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Steuerrecht
08.05.2024
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Strafverteidigungskosten als nachträgliche Werbungskosten

FG Düsseldorf, Urteil vom 22.3.2024 – 3 K 2389/21 E

ECLI:DE:FGD:2024:0322.3K2389.21E.00

Volltext:BB-ONLINE BBL2024-1109-1

Nicht Amtliche Leitsätze

1. Wird dem Steuerpflichtigen eine Tat in Ausübung und nicht nur bei Gelegenheit der beruflichen Tätigkeit zur Last gelegt, können die Strafverteidigungskosten als Werbungskosten abziehbar sein.

2. Dies gilt nicht, wenn die strafbaren Handlungen nicht im Rahmen der beruflichen Aufgabenerfüllung liegen, sondern durch einen privaten Veranlassungszusammenhang überlagert werden.

 

Sachverhalt

Die Beteiligten streiten um die steuerliche Berücksichtigung von Strafverteidigungskosten als (nachträgliche) Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers als ehemaligem Geschäftsführer bzw. Syndikusanwalt in Gesellschaften des X.-Konzerns.

Die Kläger sind Eheleute und werden für das Streitjahr 2019 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kläger ist Rechtsanwalt und erzielte im Streitjahr Einkünfte aus selbständiger Arbeit.

Der Entstehung der im vorliegenden Verfahren streitgegenständlichen Strafverteidigungskosten liegt eine Strafanzeige der X. AG vom 04.04.2012 gegen den Kläger und weitere leitende Personen des X.-Konzerns zugrunde (Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft W. Az. N01 Bd. 1 Bl. 4 ff.).

Die X. AG (heute X. SE) – eine globale Anbieterin von Lösungen ... – übt ihr operatives Geschäft über eine Tochtergesellschaft, die X. E. GmbH (vormals X. M. GmbH), und deren zahlreiche Tochtergesellschaften aus. Der Kläger war in drei dieser Konzerngesellschaften in leitenden Funktionen angestellt. Von 2004 bis 2011 war er Chefsyndikus der X. Q. GmbH (im Folgenden: X. Q.) und als solcher verantwortlich für alle rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Fragen der Gesellschaft. In den Jahren 2006 bis 2010 war er zudem Geschäftsführer der X. C. GmbH (im Folgenden: X. C.) sowie zwischen 2006 und 2011 Geschäftsführer der N. GmbH (im Folgenden: N.). Weiterer und nach dem Vortrag des Klägers allein für das operative Geschäft verantwortlicher Geschäftsführer der X. C. und der N. war J. U., der bis zu einer außerordentlichen Kündigung im Jahr 2011 auch Mitgeschäftsführer der X. M. GmbH war. U. war zudem Anteilseigner und Geschäftsführer weiterer, nicht mit dem X.-Konzern verbundener Gesellschaften.

Ausgangspunkt der strafrechtlichen Vorwürfe gegen den Kläger (und weitere Personen) in der Strafanzeige der X. AG waren Vorwürfe gegen U., der u.a. beschuldigt wurde, seinen Gestaltungsspielraum im X.-Konzern kontinuierlich genutzt zu haben, um seine persönlichen und außerhalb des Konzerns liegenden Geschäftsinteressen unter Schädigung der X. AG und ihrer Konzerngesellschaften zu verfolgen. U. habe insbesondere – unter Bestechung hochrangiger Mitglieder auf Vorstands- und Geschäftsführerebene – namens der X.-Gruppe Transaktionen durchgeführt, die allein seinem persönlichen Vorteil gedient hätten. So sollen zum einen für Gesellschaften des X.-Konzerns nachteilige Mietverträge mit Gesellschaften des U. geschlossen worden sein. Zum anderen sollen Tätigkeiten, die zuvor durch die N. gegenüber einem Großkunden, der V. AG, erbracht worden waren (Reinigungsleistungen) bzw. durch die X. C. hätten erbracht werden sollen (Arbeitnehmerüberlassung, Montagedienstleistungen), auf Veranlassung des U. sowie anderer Personen auf vom X.-Konzern unabhängige Gesellschaften des U. verlagert worden sein.

Dem Kläger wurde in der Strafanzeige vorgeworfen, als Geschäftsführer der zum X.-Konzern gehörenden Gesellschaften am Abschluss mehrerer für die X.-Gruppe nachteiliger Gewerbemietverträge mit Gesellschaften des U. beteiligt gewesen zu sein, wodurch den Gesellschaften ein Schaden von insgesamt über ... € entstanden sei. U. habe hierfür die Weichen gestellt, indem er dem Kläger verschiedene Geschäftsführungs-, Vorstands- und Aufsichtsratspositionen in seinen Unternehmen verschafft habe.

Infolge der Anzeige ermittelte die Staatsanwaltschaft W. gegen den Kläger – nach diversen verfahrensrechtlichen Abtrennungen zuletzt unter den Aktenzeichen N01 und N02 – wegen des Vorwurfs der (Beihilfe zur) Untreue gemäß § 266 des Strafgesetzbuchs (StGB) und der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr gemäß § 299 StGB. Mit seiner anwaltlichen Vertretung in diesen Verfahren beauftragte der Kläger im April 2012 die Rechtsanwaltskanzlei O..

Im Laufe der Ermittlungen wurde neben dem ursprünglichen Vorwurf aus der Strafanzeige auch eine strafrechtliche Verantwortlichkeit des Klägers im Hinblick auf die Verlagerung von Geschäftsfeldern des X.-Konzerns auf Gesellschaften des U. geprüft. Der Staatsanwaltschaft zufolge bestand der Verdacht, dass der Kläger als zeitweiliger Mitgeschäftsführer der X. C. sowie Chefsyndikus der X.-Unternehmensgruppe in das Vorhaben des U. eingeweiht war, dieses unterstützte und auch für diese Kooperation Ämter in Unternehmen des U. erhielt (Durchsuchungsbeschluss des AG W. vom 08.05.2015, vgl. Ermittlungsakte Az. N02, Bd. 7 Bl. 1490 ff.).

Die o.g. Ermittlungsverfahren gegen den Kläger (und auch gegen die übrigen Beschuldigten) wurden am 18.10.2019 bzw. 23.07.2019 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung – StPO – eingestellt. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft konnte dem Kläger weder nachgewiesen werden, bei den Mietvertragsabschlüssen, an denen er als Geschäftsführer beteiligt gewesen war, die Vereinbarung überhöhter Mieten zumindest billigend in Kauf genommen zu haben noch als Chefsyndikus am Abschluss der relevanten Mietverträge beteiligt gewesen zu sein oder diese zur Prüfung vorgelegt bekommen zu haben. Das Verfahren N01 wurde mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Auch das Ermittlungsverfahren N02 wurde hinsichtlich der vorgeworfenen Verlagerung der Tätigkeitsfelder „Arbeitnehmerüberlassung“ und „Montagedienstleistungen“ mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt. Die Staatsanwaltschaft konnte eine Einbindung des Klägers in die jeweiligen Vorgänge nicht feststellen. Hinsichtlich des Verdachts der Verlagerung des „Reinigungsgeschäfts“ von der N. auf eine Gesellschaft des U. (G. GmbH & Co. KG) führte die Staatsanwaltschaft aus, dass nach Abschluss der Ermittlungen weder die tatsächlichen Beweggründe noch die Initiative für den Übergang des Geschäftsfeldes abschließend hätten ermittelt werden können. Der Beschuldigte [Anmerkung des Gerichts: der Kläger] habe sich dahingehend eingelassen, dass er von der Mitteilung des gesondert Verfolgten Z., dass die X.-Unternehmensgruppe nicht mehr mit Reinigungsdienstleistungen für die V. AG beauftragt werden solle, vollkommen überrascht gewesen sei. Auch sei er nach eigener Aussage in die Entscheidung der Übertragung des Geschäftsfeldes nicht eingebunden gewesen. In der Folgezeit – so die Feststellung der Staatsanwaltschaft – habe der Kläger mit einer Zeugin, die Führungspositionen unter anderem bei der Firma G. innegehabt habe, einen Vertragsentwurf für das Reinigungsgeschäft zwischen den Unternehmen G. und V. AG erstellt und diesen dem gesondert Verfolgten Z. übermittelt. Der Fortführung des Verfahrens stand nach Auffassung der Staatsanwaltschaft insoweit „– trotz des in tatsächlicher Hinsicht fortbestehenden gewichtigen Tatverdachts gegen den Beschuldigten F. wegen des Vorwurfs der Untreue –“ das Verfahrenshindernis der Verjährung entgegen. Hinsichtlich des ebenfalls geprüften Vorwurfs der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB) kam die Staatsanwaltschaft zu dem Ergebnis, dass der Tatvorwurf schon nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm erfülle.

Beschwerden gegen die Einstellungen wurden durch die Generalstaatsanwaltschaft W. am 10.06.2020 verworfen.

Für seine strafrechtliche anwaltliche Vertretung in den Ermittlungsverfahren wendete der Kläger im Streitjahr 67.176 € auf.

Die im Einkommensteuerbescheid 2019 vom 17.11.2020 zunächst unter dem Vorbehalt der Nachprüfung als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit des Klägers erklärungsgemäß anerkannten Strafverteidigungskosten ließ der Beklagte in dem nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) geänderten Einkommensteuerbescheid 2019 vom 17.02.2021 steuerlich unberücksichtigt. Der gegen den Bescheid eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 21.09.2021 als unbegründet zurückgewiesen.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit der am 25.10.2021, einem Montag, erhobenen Klage.

Sie machen geltend, die Strafverteidigungskosten seien als Werbungskosten zu berücksichtigen. Der Kläger habe die Kosten aufgewendet, um sich vom Vorwurf der Untreue zu entlasten, dem er sich als Geschäftsführer bzw. leitender Angestellter der X. C., N. und X. Q. ausgesetzt gesehen habe. Die vorgeworfenen Taten seien nur aus seiner Erwerbstätigkeit innerhalb des X.-Konzerns erklärbar. Unabhängig von fehlenden Tathandlungen seien seine Handlungen im Rahmen seiner Erwerbstätigkeit und daher bei Ausübung, nicht nur bei Gelegenheit der beruflichen Tätigkeit vorgenommen worden. Wie in den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren festgestellt worden sei, sei er seiner Tätigkeit als nicht operativer Geschäftsführer bzw. leitender Angestellter ohne schuldhaftes Verhalten nachgegangen. Insbesondere sei er nicht in die Entscheidungen über die Ausgliederung von Geschäftsfeldern aus dem X.-Konzern bzw. in die Verhandlungen über die Höhe des Mietzinses eingebunden gewesen. Im Gegenteil sei er hinsichtlich des Geschäftszweigs der Reinigungsdienstleistungen, von dessen Ausgliederung er als einziger vorab erfahren habe, dahingehend tätig geworden, eine Möglichkeit der Ausführung der Leistungen durch den X.-Konzern unter dem bisherigen Gesellschaftszweck der N. zu finden. Auch er sei dann von den weiteren Beteiligten über die Notwendigkeit der Ausgliederung getäuscht worden.

Der berufliche Bezug der Kosten werde auch nicht durch private Interessen überlagert. Von einer solchen Überlagerung sei insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst habe schädigen wollen. Er habe sich jedoch zu keinem Zeitpunkt gegenüber seinem Arbeitgeber bewusst schädigend verhalten. Die ihm im Rahmen der Anzeige vorgeworfenen Handlungen eines kollusiven Zusammenwirkens hätten sich als unwahr herausgestellt. Allein der Vorwurf eines schädigenden Verhaltens könne den Zusammenhang mit der Erwerbstätigkeit nicht überlagern. Ansonsten würde bereits ein fiktives Verhalten zu einem Abzugsverbot führen. Der Werbungskostenabzug würde in die Hand eines Dritten, des Anzeigenerstatters, gelegt.

Die Kläger beantragen,

den Einkommensteuerbescheid 2019 vom 17.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.09.2021 dahingehend zu ändern, dass Strafverteidigungskosten i.H.v. 67.176 € als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt werden.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, Strafverteidigungskosten seien als Werbungskosten abzugsfähig, wenn der strafrechtliche Vorwurf durch das berufliche Verhalten veranlasst worden sei. Dies sei dann der Fall, wenn die zur Last gelegte Tat in Ausübung der beruflichen Tätigkeit begangen worden sei. Des Weiteren werde vorausgesetzt, dass die schuldhafte Handlung noch im Rahmen der beruflichen Aufgabenerfüllung liege. Dies sei ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst, also vorsätzlich habe schädigen wollen oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert habe. Dem Kläger sei vorgeworfen worden, den ehemaligen Geschäftsführer unterstützt zu haben, um der Firma einen erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen. Damit hätte er einen Dritten durch sein Mitwirken bereichert. Diese Handlung habe ihren Ursprung nicht in der beruflichen Tätigkeit gehabt, sondern der Beruf habe ihm lediglich die Gelegenheit gegeben, eine solche Tat ausführen zu können. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO führe zu keiner anderen Beurteilung. Der Frage, ob das Verfahren mit einer Verurteilung oder einem Freispruch ende, komme nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) keine Bedeutung zu, da ausschließlich die berufliche Veranlassung maßgeblich sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der vom Beklagten übersandten Verwaltungsvorgänge sowie der beigezogenen Akten der Ermittlungsverfahren N01 und N02 der Staatsanwaltschaft W. u.a. gegen den Kläger Bezug genommen.

Aus den Gründen

A. Die Klage ist begründet.

Der Einkommensteuerbescheid 2019 vom 17.02.2021 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 21.09.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Der Beklagte hat die Strafverteidigungskosten i.H.v. 67.176 € zu Unrecht nicht als Werbungskosten bei den Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Arbeit berücksichtigt.

I. Werbungskosten, nämlich Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen i.S.d. § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG, liegen bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) vor, wenn sie durch den Beruf veranlasst sind. Sie sind beruflich veranlasst, wenn ein objektiver Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv zur Förderung des Berufs getätigt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH, Beschlüsse vom 20.10.2016 VI R 27/15, BFH/NV 2017, 223; vom 09.11.2015 VI R 36/13, BFH/NV 2016, 194).

1. Werbungskosten setzen stets einen objektiven Zusammenhang mit der Berufstätigkeit voraus, während die subjektive Absicht kein in jedem Fall notwendiges Merkmal des Werbungskostenbegriffs ist (vgl. BFH, Urteile vom 25.10.1989 X R 69/88, BFH/NV 1990, 553; vom 09.12.2003 VI R 35/96, BStBl II 2004, 641). Die Aufwendungen müssen zu einer Einkunftsart in einem steuerrechtlich anzuerkennenden wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Ob ein solcher besteht, richtet sich nach der – wertenden – Beurteilung des die betreffenden Aufwendungen auslösenden Moments und der Zuweisung dieses Bestimmungsgrundes zur einkommensteuerlich relevanten Erwerbssphäre (vgl. BFH, Beschluss vom 04.07.1990 GrS 2-3/88, BStBl II 1990, 817; Urteil vom 20.12.1994 IX R 122/92, BStBl II 1995, 534; Urteil vom 20.10.2016 VI R 27/15, BFH/NV 2017, 223 m.w.N.).

Diese Grundsätze gelten auch für nachträgliche Werbungskosten, die entstehen können, wenn der Arbeitnehmer nach Beendigung des Dienstverhältnisses Aufwendungen im Zusammenhang mit diesem erbringen muss. In diesem Fall muss bereits zu dem Zeitpunkt, in dem der Grund für die Aufwendungen gelegt wird, der berufliche Zusammenhang bestehen (vgl. BFH, Urteile vom 18.08.1992 VIII R 22/89, BFH/NV 1993, 465; vom 16.11.2011 VI R 97/10, BStBl II 2012, 343).

2. Strafverteidigungskosten sind nach der ständigen Rechtsprechung des BFH dann als Werbungskosten abziehbar, wenn der strafrechtliche Vorwurf, gegen den sich der Steuerpflichtige zur Wehr setzt, durch sein berufliches Verhalten veranlasst ist. Das ist der Fall, wenn die dem Steuerpflichtigen zur Last gelegte Tat in Ausübung – und nicht nur bei Gelegenheit – der beruflichen Tätigkeit begangen worden ist (vgl. z.B. BFH, Urteile vom 19.02.1982 VI R 31/78, BStBl II 1982, 467; vom 13.12.1994 VIII R 34/93, BStBl II 1995, 457; vom 18.10.2007 VI R 42/04, BStBl II 2008, 223; vom 16.04.2013 IX R 5/12, BStBl II 2013, 806; vom 10.01.2024 VI R 16/21, juris). Ob der Tatvorwurf zu Recht erhoben wurde, ist für die steuerliche Beurteilung nicht relevant (vgl. BFH, Beschlüsse vom 30.06.2004 VIII B 265/03, BFH/NV 2004, 1639; vom 10.06.2015 VI B 133/14, BFH/NV 2015, 1247; Urteil vom 13.12.2016 VIII R 43/14, BFH/NV 2017, 569).

Auch eine „in Ausübung der beruflichen Tätigkeit" begangene Tat kann allerdings keinen Veranlassungszusammenhang der Strafverteidigungskosten mit den Einkünften begründen, wenn die Handlungen nicht im Rahmen der beruflichen Aufgabenerfüllung liegen oder ein beruflicher Veranlassungszusammenhang durch einen überlagernden privaten Veranlassungszusammenhang ausgeschlossen wird. Letzteres liegt insbesondere vor, wenn der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber bewusst, also vorsätzlich schädigen wollte oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert hat, wenn also das Verhalten des Arbeitnehmers von privaten Gründen getragen wurde (vgl. BFH, Urteile vom 09.12.2003 VI R 35/96, BStBl II 2004, 641; vom 18.10.2007VI R 42/04, BStBl II 2008, 223; Beschlüsse vom 17.08.2011 VI R 75/10, BFH/NV 2011, 2040; vom 13.12.2016 VIII R 43/14, BFH/NV 2017, 569; vom 31.03.2022 VI B 88/21, BFH/NV 2022, 722). Allerdings genügt insoweit zum Ausschluss des Werbungskostenabzugs der Tatvorwurf allein zumindest dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen Untreue bzw. Beihilfe zur Untreue vorgeworfen wird (vgl. BFH, Beschluss vom 17.08.2011 VI R 75/10, BFH/NV 2011, 2040).

II. Die dem Kläger im Streitjahr entstandenen Strafverteidigungskosten stellen hiernach nachträgliche Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit dar. Die strafrechtlichen Vorwürfe, gegen die sich der Kläger zur Wehr setzte, waren unmittelbar durch sein früheres berufliches Verhalten veranlasst (hierzu unter 1.). Eine Überlagerung der beruflichen Veranlassung durch private Veranlassungsgründe bestand nicht (hierzu unter 2.)

1. Ein konkreter Veranlassungszusammenhang der Aufwendungen zu den früheren Einkünften des Klägers als Geschäftsführer und Syndikusanwalt im X.-Konzern besteht, weil dem Kläger strafrechtlich relevantes Verhalten „in Ausübung“ seiner früheren beruflichen Tätigkeiten vorgeworfen wurde. Die Strafverteidigung gegen diesen Vorwurf hatte damit einen unmittelbaren beruflichen Anlass.

Kern der strafrechtlichen Tatvorwürfe in der Strafanzeige des X.-Konzerns und der weiteren Verdachtsmomente im Laufe der Ermittlungsverfahren waren – vermeintliche – Verhaltensweisen des Klägers in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem beruflichen Aufgabenfeld als angestelltem Geschäftsführer bzw. angestelltem Syndikusanwalt. Die Vorwürfe der Untreue bzw. Beihilfe zur Untreue gegen den Kläger bezogen sich auf die rechtliche Prüfung und den Abschluss von Gewerbemietverträgen für die Gesellschaften des X.-Konzerns sowie auf Entscheidungen, bestimmte Leistungen (Reinigung, Arbeitnehmerüberlassung, Montage) nicht durch die Gesellschaften zu erbringen bzw. fortzuführen. Der Vorwurf knüpfte damit unmittelbar am originären beruflichen Aufgabenspektrum des Klägers an, der insbesondere für die rechtlichen, wirtschaftlichen und finanziellen Fragen der jeweiligen Konzerngesellschaften und – als Mitgeschäftsführer und damit gesetzlicher Vertreter – auch für den Abschluss zivilrechtlicher Verträge für die von ihm vertretenen Gesellschaften zuständig war.

2. Dieser berufliche Veranlassungszusammenhang der Strafverteidigungskosten wird nicht durch außerhalb der Erwerbssphäre liegende Veranlassungsgründe aufgehoben. Dass Auslöser der strafrechtlichen Vorwürfe vom Kläger begangene Taten waren, die nicht im Rahmen seiner beruflichen Aufgabenerfüllung lagen oder mit denen er – so der Vorwurf der Anzeigenerstatterin – seine Arbeitgeberinnen schädigen und sich sowie U. bereichern wollte , kann nicht festgestellt werden (hierzu unter a). Allein der diesbezüglich von der Anzeigenerstatterin erhobene Vorwurf reicht für die Annahme einer privaten Mitveranlassung der Strafverteidigungskosten nicht aus (hierzu unter b).

a) Im strafrechtlichen Verfahren wurde ein Nachweis der dem Kläger durch den X.-Konzern vorgeworfenen Taten nicht geführt. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren wurden im Gegenteil gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.

Die Einstellung der Ermittlungsverfahren erfolgte hinsichtlich der vorgeworfenen Tatkomplexe „Gewerbemietverträge“ und „Verlagerung der Geschäftsfelder Montagedienstleistung und Arbeitnehmerüberlassung“ mangels hinreichenden Tatverdachts. Soweit überhaupt eine Einbindung des Klägers in die Vorgänge festgestellt werden konnte, namentlich in Bezug auf den Abschluss einzelner Gewerbemietverträge, konnte die Staatsanwaltschaft jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür ermitteln, dass der Kläger einen überhöhten Mietzins zulasten des X.-Konzerns zumindest billigend in Kauf genommen hätte.

Hinsichtlich des Komplexes der Reinigungsdienstleistungen wurde das Ermittlungsverfahren wegen Verjährung des Tatvorwurfs eingestellt trotz eines „in tatsächlicher Hinsicht fortbestehenden gewichtigen Tatverdachts“ hinsichtlich des Vorwurfs der (Beihilfe zur) Untreue. Wenngleich die Einstellung nicht mangels hinreichenden Tatverdachts erfolgte, wurde auch insoweit der Nachweis einer außerberuflich motivierten Tat des Klägers nicht geführt. Auch lassen die diesbezüglichen Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft keine Schlussfolgerungen zulasten des Klägers zu. So führt die Staatsanwaltschaft insbesondere aus, dass nach Abschluss der Ermittlungen weder die tatsächlichen Beweggründe noch die Initiative für den Übergang des Geschäftsfeldes abschließend hätten ermittelt werden können. Auch aus den Ausführungen zu etwaig strafrelevanten Handlungen des Klägers in diesem Zusammenhang ergeben sich keine für die gerichtliche Feststellung einer die berufliche Veranlassung überlagernden außerberuflichen Mitveranlassung der Strafverteidigungskosten hinreichenden Anhaltspunkte. Der nach Auffassung der Staatsanwaltschaft „gewichtige Tatverdacht“ wird allein aus dem Umstand abgeleitet, dass der Kläger, nachdem die Entscheidung zur Übertragung des Geschäftsfeldes getroffen worden war, an der Erstellung eines Vertragsentwurfs für das Reinigungsgeschäft zwischen den Unternehmen G. und V. AG beteiligt war. Selbst wenn dieser Beitrag aus strafrechtlicher Perspektive geeignet wäre, eine objektive Beihilfehandlung darzustellen, vermag der Senat allein aus diesem vermeintlichen Verhalten einen Schädigungsvorsatz des Klägers zulasten der Arbeitgeberin N. oder eine gewollte Bereicherung des U. nicht abzuleiten. Dies gilt umso mehr als sich die Erstellung des Vertragsentwurfs nach dem Vorbringen der Strafverteidigung darauf beschränkte, die Gesellschaftsnamen der Vertragspartner in den bereits existenten Verträgen auszuwechseln (vgl. Ermittlungsakte Az. N02 Bd. 22, Bl. 5568). Ein solch geringfügiger Beitrag fiele im Übrigen mit Blick auf die gegen den Kläger insgesamt erhobenen schwerwiegenden Vorwürfe bei der steuerlichen Beurteilung des Anlasses für die Entstehung der erheblichen Strafverteidigungskosten nicht ins Gewicht.

b) Allein der durch die X. AG in der Strafanzeige erhobene Vorwurf eines Schädigungsvorsatzes zulasten des Konzerns bzw. einer Bereicherung des Klägers und des U. durch die vorgeworfenen Taten führt nicht zu einer Überlagerung des beruflichen Veranlassungszusammenhangs der Strafverteidigungskosten durch außerberufliche, private Gründe.

Dem vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung geäußerten Argument, die steuerliche Beurteilung von Strafverteidigungskosten bedürfe einer typisierenden, auch hinsichtlich einer etwaigen Überlagerung der Strafverteidigungskosten durch private Gründe allein am Tatvorwurf orientierten Prüfung, vermag sich der Senat jedenfalls in Fällen des strafrechtlichen Untreuevorwurfs, in denen das vorgeworfene Verhalten unmittelbar die Berufsausübung betrifft, nicht anzuschließen. Eine derartige Typisierung lässt sich nach Auffassung des Senats auch nicht aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung ableiten. Zwar kommt es nach der Rechtsprechung des BFH – worauf der Beklagte im Ausgangspunkt zu Recht hinweist – für die steuerliche Beurteilung von Strafverteidigungskosten nicht darauf an, ob der Tatvorwurf zu Recht erhoben wurde (vgl. BFH, Beschlüsse vom 30.06.2004 VIII B 265/03, BFH/NV 2004, 1639; vom 10.06.2015 VI B 133/14, BFH/NV 2015, 1247; Urteil vom 13.12.2016 VIII R 43/14, BFH/NV 2017, 569). Diesen Rechtssatz hat der BFH jedoch in Bezug auf den Vorwurf, der Arbeitnehmer habe seinen Arbeitgeber schädigen wollen oder sich oder einen Dritten durch die schädigende Handlung bereichert, eingeschränkt. Insoweit genüge zum Ausschluss des Werbungskostenabzugs der Tatvorwurf allein zumindest dann nicht, wenn dem Steuerpflichtigen – wie auch im Streitfall – Untreue bzw. Beihilfe zur Untreue vorgeworfen wird (vgl. BFH, Beschluss vom 17.08.2011 VI R 75/10, BFH/NV 2011, 2040).

Im Streitfall trägt diese Einschränkung nach Auffassung des Senats der im Rahmen der Veranlassungsprüfung gebotenen wertenden Beurteilung des die Strafverteidigungskosten auslösenden Moments Rechnung. Bezieht sich der Tatvorwurf der Untreue oder Beihilfe zur Untreue – wie im Streitfall – auf – vermeintliche – Verhaltensweisen, die ihrer Art nach unmittelbar der konkreten Berufsausübung des Steuerpflichtigen zuzuordnen sind, ist der Anlass für die Strafverteidigung gegen diesen Vorwurf so eng mit der beruflichen Sphäre des Steuerpflichtigen verknüpft, dass allein der subjektiv erhobene Vorwurf einer mit diesem Verhalten gewollten Schädigung des Arbeitgebers oder einer Eigen- oder Fremdbereicherung nicht geeignet sein kann, den wesentlichen objektiven Bezug der Strafverteidigung zur Berufssphäre zu überlagern. Von einer solchen wesentlichen, die berufliche Veranlassung überlagernden privaten(Mit-)Veranlassung kann nur ausgegangen werden, wenn der Vorwurf zutrifft und sich die dem Beschuldigten vorgeworfene Verhaltensweise damit tatsächlich als maßgeblich von privaten Beweggründen getragen erweist. Die Tathandlung kann in diesem Fall nicht als im Rahmen der beruflichen Zielvorstellungen des Arbeitnehmers liegend angesehen werden (vgl. BFH, Urteil vom 18.09.1987 VI R 121/84, BFH/NV 1988, 353), so dass auch die Strafverteidigung gegen den entsprechenden Vorwurf bei wertender Betrachtung keinen hinreichenden beruflichen Anknüpfungspunkt hat. Kann eine solche Feststellung aber – wie auch im Streitfall – nicht getroffen werden, führt die enge Anknüpfung des Tatvorwurfs an die berufliche Tätigkeit des Steuerpflichtigen zur Abzugsfähigkeit der Strafverteidigungskosten als Werbungskosten (ähnlich FG Düsseldorf, Urteil vom 23.11.1988 7 K 291/83 E, EFG 1989, 227; FG Berlin, Urteil vom 11.05.1999 7044/96, juris).

Soweit das FG Thüringen in seinem Urteil vom 12.02.2014 3 K 926/13, EFG 2014, 1662, eine andere Auffassung vertreten und Kosten der Strafverteidigung gegen einen Untreuevorwurf schon aufgrund des Vorwurfs einer Eigenbereicherung des Steuerpflichtigen nicht zum Werbungskostenabzug zugelassen hat, teilt der erkennende Senat diese Rechtsauffassung nicht.

B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.

C. Die Revision war zur Fortbildung des Rechts und – mit Blick auf das anderslautende Urteil des FG Thüringen vom 12.02.2014 3 K 926/13, EFG 2014, 1662 – zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 115 Abs. 2 Nr.  2 FGO).

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