FG Köln: Subunternehmerleistungen im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe und Betreuung von geistig behinderten Menschen steuerfrei
FG Köln, Urteil vom 11.8.2016 – 13 K 3610/12
Volltext: BB-Online BBL2016-2646-5
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Leitsätze der Redaktion
Bei unmittelbarer Leistungserbringung an die betreuungsbedürftige Person ist eine nur mittelbare Vertrags- und Vergütungsbeziehung zum öffentlichen Leistungsträger im Hinblick auf die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 S. 1 Buchst. k UStG nicht schädlich. Vielmehr ist primär auf die tatsächliche Leistungserbringung abzustellen. und der Vertrags- und Vergütungsbeziehung nur eine untergeordnete Bedeutung zuzumessen.
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten im Rahmen der Festsetzung der Umsatzsteuer 2010 über die Frage, ob Umsätze der Klägerin als Subunternehmerin im Bereich der ambulanten Eingliederungshilfe und Betreuung von geistig behinderten Menschen gem. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG steuerfrei sind.
Die Klägerin absolvierte von 2001 bis 2004 eine ca. dreijährige Ausbildung als Psychologische Beraterin bei der „A GmbH“ in B. Die Ausbildung umfasste teilweise ein Abendstudium (18 Monate), teilweise ein „Tages-Intensivstudium“ (14 Monate) und ein Video-Lehrprogramm. Lerninhalte waren insbesondere psychologische Grundkenntnisse, Theorie und Praxis der wichtigsten psychotherapeutischen Verfahren und die gezielte Vorbereitung auf eine eingeschränkte Heilpraktikererlaubnis. Anschließend besuchte die Klägerin Fortbildungen, insbesondere zu „systemischer Beratung“ und „analytischer Psychologie“. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in der mündlichen Verhandlung eingereichten Ausbildungsnachweise verwiesen.
Im Streitjahr war die Klägerin – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – selbständig als Subunternehmerin in der ambulanten Eingliederungshilfe gem. § 53 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe – (SGB XII) tätig. Hierbei betreute sie volljährige Personen („Klienten“) mit einer Behinderung im Sinne des Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) im Alltag durch Beratungs-, Begleitungs-, Betreuungs- und Förderleistungen mit dem Ziel, den Klienten einen eigenständigen Alltag und die Eingliederung in das soziale Leben zu ermöglichen. Hierzu zählte beispielsweise die Sicherstellung von Wohnung, Unterhalt und hauswirtschaftlicher Versorgung, die Hilfestellung bei behördlichen Antragstellungen, die Begleitung bei Behördengängen, die Entwicklung beruflicher Perspektiven, der Aufbau und die Festigung sozialer Kontakte, die gesundheitliche Stabilisierung sowie die Bewältigung von Krisen. Ein unmittelbares Vertrags-, Abrechnungs- und Vergütungsverhältnis mit dem zuständigen gesetzlichen Sozialhilfeträger, dem Landschaftsverband Rheinland – LVR – bestand dabei nicht, da die Klägerin nicht die vom LVR geforderte Ausbildung für einen Status als „Fachkraft“ besaß, sondern als eine „sonstige qualifizierte Person“ eingestuft wurde.
Der organisatorische Ablauf stellte sich im Streitjahr und stellt sich auch gegenwärtig wie folgt dar: Sofern eine leistungsberechtigte Person i.S.d. § 53 SGB XII („Klient“) eine ambulante Eingliederungshilfe wünscht, bespricht diese Art und Umfang der gewünschten Tätigkeiten mit der Klägerin. Die Klägerin erarbeitet dann zusammen mit einem beim LVR zugelassenen Anbieter (im Vertrag mit dem LVR als „Leistungserbringer“ bezeichnet) einen Hilfeplan. Die Klägerin wird im Hilfeplan als vom Klienten gewünschte Betreuerin benannt. Der Antrag wird mit weiteren Angaben – auch des Anbieters – versehen und beim LVR eingereicht. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf einen in der mündlichen Verhandlung eingereichten (Muster-)Hilfeplan verwiesen.
Der LVR genehmigt sodann – ggf. unter Einberufung einer Hilfeplankonferenz (HPK) – bei anerkannter Hilfsbedürftigkeit ein bestimmtes Stundenkontingent zur Betreuung. Für Verwaltungsaufgaben wird ein pauschaler Zeitaufwand bewilligt. Der Bewilligungsbescheid wird gegenüber dem Klienten erteilt, der entscheidet, welche Personen im Rahmen des genehmigten Kontingents Leistungen erbringen. In der Praxis erfolgt die Leistungserbringung regelmäßig durch die im Hilfeplan vorgesehenen Personen, sofern ein entsprechendes Vertrauensverhältnis (fort-)besteht. Der Klient hat jedoch auch die Möglichkeit, den Betreuer und den Anbieter zu wechseln. In vielen Fällen erfolgen die Betreuungsleistungen nur von der Klägerin an den Klienten, ohne dass der Klient mit dem im Hilfeplan benannten Anbieter näher in Kontakt tritt. Manchmal besteht auch ein zwischen der Klägerin und dem Anbieter aufgeteiltes Stundenkontingent, d.h. Klägerin und Anbieter erbringen beide unmittelbare Betreuungsleistungen gegenüber dem Klienten.
Die Vertrags- und Abrechnungsbeziehung gestaltet sich wie folgt: Die Klägerin schließt mit einem Anbieter (d.h. einem ggü. dem LVR abrechnungsberechtigten Leistungserbringer) einen Vertrag über eine freie Mitarbeit in Form eines Dienstvertrages. Im Vertrag werden insbesondere Art und Umfang der Tätigkeiten, eine Schweigepflicht, die Weisungsfreiheit der Klägerin, die Vergütung sowie Kündigungsmöglichkeiten geregelt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird beispielhaft auf den in der mündlichen Verhandlung eingereichten Vertrag zwischen der Klägerin und dem Diakoniewerk F e.V. vom 6. Januar 2005 verwiesen.
Zwischen dem LVR (als Sozialhilfeträger) und dem Anbieter (als Leistungserbringer) besteht daneben eine Vereinbarung, welche insbesondere Art, Inhalt, Umfang und Qualität der Leistungen sowie die personelle und sachliche Ausstattung des Anbieters regelt. Die Vereinbarung sieht vor, dass Leistungen grds. durch geeignete Fachkräfte erbracht werden, wozu insbesondere Diplom-Sozialarbeiter, Diplom-Sozialpädagogen, Erzieher, Heilerziehungspfleger, Pflegefachkräfte, Ergotherapeuten und Heilpädagogen zählen. Als „sonstige Kräfte“ können geeignete Personen eingesetzt werden, ihr Anteil darf 30 % der beschäftigten Betreuer nicht überschreiten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die in der mündlichen Verhandlung eingereichte (Muster-)Vereinbarung verwiesen. Zur Abrechnung der Leistungen der Klägerin übermittelt sie einerseits über eine klientenbezogene Dateneingabe auf einem Rechner beim Anbieter ihre Daten an den LVR. Der LVR rechnet sodann mit dem Anbieter ab und erstattet diesem das vereinbarte Leistungsentgelt. Andererseits erteilt die Klägerin (als Subunternehmerin) gegenüber dem Anbieter (als Hauptunternehmer) Rechnungen, in denen sie unter Benennung des Klienten, des Zeitaufwandes und des vereinbarten Stundensatzes fakturiert.
Im Streitjahr rechnete die Klägerin in dieser Weise Subunternehmerleistungen gegenüber
- Frau K („Beraten – Betreuen – Begleiten – Betreutes Wohnen“) i.H.v. 21.609,25 €,
- der Diakonie F e.V. i.H.v. 19.691,70 € und
- Frau M („Betreutes Wohnen“) i.H.v. 8.431,30 €
ab.
Die Klägerin stellte keine Umsatzsteuer in Rechnung und erläuterte hierzu: „Aufgrund meines Berufsbildes (heilberufliche Tätigkeit) bin ich von der Umsatzsteuer befreit.“. In der Folgezeit erteilten Frau K und die Diakonie F Bescheinigungen, nach welchen die von der Klägerin erbrachten Leistungen ausschließlich vom LVR getragen worden sind. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Bescheinigungen (Blatt 57, 58 der Gerichtsakte) verwiesen. Bezüglich der an Frau M erbrachten Leistungen liegt keine Bescheinigung vor und konnte von der Klägerin nicht mehr eingeholt werden, da Frau M im Mai 2010 verstorben und der Betrieb eingestellt worden ist.
Neben ihren Subunternehmerleistungen erbrachte die Klägerin zudem – hier nicht im Streit stehende – Beratungsleistungen („Coaching“) mit einem Umsatz von 800 €, den sie, da sie ihre übrigen Umsätze als steuerfrei ansah, der Kleinunternehmerregelung gem. § 19 UStG unterwarf.
In den Vorjahren ordnete der Beklagte die Leistungen als steuerfreie Umsätze gem. § 4 Nr. 16 Buchst. e UStG a.F. (i.d.F. für das Kalenderjahr 2008; nach Verwaltungsanweisungen zudem Nichtbeanstandung der Anwendung der Altregelung auch im Kalenderjahr 2009) ein.
Im Streitjahr 2010 erzielte die Klägerin insgesamt einen steuerlichen Gewinn i.H.v. 40.749,43 € sowie Umsatzerlöse i.H.v. 50.534,25 €. In ihrer Umsatzsteuer-Jahresanmeldung erklärte sie steuerfreie Umsätze i.H.v. 49.734 € (Summe der Umsätze mit Frau K, Diakonie F und Frau M mit geringfügiger Rundungsdifferenz) und wurde zunächst antragsgemäß gem. § 168 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 Abs. 1 AO) veranlagt.
In der Folgezeit fand bei der Klägerin aufgrund einer Neufassung des § 4 Nr. 16 UStG durch das Jahressteuergesetz – JStG – 2009 eine Umsatzsteuersonderprüfung für das Streitjahr statt. Ausweislich des Berichts vom 21. Mai 2012 ordnete der Prüfer die Umsätze als steuerpflichtig ein. Zur Begründung verwies er auf die Neufassung von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG (i.d.F. JStG 2009) und das BFH-Urteil vom 8. November 2007 (V R 2/06, BStBl II 2008, 636). Hiernach sei eine Tätigkeit als Subunternehmer zur Gewährung der Steuerbefreiung nicht (mehr) ausreichend. Eine anderweitige Auslegung der Norm sei nicht möglich. Frühere Verwaltungsvorschriften zur Vorgängerfassung seien unerheblich, ebenso die frühere Rechtsprechung zur direkten Anwendung der Richtlinie 77/388/EWG (nachfolgend „6. EG-Richtlinie“) und der Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuersystemrichtlinie, nachfolgend „MwStSystRL“). Für eine Befreiung nach anderen Tatbeständen privater Einrichtungen (§ 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b bis j UStG) lägen keine entsprechenden Nachweise vor.
Dem folgte der Beklagte mit einem unter dem 25. Juni 2012 gem. § 164 Abs. 2 AO bei Aufrechterhaltung des Vorbehalts erlassenen Steuerbescheids, in welchem er die zu 19 % steuerpflichtigen Lieferungen und sonstigen Leistungen mit einem – der Höhe nach unstreitigen – Nettobetrag i.H.v. 41.739 € zugrunde legte und Umsatzsteuer i.H.v. 7.930,41 € festsetzte. Vorsteuern wurden nicht berücksichtigt.
Hiergegen legte die Klägerin fristgerecht Einspruch ein und vertrat die Auffassung, die Umsätze seien weiterhin von der Umsatzsteuer befreit. Sie könne sich direkt auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL berufen. Die Klägerin machte ferner (hilfsweise) Vorsteuern i.H.v. 431,02 € geltend, welche der Beklagte mit Änderungsbescheid vom 8. August 2012 berücksichtigte. Der Bescheid wurde Gegenstand des Einspruchsverfahrens. Die festgesetzte Umsatzsteuer betrug nunmehr 7.499,39 €.
Mit Einspruchsentscheidung vom 5. November 2012 wies der Beklagte den Einspruch unter Aufrechterhaltung des Vorbehalts der Nachprüfung als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er erneut aus, § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG in der für das Kalenderjahr 2010 maßgeblichen Fassung sehe eine Vergütung durch bestimmte Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger vor und verhindere eine Steuerbefreiung für Subunternehmer. Unerheblich sei, dass die tatsächliche Kostenübernahme letztlich vom LVR erfolgt und die Leistungen der Klägerin eng mit der sozialen Fürsorge nach SGB XII verbunden seien.
Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Klage und meint, zur Gewährung der Steuerbefreiung bedürfe es richtigerweise keiner unmittelbaren Leistungs-, Abrechnungs- und Vergütungsbeziehung, weshalb auch ihre Tätigkeit als Subunternehmerin begünstigt sei. Das vom Beklagten aus der BFH-Entscheidung V R 2/06 hergeleitete Unmittelbarkeitskriterium ergebe sich nicht aus dem Gesetz, jedenfalls stehe es nicht im Einklang mit der MwStSystRL. Der Endverbraucher erhalte auch bei Einschaltung von Subunternehmern in Art, Qualität und Umfang letztlich die gleiche Leistung, als ob der Subunternehmer in einem unmittelbaren Vertragsverhältnis zum Sozialhilfe- oder Sozialversicherungsträger, hier dem LVR, stünde. Leistungen von Subunternehmern oder direkt abrechnenden Unternehmen seien konzeptionell gleichwertig und stünden nicht in einem hierarchischen Verhältnis. Die Erhebung von Umsatzsteuer sei systemwidrig, da die hier im Streit stehenden Leistungen dem Gemeinwohl dienten und der Endverbraucher nicht zusätzlich mit Umsatzsteuer belastet werden solle. Die Erhebung der Umsatzsteuer sei auch nicht mit der vom Gesetzgeber verfolgten steuerlichen Neutralität der Umsatzsteuer für den Unternehmer vereinbar. Die Erhebung von Umsatzsteuer auf Subunternehmerleistungen sei zudem deshalb problematisch, da gleichartige und in Wettbewerb miteinander stehende Dienstleistungen unterschiedlich behandelt würden. Letztlich müsse eine Kostenübernahme durch den Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger ausreichend sein. Im Rahmen der Auslegung dürfe es nicht darauf ankommen, ob die Leistungen unmittelbar oder mittelbar vom Sozialversicherungs- oder Sozialhilfeträger getragen worden seien.
Das folge auch aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL und hierzu ergangener Rechtsprechung des EuGH (insbes. Urteil vom 15. November 2012 C-174/11 – „Zimmermann“). Die Richtlinie setze weder ein unmittelbares Leistungs- und Abrechnungsverhältnis voraus, noch könnten „Einrichtungen“ i.S.d. Richtlinie natürliche Personen seien. Der weite Anwendungsbereich zeige sich schließlich an der Regelung des § 4 Nr. 25 Satz 2 Buchst. b UStG 2008, welche keine Unmittelbarkeit voraussetze. Wenn dies für Leistungen der Jugendhilfe gelte, leuchte es nicht ein, warum eine entsprechende Behandlung bei Leistungen nach § 53 SGB XII ausbleiben solle.
Ähnliches folge aus dem BFH-Urteil vom 18. August 2015 (V R 13/14, BFH/NV 2015, 1784) zur Umsatzsteuerfreiheit von Pflegeleistungen in den Jahren 2007 und 2008. Der BFH habe dort die unmittelbare Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL zugelassen und die Möglichkeit, Verträge gem. § 77 Abs. 1 Satz 1 SGB XI mit den Pflegekassen abzuschließen, für ausreichend erachtet. Ähnlich gelagert sei das BFH-Urteil vom 6. April 2016 (V R 55/14, BFH/NV 2016, 1126) zu mittelbar von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe vergüteten Leistungen gem. § 45 SGB VII.
Die Klägerin beantragt,
die Umsatzsteuer 2010 in Gestalt der Einspruchsänderung vom 5. November 2012 mit 0 € festzusetzen,
hilfsweise im Falle des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
hilfsweise im Falle des vollständigen oder teilweisen Unterliegens die Revision zuzulassen.
Zur Begründung nimmt er vollinhaltlich Bezug auf seine Ausführungen im außergerichtlichen Verfahren. Ergänzend trägt er vor, die Grundsätze des BFH-Urteils V R 13/14 seien auf den Streitfall nicht anwendbar. Das Urteil sei zu den Streitjahren 2007 und 2008 mit einer Vorgängerfassung des § 4 Nr. 16 UStG ergangen, im Übrigen betreffe die Entscheidung Pflegeleistungen und eine unmittelbare Abrechnungsbefugnis. Er weist zudem auf das anhängige BFH-Verfahren XI R 5/15 zu ähnlich gelagerten Fragestellungen hin.
Das Gericht hat das Verfahren zwischenzeitlich wegen des Verfahrens EuGH C-594/13 („go fair Zeitarbeit“) nach § 74 FGO ausgesetzt und nach dem Urteil vom 12. März 2015 wiederaufgenommen.
Aus den Gründen
Die Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 FGO. Der Beklagte hat die von der Klägerin als Subunternehmer an Frau K (i.H.v. 21.609,25 €) und an die Diakonie F e.V. (i.H.v. 19.691,70 €) erbrachten Leistungen zu Unrecht als steuerpflichtige Umsätze eingeordnet. Die Umsätze sind gem. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG (i.d.F. des JStG 2009) steuerfrei. Die verbleibenden Umsätze unterfallen der Kleinunternehmerregelung gemäß § 19 UStG.
Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG sind die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen steuerfrei, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 40 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder der Sozialhilfe oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind. Die Vorschrift ist – bis auf die Mindestvergütungsquote („Sozialquote“) – identisch mit § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG in der derzeit geltenden Fassung. Nach Satz 2 der Vorschrift sind Leistungen im Sinne des Satzes 1, die von Einrichtungen nach den Buchstaben b bis k erbracht werden, nur insoweit befreit, als es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.
Die Klägerin erbringt – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – eng mit der Betreuung von körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftigen Personen verbundene Leistungen. Hierzu zählen auch Leistungen der Eingliederungshilfe gem. § 54 SGB XII (vgl. bereits BT-Drs. 16/11108, Seite 37; ebenso A 4.16.5 Abs. 21 Satz 2 UStAE). Die Tätigkeiten und Leistungen der Klägerin sind durch die während der Umsatzsteuersonderprüfung und im Klageverfahren eingereichten Unterlagen nach Überzeugung des Senats hinreichend nachgewiesen.
Eine Umsatzsteuerbefreiung scheitert nicht daran, dass die Klägerin eine natürliche Person ist. Der Begriff der „Einrichtung“ umfasst unabhängig von der Rechts- oder Organisationsform des Leistungserbringers sowohl natürliche als auch juristische Personen (BT-Drs. 16/11108, Seite 37; ebenso A 4.16.1 Abs. 3 Satz 2 UStAE; aus der Rspr. BFH-Urteil vom 29. Juli 2015 XI R 35/13, BFH/NV 2015, 1648 m.w.N.).
Entgegen der Auffassung des Beklagten steht der Gewährung der Steuerbefreiung schließlich nicht entgegen, dass die Leistungen der Klägerin nicht unmittelbar gegenüber dem LVR als Sozialhilfeträger abrechnet und von diesem vergütet worden sind, sondern die Abrechnung über die Vertragspartner der Klägerin („Anbieter“) erfolgte und damit die Leistungen der Klägerin lediglich mittelbar vom LVR vergütet worden sind.
Dem Wortlaut der Vorschrift („…Leistungen...die…vergütet worden sind...“) lässt sich nicht entnehmen, dass eine unmittelbare Vergütung durch den Sozialhilfeträger erfolgen muss. Den Gesetzgebungsmaterialien (insbes. BT-Drs. 16/11108) lässt sich ein Unmittelbarkeitserfordernis gleichfalls nicht entnehmen. Auch aus der Neuregelung des § 4 Nr. 16 UStG (Buchst. e der alten Fassung: „getragen worden sind“; Buchst. k der neuen Fassung: „vergütet worden sind“) kann aus Sicht des Senats kein Unmittelbarkeitserfordernis abgeleitet werden. Zwar mag die alte Fassung („getragen“) sprachlich weitgehender erscheinen, der Begriff der Vergütung lässt aber gleichwohl Interpretationsspielräume offen. Hätte der Gesetzgeber eine unmittelbare Vergütung für erforderlich gehalten, hätte er dies ausdrücklich regeln können und müssen.
Der Sinn und Zweck der Vorschrift gebietet es nach Auffassung des Senats ebenfalls nicht, nur unmittelbare Vergütungen zu begünstigen. Zweck der Regelung ist es, anknüpfend an Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL, im öffentlichen Interesse liegende Dienstleistungen auch bei privater Leistungserbringung nicht zusätzlich mit Umsatzsteuer zu belasten und diese Leistungen nicht – häufig zulasten öffentlicher Kostenträger und damit im Ergebnis zulasten der Allgemeinheit – zu verteuern. Bei einem so verstandenen Befreiungszweck müssen auch Subunternehmerleistungen bei hinreichendem Nachweis der Kostentragung durch einen im Gesetz genannten Träger begünstigt sein, wenn die Tätigkeit gemeinwohlorientiert ist, insbesondere, wenn sich die Subunternehmerleistungen direkt an die betroffenen, vom Umsatzsteuerbefreiungszweck erfassten Personen richten. Dies ist der Fall, da die Klägerin unmittelbar ambulante Betreuungsleistungen an hilfsbedürftige Personen erbringt. Der Senat folgt insoweit der Argumentation der Klägerin.
Für ein derartiges Verständnis der Befreiungsvorschrift sprechen auch die Formulierungen in der MwStSystRL und die hierzu ergangene Rechtsprechung des EuGH. Nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL können die Mitgliedsstaaten eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden, von der Umsatzsteuer befreien. Art. 133 MwStSystRL ermöglicht es den Mitgliedsstaaten, die Umsatzsteuerbefreiung privater Einrichtungen von einer oder mehrerer in Art. 133 Buchst a. bis d. MwStSystRL aufgeführter Bedingungen abhängig zu machen. Die dort benannten Kriterien beziehen sich im Kern auf Gewinnerzielungsabsicht, Preisgestaltung und Wettbewerbssituation und regeln keine besonderen Erfordernisse in der Ausgestaltung der Vertrags- und Abrechnungsbeziehung sowie der Zahlungsflüsse. Aus der Rechtsprechung des EuGH zum ähnlich gelagerten Art. 13 Teil A Abs. 1 Buchst. g der 6. EG-Richtlinie (vgl. Urteil vom 15. November 2012 C-174/11 – „Zimmermann“, DStRE 2013, 423 m.w.N.) ergibt sich, dass die Mitgliedsstaaten bei der Ausgestaltung des Anerkennungsverfahrens für private Einrichtungen über ein Ermessen verfügen (vgl. aus der BFH-Rechtsprechung hierzu Urteil vom 19. März 2013 XI R 47/07, BFH/NV 2013, 1204). Der EuGH hat diese Rechtsprechung unter Geltung der MwStSystRL fortgeführt (vgl. EuGH-Urteil vom 12. März 2015 C-594/13 – „go fair“, DStR 2015, 645).
Selbst unter Berücksichtigung der jüngeren EuGH-Rechtsprechung, wonach Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL eng auszulegen sei und die Gestellung von Arbeitnehmern als solche keine im sozialen Bereich erbrachte Gemeinwohldienstleistung darstelle (EuGH-Urteil „go fair“, a.a.O., Rn. 17, 28), lässt sich aus Sicht des Senats nicht herleiten, dass bei unmittelbarer Leistungserbringung an die betreuungsbedürftige Person eine nur mittelbare Vertrags- und Vergütungsbeziehung zum öffentlichen Leistungsträger schädlich ist. Vielmehr sprechen die vom EuGH aufgestellten Grundsätze dafür, primär auf die tatsächliche Leistungserbringung abzustellen und der Vertrags- und Vergütungsbeziehung nur eine untergeordnete Bedeutung zuzumessen.
Der Senat sieht sich insoweit auch in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BFH. In dem vom Beklagten vornehmlich angeführten Urteil vom 8. November 2007 (V R 2/06, BStBl II 2008, 636; vgl. auch BFH-Urteil vom 8. August 2013 V R 8/12, BFH/NV 2014, 119) hat der BFH zu Subunternehmerleistungen im Rahmen der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe bei unmittelbarer Anwendung der 6. EG-Richtlinie entschieden, dass sich eine Anerkennung (i.S.d. Richtlinie) nicht schon daraus ableiten lasse, dass die Einrichtung, an die der (dortige) Kläger als deren Subunternehmer seine Leistungen erbracht hat, vom Mitgliedsstaat ausdrücklich oder zumindest aufgrund unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zu dem örtlichen Träger der Sozialversicherung anerkannt worden sei. In seiner jüngeren Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteile vom 18. August 2015 V R 13/14, BFH/NV 2015, 871; vom 6. April 2016 V R 55/14, BFH/NV 2016, 1126) betont der V. Senat des BFH hingegen, dass seine Entscheidung vom 8. November 2007 nicht so verstanden werden könne, die Steuerbefreiung komme stets nur bei unmittelbaren vertraglichen Vereinbarungen in Betracht. In der Entscheidung vom 18. August 2015 hat er fehlende vertragliche Vereinbarungen der Leistungserbringerin mit den Pflegekassen nicht beanstandet, weil sie Mitglied in einem „anerkannten“ Verein zur Erbringung von Pflegeleistungen war, dessen Kosten weitgehend von den Pflegekassen getragen worden sind. Die durchgeleitete Kostenübertragung sah der V. Senat auch unter Berücksichtigung des „gerichtsbekannten Pflegenotstandes“ und des sich hieraus ergebenen hohen Gemeinwohlinteresses als unschädlich an. In der Entscheidung vom 6. April 2016 betont der V. Senat sinngemäß, das bloße Tätigkeitwerden als Subunternehmer reiche zwar nicht aus, umgekehrt schließe aber eine Subunternehmerstellung die Steuerbefreiung nicht grundsätzlich aus.
Bedenken gegen ein solches (weites) Verständnis von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG werden auch in der überwiegenden Kommentarliteratur nicht geäußert. Diese hält eine tatsächliche Kostenübernahme (Kostentragung) durch den gesetzlichen Träger für ausreichend (vgl. Oelmaier in Sölch/Ringleb, UStG, § 4 Nr. 16 Rn. 100, April 2014; ähnlich Spilker in BeckOK UStG, 9. Edition, § 4 Nr. 16 Rn. 64; ebenso Heidner in Bunjes, UStG, 15. Aufl. 2016, § 4 Nr. 16 Rn. 27; anders hingegen Weber in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG, § 4 Nr. 16 Rn. 61, Juni 2016, mit Verweis auf A 4.25.1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchst. c Satz 2 UStAE).
Soweit die Finanzverwaltung eine unmittelbare Leistungs- und Vergütungsbeziehung verlangt (in diesem Sinne BMF-Schreiben vom 20. Juli 2009 IV B 9-S 7172/09/10002, BStBl I 2009, 774, Rn. 38 und A 4.16.3 Abs. 2 Satz 2 UStAE: „Auch Betreuungs- und Pflegeleistungen von Einrichtungen (Subunternehmer), die diese gegenüber begünstigten Einrichtungen erbringen, sind nicht begünstigt, sofern diese nicht selbst eine begünstigte Einrichtung nach § 4 Nr. 16 UStG ist“; ähnlich A 4.16.1 Abs. 3 Satz 4 UStAE: „Für die Anerkennung eines Unternehmers als eine Einrichtung mit sozialem Charakter reicht es für sich allein nicht schon aus, dass der Unternehmer lediglich als Subunternehmer für eine anerkannte Einrichtung tätig ist.“; noch deutlicher zu Leistungen im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe gem. § 4 Nr. 25 UStG A 4.25.1 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 Buchst. c Satz 2 UStAE: „Eine Vergütung durch die zuvor genannten Träger und Einrichtungen ist aber nur dann gegeben, wenn der Leistungserbringer von diesen unmittelbar bezahlt wird.“), vermag der Senat einer solch engen Auslegung vor dem Hintergrund des Gesetzeswortlauts, der europäischen Richtlinien und der hierzu ergangenen Rechtsprechung des EuGH und BFH nicht zu folgen.
Der Senat hält es auch nicht für geboten, wegen der bei Subunternehmern schwierigeren Nachweissituation eine Steuerbefreiung im Streitfall abzulehnen. Im Urteil vom 6. April 2016 (V R 55/14, BFH/NV 2016, 1126) hat der BFH ausdrücklich entschieden, dass die (dort bereits) von der Verwaltung vorgetragenen Nachweisprobleme in Fällen der weitergeleiteten (mittelbaren) Kostentragung nicht gegen eine Anerkennung sprächen. Die Nachweisprobleme beträfen das Verfahrensrecht und seien nach den allgemeinen Grundsätzen dahingehend zu lösen, dass derjenige, der die Umsatzsteuerfreiheit begehre, die Feststellungslast für die hierfür entscheidungserheblichen Tatsachen trage und – wenn die für die Umsatzsteuerbefreiung erforderlichen Feststellungen nicht möglich sein sollten – dies zu seinen Lasten gehe.
Im Streitfall kommt der Senat nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnen Überzeugung – insbesondere unter Berücksichtigung des im Wesentlichen zwischen den Beteiligten unstreitigen äußeren Lebenssachverhalts und der in der mündlichen Verhandlung eingereichten Unterlagen – zu dem Ergebnis, dass die „Sozialquote“ auch bei mittelbarer Kostentragung hinreichend nachgewiesen ist. Aufgrund der von den Anbietern (Frau K; Diakonie F) erteilten Bescheinigungen sowie der in der mündlichen Verhandlung erläuterten und durch Unterlagen substantiierten Abläufe steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Leistungen der Klägerin vollständig (mittelbar) vom LVR als Sozialhilfeträger vergütet worden sind und damit die gesetzliche Mindestquote („Sozialgrenze“) i.H.v. 40 % in jedem Fall erreicht bzw. überschritten worden ist. Das wurde insoweit auch vom Beklagten nicht in Abrede gestellt. Mit den Bescheinigungen ist für den Senat zudem hinreichend dargelegt, dass die Klägerin nur vom LVR anerkannte Leistungen der (ambulanten) Eingliederungshilfe erbracht hat und insoweit die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG erfüllt sind.
Da sich die Steuerbefreiung nach Auffassung des Senats bereits aus einer richtlinienkonformen Auslegung von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k UStG ergibt, bedarf es keiner Entscheidung, ob eine Steuerbefreiung auch aus einer unmittelbaren Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. g und Art. 133 MwStSystRL folgt.
Mit den verbleibenden Umsätzen gegenüber Frau M (für welche keine Bescheinigung über die Kostenerstattung durch den LVR vorliegt) und Herrn P („Coaching-Leistungen“) unterschreitet die Klägerin den Gesamtumsatz gem. § 19 Abs. 1, 3 Nr. 1 UStG, weshalb auch insoweit keine Umsatzsteuer festzusetzen ist (vgl. insoweit auch ausdrücklich BT-Drs. 16/11108, Seite 39, zur Anwendung der Kleinunternehmerregelung auf die nicht unter § 4 Nr. 16 UStG fallenden Leistungen).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Obgleich die Klägerin trotz vorheriger Aufforderung erst in der mündlichen Verhandlung weitere zur Beurteilung des Sachverhalts maßgebliche Unterlagen eingereicht hat, sieht der Senat von einer Kostenentscheidung gem. § 137 FGO ab, da der Beklagte nach seiner Interpretation von A 4.16.1 Abs. 1 Satz 4 und A 4.16.3 Abs. 2 Satz 2 UStAE eine Subunternehmerschaft generell als schädlich einstuft und die Klägerin deshalb auch mit früherer Vorlage der Unterlagen nicht außerhalb des Klageverfahrens hätte obsiegen können.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die Frage, ob § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k. (bzw. aktuell: Buchst. l) UStG eine unmittelbare Leistungs-, Abrechnungs- und/oder Vergütungsbeziehung verlangt, ist höchstrichterlich nicht hinreichend geklärt. Zu früheren Fassungen der Vorschrift sind bereits Revisionsverfahren anhängig (vgl. BFH XI R 5/15 zu den Kalenderjahren 2002 bis 2006), der BFH hat jüngst zudem in Fällen der Subunternehmerschaft wiederholt die Revision zugelassen (vgl. BFH V R 10/16 und V R 29/16).