EuGH: Test-Niederlassung eines Kfz-Herstellers
EuGH, Urteil vom 25.10.2012 - verb. Rs. C-318/11, 319/11, Daimler AG (C-318/11), Widex A/S (C-319/11) gegen Skatteverket
Tenor
1. Bei einem Mehrwertsteuerpflichtigen, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat und in einem anderen Mitgliedstaat nur technische Tests durchführt oder Forschung betreibt, jedoch keine steuerbaren Umsätze bewirkt, kann nicht davon ausgegangen werden, dass er in diesem anderen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige in der durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung und von Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige, „eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt werden", hat.
2. Diese Auslegung wird in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑318/11 nicht durch den Umstand in Frage gestellt, dass der Steuerpflichtige in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Erstattungsantrag gestellt hat, eine 100%ige Tochtergesellschaft hat, deren Zweck nahezu ausschließlich darin besteht, für ihn verschiedene Dienstleistungen im Zusammenhang mit den durchgeführten technischen Tests zu erbringen.
Aus den Gründen
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Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 1 der Achten Richtlinie 79/1072/EWG des Rates vom 6. Dezember 1979 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Verfahren zur Erstattung der Mehrwertsteuer an nicht im Inland ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 331, S. 11) in der durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. L 363, S. 129) geänderten Fassung (im Folgenden: Achte Richtlinie) sowie von Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom 12. Februar 2008 zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige (ABl. L 44, S. 23).
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Diese Ersuchen ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Daimler AG (im Folgenden: Daimler) mit Sitz in Deutschland und der Widex A/S (im Folgenden: Widex) mit Sitz in Dänemark einerseits und dem Skatteverk, der schwedischen Steuerbehörde, andererseits über die Frage der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen der Behörde, die Anträge der Unternehmen auf Erstattung der in Schweden anlässlich des Erwerbs von Waren oder Dienstleistungen abgeführten Mehrwertsteuer abzulehnen.
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
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Art. 170 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1) in der durch die Richtlinie 2007/75/EG des Rates vom 20. Dezember 2007 (ABl. L 346, S. 13) geänderten Fassung (im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie) bestimmt:
„Jeder Steuerpflichtige, der im Sinne des Artikels 1 der [Achten] Richtlinie ... und des Artikels 171 der vorliegenden Richtlinie nicht in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem er die Gegenstände und Dienstleistungen erwirbt oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführt, hat Anspruch auf Erstattung dieser Steuer, soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für [bestimmte dort aufgeführte] Umsätze verwendet werden ..."
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Art. 171 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie hat folgenden Wortlaut:
„Die Erstattung der Mehrwertsteuer an Steuerpflichtige, die nicht in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Gegenstände und Dienstleistungen erwerben oder mit der Mehrwertsteuer belastete Gegenstände einführen, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind, erfolgt nach dem in der [Achten] Richtlinie ... vorgesehenen Verfahren.
..."
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Art. 1 der Achten Richtlinie sieht vor:
„Für die Anwendung dieser Richtlinie gilt als nicht im Inland ansässiger Steuerpflichtiger ...[,wer] in diesem Land weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind, noch - in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer festen Niederlassung - seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort gehabt hat und ... im Inland keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht hat [mit Ausnahme bestimmter Beförderungsleistungen und der Erbringung bestimmter anderer Dienstleistungen]."
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In Art. 1 der Richtlinie 2008/9 heißt es:
„Diese Richtlinie regelt die Einzelheiten der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß Artikel 170 der [Mehrwertsteuer-]Richtlinie ... an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässige Steuerpflichtige, die die Voraussetzungen von Artikel 3 erfüllen."
7
Art. 3 der Richtlinie 2008/9 bestimmt:
„Diese Richtlinie gilt für jeden nicht im Mitgliedstaat der Erstattung ansässigen Steuerpflichtigen, der folgende Voraussetzungen erfüllt:
a) er hat ... im Mitgliedstaat der Erstattung weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden, noch hat er - in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung - dort seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort;
b) er hat ... keine Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht, die als im Mitgliedstaat der Erstattung bewirkt gelten [mit Ausnahme bestimmter Beförderungsleistungen und der Erbringung bestimmter anderer Dienstleistungen]".
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In Art. 28 der Richtlinie 2008/9 heißt es:
„(1) Diese Richtlinie gilt für Erstattungsanträge, die nach dem 31. Dezember 2009 gestellt werden.
(2) Die [Achte] Richtlinie ... wird mit Wirkung vom 1. Januar 2010 aufgehoben. Sie gilt jedoch für Erstattungsanträge, die vor dem 1. Januar 2010 gestellt werden, weiter.
Bezugnahmen auf die aufgehobene Richtlinie gelten als Bezugnahmen auf diese Richtlinie, mit Ausnahme für Erstattungsanträge, die vor dem 1. Januar 2010 gestellt werden."
Schwedisches Recht
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Nach Kapitel 10 § 1 Abs. 1 Mervärdesskattelag (Mehrwertsteuergesetz, im Folgenden: MwStG) (1994:200) vom 30. März 1994 (SFS 1994, Nr. 200) hat ein ausländischer Unternehmer auf Antrag Anspruch auf Vorsteuererstattung unter der Voraussetzung, dass
1. die Vorsteuer einen Erwerb oder einen Import betrifft, der mit einem Umsatz zusammenhängt, der im Rahmen einer im Ausland erbrachten Tätigkeit erzielt worden ist,
2. der Umsatz, sofern er in der Europäischen Gemeinschaft getätigt wird, in dem Land, in dem er getätigt wird, steuerpflichtig ist oder einen Erstattungsanspruch begründet, der dem im schwedischen Recht geregelten entspricht, und
3. der Umsatz, wenn er in Schweden getätigt worden wäre, steuerpflichtig wäre oder nach schwedischem Recht einen Erstattungsanspruch begründet hätte.
Nach Kapitel 1 § 15 MwStG ist unter einem ausländischen Unternehmer ein Gewerbetreibender zu verstehen, der weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, noch seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthaltsort in Schweden hat.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
Rechtssache C‑318/11
Daimler, die den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Deutschland hat, prüft Kraftfahrzeuge unter winterlichen Bedingungen in Testanlagen in Nordschweden. Sie beschäftigt kein eigenes Personal in Schweden. Das Testpersonal wird für die Tests eingeflogen. Entsprechendes gilt für die dabei verwendete technische Ausrüstung.
Daimler besitzt in Schweden eine 100%ige Tochtergesellschaft, die ihr Räumlichkeiten, Teststrecken und Dienstleistungen im Zusammenhang mit den Tests zur Verfügung stellt. Das Personal der schwedischen Tochtergesellschaft besteht aus vier Saisonarbeitern und einem Direktor.
Daimler übt in den Anlagen in Schweden keine mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit aus. Die in diesem Mitgliedstaat bewirkten Umsätze bestehen in den Tests, die für den Vertrieb von Kraftfahrzeugen notwendig sind, den Daimler in Deutschland tätigt.
Die von Daimler im Rahmen der Tests von Kraftfahrzeugen in Anspruch genommenen Leistungen sind nicht für eine mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeit in Schweden erfolgt.
Daimler beantragte beim Skatteverk nach den Vorschriften über die Erstattung an ausländische Unternehmen die Erstattung der Vorsteuer, die sie für die von ihr in Anspruch genommenen Leistungen entrichtet hatte.
Ihre Anträge betreffen die Zeiträume vom 1. Januar bis 31. Dezember 2008 und vom 1. Oktober bis 31. Dezember 2009. Der geforderte Betrag beläuft sich auf insgesamt 73 597 119 SEK. Die Anträge für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2008 wurden vor dem 1. Januar 2010 beim Skatteverk eingereicht, die Anträge für den Zeitraum vom 1. Oktober 2009 bis 31. Dezember 2009 dagegen nach dem 31. Dezember 2009.
Das Skatteverk lehnte die beantragte Erstattung mit der Begründung ab, dass Daimler eine feste Niederlassung in Schweden habe. Es machte nicht geltend, dass dieses Unternehmen in Schweden Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht habe.
Daimler erhob gegen diese Entscheidung des Skatteverk Klage beim Förvaltningsrätt i Falun. Sie macht geltend, dass sie keine feste Niederlassung in Schweden habe.
Das Skatteverk beantragte, die Klage abzuweisen.
In diesem Zusammenhang hat das Förvaltningsrätt i Falun beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:
1. Wie ist der Begriff der festen Niederlassung, von der aus geschäftliche Umsätze bewirkt wurden, bei einer Prüfung anhand der derzeit geltenden unionsrechtlichen Vorschriften auszulegen?
2. Ist davon auszugehen, dass ein Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat hat, dessen Tätigkeit im Wesentlichen in der Herstellung und im Vertrieb von Kraftfahrzeugen besteht und der in Anlagen in Schweden Kraftfahrzeugmodelle unter winterlichen Bedingungen testet, eine feste Niederlassung in Schweden hat, von der aus geschäftliche Umsätze bewirkt wurden, wenn dieser Steuerpflichtige Gegenstände und Dienstleistungen bezogen hat, die in Testanlagen in Schweden entgegengenommen und eingesetzt wurden, aber in Schweden kein eigenes Personal auf Dauer beschäftigt, und wenn die Durchführung der Tests für die wirtschaftliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen in einem anderen Mitgliedstaat notwendig ist?
3. Ist für die Beantwortung der zweiten Frage von Bedeutung, wenn der Steuerpflichtige eine 100%ige schwedische Tochtergesellschaft hat, deren Zweck so gut wie ausschließlich darin besteht, für den Steuerpflichtigen Dienstleistungen für die tatsächliche Durchführung der Tests zu erbringen?
Rechtssache C‑319/11
Widex, die den Sitz ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit in Dänemark hat, verfügt über eine Forschungsabteilung in Stockholm.
Sie erwirbt für die in dieser Abteilung durchgeführte Forschungstätigkeit Waren und Dienstleistungen.
Widex beantragte beim Skatteverk nach den Vorschriften über die Erstattung an ausländische Unternehmen die Erstattung der Vorsteuer, die sie für die von ihr in Anspruch genommenen Leistungen entrichtet hatte. Ihr Antrag für den Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Dezember 2008 wurde am 9. Juni 2009 beim Skatteverk eingereicht. Der geforderte Betrag beläuft sich auf 109 023 SEK. Er entspricht der Mehrwertsteuer, die u. a. auf Ausgaben für Miete, Ausbildung und technische Geräte entrichtet wurde.
Das Skatteverk lehnte die beantragte Erstattung mit der Begründung ab, dass Widex eine feste Niederlassung in Schweden habe. Es machte nicht geltend, dass dieses Unternehmen in Schweden Waren geliefert oder Dienstleistungen erbracht habe.
Widex erhob gegen diese Entscheidung des Skatteverk Klage beim Förvaltningsrätt i Falun.
Zur Begründung ihrer Klage macht sie geltend, dass sie Hörgeräte herstelle und in Schweden über ein Forschungszentrum verfüge, das Untersuchungen im Bereich der Audiologie durchführe. Bei diesem Zentrum handele es sich um eine Abteilung von Widex. Die Räumlichkeiten in Stockholm dienten weder dem Verkauf noch dem Vertrieb, noch der Erbringung von Dienstleistungen, und es werde dort ausschließlich geforscht. Die Einnahmen des Zentrums bestünden aus den Beiträgen, die es von der Hauptgeschäftsstelle von Widex in Dänemark erhalte. Widex stelle die für die Gehaltszahlung der vier Mitarbeiter der Forschungsabteilung erforderlichen Mittel zur Verfügung, und die Sozialabgaben würden direkt von der Hauptgeschäftsstelle in Dänemark bezahlt. Zudem sei sie Mieterin der Räumlichkeiten in Stockholm und habe darüber hinaus eine schwedische Tochtergesellschaft in Malmö, die die Waren von Widex in Schweden verkaufe und vertreibe. Das Forschungszentrum sei jedoch von dieser Tochtergesellschaft unabhängig.
Das Skatteverk beantragte, die Klage abzuweisen.
Es ist der Auffassung, dass für eine feste Niederlassung drei Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Es müssten personelle Mittel und eine technische Ausstattung vorliegen, und die Niederlassung müsse so beständig sein, dass sie in der Lage sei, Gegenstände zu liefern oder zu verbrauchen bzw. Dienstleistungen zu erbringen oder in Anspruch zu nehmen. Nicht erforderlich sei dagegen, dass tatsächlich Gegenstände geliefert oder Dienstleistungen erbracht würden.
Das Skatteverk trägt vor, Widex habe ihre Eintragung als Arbeitgeber ab September 2006 beantragt, die Tätigkeit werde in den Räumlichkeiten in Stockholm ausgeübt, und die Einkäufe hierfür würden scheinbar von dort aus getätigt, weil in einem Großteil der Rechnungen die Adresse dieser Räumlichkeiten angegeben sei. Das Skatteverk schließt daraus, dass Widex eine feste Niederlassung in Stockholm habe, da die Tätigkeit über mehrere Jahre hinweg vom selben Ort aus verrichtet worden sei und in den Räumlichkeiten personelle und technische Mittel zur Verfügung stünden.
In diesem Zusammenhang hat das Förvaltningsrätt i Falun beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:
1. Wie ist der Begriff der festen Niederlassung, von der aus geschäftliche Umsätze bewirkt wurden, bei einer Prüfung anhand der derzeit geltenden unionsrechtlichen Vorschriften auszulegen?
2. Ist davon auszugehen, dass ein Steuerpflichtiger, der den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat hat und dessen Tätigkeit u. a. in der Herstellung und im Vertrieb von Hörgeräten besteht, aufgrund der von seiner Forschungsabteilung in Schweden im Bereich der Audiologie betriebenen Forschung eine feste Niederlassung in Schweden hat, von der aus geschäftliche Umsätze bewirkt wurden, wenn dieser Steuerpflichtige Gegenstände und Dienstleistungen bezogen hat, deren Empfänger und Verwender diese Forschungsabteilung in Schweden gewesen ist?
Zu den Vorlagefragen
Zur ersten und zur zweiten Frage in den Rechtssachen C‑318/11 und C‑319/11
Mit den jeweils ersten beiden Fragen in den Rechtssachen C‑318/11 und C‑319/11 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob bei einem Mehrwertsteuerpflichtigen, der in einem Mitgliedstaat seinen Sitz hat und in einem anderen Mitgliedstaat nur technische Tests durchführt oder Forschung betreibt, jedoch keine steuerbaren Umsätze bewirkt, davon ausgegangen werden kann, dass er in diesem anderen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 1 der Achten Richtlinie und Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 „eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden", hat.
Dieses Kriterium enthält zwei Voraussetzungen, die gleichzeitig erfüllt sein müssen, nämlich zum einen, dass eine „feste Niederlassung" besteht, und zum anderen, dass von dort aus „Umsätze" bewirkt wurden.
Das Skatteverk ist der Auffassung, dass der Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer ausgeschlossen sei, wenn der Antragsteller im Mitgliedstaat der Erstattung eine feste Niederlassung habe, die eine gewisse Beständigkeit aufweise. Es trägt im Wesentlichen vor, dass Art. 1 der Achten Richtlinie und Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 nicht voraussetzten, dass darüber hinaus von dieser Niederlassung im Mitgliedstaat der Erstattung steuerbare Ausgangsumsätze bewirkt würden, um einen Anspruch auf Erstattung der in diesem Staat wegen der dort bezogenen Waren oder Dienstleistungen entrichteten Vorsteuer auszuschließen.
Nach Ansicht des Skatteverk handelt es sich gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs (Urteile vom 4. Juli 1985, Berkholz, 168/84, Slg. 1985, 2251, vom 2. Mai 1996, Faaborg-Gelting Linien, C‑231/94, Slg. 1996, I‑2395, vom 17. Juli 1997, ARO Lease, C‑190/95, Slg. 1997, I‑4383, vom 20. Februar 1997, DFDS, C‑260/95, Slg. 1997, I‑1005, vom 7. Mai 1998, Lease Plan, C‑390/96, Slg. 1998, I‑2553, und vom 28. Juni 2007, Planzer Luxembourg, C‑73/06, Slg. 2007, I‑5655) um eine feste Niederlassung, wenn diese so autonom sei, dass von dort aus Waren oder Dienstleistungen auf den Markt gebracht werden könnten. Dagegen sei nicht erforderlich, dass die feste Niederlassung tatsächlich Waren liefere oder Dienstleistungen erbringe.
Insoweit ist festzustellen, dass der Gerichtshof in allen Urteilen, auf die sich das Skatteverk beruft und die in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils angeführt sind, den Begriff „feste Niederlassung" oder „Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit" im Zusammenhang mit tatsächlich bewirkten steuerbaren Umsätzen ausgelegt hat, um den Ort ihrer Besteuerung zu bestimmen. Der Gerichtshof hat dabei aber nicht über die hiervon unabhängige Frage entschieden, ob für den Ausschluss eines Anspruchs auf Erstattung der Mehrwertsteuer die Niederlassung die steuerbaren Umsätze im Mitgliedstaat der Erstattung tatsächlich bewirkt haben muss oder ob es ausreicht, dass sie dazu in der Lage war.
In Bezug auf diese letzte Frage ist dagegen darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Juli 2009, Kommission/Italien (C‑244/08, Randnrn. 31 und 32), entschieden hat, dass bei der Auslegung des in Art. 1 der Achten Richtlinie und jetzt in Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 enthaltenen Ausdrucks „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt werden" eine Person, die keine feste Niederlassung besitzt, die im Allgemeinen steuerbare Umsätze erzielt, als gebietsfremder Steuerpflichtiger anzusehen ist. Das Vorliegen von im betreffenden Mitgliedstaat bewirkten Umsätzen ist somit das entscheidende Kriterium dafür, den Rückgriff auf die Achte Richtlinie auszuschließen. Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass der Begriff „Umsätze", wie er in dem Einschub „von der aus Umsätze bewirkt werden" verwendet wird, nur Ausgangsumsätze betreffen kann.
Folglich muss für den Ausschluss eines Erstattungsanspruchs festgestellt werden, dass die feste Niederlassung in dem Mitgliedstaat, in dem sie den Erstattungsantrag gestellt hat, tatsächlich steuerbare Umsätze bewirkt hat und nicht bloß dazu in der Lage gewesen wäre.
In den Ausgangsverfahren wird nicht bestritten, dass die betreffenden Unternehmen mit ihren Dienstleistungen in Form von technischen Tests und Forschung keine steuerbaren Ausgangsumsätze in dem Mitgliedstaat, in dem sie die Erstattungsanträge gestellt haben, bewirkt haben.
Unter diesen Umständen ist der Anspruch auf Erstattung der entrichteten Vorsteuer anzuerkennen, ohne dass darüber hinaus zu prüfen ist, ob die fraglichen Unternehmen tatsächlich jeweils eine „feste Niederlassung" im Sinne der auszulegenden Bestimmungen haben, da die beiden Voraussetzungen, aus denen sich das Kriterium „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden" zusammensetzt, gleichzeitig erfüllt sein müssen.
Wie die Kommission hervorhebt, entspricht diese Auslegung dem Ziel der anwendbaren Richtlinien, nämlich dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit einer Erstattung der entrichteten Vorsteuer einzuräumen, wenn er mangels von ihm bewirkter steuerbarer Umsätze im Mitgliedstaat der Erstattung diese Vorsteuer nicht von geschuldeter Mehrwertsteuer abziehen kann.
Der Anspruch eines in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Steuerpflichtigen auf die in der Achten Richtlinie geregelte Erstattung der in einem anderen Mitgliedstaat entrichteten Mehrwertsteuer entspricht dem Anspruch auf Abzug der in seinem eigenen Mitgliedstaat entrichteten Vorsteuer, den die Mehrwertsteuerrichtlinie zu seinen Gunsten eingeführt hat (Urteil Planzer Luxembourg, Randnr. 35).
Schließlich ist festzustellen, dass Art. 1 der Achten Richtlinie und Art. 3 Buchst. b der Richtlinie 2008/9 einen Anspruch auf Erstattung der Mehrwertsteuer ausdrücklich davon abhängig machen, dass keine Gegenstände geliefert und keine Dienstleistungen erbracht wurden, die als im Mitgliedstaat der Erstattung bewirkt gelten, wenn der Steuerpflichtige in diesem Staat weder den Sitz seiner wirtschaftlichen Tätigkeit noch eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden, noch - in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung - dort seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort hat.
Das tatsächliche Bewirken steuerbarer Umsätze im Mitgliedstaat der Erstattung ist somit die allgemeine Voraussetzung für den Ausschluss eines Erstattungsanspruchs, ob der antragstellende Steuerpflichtige in diesem Mitgliedstaat nun eine feste Niederlassung hat oder nicht.
Folglich sind die jeweils ersten beiden Fragen in den Rechtssachen dahin zu beantworten, dass bei einem Mehrwertsteuerpflichtigen, der seinen Sitz in einem Mitgliedstaat hat und in einem anderen Mitgliedstaat nur technische Tests durchführt oder Forschung betreibt, jedoch keine steuerbaren Umsätze bewirkt, nicht davon ausgegangen werden kann, dass er in diesem anderen Mitgliedstaat im Sinne von Art. 1 der Achten Richtlinie und Art. 3 Buchst. a der Richtlinie 2008/9 „eine feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden", hat.
Zur dritten Frage in der Rechtssache C‑318/11
Mit seiner dritten Frage in der Rechtssache C‑318/11 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Auslegung des Begriffs „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden" in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens durch den Umstand in Frage gestellt wird, dass der Steuerpflichtige in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Erstattungsantrag gestellt hat, eine 100%ige Tochtergesellschaft hat, deren Zweck nahezu ausschließlich darin besteht, für ihn verschiedene Dienstleistungen im Zusammenhang mit den durchgeführten technischen Tests zu erbringen.
Das Skatteverk macht geltend, dass der Steuerpflichtige im Ausgangsverfahren durch seine 100%ige Tochtergesellschaft in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Erstattungsantrag gestellt habe, über eine feste Niederlassung verfüge.
Der Gerichtshof habe in den Randnrn. 26 bis 29 seines Urteils DFDS entschieden, dass eine Tochtergesellschaft, die über die technischen und personellen Mittel verfüge und als bloße Hilfsperson ihrer Muttergesellschaft handele, eine feste Niederlassung der Muttergesellschaft in dem Mitgliedstaat darstelle, in dem sich diese Tochtergesellschaft befinde.
Insoweit genügt die Feststellung, dass es sich bei einer 100%igen Tochtergesellschaft wie der vom vorlegenden Gericht angeführten um eine selbständig steuerpflichtige juristische Person handelt und dass der im Ausgangsverfahren fragliche Erwerb von Waren nicht von der angeführten Tochtergesellschaft vorgenommen wurde.
Außerdem ist festzustellen, dass in dem Verfahren, in dem das Urteil DFDS ergangen ist, die Selbständigkeit der Tochtergesellschaft nur deshalb unberücksichtigt blieb, um der wirtschaftlichen Realität bei der Feststellung, ob die Mutter- oder die Tochtergesellschaft tatsächlich die steuerbaren Umsätze in Form der fraglichen Dienstleistungen bewirkt hat und in welchem Mitgliedstaat folglich diese Umsätze zu besteuern sind, Rechnung zu tragen.
In der Rechtssache C‑318/11 ist bereits die Voraussetzung, dass durch die Dienstleistung in Form der Durchführung technischer Tests tatsächlich steuerbare Ausgangsumsätze bewirkt wurden, nicht erfüllt, die mit dem Begriff der „festen Niederlassung" als zusätzliche Bedingung verbunden ist und somit allein schon für den Ausschluss eines Erstattungsanspruchs notwendig ist.
Folglich ist auf die dritte Frage in der Rechtssache C‑318/11 zu antworten, dass die Auslegung des Begriffs „feste Niederlassung, von der aus Umsätze bewirkt wurden" in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens nicht durch den Umstand in Frage gestellt wird, dass der Steuerpflichtige in dem Mitgliedstaat, in dem er seinen Erstattungsantrag gestellt hat, eine 100%ige Tochtergesellschaft hat, deren Zweck nahezu ausschließlich darin besteht, für ihn verschiedene Dienstleistungen im Zusammenhang mit den durchgeführten technischen Tests zu erbringen.
Kosten
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.