des Berichts der Lohnsteueraußenprüfung vom 10.11.2009 Bezug genommen.
Hierauf erließ der Beklagte (Bekl.) am 02.12.2009 gemäß § 164 Abs. 2 Abgabenordnung (AO) geänderte USt-Bescheide 2006 und 2007, mit denen er die USt auf xxx EUR (2006) und xxx EUR festsetzte.
Die hiergegen gerichteten Einsprüche begründete die Klin. wie folgt: Es liege keine durch N fremdbewirtschaftete, sondern eine betriebseigene Kantine vor mit der Folge, dass als Bemessungsgrundlage für die umsatzsteuerpflichtigen Essenslieferungen nur das von den Arbeitnehmern gezahlte Entgelt angesetzt werden dürfe. Der einzige Unterschied zwischen einer betriebseigenen Kantine im Sinne der UStR und der Kantine der T-GmbH würde darin liegen, dass es sich bei dem in der Kantine der T-GmbH tätigen Personal nicht um Arbeitnehmer der T-GmbH handele, sondern dieses Personal mit monatlich gleichbleibenden Bezügen von N entlohnt werde. Dies reiche aber nicht aus, um eine fremdbewirtschaftete Kantine annehmen zu können. Die in Abschn. 12 Abs. 12 UStR 2005 aufgeführten Beispiele für eine fremdbewirtschaftete Kantine seien mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Die T-GmbH zahle keinen Zuschuss zum Essenspreis. Sie rechne auch nicht mit N über die ausgegebenen Essen ab. Die Arbeitnehmer würden die Speisen nicht bei N einkaufen, sondern würden die Essensmarken von der T-GmbH erwerben und sie dann in der Kantine gegen Mahlzeiten einlösen. Für die Behandlung als betriebseigene Kantine würden auch folgende Gründe sprechen:
1 Für einen fremden Dritten sei nicht erkennbar, dass die Kantine durch N betrieben werde und das Küchenpersonal Arbeitnehmer von N sei.
2 N zahle keine Miete. Die T-GmbH trage alle Kosten wie Strom, Heizung, Reinigung.
3 Die T-GmbH stelle sämtliche Kücheneinrichtungen zur Verfügung und trage die Instandhaltungskosten.
4 Der Wareneinkauf erfolge ausschließlich auf Rechnung der T-GmbH.
5 Die T-GmbH trage das Risiko des Kantinenbetriebs (z. B. verderbliche Ware).
6 Für die Arbeitnehmer des N gelte die Betriebsordnung der T-GmbH.
7 Die T-GmbH trage die Reinigungskosten für die Arbeitskleidung des Küchenpersonals.
Der Sachverhalt unterscheide sich zudem von dem Urteilsfall des FG Köln vom 31.05.2001, 5 K 6962/99, juris. Im dortigen Fall habe der Fremdbewirtschafter den Wareneinkauf auf eigene Rechnung tätigen müssen und auch eine variable Kostenvergütung in Höhe von 10 % der Erlöse bzw. eine Mindestvergütung i.H.v. 15.000 DM erhalten und damit zumindest teilweise ein wirtschaftliches Risiko übernommen.
Außerdem spreche das Urteil des EuGH vom 20.01.2005, C-412/03 (Hotel Scandic), HFR 2005, 371, gegen den Ansatz einer Mindestbemessungsgrundlage. Die Ausnahmeregelung der EU für die Einführung des § 10 Abs. 5 UStG sei nur erteilt worden, um mit dieser Vorschrift ungerechtfertigte Minderungen der Bemessungsgrundlage zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder Steuerumgehungen zu verhindern. Eine Steuerhinterziehung bzw. -umgehung läge im Streitfall jedoch nicht vor. Der Betrieb der Kantine mit der Bewirtung der Arbeitnehmer zu dem vereinbarten Preis diene betrieblichen Zwecken. Hierdurch werde eine ordentliche Verpflegung der Arbeitnehmer im Rahmen eines geordneten Betriebsablaufs erreicht.
Das von den Arbeitnehmern gezahlte Entgelt könne nicht als unangemessen niedrig beurteilt werden, weil es über den Sachbezugswerten liegen würde. Die lohnsteuerlichen Sachbezugswerte hätten 2,64 EUR (2006) bzw. 2,67 EUR (2007) betragen. Das Entgelt für die Essensmarken entspreche etwa demjenigen Preis von Metzgereien, die einen Mittagstisch anbieten würden. Hier müsse die T-GmbH konkurrenzfähig bleiben, da ansonsten die Kantine nicht von den Arbeitnehmern angenommen werde. Nach dem EuGH-Urteil vom 29.05.1997, C-63/96 (Skripalle), BStBl II 1997, 841, sei schon von daher keine Mindestbemessungsgrundlage anzusetzen.
Mit Einspruchsentscheidung vom 05.08.2010 wies der Bekl. die Einsprüche als unbegründet zurück. Er habe im Streitfall zu Recht statt der von den Arbeitnehmern gezahlten Entgelte die bei Ausführung der streitbefangenen Umsätze entstandenen Kosten als Bemessungsgrundlage zugrunde gelegt.
Bei der Abgabe von Mahlzeiten an Arbeitnehmer in Kantinen handele es sich um sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9a Nr. 2 UStG. Im Streitfall habe zwischen der T-GmbH und ihren Arbeitnehmern ein Leistungsaustausch stattgefunden. N sei als Subunternehmer der T-GmbH anzusehen, so dass dessen Dienstleistungselemente der T-GmbH zuzurechnen seien. Der Streitfall entspreche dem in Abschn. 12 Abs. 12 UStR 2005 beschriebenen Fall einer fremdbewirtschaften Kantine, auch wenn keines der in den Richtlinien aufgeführten Beispiele mit dem Streitfall völlig identisch sei. Dass bei einem Besuch der Kantine nicht erkennbar sei, wer die Kantine betreibe, die T-GmbH alle Betriebskosten und Instandsetzungskosten trage und die Kücheneinrichtung und das Inventar der T-GmbH gehöre, sei nicht entscheidend. Für die Beurteilung der umsatzsteuerlichen Leistungen sei entgegen der Ansicht der Klin. auch nicht erheblich, wer das Risiko des Kantinenbetriebs trage. Allein maßgeblich für das Vorliegen einer fremdbewirtschafteten Kantine sei, dass sich die T-GmbH eines Kantinenbetreibers zur Beköstigung ihrer Arbeitnehmer bediene. Der Fall sei mit dem Urteil des FG Köln vom 31.05.2001, 5 K 6962/99, juris, vergleichbar. Auch wenn der Kantinenbetreiber in dem Urteilsfall zumindest teilweise noch ein wirtschaftliches Risiko bezüglich seiner Erlöse getragen habe, so sei dies in dem Urteilsfall nicht entscheidungserheblich für die Frage gewesen, ob eine fremd- oder eigenbewirtschaftete Kantine vorliege.
Nach Art. 6 Abs. 2, Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG (6. EG-Richtlinie, seit 01.01.2007 Art. 26, 72 ff. MwStSystRL) werde nur die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für den Bedarf seines Personals Dienstleistungen gegen Entgelt gleichgestellt. Soweit der EuGH mit Urteil vom 29.05.1997, C-63/96 (Hotel Scandic), HFR 2005, 371, entschieden habe, dass ein vereinbartes marktübliches Entgelt, das niedriger als die Mindestbemessungsgrundlage sei, von der der Bundesrepublik Deutschland von der EU für § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG erteilten Ausnahmegenehmigung des Art. 27 Abs. 1 der 6. EG-Richtlinie nicht gedeckt sei, finde diese Rechtsprechung im Streitfall keine Anwendung. Die im Streitfall vereinbarten Entgelte würden unter dem ortsüblichen Marktpreis für ein Mittagessen liegen. Ein Mittagessen mit Suppe oder Dessert hätten die Arbeitnehmer von einem fremden Dritten nicht zu den von den Arbeitnehmern gezahlten Preisen erwerben können, auch nicht von einer Metzgerei. Durch die unter dem Marktpreis liegenden Entgelte für die Mahlzeiten sei eine Steuerumgehung gegeben, denn die vorliegende, aus betrieblichen Gründen erfolgte Gestaltung des Entgelts führe zu einer ungerechtfertigten Minderung der Bemessungsgrundlage und zu einem zumindest teilweise unversteuerten privaten Endverbrauch. Die nach der Sachbezugsverordnung für ein Mittagessen festgelegten Werte würden keinen Marktpreis für ein Essen abbilden, da die lohnsteuerlichen Vorgaben andere Aufgaben erfüllen würden. Die Sachbezugswerte würden unter dem Marktpreis liegen.
Hierauf hat die Klin. Klage erhoben, zu deren Begründung sie unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen im Einspruchsverfahren wie folgt ausführt:
Ihrer Auffassung nach seien für die Essenslieferungen die Sachbezugswerte bzw. das höhere, von den Arbeitnehmern aufgewendete Entgelt anzusetzen und nicht die Mindestbemessungsgrundlage, da hier Abschn. 12 Abs. 11 Satz 2 UStR 2005 Anwendung finde. Es könne umsatzsteuerlich keinen Unterschied bedeuten, ob die Ausgabe der Speisen an die Arbeitnehmer der T-GmbH von einem Arbeitnehmer oder einem freien (umsatzsteuerlich selbstständigen) Mitarbeiter der T-GmbH erfolge, der jedoch in gleicher Weise wie der Arbeitnehmer in den Betriebsablauf der T-GmbH eingebunden sei und wie dieser kein wirtschaftliches Risiko trage. Das wirtschaftliche Risiko trage hier vielmehr die T-GmbH, die dem eingeschalteten selbstständigen Unternehmer N eine feste Vergütung zahle und im Übrigen alle im Zusammenhang mit dem Kantinenbetrieb stehenden Kosten übernehme. Der Bekl. sei daher gehalten, Abschn. 12 Abs. 11 Satz 2 UStR aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten auch im vorliegenden Fall anzuwenden.
Für die Frage, ob die Kantine durch eigenes Personal im Sinne des Abschn. 12 Abs. 10 UStR 2005 betrieben werde, sei das Urteil des EuGH vom 26.01.2012, C-218/10 (ADV Allround), UR 2012, 175, analog anzuwenden. Im Sinne einer Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten der EU über die Umsatzsteuern könne es für den Begriff „Gestellung von Personal" keine unterschiedlichen Auslegungen geben. Die Begriffsdefinition des EuGH gelte für alle Vorschriften des UStG, d.h. sowohl für die Bestimmung des Ortes einer sonstigen Leistung als auch hinsichtlich der Frage, ob es sich beim Betrieb einer Kantine um den Einsatz von Personal handele. Wenn der EuGH entscheide, dass es sich bei dem Begriff „Gestellung von Personal" nicht ausschließlich um angestellte Arbeitnehmer handeln müsse, so sei diese Entscheidung auch auf den Streitfall anwendbar, weil es auch hier darum gehe, ob selbständiges Personal, das wie ein Arbeitnehmer tätig sei und keinerlei Unternehmerrisiko trage, wie angestellte Arbeitnehmer zu behandeln sei. Entscheidend sei hier das Gesamtbild der tatsächlichen Durchführung. Zu berücksichtigen sei in diesem Zusammenhang die Tätigkeit für nur einen Auftraggeber, die fehlende Entscheidungsfreiheit bezüglich der Annahme von Aufträgen und über Arbeitszeit und -ort, das fehlende Unternehmerrisiko und die fehlende Unternehmerinitiative.
Die Regelung über die Mindestbemessungsgrundlage sei im Hinblick auf ihr Ziel, Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhüten, eng auszulegen und müsse für die Erreichung dieses Ziels unbedingt erforderlich sein. Dazu bedürfe es hier eines vorsätzlichen Verhaltens der T-GmbH dahingehend, ein unter den Selbstkosten liegendes Entgelt zu vereinbaren, um USt zu hinterziehen oder zu umgehen. Der Betrieb der Kantine der T-GmbH mit der Bewirtung ihrer Arbeitnehmer zu dem vereinbarten Preis diene indes weder der Steuerhinterziehung noch der Steuerumgehung, sondern rein betrieblichen Zwecken, namentlich einer ordentlichen Verpflegung der Arbeitnehmer im Rahmen eines geordneten Betriebsablaufs. Es sei gängige Praxis, dass Arbeitgeber beim Betrieb einer Kantine das Essen an ihr Personal unterhalb des Selbstkostenpreises zur Verfügung stellen würden. Eine Steuerhinterziehungs- oder auch -umgehungsabsicht des Arbeitgebers sei hierbei jedoch nicht anzunehmen, weil objektive betriebliche Gründe für die Festlegung der Höhe des Entgelts vorliegen würden und das Entgelt einen ernsthaften Gegenleistungscharakter habe. Eine hohe Frequentierung der Kantine sei für den gesamten Arbeitsablauf in einem Unternehmen, insbesondere in demjenigen der T-GmbH, effizient und damit vorteilhaft. Ein auf eine Steuerumgehung gerichteter Willensentschluss der T-GmbH würde fehlen.
Selbst wenn bereits der objektive Umstand eines unter dem Marktpreis liegenden Entgelts für die Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage ausreichen würde, könne unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH eine Korrektur dann allenfalls in dem Umfang vorgenommen werden, in dem der von den Arbeitnehmern gezahlte Preis von einem etwa höheren Marktpreis abweiche. Eine darüber hinausgehende Korrektur bis auf die Selbstkosten der T-GmbH sei von der 6. EG-Richtlinie nicht mehr gedeckt, da sie zur Vermeidung einer Steuerhinterziehung bzw. Steuerumgehung insoweit nicht erforderlich und damit unverhältnismäßig wäre. Als Bemessungsgrundlage sei daher maximal das marktübliche Entgelt anzusetzen. Bei der Bestimmung des marktüblichen Entgelts sei zu berücksichtigen, dass ein Kantinenbetrieb nicht mit einem Restaurant zu vergleichen sei, sondern vielmehr mit Selbstbedienungseinrichtungen wie etwa einem Schnellimbiss oder Essensangeboten von Metzgereien. Dort erhalte man eine warme Mahlzeit für rund 2,50 EUR bis 4,00 EUR.
Der Bekl. hat am 15.02.2012 gemäß § 164 Abs. 2 AO geänderte USt-Bescheide 2006 und 2007 erlassen, mit denen er die USt auf xxx EUR (2006) und xxx EUR (2007) festgesetzt hat. Die Änderungsfestsetzungen beruhen auf einer bei der Klin. vom Finanzamt für Groß- und Konzernbetriebsprüfung durchgeführten Betriebsprüfung (Prüfungsbericht vom 10.11.2011). Die Mahlzeitengewährung im Betrieb der T-GmbH als umsatzsteuerliche Organgesellschaft der Klin. ist hierbei in unveränderter Höhe berücksichtigt worden.
Die Klin. beantragt sinngemäß,
die USt-Änderungsbescheide 2006 und 2007 vom 15.02.2012 dahingehend zu ändern, dass als Bemessungsgrundlage für die Essensabgabe der T-GmbH an ihre Arbeitnehmer das von den Arbeitnehmern aufgewendete Entgelt in Höhe von netto 17.761,12 EUR (2. Halbjahr 2006) und von netto 35.762,94 EUR (2007) berücksichtigt wird,
hilfsweise, die USt-Änderungsbescheide 2006 und 2007 vom 15.02.2012 dahingehend zu ändern, dass als Bemessungsgrundlage für die Essensabgabe der T-GmbH an ihre Arbeitnehmer das unter den Selbstkosten der T-GmbH liegende marktübliche Entgelt in Höhe von netto 32.091,93 EUR (2. Halbjahr 2006) und von netto 64.432,00 EUR (2007) berücksichtigt wird,
hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise für den Unterliegensfall, die Revision zuzulassen.
Die Verwaltungsanweisung in Abschn. 12 Abs. 11 Satz 2 UStR 2005 beziehe sich nur auf die Essensabgabe an Arbeitnehmer in einer unternehmenseigenen, vom Unternehmer selbst betriebenen Kantine. Nach der Definition in Abschn. 12 Abs. 10 Satz 3 UStR 2005 werde die Kantine nicht von der T-GmbH selbst betrieben. Hierbei unmaßgeblich sei, dass N in den Betriebsablauf der T-GmbH eingebunden und dass er durch den mit der T-GmbH vereinbarten Pauschalbetrag ein nur geringes wirtschaftliches Risiko für die Bewirtschaftung der Kantine trage.
Die begünstigende Verwaltungsanweisung finde im Gesetz keine Stütze, sondern sei eine Vereinfachungsregelung der Verwaltung. Ob der Rückgriff der Finanzverwaltung auf die lohnsteuerlichen Werte nur in den Fällen, in denen der Unternehmer die Kantine selbst betreibt, sachgerecht sei, könne dahingestellt bleiben. Es bestehe kein Rechtsanspruch darauf, die begünstigende Vereinfachungsregelung auf andere Fälle auszuweiten. Die dem Gesetz entgegenstehende Selbstbindung der Verwaltung könne nicht aus Gleichbehandlungsgesichtspunkten über die dort geregelten Fälle hinaus ausgedehnt werden.
Das Urteil des EuGH vom 26.01.2012, C-218/10 (ADV Allround), UR 2012, 175, sei für den Streitfall nicht aussagekräftig, da es vorliegend nicht um die Auslegung einer Gesetzesvorschrift, sondern um die Bindungswirkung einer aus Vereinfachungsgründen bestehenden Verwaltungsanweisung gehe. Das zur gesetzlichen Regelung zum Ort der Dienstleistung ergangene EuGH-Urteil betreffe allein die Auslegung des Begriffs der „Gestellung von Personal" in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e, 6. Gedankenstrich der 6. EU-Richtlinie (ab 01.01.2007 Art. 59 Buchst. f MwStSystRL) bzw. in § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG.
Er, der Bekl., halte daran fest, dass die von den Arbeitnehmern im Streitfall gezahlten Entgelte niedriger als die Preise für vergleichbare Essensangebote einer Metzgerei oder eines Schnellimbisses seien. Für diese Beträge könne man weder in einem Schnellimbiss noch in einer Metzgerei das von der Kantine angebotene Essen erhalten. Nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 27.02.2008 XI R 50/07, BStBl II 2009, 426, mit Verweis auf das Urteil vom 15.11.2007 V R 15/06, BStBl II 2009, 423) sei bei unter dem üblichen Marktpreis liegenden Entgelten für Leistungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer grundsätzlich von einer durch den teilweise unversteuerten privaten Endverbrauch bedingten Steuerumgehung auszugehen. Dass für die verbilligten Leistungen im Regelfall betriebliche Gründe maßgeblich seien, sei nach der BFH-Rechtsprechung für die Beurteilung der Steuerumgehungsabsicht nicht entscheidend.
Der Rechtsstreit ist am 07.12.2012 vor der Berichterstatterin erörtert worden. Auf das Protokoll des Erörterungstermins wird Bezug genommen.
Im Nachgang zu dem Erörterungstermin haben die Beteiligten übereinstimmend erklärt, dass das marktübliche Entgelt pro ausgegebenem Mittagessen 4,72 EUR im Jahr 2006 und 4,76 EUR im Jahr 2007 betragen habe.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und auf die vom Bekl. vorgelegten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
Aus den Gründen
72 Die Klage ist teilweise begründet.
73 Die USt-Änderungsbescheide 2006 und 2007 vom 15.02.2012 sind rechtswidrig und verletzen die Klin. in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 Finanzgerichtsordnung - FGO). Die vom Bekl. angesetzten Entgelte für die Ermessensversorgung der Klin. an ihre Arbeitnehmer sind zu hoch.
74 Unstreitig bestanden Leistungsaustauschverhältnisse zwischen N und der T-GmbH sowie zwischen der T-GmbH und ihren Arbeitnehmern. Zur Erbringung ihrer Leistungen an die Arbeitnehmer bediente sich die T-GmbH des N als Subunternehmer. Die Leistungen der T-GmbH in Form der Abgabe von Mittagsmahlzeiten stellen sonstige Leistungen im Sinne des § 3 Abs. 9 UStG dar. Den Arbeitnehmern wurde mit der Essensabgabe in der Kantine eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt, die durch eine Reihe von Vorgängen gezeichnet war, von denen nur ein Teil in der Lieferung von Nahrungsmitteln bestand, während die Dienstleistungen bei Weitem überwogen (von der Zubereitung des Essens bis hin zur Darreichungsform der Mahlzeiten sowie der Zurverfügungstellung von Mobiliar und Geschirr). Dass die T-GmbH die Leistungen nicht selbst, sondern durch den Unternehmer N hat erbringen lassen, ist für die Beurteilung des Leistungsaustauschverhältnisses zu den Arbeitnehmern unerheblich. Allein die T-GmbH steht in vertraglicher Beziehung zu N , nicht aber die Arbeitnehmer der T-GmbH.
75 Die Umsätze der T-GmbH, die der Klin. als Organträgerin zuzurechnen sind, hier in Form der Essensabgabe an die Arbeitnehmer, bemessen sich weder nach dem von den Arbeitnehmern aufgewendeten Entgelt noch nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Ausgaben (sog. Mindestbemessungsgrundlage). Die Umsätze sind vielmehr in Höhe des zwischen diesen Beträgen liegenden marktüblichen Entgelts zu versteuern.
76 Ein Umsatz bemisst sich regelmäßig nach dem Entgelt (§ 10 Abs. 1 Satz 1 UStG). Hierbei ist Entgelt gemäß § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG alles, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der USt. Lieferungen oder sonstige Leistungen, die ein Unternehmer an sein Personal aufgrund des Dienstverhältnisses ausführt, bemessen sich gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 UStG nach den bei der Ausführung dieser Umsätze entstandenen Ausgaben, wenn dies das Entgelt nach § 10 Abs. 1 UStG übersteigt (sog. Mindestbemessungsgrundlage). Unionsrechtlich handelt es sich bei § 10 Abs. 5 UStG um eine Sondermaßnahme nach Art. 27 der 6. EG-Richtlinie (ab 01.01.2007 Art. 395 MwStSystRL). Auf diese Bestimmung gestützte Sondermaßnahmen zur Verhütung von Steuerhinterziehungen und -umgehungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH eng auszulegen und dürfen von der in Art. 11 der 6. EG-Richtlinie (ab 01.01.2007 Art. 72 ff. MwStSystRL) geregelten Besteuerungsgrundlage nur insoweit abweichen, als dies für die Erreichung des Ziels, der Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung entgegenzuwirken, unbedingt erforderlich ist (EuGH-Urteil vom 29.05.1997, C-63/96 (Hotel Scandic), HFR 2005, 371). Eine derartige Gefahr besteht nicht, wenn sich aus objektiven Umständen ergibt, dass das vereinbarte Entgelt marktüblich, aber niedriger als die Mindestbemessungsgrundlage ist. In diesem Fall wird der Umsatz nicht nach der Mindestbemessungsgrundlage gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 UStG, sondern nach dem vereinbarten marktüblichen Entgelt bemessen. Ebenso verhält es sich, wenn der Unternehmer für die Leistung an nahestehende Personen zwar ein niedrigeres als das marktübliche Entgelt vereinbart, seine Leistung aber nach dem marktüblichen Entgelt versteuert (BFH-Urteil vom 07.10.2010, V R 4/10, BFH/NV 2011, 930). In diesem Fall kann es durch die Vereinbarung eines unter dem marktüblichen Entgelt liegenden Preises nicht zu einer Gefahr der Steuerhinterziehung oder -umgehung kommen.
77 Im Streitfall handelt es sich um aufgrund des Dienstverhältnisses an die Arbeitnehmer ausgeführte sonstige Leistungen im Sinne von § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG. Die Mindestbemessungsgrundlage nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG ist nur auf solche Leistungen anzuwenden, die auch bei unentgeltlicher Leistung nach § 3 Abs. 1b Satz 1 Nr. 2, Abs. 9a UStG steuerbar sind (BFH, Urteil vom 15.11.2007 V R 15/06, BStBl II 2009, 423; vom 29.05.2008 V R 12/07, BStBl II 2009, 428). Danach sind unentgeltliche Lieferungen oder sonstige Leistungen des Unternehmers an sein Personal nur dann steuerbar, wenn diese „dem privaten Bedarf" des Arbeitnehmers dienen und „keine Aufmerksamkeiten" vorliegen (§ 3 Abs. 1b Nr. 2 UStG). Liegt keine Leistung für den privaten Bedarf des Personals vor, weil die Leistung nicht zur Befriedigung persönlicher Bedürfnisse des Arbeitnehmers erfolgt, sondern durch betriebliche Erfordernisse bedingt ist, handelt es sich nicht um eine Leistung „aufgrund des Dienstverhältnisses" i.S. des § 10 Abs. 5 UStG. Ansonsten käme es zu einem Wertungswiderspruch, wenn eine unentgeltliche, ausschließlich aus betrieblichen Gründen erfolgte Leistung des Arbeitgebers an seinen Arbeitnehmer nicht steuerbar wäre, jedoch bei teilentgeltlicher Leistung aufgrund des § 10 Abs. 5 UStG die Bemessungsgrundlage mit den gesamten Kosten angesetzt werden müsste. Zweck der Vorschrift ist es, einen Steuerpflichtigen, der für den privaten Bedarf seines Personals einen Gegenstand entnimmt oder eine Dienstleistung erbringt, weitgehend einem Endverbraucher, der einen solchen Gegenstand oder eine Dienstleistung gleicher Art erwirbt, gleichzustellen (vgl. EuGH, Urteil vom 11.12.2008, C-371/07 (Danfoss und Astrazeneca), UR 2009, 60 Tz. 46 m.w.N.). Die hier in Streit stehende Abgabe von Mittagessen dient typischerweise der Befriedigung persönlicher Bedürfnisse. Auch wenn es im betrieblichen Interesse der T-GmbH liegt, dass die Arbeitnehmer ihr Mittagessen in den Betriebsräumlichkeiten einnehmen, dient das Mittagessen dem Grundbedürfnis der Arbeitnehmer (vgl. auch zur unentgeltlichen Lieferung von Mahlzeiten an das Personal EuGH, Urteil vom 11.12.2008, C-371/07 (Danfoss und Astrazeneca), UR 2009, 60 Tz. 56 f. und 65).
78 Auch übersteigen die der T-GmbH für die Essensausgabe entstandenen Ausgaben i. S. d. § 10 Abs. 4 Nr. 3 UStG in Höhe von insgesamt 97.981,53 EUR netto im 2. Halbjahr 2006 bzw. 206.156,38 EUR netto in 2007 (Gerichtsakte Blatt 99) das von den Arbeitnehmern hierfür gezahlte Entgelt i. S. d. § 10 Abs. 1 UStG in Höhe von insgesamt 17.761,12 EUR netto im 2. Halbjahr 2006 und 35.762,94 EUR netto in 2007 (Gerichtsakte Blatt 99, Bp-Handakte Blatt 4), so dass der Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 Nr. 2 UStG grundsätzlich eröffnet ist.
79 Doch ist § 10 Abs. 5 Nr. 2 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 UStG bei richtlinienkonformer Auslegung auf den Streitfall dergestalt anzuwenden, dass sich die hier streitigen Umsätze der T-GmbH nach dem (fiktiven) marktüblichen Entgelt bemessen. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung besteht keine Rechtfertigung für eine Besteuerung nach der das marktübliche Entgelt übersteigenden Bemessungsgrundlage des § 10 Abs. 4 UStG. So hat der EuGH in seinem Urteil vom 29.05.1997, C-63/96 (Skripalle), BStBl II 1997, 841, die Besteuerung nach einem höheren als dem mit der nahestehenden Person vereinbarten marktüblichen Entgelt zur Verhütung von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen allgemein als nicht erforderlich angesehen (BFH, Urteil vom 07.10.2010 V R 4/10, BFH/NV 2011, 930). Eine Gefahr von Steuerhinterziehungen oder -umgehungen soll darüber hinaus auch dann nicht bestehen, wenn der Unternehmer von einer nahestehenden Person nur ein niedrigeres als das marktübliche Entgelt verlangt, seine Leistung aber in Höhe des marktüblichen Entgelts versteuert (BFH, Urteil vom 07.10.2010 V R 4/10, BFH/NV 2011, 930). Für die (richtlinienkonforme) Anwendung des § 10 Abs. 5 UStG ist das tatsächliche Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder -umgehung im Einzelfall nicht erforderlich. Denn Art. 27 der 6. EG-Richtlinie (ab 01.01.2007 Art. 395 MwStSystRL) gibt die Ermächtigung für Sondermaßnahmen u.a. zu dem Zweck, Steuerhinterziehungen oder -umgehungen zu verhindern. Es handelt sich bei § 10 Abs. 5 UStG mithin um eine verhütende Maßnahme, die nach Auffassung des Senats lediglich das Bestehen der Gefahr einer Steuerhinterziehung oder -umgehung voraussetzt, welche durch die Vereinbarung eines unter dem marktüblichen Entgelt liegenden Entgelts besteht. Dass für die Anwendung einer Mindestbemessungsgrundlage tatsächlich eine Steuerhinterziehung oder -umgehung vorliegen muss, lässt sich auch der Rechtsprechung des EuGH und des BFH nicht entnehmen.
80 Das von den Arbeitnehmern durch die Bezahlung von Essensmarken an die T-GmbH gezahlte Entgelt für die Essensabgabe stellt sich zur Überzeugung des Senats nicht als marktüblich dar. Das marktübliche Entgelt pro ausgegebenem Mittagessen nimmt der Senat vielmehr entsprechend der übereinstimmenden Schätzung der Beteiligten mit brutto 4,72 EUR im Jahr 2006 und brutto 4,76 EUR im Jahr 2007 an. Dies führt zu einer der Besteuerung zugrunde zu legende Bemessungsgrundlage von insgesamt 32.091,93 EUR für das 2. Halbjahr 2006 (7.887 Essen à 4,72 EUR abzüglich USt 16%) und von insgesamt 64.432,00 EUR in 2007 (16.108 Essen à 4,76 EUR abzüglich USt 19%).
81 Die von der Klin. erstrebte Besteuerung auf Grundlage der amtlichen Sachbezugswerte nach der Sachbezugsverordnung findet im Gesetz keine Stütze. Die in § 10 Abs. 4 UStG vorgeschriebenen Werte weichen grundsätzlich von den für Lohnsteuerzwecke anzusetzenden Werten ab. Einen Anspruch darauf, abweichend vom Gesetz besteuert zu werden, hat die Klin. nicht.
82 Auf die Praxis der Finanzverwaltung kann sich die Klin. insoweit nicht berufen. Denn danach wird bei einer verbilligten Abgabe von Mahlzeiten eines Unternehmers an seine Arbeitnehmer nur bei einer unternehmenseigenen Kantine - nicht dagegen bei einer wie im Streitfall nicht vom Unternehmer selbst betriebenen Kantine - aus Vereinfachungsgründen die Bemessungsgrundlage (lediglich) unter Ansatz der vom Arbeitnehmer gezahlten Essenspreise, mindestens jedoch der amtlichen Sachbezugswerte nach der Sachbezugsverordnung ermittelt (Abschn. 12 Abs. 10 ff. UStR 2005). Nach der in der Verwaltungsanweisung in Abschn. 12 Abs. 10 Abs. 2 und 3 UStR 2005 getroffenen Definition handelte es sich im Streitfall nicht um eine „unternehmenseigene Kantine", weil die Mahlzeiten nicht durch eigenes Personal der T-GmbH, sondern durch das Personal des N zubereitet wurden. Die Mahlzeiten wurden von der T-GmbH auch nicht noch vor Abgabe an die Arbeitnehmer mehr als geringfügig be- oder verarbeitet bzw. aufbereitet oder ergänzt. Auf andere Kriterien stellt die Verwaltungsanweisung nicht ab, insbesondere auch nicht darauf, ob für fremde Dritte erkennbar ist, wem das Küchenpersonal zuzurechnen ist oder wer das wirtschaftliche Risiko des Warenverderbs trägt. Soweit die Klin. die Definition des EuGH zum Begriff „Gestellung von Personal" zu § 3a Abs. 4 Nr. 7 UStG anführt, wonach auch die Gestellung von selbstständigem, nicht beim leistenden Unternehmer abhängig beschäftigtem Personal umfasst ist (EuGH, Urteil vom 26.01.2012, C-218/10 (ADV Allround), UR 2012, 175), kann diese Definition nicht analog auf Abschn. 12 Abs. 10 UStR angewendet werden. Die Steuergerichte, die nach Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes nur an Gesetz und Recht gebunden sind, können die Finanzbehörden nicht zwingen, Vereinfachungsregelungen, die durch allgemeine Verwaltungsanweisungen angeordnet werden, auch auf einen Fall anzuwenden, der nach deren Auffassung nicht von der Verwaltungsanweisung gedeckt ist (BFH, Urteil vom 27.10.1978 VI R 8/76, BStBl II 1979, 54). Solche im Gesetz nicht selbst angeordneten Vereinfachungsregeln sind so auszulegen, wie sie die Verwaltung verstanden wissen will (BFH, Urteil vom 01.07.2003 VIII R 80/00, BFH/NV 2004, 23; Urteil vom 22.09.2011 III R 82/08, BStBl II 2012, 734). Die Steuergerichte dürfen die Verwaltungsanweisungen also nicht wie Gesetze auslegen; maßgebend ist nicht, wie das Gericht eine solche Bestimmung verstünde, wenn sie Gesetz wäre, sondern wie die Verwaltung sie verstanden hat und verstanden wissen wollte und wie sie dementsprechend verfahren ist (BFH, Urteile vom 24.11.1965 II 118/62, HFR 1966, 180; vom 10.09.1976 VI R 220/75, BStBl II 1977, 17; vom 03.08.1977 II R 95/75, BStBl II 1978, 42; vom 27.10.1978 VI R 8/76, BStBl II 1979, 54). Es ist daher nicht nach jeder denkbaren Auslegung der Anweisungen zu forschen, sondern nach dem Sinn, den ihr die anweisende Behörde erkennbar beigemessen hat (BFH, Urteil vom 21.10.1999 I R 1/98, BFH/NV 2000, 691). Hier hat die Finanzverwaltung derartige Fälle von der Vereinfachungsregelung des Abschn. 12 Abs. 11 i.V.m. Abs. 10 UStR nicht erfassen wollen. Der Bekl. hat die Anwendbarkeit des Abschn. 12 Abs. 11 UStR 2005 insbesondere auch nicht willkürlich abgelehnt.
83 Die Kostenentscheidung folgt aus § 136 Abs. 1 FGO.
84 Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
85 Die Revision ist zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO.