FG München: Scheinrenditen aus einem Schneeballsystem im Abgeltungssteuersystem
FG München, Urteil vom 27.10.2017 – 2 K 956/16
Volltext: BB-Online B BL2018-468-4
→ Das FG hat die Revision zugelassen.
Aus den Gründen
I.
Streitig ist, ob Kapitalerträge bei der Einkommensteuerveranlagung zu erfassen sind.
Die Klägerin wurde in den Streitjahren einzeln zur Einkommensteuer veranlagt.
Sie überließ dem seit dem Jahr 1996 unter der Firma A1 selbständig tätigen Finanzdienstleister ... seit mindestens September 2009 Geldbeträge zum Erwerb verbilligter Mitarbeiteraktien.
Im Rahmen eines ab dem Jahr 2013 gegen ... wegen Anlagebetrugs geführten Strafverfahrens ergab sich, dass die Geldanlagen bei der A1 - in Unkenntnis der Anleger - nicht vertragsgemäß angelegt wurden, sondern dass ... diese zur Auszahlung anderer Anleger, für Provisionszahlungen an Vermittler und für seinen eigenen Lebensunterhalt verwendete (sog. Schneeballsystem). Von der im Ermittlungszeitraum vereinnahmten Gesamtanlagesumme i.H.v. 56.052.713,64 € nahm er im selben Zeitraum - zur Aufrechterhaltung des Schneeballsystems-Auszahlungen an Anleger i.H.v. 42.387.763,09 € vor.
Im Zeitraum vom 1. Januar 2009 bis Mitte 2013 erwarb er keinerlei Mitarbeiteraktien und hielt auch kein angeblich hierfür bei der … Y.-. Bank geführtes Depot (vgl. Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 26. Februar 2015 3 KLs 508 Js 1516/12, Finanzgerichtsakte - FG-A, Bl 113 ff., rechtskräftig, vgl. Beschluss des Bundesgerichtshofs - BGH vom 2. März 2016 1 StR 433/15, wistra 2016, 231).
X/ A1 erteilte der Klägerin in den Streitjahren wahrheitswidrige Abrechnungen zum „Aktienhandel Einkauf und Verkauf“ („Wertpapierabrechnungen“) mit Ausweis des angeblichen Aktienbestands auf einem Depot … Darin war u.a. je Aktienart der „Verkaufsbetrag“ ausgewiesen, von dem -neben jeweils ausgewiesenen „Bankkosten/Börsenspesen“, „Blockkosten“ und „Kosten A1“- eine ebenfalls jeweils ausgewiesene „Abgeltungssteuer“ nebst „Solidaritätszuschlag“ in Abzug gebracht wurde. Der sich hieraus ergebende Betrag war unter der Position „Ergebnis“ ausgewiesen. Schließlich waren unter der Position „Berechnung für die AgSt“ jeweils der um Einkaufswert und Bankkosten/Börsenspesen geminderte „Verkaufsbetrag“ („Betrag AgSt“) ausgewiesen (vgl. EA, Bl. 5, 9, 12, 15, 16, 21 sowie Einkommensteuerakte -ESt-A- 2012, 21).
X/ A1 überwies der Klägerin die „Ergebnisse“ laut „Wertpapierabrechnungen“ und erteilte ihr hierzu auch „Depotauszüge“ (vgl. EA, Bl. 6-8, 10f., 13f., 17-20, 22f. nebst - nicht vollständig vorliegendenÜberweisungsquittungen).
Die Klägerin stellte in ihren Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre, denen sie die „Wertpapierabrechnungen“ beifügte, jeweils einen Antrag auf Günstigerprüfung sowie auf Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge, und gab bei den Einkünften aus Kapitalvermögen den „Betrag AgSt“ i.H.v. insgesamt 119.187 € (2012) und einen Betrag i.H.v. 23.543 € (2013) als Veräußerungsgewinne sowie die „Abgeltungssteuer“ i.H.v. insgesamt 29.796,87 € (2012) und i.H.v. 5.807,75 € (2013) als Kapitalertragssteuerabzugsbeträge an (vgl. ESt-A 2012, Bl. 1, 25; ESt-A 2013, Bl. 3, 7f.).
Der Beklagte (Finanzamt -FA-) erließ insoweit erklärungs- und antragsgemäß, also unter Einbeziehung der als Veräußerungsgewinne erklärten Beträge in die Veranlagung und unter Anwendung des (günstigeren) Abgeltungssteuersatzes hierauf einen Einkommensteuerbescheid 2012 vom 2. Mai 2014 (festgesetzte Einkommensteuer: 67.808 €) sowie einen Einkommensteueränderungsbescheid 2013 vom 27. März 2015 (festgesetzte Einkommensteuer: 44.176 €), die beide bestandskräftig wurden.
In denselben Bescheiden rechnete es die erklärten Kapitalertragssteuerabzugsbeträge im Anrechnungsteil auf die festgesetzten Einkommensteuern an.
Im Wege einer Kontrollmitteilung vom 4. Mai 2015 erhielt das FA u.a. Kenntnis davon, dass es sich bei den o.g. Veräußerungsgewinnen um Scheinrenditen handelte, die „Wertpapierabrechnungen“ wahrheitswidrig erteilt wurden, sowie davon, dass die darin ausgewiesene „Abgeltungssteuer“ weder angemeldet noch abgeführt wurde, noch hierfür eine (ordnungsgemäße) Steuerbescheinigung erteilt wurde (Kontrollmitteilung Steuerfahndung des Finanzamts …-KM-Steufa vom 4. Mai 2015, EA, Bl. 1 ff.).
Daraufhin erließ das FA am 8. Juni 2015 unter Anwendung der Korrekturnorm des § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) einen „Einkommensteueränderungsbescheid“ 2012 mit unverändert festgesetzter Einkommensteuer i.H.v. 67.808 € und unverändertem Ansatz der als Veräußerungsgewinne erklärten Beträge bei den Einkünften aus Kapitalvermögen und Anwendung des Abgeltungssteuertarifs (25%) hierauf.
Für das Streitjahr 2013 erließ das FA am 8. Juni 2015 einen auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO gestützten Einkommensteueränderungsbescheid 2013, in dem es anstelle des bisher als Veräußerungsgewinn erklärten Betrags (23.543 €) den niedrigeren „Betrag AgSt“ bei den ebenfalls mit dem Abgeltungstarif versteuerten Einkünften aus Kapitalvermögen ansetzte und die Einkommensteuer 2013 auf 44.115 € herabsetzte.
In beiden Streitjahren rechnete das FA im Anrechnungsteil der Bescheide die erklärten Kapitalertragssteuerabzugsbeträge nicht mehr auf die festgesetzte Einkommensteuer an.
Ihre gegen die Einkommensteuerbescheide vom 8. Juni 2015 gerichteten Einsprüche begründete die Klägerin damit, dass ihrerseits eine Erklärung der „Beträge AgSt“ bei den Einkünften aus Kapitalvermögen wegen eingetretener Abgeltungswirkung nicht erforderlich gewesen sei, da in den „Wertpapierabrechnungen“ jeweils Kürzungen um die Abgeltungssteuer vorgenommen und an die Klägerin auch nur die gekürzten Beträge ausgezahlt worden seien. Da die Klägerin keine Kenntnis davon gehabt habe, dass die Abgeltungssteuer nicht, jedenfalls nicht einzeln und anlegerbezogen, abgeführt worden sei, habe sie auch nicht nach § 44 Abs. 5 S. 2 EStG gehaftet. Unabhängig davon sei X/ A1 zu einer Auszahlung an die Anleger in der Mehrzahl der Fälle weder fähig noch willens gewesen.
Das FA wies die Einsprüche mit Einspruchsentscheidungen vom 4. März 2016 als unbegründet zurück, gestützt darauf, dass auch Scheinrenditen aus der für die Einkünftequalifikation maßgeblichen Anlagerperspektive zu steuerbaren Einnahmen führten und zwar so, wie sie sich bei objektiver Betrachtung aus dem vorgetäuschten Rechtsgeschäft und anhand der Mitteilungen des Schneeballsystembetreibers ergäben. Dagegen sei die Abgeltungswirkung aufgrund der für die Frage des Kapitalertragssteuerabzugs maßgeblichen tatsächlichen Verhältnisse, also hier mangels eines tatsächlichen Steuerabzugs, nicht eingetreten.
Zur Begründung ihrer Klagen trägt die Klägerin ergänzend vor, dass hinsichtlich der streitigen Einkünfte aus Kapitalvermögen die Abgeltungswirkung des § 43 Abs. 5 S. 1, 1. Hs. EStG eingetreten und kein Ausnahmetatbestand des § 43 Abs. 1 S. 1, 2. Hs. EStG erfüllt sei.
§ 43 Abs. 5 S. 1, 1.Hs. EStG erfasse alle Einkünfte, die (dem Grunde nach) der Kapitalertragsteuer unterlägen. Bei den streitigen Einnahmen aus Aktienveräußerungen habe es sich um der Abgeltungssteuer zu unterwerfende und damit an der Quelle zu besteuernde Einnahmen gehandelt. Eine Interpretation dahingehend, dass eine Abgeltungswirkung nicht eintrete, soweit die Kapitalerträge nicht tatsächlich dem Kapitalertragssteuerabzug unterlegen hätten, sei falsch.
Abgesehen davon sei der Steuerabzug auch tatsächlich vorgenommen worden. Der Gesetzgeber habe klar zwischen den Begriffen „Steuerabzug“ und „Abführen der Kapitalertragssteuer“ und „Auszahlung“ unterschieden. „Steuerabzug“ verstehe sich ausschließlich als Subtraktion im Sinne einer Abrechnung. Laut den „Wertpapierabrechnungen“ habe X/ A 1, der als ein inländisches Finanzdienstleistungsinstitut Schuldner der Kapitalerträge gewesen sei, für die Berechnungen der Auszahlungen die Kürzungen um die Abgeltungssteuer vorschriftsmäßig vorgenommen. Auf die Frage, ob es sich bei den „Wertpapierabrechnungen“ um Depotauszüge oder gar fingierte Depotauszüge gehandelt habe, könne es nicht ankommen. Im vorliegenden Fall sei daher die Einkommensteuer aufgrund des vollständig und zutreffend erfolgten Steuerabzugs abgegolten.
Dass die Versteuerung an der Quelle angeblich nicht vorgenommen worden sei, könne der Klägerin nicht angelastet werden. Insoweit sei im Übrigen das FA beweispflichtig.
Es fehle auch an den gesetzlichen Voraussetzungen für die normierte Ausnahme zur Abgeltungswirkung nach § 43 Abs. 5 S. 1, 2. Hs. EStG, da die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Klägerin als Gläubigerin der Kapitalerträge gemäß § 44 Abs. 5 S. 2 EStG nicht vorlägen. Insbesondere sei die Klägerin weder bösgläubig im Sinne des § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 EStG gewesen, noch sei eine „Auszahlung“ an sie erfolgt im Sinne des § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 EStG.
Im Übrigen seien die vom FA zum Ansatz gebrachten, veranlagten Kapitaleinkünfte i.H.v. 119.187 € im Streitjahr 2012 und i.H.v. 23.231 € im Streitjahr 2013 aus den vorliegenden Unterlagen nicht plausibel nachzuvollziehen. Hierfür sei das FA darlegungs- und beweispflichtig. Es falle bereits jetzt auf, dass das FA allein den Einkaufswert, nicht jedoch weiter-gehende Anschaffungskosten, z.B. für die „Kursabsicherung“ sowie weitere Veräußerungskosten berücksichtigt habe.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung der Bescheide vom 8. Juni 2015 und der Einspruchsentscheidungen vom 4. März 2016 die Einkommensteuer 2012 und 2013 jeweils ohne Ansatz der Gewinne aus der Veräußerung von Aktien i.H.v. 119.187 € im Streitjahr 2012 und i.H.v. 23.231 € im Streitjahr 2013 festzusetzen, und hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Das FA beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Höhe der angesetzten Einnahmen aus Aktienverkäufen ergäbe sich aus den Angaben der Klägerin im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärungen. Bei der Ermittlung der veranlagten Veräußerungsgewinne seien Bankkosten und Börsenspesen jeweils abgezogen worden. Der Nachweis weiterer Werbungskosten bliebe der Klägerin unbenommen. Im Rahmen der angefochtenen Einkommensteueränderungsbescheide sei die Anrechnung der Kapitalertragssteuer rückgängig gemacht worden. Nach derzeitigem Kenntnisstand des FA hätten die Veräußerungsgewinne laut „Wertpapierabrechnungen“ keinem Steuerabzug unterlegen. Es habe offenbar keine Anmeldung oder Abführung der Kapitalertragssteuer statt gefunden. Eine Anrechnung der Beträge im Rahmen des persönlichen Besteuerungsverfahrens sei somit per se ausgeschlossen gewesen, die Abgeltungswirkung sei nicht eingetreten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Aufklärungsanordnung vom 24. August 2017 und das Protokoll über die mündliche Verhandlung verwiesen.
II.
Die Klage ist nur teilweise begründet.
1. Die Klage wegen Einkommensteuer 2012 ist unbegründet.
Der gegen den „Einkommensteueränderungsbescheid“ 2012 vom 8. Juni 2015 gerichtete Einspruch ist als unzulässig zu verwerfen gewesen. Der Verfahrensmangel der fehlerhaften Zurückweisung als unbegründet wirkt sich aber im Ergebnis nicht aus.
1.1. Gemäß § 358 S. 1 und 2 Abgabenordnung (AO) hat die zur Entscheidung über den Einspruch berufene Finanzbehörde, wenn es an einer der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Einspruchs mangelt, den Einspruch als unzulässig zu verwerfen (§ 358 S.2 AO).
Gemäß § 351 Abs. 1 AO können Verwaltungsakte, die unanfechtbare Verwaltungsakte ändern, nur insoweit angegriffen werden, als die Änderung reicht, es sei denn, dass sich aus den Vorschriften über die Aufhebung und Änderung von Verwaltungsakten etwas anderes ergibt.
Die Vorschrift begrenzt die Anfechtbarkeit und damit auch die durch den Einspruch bewirkte Änderbarkeit eines Änderungsbescheids auf den Umfang der Änderung und stellt damit u.a. klar, dass es im Übrigen bei der zuvor eingetretenen Bestandskraft bleibt (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember 2015 X R 56/13, BStBl II 2016, 967).
Hiervon ausgehend ist der Einspruch gegen den „Einkommensteueränderungsbescheid“ 2012 vom 8. Juni 2015 unzulässig gewesen.
Das folgt daraus, dass es sich bei dem „Einkommensteueränderungsbescheid“ vom 8. Juni 2015 um eine wiederholende Verfügung und nicht um einen Änderungsbescheid im Sinne des § 351 Abs. 1 AO handelt, da die zuvor ergangene Einkommensteuerfestsetzung vom 2. Mai 2014 weder in Bezug auf die festgesetzte Einkommensteuer noch in Bezug auf die darin angesetzten Besteuerungsgrundlagen geändert worden ist.
Der Einkommensteuerbescheid 2012 vom 2. Mai 2014 hat entgegen der Behauptung der Klägerin auch Bestandskraft erlangt, da das in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Einspruchsschreiben vom 15. Mai 2014 eindeutig nicht gegen den Einkommensteuerbescheid 2012 vom 2. Mai 2014, sondern gegen den Einkommensteuerbescheid 2011 desselben Datums gerichtet ist. Diesem Einspruch wurde im Übrigen durch antragsgemäße Verlustverrechnung (Verlustrücktrag) inhaltlich in vollem Umfang abgeholfen mit Einkommensteueränderungsbescheid 2011 vom 11. Juni 2014 (FG-A, Bl. 170; vgl. auch zeitgleichen Einspruch gegen den Verlustfeststellungsbescheid zum 31. Dezember 2012, ESt-A 2012, Bl. 28).
Geändert hat das FA die bestandskräftigen -zusammengefasstenVerwaltungsakte vom 2. Mai 2014 ausschließlich insoweit, als es die seitens der Klägerin erklärte Kapitalertragsabzugsteuer nicht mehr auf die festgesetzte Einkommensteuer angerechnet hat. Diese unter § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG fallende Anrechnung von Kapitalertragssteuer auf die festgesetzte Einkommensteuer erfolgt jedoch nicht im Einkommensteuerfestsetzungs-, sondern im Einkommensteuererhebungsverfahren durch Anrechnungsverfügung, also einen vom Steuerbescheid getrennten Verwaltungsakt (Loschelder in Schmidt, EStG, 36. Aufl., § 36, Rz 30 m.w.N. zur BFH-Rechtsprechung).
„Etwas Anderes“ im Sinne des § 351 Abs. 1 AO, also eine die Bestandskraft durchbrechende Änderung der Einkommensteuerfestsetzung, ergibt sich auch nicht daraus, dass das FA fehlerhaft die nur auf Steuerbescheide anwendbare Änderungsvorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (anstatt richtigerweise die Regelungen der §§ 130,131 AO) herangezogen hat. Denn für die Frage, welcher Verwaltungsakt geändert worden ist, kommt es allein auf die tatsächlich geänderte Regelung an. Das ist hier ausschließlich die Nichtanrechnung von Abzugssteuern in der Anrechnungsverfügung. Darüber hinaus hat das FA auch im Erläuterungstext klar seinen Regelungswillen dahingehend zum Ausdruck gebracht, dass es aufgrund der KM-Steufa lediglich die Steueranrechnungsbeträge nicht mehr anerkannt hat.
Schließlich kann die Klägerin eine Durchbrechung der Bestandskraft auch nicht dadurch für sich in Anspruch nehmen, dass sie mit ihrem Einspruch sinngemäß ihre unbefristeten Antragsrechte nach § 32d Abs. 4 EStG und § 32d Abs. 6 EStG widerrufen hat. Denn die geänderte Ausübung eines Antrags- oder Wahlrechts stellt für sich genommen keine verfahrensrechtliche Grundlage für eine Änderung von Bescheiden dar (vgl. BFH in BStBl II 2016, 967; in BStBl II 2017, 821, für Antragsrecht nach § 32d Abs. 4 EStG; BFH-Urteil vom 12. Mai 2015 VIII R 14/13, BStBl II 2015, 806, für Antragsrecht nach § 32d Abs. 6 EStG). Vielmehr ist die Änderung unbefristeter Wahl- und Antragsrechte nur im Rahmen des § 42 FGO i.V.m. § 351 AO zuzulassen, also wenn und soweit die Finanzbehörde die zuvor eingetretene formelle Bestandskraft selbst durch den Erlass eines Änderungsbescheids durchbricht (vgl. Levedag in Gräber, FGO, 8. Aufl., § 42, Rz, 27; BFH-Urteil in BStBl II 2016, 967).
1.2. Der ausdrücklich und damit eindeutig gegen den wiederholenden „Einkommensteueränderungsbescheid 2012“ vom 8. Juni 2015 gerichtete und damit ins Leere gehende Einspruch kann auch nicht als Korrekturantrag gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO in Bezug auf den nicht klagegegenständlichen Einkommensteuerbescheid vom 2. Mai 2014 ausgelegt werden.
1.3. Der in dem Verstoß gegen § 358 S. 2 AO liegende Verfahrensmangel wirkt sich letztlich nicht aus, weshalb die Klage i.S. Einkommensteuer 2012 unbegründet ist.
Ein Verfahrensmangel, der darin liegt, dass die Finanzbehörde einen unzulässigen Einspruch entgegen § 358 S. 2 AO als unbegründet zurückgewiesen hat, wirkt sich jedenfalls dann nicht aus, wenn sich die Wirkungen des als unbegründet zurückgewiesenen Einspruchs im konkreten Fall nicht von einem als unzulässig verworfenen Einspruch unterscheiden und ist daher aus verfahrensökonomischen Gründen hinnehmbar (vgl. Seer in Tipke/Kruse –T/K-, AO und FGO, § 358 AO, Rz. 23 m.w.N.; BFH-Beschluss vom 1. April 1992 VII S 15/92, BFH/NV 1993, 173.).
In diesem Falle ist die Klage als unbegründet abzuweisen (BFH-Beschluss vom 11. November 2008 V B 2/08, juris m.w.N.).
2. Die Klage i.S. Einkommensteuer 2013 ist nur teilweise begründet.
Der gegen die Einkommensteueränderungsbescheid 2013 vom 8. Juni 2015 erhobene Einspruch ist gemäß § 351 Abs. 1. 2 Hs. AO zulässig gewesen. Die Klage ist teilweise begründet; denn das FA hätte nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO aufgrund des mit der KM-Steufa mitgeteilten Sachverhalts anstelle des „Betrags AgSt“ (23.231 €) einen geminderten Betrag i.H.v. 14.850 € als Veräußerungsgewinn ansetzen müssen (vgl. Rätke in Klein, AO, 13. Aufl., § 351, Rz. 11, 12 m.w.N. für bisher nicht berücksichtigte Tatsachen).
Gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 AO sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekanntwerden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden.
2.1. Tatsache im Sinne dieser Vorschrift ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften materieller oder immaterieller Art (BFH-Urteil vom 30. Oktober 2003 III R 24/02, BStBl II 2004, 394, m.w.N.).
Demnach stellt der mit der KM-Steufa mitgeteilte Sachverhalt (= Scheinrenditen; „Wertpapierabrechnungen“ wahrheitswidrig erteilt; weder tatsächliche Zahlung der darin enthaltenen „Bankkosten /Börsenspesen/sonstigen Kosten“ noch Anmeldung und Abführung der darin ausgewiesenen „Abgeltungssteuer“ nebst „Solidaritätszuschlag“) Tatsachen i. S. des § 173 AO dar, die auch erst nachträglich, also nach Erlass des bestandskräftigen Steueränderungsbescheids vom 27. März 2015 bekannt geworden sind.
2.2. Dieser Sachverhalt führt zu einem niedrigeren Veräußerungsgewinn i.H.v. 14.850 € (Berechnung s.u. Pkt. 3.2.b) und damit insoweit zu einer niedrigeren Steuerfestsetzung (vgl. z.B. Loose in T/K, AO und FGO, § 173 AO, Rz. 99: keine Gesamtaufrollung des Falles).
Gemäß § 20 Abs. 4 S. 1 EStG ist ein Gewinn im Sinne des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG (= u.a. Gewinn aus Aktienveräußerung) der Unterschied zwischen den Einnahmen aus der Veräußerung nach Abzug der Aufwendungen, die im unmittelbaren sachlichen Zusammenhang mit dem Veräußerungsgeschäft stehen, und den Anschaffungskosten.
a) Einnahmen (§ 8 Abs. 1 EStG) sind i.S. von § 11 Abs. 1 EStG zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügen kann und sie damit in sein Vermögen übergegangen ist. Eine Einnahme fließt auch dann zu, wenn der Geld- oder Sachwert an einen Dritten für Rechnung des Steuerpflichtigen geleistet wird (Krüger in Schmidt, EStG, 36. Aufl., § 11, Rz 15, 17).
Im Rahmen von Schneeballsystemen kann ein Zufluss von Scheinrenditen außer durch Zahlung auch durch eine Gutschrift in den Büchern des Systembetreibers bewirkt werden, wenn mit der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuld, sondern darüber hinaus zum Ausdruck gebracht wird, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verwendung zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (vgl. zuletzt BFH-Urteile vom 11. Februar 2014 VIII R 25/12, BStBl II 2014, 461; vom 2. April 2014 VIII R 38/13, BStBl II 2014, 698; vom 27. August 2014 VIII R 41/13, BFH/NV 2015, 187 jeweils m.w.N.).
Alternativ kann ein solcher Zufluss durch die Vereinbarung zwischen Schuldner und Gläubiger dadurch bewirkt werden, dass ein Betrag fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet sein soll (Novation). Die Novation muss sich dabei als Folge der Ausübung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht des Gläubigers (Anlegers) über den Gegenstand der Altforderung darstellen und auf dessen freiem Entschluss beruhen. Entscheidend hierfür ist, ob der dem Gläubiger geschuldete Betrag gerade in dessen Interesse nicht ausgezahlt und aufgrund der Novation fortan aus einem anderen Rechtsgrund geschuldet wird. Auch hier muss als weitere Voraussetzung der Anleger im Zeitpunkt der Novation tatsächlich in der Lage gewesen sein, die Auszahlung ohne weiteres Zutun des leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen (BFH in BStBl II 2014, 461).
Ob nach diesen Vorgaben ein Zufluss von Kapitaleinkünften eintritt, ist anhand der tatsächlichen Umstände des Einzelfalles zu prüfen.
Nach diesen Rechtsgrundsätzen ist die Höhe der Einnahmen davon abhängig, inwieweit die Klägerin über den „Verkaufsbetrag“ laut „Wertpapierabrechnungen“ die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt hat und nicht, wie das FA meint, davon, ob sich aus der Anlagerperspektive bei objektiver Betrachtung aus dem vorgetäuschten Rechtsgeschäft steuerbare Einnahmen in dieser Höhe ergäben (unter Bezugnahme auf das zur Frage der verwirklichten Einkunftsart ergangene BFH-Urteil vom 14. Dezember 2004 VIII R 5/02, BStBl II 2005, 746).
Daher ist der Klägerin jedenfalls der an sie ausgezahlte Anteil des angeblichen „Verkaufsbetrags“ als Einnahme zugeflossen. Insoweit handelt es sich nicht um eine Rückzahlung der Anlagesumme, da einkommensteuerrechtlich bei Auszahlungen allein die Tilgungsbestimmung des Systembetreibers maßgeblich ist (vgl. BFH in BStBl II 2014, 461).
Jedoch hat die Klägerin an dem nicht ausgezahlten Anteil des „Verkaufsbetrags“, der die fiktiven „Bankkosten/Börsenspesen“, „Kosten A1“, „Blockkosten“ sowie „Abgeltungssteuer“ nebst „Solidaritätszuschlag“ lt. „Wertpapierabrechnungen“ angeblich abdecken hat sollen, nach Auffassung des Gerichts zu keinem Zeitpunkt die wirtschaftliche Verfügungsmacht erlangt.
Denn in Bezug auf diesen Anteil an dem der Klägerin in den „Wertpapierabrechnungen“ gut geschriebenen „Verkaufsbetrag“ ist die A1 zu keinem Zeitpunkt, wie das aber erforderlich wäre, leistungsbereit gewesen. Die Klägerin hätte insoweit eine Auszahlung auch nicht ohne weiteres Zutun der A1 herbeiführen können.
Die fehlende Bereitschaft zur Leistung in Form einer Auszahlung unmittelbar an die Klägerin ergibt sich schon aus der angeblichen Verrechnung mit den fiktiven Kosten und Abgaben
Hinsichtlich des angeblich für „Bankkosten/Börsenspesen/Blockkosten“ verwendeten Teilbetrags hat auch die Bereitschaft, für Rechnung der Klägerin an die Bank zu leisten, gefehlt, weil solche Bankkosten tatsächlich gar nicht entstanden sind.
Dass die A1 in Bezug auf die „Abgeltungssteuer“ nebst „Solidaritätszuschlag“ nie leistungsbereit im Sinne eines Einbehalts für Rechnung der Klägerin gewesen ist, lässt sich daraus schließen, dass sie solche Abgaben für die Klägerin weder angemeldet noch abgeführt noch hierüber eine Steuerbescheinigung ausgestellt hat. Hiervon geht im Übrigen auch das FA aus.
Schließlich ist eine Leistungsbereitschaft in Bezug auf den Teilbetrag des „Verkaufsbetrags“ ausgeschlossen, der angeblich zur Verrechnung mit „Kosten A1“ im Zusammenhang mit dem angeblich für die Klägerin geführten Depot gedient hat, weil auch solche Kosten tatsächlich nicht entstanden sind. Vielmehr hat X/ A1 Kosten im Zusammenhang mit der Errichtung und Aufrechterhaltung des Schneeballsystems gehabt, die aber nicht (jedenfalls nicht vom FA nachgewiesen) für die Klägerin bzw. deren angebliches Depot aufgewendet bzw. bezahlt worden sind.
b) Für die Berechnung des Veräußerungsgewinns ist der um Kosten und Abgaben geminderte Verkaufsbetrag um die Anschaffungskosten (7.500 €) (alle genannten Beträge lt. „Wertpapierabrechnungen“) zu mindern. Hieraus ergibt sich ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 14.850 € wie folgt:
„Verkaufsbetrag: 31.600,00 €
./. Bankkosten/Börsenspesen 869,00 €
./. Kosten A1 1.611,60 €
./. Blockkosten 262,15 €
./. Blockkosten 379,20 €
./. Abgeltungssteuer 5.807,75 €
./. Solidaritätszuschlag 319,43 €
./. Anschaffungskosten 7.500,00 €
= berichtigter Veräußerungsgewinn 14.850,87 €
c) Als Werbungskosten hat das FA zutreffend nur den Pauschbetrag berücksichtigt (§ 20 Abs. 9 S. 1, 2. Hs EStG). Ebenso zutreffend hat es den Steuertarif von 25% auf den Veräußerungsgewinn angewendet (§ 34d Abs. 4 S. 1 i.V.m. Abs. 3 S. 2 EStG; vgl. hierzu Weber-Grellet in Schmidt, EStG, § 32d, Rz. 16).“
2.3. Ein die Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO ausschließendes grobes Verschulden der Klägerin am nachträglichen Bekanntwerden des Sachverhalts laut KM-Steufa liegt unstreitig nicht vor (vgl. auch o.g. Urteil des LG Nürnberg-Fürth vom 26. Februar 2015 3 KLs 508 Js 1516/12, wonach die Anleger der A1 vom Schneeballsystem keine Kenntnis hatten).
2.4. Eine weitergehende Korrektur kommt auch nicht in Betracht aufgrund des (sinngemäß) mit dem Einspruch gegen den Einkommensteueränderungsbescheid vom 8. Juni 2015 erklärten Widerrufs des ursprünglich gestellten Antrags nach § 32d Abs. 4 EStG.
Der ursprüngliche Antrag auf Einbeziehung des als Veräußerungsgewinn erklärten „Ergebnisses“ in die Einkommensteuerveranlagung 2013 zur Überprüfung des Steuereinbehalts entspricht einem Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG (sog. Antragsveranlagung, vgl. BFH-Urteil vom 9. August 2016 VIII R 27/14, BStBl II 2017, 821; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 36. Aufl., § 32d, Rz. 16). Dieser Antrag ist nicht gemäß § 32d Abs. 6 S. 1 EStG durch den gleichzeitig gestellten Antrag auf Günstigerprüfung ersetzt worden, da letzterer mangels günstigerer Auswirkung (vgl. auch Erläuterungstext sämtlicher Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre) als nicht gestellt gilt (vgl. Tz. 150 u. 324 des Schreibens des Bundesfinanzministeriums -BMFvom 18. Januar 2016, BStBl I 2016, 85; Weber-Grellet in Schmidt, EStG, 36. Aufl., § 32d, Rz. 21f.).
Zwar handelt es sich bei dem Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG um ein unbefristetes bis zum Eintritt der Bestandskraft widerrufliches Wahlrecht (vgl. BFH in BStBl II 2017, 821), jedoch ist vorliegend im Falle des Widerrufs eine Pflichtveranlagung nach § 32d Abs. 3 EStG durchzuführen.
Gemäß § 32d Abs. 3 S. 1 EStG hat der Steuerpflichtige Kapitalerträge, die nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben, in seiner Einkommensteuererklärung anzugeben.
Zwar ist umstritten, ob sich die Erklärungspflicht nach § 32d Abs. 3 S. 1 EStG nur auf solche Kapitalerträge erstreckt, die aus rechtlichen Gründen nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben (vgl.im Einzelnen Kühner in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG, KStG, § 32d EStG, Rz. 67), oder darüber hinaus auch auf solche Kapitalerträge, die - wie im Streitfallaus tatsächlichen Gründen nicht der Kapitalertragsteuer unterlegen haben. Für eine Erklärungspflicht in Fällen des tatsächlichen Nichteinbehalts der Kapitalertragssteuer spricht dabei der Wortlaut „unterlegen haben“ (vgl. auch Schreiben des Bundesfinanzministeriums - BMF vom 18. Januar 2016, BStBl I 2016, 85, Rz. 144: uneingeschränkt auf alle Fälle, also auch in Fällen des teilweisen Nichteinbehalts; vgl. Kühner, a.a.O., Rz. 67 eingeschränkt auf Fälle, in denen überhaupt kein Einbehalt der Kapitalertragssteuer stattgefunden hat).
Für eine Anwendbarkeit beschränkt auf Fälle, in denen zugleich die Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 S. 2 EStG für eine Inanspruchnahme des Gläubigers der Kapitalerträge erfüllt sind, spricht der ansonsten entstehende Wertungswiderspruch.
Dies kann im Streitfall jedoch dahingestellt bleiben, weil auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 und 3 EStG erfüllt sind.
Denn der Schuldner der Kapitalerträge, hier die A1, hat die der Klägerin zugeflossenen Kapitalerträge (= ausgezahlter Betrag i.H.v. 22.350,87 €) nicht vorschriftsmäßig um die Kapitalertragsteuer gekürzt i.S. des § 44 Abs. 5 Nr. 1 EStG bzw. zu Unrecht ohne Abzug der Kapitalertragsteuer ausgezahlt im Sinne des § 44 Abs. 5 S. 2 Nr. 3 EStG.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO.
4. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten und über den Vollstreckungsschutz beruht auf § 151 Abs. 1 S. 1 Hs. 1, Abs. 3 FGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung.
5. Die Revision wird nicht zugelassen, weil kein Zulassungsgrund nach § 115 Abs. 2 Finanzgerichtsordnung vorliegt.