FG Köln: Steuerfalle bei der Ausübung von Bezugsrechten aus „Altanteilen“ geschlossen
FG Köln, Urteil vom 23.10.2014 – 10 K 3473/12
Sachverhalt
Zwischen den Beteiligten ist die Ermittlung des vom Kläger erzielten Gewinns aus dem Verkauf von Aktien streitig.
Die Kläger sind Eheleute und wurden im Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Sie verfügen über diverse Kapitalanlagen, darunter unter anderem Aktien der A Bank AG, welche sich bereits vor dem 01.01.2009 in ihrem Wertpapierdepot befanden.
Im Jahr 2010 wurde bei der A Bank AG eine Kapitalerhöhung vollzogen. In deren Rahmen erwarb der Kläger 765 junge Aktien der A Bank AG über Bezugsrechte aus Aktien, welche er bereits vor dem 01.01.2009 angeschafft hatte (sog. Altaktien). Die Anschaffungskosten der im Zuge der Kapitalerhöhung vom Kläger erworbenen Bezugsrechte betrugen – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – 7,20 € je Aktie. Im November 2010 wurden durch den Kläger nachfolgend zehn dieser über Bezugsrechte aus Altaktien erworbenen jungen Aktien zu einem Kurs von 410,35 € veräußert. Der hieraus resultierende Gewinn i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) wurde durch die A Bank AG mit 58,15 € angegeben. Hiervon ausgehend stellte die A Bank AG dem Kläger eine Erträgnisaufstellung für 2010 aus, in der sie ihm Kapitalerträge i.H.v. insgesamt 135,15 € bescheinigte, welche sich aus dem vorgenannten Gewinn aus Aktienverkäufen in Höhe von 58,15 € und Dividenden aus Geschäftsguthaben i.H.v. 77 € zusammensetzten.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärung für 2010 beantragten die Kläger nachfolgend die Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge. Der Kläger brachte insoweit bei der Berechnung seines im Streitjahr erzielten Gewinns aus Aktienverkäufen 72 € als Wert der Bezugsrechte, welche den von ihm veräußerten jungen Aktien der A Bank AG zu Grunde gelegen hatten, in Abzug und setzte die von ihm im Streitjahr erzielten Kapitalerträge dementsprechend lediglich mit 63,15 € statt mit 135,15 € an. Der Beklagte berücksichtigte die Anschaffungskosten der Bezugsrechte gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG i.V.m. dem BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94 Tz. 108 ff.) jedoch hiervon abweichend mit 0 € und legte der Veranlagung – entsprechend der Erträgnisaufstellung der A Bank AG – einen Gewinn aus Aktienverkäufen i.H.v. 58,15 € zu Grunde. Auf dieser Basis erging am 22.07.2011 ein entsprechender Bescheid über Einkommensteuer für 2010 gegenüber den Klägern.
Mit ihrem hiergegen am 05.08.2011 erhobenen Einspruch rügten die Kläger eine steuerliche Ungleichbehandlung der Ausübung von Bezugsrechten aus sog. Altanteilen einerseits und der Veräußerung von Bezugsrechten aus Altanteilen andererseits. Während nach Auffassung der Finanzverwaltung im zuerst genannten Fall der Wert des Bezugsrechts als Anschaffungskosten der jungen Aktien gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 € anzusetzen sei, würden im zuletzt genannten Fall die tatsächlichen Anschaffungskosten der Bezugsrechte berücksichtigt. Nachdem der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 2010 aus nicht streitbefangenen Gründen durch Bescheid vom 02.10.2012 geändert worden war, wies der Beklagte den Einspruch der Kläger nachfolgend mit Einspruchsentscheidung vom 17.10.2012 unter Verweis auf die ab 2009 geltende Gesetzeslage und das BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94 Tz. 108 ff.) als unbegründet zurück.
Mit ihrer hiergegen am 16.11.2012 erhobenen Klage verfolgen die Kläger ihr Begehren aus dem Einspruchsverfahren weiter und machen geltend, dass die Praxis der Finanzverwaltung in Gestalt der Tz. 108 ff. des BMF-Schreibens vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94) dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit widerspreche. Bei Veräußerung eines Bezugsrechts aus sog. Altanteilen unterliege der daraus erzielte Erlös nicht der Abgeltungsteuer. Mit dem unversteuerten Erlös aus dem Verkauf der Bezugsrechte könne der Aktionär neue Aktien erwerben, wobei dann der Wert dieser Aktien dem Anschaffungspreis entspreche und im Falle eines Verkaufs – im Unterschied zur Ausübung des Bezugsrechts – der volle Anschaffungspreis zur Gewinnermittlung angesetzt werde. Hierdurch würden im Ergebnis zwei Handlungen eines Aktionärs, die in der Praxis keinen Unterschied ergäben, unterschiedlich besteuert. Dem habe die bis 2009 geltende Gesetzeslage noch Rechnung getragen, indem sie die Ausübung eines Bezugsrechts steuerlich der Veräußerung eines solchen Rechts gleichgestellt habe. Die mit der ab 2009 geltenden Gesetzeslage bezweckte Verfahrenserleichterung stelle keine Rechtfertigung für eine Steuerungerechtigkeit dar. Das Gesetz setze den Wert des Bezugsrechts in § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG zwar mit 0 € an, dies entfalte jedoch für Bezugsrechte aus Altaktien keine Bedeutung, da das Vermögen der Altaktien unabhängig von ihrem Wert nicht der Abgeltungsteuer unterliege. Das Bezugsrecht spalte das Aktienvermögen in zwei Bestandteile – nämlich 1. in das sog. Bezugsrecht und 2. in den Restanteil des verbleibenden übrigen Vermögens – auf. Die aus dem BMF-Schreiben vom 22.12.2009 hervorgehende Praxis der Finanzverwaltung habe zur Folge, dass der Restanteil des verbleibenden Vermögens, welcher grundsätzlich nicht mehr steuerverstrickt sei, unterschiedlich behandelt werde, je nachdem, ob das Bezugsrecht ausgeübt oder veräußert werde.
Die Kläger beantragen,
die Einkommensteuer für 2010 unter Änderung des Einkommensteuerbescheides für 2010 vom 22.07.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 02.10.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2012 mit der Maßgabe herabzusetzen, dass die Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen um 72 € gemindert werden;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen;
hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Zur Begründung verweist der Beklagte auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung und führt ergänzend aus, aufgrund der ab 2009 geltenden gesetzlichen Bestimmungen könne der Wert der Bezugsrechte nicht mehr steuermindernd berücksichtigt werden. Auch nach dem ergänzenden BMF-Schreiben vom 09.10.2012 zum BMF-Schreiben vom 22.12.2009 werde weiterhin in der dortigen Tz. 110 zur Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG daran festgehalten, dass die Ausübung eines Bezugsrechts nicht als Veräußerung derselben anzusehen sei. Übe der Steuerpflichtige das Bezugsrecht aus, werde die junge Aktien angeschafft und der Wert des Bezugsrechts sei als Anschaffungskosten der jungen Aktien mit 0 € anzusetzen und daher ohne Bedeutung. An diese Vorgaben des Bundesfinanzministeriums sei der Beklagte gebunden.
Aus den Gründen
16 Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Einkommensteuerbescheid für 2010 vom 22.07.2011 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 02.10.2012 und der Einspruchsentscheidung vom 17.10.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Kläger daher in ihren Rechten, § 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO).
17 I. Der Beklagte hat bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Gewinns der Kläger aus Aktienverkäufen unter Verweis auf die gesetzliche Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG i.V.m. den BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94 Tz. 108 ff.) und 09.10.2012 (BStBl. I 2012, 953 Tz. 108 ff.) zu Unrecht nicht die tatsächlichen Anschaffungskosten der vom Kläger ausgeübten Bezugsrechte in Höhe von 72 €, sondern einen Wert von 0 € angesetzt. Bei einer aus Sicht des erkennenden Senats gebotenen einschränkenden verfassungskonformen Auslegung der §§ 20 Abs. 4a Satz 4, 52a Abs. 10 Satz 10 EStG findet die Vorschrift des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG im vorliegenden Streitfall keine Anwendung.
18 1. Bezugsrechte vermitteln dem Gesellschafter das Recht, bei der Neuemission von Gesellschaftsanteilen im Rahmen einer Kapitalerhöhung entsprechend seiner bisherigen Beteiligung an der Gesellschaft neue Gesellschaftsanteile am Grund- bzw. Stammkapital der Kapitalgesellschaft zu erwerben. Sie sind Bestandteil der Rechte eines Anteilseigners. Zur Entstehung eines Bezugsrechts kommt es, wenn eine Gesellschaft eine Kapitalerhöhung gegen Einlage beschließt und die Gewährung von Bezugsrechten nicht ausgeschlossen wird. In diesem Fall spaltet sich das Bezugsrecht vom Kapitalanteil des Gesellschafters ab und wird zu einem eigenständigen Forderungsrecht.
19 Nach der bis einschließlich 2008 geltenden Rechtslage war insoweit anerkannt, dass die ursprünglichen Anschaffungskosten des bisherigen Gesellschaftsanteils auf das abgespaltene Bezugsrecht und den Gesellschaftsanteil nach der sog. Gesamtwertmethode aufzuteilen waren (ständige Rechtsprechung seit BFH-Urteil vom 06.12.1968 – IV R 164/67, BStBl II 1969, 105). Der Gesamtwert errechnete sich dabei nach dem Verhältnis des niedrigsten Börsenkurses der Bezugsrechte am ersten Handelstag zum niedrigsten Börsenschlusskurs der Gesellschaftsanteile am letzten Tag vor dem Bezugsrechtshandel (vgl. BMF-Schreiben vom 20.12.2005, BStBl. I 2006, 8). Bei der Veräußerung eines Bezugsrechts wurden bisher die nach dieser Methode ermittelten anteiligen Anschaffungskosten gewinnmindernd berücksichtigt (vgl. Dötsch/Werner in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt, § 20 EStG Rz. 301).
20 2. Die Ermittlung der Anschaffungskosten von Bezugsrechten auf Grundlage der vorstehend beschriebenen Gesamtwertmethode bedeutete für die Kreditinstitute jedoch einen erheblichen Verwaltungsaufwand, insbesondere für Bezugsrechte, die nicht gehandelt wurden, so dass keine Börsenkurse existierten. In diesem Fall musste der Wert des Bezugsrechts rechnerisch ermittelt werden, was im Einzelfall zu unrealistischen Ergebnissen führen konnte. Auch bei ausländischen Kapitalmaßnahmen war die Ermittlung des Bezugsrechtswertes für die Kreditinstitute oftmals mit praktischen Schwierigkeiten verbunden.
21 Vor diesem Hintergrund hat der Gesetzgeber im Zuge des Jahressteuergesetzes 2009 mit § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG eine Vereinfachungsregelung für Fälle der Veräußerung oder Ausübung von Bezugsrechten eingeführt, welche anordnet, dass eine Aufteilung der Anschaffungskosten nicht mehr erfolgt, sondern die Anschaffungskosten des bisherigen Gesellschaftsanteils unverändert bleiben und der Wert des Bezugsrechts, welcher wirtschaftlich einem abgespaltenen Wert aus dem Gesellschaftsanteil entspricht, mit fiktiven Anschaffungskosten von i.H.v. 0 € anzusetzen ist. Ausweislich der Gesetzesmaterialien wollte der Gesetzgeber mit dieser Regelung den in vielen Fällen erheblichen praktischen Problemen der Kreditinstitute bei der Ermittlung von Bezugsrechtswerten begegnen und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die mit dem Bezugsrecht zusammenhängenden Kapitalmaßnahmen im Rahmen der Abgeltungsteuer in einem Massenverfahren zeitpunktgenau praktisch abgewickelt werden können (vgl. BR-Drs. 545/08, 73; BT-Drs. 16/11108, 16 f.). Als Rechtsfolge der Neuregelung werden zum einen die Anschaffungskosten der Anteile, aus denen das Bezugsrecht abgespalten wird, nicht mehr vermindert; zum anderen braucht bei der Veräußerung von Bezugsrechten deren tatsächlicher Wert nicht mehr ermittelt zu werden. Ferner wirkt sich der Wert des Bezugsrechts nicht mehr auf die Anschaffungskosten der aufgrund der Ausübung des Bezugsrechts erhaltenen jungen Anteile aus. Gemäß § 52a Abs. 10 Satz 10 EStG gilt die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG für alle Kapitalerträge, die nach dem 31.12.2008 zufließen.
22 § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG betrifft allerdings nur die Bewertung von Bezugsrechten bei einer Substanzabspaltung aus gehaltenen Anteilen (so auch Jachmann/Lindenberg in: Lademann, EStG, § 20 Rz. 819; Bron/Seidel, DStZ 2009, 268, 275), nicht hingegen bei abgeleitetem Erwerb des Bezugsrechts von einem Dritten. Im zuletzt genannten Fall hat der Erwerber daher weiterhin Anschaffungskosten in Höhe des von ihm tatsächlich geleisteten Kaufpreises, die bei Weiterveräußerung des Bezugsrechts oder Ausübung des Bezugsrechts mit anschließender Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Anteile im Rahmen der Veräußerungsgewinnermittlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu berücksichtigen sind (vgl. von Beckerath in: Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 20 Rz. 162; Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. Fa 54).
23 3. Nach Auffassung der Finanzverwaltung soll die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG unabhängig davon gelten, ob die Anteile, aus denen die Bezugsrechte abgespalten werden, vor dem 01.01.2009 oder nach dem 31.12.2008 angeschafft wurden (vgl. BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Tz. 108; BMF-Schreiben vom 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Tz. 108). Die Verwaltungsauffassung unterscheidet für die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG folglich nicht danach, ob die den Bezugsrechten zugrunde liegenden Anteile noch im zeitlichen Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG in der bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung (nachfolgend „a.F.“) erworben wurden oder bereits unter Geltung der Abgeltungsteuer.
24 Hierdurch kann es im Ergebnis zu unterschiedlichen steuerlichen Ergebnissen kommen, je nachdem, ob aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen abgespaltene Bezugsrechte durch deren Inhaber veräußert werden (dazu nachfolgend unter a)) oder aber – wie es der Kläger vorliegend getan hat – zum Bezug junger Anteile verwendet werden, welche er nachfolgend veräußert (dazu nachfolgend unter b)).
25 a) Die Veräußerung eines Bezugsrechts stellt grundsätzlich einen steuerpflichtigen Veräußerungsvorgang im Sinne von § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG dar. Nach Auffassung der Finanzverwaltung geht das Anschaffungsdatum der dem Bezugsrecht zugrunde liegenden Anteile jedoch im Falle der Bezugsrechtsveräußerung auf das veräußerte Bezugsrecht über (vgl. BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Tz. 109; BMF-Schreiben vom 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Tz. 109). Sofern die dem Bezugsrecht zugrunde liegenden Anteile bereits vor dem 01.01.2009 angeschafft wurden, gelten die aus diesen Anteilen im Zuge einer Kapitalerhöhung abgespaltenen Bezugsrechte daher im Sinne einer „Fußstapfentheorie“ ebenfalls als zu diesem Zeitpunkt angeschafft.
26 Die Veräußerung eines aus solchen sog. Altanteilen abgespaltenen Bezugsrechts löst beim Inhaber folglich keine Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus, da diese Vorschrift nach § 52a Abs. 10 Satz 1 EStG nur auf Gewinne aus der Veräußerung von Kapitalanlagen Anwendung findet, welche nach dem 31.12.2008 und damit unter Geltung der Abgeltungsteuer erworben wurden. Sofern die Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. hinsichtlich der vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteile bereits abgelaufen ist, kann das hieraus abgespaltene Bezugsrecht durch den Inhaber somit steuerfrei veräußert werden. Die in den Altanteilen ruhenden stillen Reserven sind dem steuerlichen Zugriff unter diesen Voraussetzungen endgültig entzogen.
27 b) Hiervon zu unterscheiden ist der – vorliegend gegebene – Fall der Ausübung eines Bezugsrechts, welches aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen abgespalten wurde, und nachfolgender Veräußerung der dafür bezogenen jungen Aktien.
28 aa) Ob die Ausübung eines Bezugsrechts einen steuerpflichtigen Vorgang im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG darstellt, ist bislang noch nicht abschließend geklärt. Der BFH hat mit Blick auf die Rechtslage vor Einführung der Abgeltungsteuer entschieden, dass die Ausübung eines Bezugsrechts im Privatvermögen innerhalb eines Jahres seit seiner Gewährung der Besteuerung nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. unterliegt (vgl. BFH-Urteil vom 21.09.2004 – IX R 36/01, BStBl II 2006, 12). Nach Ansicht des BFH handelt es sich um einen Tauschvorgang, bei dem der Steuerpflichtige das Bezugsrecht gegen neue Kapitalanteile tauscht.
29 Auf die Rechtslage nach Einführung der Abgeltungsteuer lässt sich diese Sichtweise nach Auffassung des erkennenden Senats jedoch nicht übertragen. Dafür spricht bereits der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG: Würde es sich bei der Ausübung eines Bezugsrechts um einen Unterfall der Veräußerung handeln, hätte die Ausübung in § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht gesondert genannt werden müssen (so auch BT-Drs. 17/2823, 38). Auch die Finanzverwaltung erblickt in der Ausübung eines Bezugsrechts keinen steuerbaren Vorgang mehr (vgl. BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Tz. 110; BMF-Schreiben vom 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Tz. 110). Diese Auffassung wird in der einschlägigen Literatur mehrheitlich geteilt (vgl. Jachmann/Lindenberg in: Lademann, EStG, § 20 Rz. 820; Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. Fa 55, Moritz/Strohm in: Frotscher, EStG, § 20 n.F. Rz. 338).
30 bb) Verwendet der Inhaber eines aus sog. Altanteilen abgespaltenen Bezugsrechts dieses zum Bezug junger Aktien, so begründet dies folglich noch keinen steuerbaren Vorgang im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG. Gleichwohl hat die Ausübung des Bezugsrechts aber zur Folge, dass wirtschaftlich ein Teil der in den bisherigen Altanteilen ruhenden stillen Reserven auf die hierfür bezogenen jungen Aktien übergeht. Im Zeitpunkt der Ausübung des aus den Altanteilen abgespaltenen Bezugsrechts gelten die jungen Aktien ferner als angeschafft (vgl. Jachmann/Lindenberg in: Lademann, EStG, § 20 Rz. 821; Hamacher/Dahm in: Korn, EStG, § 20 Rz. 416; BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Tz. 110; BMF-Schreiben vom 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Tz. 110). Die spätere Veräußerung der durch Ausübung eines Bezugsrechts erlangten Anteile unterliegt daher stets der Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG.
31 Im Falle einer Veräußerung der durch Ausübung von Bezugsrechten erworbenen jungen Aktien sind deren Anschaffungskosten im Rahmen der Ermittlung des Veräußerungsgewinns gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG nach Verwaltungsansicht mit den Anschaffungskosten des jeweils ausgeübten Bezugsrechts anzusetzen (vgl. BMF-Schreiben vom 22.12.2009, BStBl. I 2010, 94 Tz. 110; BMF-Schreiben vom 09.10.2012, BStBl. I 2012, 953 Tz. 110). Wird der Wert dieser Bezugsrechte nun nach Maßgabe der BMF-Schreiben vom 22.12.2009 (BStBl. I 2010, 94 Tz. 108) und 09.10.2012 (BStBl. I 2012, 953 Tz. 108) unabhängig davon, ob diese aus vor dem 01.01.2009 angeschafften Altanteilen oder nach dem 31.12.2008 erworbenen Anteilen abgespalten wurden, gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG mit 0 € angesetzt, kommt es in Höhe des tatsächlichen Werts der aus den Altanteilen abgespaltenen Bezugsrechte zu einer Wiederverstrickung der in den Altanteilen ruhenden stillen Reserven, falls diese wegen Ablaufs der Jahresfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits steuerfrei waren (so auch Buge in: Hermann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 20 EStG Rz. 588; Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. Fa 59 f.; Dötsch/Werner in: Dötsch/Pung/Möhlenbrock, Die KSt, § 20 EStG Rz. 301b; Jachmann/Lindenberg in: Lademann, EStG, § 20 Rz. 823; von Beckerath in: Kirchhof, EStG, 13. Aufl., § 20 Rz. 162). Insofern unterliegen aufgrund der Verwaltungspraxis im Ergebnis auch die ursprünglich in der Altaktie enthaltenen stillen Reserven, die auf das Bezugsrecht abgespalten wurden und die ohne Bezugsrechtsabspaltung nach Ablauf der einjährigen Spekulationsfrist steuerfrei hätten veräußert werden können, der vollen Besteuerung nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG.
32 4. Nach Auffassung des Senats ist die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG vor diesem Hintergrund im Wege der einschränkenden verfassungskonformen Auslegung bei Veräußerung junger Aktien, welche durch Ausübung von Bezugsrechten erworben wurden, die aus vor dem 01.01.2009 angeschafften Altanteilen abgespalten sind, nicht anzuwenden. Eine Anwendung der Vorschrift in derartigen Fällen verstieße aus Sicht des Senats sowohl gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner steuerlichen Ausprägung des Leistungsfähigkeitsprinzips als auch gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Verbot der Rückbewirkung von Rechtsfolgen (sog. echte Rückwirkung).
33 a) Eine Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG im Falle der Ausübung von Bezugsrechten aus Anteilen, die vor Einführung der Abgeltungsteuer erworben wurden und für die die Jahresfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. bereits abgelaufen ist, führt zu einer mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbaren steuerlichen Ungleichbehandlung der Ausübung derartiger Bezugsrechte und nachfolgender Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Aktien im Vergleich zum wirtschaftlich identischen Fall der unmittelbaren Veräußerung derartiger Bezugsrechte.
34 aa) Der allgemeine Gleichheitssatz im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet es, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Er gilt für ungleiche Belastungen wie auch für ungleiche Begünstigungen. Aus ihm ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Der Grundsatz der gleichen Zuteilung steuerlicher Lasten verlangt eine gesetzliche Ausgestaltung der Steuer, die den Steuergegenstand in den Blick nimmt und mit Rücksicht darauf eine gleichheitsgerechte Besteuerung des Steuerschuldners sicherstellt. Ausnahmen von dem jedenfalls für die Ertragsteuern und damit auch für die Einkommensteuer geltenden Gebot gleicher Besteuerung bei gleicher Ertragskraft bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes. Art. 3 Abs. 1 GG ist jedenfalls dann verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt (vgl. BFH-Beschluss vom 10.08.2011 – I R 39/10, BStBl II 2012, 603 m.w.N.).
35 bb) Im Bereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Entscheidungsspielraum. Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert, wird hier, insbesondere im Bereich des Einkommensteuerrechts, vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit. Danach muss im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abgezielt werden, Steuerpflichtige bei gleicher wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (horizontale Steuergerechtigkeit), während (in vertikaler Richtung) die Besteuerung höherer Einkommen im Vergleich mit der Steuerbelastung niedriger Einkommen angemessen sein muss. Bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands muss die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umgesetzt werden. Ausnahmen von einer solchen folgerichtigen Umsetzung bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes (vgl. BVerfG-Urteil vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210).
36 cc) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze wird nach Auffassung des Senats durch die Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf Bezugsrechte aus sog. Altaktien außerhalb der Jahresfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. das Prinzip der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verletzt.
37 Wie bereits vorstehend unter I.3.a) ausgeführt, führt die Veräußerung eines Bezugsrechts aus sog. Altanteilen, die bereits vor dem 01.01.2009 angeschafft wurden, weder zu einer Besteuerung des Veräußerungsgewinns nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG noch zu einer Wiederverstrickung der in diesen Anteilen ruhenden Substanz, wenn seit dem Erwerb der Anteile bereits mehr als ein Jahr verstrichen ist. Da der Anschaffungszeitpunkt der Altanteile im Falle der Veräußerung eines aus diesen abgespaltenen Bezugsrechts auf das Bezugsrecht selbst übergeht, ergeben sich für den Veräußerer somit nach Ablauf der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. keinerlei steuerliche Konsequenzen.
38 Im Falle der Ausübung eines Bezugsrechts aus bereits vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen und Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Aktien unterliegen die in den Altanteilen enthaltenen stillen Reserven, die nach Ablauf der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. eigentlich dem Besteuerungszugriff endgültig entzogen sein sollten, bei Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG demgegenüber der vollen Besteuerung im Rahmen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 EStG (vgl. vorstehend unter I.3.b)). Um dieses Ergebnis zu vermeiden könnte der Inhaber von vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen versuchen, sein im Zuge einer Kapitalerhöhung erworbenes Bezugsrecht aus derartigen Anteilen an einen Dritten zu veräußern, nachfolgend zurück zu erwerben und erst danach auszuüben. Der bei der Veräußerung des Bezugsrechts erzielte Gewinn bliebe in diesem Fall aufgrund der Übertragung des Anschaffungsdatums der Altanteile auf das veräußerte Bezugsrecht außerhalb der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. steuerfrei. Infolge des späteren Rückerwerbs der Bezugsrechte würden ferner – da § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG ausschließlich eine Regelung für die Bewertung der Substanzabspaltung aus den gehaltenen Anteilen, nicht jedoch für den Fall des abgeleiteten Erwerbs von einem Dritten trifft (vgl. vorstehend unter I.2. a.E.) – höhere Anschaffungskosten generiert, die im Rahmen der Veräußerungsgewinnermittlung nach § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG in Abzug zu bringen wären. Im Ergebnis würde durch ein solches Vorgehen folglich vermieden, dass die in den Altanteilen ruhenden und auf die Bezugsrechte abgespaltenen stillen Reserven auf die veräußerten jungen Anteile übergehen und dort steuerlich wiederverstrickt werden (vgl. Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 355; Meilicke, DB 2010, 753, 754).
39 Wirtschaftlich sind die vorstehend beschriebenen Vorgehensweisen aus Sicht des erkennenden Senats jedoch gleich zu bewerten. Es macht in wirtschaftlicher Hinsicht keinen wesentlichen Unterschied, ob der Inhaber eines Bezugsrechts aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Aktien dieses unmittelbar ausübt und die im Zuge dessen bezogenen jungen Aktien veräußert oder aber den beschriebenen „Umweg“ über eine vorherige Veräußerung des Bezugsrechts an einen Dritten mit nachfolgendem Rückerwerb, Ausübung des Bezugsrechts und anschließender Veräußerung der bezogenen jungen Anteile wählt. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Bezugsrechtsinhabers ist im zuerst genannten Fall nicht größer als im zuletzt genannten Fall, so dass kein hinreichender Grund dafür ersichtlich ist, die in den Altanteilen ruhenden stillen Reserven im ersteren Fall unter Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG der Besteuerung zu unterwerfen, während eine solche Besteuerung im letzteren Fall unterbleibt. Aus Sicht des erkennenden Senats erfolgt insoweit eine ungleiche steuerliche Behandlung von wirtschaftlich gleichen Sachverhalten und damit eine Einschränkung des aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitenden Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (so auch Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. Fa 60; Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 355).
40 dd) Der in der steuerlichen Ungleichbehandlung von Ausübung und Veräußerung von Bezugsrechten aus sog. Altanteilen liegende Eingriff in das Leistungsfähigkeitsprinzip lässt sich nach Auffassung des Senats auch nicht durch den mit Einführung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG verfolgten Gesetzeszweck rechtfertigen.
41 Nach der Rechtsprechung des BVerfG können Einschränkungen des Leistungsfähigkeitsprinzips aus Vereinfachungs- und Typisierungsgründen zwar grundsätzlich zulässig sein. Allerdings darf der Gewinn an Praktikabilität nicht durch einen beträchtlichen Verlust an Einzelfallgerechtigkeit erkauft werden (vgl. Hey in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 3 Rz. 145 ff.). Zudem müssen die gesetzlichen Vereinfachungsregeln auf einer möglichst breiten, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einschließenden Beobachtung aufbauen. Für eine gesetzliche Typisierung darf der Gesetzgeber daher keinen atypischen Fall als Leitbild wählen, sondern muss realitätsgerecht den typischen Durchschnittsfall als Maßstab zugrunde legen (vgl. u.a. BVerfG-Beschluss vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08, BVerfGE 122, 210 zur Pendlerpauschale).
42 Dies ist im Hinblick auf die vorliegend relevante Vereinfachungsregelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG jedoch aus Sicht des Gerichts nicht der Fall. Gerade in den Massenfällen der an der Börse gehandelten Aktien dürften Bezugsrechte mit einem Marktwert von 0 € nur äußerst selten vorkommen, da in einem solchen Fall die Kapitalerhöhung regelmäßig zum Scheitern verurteilt ist (vgl. Meilicke, DB 2009, 476, 477). Bezugsrechte abweichend von den wirtschaftlichen Gegebenheiten mit fiktiven Anschaffungskosten von 0 € anzusetzen, widerspricht daher dem bei der Schaffung von Vereinfachungszwecknormen zu beachtenden Gebot der realitätsgerechten Orientierung des Gesetzgebers am Durchschnittsfall. Sofern eine Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG im Einzelfall – wie vorliegend – zu einer „Besteuerung ohne Leistungsfähigkeit“ führt, lässt sich dies folglich nicht durch die mit Einführung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG verfolgten Vereinfachungszwecke rechtfertigen.
43 Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass die mit § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG bezweckte Vereinfachung für die Kreditinstitute in der weit überwiegenden Zahl der Fälle auch dann erreicht werden dürfte, wenn die Regelung auf die Ausübung von Bezugsrechten aus Altanteilen, die vor dem 01.01.2009 angeschafft wurden, keine Anwendung fände. Selbst wenn in dieser speziellen Konstellation zur Vermeidung einer steuerlichen Ungleichbehandlung und Wiederverstrickung der in den Altanteilen ruhenden stiller Reserven entsprechend der bis 31.12.2008 geltenden Rechtslage weiterhin nach der sog. Gesamtwertmethode verfahren würde, ergäbe sich hieraus lediglich in einer überschaubaren Anzahl von Fällen und zudem zeitlich begrenzt die Notwendigkeit, den Wert des abgespaltenen Bezugsrechts mit einem entsprechenden Verwaltungsaufwand zu ermitteln. Dass der mit § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG verfolgte Vereinfachungszweck bei Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm auf Bezugsrechte aus nach dem 31.12.2008 erworbenen Anteilen gänzlich verfehlt würde, ist für das Gericht jedenfalls nicht erkennbar. Sofern es aber mehrere, gleich effektive Möglichkeiten zur Verwaltungsvereinfachung und Verfahrenserleichterung gibt, hat der Gesetzgeber die für den Steuerpflichtigen am wenigsten belastende zu wählen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 17.11.2009 – 1 BvR 2192/05, BVerfGE 125, 1).
44 b) Eine Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG im Fall der Ausübung eines Bezugsrechts aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Anteilen und anschließender Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Anteile verstößt nach Auffassung des Senats ferner gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG folgende Verbot der steuerlichen Rückbewirkung von Rechtsfolgen bzw. der sog. „echten“ Rückwirkung.
45 aa) Das BVerfG unterscheidet in seiner Rechtsprechung zwischen einer – grundsätzlich unzulässigen – „echten“ Rückwirkung und einer „unechten“ Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung liegt danach vor, wenn die Rechtsfolge einer Norm mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt der Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“). Im Steuerrecht liegt eine echte Rückwirkung nur dann vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. BVerfG-Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07, BVerfGE 132, 302). Soweit belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach deren Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem Sachverhalt ausgelöst werden, der bereits ins Werk gesetzt ist, liegt demgegenüber eine unechte Rückwirkung vor („tatbestandliche Rückanknüpfung“), an deren Zulässigkeit grundsätzlich andere Anforderungen als an die einer echten Rückwirkung zu stellen sind.
46 bb) Hiervon ausgehend führt eine Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG in Fällen der Ausübung von Bezugsrechten aus bereits vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen nach Ablauf der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. zu einer echten Rückwirkung im Sinne der Rechtsprechung des BVerfG. Wie bereits vorstehend unter I.3.a) dargestellt, werden infolge der Anwendung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG in Fällen der vorgenannten Art die in den Altanteilen ruhenden stillen Reserven, welche nach Ablauf der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. dem Besteuerungszugriff eigentlich endgültig entzogen sind, steuerlich wiederverstrickt und bei Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Aktien im Rahmen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG der Besteuerung unterworfen. Hierdurch kommt es im Ergebnis zu einem nachträglich ändernden Eingriff in einen bereits vollständig abgeschlossenen Sachverhalt, indem die nach Ablauf der Jahresfrist steuerfreie Substanz der Altanteile nachträglich wieder in die steuerliche Sphäre hineingezogen wird. Dies stellt nach der Diktion des BVerfG einen Fall der „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“ dar, da der mit Ablauf der Jahresfrist nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. endgültig erloschene Besteuerungsanspruch hinsichtlich der in den Altanteilen ruhenden stillen Reserven nachträglich wiederauflebt.
47 cc) Eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung der insoweit vorliegenden echten Rückwirkung aufgrund der mit § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG verfolgten Praktikabilitätserwägungen kommt aus Sicht des erkennenden Senats nicht in Betracht.
48 Eine echte Rückwirkung bzw. Rückbewirkung von Rechtsfolgen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig (vgl. u.a. BVerfG-Urteil vom 07.07.2010 – 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BVerfGE 127, 1). Der Eingriff in einen bereits abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt, durch die Anordnung, dass eine Rechtsfolge schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten soll, ist besonders einschneidend und daher grundsätzlich ausgeschlossen. Denn der Gesetzgeber greift mit der Rückbewirkung von Rechtsfolgen nicht nur in Dispositionen des Steuerpflichtigen ein, sondern er verstößt zusätzlich auch gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit, welches das Vertrauen in den Bestand der ursprünglich geltenden Rechtsfolgenlage schützt und seinen verfassungsrechtlichen Grund im Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG findet. Dieses erlaubt grundsätzlich nur solche belastenden Gesetze, deren Rechtsfolgen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Der von einem Gesetz Betroffene muss grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer Neuregelung darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Es würde den Einzelnen in seiner Freiheit erheblich gefährden, dürfte die öffentliche Gewalt an sein Verhalten oder an ihn betreffende Umstände im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen knüpfen, als sie zum Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens galten. Das BVerfG hält die Rückbewirkung von Rechtsfolgen daher grundsätzlich für unzulässig, ohne dass es – anders als bei der „unechten“ Rückwirkung bzw. tatbestandlichen Rückanknüpfung – einer Betätigung des Steuerpflichtigen im Vertrauen auf die alte Rechtslage bedürfte (vgl. BVerfG-Urteil vom 27.06.1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239; BVerfG-Beschlüsse vom 03.12.1997 – 2 BvR 882/97, BVerfGE 97, 67 und vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200).
49 Für die Rechtfertigung einer echten Rückwirkung bestehen somit hohe Anforderungen, zumal es insoweit um eine Einschränkung des Vertrauensschutzes geht. Eine Ausnahme vom Grundsatz der Unzulässigkeit einer Rückbewirkung von Rechtsfolgen ist nur dann vorzunehmen, wenn der im Einzelfall betroffene Bürger kein schutzwürdiges Vertrauen hatte oder die Rückwirkung durch zwingende Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist, z.B. bei bisher unklarer, verworrener oder lückenhafter Rechtslage bzw. wenn die Betroffenen mit einer Neuregelung rechnen mussten (vgl. BVerfG-Entscheidung vom 19.12.1961 – 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261; BVerfG-Beschluss vom 15.10.2008 – 1 BvR 1138/06, HFR 2009, 187 m.w.N.; BVerfG-Urteil vom 23.11.1999 – 1 BvF 1/94, BVerfGE 101, 239), oder wenn es sich lediglich um eine gesetzliche Klarstellung der bereits geltenden Rechtslage handelt (vgl. BFH-Urteil vom 15. April 2010 – IV R 5/08, BStBl II. 2010, 912; Sachs in: Sachs, GG, 3. Aufl., Art. 20 Rz. 134).
50 Vorliegend ist jedoch keines der vorgenannten Kriterien erfüllt. In Fällen wie dem vorliegenden Streitfall entfaltet die Regelung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG konstitutive Wirkung und stellt nicht lediglich klar, was schon vor Einführung dieser Regelung im Zuge des Jahressteuergesetzes 2009 galt. Auch wurde durch die Regelung keine unklare (sondern lediglich eine aus Sicht der Kreditinstitute „unbequeme“) Rechtslage beseitigt. Ebenso wenig kann dem Kläger im vorliegenden Fall wegen Absehbarkeit der Gesetzesänderung ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Fortbestand einer sich nach Ablauf der Jahresfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. ergebenden Steuerfreiheit der in den von ihm gehaltenen Altanteilen ruhenden stillen Reserven abgesprochen werden. Die Gesetzesmaterialien zu § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG begründen die Einführung der Norm zudem allein damit, dass die Ermittlung von Bezugsrechtswerten nach der Gesamtwertmethode die Kreditinstitute in vielen Fällen vor gravierende Probleme stelle, die letztlich keiner befriedigenden Lösung zugeführt werden könnten. Bloße Erwägungen der Vereinfachung und Verfahrenserleichterung reichen zur Rechtfertigung einer echten Rückwirkung aber nicht aus.
51 c) Bei Zugrundelegung eines dem Gebot der verfassungskonformen Auslegung folgende Verständnisses des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG kann die Regelung nach Ansicht des erkennenden Senats daher entgegen der Verwaltungsauffassung in Fällen, in denen junge Anteile aus Bezugsrechten veräußert werden, die aus vor dem 01.01.2009 angeschafften und nicht mehr nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. steuerverstrickten Altanteilen abgespalten wurden, nicht zur Anwendung gelangen (für eine verfassungskonform einschränkende Auslegung in diesen Fällen auch Jochum in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 20 Rz. Fa 60; Schmitt-Homann, BB 2010, 351, 355).
52 aa) Die verfassungskonforme Auslegung einer gesetzlichen Regelung ist zulässig und auch geboten, wenn diese mehrere Deutungen zulässt, von denen nur eine zu einem verfassungsmäßigen Ergebnis führt (vgl. BFH-Urteil vom 18.05.1994 – IV R 85/93, BStBl II 1995, 67). Bei verschiedenen Auslegungsmöglichkeiten einer Norm ist der mit Verfassungsrecht vereinbaren Auslegung grundsätzlich der Vorzug zu geben, da davon ausgegangen werden kann, dass der Gesetzgeber im Zweifel eine verfassungskonforme Ausgestaltung bezweckt hat (vgl. Englisch in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 21. Aufl., § 5 Rn. 92 f. m.w.N.).
53 Dieser Grundsatz erlaubt es allerdings nicht, jede überschießende Norm auf ihr verfassungsrechtlich zulässiges Maß zu reduzieren. Die verfassungskonforme Auslegung findet – wie jede Form der Auslegung – ihre Grenze an dem eindeutigen Wortlaut und dem Sinn und Zweck der betreffenden gesetzlichen Vorschrift. Dies bedeutet, dass sich aus dem Wortlaut der einzelnen Norm oder dem Systemzusammenhang der Vorschriften im Gesetz insgesamt zumindest ein Anhaltspunkt für die ins Auge gefasste verfassungskonforme Auslegung ergeben muss. Ist dies nicht der Fall, würde durch die Auslegung der normative Regelungsinhalt erst geschaffen oder neu bestimmt. Dies kann jedoch nicht durch die Gerichte geschehen, weil sie damit einen Akt der Rechtsetzung vornehmen würden, welcher dem Gesetzgeber vorbehalten ist (vgl. u.a. BVerfG-Beschluss vom 22.06.1977 – 1 BvL 23/75, BVerfGE 45, 393; vom 16.12.2003 – IX R 46/02, BStBl II 2004, 284).
54 bb) Der Wortlaut des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG lässt nach Auffassung des Senats mehrere Deutungen hinsichtlich der zeitlichen Anforderungen an die in den Anwendungsbereich der Regelung fallenden Bezugsrechte bzw. die diesen zugrunde liegenden Anteile zu. Die Vorschrift differenziert bezüglich des Ansatzes von Bezugsrechten mit fiktiven Anschaffungskosten von 0 € nicht ausdrücklich danach, ob es sich insoweit um Bezugsrechte handelt, die aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Altanteilen abgespalten wurden oder aber um Bezugsrechte aus nach dem 31.12.2008 angeschafften Anteilen. Der offene Gesetzeswortlaut steht einer Auslegung dahingehend, dass § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG ausschließlich auf solche Bezugsrechte Anwendung findet, denen Anteile zugrunde liegen, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden, somit nicht entgegen. Im Gegensatz zur Finanzverwaltung in den BMF-Schreiben vom 22.12.2009 und 09.10.2012 hat sich der Gesetzgeber zu den an die Bezugsrechte nach § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG zu stellenden zeitlichen Anforderungen nicht geäußert.
55 cc) Sinn und Zweck der Regelung stehen einer Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf Bezugsrechte aus nach dem 31.12.2008 erworbenen Anteilen ebenfalls nicht entgegen.
56 Wie bereits ausgeführt verfolgte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG ausweislich der Gesetzesbegründung den Zweck, eine Vereinfachung für die Kreditinstitute bei der Bewertung von Bezugsrechten zu schaffen. Dieser Zweck wird jedoch auch dann noch erreicht, wenn Bezugsrechte aus Anteilen, die vor dem 01.01.2009 erworben wurden, aus dem gesetzlichen Anwendungsbereich der Norm ausgenommen werden und insoweit weiterhin nach der bis zum 31.12.2008 anzuwendenden Gesamtwertmethode verfahren wird (vgl. bereits vorstehend unter I.4.a)dd.)). Dafür, dass eine derartige Auslegung der Norm dem § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG zugrunde liegenden gesetzgeberischen Wille zuwiderlaufen würde, bestehen aus Sicht des erkennenden Senats keinerlei Anhaltspunkte. Angesichts der allein auf Vereinfachungszwecke abstellenden Gesetzesbegründung zu § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG ist vielmehr zu vermuten, dass sich der Gesetzgeber bei Schaffung der Vorschrift der Tatsache, dass eine Anwendung der Norm auf Bezugsrechte, die aus vor dem 01.01.2009 angeschafften Altanteilen abgespalten wurden, zu einer steuerlichen Wiederverstrickung eigentlich steuerfreier stiller Reserven und damit zu einer echten Rückwirkung führen kann, nicht bewusst war, eine solche Rechtsfolge aber unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten hätte vermeiden wollen, wenn er sie erkannt hätte.
57 Auch der Gesetzeszusammenhang mit den Regelungen des § 52a Abs. 10 Satz 1 und 4 EStG spricht aus Sicht des Gerichts für eine Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auf Bezugsrechte aus Anteilen, die erst nach dem 31.12.2008 angeschafft wurden. Die Regelung des § 52a Abs. 10 Satz 1 EStG bestimmt, dass der Tatbestand des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG erstmals auf Gewinne aus der Veräußerung von Anteilen anzuwenden ist, die nach dem 31.12.2008 erworben wurden. Hieraus ist zu abzuleiten, dass steuerlich nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. nicht mehr verstrickte stille Reserven aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Anteilen nach dem Willen des Gesetzgebers nicht nachträglich im Zuge der Einführung der Abgeltungsteuer einer Besteuerung im Rahmen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG unterworfen werden sollen. Diese Bestandsschutzregelung würde jedoch durchbrochen, wenn entsprechend der Verwaltungspraxis Bezugsrechte im Rahmen der Veräußerungsgewinnermittlung gemäß § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG auch dann mit Anschaffungskosten von 0 € anzusetzen wären, wenn sie aus vor dem 01.01.2009 angeschafften Anteilen abgeleitet sind. Ein solches Ergebnis kann bei Einführung des § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG nicht im Sinne des Gesetzgebers gewesen sein.
58 dd) Nach alledem muss § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG in Fällen wie dem vorliegenden Streitfall somit im Wege der einschränkenden verfassungskonformen Auslegung unangewendet bleiben. Der gegenteiligen, in den BMF-Schreiben vom 22.12.2009 und 09.10.2012 zum Ausdruck kommenden Auffassung der Finanzverwaltung ist aus Sicht des erkennenden Senats nicht zu folgen.
59 Bei Veräußerung junger Anteile, welche durch Verwendung von Bezugsrechten erworben wurden, die aus bereits vor dem 01.01.2009 angeschafften Altanteilen abgespalten sind, ist daher abweichend von § 20 Abs. 4a Satz 4 EStG – entsprechend der bis Ende 2008 geltenden Rechtslage – neben der geleisteten Einlage auch der tatsächliche Wert der Bezugsrechte als Anschaffungskosten der neuen Anteile anzusetzen (so auch Moritz/Strohm in: Frotscher, EStG, § 20 n.F. Rz. 338). Dieser betrug im vorliegenden Streitfall – was zwischen den Beteiligten unstreitig ist – 72 €. Dementsprechend sind die im Streitjahr erzielten Einkünfte der Kläger aus Kapitalvermögen um 72 € zu vermindern und die Einkommensteuer für 2010 ist entsprechend herabzusetzen.
60 II. Die Übertragung der Berechnung der festzusetzenden Steuer auf den Beklagten beruht auf § 100 Abs. 2 Satz 2 FGO.
61 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 151 Abs. 3, 155 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
62 IV. Der Senat lässt gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO die Revision zu, da die Frage, mit welchem Wert ein Bezugsrecht, welches aus vor dem 01.01.2009 erworbenen Anteilen abgespalten wurde, im Falle der Ausübung des Bezugsrechts und Veräußerung der hierfür bezogenen jungen Aktien nach dem 31.12.2008 im Rahmen der Veräußerungsgewinnermittlung anzusetzen ist, von grundsätzlicher Bedeutung ist, (höchstrichterliche) Entscheidungen zu dieser Frage bislang nicht vorliegen und die hierzu seitens der Finanzverwaltung vertretene Auffassung nicht haltbar erscheint.