FG Münster: Steuerpflicht von Erstattungszinsen zweifelhaft
FG Münster, Beschluss vom 27.10.2011 - 2 V 913/11 E
Sachverhalt
Zu entscheiden ist, ob ernstliche Zweifel an der Erfassung von Erstattungszinsen i.S.v. § 233a Abgabenordnung (AO) gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 Einkommensteuergesetz (EStG) i.d.F. des Jahressteuergesetzes (JStG) 2010 vom 08.12.2010 bestehen.
Die Antragstellerin wurde mit Bescheid vom 14.02.2011 auf der Grundlage ihrer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2008 veranlagt. Die festgesetzte Einkommensteuer betrug 16.884 EUR. Bei der Festsetzung der Einkommensteuer berücksichtigte der Antragsgegner am 16. Dezember 2008 erstattete Zinsen für die Jahre 2001, 2002 und 2003 gem. § 233a AO i.H.v. insgesamt 2.212 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen.
Hiergegen legte die Antragstellerin Einspruch ein und beantragte Aussetzung der Vollziehung unter Hinweis auf das Urteil des BFH vom 15.06.2010, VIII R 33/07, BStBl. II 2011, 503. Zur weiteren Begründung trug die Antragstellerin vor, dass das am 08.12.2010 erlassene JStG 2010 und die Vorschrift des § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG vom 08.12.2010 im Lichte der Beschlüsse des BVerfG vom 07.07.2010 zu den Verfahren 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05 und 2 BvR 1738/05, BStBl. II 2011, 86 und vom 07.07.2010 zu den Verfahren 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 sowie 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76 hinsichtlich der steuerlichen Rückwirkung nicht im Einklang mit dem Grundgesetz stehe.
Der Antragsgegner lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 22.02.2011 unter Hinweis auf die Änderung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG n.F. ab. Gem. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2010 sei diese gesetzliche Regelung in allen offenen Fällen anzuwenden.
Mit ihrem Antrag auf gerichtliche Aussetzung der Vollziehung verfolgt die Antragstellerin ihr Begehren auf (Teil-) Aussetzung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides unter Hinweis auf ihren Vortrag im Verwaltungsverfahren weiter.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß,
die Vollziehung des Einkommensteuerbescheides 2008 vom 14.02.2011 auszusetzen, soweit Erstattungszinsen i.H.v. 2.212 EUR als Einnahmen aus Kapitalvermögen erfasst sind.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Nach Auffassung des Antragsgegners bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheides. Das Urteil des BFH vom 15.06.2010 VIII R 33/07, aaO sei auf einer anderen gesetzlichen Grundlage ergangen. Durch das JStG 2010 sei nun ausdrücklich geregelt, dass Erstattungszinsen Erträge i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG darstellten (§ 20 Abs. 1 Nr. 7 S. 3 EStG n.F.).
Gegen die Gesetzesänderung könnten auch keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwände erhoben werden. Zwar könne es sich grundsätzlich um eine unzulässige echte Rückwirkung i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG handeln, weil der streitgegenständliche Veranlagungszeitraum bei Ergehen der Neuregelung bereits abgeschlossen gewesen sei. Die rückwirkende Gesetzesänderung sei jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt, da damit eine unklare Rechtslage beseitigt oder aus sonstigen Gründen ein Vertrauen auf den Fortbestand der bisherigen Regelung nicht begründet gewesen sei (Beschluss des BVerfG vom 14.05.1986, 2 BvL, BStBl. II 1986, 628). Vorliegend habe die Steuerpflicht von Erstattungszinsen bis zum Ergehen des BFH-Urteils vom 15.06.2010 VIII R 33/07, aaO - der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung entsprochen (z.B. BFH-Urteile vom 18.02.1975, VIII R 104/70, BStBl. II 1975, 568 und vom 08.11.2005 VIII R 105/ 03, BFH/NV 2006, 527). Es habe daher kein Vertrauen der An-tragstellerin oder eines anderen Steuerpflichtigen in eine - von der gefestigten Rechtsprechung und Verwaltungsmeinung abweichenden - Rechtslage bestanden. Der Gesetzgeber sei daher berechtigt, das Gesetz entsprechend der bis zum BFH-Urteil vom 15.06.2010 VIII R 33/07, aaO ständigen Rechtsprechung anzupassen (vgl. FG Münster Urteil vom 16.12.2010 5 K 3626/03 E, EFG 2011, 649, Rev. eingel. Az. des BFH VIII R 1/11).
Aus den Gründen
II. Der Antrag ist begründet.
Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht der Hauptsache die Vollziehung eines angefochtenen Bescheides auf Antrag ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 FGO liegen vor, wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Verwaltungsakts im Aussetzungsverfahren neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige, gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheiten in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (Beschluss des BFH vom 05.03. 1979, GrS 5/77, BStBl. II 1979, 570). Nicht erforderlich ist, dass die für die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts sprechenden Gründe überwiegen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. BFH-Beschlüsse vom 20. 07.1990 III B 144/89, BFH/NV 1990, 774 und vom 23. August 2004, IV S 7/04, BFH/NV 2005, 9).
Nach diesen Grundsätzen bestehen nach summarischer Prüfung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Einkommensteuerbescheids, soweit der An-tragsgegner die im Jahr 2008 zugeflossenen Erstattungszinsen für die Einkommensteuer der Jahre 2001 bis 2003 erfasst und gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG n.F. als Einnahmen aus Kapitalvermögen angesetzt hat.
Gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG n.F. gehören auch die Erstattungszinsen im Sinne des § 233a AO zu den Erträgen nach § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 Satz 1 EStG und damit zu den Einkünften aus Kapitalvermögen. Ernstlich zweifelhaft ist, ob durch diese Vorschrift auch Erstattungszinsen für Steuern vom Einkommen erfasst werden können, oder ob diese durch die Vorschrift des § 12 Nr. 3 EStG dem steuerbaren Bereich entzogen bleiben.
Gegen eine Besteuerung sprechen die vom BFH in seinem Urteil vom 15.06.2010, VIII R 33/07, aaO aufgestellten Grundsätze. Der BFH hat daran festgehalten, dass Erstattungszinsen i.S. von § 233a AO grundsätzlich der Besteuerung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG (alter Fassung) unterliegen können. Allerdings hat er auf diese Zinsen § 12 Nr. 3 EStG angewendet. Die Rechtfertigung dafür, dass jedenfalls nach § 12 Nr. 3 EStG nicht abziehbare Steuern im Fall ihrer Erstattung beim Empfänger nicht zu Einnahmen führen, hat er darin gesehen, dass für bestimmte Steuern in § 12 Nr. 3 EStG nicht lediglich ein gesetzliches Abzugsverbot geregelt sei, sondern dass die Norm diese Steuern schlechthin dem nichtsteuerbaren Bereich zuweise. Diese gesetzgeberische Grundentscheidung strahle auf den umgekehrten Vorgang der Erstattung solcher Steuern in der Weise aus, dass sie dem Steuerpflichtigen nicht "im Rahmen einer der Einkunftsarten des § 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7" zuflössen. Dies gelte auch für die Erstattungszinsen gemäß § 233a AO. Sie teilten als steuerliche Nebenleistungen i.S. von § 3 Abs. 4 AO insofern das "Schicksal" der Hauptforderung, als sie von § 12 Nr. 3 EStG ebenfalls dem nichtsteuerbaren Bereich zugewiesen seien.
Mit dieser Entscheidung sieht der BFH einen "sachlichen Gleichlauf" insoweit als gewährleistet an, als Nachzahlungszinsen und Erstattungszinsen einheitlich dem nicht steuerbaren Bereich zugeordnet seien. Eine solche Gleichbehandlung (Gesetzessymmetrie) von Nachzahlungs- und Erstattungszinsen entspricht der früheren gesetzgeberischen Grundentscheidung, wonach der Besteuerung der Erstattungszinsen die Abzugsfähigkeit der Nachzahlungszinsen gegenüber stand. Die Entscheidung des BFH wird deshalb in der Literatur gerade unter Hinweis auf den gebotenen Gleichklang, auf die erforderliche Gleichbehandlung und Symmetrie, auf das Prinzip der Fairness und unter Hinweis auf § 3c EStG bei der steuerlichen Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen begrüßt. Denn die unterschiedliche Behandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen, die nach der Abschaffung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG a.F. mit Wirkung vom 01.01.1999 erfolgte, wird und wurde als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen. Entweder müssten die Erstattungszinsen steuerfrei sein oder der Gesetzgeber müsse die Nachzahlungszinsen - wieder - zum Abzug zulassen (vgl. Geserich NWB 2010, 3009; Kanzler FR 2010, 1045; Rublack, Zur Einführung der Steuerpflicht von Erstattungszinsen durch das JStG 2010, FR 2011, 173 (174)); Schmidt/Drenseck, EStG 2011 30. Aufl. § 12 Rz. 50; Paus, Können Nachzahlungszinsen zur Einkommensteuer zu den Betriebsausgaben oder Werbungskosten gehören, FR 2007, 1055; Dr. Günter Söffing, Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Nichtabziehbarkeit von Nachforderungszinsen nach § 233a AO, Betriebsberater 2002, 1456; jew. m.w.N.).
Angesichts der früheren gesetzgeberischen Grundentscheidung und des bestehenden Normengefüges im Hinblick auf § 12 EStG könnten vom Gesetzgeber besondere Anforderungen an die folgerichtige Umsetzung einkommensteuerlicher Belastungsentscheidungen zu beachten sein. Gegebenenfalls wäre ein wirklich neues Regelwerk zu schaffen (vgl. BVerfG vom 09.12.2008 2 BvL 1/07, BGBl. I 2008, 2888; BFH/NV 2009, 338).
Für die Auffassung, dass die gebotene, weil folgerichtige Gleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen einer umfassenden gesetzgeberischen Neuregelung bedarf, spricht auch die Entscheidung des BFH vom 28.07.2011 VI R 7/10, DStR 2011, 1836. In diesem Urteil zu § 12 Nr. 5 EStG (Abzugsverbot für Kosten einer Erstausbildung) vertritt der BFH die Auffassung, dass sich der Wille des Gesetzgebers dann nicht hinreichend konkret abbilde, wenn das einer Neuregelung entgegenstehende übrige Normengefüge unverändert bleibe. Wolle der Gesetzgeber einen grundlegenden Systemwechsel, sei er hierzu zwar befugt. Dies setze aber die Schaffung eines "wirklich neuen Regelwerkes" mit einem Mindestmaß von Ansätzen neuer Prinzipien- oder Systemorientierung voraus (vgl. Beschlüsse des BVerfG vom 09.12.2008 2 BvL 1/07, aaO zur Pendlerpauschale gem. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG i.d.F. vom 19.07.2006 und des BFH vom 21.09.2009 GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 zu § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG.).
Hebt der Gesetzgeber durch die isolierte Begründung der Steuerpflicht für Erstattungszinsen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG n.F. die nach der - bisherigen - gesetzgeberischen Grundentscheidung möglicherweise gebotene Gleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen wieder auf, hätte es nach den vorstehenden Grundsätzen wohl einer systematischen Klarstellung, Ergänzung oder Änderung auch der Vorschriften des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und § 12 Nr. 3 oder § 10 EStG bedurft. Allein durch die Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG dürfte das gesetzessystematische Verhältnis zu diesen Vorschriften und den darin zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Grundentscheidungen nicht deutlich gemacht sein. Insbesondere bleibt unklar, welche Bedeutung der Vorschrift des § 12 Nr. 3 EStG zur Nichtabzugsfähigkeit von Nachzahlungszinsen im Hinblick auf das Leistungsfähigkeits-, das Netto- und das Veranlassungsprinzip zukommen soll. Ebenso wenig ist zu erkennen, ob der Gesetzgeber - möglicherweise unter Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Prinzip der Folgerichtigkeit - eine Ungleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen will. Schließlich wird nicht deutlich, ob § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG eine Spezialvorschrift zu § 12 Nr. 3 EStG sein kann.
Wenn hierzu - unter Zurückstellung etwaiger systematischer Bedenken - die Auffassung vertreten wird, dass trotz der geänderten Rechtsprechung des BFH keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheides bestehen, in dem Erstattungszinsen nun gem. § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG - rückwirkend - als Einkünfte aus Kapitalvermögen erfasst werden, weil die Neuregelung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG eine vorrangige Spezialregelung gegenüber § 12 Nr. 3 EStG darstelle (vgl. Beschluss des FG Schleswig Holsteinisch vom 01.06.2011 2 V 35/11, EFG 2011, 1687), kann der Senat dem nicht ohne weiteres beipflichten. Denn dass § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG als Spezialvorschrift dem § 12 Nr. 3 EStG vorgehen soll, ergibt sich weder aus der Stellung der neu geschaffenen Vorschrift im Gesetz noch aus ihrer Entstehungsgeschichte. Auch sollte nach dem Willen des Gesetzgebers - nach Ergehen des BFH-Urteils vom 15. Juni 2010 - nur eine klarstellende Regelung zu § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG vorgenommen werden (BT-Drs. 17/3549, S. 17). Es bedurfte jedoch keiner Klarstellung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 EStG. Denn der BFH hat, wie bereits ausgeführt, in seinem Urteil vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO nicht die Natur der Erstattungszinsen als Kapitalerträge i.S.v. § 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 EStG in Frage gestellt. Er hat abgestellt auf die gesetzgeberische Grundentscheidung in § 12 Nr. 3 EStG, dass bestimmte Steuern und die hierauf entfallenden Nebenleistungen nicht im Rahmen der Einkunftsarten des § 2 Abs. 4 bis 7 EStG zufließen (vgl. Zimmermann in EFG 2011, 651f und Panzer/Gebert, Steuerbarkeit von Erstattungszinsen nach § 233a AO - § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG ein weiterer zahnloser Tiger, DStR 2011, 741ff jew. m.w.N.). Soweit sich das Schleswig-Holsteinische FG auf einen eindeutig in der Neuregelung zum Ausdruck kommenden gesetzgeberischen Willen beruft, ist gerade dieser wegen der wohl erforderlichen umfassenden gesetzlichen Neuregelung fraglich. Insbesondere dürfte das Verhältnis von § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 n.F. EStG zu der den einzelnen Einkunftsarten der den §§ 13 bis 22 EStG vorgeschalteten Regelung des § 12 Nr. 3 EStG zu klären sein. Denn der BFH ist in seinem Urteil vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO davon ausgegangen, dass der Wille des Gesetzgebers schwerpunktmäßig in § 12 Nr. 3 EStG zum Ausdruck kommt. Er hat mithin die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und damit jedenfalls den historischen Willen des Gesetzgebers dahingehend verstanden, dass ein symmetrisches Normengefüge für Nachzahlungszinsen einerseits und Erstattungszinsen andererseits geschaffen werden sollte. Hierzu stünde es im Widerspruch, wenn man - mit dem Schleswig Holsteinischen FG - die bei Schaffung des § 233a AO zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Absicht für allein maßgebend hielte.
Darüber hinaus bestehen an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids auch insoweit ernstliche Zweifel, als der Antragsgegner die Neufassung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG gem. § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG auf das Streitjahr 2008 angewendet hat. Nicht auszuschließen ist, dass die Regelung des § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Rückwirkungsverbot verstößt (so auch FG Düsseldorf Beschluss vom 05.09.2011 1 V 2325/11 A (E), juris, Beschwerde eingelegt, Az. des BFH VIII B 146/11, a.A. FG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 01.06.2011 2 V 35/11, aaO).
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entfaltet eine Rechtsnorm Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, d.h. gültig geworden ist. Die Rückwirkung von Rechtsfolgen (sog. "echte Rückwirkung") auf zum Zeitpunkt des Gesetzesbeschlusses abgeschlossene Veranlagungszeiträume ist nur unter engen Voraussetzungen zulässig. Sie bedarf einer besonderen sachlichen Legitimation. Diese wird z.B. dann angenommen, wenn ein rechtsdogmatisches Fehlurteil korrigiert werden soll oder zwingende Gründe des Gemeinwohl eine rückwirkende Regelung gebieten. Bei rein fiskalischen Motiven ist eine rückwirkend belastende Steuergesetzgebung in der Regel rechtsstaatswidrig (vgl. Rublack, aaO m.w.N. sowie BVerfG Beschlüsse vom 03.12.1997 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 und HFR 1998, 398 und vom 14.05.1986 2 BvL 2/83, BStBl. II 1986, 628 bestätigt durch Beschlüsse vom 07.07.2010 zu 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05 und 2 BvR 1738/05, aaO und zu 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04 sowie 2 BvL 13/05, aaO)
Vorliegend bestimmt § 52a Abs. 8 Satz 2 EStG eine Anwendung des § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG in allen Fällen, in denen die Steuer noch nicht bestandskräftig festgesetzt ist. Die Vorschrift ist danach auch auf die Steuerfestsetzung für Veranlagungszeiträume anzuwenden, die - wie das Streitjahr 2008 - bereits abgeschlossen sind und für die die Steuer und der Anspruch auf Erstattungszinsen bereits entstanden ist ( § 36 Abs. 1 EStG). Darin liegt eine echte Rückwirkung.
Diese kann unzulässig sein, da im vorliegenden Fall weder erkennbar ist, dass mit der Entscheidung des BFH vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO ein rechtsdogmatisches Fehlurteil ergangen ist, noch, dass zwingende Gründe des Allgemeinwohl eine rückwirkende Regelung gebieten würden. Denn die Entscheidung des BFH erscheint folgerichtig, soweit durch Auslegung des § 12 Nr. 3 EStG eine Gleichbehandlung von Erstattungs- und Nachzahlungszinsen erreicht wird. Insoweit dürfte sie dem Willen des historischen Gesetzgebers entsprechen. Demgegenüber dürften für den Gesetzgeber des JStG vom 08.12.2010 Steuerausfälle als Motiv für die Gesetzesänderung im Vordergrund gestanden haben (vgl. Rublack, aaO: Bei Erstattungszinsen von ca 2 Mrd. EUR pro Jahr seien Steuermindereinnahmen von ca 400 Millionen EUR zu befürchten.), ohne dass er sich erkennbar mit den in Rechtsprechung und Literatur diskutierten verfassungsrechtlichen und/oder gesetzessystematischen Bedenken auseinander gesetzt hat.
Soweit die Auffassung vertreten wird, dass mit der Gesetzesänderung lediglich die bis dahin auch von der Rechtsprechung vertretene ursprüngliche Rechtslage (vgl. BFH-Urteil vom 18. 02.1975, VIII R 104/70, aaO bis Urteil vom 8. 11. 2005, VIII R 105/03, aaO) wieder hergestellt werde und dass es deshalb an einem schutzwürdigen Vertrauen des Einzelnen auf die Nichtsteuerbarkeit der Erstattungszinsen nach dem BFH-Urteil vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO fehle (vgl. FG Schleswig Holstein, Beschluss vom 01.06.2011 2 V 35/11, aaO und FG Münster Urteil vom 16.12.2010, 5 K 3626/03, aaO), wird dem entgegen gehalten, dass der BFH nach der ihm unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung allein zustehenden Befugnis, Steuergesetze verbindlich auszulegen, mit seiner Entscheidung vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO die schon früher bestehende objektive Gesetzeslage zu den Erstattungszinsen gem. § 233a AO ermittelt haben dürfte (so Rublack, aaO.). So betraf die zitierte Rechtsprechung zum einen (auch) die Steuerbarkeit von Prozesszinsen (vgl. BFH-Urteile vom 18.02.1975 VIII R 104/70, aaO (Streitjahr 1966), vom 08.04.1986 VIII R 260/82, BStBl. II 1986, 557 (Streitjahr 1980), vom 25.10.1994 VIII R 79/91, BStBl. II 1995, 121 (Streitjahr 1985); BFH-Beschluss vom 14.04.1992 VIII B 114/91, BFH/NV 1993, 165 (Streitjahr 1988), die ein Steuerpflichtiger nicht zwingend mit den zum 01.01.1989 eingeführten Erstattungszinsen vergleichen muss. Zum anderen dürfte die Rechtsprechung zur Steuerpflicht von Erstattungszinsen auch Veranlagungszeiträume vor 1999 betroffen haben, in denen die Gesetzessymmetrie - durch die Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen als Werbungskosten oder als Sonderausgaben nach der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG - noch gewährleistet war. Schließlich wäre zu erwägen, dass ein Steuerpflichtiger deshalb schutzwürdig sein könnte, weil er - wegen anhängiger Gerichtsverfahren und/oder gewichtiger Literaturmeinungen - der Auffassung ist, dass die Rechtsprechung in der Vergangenheit die Steuerpflicht von Erstattungszinsen zu Unrecht bzw. in Verkennung einer gesetzgeberischen Grundentscheidung für rechtmäßig erachtet hat. Insoweit wäre zu berücksichtigen, dass die fehlende Gesetzessymmetrie für Nachzahlungs- und Erstattungszinsen - spätestens nach der Abschaffung des § 10 Abs. 1 Nr. 5 EStG - weiterhin Thema in der Literatur und in den anhängig gemachten Gerichtsverfahren war (vgl. Urteil des BFH vom 02.09.2008 VIII R 2/07, BStBl. II 2010, 25, vorgehend FG Köln Urteil vom 14.11.2006 8 K 4710/03). Auch das der BFH-Entscheidung vom 15.06.2010 VIII R 33/07 aaO zugrunde liegende Verfahren und die mit dem Hilfsantrag aufgeworfene Rechtsfrage zur Verfassungsmäßigkeit der fehlenden Gesetzessymmetrie bei Erstattungs- und Nachzahlungszinsen mit Wirkung ab dem 01.01.1999 war seit 2004 in erster Instanz beim Finanzgericht (FG Köln Urteil vom 02.03.2007 Az. 14 K 2373/04) und seit 2007 im Revisionsverfahren beim BFH anhängig. Es konnte deshalb schon in 2008 (Streitjahr) mit einer Entscheidung des BFH bzw. des BVerfG zur Frage der Wiederherstellung der Gesetzessymmetrie - in die eine (Freistellung der Erstattungszinsen) oder andere Richtung (Abzug der Nachzahlungszinsen) - gerechnet werden.
Soweit bei ernstlichen verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer Rechtsnorm ein berechtigtes Interesse des Antragsstellers an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gefordert und eine Interessenabwägung zwischen der einer Aussetzung entgegenstehenden konkreten Gefährdung der öffentliche Haushalte und den für die Aussetzung sprechenden individuellen Grundrechtsschutzinteressen des Steuerpflichtigen vorgenommen werden soll (vgl. Tipke/Kruse § 69 FGO Tz. 96 m.w.N.), dürfte dies einer Aussetzung der Vollziehung im Streitfall nicht entgegenstehen. Jedenfalls ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass es eine Vielzahl Steuerpflichtiger gibt, deren Veranlagung für das Jahr 2008 - Streitjahr - bzw. die Jahre davor noch offen ist und in denen Erstattungszinsen gezahlt wurden. Dies hat zur Folge, dass die mit der Aussetzung der Vollziehung einhergehenden Auswirkungen auf den Haushalt überschaubar sind und dem berechtigten Interesse der Antragstellerin an der Aussetzung der Vollziehung der Vorrang eingeräumt werden muss.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Die Entscheidung über die Zulassung der Beschwerde beruht auf § 128 Abs. 3 i.V.m. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.