FG Hamburg: Steuerliche Behandlung von sog. "cum/ex"-Geschäften - Anfechtung von Körperschaftsteuerbescheiden wegen begehrter Anrechnung höherer Steuerabzugsbeträge - Übernahme strafgerichtlicher Feststellungen
FG Hamburg, Urteil vom 9.11.2023 – 6 K 228/20 NZB eingelegt, Az. des BFH VIII B 17/24
Volltext BB-Online BBL2024-790-1
Amtliche Leitsätze
1. Körperschaftsteuerbescheide können zulässigerweise mit dem Ziel angefochten werden, eine höhere Körperschaftsteuer zu erreichen, wenn damit über § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG eine Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen erwirkt werden soll.(Rn.96)
2. Das Finanzgericht kann sich einzelne Feststellungen aus rechtskräftigen Strafurteilen zu eigen machen, ohne selbst eine Beweisaufnahme durchzuführen, auch wenn andere Feststellungen der Strafurteile substantiiert angegriffen werden.(Rn.108)
3. Im OTC-Handel wird das wirtschaftliche Eigentum an Aktien (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO) nicht bereits durch den schuldrechtlichen Kaufvertrag erworben. Dadurch wird dem Aktienkäufer weder eine Ausschließungsmacht noch eine aktive Nutzungsmacht verschafft.(Rn.137)
4. Bei Dividendenkompensationszahlungen wird die Kapitalertragsteuer dadurch erhoben, dass das inländische Kreditinstitut oder der inländische Finanzdienstleister als die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle (§ 44 Abs. 1 Satz 3 EStG) vom Aktienverkäufer die Bruttodividende erhält, aber nur die Nettodividende an den Aktienkäufer weiterleitet. Kein Einbehalt und damit auch keine Erhebung der Kapitalertragsteuer liegt vor, wenn das Kreditinstitut bei dem Aktienverkäufer keinen Rückgriff in Höhe der Bruttodividende nimmt.(Rn.142)
5. Die Rücknahme der Anrechnung von Kapitalertragsteuer wegen arglistiger Täuschung (§ 130 Abs. 2 Nr. 2 AO) kann auch dann erfolgen, wenn ein Dritter die Täuschung begangen hat. Dieser Umstand ist allerdings bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen.(Rn.174) (Rn.177) (Rn.180)
6. In der Vorlage einer formal richtigen aber inhaltlich unzutreffenden Steuerbescheinigung liegt eine Täuschung über die Tatsache der Erhebung der Kapitalertragsteuer.(Rn.161)
7. Wenn der Begünstigte einer Anrechnung von Kapitalertragsteuer die Unrichtigkeit seiner Angaben und/oder die Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte, ist das Ermessen bei einer Rücknahme der Anrechnungsverfügung (§ 130 Abs. 2 Nr. 3 und 4 AO) intendiert. Beim Vorliegen von mehreren Rücknahmegründen verstärkt sich das Interesse des Staates an der Rücknahme und damit der Herstellung der materiellen Gerechtigkeit.(Rn.226)
8. Die Zahlungsverjährung als Begrenzung der Änderung einer Anrechnungsverfügung beginnt bei Änderungen der Steuerfestsetzung jeweils neu zu laufen.(Rn.247) (Rn.250) (Rn.258) (Rn.259)
9. Die Zinsfestsetzung ist zu ändern, wenn die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen zurückgenommen wird (§ 233a Abs. 5 Satz 1 AO).(Rn.265)
Sachverhalt
Die Beteiligten streiten um die steuerliche Behandlung von sog. "cum/ex"-Geschäften einer Organgesellschaft der Klägerin in den Jahren 2007 bis 2009.
Die Klägerin ..., ist eine Beteiligungsgesellschaft und Inhaberin sämtlicher Aktien an der A ... (im Folgenden: Bank-1). Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte am ... 2007 mit der Bank-1 einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag geschlossen, der am ... 2007 im Handelsregister eingetragen wurde. Die Bank-1 ist ein Kreditinstitut mit der Erlaubnis, Eigengeschäfte durchzuführen.
Bei den sog. "cum/ex"-Geschäften handelt es sich allgemein gesprochen um eine Form des klassischen Dividendenstrippings: Die Aktien werden kurz vor oder am Dividendenstichtag und damit ("cum") Dividendenanspruch von einem Erwerber gekauft. Die Lieferung der Aktien erfolgt nach den Börsenregularien regelmäßig nicht am Kauftag, sondern zwei Börsentage danach. Dies wird nach den handelstypischen Abkürzungen als "t+2" Lieferung bezeichnet. Damit erfolgt die Lieferung ohne Dividendenanspruch ("ex").
Die Abwicklung erfolgte bei einem klassischen Inhaberverkauf über die Börse folgendermaßen: Jeder Käufer, der eine Aktie vor dem Dividendenstichtag erwarb (also "cum"), diese aber erst nach dem Dividendenstichtag geliefert bekam, erhielt neben der "ex"-Aktie einen Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben. Spiegelbildlich zu dieser Gutschrift beim Käufer brachte die Depotbank beim Verkäufer einen Sperrvermerk an, der am Dividendenstichtag dazu führte, dass dem Verkäufer die Nettodividende nicht mehr gutgeschrieben wurde, obwohl die Aktie noch in seinem Depot war. Die Steuer auf die Dividende hatte zuvor bereits der Emittent abgeführt.
Bei einem sog. Leerverkauf, das heißt, wenn sich die Aktie nicht im Depot des Verkäufers befand, konnte ein Sperrvermerk bei Börsengeschäften nicht angebracht werden. Dennoch wurde dem Käufer ein Betrag in Höhe der Nettodividende gutgeschrieben. Der Verkäufer erhielt die Nettodividende. Dies war wirtschaftlich kein Problem für die das Geschäft abwickelnden Kreditinstitute, weil der Verkäufer zugleich mit dem Betrag belastet wurde, der dem Käufer gutgeschrieben worden war.
Die Bank-1 führte in den Streitjahren außerbörsliche Aktiengeschäfte (sog. "over the counter" - OTC-Geschäfte) rund um den Dividendenstichtag aus. Bei diesen außerbörslichen Geschäften gibt es den oben beschriebenen Sperrvermerk regelmäßig nicht. Bei einem OTC-Geschäft sind die Depotbanken des Käufers und des Verkäufers regelmäßig nicht am Zustandekommen des schuldrechtlichen Geschäfts beteiligt. Sie übernehmen regelmäßig nur Funktionen im Rahmen der Abwicklung der sachenrechtlichen Erfüllung. Auch folgen OTC-Geschäfte keinen festen Regeln. Sie können z.B. taggleich abgeschlossen und erfüllt (t=0) werden, können eintägige Erfüllungsfristen ausweisen (t+1) oder jeden anderen Termin vorsehen (t+2,3...). Die Wertpapiersammelbank wird bei OTC-Geschäften im Gegensatz zu Börsengeschäften nicht über den Handels-(Schluss-)Tag informiert. Die Wertpapiersammelbank erhält regelmäßig nur die Information, wann die Geschäfte zu erfüllen sind und erkennt somit nicht, ob ein taggleich zu erfüllendes Geschäft (t+0), ein eintägiges Geschäft (t+1) oder ein Geschäft mit zweitägiger Erfüllungsfrist (t+2) reguliert wird (vgl. dazu ausführlich m.w.N. Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG- 2017, 656, juris Rn. 79).
Vertragspartei für die Aktiengeschäfte war ... B ... (Ltd.), C (nachfolgend: "B"). Die Bank-1 kaufte die Aktien vor dem Dividendenstichtag. Es wurde im Kaufvertrag eine Lieferung ("cum Dividende") als Festpreisgeschäft vereinbart. Es wurde jeweils eine Lieferung t+2 vereinbart. Die Aktien wurden nach dem Dividendenstichtag "ex" geliefert und von der Bank-1 an B zurückverkauft.
Die Ausführung des Verkaufsauftrags erfolgte folgendermaßen: Depotbanken der Verkäuferin waren die Bank-2 und die Bank-3. Dinglich übertragen wurden die Aktien an die D AG (im Folgenden: D), eine inländische Wertpapiersammelbank, bei der die Bank-1 ein Depotkonto unterhielt, oder an die E ..., eine in Luxemburg ansässige Bank, bei der die Bank-1 ebenfalls ein Depotkonto führte.
Den Kaufpreis zahlte die Bank-1 an die Bank-2 bzw. die Bank-3. Bei diesem war der Dividendenanspruch brutto eingepreist. Nach dem damals geltenden Verfahren der D erhielt die Bank-1 für "cum" gekaufte und "ex" gelieferte Aktien, neben den Aktien - wie oben dargestellt - eine Zahlung in Höhe der Nettodividende (das heißt ohne Kapitalertragsteuer). Die Bank-1 stellte sich in der Folge Steuerbescheinigungen für abgeführte Kapitalertragsteuer aus.
Zugleich schlossen die Vertragsparteien (B und Bank-1) sog. "Single Stock Futures" als Absicherungsgeschäfte für den zukünftigen Rückverkauf ab. Bei "Single Stock Futures" Geschäften werden in der Regel Kursschwankungen für den Rückverkauf abgesichert.
Die Aktienpakete, die die Bank-1 von der B erwarb, wurden von Anlageberatern zusammengestellt:
Dies war im Jahre 2007 und Beginn des Jahres 2008 die Bank-4 (im Folgenden: Bank-4), bei der die Herren F, G und H arbeiteten.
2008 war dies zum Teil die Bank-5 Ltd. ... (im Folgenden: Bank-5) und ab April 2008 die sog. J-Gruppe. Der Wechsel der Anlageberater beruhte darauf, dass zum Teil die handelnden Personen auf Seiten der Bank-4 (nämlich Herr H und Herr F) die Bank-4 im Februar 2008 verließen und sich selbständig machten. Sie gründeten zwei Ltd. mit Sitz ..., die sog. J-Gruppe, mit der ab März 2008 dann die Aktientransaktionen durchgeführt wurden. Dabei waren Herr F und Herr H zu gleichen Teilen Gesellschafter und gleichberechtigte Direktoren. Herr G verblieb bei der Bank-4.
2009 wurde die J-Gruppe weiter umstrukturiert (siehe im Einzelnen, LG, Urteil vom ... 2020, xxx, juris) und erbrachte Beratungsleistungen für die Bank-1. Dabei war über Herrn G auch die Bank-4 eingebunden (im Einzelnen dazu LG, Urteil vom ... 2020, xxx, juris).
Herangetragen wurde das Geschäftsmodell an die Bank-1 von Herrn K und Herrn L, zwei ... Für die Vermittlung der in den Jahren 2007 bis 2011 getätigten Wertpapierumsätze erhielten Herr K und Herr L insgesamt ca. ... €. Abgerechnet wurde über die M AG (im Folgenden: M). Diese stellte Rechnungen an die Bank-1. Der M wiederum stellten sodann zwei von Herrn K und Herrn L gegründete Gesellschaften (die N Ltd. und die P ...) betragsgleiche Rechnungen.
Mit der Körperschaftsteuererklärung 2007 vom ... 2009 beantragte die Klägerin in der Anlage WA die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen. Dabei sah die Anlage WA unter der Überschriftszeile "Anzurechnende Beträge/Steuerabzug" vor, dass in Zeile 3a ("Kapitalertragsteuer") und Zeile 6 ("Solidaritätszuschlag...") entsprechende Beträge eingetragen werden konnten. Beigefügt war eine Auflistung nach der die Klägerin für die Bank-1 die Anrechnung folgender Steuerabzugsbeträge erklärte: Kapitalertragsteuer: ... €; Zinsabschlag ... € und Solidaritätszuschlag ... €.
Mit der Körperschaftsteuererklärung 2008 vom ... 2010 beantragte die Klägerin in der Anlage WA die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen. Die Anlage WA sah unter der Überschriftszeile "Anzurechnende Beträge/Steuerabzug" in Zeile 3 ("Kapitalertragsteuer") und Zeile 6 ("Solidaritätszuschlag...") vor, dass entsprechende Beträge eingetragen werden konnten. In einer Anlage zur Anlage WA erklärte die Klägerin für die Bank-1 die Anrechnung folgender Steuerabzugsbeträge: Kapitalertragsteuer: ... € und Solidaritätszuschlag ... €. Dabei entfielen auf den Eigenhandel ... € Kapitalertragsteuer und ... € Solidaritätszuschlag.
Mit der Körperschaftsteuererklärung 2009 vom ... 2011 beantragte die Klägerin die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen. Die Anlage WA sah unter der Überschriftszeile "Anzurechnende Beträge/Steuerabzug" in Zeile 3 ("Kapitalertragsteuer") und Zeile 6 ("Solidaritätszuschlag...") vor, dass entsprechende Beträge eingetragen werden konnten. In einer Anlage zur Anlage WA erklärte die Klägerin für die Bank-1 die Anrechnung folgender Steuerabzugsbeträge: Kapitalertragsteuer: ... € und Solidaritätszuschlag ... €. Darin waren die für den Eigenhandel ausgewiesenen Beträge in Höhe von ... € Kapitalertragsteuer und ... € Solidaritätszuschlag enthalten.
Mit den Körperschaftsteuererklärungen wurden jeweils entsprechende Steuerbescheinigungen für alle drei Jahre eingereicht. Im Jahr 2009 wurde zusätzlich auch die vorgeschriebene Berufsträgerbescheinigung vorgelegt. Nach einem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 5. Mai 2009 (BMF 2009-05-05 IV C 1-S 2252/09/10003, BStBl. I- 2009, 631) mussten Steuerbescheinigungen ab 2009 folgenden Text enthalten:
"In der bescheinigten Höhe der Kapitalerträge sind enthalten:
Kapitalerträge im Sinne des § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG aus Aktien, die mit Dividendenanspruch erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert wurden ... hierauf bescheinigte Kapitalertragsteuer ...".
Zudem musste nach diesem BMF-Schreiben die Berufsträgerbescheinigung Folgendes bescheinigen:
"Es liegen mir auf Grund des mir möglichen Einblicks in die Unternehmensverhältnisse und nach Befragung des Steuerpflichtigen keine Erkenntnisse über Absprachen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den über den Dividendenstichtag vollzogenen Erwerb der Aktien im Sinne der Steuerbescheinigung sowie entsprechende Leerverkäufe, bei denen § 44 Abs. 1 Satz 3 i. V. mit § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG keine Anwendung gefunden hat, vor."
Die Steuerabzugsbeträge, die in den jeweiligen Steuererklärungen angegeben wurden, resultierten aus den oben beschriebenen Aktiengeschäften der Bank-1, wobei die Aktien jeweils "ex" geliefert wurden. Im Einzelnen handelte es sich um folgende Geschäfte:
2007:
...
Gesamtbetrag Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag: ... €.
2008:
...
Gesamt Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag: ... €.
Hinzu kamen 6 Transaktionen mit der Bank-5:
...
Gesamt Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag: ... €.
2009:
...
Gesamt Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag: ... €.
Zunächst wurde die Klägerin erklärungsgemäß mit Körperschaftsteuerbescheid vom ...2009 für 2007, mit Körperschaftsteuerbescheid vom ... 2010 für 2008 und mit Körperschaftsteuerbescheid vom ... 2011 für 2009 jeweils unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gemäß § 164 der Abgabenordnung (AO) veranlagt. Mit Anrechnungsverfügung jeweils im gleichen Bescheid rechnete der Beklagte die geltend gemachte Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag an und erstattete die Steuerabzugsbeträge.
Nach Abgabe der Körperschaftsteuererklärungen 2007, 2008 und 2009 der Bank-1 und anderer Organgesellschaften veranlagte der Beklagte mit geringen Abweichungen erklärungsgemäß und führte entsprechende Anpassungen in den Bescheiden der Klägerin durch.
Der Veranlagungszeitraum 2007 war Gegenstand einer Außenprüfung, die am ... 2009 sowie am ... 2011 angeordnet und am ... 2012 abgeschlossen wurde. Am ... 2013 begann der Beklagte mit einer Außenprüfung für die Jahre 2008 bis 2011.
Mit Bescheid vom ...2013 wurde der Körperschaftsteuerbescheid für 2007 nach der bei der Klägerin durchgeführten Außenprüfung geändert und der Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben. Die Körperschaftsteuer wurde von ursprünglich ... € auf ... € neu festgesetzt. Die hier streitigen Beträge wurden unverändert in vollem Umfang zur Anrechnung gebracht. In der Folgezeit ergingen weitere Änderungsbescheide unter dem ... 2014 und dem ... 2018. Dabei wurde im Bescheid vom ... 2018 die Körperschaftsteuer auf ... € festgesetzt, die hier streitigen Beträge aber unverändert zur Anrechnung gebracht.
Für das Streitjahr 2008 erließ der Beklagte ebenfalls mehrere Änderungsbescheide. Die Körperschaftsteuerfestsetzung wurde dabei unter anderem durch die ... Änderung vom ... 2011 auf ... € und durch die ... Änderung vom ... 2016 auf ... € geändert. Die Anrechnung der hier streitigen Beträge blieb unverändert.
Für das Streitjahr 2009 änderte sich die Körperschaftsteuerfestsetzung von 0 € durch die ersten Änderungsbescheide nicht. Erst durch den ... Änderungsbescheid vom ... 2016 wurde eine Körperschaftsteuer von ... € festgesetzt. Durch den ... Änderungsbescheid vom ... 2019 wurde die Körperschaftsteuer auf 0 € festgesetzt. Die hier streitigen Beträge wurden unverändert zur Anrechnung gebracht.
Im Jahr 2014 erhielt der Beklagte eine Kontrollmitteilung des Finanzamtes Q vom ... 2014. Dieses teilte mit, dass der Aktienverkäufer B im Jahr 2006 und 2008 (vermutlich) als mittelbarer Leerverkäufer aufgetreten sei. Die D habe ihren Kunden bei "cum/ex"-Verkäufen eine Dividendenausgleichszahlung zugewiesen, die zur Ausstellung einer Steuerbescheinigung für die Steuerpflichtige geführt habe. Diese Steuerbescheinigung führe zu einer unberechtigten Kapitalertragsteuer-Erstattung. Hinsichtlich der für 2008 mitgeteilten vermuteten Leerverkäufe bleibe zu prüfen:
"ob der Vorverkäufer vor B tatsächlich einen ungedeckten Leerverkauf an B tätigte. Sollte dies der Fall sein, bleibt zu prüfen, wer die Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag zu Unrecht angerechnet hat und ob diese Anrechnung zurückgenommen werden kann."
Nach einem Vermerk vom ... 2015 kam der Beklagte nach verschiedenen Anfragen bei der Bank-1 zu dem Ergebnis, dass die Bank-1 steueranrechnungsberechtigt sei. Die Bank-1 könne auch nicht für die die Verkaufsaufträge ausführenden inländischen Kreditinstitute, die möglicherweise die Steueranrechnungsbeträge nicht abgeführt hätten, in Anspruch genommen werden. Daher sei bei der Bank-1 nichts zu veranlassen.
Am 2016 wurde ein Ermittlungsverfahren gegen Herrn R, (...), und gegen weitere Mitarbeiter der Bank-1 bzw. der Klägerin eingeleitet.
Mit Schreiben vom 2016 teilte die Bank-2 dem Beklagten mit, dass sie auf die Dividendenkompensationszahlungen, die B im Zusammenhang mit den vom Beklagten aufgeführten Transaktionen an die Bank-1 geleistet habe, weder Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten noch abgeführt habe. Sie sei dazu nicht verpflichtet gewesen, weil eine Pflicht zum Kapitalertragsteuerabzug nur in den Fällen des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) bestanden habe. Hier habe kein Leerverkauf - und somit auch keine Dividendenkompensationszahlung - vorgelegen, weil der Veräußerer wirtschaftlicher Eigentümer der veräußerten Aktien gewesen sei. Im Übrigen habe ein Einbehalt nur für das "für den Verkäufer der Aktien den Verkaufsauftrag ausführende inländische Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut" bestanden. Eine rein passive Abwicklung von Depotüberträgen sei keine "Ausführung" eines Verkaufsauftrags.
Mit Schreiben vom ... 2017 wies das BMF den Beklagten an, verjährungsunterbrechende Maßnahmen gegenüber der Bank-1 wegen der getätigten Geschäfte einzuleiten. Aufgrund eines ersten Gerichtsurteils des Hessischen FG vom 10. März 2017 (4 K 977/14, EFG 2017, 656) sei bei OTC-Geschäften ein Nachweis von Leerverkäufen nicht notwendig. Wirtschaftliches Eigentum könne in diesen Konstellationen nach Ansicht des Hessischen FG nicht erworben werden. Der Erwerber habe in dem vom Hessischen FG entschiedenen Fall den Nachweis nicht führen können, dass Kapitalertragsteuer auf die Dividendenkompensationszahlungen einbehalten worden sei. Zwar sei die Rechtsprechung noch nicht gefestigt und man daher bestrebt, die Leerverkäufe möglichst umfassend aufzudecken, eine Zahlungsverjährung müsse aber verhindert werden.
Der Beklagte antwortete mit Schreiben vom ... 2017, dass er annehme, dass vor allem das Jahr 2010 betroffen sei, weil für dieses die fünfjährige Zahlungsverjährung Ende des Jahres eintreten könne. Gegen die Weisung bestünden aber Bedenken: Es lägen lediglich Indizien und kein ausermittelter Sachverhalt vor. Die Bank-1 habe sich darauf verlassen, dass die Bank-2 die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag einbehalte und der zuständige Staatsanwalt habe keine Probleme damit, dass mangels belastbaren Sachverhalts von einer Änderung des Bescheides abgesehen werde.
Mit Schreiben vom ... 2017 bestätigte das BMF seine Weisung für 2010 und führte aus, dass es sich bei allen relevanten Transaktionen um OTC-Geschäfte handele und das wirtschaftliche Eigentum daher nicht bereits mit Abschluss des Kaufvertrages über die Aktien auf den Erwerber übergehe. Die Bank-1 könne auf dieser Grundlage den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums und damit die Berechtigung für eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht belegen. Auch aus den durch die Ermittlungsmaßnahmen festgestellten Dividendenleveln ergebe sich kein anderes, plausibel begründbares Geschäftsmodell als eine Leerverkaufsgestaltung. Daher werde gebeten, im Anschluss an die für das Jahr 2010 ergriffenen Maßnahmen zu prüfen, ob auch für weitere Veranlagungszeiträume, insbesondere 2011, verjährungsunterbrechende Maßnahmen zu ergreifen seien.
Am ... eröffnete das LG die Hauptverhandlung gegen Herrn F und Herrn G wegen der Beteiligung an sog. "Cum-Ex-Aktiengeschäften" in den Jahren 2007 bis 2011.
Mit (inzwischen rechtskräftigem) Urteil vom ... 2020 verurteilte das LG (xxx, juris) Herrn G und Herrn F unter anderem wegen der hier streitgegenständlichen Aktiengeschäfte (Fall (...) des landgerichtlichen Urteils). Herr F wurde wegen Steuerhinterziehung sowie Beihilfe zur Steuerhinterziehung ... verurteilt. Herr G wurde wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung ... verurteilt. Zugleich ordnete das LG gegen die Bank-1 als Einziehungsbeteiligte die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von ... € an, davon in Höhe von ... € als Gesamtschuldnerin. Auf das Urteil wird Bezug genommen.
Mit Bescheid vom 2020 änderte der Beklagte den Körperschaftsteuerbescheid 2007 unter Berufung auf § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO. Das der Klägerin von der Bank-1 zuzurechnende Einkommen reduzierte er, weil er, anstatt wie zuvor die Bruttodividende als Einkommen zu Grunde zu legen, nunmehr die Nettodividende ansetzte. Dadurch verringerte sich das zu versteuernde Einkommen bei der Klägerin. Der Beklagte setzte die Körperschaftsteuer auf 0 € fest. Zugleich änderte er die Anrechnungsverfügung unter Berufung auf § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO. Für das Jahr 2007 nahm der Beklagte die Anrechnung in Höhe von ... € (Körperschaftsteuer) und ... € (Solidaritätszuschlag) zurück.
Mit Bescheiden vom gleichen Tage änderte der Beklagte die Körperschaftsteuerbescheide 2008 und 2009 nach § 164 Abs. 2 AO, verringerte das zuzurechnende Einkommen der Bank-1 und setzte die Körperschaftsteuer ebenfalls auf 0 € fest. Zugleich nahm der Beklagte für das Jahr 2008 die Anrechnung in Höhe von ... € (Körperschaftsteuer) und ... € (Solidaritätszuschlag) zurück. Für das Jahr 2009 nahm der Beklagte die Anrechnung ebenfalls unter Berufung auf § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO in Höhe von ... € (Körperschaftsteuer) und ... € (Solidaritätszuschlag) zurück.
Hinsichtlich der Anrechnungsverfügungen führte er aus: Ein schutzwürdiges Vertrauen liege nicht vor, da es sich aufgrund der Höhe des Gewinns habe aufdrängen müssen, dass es sich um abgesprochene Geschäfte gehandelt habe und es an einem Einbehalt der Kapitalertragsteuer fehle. Auch ein Vertrauen darauf, dass die Bank-2 oder eine andere Bank die Steuer einbehalten habe, komme aufgrund der Höhe des Gewinns nicht in Betracht. Angesichts der bestehenden Personenidentität könne auch bei der Organträgerin kein schutzwürdiges Vertrauen bestanden haben.
Die Klägerin legte am ... 2020 Einspruch ein und beantragte den Erlass von Abrechnungsbescheiden. Zur Begründung führte sie aus: Die Anrechnungsverfügungen könnten nicht zurückgenommen werden. Es seien keine unvollständigen oder unrichtigen Erklärungen abgegeben worden. Die Ermessensausübung sei fehlerhaft. Die Jahresfrist sei bereits abgelaufen, weil der Beklagte von sämtlichen Tatsachen bereits ... 2014 durch die Kontrollmitteilung des Finanzamtes Q Kenntnis gehabt habe. Die rechtlichen Folgen habe der Beklagte bereits im Jahr 2017 gezogen. Denn die Rücknahmen der Anrechnungsverfügungen für die Jahre 2007 bis 2009 seien wortidentisch mit der Rücknahme der Anrechnungsverfügung für das Jahr 2010, die vom ... 2017 datiere. Die fünfjährige Zahlungsverjährungsfrist sei gemäß § 228 AO abgelaufen und nicht durch zwischenzeitlich erlassene Änderungsbescheide neu in Gang gesetzt worden. Materiell-rechtlich sei die Bank-1 zur Steueranrechnung berechtigt gewesen; bei der Bank-2 als inländischer Depotbank des Verkäufers seien die Kapitalertragsteuer und der Solidaritätszuschlag nachzuerheben. Jedenfalls müsse die Bank-2 vorrangig als Haftungsschuldnerin in Anspruch genommen werden. Steuerabzugsbeträge dürften nicht verzinst werden und aufgrund des Prinzips der Sollverzinsung könnten Zinsen nicht gegenüber der Bank-1 festgesetzt werden, sondern wenn überhaupt beim Entrichtungspflichtigen.
Am ... 2020 ergingen Abrechnungsbescheide für die Streitjahre, die zur Begründung auf die Anrechnungsverfügungen Bezug nahmen.
Dagegen legte die Klägerin am ... 2020 Einspruch ein. Zur Begründung führte sie aus: Die Bescheide vom ... 2020 seien aus den in den Einsprüchen gegen die Steuerbescheide genannten Gründen rechtswidrig. Die Steuern müssten von der Bank-2 als der inländischen Depotbank des Leerverkäufers B per Haftungsbescheid nacherhoben werden. Diese habe ihre Entrichtungspflicht verletzt. Es sei Zahlungsverjährung eingetreten. In Fällen, in denen aufgrund vorgelegter Steuerbescheinigungen Abzugsbeträge zunächst in die Anrechnungsverfügung eingestellt, später jedoch vom Finanzamt nicht mehr als abzugsfähig anerkannt worden seien, sei eine Änderung einer Anrechnungsverfügung nach Ablauf der Zahlungsverjährungsfrist nicht mehr möglich.
Mit Teil-Einspruchsentscheidung vom ... 2020 wies der Beklagte die Einsprüche zurück. Zur Begründung führte er aus:
Zu Recht sei die zu entrichtende Steuer der Klägerin für die Streitjahre auf 0 € festgesetzt worden. Das Einkommen der Organgesellschaft habe um den von der Brutto- zur Nettodividende geänderten Steuerbilanzgewinn bereinigt werden müssen. Für das Jahr 2007 müsse bei der Organgesellschaft unter anderem der Gewinn um die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag reduziert werden. Der Einspruch sei trotz der Nullfestsetzung zulässig, weil die Steuerfestsetzung insofern Bindungswirkung für die vorzunehmende Anrechnung entfalte, als die im Anrechnungsteil erfolgte Anrechnung der Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag zurückzunehmen sei. Der Einspruch sei unbegründet, weil die Dividendenkompensationszahlung, die der Bank-1 zugeflossen sei, nicht mit Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag belastet gewesen sei und die Anrechnung daher habe zurückgenommen werden müssen. Aufgrund des Korrespondenzprinzips nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) könne bei der Festsetzung nur noch die um die zurückgenommene Anrechnung reduzierte Nettodividende angesetzt werden. Die Änderung der Festsetzung sei für 2007 nach § 173 Abs. 1 und 2 AO und für 2008 und 2009 nach § 164 Abs. 2 AO erfolgt.
Die Abrechnungsbescheide seien rechtmäßig, weil die Rücknahme der Anrechnungen zu Recht erfolgt sei.
Bei der Anrechnung habe es sich um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt gehandelt. Die Rechtswidrigkeit ergebe sich daraus, dass nach § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG die Anrechnung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag voraussetze, dass diese zuvor für den Empfänger einer Dividende bzw. einer Dividendenkompensationszahlung einbehalten worden sei. Dies sei hier nicht erfolgt. Weder die Klägerin noch ihre Organgesellschaft seien zum Zeitpunkt des Dividendenstichtags Eigentümer der Aktien gewesen. Vielmehr hätten sie Dividendenkompensationszahlungen erhalten. Für diese sei keine Kapitalertragsteuer abgeführt worden. Die Bank-2 habe den Bruttokaufpreis von der Bank-1 entgegengenommen und ohne jeglichen Abzug an die B weitergeleitet. Der Klägerin bzw. ihrer Organgesellschaft sei schließlich der Einbehalt von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag beim Inhaber der Wertpapiere nicht zuzurechnen. Gemäß § 42 AO habe die Klägerin die Transaktionen im Rahmen eines Gesamtvertragskonzepts durchgeführt. Zwar habe zunächst allein der Leerverkäufer (B) von der Transaktion profitiert, weil die Zahlung des Kaufpreises von der Bank-1 die Bruttodividende enthalten habe, das heiße mit Kapitalertragsteuer, der Leerverkäufer aber nur Aktien mit einer Dividendenkompensationszahlung geliefert habe - ohne die Kapitalertragsteuer. Im Rahmen der "Single Stock Future" Geschäfte sei der steuerliche Vorteil durch die unberechtigte Steueranrechnung dann aber verteilt worden. Denn der Preis für die Futures sei um einen sog. Dividendenlevel ergänzt worden. Damit sei der Terminkurs höher geworden, so dass der Terminkäufer einen höheren Preis als den marktüblichen entrichtet habe. Praktisch sei es weder dem Leerverkäufer noch der Bank-1 darum gegangen, die Aktien zu erwerben. Ein finanzieller Profit habe sich allein aus der Steueranrechnung der nicht einbehaltenen Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag ergeben. Auch die vorgelegten Steuerbescheinigungen berechtigten nicht zum Abzug. Diese begründeten keine eigenständige materielle Wirkung.
Neben dem Rücknahmegrund nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO lägen auch die Rücknahmegründe nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 und 4 AO vor. Insoweit sei keine erneute Anhörung erfolgt, weil keine Verböserung vorliege.
Der Rücknahmegrund nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO liege vor, weil die Klägerin und die Bank-1 unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht hätten. Mit der Steuererklärung und den dazu abgegebenen Steuerbescheinigungen hätten sie zum Ausdruck gebracht, dass tatsächlich zuvor Kapitalertragsteuer einbehalten worden sei. Er, der Beklagte, sei weder darauf hingewiesen worden, dass es sich um Dividendenerträge aus "cum/ex"-Geschäften gehandelt habe, noch, dass ein Einbehalt von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag nicht stattgefunden habe.
Des Weiteren liege eine arglistige Täuschung im Sinne des § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO vor. Die verantwortlichen Vertreter der Klägerin hätten wahrheitswidrig in den Steuererklärungen erklärt, dass ein Einbehalt von Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag stattgefunden habe. Dies sei auch vorsätzlich erfolgt. Der Ablauf der Geschäfte sei Gegenstand einer von Herrn R verfassten Vorlage für die Partnersitzung am ... 2006 gewesen, die als Empfänger unter anderem Herrn S ausweise. Die dargestellten Wirtschaftlichkeitserwägungen sprächen für einen Vorsatz. Auch ein Schreiben vom 2008, das Mitarbeiter an Herrn R gerichtet hätten, spreche für den Vorsatz. Im Übrigen werde auf die Beweiswürdigung des LG in seinem Urteil vom ... 2020 (xxx, juris) Bezug genommen. Das Wissen und Wollen der Organe der Bank-1 wirke sich zulasten der Klägerin aus, weil im Rahmen der Organschaft ein unmittelbares Näheverhältnis vorliege. Darüber hinaus hätten Herr K, Herr L und Herr F sowie weitere Personen Kenntnisse von dem tatsächlichen Geschehen gehabt und diese hätten als Vertragspartner gerade zur Durchführung der "cum/ex"-Transaktionen mit der Bank-1 gehandelt, um die gemeinsam erzielten Erträge untereinander aufzuteilen. Insofern sei selbst ohne das Wissen der Organe der Klägerin oder der Bank-1 das Tatbestandsmerkmal der Arglist erfüllt.
Zudem hätten die handelnden Personen der Organe der Klägerin gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO die Rechtswidrigkeit gekannt, weil sie - wie oben dargelegt - arglistig gehandelt hätten.
Die Jahresfrist nach § 130 Abs. 3 Satz 1 AO sei eingehalten, weil er, der Beklagte, erst mit Bekanntgabe der Entscheidungsgründe des Urteils des LG vom ... 2020 abschließende Kenntnis vom Sachverhalt und dessen rechtlicher Würdigung gehabt habe. Selbst wenn die Jahresfrist nicht eingehalten worden sei, sei dies unerheblich, weil es auf deren Einhaltung nach § 130 Abs. 3 Satz 2 AO nicht ankomme.
Bei der Ermessensausübung sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angaben bzw. deren Rechtswidrigkeit gehabt habe, so dass eine Schutzwürdigkeit im Hinblick auf ein Vertrauen in den Bestand der Anrechnung nicht gegeben sei. Selbst wenn die Organe der Klägerin nicht vorsätzlich gehandelt hätten, müsse sie sich das Handeln von Herrn F, Herrn H, Herrn K und Herrn L, sowie ihrer die Transaktionen begleitenden und abwickelnden Angestellten zurechnen lassen, weil diese auch für die Klägerin wirtschaftliche Vorteile aus den Transaktionen gezogen hätten. Für die Zurechnung dieses Verhaltens sei maßgeblich, dass eine grobe Fahrlässigkeit auf Seiten der Klägerin vorliege. Vergleichsgruppe sei dabei eine Gruppe entsprechender Banker. Einem solchen Banker wäre unmittelbar aufgegangen, dass diese Geschäfte nur dann wirtschaftlich sinnvoll seien, wenn die nicht abgeführte Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag in die Betrachtung einbezogen werde. Auch wenn mit der Rücknahme der Anrechnungsverfügungen eine erhebliche wirtschaftliche Belastung einhergehe, sei dies hinzunehmen, weil die Klägerin von Anfang an gewusst habe, dass sie keinen Anspruch auf die Erlangung der Anrechnung gehabt habe. Selbst wenn er, der Beklagte, zu einem früheren Zeitpunkt den eingetretenen Schaden hätte erkennen können, wirke sich dies nicht bei der Ermessensausübung aus, weil dies konkrete Handlungen vorausgesetzt hätte, die den Willen bekundet hätten, auf die Anrechnung verzichten zu wollen. Eine solche Willensbekundung habe zu keiner Zeit stattgefunden.
Die Bank-2 habe nicht vorrangig in Anspruch genommen werden müssen, weil unerheblich sei, ob die Voraussetzungen für eine Haftung der Depotbank als Abzugsverpflichtete vorliege. Die Wertung aus § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG sei nicht auf die Ermessensausübung im Rahmen von § 130 AO übertragbar. Selbst wenn diese Wertung zu berücksichtigen sei, sei die Inanspruchnahme der Klägerin tunlich, weil diese gewusst habe, dass die Bank-2 als Depotbank der B keine Kapitalertragsteuer abgeführt habe. Er, der Beklagte, nehme nicht die Bank-2 als weiteren Haftungsschuldner in Anspruch. Zwar habe die Bank-1 den Kaufpreis mit Bruttodividende an die Bank-2 weitergeleitet, allerdings sei die Bank-2 nicht an der Aufteilung des wirtschaftlichen Ergebnisses beteiligt gewesen.
Der Rücknahme der Anrechnungsverfügung stehe keine Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung entgegen. Die Anrechnung selbst unterliege nur der Zahlungsverjährung. Die Festsetzungsfrist für die Körperschaftsteuer 2007 sei nicht abgelaufen. Das gleiche gelte für die Zahlungsverjährung, weil bei jeder geänderten Steuerfestsetzung die Zahlungsverjährung für die Anrechnung neu anfange zu laufen. Zudem sei die Zahlungsverjährungsfrist von fünf auf zehn Jahre verlängert worden und diese neue Vorschrift sei anwendbar, da zur Zeit der Gesetzesänderung noch keine Zahlungsverjährung eingetreten gewesen sei.
Für die Jahre 2008 und 2009 gelte ebenfalls, dass die Anrechnung habe zurückgenommen werden dürfen. Auch hier lägen die Voraussetzungen einer Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AO vor, die Rücknahmefrist sei gewahrt worden und das Rücknahmeermessen habe er, der Beklagte, erkannt und ausgeübt. Die handelnden Organe hätten Kenntnis von den erheblichen Umständen gehabt. Die finanzielle Belastung sei hinzunehmen. Es bestehe kein Vorrang einer Inanspruchnahme der Bank-2 als Depotbank. Es gälten insgesamt die Ermessenserwägungen, die für das Jahr 2007 getroffen worden seien. Es sei weder eine Festsetzungs- oder Zahlungsverjährung eingetreten.
Die Zinsfestsetzung sei dem Grunde nach rechtmäßig. § 233a Abs. 1 Satz 2 AO sei nicht anwendbar, weil es sich nicht um Steuerabzugsbeträge, sondern um die zurückgenommene Anrechnung von Kapitalertragsteuern handele. Nach § 233a Abs. 5 Satz 2 AO sei die Verzinsung nicht ausgeschlossen, weil die Klägerin Kenntnis vom fehlenden Einbehalt gehabt habe.
Die Klägerin hat am 2020 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie aus:
Die Urteilsfeststellungen des LG, soweit sie die hier streitgegenständlichen Transaktionen beträfen, könnten nicht verwertet werden, weil sie unter schwersten Mängeln litten. Sie stützten sich auf eine grob fehlerhafte Auslegung von Urkunden, auf unglaubwürdige Zeugen bzw. auf widersprüchliche Aussagen von Zeugen. Entlastende Zeugenaussagen, Unterlagen und Widersprüche bei den Zeugenaussagen seien zudem weitgehend erst später getätigt worden bzw. zutage getreten. Unter anderem betreffe dies den angeblichen "Rollenwechsel" vom Jahr 2006 zum Jahr 2007 und ein angebliches Aufklärungsgespräch, von dem Herr L berichte. Weder die sogenannten Dividendenlevel noch das Vorliegen von (ungedeckten) Leerverkäufen habe eine hinreichende Aussagekraft im Hinblick auf die Anrechnung einer nicht einbehaltenen und abgeführten Kapitalertragsteuer. Das von der Strafkammer des LG zugrundegelegte Verständnis, dass bei Inhaberverkäufen höchstens 5%, in der Regel aber 1-3% der Bruttodividende dem Verkauf zugrunde gelegt würden, bestehe nicht. Vielmehr würden Dividendenlevel von 83-87% nicht zwingend auf Leerverkäufe hinweisen. Damit könne vom Dividendenlevel gerade nicht zwingend auf eine Kenntnis der Mitarbeiter der Bank-1 von Leerverkäufen geschlossen werden.
Die wirtschaftlichen Vorteile hätten sich für sie, die Klägerin, durch Dividendenstripping-Geschäfte mit ausländischen Aktieninhabern ergeben. Sie sei keine erfahrene Marktteilnehmerin gewesen. Die Geschäftsbeziehung zu B habe Anfang 2007 erst aufgebaut werden müssen. Sie, die Klägerin, habe für das Jahr 2009 eine Gesamt-Steuerbescheinigung mit der Steuererklärung eingereicht, aus der ausdrücklich hervorgegangen sei, dass es sich um Dividendenerträge aus "cum/ex"-Geschäften gehandelt habe. Zudem sei die vorgeschriebene Berufsträgerbescheinigung vorgelegt worden. Jedenfalls habe sie in 2009 mit den Steuerbescheinigungen alle objektiv steuerlich erheblichen Angaben gemacht, denn nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) genüge es, die Ausführungsmodalität "cum/ex" anzugeben. Zudem habe sie, die Klägerin, im Rahmen der Nachfragen der Betriebsprüfung im Jahr 2015 die Konditionen der Aktientransaktionen nebst Absicherungsgeschäft angegeben, aus der sich mit einfachsten Rechenschritten der Erfolg der Transaktionen nebst Dividendenlevel habe errechnen lassen können. Daher schieden Steuerhinterziehungstaten aus. In den Jahren 2007 bis 2008 hätten ihre, der Klägerin, Verantwortlichen zumindest keinen Vorsatz gehabt. Der Bundesgerichtshof (BGH) habe dies alles in der Revision nicht prüfen können, weil die entsprechenden Rügen nicht erhoben worden seien.
Die Feststellung von Leerverkäufen sei objektiv steuerlich nicht erheblich, weil nach Auffassung des Beklagten beim außerbörslichen Handel "cum/ex" das wirtschaftliche Eigentum nicht, auch nicht im Falle von Inhaberverkäufen, mit Vertragsschluss übergehe. Die notwendigen Angaben seien in der Steuererklärung 2009 gemacht worden und wären für 2008 und 2007 ebenso gemacht worden, so dass es hinsichtlich dieser Jahre an einem Hinterziehungsvorsatz fehle. Vielmehr hätte der Beklagte die Anrechnungen ablehnen müssen.
Die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO lägen nicht vor. Es habe kein Vorsatz der ihr zuzurechnenden Personen vorgelegen. Weder Herr R noch weitere auf ihrer, der Klägerin, Seite an den streitgegenständlichen Transaktionen beteiligte Personen und der Bank-1 hätten Kenntnis von den "cum/ex"-Leerverkäufen gehabt. Vielmehr habe Herr R durchgehend angenommen, dass es sich um Inhaberverkäufe gehandelt habe. Die Feststellungen des LG seien nicht verwertbar. Mögliche Leerverkäufe seien durch ein Zusammenwirken von B, Herrn H, Herrn F, Herrn K und Herrn L verschleiert worden.
Jedenfalls komme eine Irreführung allenfalls in Bezug auf das Vorliegen von Leerverkäufen in Betracht. Dieser Aspekt sei aber nicht erheblich gewesen, weil bei "cum/ex"-Transaktionen bei Inhaber- wie bei Leerverkäufen der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vom Beklagten im Zeitpunkt des Abschlusses der Transaktionen gleichermaßen abgelehnt werde. Damit liege schon gar kein "Erwirken" - auch nicht durch Dritte - vor.
Wenn das Vorliegen von Leerverkäufen erheblich gewesen sein sollte, seien die Feststellungen des LG nicht verwertbar - vielmehr hätten die Lieferketten ermittelt werden müssen.
Die Voraussetzungen für eine Zurechnung von Drittverhalten lägen nicht vor. Insoweit fehle es an der erforderlichen Abwägung im Rahmen der Ermessensentscheidung des Beklagten. Weder die Interessen des Fiskus noch ihre, der Klägerin, gegenläufigen Interessen seien ermittelt und benannt worden. Sie, die Klägerin, sei selbst Geschädigte der Täuschungshandlungen. Ein Näheverhältnis zu den Täuschenden bestehe nicht.
Auch die Voraussetzungen für eine Rücknahme nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO lägen nicht vor. Sie, die Klägerin, habe keine unrichtigen oder unvollständigen Angaben gemacht. Sie habe lediglich die Angaben der inländischen Depotbank des Verkäufers übernommen, nach denen es sich um einen zur Steueranrechnung berechtigenden inländischen Aktienkauf gehandelt habe. Bei diesem habe entweder der Emittent oder die inländische Depotbank den Steuerabzug vornehmen müssen. Das gleiche gelte für § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO. Sie, die Klägerin, habe zum Zeitpunkt der Wirksamkeit der Anrechnungsverfügungen keine positive Kenntnis über die mögliche Rechtswidrigkeit der Anrechnungsverfügungen gehabt. Vielmehr seien alle für die Anrechnung notwendigen Unterlagen, insbesondere die Kapitalertragsteuerbescheinigungen vorgelegt worden. Damit habe sie, die Klägerin, alle objektiv richtigen Angaben gemacht.
Die Voraussetzungen für eine Rücknahme lägen zudem wegen Ablaufs der Jahresfrist nach § 130 Abs. 3 AO nicht vor. Der Beklagte habe spätestens ab dem 1. Dezember 2017 Kenntnis von sämtlichen Tatsachen gehabt, die eine Rücknahme der Anrechnungsverfügungen hätten rechtfertigen können. Dies ergebe sich insbesondere aus dem Schreiben des BMF vom 2017, in dem der Beklagte aufgefordert werde, verjährungsunterbrechende Maßnahmen einzuleiten und dem Eingang der endgültigen Weisung des BMF am 2017.
Die Ermessensausübung sei fehlerhaft. Es liege insgesamt ein Ermessensausfall vor. Der Beklagte verkenne das Verhältnis zwischen Rücknahme der Anrechnungsverfügung und Haftung nach § 44 Abs. 5 EStG. Das Auswahlermessen sei übergreifend auszuüben, weil § 44 Abs. 5 EStG sonst in wichtigen Anwendungsbereichen leer laufe. Daher habe der Beklagte nicht offenlassen dürfen, ob die Bank-2 zum Einbehalt von Kapitalertragsteuer verpflichtet gewesen sei. Es sei nicht nachgewiesen, dass ihre, der Klägerin, Verantwortlichen davon ausgegangen seien, dass die Bank-2 ihre Verpflichtung zum Steuereinbehalt verletzen würde. Die Entscheidung leide an einem Ermittlungsdefizit, weil sie sich für die Annahme einer Beteiligung von ihren Verantwortlichen an angenommenen Steuerhinterziehungstaten ausschließlich auf die unverwertbaren Urteile des LG vom ... 2020 (xxx) und vom ... 2021 (xxx) und diese Entscheidungen bestätigenden Entscheidungen des BGH (xxx und xxx) stütze. Es sei fehlerhaft nicht erwogen worden, die geständigen Steuerhinterzieher Herrn F, Herrn G und Herrn L durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen. Auf die Heranziehung eines vorsätzlich an einer Steuerstraftat Beteiligten könne grundsätzlich nicht verzichtet werden. Zwar könne ein haftender Straftäter nicht beanspruchen, dass statt seiner ein Mittäter in Anspruch genommen werde, hier werde sie, die Klägerin, aber als Steuerschuldnerin in Anspruch genommen. Wenn Dritte die Steuerstraftat zu ihrem Nachteil begingen, habe sie einen Anspruch auf die Erwägung von deren Inanspruchnahme. Es hätte im Rahmen der Ermessensausübung danach differenziert werden müssen, ob leichte Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit oder ein vorsätzliches Handeln des Steuerpflichtigen vorliege. Dies sei nicht geschehen.
Es sei bereits Zahlungsverjährung eingetreten, so dass die Anrechnungsverfügungen nicht mehr hätten geändert werden könnten. Die Zahlungsverjährung beginne nicht erst bei Erlass einer geänderten Anrechnungsverfügung zu laufen, sondern bereits mit der ursprünglichen Steuerfestsetzung. Dies gelte auch, wenn Abzugsbeträge zunächst in die Anrechnungsverfügung eingestellt, später jedoch nicht mehr als abzugsfähig anerkannt worden seien. Die Zahlungsverjährung sei durch zwischenzeitlich ergangene Änderungsbescheide nicht neu in Gang gesetzt worden. Nur im Umfang der Festsetzungsänderung dürfe die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung angepasst werden. Die Festsetzung der Nettodividende bei der Anrechnung könne nicht zu einer Änderung der Steuerfestsetzung führen. Dieser quasi umgekehrte Fall könne keine Grundlagenwirkung begründen. Die Ursache liege im Steuererhebungsverfahren und beeinflusse ihrerseits die Festsetzungsebene. Dies werde auch dadurch gestützt, dass sich der Gesetzgeber gezwungen gesehen habe, die Rechtsauffassung des Beklagten in einen neuen § 230 Abs. 2 AO zu übernehmen. Für den Veranlagungszeitraum 2009 liege zudem keine Änderung der Steuerfestsetzung vor. Im streitgegenständlichen Bescheid und in dem vorigen Änderungsbescheid sei jeweils eine Körperschaftsteuer von 0 € festgesetzt worden.
Die Änderung der Zinsfestsetzung sei dem Grunde nach rechtswidrig. Die Festsetzung von Steuerabzugsbeträgen sei nach § 233a Abs. 1 Satz 2 AO ausdrücklich von der Verzinsungsregel ausgenommen. Dazu zähle auch die Nachforderung erstatteter Kapitalertragsteuerbeträge. Im Übrigen greife bei der Bemessung des Unterschiedsbetrags gemäß § 233a Abs. 5 Satz 2 AO die Sollberechnung. Dies schließe eine Verzinsung beim Steuerschuldner aus, wenn der Entrichtungspflichtige die Steuerabzugsbeträge nicht einbehalten und abgeführt habe.
Die Klägerin beantragt,
1. Die Bescheide über Körperschaftsteuer, Solidaritätszuschlag und Zinsen für 2007 bis 2009, jeweils vom 2020 und in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 2020, bezüglich der Zinsen in Gestalt der Änderungsbescheide vom 2023, aufzuheben.
2. Den Abrechnungsbescheid für 2007 vom 2020 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 2020 dahingehend zu ändern, dass der Betrag anzurechnender Kapitalertragsteuer um ... € und der Betrag anzurechnenden Solidaritätszuschlags um ... € erhöht werden.
3. Den Abrechnungsbescheid für 2008 vom 2020 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 2020 dahingehend zu ändern, dass der Betrag anzurechnender Kapitalertragsteuer um ... € und der Betrag anzurechnenden Solidaritätszuschlags um ... € erhöht werden.
4. Den Abrechnungsbescheid für 2009 vom 2020 in Gestalt der Teil-Einspruchsentscheidung vom 2020 dahingehend zu ändern, dass der Betrag anzurechnender Kapitalertragsteuer um ... € und der Betrag anzurechnenden Solidaritätszuschlags um ... € erhöht werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus:
Die handelnden Akteure auf Seiten der Klägerin seien nicht getäuscht worden. Die Leitungsebene der Bank-1 habe Kenntnis vom tatsächlichen Geschehen gehabt. Dies sei durch die umfangreichen Beweisaufnahmen in den Verfahren des LG nachgewiesen.
Ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt habe jeweils vorgelegen. Eine Berechtigung zur Steueranrechnung ergebe sich nicht allein aus der Vorlage einer Steuerbescheinigung. Die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag sei zu keinem Zeitpunkt auf die Dividendenkompensationszahlung einbehalten worden. Das Vorgehen sei insgesamt als missbräuchlich im Sinne des § 42 AO einzustufen.
Die Rücknahmegründe nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 bis 4 AO lägen allesamt vor. Selbst wenn man unterstelle, dass die bei der Klägerin tätigen Personen sämtlich ohne Vorsatz gehandelt hätten, so wäre der Klägerin jedenfalls das Handeln der Herren F, G, K und L zuzurechnen. Insbesondere die Herren L und K seien von der Klägerin beauftragt worden, "cum/ex"-Transaktionen durchzuführen. Die Vergütung für diese Tätigkeit sei durch Scheinrechnungen erfolgt, die die M gefertigt und der Bank-1 ausgestellt habe. Damit hätten diese Personen in einem Näheverhältnis zur Bank-1 gestanden, das bezogen auf diese Geschäfte über eine reine Geschäftsbeziehung mit fremden Dritten hinausgegangen sei. Im Ergebnis sei es eine wirtschaftliche Partnerschaft gewesen, an der die beteiligten Personen gleichermaßen einen Verdienst erzielt hätten. Das Ermessen sei fehlerfrei ausgeübt worden. So sei er, der Beklagte, nach Abwägung aller Umstände im Rahmen der Ermessensentscheidung zu dem Schluss gelangt, dass eine Rücknahme ermessensgerecht gewesen sei.
Im Übrigen habe die Klägerin Kenntnis aller maßgeblichen Umstände gehabt. Dies ergebe sich u.a. aus den hohen Dividendenleveln und den Scheinrechnungen über die M. Auch habe die Klägerin nicht zu erklären vermocht, wie sie allein mit dem Kauf- und Rückverkauf der DAX-Werte die tatsächlich realisierten Gewinne habe erzielen können. Der Gewinn ergebe sich allein aus der Aufteilung der nichterhobenen Kapitalertragsteuer zwischen den Akteuren. Daher habe bei den Käufen eine Leerverkaufsstrategie zugrunde gelegen, bei der sich die Beteiligten die "Steuerbeute" hätten teilen wollen.
Die Jahresfrist nach § 130 Abs. 3 AO für die Rücknahme sei nicht abgelaufen. Die Kontrollmitteilung des Finanzamtes Q habe nicht zur Prüfung der Frage geführt, ob ein "cum/ex"-Leerverkäufer auch dann zur Anrechnung der Steuer berechtigt sei, wenn auf die Dividendenkompensationszahlung ein Steuerabzug nicht erfolgt sei. Die Ermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft hätten nicht zur Kenntnis der vollen Tatumstände geführt. Das gleiche gelte für das Gutachten von ... Bisher habe er, der Beklagte, keinen steuerstrafrechtlichen Bericht von den zuständigen Ermittlungsbehörden erhalten. Erst mit Bekanntgabe des ersten "cum/ex"-Urteils des LG vom ... 2020 (xxx) habe er, der Beklagte, Kenntnis davon erhalten, dass tatsächlich "cum/ex"-Transaktionen mit Leerverkäufen im Streitfall getätigt worden seien und es nicht, wie zuvor vermutet, auf den Nachweis der vollständigen Lieferketten angekommen sei. Erst durch dieses Urteil habe sich das bis dahin nur bruchstückhaft vorhandene Bild über den Geschehenshergang vervollständigt. Im Übrigen komme es auf die Wahrung der Jahresfrist wegen der arglistigen Täuschung nicht an.
Das Ermessen sei zutreffend ausgeübt worden. Eine vorrangige Inanspruchnahme der Depotbank sei nicht geboten gewesen. Das Abzugsverfahren und das Steuerfestsetzungsverfahren seien voneinander zu trennen. Eine Reihenfolge der Inanspruchnahme, wie sie sich aus § 44 Abs. 5 EStG im Rahmen des Haftungsverfahrens beim Steuerabzug ergebe, habe keine Ausstrahlungswirkung auf die Rücknahme nach § 130 AO im Rahmen des Steuerfestsetzungs- und Anrechnungsverfahrens. Er, der Beklagte, habe nicht danach differenzieren müssen, ob Vorsatz, grobe oder leichte Fahrlässigkeit vorgelegen habe. Die betreffenden Akteure hätten vollständige Kenntnis von den Umständen des Sachverhalts gehabt. Er, der Beklagte, habe sich im Rahmen seiner Ermessensentscheidung zudem mit der Frage auseinandergesetzt, welcher Verschuldensgrad der Klägerin zuzurechnen sei.
Es sei keine Verjährung eingetreten. Eine Festsetzungsverjährung liege deshalb nicht vor, weil § 171 Abs. 7 AO greife. Danach trete keine Festsetzungsverjährung ein, bevor eine Steuerstraftat verjährt sei. Nach den Feststellungen des LG im Urteil vom ... 2020 (xxx) liege in allen drei Streitjahren eine Steuerhinterziehung vor. Die Steuer sei zu Gunsten der Klägerin hinterzogen worden, so dass von einer verlängerten Festsetzungsfrist auszugehen sei. Da keine Festsetzungsverjährung eingetreten sei, könne auch keine Zahlungsverjährung eingetreten sein. Wenn eine Festsetzung geändert werde, werde mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheides eine erneute Zahlungsverjährungsfrist in Lauf gesetzt. Zwar könne bei einer im Nachhinein als unzutreffend erkannten Anrechnung nicht die Festsetzung geändert werden, um damit eine erneute Zahlungsverjährung auszulösen. Hier sei allerdings bereits auf Ebene der Festsetzung eine Änderung geboten gewesen, in deren Folge auch die Anrechnung habe geändert werden müssen. Die Verringerung von der Brutto- auf die Nettodividende sei die Grundlage für die damit korrelierende Änderung auf Ebene der Anrechnung und nicht deren Folge. Eine Teilverjährung der Zahlungsverjährung könne nur dann erfolgen, wenn Aspekte der Steuerfestsetzung außen vor blieben und nur die Steuererhebung betroffen sei. Jede Änderung der Steuerfestsetzung führe zu einer Änderung der Steueranrechnung, in deren Folge die Zahlungsverjährung in vollem Umfang jeweils von Neuem beginne.
Die Zinsfestsetzung sei dem Grunde nach rechtmäßig erfolgt. § 233a Abs. 1 Satz 2 AO sei nicht anwendbar. Bei der Kapitalertragsteuer handele es sich nicht um eine Vorauszahlung, sondern um einen Steuerabzugsbetrag. Streitgegenstand sei nicht der Steuereinbehalt, sondern das Veranlagungsverfahren. Eine Verzinsung wäre nur dann ausgeschlossen, wenn er, der Beklagte, die Klägerin als Gläubigerin der Kapitalerträge nach § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG in Haftung genommen hätte. Hier sei aber Streitgegenstand das Steuerfestsetzungsverfahren. Eine Verzinsung scheide auch nicht nach § 233a Abs. 5 Satz 2 AO aus, weil auf Seiten der Klägerin bereits kein Einbehalt der Steuer stattgefunden habe. Es fehle also nicht nur an der Abführung. Zudem sei es der Klägerin gerade darauf angekommen, dass der Einbehalt nicht stattfinde. Allein die Vorlage einer Steuerbescheinigung vermöge nicht den Nachweis des materiellen Einbehalts zu ersetzen.
Da die Ermittlung des Einkommens, das den Körperschaftsteuerbescheiden 2007 bis 2009 zugrunde liege, rechtmäßig sei, habe er, der Beklagte, auch den Gewerbeertrag zutreffend ermittelt.
Am ... 2021 hat das LG (xxx, juris) (...), Herrn R wegen Steuerhinterziehung in ... Fällen wegen der Beteiligung an "cum/ex"-Geschäften bei der Bank-1 in den Jahren 2007 bis 2011 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe ... verurteilt. Auf das Urteil und die Strafakten, die beigezogen wurden, wird Bezug genommen. Die gegen das Urteil eingelegte Revision hat der BGH mit Beschluss vom ... verworfen (xxx, ...).
Am ... 2022 hat das LG (xxx, juris) Herrn K u.a. wegen Steuerhinterziehung (...) wegen der Beteiligung an "cum/ex"-Geschäften bei der Bank-1 in den Jahren 2007 bis 2011 (...) verurteilt. (...) Auf das Urteil wird Bezug genommen. Die dagegen eingelegte Revision hat der BGH mit Beschluss vom ... verworfen (xxx, ...).
Mit Bescheiden vom ...2023 hat der Beklagte die Zinsen zur Körperschaftsteuer 2007, 2008 und 2009 unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 8. Juli 2021 (1 BvR 2237/14 und 1 BvR 2422/17, BGBl. I 2021, 4303) festgesetzt.
In der mündlichen Verhandlung hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beantragt, Frau T (Beweisantrag 1), Herrn U, früherer Sachgebietsleiter für das weitere Bankensachgebiet, (Beweisantrag 2) und Frau V, frühere Veranlagungssachbearbeiterin, (Beweisantrag 3) jeweils als Zeuge zu vernehmen zum Beweis der Tatsache, dass das Nichtvorliegen von Leerverkäufen für den Beklagten bei Erlass der streitgegenständlichen Anrechnungsverfügungen nicht entscheidungserheblich war.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten - insbesondere auch hinsichtlich der von der Klägerseite gestellten Beweisanträge - wird auf das Protokoll des Erörterungstermins vom 8. November 2022 und der mündlichen Verhandlung vom 9. November 2023 verwiesen.
Aus den Gründen
I. Die Klage ist zulässig (1.), aber unbegründet (2.).
1. Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin als Organträgerin klagebefugt (a)), die Rechtmäßigkeit der Abrechnungsbescheide geht der Rechtmäßigkeit der Körperschaftsteuerbescheide nicht vor (b)), es besteht eine Klagebefugnis hinsichtlich der Abrechnungsbescheide (c)) und schließlich kann auch das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis angenommen werden (d)).
a) Die Klägerin ist als Organträgerin der Bank-1 klagebefugt.
§ 14 Abs. 5 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), der durch das Gesetz zur Änderung und Vereinfachung der Unternehmensbesteuerung und des steuerlichen Reisekostenrechts vom 20. Februar 2013 (BGBl. I 2013, 285) dahingehend geändert wurde, dass nunmehr ein Feststellungsverfahren in Bezug auf das zuzurechnende Organeinkommen in das Gesetz aufgenommen worden ist, greift für Feststellungszeiträume vor 2014 - wie hier - nicht ein (vgl. Neumann, in: Gosch, KStG, 4. Auflage 2020, § 14 Rn. 529a). Vielmehr gilt für die hier streitigen Zeiträume: Das Einkommen der Organgesellschaft, das nach § 14 Abs. 1 KStG dem Organträger zugerechnet wird, ist eine eigenständige Besteuerungsgrundlage, die in das Gesamtergebnis der Organträgerin eingeht. Wenn in dem Einkommen der Organgesellschaft Betriebseinnahmen enthalten sind, die einem Steuerabzug unterlegen haben, so ist die einbehaltene Steuer auf die Körperschaftsteuer des Organträgers anzurechnen (§ 19 Abs. 5 KStG). Einwände gegen die Höhe des zugerechneten Einkommens kann nur die Klägerin als Organträgerin geltend machen (vgl. Neumann, in: Gosch, KStG, 4. Auflage 2020, § 14 Rn. 529).
b) Es besteht auch eine Klagebefugnis der Organträgerin hinsichtlich der angegriffenen Körperschaftsteuerbescheide 2007 bis 2009.
Die Klägerin begehrt vorliegend die Anrechnung höherer Steuerabzugsbeträge und gleichzeitig eine höhere Körperschaftsteuerfestsetzung. Die Anrechnung ist indes Teil des Steuererhebungsverfahrens und wird durch einen selbständigen Verwaltungsakt - durch Anrechnungsverfügung oder Abrechnungsbescheid - herbeigeführt (BFH, Urteil vom 17. Juni 2009, VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72, juris Rn. 13; BFH, Urteil vom 15. April 1997, VII R 100/96, BStBl. II 1997, 787, juris Rn. 11). Dennoch ist die Klägerin klagebefugt. Zwar ergibt sich die Beschwer durch einen Steuerbescheid grundsätzlich aus der Steuerfestsetzung, jedoch kann auch eine zu niedrige Steuerfestsetzung eine Beschwer auslösen, wenn sich die Festsetzung in bindender Weise auf einem anderen rechtlichen Gebiet ungünstig auswirkt, weil der Regelungsgehalt des Steuerbescheids ausnahmsweise über die bloße Steuerfestsetzung hinausreicht (BFH, Urteil vom 17. Juni 2009, VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72, juris Rn. 13f.). Nach § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG wird auf die Körperschaftsteuer die durch Steuerabzug erhobene Körperschaftsteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt worden ist. Die Vorschrift stellt damit eine inhaltliche Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren her, indem die im Wege des Steuerabzugs erhobene Einkommensteuer nur angerechnet wird, "soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte ... entfällt". Da die Anrechnung dieser Beträge mit der Erfassung der betreffenden Einnahmen bei der Veranlagung verknüpft ist, muss die Klägerin die Körperschaftsteuerbescheide anfechten - mit dem Ziel, eine entsprechend höhere Körperschaftsteuer festzusetzen (vgl. dazu Ettlich in: Brandis/Heuermann, EStG, § 36 Rn. 56, Stand: Dezember 2022). Nur auf diese Weise kann die begehrte Anrechnung erreicht werden (vgl. BFH, Urteil vom 17. Juni 2009, VI R 46/07, BStBl. II 2010, 72, juris Rn. 14).
c) Zugleich besteht eine Klagebefugnis hinsichtlich der begehrten Abrechnungsbescheide, denn Streitigkeiten über die Anrechnung sind durch Abrechnungsbescheid zu entscheiden. Dieses Verfahren ist vorrangig gegenüber einer Anfechtung der Anrechnungsverfügung (vgl. BFH, Urteil vom 29. Oktober 2013, VII R 68/11, BStBl. II 2016, juris Rn. 9; BFH, Urteil vom 15. April 1997, VII R 100/96, BStBl. II 1997, 787, juris Rn. 14ff.; Ettlich in: Brandis/Heuermann, EStG, § 36 Rn. 55, Stand: Dezember 2022).
d) Schließlich besteht auch das erforderliche Rechtschutzbedürfnis für die Klage.
Das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, das aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet wird, entfällt z.B. dann, wenn keine Verbesserung der Rechtsstellung erreicht werden kann. Dies kann der Fall sein, wenn die Klägerin die Aufhebung eines irreversibel vollzogenen Verwaltungsaktes begehrt (vgl. Wöckel in: Eyermann, VwGO, 16. Auflage 2022, Vorbemerkungen §§ 40-53 Rn. 16; Braun in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 40 FGO Rn. 165, Stand: Februar 2021). Zwar sind bereits alle Abgabenverbindlichkeiten aus den streitgegenständlichen Bescheiden nach den Angaben des Beklagtenvertreters im Erörterungstermin getilgt, aber sie sind nicht (strafrechtlich) eingezogen. Hinzu kommt ein Rechtsschutzbedürfnis wegen der streitigen Zinsfestsetzung. Denn die Bescheide sind nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO, der nach Halbsatz 1 bestimmt, dass eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern ist, wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder berichtigt wird, bzw. nach Halbsatz 2, dass gleiches gilt, wenn die Anrechnung von Steuerbeträgen zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 AO berichtigt wird, Grundlagenbescheide für die Zinsbescheide (vgl. Kögel, in: Gosch, AO/FGO, § 233a AO Rn. 181, Stand: November 2022). Selbst wenn die Hauptforderung eingezogen wäre, würde aufgrund dessen ein Rechtsschutzbedürfnis bestehen.
2. Die Klage ist unbegründet. Die Körperschaftsteuerbescheide 2007 bis 2009 sind rechtmäßig (a)). Die Rücknahmen der Anrechnungsverfügungen für die Streitjahre sind zu Recht erfolgt, so dass die Abrechnungsbescheide rechtmäßig sind (b)). Die Zinsfestsetzung ist rechtmäßig (c)).
a) Die Körperschaftsteuerbescheide 2007 bis 2009 durften formell (aa)) und materiell (bb)) geändert werden.
aa) Die Festsetzungsfrist war in allen streitgegenständlichen Jahren nicht abgelaufen (aaa)) und auch die Voraussetzungen einer Änderungsnorm lagen jeweils vor (bbb)).
aaa) Die Festsetzungsfrist war in den einzelnen Streitjahren jeweils nicht abgelaufen.
(1) Die Festsetzungsfrist für das Jahr 2007 war nicht abgelaufen.
Gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist bei einer Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung mit Ablauf des Kalenderjahrs zu laufen, in dem die Steuererklärung eingereicht wird. Die Steuererklärung wurde vorliegend am 7. Januar 2009 abgegeben, so dass die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2009 begann.
Die Festsetzungsfrist beträgt für das Streitjahr 2007 zehn Jahre. Grundsätzlich beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO vier Jahre. Allerdings beträgt sie hier nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, weil vorliegend Steuern hinterzogen wurden. Nach den Feststellungen des LG ...im Urteil vom ... 2022 (..., juris) bestätigt durch den BGH (Beschluss vom ..., xxx, ..., juris) gegen Herrn K hat sich Herr K durch das oben beschriebene Gestaltungsmodell mit dem Kauf und Rückverkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag im außerbörslichen Handel (OTC), durch seine Idee, "cum/ex"-Transaktionen auf diese Weise abzuwickeln, seine Werbung und seine rechtliche Beratung der Bank-1 - alles getragen von einem hohen unmittelbaren Eigeninteresse am Gelingen - wegen Steuerhinterziehung u.a. hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Taten im Jahr 2007 strafbar gemacht (...). Zudem hat sich nach den Feststellungen des LG ...im Urteil gegen Herrn F und Herrn G vom ... 2020 (xxx, juris) Herr F durch sein Hilfeleisten im Jahr 2007 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugunsten der Bank-1 strafbar gemacht (...).
Die zugrundeliegenden Feststellungen des LG ... macht sich das erkennende Gericht insoweit zu eigen (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 31. Januar 20[1]9, VIII B 41/18, BFH/NV- 2019, 702, juris Rn. 20; BFH, Beschluss vom 17. September 2003, XI B 220/02, BFH/NV 2004, 345, juris Rn. 6) als eine Steuerhinterziehung von Herrn K und eine Beihilfehandlung von Herrn F zur Haupttat von Herrn K vorlag. Diese Feststellungen sind insoweit nicht von der Klägerseite angegriffen worden. Die Angriffe der Klägerseite beziehen sich nämlich darauf, dass die Verantwortlichen der Bank-1 nicht vorsätzlich gehandelt hätten. Die hier zugrunde gelegten Feststellungen betreffen die Verantwortlichen der Bank-1 nicht.
Anders als die Klägerseite meint, haben substantiierten Angriffe hinsichtlich einiger Teile der Urteile nicht zur Folge, dass die Feststellungen dieser Urteile insgesamt nicht herangezogen werden dürften. Denn Hintergrund der Rechtsprechung, dass ein substantiierter Angriff dazu führt, dass das Finanzgericht die Beweise selbst erheben muss, ist, dass mögliche Zweifel an einzelnen Feststellungen des Strafurteils bestehen und dass diese durch die eigenständige Beweiserhebung des Finanzgerichts ausgeräumt werden sollen. Diese Zweifel können aber immer nur einzelne Feststellungen betreffen und nicht das Urteil als solches. Der BGH hat im Übrigen sowohl im Fall K als auch im Fall F und G festgestellt, dass das jeweilige Urteil Bestand hat (BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris; BGH, Beschluss vom ..., xxx, ..., juris).
Es ist nach § 169 Abs. 2 Satz 3 AO auch unerheblich, durch wen die Steuerhinterziehung begangen worden ist. § 169 Abs. 2 Satz 3 AO bestimmt nämlich, dass die zehnjährige Frist auch dann gilt, wenn die Steuerhinterziehung nicht durch den Steuerschuldner oder eine Person begangen worden ist, derer er sich zur Erfüllung seiner steuerlichen Pflichten bedient. Damit konnte die Steuerhinterziehung auch durch Herrn Dr. K (und die Beihilfe durch Herrn F) begangen werden. Die in § 169 Abs. 2 Satz 3 AO vorgesehene Ausnahme, wonach dies dann nicht gilt, wenn der Steuerschuldner nachweist, dass er durch die Tat keinen Vermögensvorteil erlangt hat, greift ersichtlich nicht.
Der Lauf der Festsetzungsfrist von 10 Jahren war gemäß § 171 Abs. 7 AO im Zeitpunkt des danach grundsätzlich geltenden Ablaufs am 31. Dezember 2019 allerdings gehemmt. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist nicht, bevor die Verfolgung der Steuerstraftat verjährt ist. Die Verfolgung der Steuerstraftat war vorliegend nicht verjährt. Insoweit schließt sich das Gericht den Ausführungen des LG im Urteil vom ... 2022 (xxx, juris) an:
"Keine der drei Taten ist gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 StGB verjährt. Nach § 376 Abs. 1 AO in der seit dem 29.12.2020 geltenden Fassung iVm. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO beträgt die Verjährungsfrist fünfzehn Jahre. Dieses konkrete Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall der Steuerhinterziehung liegt in allen drei Fällen vor, [...]. Bei Inkrafttreten der Regelung am 29.12.2020 war noch keine der Taten verjährt. Die Verjährungsfrist begann frühestens im Jahre 2009 zu laufen, § 78a Satz 1 StGB. Keine Tat war vorher beendet, denn den ersten Steuervorteil überhaupt erlangte die UUEE Gruppe für den Eigenhandel des Jahres 2007 mit Bescheidung der Körperschaftsteuererklärung im April 2009. Die Verjährungsfrist wurde sodann jedenfalls durch Verfügungen der Staatsanwaltschaft Köln vom 19.02.2016 (vgl. Hauptakte Band 2, Bl. 547 ff.) und Gewährung von Akteneinsicht an den damaligen Verteidiger des Angeklagten am 24.02.2016 (vgl. Hauptakte Band 2, Bl. 565) nach § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB unterbrochen. Denn hierin lag eine Bekanntgabe, dass gegen den damals Beschuldigten und jetzigen Angeklagten ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, § 78c Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB. Die damals verfahrensgegenständlichen Tatvorwürfe umfassten sämtliche hier angeklagten Taten."
Durch die vom LG ... festgestellten - insoweit nicht bestrittenen - verjährungsunterbrechenden Maßnahmen, zu denen bis zum Erlass des Bescheides vom 2020 noch die Erhebung der öffentlichen Klage (§ 78c Abs. 1 Nr. 6 des Strafgesetzbuchs -StGB-), die Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 78c Abs. 1 Nr. 7 StGB) und die Anberaumung der Hauptverhandlung (§ 78c Abs. 1 Nr. 8 StGB) traten, wurde die Verjährung nach § 78c Abs. 3 Satz 1 StGB jeweils von neuem in Gang gesetzt. Die in § 78c Abs. 3 Satz 2 StGB genannte Höchstfrist ist nicht erreicht. Diese beträgt das Doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist. Hier beträgt die gesetzliche Verjährungsfrist 15 Jahre (§ 370 Abs. 3 Nr. 1 AO) und das Doppelte damit 30 Jahre. Diese wären - gerechnet ab einer Beendigung der Taten im Jahr 2009 - erst im Jahr 2039 erreicht.
(2) Auch im Streitjahr 2008 war die Festsetzungsfrist nicht abgelaufen.
Da die Steuererklärung vorliegend am 2010 abgegeben wurde und die Frist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des Kalenderjahrs zu laufen beginnt, in dem die Steuererklärung eingereicht wird, begann die Festsetzungsfrist mit Ablauf des 31. Dezember 2010.
Auch hier beträgt die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre, weil Steuern hinterzogen wurden. Denn nach den insoweit nicht bestrittenen Feststellungen des LG im Urteil vom ... 2022 (xxx, juris) hat sich Herr K durch das oben beschriebene Gestaltungsmodell mit dem Kauf und Rückverkauf von Aktien rund um den Dividendenstichtag im außerbörslichen Handel (OTC), durch seine Idee, "cum/ex"-Transaktionen über Investmentfonds abzuwickeln, seine Werbung und seine rechtliche Beratung der Bank-1 - alles getragen von einem hohen unmittelbaren Eigeninteresse am Gelingen - wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht (...). Im Übrigen hat sich auch Herr F insoweit wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht (LG, Urteil vom ... 2020, xxx, juris).
Offenbleiben kann, ob die zehnjährige Frist auch für die Bank-5 Geschäfte in 2008 galt. (...) Selbst wenn insoweit die reguläre Frist von vier Jahren nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO gilt, ist diese wegen der Hemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO noch nicht abgelaufen:
Die zehn- bzw. vierjährige Festsetzungsfrist war durch die begonnene Außenprüfung gehemmt. Insoweit bestimmt § 171 Abs. 4 Satz 1 AO, dass die Festsetzungsfrist für Steuern, auf die sich die Außenprüfung erstreckt, nicht abläuft, bevor die auf Grund der Außenprüfung zu erlassenden Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind, wenn vor Ablauf der Festsetzungsfrist mit einer Außenprüfung begonnen wird. Vorliegend wurde vor Ablauf der zehn- bzw. vierjährigen Verjährungsfrist nämlich am ...2013 mit der Außenprüfung begonnen. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Bescheide am ...2020 war die Außenprüfung noch nicht abgeschlossen, so dass die Hemmung bis zu diesem Zeitpunkt bestand.
(3) Entsprechendes gilt für das Streitjahr 2009.
Die Steuererklärung wurde vorliegend am ...2011 abgegeben, so dass die Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO mit Ablauf des 31. Dezember 2011 begann.
Auch hier betrug die Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO zehn Jahre. Denn auch im Jahr 2009 hat sich Herr K wegen vorsätzlicher Steuerhinterziehung strafbar gemacht (LG, Urteil vom ... 2022, xxx, juris - ...). Im Übrigen hat sich auch Herr F insoweit wegen Steuerhinterziehung strafbar gemacht (LG, Urteil vom ... 2020, xxx, juris).
Diese zehnjährige Festsetzungsfrist war auch für das Jahr 2009 durch die begonnene Außenprüfung nach § 171 Abs. 4 Satz 1 AO gehemmt. Vorliegend wurde vor Ablauf der zehn Jahres Frist nämlich am ... 2013 mit der Außenprüfung begonnen. Zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides am ... 2020 war die Außenprüfung noch nicht abgeschlossen, so dass die Hemmung bis zu diesem Zeitpunkt bestand.
bbb) Auch die Voraussetzungen der erforderlichen Änderungsvorschriften sind gegeben.
(1) Hinsichtlich des Jahres 2007 greift insoweit § 173 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 2 AO.
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO sind Steuerbescheide zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH, Urteil vom 21. Februar 2017, VIII R 46/13, BStBl. II 2017, 745, juris Rn. 34 m.w.N.; vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 2, Stand: November 2023). Beweismittel ist jedes Erkenntnismittel, das geeignet ist, das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von Tatsachen zu beweisen (BFH, Urteil vom 27. Oktober 1992, VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569, juris Rn. 27; von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 173 AO Rn. 111, Stand: September 2017). Maßgeblicher Zeitpunkt für das nachträgliche Bekanntwerden neuer Tatsachen ist der Zeitpunkt der abschließenden Zeichnung der Verfügung zum Steuerbescheid (BFH, Urteil vom 27. November 2001, VIII R 3/01, BFH/NV 2002, 473, juris Rn. 27; BFH, Urteil vom 23. November 2001, VI R 125/00, BStBl. II 2002, 296, juris Rn. 24 m.w.N.). Maßgeblich ist grundsätzlich der letzte Bescheid, der für eine eigenständige Sachprüfung in Betracht kommt. Bei dem Erlass eines Änderungsbescheides verpflichtet dieser aber grundsätzlich nur soweit die jeweilige Korrektur reicht, zur erneuten Sachprüfung und dementsprechend sind Tatsachen und Beweismittel nur in diesem Umfang keine nachträglichen Tatsachen (von Groll, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 173 AO Rn. 212f., Stand: September 2017).
Nach diesen Maßstäben liegen die Voraussetzungen von § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO vor. Erst 2016 und damit nach Ergehen des ersten Bescheides vom 2009 ist dem Beklagten durch das Antwortschreiben der Bank-2 vom 2016 bekannt geworden, dass die Kapitalertragsteuer für die Aktiengeschäfte nicht einbehalten worden war (neue Tatsache). Dies war zuvor nicht bekannt. Auch die Kontrollmitteilung aus Q aus dem Jahr 2014 - die zudem das Jahr 2008 betraf - teilte diese Tatsache für die entsprechenden Aktiengeschäfte so nicht mit. Bei den mitgeteilten Aktienverkäufen in 2008 handelte es sich um "vermutete" Leerverkäufe und die Kontrollmitteilung führte aus: "Sollte dies der Fall sein, bleibt zu prüfen, wer die Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag zu Unrecht angerechnet hat und ob diese Anrechnung zurückgenommen werden kann."
Der nach dem 2016 ergangene Änderungsbescheid vom betraf andere Regelungspunkte, so dass hinsichtlich der Frage des "nachträglichen" Bekanntwerdens nach den oben genannten Grundsätzen nicht auf ihn abzustellen war.
Allerdings sind zusätzlich vorliegend die strengeren Voraussetzungen des § 173 Abs. 2 Satz 1 AO zu beachten. Nach dieser Vorschrift können abweichend von § 173 Abs. 1 AO Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. § 173 Abs. 2 AO dient dem Rechtsfrieden (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 89, Stand: November 2023). Dabei gilt Absatz 2 für jede Änderung nach Absatz 1 ohne zwischen der Änderung zuungunsten oder zugunsten des Stpfl. zu unterscheiden (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 89, Stand: November 2023; BFH, Urteil vom 14. September 1993, VIII R 9/93, BStBl. II 1995, 2, juris Rn. 18).
Diese strengeren Voraussetzungen liegen hier vor. Ein Bescheid aufgrund einer Außenprüfung ist für das Jahr 2007 ergangen. So erging nach einer Betriebsprüfung am 2013 ein Änderungsbescheid. Eine Steuerhinterziehung liegt vor. Nach den Feststellungen des LG im Urteil vom ... 2022 (xxx, juris) bestätigt durch den BGH (Beschluss vom ..., xxx, ..., juris) gegen Herrn K hat sich - wie oben ausgeführt - Herr K wegen Steuerhinterziehung unter anderem hinsichtlich der hier streitgegenständlichen Taten im Jahr 2007 strafbar gemacht (...). Zudem hat sich nach den Feststellungen des LG im Urteil gegen Herrn F und Herrn G vom ... 2020 (xxx, juris) Herr F durch sein Hilfeleisten im Jahr 2007 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung zugunsten der Bank-1 strafbar gemacht (...). Die zugrundeliegenden Feststellungen des LG macht sich das erkennende Gericht - wie auch schon oben - auch in diesem Zusammenhang zu eigen (vgl. dazu BFH, Beschluss vom 31. Januar 20[1]9, VIII B 41/18, BFH/NV 2019, 702, juris Rn. 20; BFH, Beschluss vom 17. September 2003, XI B 220/02, BFH/NV 2004, 345, juris Rn. 6) als eine Steuerhinterziehung von Herrn K und eine Beihilfe von Herrn F zur Haupttat von Herrn K vorliegt.
(2) Hinsichtlich der Jahre 2008 und 2009 greift die Änderungsvorschrift § 164 Abs. 2 Satz 1 AO. Danach kann die Steuerfestsetzung aufgehoben werden, solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist. Dies ist hier der Fall. Die Körperschaftsteuerbescheide 2008 und 2009 standen bis zum Erlass der streitgegenständlichen Bescheide im Jahr 2020 unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Dieser hatte auch noch Bestand, weil - wie oben dargelegt - die Festsetzungsfrist bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide wegen der Ablaufhemmung auf Grund der Außenprüfung (§ 171 Abs. 4 AO) noch nicht abgelaufen war (§ 164 Abs. 4 AO).
bb) Auch materiell-rechtlich war es zutreffend, die Netto- und nicht die Bruttodividende zugrunde zu legen. Die Bank-1 hatte zivilrechtlich gegenüber ihrer Verkäuferin, der B, nur einen Anspruch auf die jeweiligen Dividendenkompensationszahlungen als Schadensersatzanspruch in Höhe der Nettodividenden, die ihr auch nur zugeflossen sind. Nur diese Beträge waren jeweils als Einnahme zu erfassen. Darauf ist keine Kapitalertragsteuer erhoben worden, die der Klägerin als Einnahme zugerechnet werden kann.
aaa) Es genügt vorliegend nicht, dass die Emittenten der Aktien die Steuer einbehalten haben. Denn die Bank-1 konnte zum Dividendenstichtag keine Eigentümerin der Aktien werden. Es konnten ihr keine Dividendenerträge nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (in der in den Streitjahren geltenden Fassung) in Verbindung mit § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG zugerechnet werden.
(1) Dies gilt zum einen zivilrechtlich, weil zum Dividendenstichtag der Bank-1 die Aktien sachenrechtlich nicht zustanden.
Die Übertragung des Eigentums erfolgt bei - wie hier - girosammelverwahrten Aktien mit der Übertragung des Mitbesitzes an den Wertpapieren bzw. der Globalurkunde gemäß § 930 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) durch Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses (vgl. dazu ausführlich BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 29ff.). Für die Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses ist es erforderlich, dass der Veräußerer den Besitzmittler (Abwicklungsstelle, z.B. D) anweist, nicht mehr für ihn, sondern für den Erwerber zu besitzen, der Besitzmittler ein entsprechendes Besitzmittlungsverhältnis zwischen ihm und der Käuferbank begründet und die Käuferbank zudem einen Besitzmittlungswillen zugunsten ihres Depotkunden zum Ausdruck bringt (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 30). Dabei erfolgt die für diesen Erwerbsvorgang erforderliche Besitzverschaffung dadurch, dass die Wertpapiersammelbank als unmittelbarer Besitzer das bei ihr geführte Depotkonto des lieferungspflichtigen Kreditinstitutes belastet und dem Depotkonto des lieferungsberechtigten Kreditinstitutes eine entsprechende Girosammel-Gutschrift erteilt (sog. Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses). Die für die Eigentumsübertragung erforderliche Übergabe wird bei der Übertragung von girosammelverwahrten Aktien somit durch eine Umbuchung durch die Wertpapiersammelbank ersetzt (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 30). Im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses kann ein Erwerber dann nicht zivilrechtlicher Eigentümer der Aktien geworden sein, wenn die erworbenen Aktien seinem Depotkonto noch nicht gutgeschrieben waren. Denn dann hat er den für den sachenrechtlichen Eigentumsübergang erforderlichen anteiligen Mitbesitz an den Wertpapieren bzw. der Globalurkunde noch nicht erworben (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 31). Auch wenn die "Banken-Praxis" davon abweichend für die Abwicklung (vermittels der Dividendenregulierung) auf die Erfassung der schuldrechtlichen Vereinbarung als Buchung im Depot und nicht auf die spätere Umstellung der Besitzverhältnisse durch den Verwahrer für den zivilrechtlichen Erwerb des verbrieften Rechts abstellt, kann dies für die Rechtsfrage der zivilrechtlichen Eigentumsübertragung nicht entscheidungserheblich sein (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 32).
Nach diesen Maßstäben ist die Bank-1 im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses nicht Eigentümerin der Aktien, und zwar unabhängig davon, ob es sich um Inhaberkäufe oder Leerkäufe handelte, geworden. Die Bank-1 erwarb die Aktien kurz vor oder an dem Dividendenstichtag, die Lieferung erfolgte aber erst jeweils kurz danach, also zu einem Zeitpunkt, zu dem eine Trennung der Aktie von der Dividende bereits erfolgt war. Zum Zeitpunkt des Dividendenstichtags war damit noch nicht die sachenrechtlich erforderliche Umstellung des Besitzmittlungsverhältnisses erfolgt. Erst mit der Einbuchung der Aktien im Depot ist die Umstellung des sachenrechtlichen Besitzmittlungsverhältnisses und damit der Wechsel der Eigentümerstellung erfolgt (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022, 17 U 108/20, WM 2022, 1176, juris Rn. 201; vgl. auch BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Da die Zahlung der Dividende aber schon zuvor erfolgt war (Tag der Hauptversammlung) ist die Bank-1 nicht Eigentümerin der Dividende geworden (vgl. auch LG, Urteil vom ... 2020, juris; LG, Urteil vom ... 2022, xxx, juris).
(2) Die Bank-1 ist zum Dividendenstichtag auch nicht nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien und damit Gläubiger der entsprechenden Kapitalerträge geworden. Dies setzt voraus, dass die Bank die tatsächliche Herrschaft über die Aktien im Zeitpunkt der Gewinnverteilungsbeschlüsse in einer Weise ausgeübt hat, dass sie die zivilrechtlichen Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf die Aktien wirtschaftlich ausschließen konnte.
§ 39 Abs. 1 AO, der den Grundsatz aufstellt, dass Wirtschaftsgüter dem Eigentümer zuzurechnen sind, ist gegenüber § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO vorrangig (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 29; vgl. auch Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 76ff.; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Eine Zurechnungsentscheidung, die zu einem der beiden Rechtssubjekte erfolgt, schließt eine abweichende Zurechnungsentscheidung zu dem anderen Rechtssubjekt aus (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 38). Auch eine parallele Zuordnung des wirtschaftlichen Eigentums an verschiedene Rechtssubjekte ist nicht möglich (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 38; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Durch die schuldrechtlichen Kaufverträge über die Aktien konnte die Bank-1 die von § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO geforderte Herrschaftsposition nicht erwerben. Unabhängig davon, ob es sich jeweils um Leerverkäufe gehandelt hat oder nicht, existierte keine wesentliche Position der zivilrechtlichen Aktieninhaber, die durch die Bank-1 hätte beeinträchtigt werden können. Diese hatte weder eine "Ausschließungsmacht" noch eine "aktive Nutzungsmacht" (vgl. BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, juris, Rn. 36). Der Aktieninhaber hätte die Aktien insbesondere zivilrechtlich vor Lieferung an die Bank-1 wirksam anderweitig veräußern und liefern können. Aber auch eine "aktive Nutzungsmacht", hatte die Bank-1 zum jeweils maßgeblichen Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses nicht inne. Die Bank-1 konnte weder die Stimmrechte aus der Aktie geltend machen noch stand ihr die Original-Dividende, und damit das Recht, wie ein Eigentümer Nutzungen zu ziehen, zu. Die Aktien waren gemäß § 39 Abs. 1 AO im Zeitpunkt der Gewinnverteilungsbeschlüsse weiterhin den tatsächlichen Aktieninhabern zuzurechnen (vgl. BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 38, 43; auch Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, juris Rn. 78 ff.; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
bbb) Die Bank-1 ist aber Eigentümerin der Dividendenkompensationszahlung geworden und hat damit Erträge im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG erzielt (vgl. BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Während es sich bei den Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG um Zuwendungen handelt, die auf einem Rechtsverhältnis zwischen der die Bezüge gewährenden Gesellschaft und der diese Bezüge empfangenden Person resultieren, sind die Dividendenkompensationszahlungen als sonstige Bezüge "per Fiktion" mit dem Jahressteuergesetz 2007 in das Gesetz aufgenommen worden (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 71). § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG begründet dabei konstitutiv einen zusätzlichen Einkünftetatbestand, nämlich den Bezug von Kompensationszahlungen, "wenn die Aktien mit Dividendenberechtigung erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert werden" (vgl. ausführlich zum Ganzen: Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 71).
Für diese Dividendenkompensationszahlung ist keine Kapitalertragsteuer erhoben worden, auch wenn die Bank-1 den Bruttobetrag an die Bank-2 gezahlt hat.
"Erhoben" im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG ist die Kapitalertragsteuer dabei bereits dann, wenn sie vom Entrichtungspflichtigen der Kapitalertragsteuer (§ 44 Abs. 1 S. 3 EStG) für Rechnung des Gläubigers der Kapitalerträge einbehalten wurde (BFH, Urteil vom 20. Oktober 2010, I R 54/09, BFH/NV 2011, 641, juris Rn. 26; BFH, Urteil vom 23. April 1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7, juris Rn. 14; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Auf die Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer an das Finanzamt kommt es dabei nicht an (BFH, Urteil vom 23. April 1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7, juris Rn. 14; Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 99; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Dies folgt aus der Erwägung, dass sich der Fiskus beim Einzug der Kapitalertragsteuer des jeweiligen Entrichtungspflichtigen als "Verwaltungsgehilfen" bedient, der Gläubiger der Kapitalerträge (Steuerschuldner) den Steuereinbehalt dulden muss und auf die Abführung der einbehaltenen Kapitalertragsteuer durch den Schuldner der Kapitalerträge grundsätzlich keinen Einfluss nehmen kann (BFH, Urteil vom 23. April 1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7, juris Rn. 14; Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 99; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Vor diesem Hintergrund ist es geboten, das Risiko der Nichtabführung der Kapitalertragsteuer durch den Entrichtungspflichtigen und des Ausfalls der Kapitalertragsteuer dem Fiskus zuzuweisen, der sich des Entrichtungspflichtigen als "Verwaltungshelfer" bedient (BFH, Urteil vom 23. April 1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7, juris Rn. 14; Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 99; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Dieses Tätigwerden als "Verwaltungsgehilfe" des Fiskus setzt jedoch zunächst das Einbehalten der Steuer voraus. Erst wenn die Steuer ordnungsgemäß einbehalten wurde, liegt eine Erhebung der Steuer im Sinne des § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG vor (vgl. BFH, Urteil vom 23. April 1996, VIII R 30/93, BFHE 181, 7, juris Rn. 13f.; Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 100). Bei der Beurteilung, ob eine Steuer einbehalten wurde, ist auf die Person des Einbehaltungsverpflichteten abzustellen. Dies ist für die Einbehaltung der Kapitalertragsteuer gem. § 44 Abs. 1 S. 3 EStG die den Verkaufsauftrag ausführende Stelle, das heißt das inländische Kreditinstitut oder der inländische Finanzdienstleister (Depotbank), dessen sich der Schuldner der Kapitalerträge bei deren Auszahlung bedient. Diese Depotbank ist beim Aktienverkauf zur Abwicklung des Zahlungsflusses zwischengeschaltet. Bei einer zwischengeschalteten Person liegt eine Einbehaltung von Geldern, hier Kapitalertragsteuer, nur vor, wenn sie mehr Geld erhält, als sie tatsächlich weitergibt. Das heißt für die Dividendenkompensationszahlung, dass die Depotbank die Bruttodividende vom Aktienverkäufer erhält, aber nur die Nettodividende an den Gläubiger der Kapitalerträge, den Aktienkäufer weiterleitet (zum Ganzen: Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 100). Bei girosammelverwahrten Aktien, bei denen die Dividendenregulation über D erfolgt, indem D nach Auszahlung der Dividendenkompensationszahlungen in Höhe der Nettodividende auf Anforderung der Depotbank des Käufers im Rahmen der Regulierung die kontrahierenden Depotstellen des Verkäufers die Depotbank der Aktienverkäufer mit einer Ausgleichszahlung in entsprechender Höhe belastet (vgl. dazu Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 100), liegt eine Einbehaltung der Steuer nur dann vor, wenn die mit der Zahlung in Höhe der Nettodividende belastete Depotbank ihrerseits beim Schuldner der Kapitalerträge in Höhe der Bruttodividende Rückgriff nimmt. Nur in diesem Fall hat die Depotbank als zwischengeschaltete Stelle den Differenzbetrag erhalten, so dass eine Einbehaltung der Steuer auf die Ausgleichsforderung in Form der Dividendenkompensationzahlung vorliegt (vgl. Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 100; BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Hier liegt kein Einbehalten der Steuer vor: Denn die Bank-2 bzw. Bank-3 als Depotbank der Verkäuferin haben die Kapitalertragsteuer unstreitig nicht abgeführt. Sie haben auch nicht bei den Verkäufern Rückgriff in Höhe der Bruttodividende genommen (vgl. dazu auch BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Die Bezahlung des Kaufpreises in Höhe von Aktie mit Dividende und Steuer (Bruttokaufpreis) durch die Bank-1 an die Depotbanken der Verkäuferin führt allein nicht zu einem "einbehalten" der Steuer (vgl. BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris). Bei der Kaufpreiszahlung handelt es sich um einen von der Dividenden-Kompensationszahlung vollständig getrennten Zahlungsvorgang (BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022, 17 U 108/20, WM 2022, 1176, juris Rn. 225). Zweck der Zahlung war die Begleichung der nach § 433 Abs. 2 BGB bestehenden Kaufpreisschuld und nicht die Vorwegnahme einer Steuerabführung für die künftige Kompensationszahlung, die von der Verkäuferin anstelle der Verschaffung des Dividendenanspruchs im Rahmen der Stückeübertragung zu zahlen war (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 2. März 2022, 17 U 108/20, WM 2022, 1176, juris Rn. 225).
Die Vorlage der Steuerbescheinigung nach § 45a Abs. 2, 3 EStG reicht nicht aus. Zwar sind die Steuerbescheinigungen in der Mehrzahl der Aktiengeschäfte, bei denen die Auszahlung der Nettodividende von einer inländischen Depotbank des Verkäufers erfolgt, regelmäßig ein geeigneter und ausreichender Nachweis für die Erhebung der Kapitalertragsteuer (Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 103). Dies gilt jedoch nicht in den Fällen, in denen aufgrund besonderer Gestaltung nicht typischerweise von einem Einbehalt der Kapitalertragsteuer ausgegangen werden kann oder die Nichterhebung der Kapitalertragsteuer auf die Dividendenkompensationszahlungen nachgewiesen ist (vgl. BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris; Hessisches FG, Beschluss vom 6. April 2021, 4 V 723/20, EFG 2021, 1400, juris Rn. 89ff.; Hessisches FG, Urteil vom 10. März 2017, 4 K 977/14, EFG 2017, 656, juris Rn. 103).
So liegt der Fall hier. Entgegen der Steuerbescheinigung steht fest, dass die Kapitalertragsteuer nicht erhoben wurde. Damit ist der (rein formelle) Nachweis hinfällig. Oder, um mit dem BGH zu sprechen: "Die gegenteilige Ansicht, eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer sei unabhängig von ihrer Erhebung allein aufgrund der Steuerbescheinigung möglich, ist abwegig (..) und mit Wortlaut, Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck von § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG (...) nicht vereinbar" (BGH, Urteil vom ..., xxx, ..., juris).
Die Berufsträgerbescheinigung, die ab dem Jahr 2009 mit vorgelegt wurde, ergibt ebenfalls kein anderes Bild. Auch dieser Nachweis ist hinfällig, weil die Kapitalertragsteuer gerade nicht erhoben wurde. Der rein formelle Nachweis ist dann hinfällig und kann nicht dazu führen, dass unterstellt werden muss, dass die Kapitalertragsteuer erhoben worden wäre.
b) Die Rücknahmen der Anrechnungsverfügungen für die Streitjahre sind zu Recht erfolgt, so dass die Abrechnungsbescheide rechtmäßig sind. Zu Recht hat der Beklagte die Anrechnung der geltend gemachten Kapitalertragsteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag versagt.
Die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO liegen vor (aa)) und es sind keine Ermessensfehler gegeben (bb)). Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO (cc)) und die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO (dd)) vor. Aus diesem Grund war das Ermessen intendiert (ee)). Die Jahresfrist war nicht abgelaufen (ff)) und es lag keine Zahlungsverjährung vor (gg)).
aa) Nach § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt (begünstigender Verwaltungsakt) nur dann zurückgenommen werden, wenn er durch unlautere Mittel wie arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt worden ist. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Es liegt ein begünstigender Verwaltungsakt vor (aaa)) und dieser ist durch unlautere Mittel erwirkt worden (bbb)).
aaa) Ein begünstigender rechtswidriger Verwaltungsakt liegt jeweils pro Streitjahr vor.
Die Anrechnungsverfügung ist ein selbständiger, wenn auch deklaratorischer Verwaltungsakt (vgl. BFH, Urteil vom 12. Februar 2008, VII R 33/06, BStBl. II 2008, 504, juris Rn. 8). Er zieht lediglich rechnerische Folgen, ist aber als Verwaltungsakt der Bestandskraft fähig (vgl. BFH, Urteil vom 12. Februar 2008, VII R 33/06, BStBl. II 2008, 504, juris Rn. 8). Die Begünstigung dieses Verwaltungsaktes resultiert aus dem Umstand, dass Steuerabzugsbeträge bei der Klägerin als Organträgerin angerechnet werden konnten.
Dieser begünstigende Verwaltungsakt ist - wie auch von der Klägerseite in der mündlichen Verhandlung eingeräumt - rechtswidrig. Denn die Voraussetzungen für eine Anrechnung der Kapitalertragsteuer lagen nicht vor. Nach § 36 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EStG, auf den § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG verweist, wird auf die Körperschaftsteuer, die durch Steuerabzug erhobene Körperschaftsteuer angerechnet, soweit sie auf die bei der Veranlagung erfassten Einkünfte entfällt und nicht die Erstattung beantragt oder durchgeführt ist. Wie oben ausgeführt, konnte die Bank-1 zum Dividendenstichtag weder zivilrechtliche noch wirtschaftliche Eigentümerin der Aktien werden. Vielmehr ist die Bank-1 Gläubigerin der Dividendenkompensationszahlung geworden und damit von Erträgen im Sinne von § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG. Für diese Dividendenkompensationszahlung ist keine Kapitalertragsteuer erhoben worden - siehe dazu oben -, so dass in der Folge auch keine Anrechnung erfolgen kann.
bbb) Dieser rechtswidrige Verwaltungsakt ist durch unlautere Mittel im Sinne von § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO erwirkt worden. Hier liegt als unlauteres Mittel eine arglistige Täuschung vor ((1)) und ein "erwirken" im Sinne der Vorschrift ist gegeben ((2)).
(1) Eine arglistige Täuschung liegt vor.
Unter einer Täuschung ist eine Irreführung zu verstehen. Dazu zählt jedes Verschweigen oder Vortäuschen von Tatsachen, durch das die Willensbildung der Behörde unzulässig beeinflusst wird (vgl. von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 50, Stand: Februar 2019). Arglist liegt vor, wenn dies bewusst oder mit bedingtem Vorsatz geschieht; hingegen genügt grobe Fahrlässigkeit nicht (vgl. BFH, Urteil vom 23. Juli 1998, VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433, juris Rn. 13; vgl. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 161, Stand: November 2022). Nicht erforderlich ist damit die direkte Absicht (dolus directus 1. Grades), das Finanzamt zu einer Entscheidung zu veranlassen.
Eine arglistige Täuschung liegt nach diesen Maßstäben für alle drei Streitjahre vor.
(a) Der Beklagte ist getäuscht - nämlich in die Irre geführt - worden.
Es ist die Tatsache, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten wurde, vorgetäuscht worden. Dies geschah, indem die Steuererklärungen eingereicht wurden, in denen eine Anrechnung derselben begehrt worden ist. Den Körperschaftsteuererklärungen der Klägerin für die Jahre 2007, 2008 und 2009 ist im Wege der Auslegung der Anlage WA zur Körperschaftsteuererklärung KSt 1A zu entnehmen, dass ein der Bank-1 zuzurechnender Einbehalt von Kapitalertragsteuern und Solidaritätszuschlägen stattgefunden hat, so dass die Voraussetzungen für eine Anrechnung vorliegen. Denn die Anlage WA für das Veranlagungsjahr 2007 sieht unter der Überschriftszeile "Anzurechnende Beträge/Steuerabzug" in Zeile 3a ("Kapitalertragsteuer") und Zeile 6 ("Solidaritätszuschlag...") vor, dass entsprechende Beträge eingetragen werden können (in 2008 und 2009 jeweils als Zeile 3 und 6 bezeichnet). Durch die Eintragung entsprechender Beträge in den Zeilen wird erklärt, dass die Voraussetzungen für eine Anrechnung vorliegen.
Es spielt hingegen keine Rolle, ob - so der Vortrag der Klägerseite - die Verantwortlichen der Bank-1 gedacht haben, dass es sich um Inhaberverkäufe gehandelt habe. Denn dies ändert nichts an der (Täuschungs-)Tatsache, dass mit Eintragung der entsprechenden Beträge in der Anlage WA erklärt wurde, die Kapitalertragsteuer sei einbehalten worden.
Auch die Einreichung der Steuerbescheinigungen in den Streitjahren stellt eine diesbezügliche Täuschung dar. Die Steuerbescheinigungen weisen zunächst Beträge in Höhe der Bruttodividenden aus, von denen anschließend Kapitalertragsteuern und der Solidaritätszuschlag hierauf in Abzug gebracht werden, woraus sich ein "Haben" in Höhe der jeweiligen Nettodividende ergibt. Hierdurch bringen die Steuererbescheinigungen zum Ausdruck, dass die Bank-1 im Hinblick auf die von den Bescheinigungen betroffenen Aktiengattungen nicht lediglich Beträge in Höhe der Nettodividende bezogen hat, sondern dass hinsichtlich dieser Beträge zuvor ein Abzug der Steuern tatsächlich erfolgt ist. Werden Steuerbescheinigungen mitsamt der Steuererklärung beim Finanzamt eingereicht, bringt der Erklärende nach alldem hierdurch auch zum Ausdruck, dass der in der Bescheinigung dokumentierte Steuerabzug tatsächlich auf einen dem Erklärenden zuzurechnenden Kapitalertrag stattgefunden hat (vgl. LG, Urteil vom ... 2022, xxx, juris). Aus diesem Grund spricht man auch von einer "formellen" Richtigkeit der Steuerbescheinigung.
Unerheblich ist insoweit, dass die Steuerbescheinigung ab 2009 den Hinweis darauf erhielt, dass es sich um Kapitalerträge aus Aktien gehandelt habe, die mit Dividendenanspruch erworben, aber ohne Dividendenanspruch geliefert worden seien. Dies allein genügt nicht, um eine Irreführung zu verneinen, weil es hinsichtlich der Irreführung darauf ankommt, ob ein "Einbehalt" der Kapitalertragsteuer stattgefunden hat. Dafür genügt es nicht, allein anzugeben, dass es sich um "cum/ex"-Aktien handelt.
Etwas anderes ist auch nicht der Rechtsprechung des BFH zu entnehmen. Dieser hat ausgeführt, dass ein Erstattungsanspruch nicht bereits mit der Steuerbescheinigung begründet werden könne, weil damit der tatsächliche Einbehalt der Kapitalertragsteuer nicht bewiesen sei (BFH, Urteil vom 2. Februar 2022, I R 22/20, BStBl. II 2022, 324, juris Rn. 64). Daraus kann aber nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass keine Täuschung vorliege, weil durch die Vorlage der Steuerbescheinigung nicht erklärt werde, dass die Kapitalertragsteuer einbehalten worden sei. Diese Ansicht verkennt den formellen Gehalt der Steuerbescheinigung. Diese soll (formell) gerade bescheinigen, dass ein Einbehalt stattgefunden hat - wenn dies aber materiell nicht erfolgt ist, kann sie die tatsächliche Rechtslage nicht verändern. Durch den formellen Gehalt ist die Bescheinigung zur Irreführung geeignet - und wurde im vorliegenden Fall auch dazu benutzt.
Auch die ab 2009 erforderliche Berufsträgerbescheinigung führt nicht zu einer anderen Wertung. Sie hat genauso wie die Steuerbescheinigung eine formelle Wirkung. Wenn aber feststeht, dass sie materiell falsch ist, kann sich der Steuerpflichtige nicht auf sie berufen. Hier ist die Bescheinigung materiell falsch. Denn entgegen dem Inhalt der Bescheinigung, wonach keine Absprachen des Steuerpflichtigen im Hinblick auf den über den Dividendenstichtag vollzogenen Erwerb der Aktien im Sinne der Steuerbescheinigung stattgefunden haben, gab es Absprachen - jedenfalls zwischen Herrn K, Herrn F und Herrn G. Aus diesem Grund führt auch der Vortrag der Klägerseite dahingehend, dass kein vorsätzliches Handeln der Vertreter der Bank-1 vorgelegen habe, zu keinem anderen Ergebnis. Insoweit ist auch unerheblich, ob die Berufsträger, die die Bescheinigung ausgestellt haben, von einem anderen Sachverhalt ausgingen. Entscheidend ist allein, dass die Bescheinigung materiell falsch war und damit keine Wirkung entfalten kann.
(b) Die Täuschung war auch arglistig, weil sie vorsätzlich erfolgte.
Herr K, Herr F und Herr G waren mit den "cum/ex"-Transaktionen befasst und hatten Kenntnis vom tatsächlichen Geschehensablauf. Sie wussten, dass die Kapitalertragsteuer auf die Dividendenkompensationszahlungen nicht einbehalten wurde. Sie wussten weiter, dass die Bank-1 in der Steuererklärung die Anrechnungsbeträge dennoch erklären würde. Insoweit macht sich das Gericht die Ausführungen des LG vom ... 2022 (xxx, juris [für 2007], juris [für 2008] und juris [für 2009] sowie) und des LG vom ... 2020 (xxx, juris- Herr F und juris Herr G ab 2009) und des BGH vom ... (xxx, ..., juris- Herr F und Herr K jeweils 2007 bis 2009; juris- Herr G ab 2009) zu eigen, wobei jeweils offenbleiben kann, ob auch Herr S und Herr R oder andere Verantwortliche der Bank-1 vorsätzlich handelten. Die Ausführungen in den Urteilen kann sich das Gericht in dem dargestellten Umfang zu eigen machen, weil ein substantiierter Angriff insoweit nicht vorliegt. Vielmehr hat die Klägerseite ein vorsätzliches Handeln der Beteiligten der Bank-1 bestritten, nicht aber ein vorsätzliches Handeln der oben genannten Personen. Im Gegenteil, so wird z.B. im Schriftsatz vom 17. März 2023 auf Seite 46 explizit festgehalten, dass nach Auffassung der Klägerin feststehe, "dass von B, Herrn K, Herrn L und J tatsächlich das Vorliegen von Inhaberverkäufen vorgespiegelt wurde."
Eine vorsätzliche Täuschung liegt ebenfalls hinsichtlich der Geschäfte mit der Bank-5 in 2008 vor. Zwar sind Herr F und Herr G wegen dieser Geschäfte nicht verurteilt worden, so dass insoweit keine Bezugnahme auf die Urteile des LG ... erfolgt. Nach den unbestrittenen Feststellungen des Beklagten war insoweit aber jedenfalls Herr . K an diesen Transaktionen beteiligt: er hatte die Struktur empfohlen und an der Durchführung mitgewirkt. Er hatte Kenntnis vom tatsächlichen Geschehensablauf und steuerte die Geschäfte mit. An den erwirtschafteten Profiten sollte er beteiligt werden. Dies ergibt auch aus den insoweit unbestrittenen Feststellungen des LG ... im Urteil vom ... 2021 . (xxx, juris .). Bestätigt wird dies dadurch, dass das LG ... im Urteil vom ... 2022 Herrn K für diese Geschäfte zwar nicht verurteilt, aber die Taten insoweit nach § 154a Abs. 2 und Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StPO ausgeschieden hat (vgl. LG, Urteil vom ... 2022, xxx, juris).
Insoweit kommt es nicht darauf an, ob Herr R, (...), als gesetzlicher Vertreter im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 1 AO eine bewusste und vorsätzliche Irreführung der Steuerbehörden vornahm. Das gleiche gilt für andere Vertreter der Bank-1. Denn auch nach den Ausführungen der Klägerseite steht fest, dass jedenfalls Herr K, Herr F und Herr G eine Täuschung der Steuerbehörden bewirken wollten.
(2) Auch das erforderliche "Erwirken" liegt vor.
Dieses Tatbestandsmerkmal verlangt, dass zwischen der Anwendung des unlauteren Mittels und dem Erlass des begünstigenden Verwaltungsaktes ein ursächlicher Zusammenhang besteht (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 130 AO Rn. 24, Stand: August 2019; BFH, Urteil vom 23. Juli 1998, VII R 141/97, BFH/NV 1999, 433, juris Rn. 13; BFH, Urteil vom 10. August 1961, IV 320/59 U, BStBl. III 1961, 488, juris Rn. 12). Diese erforderliche Kausalität ist gegeben, weil der Beklagte die Klägerin ursprünglich erklärungsgemäß für die Streitjahre veranlagt hat und die begehrten Steueranrechnungen vornahm.
Auch wenn die zuständige Sachbearbeiterin beim Vorliegen der Steuererklärungen und der Steuerbescheinigung keine inhaltliche Prüfung in Bezug auf den Steuereinbehalt vornahm, sondern insoweit allein das Vorliegen der formellen Voraussetzungen der Steuerbescheinigung prüfte, ist die Täuschung über den Einbehalt der Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag kausal für die Anrechnung geworden. Denn mit der Vorlage von Steuererklärungen und Steuerbescheinigungen wurde zugleich miterklärt, dass ein Einbehalt der Kapitalertragsteuer stattgefunden habe. Aus diesem Grunde hatte die Veranlagungssachbearbeiterin auch keine Veranlassung, sich weitergehende materielle Gedanken zu machen. Eine formelle Prüfung genügte. Diese führte dazu, dass die Sachbearbeiterin von einem Einbehalt ausging und folglich entsprechend veranlagte.
Der Vortrag der Klägerseite, die Steuerbescheinigung habe alle notwendigen Informationen enthalten, ist nicht zutreffend. Denn die Information, dass die Steuer nicht einbehalten worden war, fehlte. Aus diesem Grund ging der Beklagte zum damaligen Zeitpunkt davon aus, dass die Steueranrechnung zu Recht erfolgte.
Den drei in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträgen, Frau T, Herrn U und Frau V als Zeugen zu vernehmen, zum Beweis der Tatsache, dass das Nichtvorliegen von Leerverkäufen bei Erlass der streitgegenständlichen Anrechnungsverfügungen nicht entscheidungserheblich war, ist nicht nachzugehen, weil die zu beweisende Tatsache nicht erheblich ist. Ob die Zeugen dies angenommen oder nicht angenommen haben, ist deshalb nicht erheblich, weil für den Erlass der streitgegenständlichen Anrechnungsverfügungen - wie oben dargelegt - der Inhalt der Steuererklärungen nebst Steuerbescheinigungen kausal war.
Unerheblich ist, dass die arglistige Täuschung durch Dritte (Herrn K, Herrn F und Herrn G) erfolgte. Insoweit ist der Wortlaut von § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO weiter als die vergleichbaren Vorschriften im Verwaltungsverfahrensgesetz (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 VwVfG) oder im Zehnten Sozialgesetzbuch (§ 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X). Der Gesetzgeber lässt damit im Steuerrecht auch eine Täuschung durch Dritte zu. Allerdings hat das Finanzamt bei der Ermessensausübung zu berücksichtigen, durch wen die Täuschung erfolgte und wie dies zu gewichten ist (vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2009, VII R 51/08, BStBl. II 2010, 382, juris Rn. 28) - dazu siehe sogleich.
bb) Hier liegen keine Ermessensfehler vor. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung, ob eine Ermessensentscheidung rechtmäßig ist oder nicht, ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung (vgl. BFH, Urteil vom 3. August 2022, XI R 32/19, BFH/NV 2023, 167, juris Rn. 30 m.w.N.), das heißt hier der Zeitpunkt der Teil-Einspruchsentscheidung.
§ 130 Abs. 1 und 2 AO enthalten keine Grundsätze für die Ausübung des Ermessens. Die Behörde muss sich deshalb bei ihrer Ermessensausübung gemäß der in § 5 AO für alle Ermessensvorschriften getroffenen Regelung an dem Zweck der Ermächtigung orientieren. Da der Gesetzgeber die Zurücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nicht für obligatorisch erklärt hat, kann der Zweck der Ermessensermächtigung nur darin gesehen werden, zwischen der materiellen Gerechtigkeit einerseits und dem insbesondere bei Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden andererseits als dem äußeren Rahmen für die Ausübung des durch § 130 Abs. 1 AO eingeräumten Ermessens eine Abwägung zu treffen, wobei letzterer nach Bestandskraft besonderes Gewicht erhalten muss (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 22).
Die Rücknahme einer rechtswidrigen Anrechnungsverfügung ist grundsätzlich geboten, wenn sie von dem Begünstigten selbst, seinem Vertreter oder Bevollmächtigten in der in § 130 Abs. 2 Nr. 2 AO bezeichneten Weise erwirkt worden ist, weil diese Vorschriften dahin auszulegen sind, dass das Gesetz unbeschadet des der Finanzbehörde eingeräumten Ermessens intendiert, dass in diesen Fällen Rechtsrichtigkeit hergestellt und die Anrechnung rückgängig gemacht wird (sog. "intendiertes Ermessen"; vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2009, VII R 51/08, BStBl. II 2010, 382, juris Rn. 30; vgl. BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 22 ff. zu § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO). Wenn jedoch im Verhältnis zu dem Begünstigten ein fremder Dritter die Anrechnung erwirkt hat, gilt dies nicht (vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2009, VII R 51/08, BStBl. II 2010, 382, juris Rn. 30). Vielmehr sind in einem solchen Fall die für den Begünstigten und den Schutz seines Vertrauens sprechenden Gesichtspunkte gegen das Interesse an der Korrektur von Rechtsfehlern abzuwägen (vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2009, VII R 51/08, BStBl. II 2010, 382, juris Rn. 30).
Es liegt kein vom Gericht zu beanstandender Ermessenfehler im Sinne von § 102 Satz 1 FGO vor. Weder ist eine Ermessensüberschreitung, das heißt, eine nicht mehr vom Gesetz gedeckte Rechtsfolge, noch eine Ermessensunterschreitung, das heißt, dass die Behörde überhaupt keine Ermessenserwägungen anstellt oder ein Ermessensfehlgebrauch, das heißt, dass die Behörde ihr Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung ausgeübt hat bzw. die für die Ermessensausübung maßgeblichen Gesichtspunkte nicht hinreichend in ihre Erwägungen einbezogen hat, erkennbar (vgl. zu den einzelnen Fehlern Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 5 AO Rn. 150ff., Stand: August 2023; Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 20. Auflage, 2020, § 7 Rn. 19ff.).
Hier hat der Beklagte berücksichtigt, dass die Täuschung durch einen Dritten erfolgte (aaa)). Die Interessen des Fiskus und die gegenläufigen Interessen der Klägerin wurden - soweit erforderlich - eingestellt (bbb)). Es musste auch nicht die Bank-2 vorrangig in Anspruch genommen werden (ccc)). Das gleiche gilt für die geltend gemachte vorrangige Inanspruchnahme von Herrn F, Herrn G und Herrn L (ddd)). Der Beklagte hat bei der Ermessensausübung auch ausreichend danach differenziert, ob leichte Fahrlässigkeit, grobe Fahrlässigkeit oder ein vorsätzliches Handeln des Steuerpflichtigen vorlag (eee)).
aaa) Der Beklagte hat ausreichend berücksichtigt, dass die Täuschung durch Dritte erfolgte, so dass insoweit kein Ermessensfehlgebrauch vorliegt.
Der Beklagte hat in der Teil-Einspruchsentscheidung insoweit darauf abgestellt, dass Herr K, Herr L, Herr H und Herr F als Vertragspartner/Berater zum Zweck gehandelt hätten, die gemeinsam erzielten Erträge untereinander aufzuteilen. Damit hat der Beklagte gesehen, dass Dritte gehandelt haben und hat deren Stellung zur Bank-1 sowie den wirtschaftlichen Nutzen, den die Bank-1 aus den Geschäften gezogen hat, gewürdigt.
Dies gilt auch für die Geschäfte mit der Bank-5 in 2008, denn unbestritten von der Klägerseite hat auch insoweit eine Beratung und eine Aufteilung des Profits stattgefunden (vgl. die Feststellungen des LG im Urteil vom ... 2021, xxx, juris). Dies durfte der Beklagte auch im Ermessen würdigen. Dass das Verfahren insoweit in Bezug auf Herrn K nach § 154a Abs. 2 StPO eingestellt wurde, und die anderen Herren insoweit nicht verurteilt wurden, ist für die Feststellungen hinsichtlich der Aufteilung des Profits unbeachtlich.
Wie die Tatbeiträge dann im Einzelnen gewürdigt, gewichtet und zugerechnet werden, ist Sache des Beklagten und nicht Sache des Gerichts. Wenn die Klägerseite ausführt, es läge insoweit ein "Abwägungsausfall" vor, verkennt sie, dass das Gericht sich nicht selbst an die Stelle der Behörde setzen darf und das Ermessen ausüben kann. Eine eigene Abwägung darf das Gericht gerade nicht vornehmen. Das Gericht überprüft die Entscheidung des Beklagten allein auf Ermessensfehler, vgl. § 102 Satz 1 FGO. Solche liegen nicht vor.
Dass der Beklagte insoweit auf die grobe Fahrlässigkeit der Bank-1 abgestellt hat, ist zulässig. Denn eine solche ist gegeben. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Betroffene die ihm zumutbare Sorgfalt in ungewöhnlichem Maße verletzt; dies ist nach den persönlichen Fähigkeiten des Betroffenen zu entscheiden (sog. "steuerrechtlicher Fahrlässigkeitsbegriff" vgl. zu § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO: Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 130 AO Rn. 31, Stand: August 2019; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 63, Stand: Februar 2019; vgl. zu § 173 AO: BFH, Urteil vom 20. März 2013, VI R 5/11, BFH/NV 2013, 1142, juris Rn. 11 m.w.N.; BFH, Urteil vom 3. Februar 1983, IV R 153/80, BStBl. II 1983, 886, juris Rn. 26).
Dies ist hier der Fall. Herr R und Herr S handelten jedenfalls grob fahrlässig. Es kann dahinstehen, ob Herr R und Herr S bei Abgabe der Steuererklärungen - was von der Klägerseite bestritten wird - wussten, dass es zu einer Anrechnung kommen würde, obwohl ein vorheriger Einbehalt der Kapitalertragsteuer nicht stattgefunden hatte, wenngleich eine Kenntnis aufgrund der vorliegenden, im Folgenden dargestellten Umstände naheliegt. Jedenfalls handelten sie grob fahrlässig. Sie haben bei der Abgabe der Steuererklärungen die ihnen zumutbare Sorgfalt als Vertreter einer Bank in ungewöhnlich hohem Maße verletzt. Die mit der jeweiligen Steuererklärung abgegebene konkludente Erklärung, dass ein Einbehalt stattgefunden habe, war grob fahrlässig:
Alleine aus Wirtschaftlichkeitserwägungen, die sie als Bankenvertreter in dieser Position hätten anstellen müssen, hätte ihnen auffallen müssen, dass lediglich die nicht einbehaltene Kapitalertragsteuer als Gewinn verteilt werden konnte. Bei zutreffend einbehaltener Kapitalertragsteuer hätte die Bank-1 Wertpapiere zum vereinbarten Preis erworben, aber gleichzeitig Gewinne aus Kurssicherungsgeschäften ("Single Stock Future" Geschäfte) für die Veräußerung derselben Aktien erzielt. Dies hätte zu einem wirtschaftlichen Verlust bei dem Verkäufer geführt. Es gab keinen denkbaren Grund, warum B über Jahre wiederholt Geschäfte mit der Bank-1 mit einem strukturell bedingten negativen Ertrag hätte abschließen sollen. Aktientransaktionen, die für die Bank-1 nahezu risikolos und gleichzeitig in dieser Höhe gewinnbringend waren, musste eine Strategie zu Grunde liegen, bei der sich die Beteiligten die Kapitalertragsteuerbeute teilten. Gerade bei Bankenvertretern - also Fachleuten - musste sich aufdrängen, dass die Gewinne nur aus der "eingesparten" Kapitalertragsteuer stammen konnten, selbst wenn - wie von der Klägerin vorgetragen - die Herren R und S im Bereich von "cum/ex"-Gestaltungen keine umfangreichen Erfahrungen gehabt haben sollten.
Die Klägerin kann sich in diesem Zusammenhang auch nicht zum Ausschluss grober Fahrlässigkeit darauf berufen, dass ihre verantwortlich handelnden Personen von Inhaberverkäufen im Rahmen eines reguläres "Dividendenstrippings" ausgegangen seien, bei dem der ausländische Aktienverkäufer selbst keine Anrechnung der Kapitalertragsteuer erhalten kann und deshalb die Aktie zum Nutzen der Anrechnung an einen Inländer verkauft und ex Dividende, aber wirtschaftlich betrachtet mit einem Teil der Kapitalertragsteueranrechnung, zurückerwirbt. Selbst wenn zur Aufteilung des Vorteils aus der Kapitalertragsteueranrechnung bei solchen Geschäften ähnliche Dividendenlevel wie bei "cum/ex"-Geschäften angesetzt worden sein sollten - wie die Klägerin behauptet -, hätten Herrn R und S sowie weiteren verantwortlich für die Bank-1 und die Klägerin handelnden Personen auffallen müssen, dass bei der gewählten Abwicklung der Geschäfte ein sehr hohes Risiko bestand, dass die Aktie ex Dividende geliefert wurde und der Inhaber somit die Original-Nettodividende vom Emittenten erhielt, so dass das wirtschaftliche Ziel des Geschäfts gar nicht erreicht werden konnte und sich die Frage aufdrängen musste, warum B trotzdem bei allen streitgegenständlichen Geschäften bereit war, gleichzeitig mit dem Verkauf der Aktien die "Single Stock Future" Geschäfte einzugehen, ohne dass B sicher gehen konnte, dass das Dividendenstripping-Geschäft tatsächlich wie geplant ablaufen würde. Beim Kauf von sehr hohen Stückzahlen von Aktien von nur einem Verkäufer (B) am oder kurz vor dem Dividendenstichtag im OTC-Handel - somit ohne Sperrvermerk durch D für den Erwerber - mit der Lieferbedingung t+2, musste die Gefahr deutlich erkennbar gewesen sein, das B (...) es nicht schaffen würde, rechtzeitig am oder vor dem Dividendenstichtag sämtliche verkaufte Aktien zu liefern.
Spätestens im Rahmen der Kontrolle der Transaktionsabrechnungen von D, anhand derer die Lieferdaten der Aktien ersichtlich waren, hätte es den verantwortlichen Vertretern der Bank-1 und der Klägerin auffallen müssen, dass "ex" und damit nur mit einer Dividendenkompensationszahlung geliefert worden war. Spätestens dann hätte es sich jeweils aufdrängen müssen, dass kein klassisches Dividendenstripping erfolgt war und der hohe Gewinn nur aus der Nichtabführung der Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag auf die Kompensationszahlung stammen konnte.
Hinzu kommt, dass für die Durchführung der Aktiengeschäfte eine hohe Kapitalbindung bei der Bank-1 erfolgte. Es ist grob fahrlässig, in diesem Fall weder die Marge noch den Mechanismus der Bankgeschäfte zu hinterfragen und sich neben der Kontrolle der Transaktionsabrechnungen etwa von den an der Abwicklung beteiligten Kreditinstituten bestätigen zu lassen, ob die Originaldividende oder nur eine Kompensationszahlung bezogen und bei Letzterer die Steuer einbehalten wurde. Gerade in Leitungsfunktionen wie die von Herrn R und Herrn S ist bei solchen - wiederholten - Aktiengeschäften in dreistelliger Millionenhöhe besondere Umsicht erforderlich, bevor solche Geschäfte abgeschlossen werden und sich die Bank selbst anschließend Steuerbescheinigungen über Steuereinbehalte in mehrfacher Millionenhöhe ausstellt.
Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Bank-1 erst 2007 in dieses Geschäftsmodell einstieg. Insoweit kann sie sich nicht mit Erfolg darauf berufen, eine "unerfahrene Marktteilnehmerin" gewesen zu sein. Selbst wenn die Bank-1 vor der Vermittlung durch Herrn K keinerlei Zugang zu Dividendenstripping[-]Geschäften hatte und die Geschäftsbeziehung zu B im Jahr 2007 überhaupt erst aufgebaut werden musste, wie die Klägerseite vorträgt, führt dies nicht zu einem verminderten Sorgfaltsmaßstab. Gerade in einer solchen Situation, in der ein neues Geschäftsmodell - zumal noch mit einem solchen wirtschaftlichen Umfang - aufgesetzt wird, ist eine besonders sorgfältige Prüfung und Abwägung geboten. Da die beiden Vertreter der Bank-1 dies nicht in ausreichendem Maße taten, insbesondere nicht überprüften, ob auf die von ihnen bezogenen Erträge aus den Aktiengeschäften tatsächlich Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag einbehalten wurde, handelten sie grob fahrlässig.
Hinzu kommen die Beratungs-Rechnungen über die M. Es ist nicht erklärlich, warum die Beratungsleistungen von Herrn K und Herrn L über diesen Umweg abgewickelt werden mussten. Für eine Steuerersparnis allein hätte es nicht dieses Umwegs über einen "Strohmann" gebraucht. Eine solch ungewöhnliche Abrechnung hätte die Bankenvertreter aufmerksam werden lassen müssen und sich an einer solchen Abrechnungsmodalität zu beteiligen, ist grob fahrlässig.
Unerheblich ist, dass der Beklagte zusätzlich auf ein vorsätzliches Handeln der Organvertreter der Klägerin abgestellt hat. Es stellt keinen Ermessensfehler dar, wenn eine Behörde ihre Entscheidung auf mehrere Ermessenserwägungen stützt, von denen einzelne fehlerhaft sind (was vorliegend offenbleiben kann), die Behörde jedoch zum Ausdruck gebracht hat, dass bereits jede einzelne der Ermessenserwägungen sie dazu veranlasst hat, die von ihr getroffene Entscheidung vorzunehmen, also insofern bereits allein tragend ist (vgl. BFH, Urteil vom 18. Februar 201[6], V R 62/14, BStBl. II, 2016, 589, juris Rn. 28; BFH, Urteil vom 16. September 2014, X R 30/13, BFH/NV 2015, 150, juris Rn. 29). Für die Fehlerfreiheit einer Ermessensentscheidung genügt es, dass ein selbständig tragender Grund rechtlich fehlerfrei ist (BFH, Urteil vom 18. Februar 201[6], V R 62/14, BStBl. II, 2016, 589, juris Rn. 28; BFH, Urteil vom 16. September 2014, X R 30/13, BFH/NV 2015, 150, juris Rn. 29).
Selbst wenn die Einordnung des Verhaltens von Herrn R und Herrn S nicht als grob fahrlässig anzusehen sein sollte, läge kein Ermessensfehler vor, weil der Beklagte die Zurechnung des arglistigen Verhaltens Dritter noch selbständig tragend auf eine andere Erwägung gestützt hat. Er hat insoweit ausgeführt, dass sich die Klägerin das Handeln der Herren F, H und K zurechnen lassen müsse, denn diese Personen hätten durch die Beratung der Bank-1 bzw. durch ihr konkretes Handeln im Rahmen des Dienstverhältnisses sowohl für die Klägerin als auch für sich selbst wirtschaftliche Vorteile aus den "cum/ex"-Transaktionen gezogen. Der Beklagte geht in seiner Teil-Einspruchsentscheidung zwar auch davon aus, dass die Klägerin selbst Kenntnis gehabt habe und würdigt dies im Ermessen entsprechend. Die Erwägung, dass auch bei einer Nichtkenntnis der Klägerin, die Rücknahme ermessensgerecht sei, ist aber eine davon zu trennende Erwägung. Dies ist deutlich am Wortlaut ("Selbst wenn man mit der Ef. die Auffassung vertreten wollte, dass ihre Organe nicht vorsätzlich gehandelt hätten, ...", S. 43 der Teil-Einspruchsentscheidung vom ... 2020) erkennbar.
Auch wenn für die Streitjahre 2008 und 2009 diese Erwägungen nicht explizit angeführt worden sind, verweist der Beklagte in der Teil-Einspruchsentscheidung doch insoweit jeweils auf die Ermessenserwägungen, die für das Jahr 2007 getroffen worden seien. Damit hat der Beklagte sich die Erwägungen für alle Jahre zu eigen gemacht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Sachverhalt in allen drei Streitjahren vergleichbar ist.
bbb) Ein Ermessensfehlgebrauch liegt auch nicht darin, dass der Beklagte nicht die Interessen des Fiskus und die gegenläufigen Interessen der Klägerin berücksichtigt hätte.
Wenn die Klägerin ausführt, dass der Beklagte auf Seiten des Fiskus hätte berücksichtigen müssen, ob die rechtswidrig angerechneten Steuerbeträge auch an anderer Stelle z.B. über Haftungsbescheide oder eine strafrechtliche Einziehung zurückzuerlangen gewesen wären, verkennt die Klägerin den Zweck der Ermessensnorm § 130 AO. Zweck des dortigen Ermessens ist, - wie anfangs ausgeführt - eine Abwägung zwischen der materiellen Gerechtigkeit einerseits und dem insbesondere bei Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden andererseits zu treffen. Fiskalische Interessen des Fiskus spielen hier keine Rolle und waren daher auch nicht in das Ermessen einzustellen. Für die materielle Gerechtigkeit allein entscheidend ist die Frage, ob die Anrechnung rechtswidrig war. Insoweit kann aus diesem Grunde auch kein Ermessensfehlgebrauch vorliegen.
Ein Ermessensfehlgebrauch liegt auch nicht insoweit vor, als der Beklagte das Interesse der Klägerin, anderweitig erfolgversprechende Möglichkeiten des Beklagten zur Rückerlangung der Steueranrechnungsbeträge auszuschöpfen und für solche Beträge nicht in Anspruch genommen zu werden, die Dritte erlangt haben, nicht eingestellt hätte. Dieser Belang musste nicht in die Abwägung eingestellt werden, weil es für die Frage der materiellen Gerechtigkeit bei der Rücknahme eines Verwaltungsaktes allein darauf ankommt, ob dieser rechtswidrig war. Dies ist der Ermessenszweck, an dem sich der Beklagte orientieren muss.
Des Weiteren hat der Beklagte berücksichtigt, dass die Rücknahme der Anrechnungsverfügung eine erhebliche wirtschaftliche Belastung für die Klägerin darstellt (S. 43, 52, 57f. der Teil-Einspruchsentscheidung). Insoweit hat er den Belang gesehen. Wie dies dann im Einzelnen gewichtet wird, ist Sache des Beklagten und nicht des Gerichts (vgl. § 102 Satz 1 FGO). Ein Ermessensfehlgebrauch ist insoweit nicht erkennbar.
Schließlich konnte kein Vertrauensschutz durch eine verzögerte Entscheidung des Beklagten entstehen, denn der Beklagte hat bereits am ... 2015 eine erste Prüfungsanfrage zur "Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer" an die Bank-1 gestellt, so dass es jedenfalls am Umstandsmoment fehlt. Dies hat der Beklagte auch gesehen und in seine Abwägung eingestellt.
ccc) Ein Auswahlermessensfehler dahingehend, dass vorrangig die Bank-2 in Anspruch hätte genommen werden müssen, liegt nicht vor.
Der Beklagte hat insoweit sein Ermessen gesehen (vgl. S. 43ff., 52f., 58 der Teil-Einspruchsentscheidung) und es liegt kein Ermessensfehler darin, dass der Beklagte die Bank-2 nicht als Haftungsschuldner vorrangig in Anspruch nehmen wollte.
Es war eine zulässige Ermessenserwägung, darauf abzustellen, dass es hier nicht um die Haftung oder Nachforderung nach § 191 AO, sondern um die Rücknahme einer Anrechnungsverfügung gehe und dass das Ermessen allein anhand von § 130 AO zu prüfen sei. Zutreffend stellt der Beklagte fest, dass die Vorschriften auf unterschiedlichen Rechtsgedanken fußen. Zwar haften nach § 44 Abs. 5 Satz 1 EStG grundsätzlich die den Verkaufsauftrag ausführenden Stellen für die Kapitalertragsteuer, die sie einzubehalten und abzuführen haben. Auch liegt es grundsätzlich im Rahmen des § 44 Abs. 5 S. 2 EStG im Ermessen des Finanzamts, ob es diese Stellen als Haftungsschuldner statt des Gläubigers der Kapitalerträge als Steuerschuldner, die beide als Gesamtschuldner haften, in Anspruch nimmt (vgl. Hessisches FG, Beschluss vom 6. April 2021, 4 V 723/20, EFG 2021, 1400, juris Rn. 127). Es liegt aber kein Ermessensfehlgebrauch in der Erwägung, dass es sich hier nicht um die Erhebung und Entrichtung der Kapitalertragsteuer handelt, sondern um die Rückgängigmachung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes durch Rückforderung von zu Unrecht erstatteter Kapitalertragsteuer, die gar nicht erhoben worden ist und dass die gesetzgeberische Wertung deshalb nicht auf die Ermessensausübung im Rahmen von § 130 AO übertragbar ist. Dies ist eine zutreffende Ermessenserwägung. Bei § 130 AO geht es um die Abwägung zwischen Vertrauensschutz und materieller Rechtmäßigkeit. Zutreffend ist die Ermessenserwägung des Beklagten, dass die Wertung des § 44 Abs. 5 Satz 2 EStG insoweit nicht übertragbar ist.
Aus diesem Grund liegt auch kein Ermessensfehlgebrauch vor, wenn der Beklagte darauf abstellt, dass sich die Frage des Auswahlermessens, wer für eine Nachentrichtung der Kapitalertragsteuer im Abzugsverfahren vorrangig in Anspruch zu nehmen ist, erst gar nicht stellt (vgl. auch Hessisches FG, Beschluss vom 6. April 2021, 4 V 723/20, EFG 2021, 1400, juris Rn. 129).
ddd) Dass der Beklagte nicht erwogen hat, Herrn F, Herrn G oder Herrn L durch Haftungsbescheid in Anspruch zu nehmen, stellt keinen Ermessensfehlgebrauch dar.
Diese Erwägung musste der Beklagte nicht anstellen. Vorliegend geht es nämlich um die Rücknahme von begünstigenden rechtwidrigen Verwaltungsakten und damit um das Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten. Ob daneben noch Rückgriff gegen weitere Personen genommen werden kann, spielt in diesem Verhältnis, bei dem es um die Abwägung zwischen Rechtsfrieden bzw. Vertrauensschutz und rechtmäßigem Verwaltungshandeln geht, keine Rolle. Einzig bei der Frage, ob der Vertrauensschutz stärker gewichtet werden muss, weil Dritte getäuscht haben, muss der Beklagte Erwägungen zu Dritten anstellen, nicht aber bei der Frage, ob gegen Dritte Regress genommen werden kann.
Im Übrigen hat der Beklagte auf S. 45 der Teil-Einspruchsentscheidung, die Frage, ob weitere Haftungsschuldner in Anspruch zu nehmen sind, gesehen ("ob das FA daneben weitere Haftungsschuldner, wie beispielsweise die Bank-2 in Anspruch nimmt") und abgewogen. Der Beklagte hat insoweit darauf abgestellt, dass die Bank-2 nicht an der Aufteilung der Kapitalertragsteuer beteiligt war. Diese Erwägung ist zulässig und nicht zu beanstanden (vgl. § 102 FGO).
Auf diese Erwägungen wird für die Jahre 2008 und 2009 verwiesen, so dass insoweit das Ermessen gesehen und gewichtet wurde.
eee) Der Beklagte hat den Grad des Verschuldens in seine Überlegungen einbezogen, so dass kein Ermessensfehlgebrauch vorliegt.
In seinen Ermessenserwägungen hat der Beklagte bei der Prüfung des Ermessensrahmens auf S. 43, 52, 57 der Teil-Einspruchsentscheidung geprüft und abgewogen, wie der Grad des Verschuldens zu werten ist. Die Erwägung, die Klägerin müsse sich das Handeln von Herrn F, Herrn H, Herrn K und Herrn L wegen grober Fahrlässigkeit der Klägerin zurechnen lassen, ist keine sachfremde Erwägung. Bei der Klägerin selbst liegt eine grobe Fahrlässigkeit der verantwortlichen Vertreter aus den oben ausgeführten Gründen vor.
cc) Davon abgesehen liegen auch die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO vor.
Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Insoweit kommt es allein auf die objektive Unrichtigkeit der Angaben an (BFH, Urteil vom 2. August 2006, XI R 57/04, BFH/NV 2007, 858, juris Rn. 35; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 169, Stand: November 2022; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 57, Stand: Februar 2019). Ein vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln des Begünstigten ist nicht erforderlich (BFH, Urteil vom 22. August 2006, I R 42/05, BFH/NV 2007, 404, juris Rn. 26; BFH, Urteil vom 2. August 2006, XI R 57/04, BFH/NV 2007, 858, juris Rn. 35). Zwischen den unrichtigen oder unvollständigen Angaben und dem Erlass des Verwaltungsaktes muss eine Kausalität bestehen derart, dass anzunehmen sein muss, dass das Finanzamt bei vollständiger Kenntnis des Sachverhalts den begünstigten Verwaltungsakt nicht bzw. nicht so erlassen hätte (vgl. BFH, Urteil vom 2. August 2006, XI R 57/04, BFH/NV 2007, 858, juris Rn. 35; Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 169, Stand: November 2022; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 57, Stand: Februar 2019). Es reicht aus, dass die unrichtigen Angaben des Steuerpflichtigen mitursächlich waren. Unbeachtlich ist, ob die Finanzbehörde die Unrichtigkeit hätte erkennen können (Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 169, Stand: November 2022; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 57, Stand: Februar 2019).
Dies ist hier der Fall. Die Angaben der Klägerin in den Körperschaftsteuererklärungen waren unrichtig. Mit den entsprechenden Eintragungen in der Anlage WA der Steuererklärungen und den dazu abgegebenen Steuerbescheinigungen brachte die Klägerin zum Ausdruck, dass eine Anrechnung von Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag begehrt werde und tatsächlich Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag einbehalten worden seien.
Zwar hat die Klägerin ab dem Jahr 2009 die vorgeschriebene Kapitalertragsteuerbescheinigung, aus der hervorging, dass es sich um Dividendenerträge aus "cum/ex"-Geschäften handelte, vorgelegt. Anders als die Klägerseite meint, lagen damit aber nicht alle objektiv erforderlichen Angaben vor. Denn die Klägerin hat nicht darauf hingewiesen, dass ein "Einbehalt" von Kapitalertragsteuern nebst Solidaritätszuschlag zuvor durch die Bank-2 bzw. Bank-3 nicht stattgefunden hatte. Dies wäre aber entscheidend gewesen.
Ob dieses Handeln vorsätzlich oder grob fahrlässig war, kann hier dahinstehen, weil es bei § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO allein auf die objektive Unrichtigkeit ankommt. Die Angaben - dass ein Einbehalt der Kapitalertragsteuer stattgefunden habe - waren auch ursächlich für die Steuerbescheide, weil der Beklagte - wie oben dargestellt - aufgrund der Angaben der Klägerin von der Erhebung der Kapitalertragsteuer auf die Kapitalerträge ausgegangen ist und eine entsprechende Anrechnung vorgenommen hat.
dd) Auch liegen die Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO vor.
Nach dieser Vorschrift darf ein Verwaltungsakt, der einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, dann zurückgenommen werden, wenn seine Rechtswidrigkeit dem Begünstigten bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war. Das Gesetz fordert Kenntnis oder grob fahrlässiges Nichtkennen der Rechtswidrigkeit, nicht der Tatsachen, die zur Rechtswidrigkeit führen; es genügt also nicht, dass der Begünstigte die Umstände kennt, die die Rechtswidrigkeit zur Folge haben. Er muss das - wenn auch laienhafte - Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes selbst haben (BFH, Urteil vom 16. Juni 1994, IV R 48/93, BStBl. II 1996, 82, juris Rn. 25; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 62, Stand: Februar 2019). Kenntnis bedeutet positives Wissen um die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes. Kennenmüssen bedeutet Nichtkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit (von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 63, Stand: Februar 2019).
Dies ist hier der Fall. Herr R und Herr S handelten - wie oben ausgeführt - jedenfalls grob fahrlässig. Es kann dahinstehen, ob Herr R und Herr S bei Abgabe der Steuererklärungen - was von der Klägerseite bestritten wird - wussten, dass ein vorheriger Einbehalt der Kapitalertragsteuer nicht stattgefunden hatte, wenngleich eine Kenntnis aufgrund der vorliegenden Umstände naheliegt. Denn jedenfalls handelten sie grob fahrlässig. Sie haben - wie oben ausgeführt - bei der Abgabe der jeweiligen Steuererklärung die ihnen zumutbare Sorgfalt als Vertreter einer Bank in ungewöhnlichem Maße verletzt. Dadurch, dass sie grob fahrlässig hinsichtlich des (Nicht-)Einbehalts von Kapitalertragsteuer handelten, und den Einbehalt von Kapitalertragsteuer mit der darauf folgenden Anrechnung im Bankengeschäft zu den üblichen Geschäften von Banken gehört, kann auch eine grobe Fahrlässigkeit der beiden Herren hinsichtlich des Bewusstseins der Rechtswidrigkeit der Anrechnungen angenommen werden.
Selbst wenn sie - wie die Klägerin vorträgt - von Inhaberverkäufen ausgegangen sein sollten, lässt dies nicht die grobe Fahrlässigkeit entfallen. Denn auch bei diesen erwirbt der Erwerber zum Dividendenstichtag nicht das Eigentum - dieses geht bei OTC-Geschäften ohne besondere Sicherung erst mit der Einbuchung der Aktien im Depot über (siehe oben). Auch von klassischem Dividendenstripping mit ausländischen Aktieninhabern durften die Herren nicht ausgehen (siehe oben).
ee) Das Ermessen war hier intendiert, so dass die dennoch gegebene Begründung des Beklagten nicht erforderlich war, um die Ermessensentscheidung zu rechtfertigen. Dies gilt für § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO (aaa)), für § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO (bbb)) und weil die Voraussetzungen beider Vorschriften gegeben sind (ccc)).
aaa) § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO "intendiert" die Rücknahme des durch falsche Angaben erwirkten Verwaltungsakts dann, wenn der Begünstigte von der Unrichtigkeit seiner Angaben wusste oder zumindest hätte wissen können und müssen (vgl. BFH, Urteil vom 27. Oktober 2009, VII R 51/08, BStBl. II 2010, 382, juris Rn. 30; von Wedelstädt, in: Gosch, AO/FGO, § 130 AO Rn. 58, Stand: Februar 2019). Dann ist in der Regel anzunehmen, dass der Vertrauensschutz zurücktritt. Ist danach eine ermessenseinräumende Vorschrift dahin auszulegen, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht, so müssen besondere Gründe vorliegen, um eine gegenteilige Entscheidung zu rechtfertigen. Liegt ein vom Regelfall abweichender Sachverhalt nicht vor, versteht sich das Ergebnis der Abwägung von selbst; dann bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 23).
Die Voraussetzungen für das intendierte Ermessen liegen vor. Denn hier hätten Herr R bzw. Herr S von der Unrichtigkeit der Angaben wissen können und müssen, denn sie handelten grob fahrlässig bei der Abgabe der Steuererklärungen (siehe oben).
Ein atypischer Sachverhalt, der besondere Ermessenserwägungen erforderlich gemacht hätte, liegt nicht vor. Ein solcher ist insbesondere nicht durch das vorsätzliche Handeln Dritter gegeben. Denn diese standen in einem Lager mit der Bank-1 und die Bank-1 profitierte wirtschaftlich von den Geschäften. Es bestand also kein besonderer Grund, das Vertrauen der Klägerin zu schützen. Der von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO vorgesehene Regelfall - die materielle Gerechtigkeit zu wahren - ging vor.
bbb) Auch bei § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO war das Ermessen intendiert.
Ermessenslenkende Vorgaben sind ebenso § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO zu entnehmen (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 25). Besteht kein Grund, das Vertrauen des Begünstigten zu schützen, so wird im Allgemeinen nur in Betracht kommen, einen rechtswidrigen Verwaltungsakt im Interesse von Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Besteuerung zurückzunehmen (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 25). Im Allgemeinen überwiegen das Interesse des Fiskus an der Erhaltung der Steuereinnahmen und das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung das Interesse des Begünstigten, einen ihm zu Unrecht gewährten Vorteil behalten zu dürfen, dessen Rechtswidrigkeit er kannte oder grob fahrlässig nicht erkannt hat (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 25).
Hier liegt ein solcher Regelfall auch in Bezug auf § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO vor. Es sind keine Anhaltspunkte für einen atypischen Sachverhalt gegeben. Auch hier kann sich aus dem vorsätzlichen Handeln Dritter nichts anderes ergeben, weil dies - wie oben ausgeführt - keinen Grund darstellte, das Vertrauen der Klägerin besonders zu schützen. Daher bedurfte es auch keiner - das Selbstverständliche darstellenden - Begründung des Beklagten. Dass eine solche hier dennoch erfolgt ist, ist unerheblich.
ccc) Da nach Ansicht des erkennenden Senats überdies beide Tatbestände - § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO und § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO - verwirklicht sind, verstärkt sich das Interesse des Staates an der materiellen Gerechtigkeit. Das Gebot der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung erhält zusätzliches Gewicht, so dass auch aus diesem Grunde ein intendiertes Ermessen angenommen werden kann. Ein atypischer Sachverhalt ist - wie oben bereits erwähnt - nicht ersichtlich.
ff) Die Jahresfrist, die hinsichtlich der Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO (aaa)) und § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO (bbb)) gilt, ist für jeden der Tatbestände einzeln gewahrt und eine Verwirkung liegt ebenfalls nicht vor (ccc)).
Erhält die Behörde nach § 130 Abs. 3 Satz 1 AO von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Nicht die Erkenntnis der Tatsachen, die die Rücknahme rechtfertigen, setzt die Frist in Lauf, sondern erst die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit ("sog. Entscheidungsfrist" vgl. BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 27; a. A. "Bearbeitungsfrist" Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 193, Stand: November 2022). Andernfalls wäre bei Verwaltungsakten, die die Finanzbehörde aus bloßer Rechtsunkenntnis erlässt, die Rücknahmefrist in den meisten Fällen bereits abgelaufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit ihres Verwaltungsaktes erkennt. Hat die Behörde beim Erlass eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes den ihr vollständig bekannten Sachverhalt unrichtig gewürdigt oder den Inhalt des anzuwendenden Rechts verkannt, so beginnt die Ausschlussfrist für die Rücknahme des Verwaltungsaktes also erst, wenn der zur Entscheidung berufene Sachbearbeiter der zuständigen Behörde die Rücknehmbarkeit des rechtswidrigen Verwaltungsaktes erkannt hat (BFH, Urteil vom 26. Juni 2007, VII R 35/06, BStBl. II 2007, 742, juris Rn. 27 m.w.N.; a. A. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 190, Stand: November 2022).
aaa) Die Jahresfrist ist im Hinblick auf die Kenntnis zu den Voraussetzungen von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO gewahrt.
Eine abschließende Kenntnis vom Sachverhalt und dessen rechtlicher Würdigung, die die Entscheidungsfrist in Gang setzen konnte, war erst ab Bekanntgabe der Entscheidungsgründe des LG im Urteil vom ... 2020 (xxx, juris) gegeben. Der Beklagte hat insoweit unbestritten angegeben, dass das Urteil dem Beklagten über den Dienstweg am 2020 bekannt gegeben wurde.
Die Bekanntgabe der Entscheidungsgründe des LG war maßgeblich, weil sich aus diesen eine umfassende Darstellung des Sachverhalts und der Würdigung der Zeugenaussagen durch das Gericht ergab. Zuvor ging der Beklagte davon aus, die Leerverkaufskonstruktionen ermitteln zu müssen. Dies ergibt sich aus den Anlagen zu den Bescheiden vom 2020, wenn es dort heißt:
"Aufgrund der Aussage eines Traders von Bank-5 (C) für das Jahr 2008 bei der Staatsanwaltschaft ist davon auszugehen, dass Leerverkaufskonstruktionen bereits im Jahr 2008 durchgeführt und die einzelnen Transaktionen zwischen den Beteiligten abgesprochen wurden. Da von Seiten der Bank-1 sowohl mit Bank-5 (vgl. Partnerprotokoll 3/2008 nebst entsprechender Vorlage) als auch mit dem eingeschalteten Broker Gespräche geführt wurden, war dieses Vorgehen auch mit den Partnern der Bank abgestimmt. Im Jahr 2009 wurde die Konstruktion leicht umgestellt, ausländische Leerverkaufe allerdings beibehalten. Hierfür spricht die Anweisung eines Anwalts aus der Ermittlungsakte sowie die Lieferketten, die dem Finanzamt für das Jahr 2009 vorliegen. Auch aus den zur Verfügung gestellten Unterlagen der Bank-2 für das Jahr 2010 ergeben sich Anhaltspunkte für Leerverkaufskonstruktionen.
Es ist daher auch für das Jahr 2007 [bzw. 2008, 2009] davon auszugehen, dass es sich um Leerverkaufskonstruktionen handelt und dass eine Kapitalertragsteueranrechnung begehrt wurde, der kein Kapitalertragsteuereinbehalt zugrunde lag."
Dieser Auszug, der jeweils in den Anrechnungsverfügungen enthalten war, macht deutlich, dass der Beklagte - seiner Ansicht nach - noch nicht den vollständigen Sachverhalt ermittelt hatte. Aus diesem Grund konnte die Rücknahmefrist nicht zu laufen beginnen.
Dass der Beklagte nichtsdestotrotz bereits vor dem Beginn des Laufes der Frist die Bescheide erlassen hat, ist nicht hinderlich. Die gesetzlichen Voraussetzungen des Fristbeginns sind davon unabhängig. Sie sind nicht daran gebunden, ob die Behörde bereits einen Verwaltungsakt erlassen hat. Es ist dem Beklagten auch nicht verboten, zuvor einen Rücknahmebescheid zu erlassen. Denn § 130 Abs. 3 AO dient dem Rechtsfrieden. Wenn die Rücknahmefrist abgelaufen ist, muss die materielle Gerechtigkeit dem Rechtsfrieden weichen. Aus diesem Grund ist der frühere Erlass eines Verwaltungsaktes möglich. Die vorgenommene Wertung, dass der Rechtsfrieden höher zu bewerten ist als die materielle Gerechtigkeit, tritt aber erst bei dem objektiven Ablauf der Frist ein.
Die Kontrollmitteilung des Finanzamtes Q vom ... 2014 vermochte nicht zu einer vollständigen Aufklärung des Sachverhaltes über sämtliche Aspekte in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht führen. Aus der Kontrollmitteilung ergaben sich erste Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen, denn - wie oben ausgeführt, handelte es sich lediglich um "vermutete" Leerverkäufe und die Frage der Anrechnung war noch offen: "Sollte dies der Fall sein, bleibt zu prüfen, wer die Kapitalertragsteuer und den Solidaritätszuschlag zu Unrecht angerechnet hat und ob diese Anrechnung zurückgenommen werden kann."
Das gleiche gilt für die Bestätigung der Bank-2 vom ... 2016. Weiter offen war die Frage nach den vollständigen Lieferketten von den Stückgebern bis zur Bank-1. Der Beklagte ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass er diese ermitteln müsse. Eine Entscheidungsfrist des zuständigen Sachbearbeiters konnte aufgrund dieser - vom Beklagten damals angenommenen - Sachverhaltslücken, die aufgrund der damaligen rechtlichen Bewertung bestanden, nicht in Gang gesetzt werden.
Unerheblich ist weiter, dass der Beklagte für die Rücknahme betreffend das Jahr 2010 eine wortgleiche Begründung verwandt hat und diese schon vom ... 2017 datiert. Insoweit kommt es nicht auf die formell gleiche Begründung, sondern auf den dahinterstehenden materiellen Erkenntnisgewinn an. Dieser ergab sich für die Streitjahre erst aus der Begründung des Urteils des LG vom ... 2020. Erst dann war dem zuständigen Sachbearbeiter des Beklagten klar, dass die Leerverkaufsketten nicht für jedes Jahr ermittelt werden mussten.
Unerheblich ist weiter die Anweisung des BMF vom ...2017, verjährungsunterbrechende Maßnahmen einzuleiten. Zwar weist das BMF in dem Schreiben darauf hin, dass es nach Ansicht des Hessischen FG in seiner Entscheidung vom 10. März 2017 (4 K 977/14, EFG 2017, 656) nicht darauf ankomme, ob Leerverkaufsgestaltungen vorlägen, weil es sich bei sämtlichen Geschäften um OTC-Geschäfte gehandelt habe und daher auch kein wirtschaftliches Eigentum habe erworben werden können. Damit könne die Berechtigung für die Anrechnung der Kapitalertragsteuer nicht belegt werden. Es ergibt sich aber aus der Antwort des Beklagten vom ... 2017, dass der Beklagte annahm, dass erstens gar nicht die Streitjahre, sondern erst das Jahr 2010 betroffen sei, weil für dieses die fünfjährige Zahlungsverjährung Ende des Jahres eintreten könne. Zudem weist der Beklagte daraufhin, dass er eine andere rechtliche Auffassung vertrete und äußert "Bedenken" an der Weisung. Der Beklagte beruft sich darauf, dass lediglich Indizien und kein ausermittelter Sachverhalt vorlägen. Die Bank-1 habe sich darauf verlassen, dass die Bank-2 die Kapitalertragsteuer nebst Solidaritätszuschlag einbehalte und der zuständige Staatsanwalt habe keine Probleme damit, dass mangels belastbaren Sachverhalts von einer Änderung des Bescheides abgesehen werde. An diesen Ausführungen des Beklagten wird deutlich, dass aus seiner Sicht - auf die es nach den obigen Maßstäben ankommt - gerade kein ausermittelter Sachverhalt vorlag.
bbb) Die Jahresfrist ist auch im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO gewahrt.
Bestehen mehrere Rücknahmegründe, läuft für jeden getrennt die Jahresfrist (so zu § 48 VwVfG: BVerwG, Urteil vom 23. Januar 2019, 10 C 5/17, BVerwGE 164, 237, juris Rn. 42 m.w.N.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 48 Rn. 210). Aus diesem Grund ist die Frist für § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO getrennt zu prüfen. Da dieser Rücknahmegrund erstmals in der Einspruchsentscheidung erwähnt wird, kommt es für den Ablauf der Jahresfrist auf die Einspruchsentscheidung an. Auch insoweit ist die Jahresfrist gewahrt, denn insoweit gilt ebenfalls, dass die Entscheidungsgründe des Urteils des LG vom ... 2020 (xxx, juris) zu den entscheidenden Erkenntnissen beim Beklagten geführt haben. Das Landgericht würdigt in seiner Entscheidung die subjektiven Vorstellungsbilder der handelnden Personen auf Seiten der Klägerin. Diese Erkenntnisse ergaben sich für das Landgericht im Rahmen der durchgeführten Hauptverhandlung. Erst die Kenntnis des Beklagten von dieser Beweiswürdigung und die damit einhergehende rechtliche Würdigung versetzten den Beklagten in die Lage, sich ein umfassendes Bild für eine Entscheidung zu verschaffen, einerseits über die Rechtswidrigkeit der Anrechnung und andererseits über die vom Beklagten angenommene positive Kenntnis/grob fahrlässige Unkenntnis bei den Entscheidungsträgern der Klägerin.
ccc) Schließlich liegt keine Verwirkung vor. Grundsätzlich kann die Rücknahmemöglichkeit auch verwirkt sein. Bleibt die Behörde so lange (Zeitmoment) untätig, bis der Bürger mit der Rücknahme nicht mehr zu rechnen braucht (Umstandsmoment), darf die Behörde von der Rücknahmemöglichkeit keinen Gebrauch mehr machen (vgl. Wernsmann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 130 AO Rn. 197, Stand: November 2022). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Hier fehlt es am Zeit- wie am Umstandsmoment. Denn bereits am ... 2015 richtete der Beklagte eine erste Prüfungsanfrage zur "Anrechnung von Kapitalertragsteuer und Solidaritätszuschlag zur Kapitalertragsteuer" an die Bank-1. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagten gegenüber der Klägerin oder der Bank-1 zum Ausdruck gebracht haben könnte, dauerhaft von einer Rücknahme und Rückforderung der angerechneten Kapitalertragsteuer absehen zu wollen.
gg) Es ist keine Zahlungsverjährung eingetreten. Dies gilt sowohl für das Streitjahr 2007 (aaa)) also auch für die Streitjahre 2008 und 2009 (bbb)).
aaa) Im Streitjahr 2007 ist keine Zahlungsverjährung eingetreten.
Die Anrechnungsverfügung selbst unterliegt nicht der Festsetzungs- sondern nur der Zahlungsverjährung (vgl. BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 9) und zwar der damals geltenden fünfjährigen Zahlungsverjährung nach § 228 AO a.F. Diese trat am 31. Dezember 2014 ein:
Die nunmehr eingeführte 10jährige Zahlungsverjährung bei Steuerhinterziehung nach § 228 Satz 2 AO greift nicht. Diese gilt gemäß Art. 97 § 14 Abs. 5 des Einführungsgesetzes zur AO -EGAO- nämlich nur für alle am 24. Juni 2017 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen. Zu diesem Zeitpunkt war die Zahlungsverjährung aber bereits eingetreten: Nach § 229 Abs. 1 Satz 1 AO beginnt die Verjährung mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist. Die Verjährung begann damit am 31. Dezember 2009, weil der Anspruch nach Bekanntgabe der Steuerfestsetzung 2007 durch den Bescheid vom ...2009 fällig geworden war. Eine Hemmung nach § 230 AO a.F. oder Unterbrechung nach § 231 AO ist nicht ersichtlich, so dass die Zahlungsverjährung am 31. Dezember 2014 eintrat.
Die Zahlungsverjährung begann aber wieder neu zu laufen:
Ändert sich die Festsetzung der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer, ist im Umfang dieser Änderung auch die mit dem Änderungsbescheid verbundene Anrechnungsverfügung anzupassen, ohne dass der Anpassung bis dahin gegebenenfalls bereits abgelaufene Zahlungsverjährungsfristen bezüglich früher entstandener Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entgegenstehen könnten (BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 9; BFH, Urteil vom 29. Oktober 2013, VII R 68/11, BStBl. II 2016, 115, juris Rn. 15). Dies folgt aus der durch § 36 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 EStG (i.V.m. § 31 Abs. 1 Satz 1 KStG) hergestellten Verknüpfung zwischen Steuerfestsetzungs- und Steuererhebungsverfahren, die dem Steuerbescheid eine einem Grundlagenbescheid ähnliche bindende Wirkung für ihm folgende Anrechnungsverfügungen bzw. Abrechnungsbescheide verleiht (vgl. BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 9; BFH, Urteil vom 29. Oktober 2013, VII R 68/11, BStBl. II 2016, 115, juris Rn. 15 m.w.N.). Die Anrechnungsverfügung ist der geänderten Steuerfestsetzung anzupassen, indem der geänderte festgesetzte Betrag in sie eingestellt wird. Dies hat innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist des § 228 AO zu geschehen, die mit der Bekanntgabe des Steueränderungsbescheids (insoweit erneut) in Lauf gesetzt wird (vgl. BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 9; BFH, Urteil vom 29. Oktober 2013, VII R 68/11, BStBl. II 2016, 115, juris Rn. 15).
Eine Teilverjährung der wegen des Steueränderungsbescheides angepassten Abschlusszahlung, in dem Sinne, dass ein Steueranspruch nur auf Entrichtung eines über die frühere Abschlusszahlung hinausgehenden Betrages besteht, kommt nicht in Betracht (BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 11; LG ., Urteil vom ... 2020., xxx, juris .). Für einen bestimmten Veranlagungszeitraum der Einkommensteuer besteht ein einheitlicher Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis, der bei mehrfach geänderter Steuerfestsetzung nicht in unterschiedliche Steuerzahlungsansprüche oder Erstattungsansprüche aufgespalten werden kann, die bezogen auf die jeweils ergangenen Steuerbescheide unterschiedlichen Verjährungsfristen unterliegen (BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 11; vgl. auch FG München, Urteil vom 16. Februar 2018, 8 K 2196/15, EFG 2018, 1509, juris Rn. 33). Mit der der geänderten Steuerfestsetzung angepassten Anrechnungsverfügung wird der Betrag der Abschlusszahlung bzw. der Erstattung im Ganzen neu ausgewiesen und nicht etwa nur ein über die geänderte Anrechnungsverfügung hinausgehender Betrag. Durch den Änderungsbescheid verliert der geänderte Bescheid in vollem Umfang seine Wirkung (BFH, Urteil vom 18. September 2018, VII R 18/18, BFH/NV 2019, 107, juris Rn. 11; LG ., Urteil vom ... 2020., xxx, juris .).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Steuerfestsetzung ist innerhalb der Festsetzungsfrist geändert worden, so dass auch die Zahlungsverjährung vollständig neu anfing zu laufen.
Die zehnjährige Festsetzungsverjährung, die am 31. Dezember 2009 zu laufen begann, war nach § 171 Abs. 7 AO gehemmt durch die verjährungsunterbrechenden strafrechtlichen Ermittlungsmaßnahmen und daher bis zum Erlass der Änderungsbescheide vom ... 2020 nicht abgelaufen.
Die Körperschaftsteuer ist mit Bescheid vom ... 2009 zunächst auf ... € festgesetzt worden. Durch die Änderung vom ... 2018, die die Körperschaftsteuer auf ... € festsetzte, begann die fünfjährige Zahlungsverjährung noch einmal neu zu laufen und war zum Zeitpunkt des Erlasses des hier streitgegenständlichen Bescheides vom 15. April 2020 nicht abgelaufen.
Anders als von der Klägerin vorgetragen, steht § 231 Abs. 4 AO dem nicht entgegen. § 231 Abs. 4 AO regelt, dass die Verjährung nur in Höhe des Betrags unterbrochen wird, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht. Der daraus abgeleitete Einwand, es könne nach der oben vertretenen Ansicht nie zu einer teilweisen Zahlungsverjährung kommen, die das Gesetz aber in § 231 Abs. 4 AO grundsätzlich vorsehe (vgl. Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 228 AO Rn. 5 m.w.N., Stand: Juni 2020; Vorauflage: Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 228 AO Rn. 14, Stand: Oktober 2015) ist entgegenzuhalten, dass dennoch ein Anwendungsfeld für § 231 Abs. 4 AO verbleibt: In Fällen einer auf einen Teilbetrag der Abschlusszahlung anzuwendenden Maßnahme zur Unterbrechung der Zahlungsverjährung (etwa teilweise Stundung, aber auch bei einer auf einen Teilbetrag begrenzten AdV) kommt beispielsweise eine Teilverjährung stets in Betracht, sofern auf den den ursprünglichen Zahlungsanspruch auslösenden Bescheid innerhalb der Zahlungsverjährungsfrist keinerlei Zahlungen erfolgen und ein Änderungsbescheid nicht ergeht (vgl. FG München, Urteil vom 16. Februar 2018, 8 K 2196/15, EFG 2018, 1509, juris Rn. 34; LG ., Urteil vom ... 2020., xxx, juris .; nunmehr auch: Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 228 AO Rn. 22, Stand: Oktober 2023).
Diese Grundsätze entsprechen - anders als die Klägerseite vorträgt - auch der Entscheidung des BFH vom 29. Oktober 2013 (VII R 68/11, BStBl. II 2016, 115, juris). So bringt der BFH mit der Formulierung "im Umfang [der] Änderung" nach Auffassung des Senats nicht zum Ausdruck, dass die Zahlungsverjährung betragsmäßig beschränkt ist. Vielmehr stellt der BFH auf die gesamte Anrechnungsverfügung ab und bezieht den Umfang der Änderung lediglich auf die Änderung der Festsetzung der Einkommen-/Körperschaftsteuer. Dies wird durch die Verwendung des Demonstrativpronomens "dieser" - also der Änderung der Festsetzung der Einkommensteuer - deutlich (im Ergebnis ebenso LG ., Urteil vom ... 2020., xxx, juris .). Anders ausgedrückt: Wird die Festsetzung der Körperschaftsteuer betragsmäßig geändert, kann die gesamte Anrechnungsverfügung geändert werden, wenn dafür - wie hier - eine Änderungsvorschrift greift.
Eine andere Auslegung ergibt sich auch nicht aus dem durch das Jahressteuergesetz 2022 vom 16. Dezember 2022 (BGBl. I 2022, 2294) neu eingefügten Satz 3 bei § 229 AO. Danach beginnt, wenn die Festsetzung oder Anmeldung eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird, die Verjährung des gesamten Anspruchs erst mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Aufhebung, Änderung oder Berichtigung wirksam geworden ist. Die Neuregelung gilt nach Art. 97 § 14 Abs. 6 EGAO für alle am 21. Dezember 2022 noch nicht abgelaufenen Verjährungsfristen (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 228 AO Rn. 5, Stand: Oktober 2023). Bei dieser Regelung handelt es sich - anders als die Klägerseite vorträgt - lediglich um eine klarstellende Bestimmung und nicht um eine Vorschrift, die erforderlich ist, um den Eintritt der Zahlungsverjährung zu verhindern. Dies ergibt sich auch aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2022 (BT-Drs. 20/3879 vom 10. Oktober 2022, S. 139f.) Dort wird ausgeführt, dass die Rechtslage nunmehr "eindeutig bestimmt" sei. Hätte der Gesetzgeber die geltende Rechtslage hingegen neu gestalten wollen, hätte er dies (wohl) durch das Verb "ändern" oder ähnliches in der Begründung zum Ausdruck gebracht.
bbb) In den Streitjahren 2008 und 2009 ist ebenfalls keine Zahlungsverjährung eingetreten.
Auch die Anrechnungsverfügung für das Streitjahr 2008 unterliegt nicht der Festsetzungs- sondern nur der Zahlungsverjährung und zwar der damals geltenden fünfjährigen Zahlungsverjährung nach § 228 AO a.F., die am 31. Dezember 2015 eintrat.
Da die Steuerfestsetzung für das Streitjahr 2008 innerhalb der Festsetzungsfrist geändert worden ist, begann in diesem Umfang indes auch die Zahlungsverjährung neu zu laufen (siehe oben). Mit Bescheid vom ... 2010 wurde die Körperschaftsteuer auf ... € festgesetzt. Durch den Änderungsbescheid vom ... 2016, der die Festsetzung der Körperschaftsteuer auf ... € änderte, fing die fünfjährige Zahlungsverjährung wieder an zu laufen und war bei Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides vom ... 2020 nicht abgelaufen.
Auch im Jahr 2009 ist die Festsetzung der Körperschaftsteuer geändert worden, so dass auch die Zahlungsverjährung neu zu laufen begann. Zunächst ist die Körperschaftsteuer auf 0 € festgesetzt worden. Mit der Festsetzungsänderung vom ... 2016 wurde die Körperschaftsteuer auf ... € festgesetzt. Dadurch begann auch die fünfjährige Zahlungsverjährung neu zu laufen und war bei Erlass des hier streitgegenständlichen Bescheides vom ... 2020 nicht abgelaufen.
c) Die Zinsfestsetzung ist rechtmäßig.
Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung der Zinsen ist § 233a Abs. 5 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 1 Satz 1 AO. Nach Absatz 1 der Vorschrift gilt, dass wenn die Festsetzung der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögens-, Umsatz- oder Gewerbesteuer zu einem Unterschiedsbetrag im Sinne des Absatzes 3 führt, dieser zu verzinsen ist und Absatz 5 Satz 1 bestimmt, dass wenn die Steuerfestsetzung aufgehoben, geändert oder nach § 129 AO berichtigt wird, eine bisherige Zinsfestsetzung zu ändern ist und gleiches gilt, wenn die Anrechnung von Steuerbeträgen - wie hier - zurückgenommen, widerrufen oder nach § 129 AO berichtigt wird.
Der Anwendungsbereich für diese Vorschrift ist eröffnet.
Die Ausnahme in § 233a Abs. 1 Satz 2, wonach dies nicht für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen gilt, ist nicht einschlägig. Danach gilt die Verzinsung des Satzes 1 nicht für die Festsetzung von Vorauszahlungen und Steuerabzugsbeträgen. Steuerabzugsbetrag ist derjenige Betrag, der nach dem Gesetz vom Steuerabzugsverpflichteten für fremde Rechnung einzubehalten und an das Finanzamt abzuführen ist (BFH, Urteil vom 17. November 2010, I R 68/10, BFH/NV 2011, 737, juris Rn. 11). Steuerabzugsbeträge sind lediglich unselbständige Verrechnungsposten für die Bemessungsgrundlage der Verzinsung (Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 8, Stand: Mai 2022).
Zwar handelt es sich bei der Kapitalertragsteuer um einen Steuerabzugsbetrag, jedoch ist insoweit Verpflichteter das nach § 44 Abs. 1 EStG benannte Kreditinstitut. Kommt dieses einem Steuereinbehalt nicht nach, so ist der entsprechende Steuerabzugsbetrag nicht zu verzinsen. In anderen Worten: Wenn es bei der Kapitalertragsteuer zu einer Nachforderung durch Nachforderungsbescheid kommt, ist eine Verzinsung ausgeschlossen (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233a AO Rn. 61 m.w.N., Stand: April 2021; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 9, Stand: Mai 2022; vgl. Kögel, in: Gosch, AO/FGO, § 233a AO Rn. 25, Stand: November 2022). Hier ist aber nicht der Steuereinbehalt durch das Kreditinstitut, sondern das Veranlagungsverfahren beim Steuerschuldner betroffen. Es geht um die Verzinsung einer Festsetzung der Körperschaftsteuer, nicht aber um die Verzinsung eines Steuerabzugsbetrages.
Auch liegen die Voraussetzungen nach § 233a Abs. 5 Satz 1 AO vor, weil die bisherigen Festsetzungen der Körperschaftsteuer geändert und die Anrechnungen von Steuerbeträgen zurückgenommen worden sind. Die Verzinsung ist auch nicht nach § 233a Abs. 5 Satz 2 AO unzutreffend berechnet. Nach dieser Vorschrift ist maßgebend für die Zinsberechnung der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und um die anzurechnende Körperschaftsteuer. Nach Auffassung der Klägerin ist eine Verzinsung beim Steuerschuldner ausgeschlossen, wenn der Entrichtungspflichtige die Steuerabzugsbeträge nicht einbehalten und abgeführt hat, weil es auf die Soll-Verzinsung und nicht auf den tatsächlich abgeführten Betrag ankomme. Zwar ist für die nach § 233a zu berücksichtigenden Abzugssteuern ebenso wie für die Vorauszahlungen das Soll-Prinzip maßgebend. Auf den Eingang der Abzugssteuern beim Finanzamt kommt es nicht an (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233a AO Rn. 152, Stand: April 2021; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 40, Stand: Mai 2022; Kögel, in: Gosch, AO/FGO, § 233a AO Rn. 124, Stand: November 2022). Entscheidend ist aber für die Soll-Berechnung - anders als die Klägerin meint - der Einbehalt der Steuer. Dieser hat hier nicht stattgefunden (siehe oben). Zwar genügt es grundsätzlich, dass der Einbehalt durch Vorlage der entsprechenden Belege (Lohnsteuerbescheinigung, Kapitalertragsteuer-Bescheinigung) nachgewiesen ist (vgl. Heuermann, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 233a AO Rn. 152, Stand: April 2021; Loose, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 233a AO Rn. 40, Stand: Mai 2022). Die Steuerbescheinigung ist insoweit hier aber nicht maßgebend, weil sie materiell falsch war (siehe oben) und insoweit auch eine zumindest grob fahrlässige Unkenntnis bei der Klägerin bestand (siehe oben).
Der Wortlaut von § 233a Abs. 5 Satz 2 AO, wonach maßgebend für die Zinsberechnung der Unterschiedsbetrag zwischen der festgesetzten Steuer und der vorher festgesetzten Steuer, jeweils vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge und um die anzurechnende Körperschaftsteuer, ist, muss nach Sinn und Zweck dahingehend ausgelegt werden, dass der Unterschiedsbetrag zwischen der vorher festgesetzten Steuer, vermindert um die damals tatsächlich angerechneten Steuerabzugsbeträge und der nunmehr festgesetzten Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge gemeint ist. Denn anderenfalls würde man jeweils die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge ansetzen. Dies kann nicht Sinn und Zweck dieser Berechnungsvorschrift sein, weil sich dann bei einer Veränderung der Steuerabzugsbeträge nie ein Unterschiedsbetrag ergeben würde und § 233 Abs. 5 Satz. 1 Halbsatz 2 AO gerade eine Änderung der Zinsfestsetzung vorschreibt, wenn die Anrechnung von Steuerbeträgen zurückgenommen wird.
II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
III. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 115 Abs. 2 FGO).